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Die Verzahnung von humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung in Fluchtkontexten

Welchen Mehrwert die Friedenskomponente des HDP-Nexus bieten kann

SWP-Aktuell 2023/A 59, 24.11.2023, 8 Seiten

doi:10.18449/2023A59

Forschungsgebiete

Eine Rekordzahl an Gewaltkonflikten verursacht wachsende Bedarfe an humanitärer Hilfe. Besonders deutlich zeigt sich dies in Fluchtkontexten. Angesichts knapper Mit­tel gibt es seit Jahrzehnten Versuche, Betroffene effektiver, effizienter und bedarfs­gerechter zu unterstützen. Dieses Ziel verfolgt auch der Humanitarian-Development-Peace-Nexus (HDP-Nexus), der humanitäre Hilfe und Entwicklung mit Friedensförderung ver­zahnen soll. Für Fluchtkontexte liegt der große Mehrwert des HDP-Nexus in seinem weiter gefassten Friedensanspruch. Dieser geht über soziale Kohäsion hin­aus und schafft Raum für politische Lösungen und Konflikttransformation. Letzteres ist Vor­aus­setzung für dauerhafte Lösungen für Menschen auf der Flucht. Die Bundes­regierung kann hier unter anderem durch Verbreitung und Vertiefung von Nexus-Exper­tise sowie verstärkte Rechenschaftslegung gegenüber Betroffenen aktiv unter­stützen.

Die Zahl der Menschen auf der Flucht steigt seit Jahren. Im Oktober 2023 waren es 110 Mil­lionen, darunter 36,4 Millionen Flücht­linge, 62,5 Mil­lionen Binnenvertriebene und 6,1 Millionen Asylsuchende, was wieder einen neuen Höchst­stand bedeutete. Anhal­tende oder neue Gewaltkonflikte sowie massive Menschenrechtsverletzungen wer­den auch in den nächsten Monaten und Jahren Menschen in die Flucht zwingen, wäh­rend für viele Flucht­situationen keine Lösungen in Sicht sind. Mit der wachsenden Zahl an Betrof­fenen und der zunehmenden Dauer von Vertreibungs- und Fluchtsitua­tio­nen steigen ebenfalls die humanitären und entwick­lungspolitischen Bedarfe. Zwar erreichten auch die Mittel für die huma­nitäre Hilfe in den letzten Jahren Rekordsummen; doch zum einen werden diese Mittel den rasant steigenden Bedarfen nicht gerecht, zum anderen stehen zu­mindest in Deutschland 2024 Kürzungen bevor.

In der humanitären Hilfe und der Entwick­lungszusammenarbeit (EZ) werden des­halb seit langem Bemühungen um Effizienz­gewinne als Ausweg gesehen, um trotz knap­per werdender Mittel bessere Leistungen für Betroffene zur Verfügung stel­len zu kön­nen. Dies will man erreichen, indem diese bei­den Bereiche, die lange Zeit weit­gehend getrennt voneinander arbeiteten und unter­schiedlichen Logiken folgten, von Beginn einer Krise an enger kooperieren und gut koordiniert werden.

Der sogenannte Humanitarian-Devel­op­ment-Peace-Nexus aus dem Jahr 2016 stellt den neuesten Versuch dieser Art dar – ent­wickelt auch deshalb, weil zahlreiche frü­here Ansätze, die versuchten, huma­nitäre Hilfe und EZ besser zu verzahnen, nicht die gewünschten Erfolge brachten. Der HDP-Nexus geht noch einen Schritt weiter als bis­herige Ansätze und schließt nicht nur hu­manitäre Hilfe und EZ ein, sondern er­gänzt eine dritte Säule: die Friedensförderung. Vorangetrieben wird dieser auch von der Bundesregierung unter­stützte Ansatz vor allem von den Gebern des Development Assistance Committee (DAC) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), von Organisationen der Vereinten Nationen (VN) sowie von Nicht­regierungsorgani­sa­tio­nen (NGOs).

Der HDP-Nexus verfolgt das Ziel, durch bessere Verknüpfung der drei Bereiche Syn­ergieeffekte zu erzeugen  denn humani­täre Notlagen, mangelnde Entwicklung und Gewaltkonflikte bedingen sich gegenseitig. Durch die abgestimmte Bearbeitung ihrer strukturellen Ursachen hofft man, humani­täre Bedarfe auf lange Frist reduzieren und die Abhängigkeit von Betroffenen von huma­nitärer Hilfe vermeiden zu können. Zudem sollen Betroffene wieder in die Lage versetzt werden, eigenständig über ihr Leben zu ent­scheiden. Diese Errungenschaften soll die Friedensförderung absichern.

Der HDP-Nexus in Fluchtkontexten

VN-Organisationen und NGOs sowie Geber­länder, nationale Regierungen und Zivil­gesellschaft setzen den HDP-Nexus als Multi-Akteurs-Ansatz mittlerweile in 25 Ländern um: Unter anderem in Kamerun, Uganda und der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) arbeiten humanitäre, entwicklungspolitische und Friedensakteure zeit­gleich an zuvor gemeinsam festgelegten Zielen. In vielen dieser Nexus-Länder spielen auch Flucht und Vertreibung eine Rolle – sei es, dass das jewei­lige Land Flüchtlinge aus anderen Staaten aufnimmt, dass Men­schen wegen im Land be­stehender Gewalt­konflikte intern vertrieben sind oder über die Landesgrenzen hinweg fliehen müssen oder dass Flüchtlinge in das Land zurückkehren.

In all diesen Kontexten ist der HDP-Nexus besonders relevant, denn nur sehr wenige Menschen auf der Flucht finden eine der drei sogenannten dauerhaften Lösungen lokale Integration, Rückkehr oder Resettlement, sodass ihre Gesamtzahl weiter stark ansteigt. Die von Flüchtlingen bzw. Binnen­vertriebenen ebenso wie von Auf­nah­me­ländern und -regionen bevorzugte Lösung ist oft eine Rückkehr an den Her­kunftsort; die maßgebliche Voraussetzung dafür ist die Schaffung von Frieden und Sicherheit. Mit seinem zusätzlichen Fokus auf Friedens­förderung bietet der HDP-Nexus daher neue Anknüpfungspunkte und Mög­lichkeiten gerade für Fluchtkontexte, trotz der großen damit verbundenen Her­aus­forderungen. Bisher verfolgte An­sätze grei­fen in dieser Hinsicht zu kurz – ganz ab­gesehen von ausbleibenden Erfolgen.

Die Friedenskomponente in Fluchtkontexten

Bei der als »P«-Säule (für Englisch »peace«) bezeichneten Friedensdimension des Nexus wird oft zwischen »small« oder »little p« und »big P« unterschieden. Unter »small p« oder »little p« werden Maßnahmen ver­stan­den, die darauf ausgelegt sind, Kapa­zi­täten für Konfliktprävention und ‑bearbei­tung aufzubauen sowie soziale Kohäsion und Vertrauen innerhalb der Gesellschaft zu stärken. Diese Aktivitäten setzen meist auf der lokalen Ebene an. Als »big P« gelten Aktivitäten, die direkt auf eine politische oder militärische Lösung eines gewaltsamen Konflikts abzielen. Hierunter fallen hoch­rangiger politischer Dialog, Mediation, Dip­lo­matie oder auch Instrumente wie Friedens­missionen und Stabilisierungs­einsätze. Für Fluchtkontexte sind beide Dimensionen bedeutsam. Insbesondere das »big P« bietet durch seinen Anspruch, auf nationaler / regionaler Ebene politische Lösungen und Konflikttransformation zu er­reichen, gro­ßes Potential für die dringend benötigten dauerhaften Lösungen und stellt damit eine erhebliche Neuerung gegenüber früheren Ansätzen dar.

»Small p«-Maßnahmen

Der »kleine Frieden« ist bisherigen Ansät­zen in Fluchtkontexten, die »nur« humanitäre Hilfe und EZ verknüpfen, ebenfalls nicht fremd. Dazu zählen zum Beispiel der Regionale Flüchtlings- und Resilienzplan (Regio­nal Refugee and Resilience Plan, 3RP), der in den Nachbarländern Syriens um­gesetzt wird, oder der Umfassende Rahmen­plan für Flüchtlingshilfemaßnahmen (Com­prehensive Refugee Response Framework, CRRF), der in zahlreichen Ländern in Afrika, Asien und Südamerika zur Anwen­dung kommt.

Soziale Kohäsion und lokale Konfliktbearbeitung

Sowohl 3RP als auch CRRF beinhalten bereits Initiativen zur Förderung der sozia­len Ko­häsion und versuchen, konfliktsen­sibel zu agieren. So sollen gesellschaftliche Span­nungen zwischen Flüchtlingen, Bin­nen­vertriebenen oder Rückkehrenden einer­seits und der lokalen Bevölkerung andererseits reduziert werden. Solche Spannungen kön­nen auftreten, wenn Flüchtlinge oder Rückkehrende die demographische Zu­sam­mensetzung der Gesellschaft stark ver­ändern oder soziale, wirtschaftliche, institu­tionelle und natür­liche Ressourcen unter Druck geraten.

Minimalstandard für konfliktsensibles Handeln ist das »Do No Harm«-Prinzip. Es geht davon aus, dass keine Intervention, ob humanitär, entwick­lungsorientiert oder friedensbezogen, jemals absolut konfliktneutral sein kann, sondern immer inten­dierte oder nicht intendierte Wirkungen auf Machtverhältnisse entfaltet. Das Prinzip hat daher zum Ziel, unbeabsichtigte nega­tive Wirkungen von Aktivitäten zu erken­nen und zu ver­meiden. Dazu erstellen die vor Ort tätigen Organisationen für den Planungsprozess Konfliktanalysen. An­schlie­ßend soll fort­laufendes Monitoring sicher­stellen, dass soziale Spannungen früh­zeitig bemerkt und durch eine Umge­staltung der Maßnahmen entschärft werden können.

In der Entwicklungszusammenarbeit wird das »Do No Harm«-Prinzip und kon­flikt­sensibles Vorgehen als Selbstverständlichkeit betrachtet. Mittlerweile bekennen sich auch viele humanitäre Akteure zum »Do No Harm«-Prinzip, etwa das Inter-Agency Standing Committee (IASC) der VN, die Europäische Kommission für ihre hu­ma­nitäre Hilfe und das VN-Flücht­lings­hilfswerk UNHCR.

Über das »Do No Harm«-Prinzip und konfliktsensible Ansätze hinaus kann die Stär­kung sozialer Kohäsion indirekt zu Frieden auf lokaler Ebene beitragen. Ein größerer gesellschaftlicher Zusammenhalt erhöht nicht nur die Resilienz gegenüber der Eskalation von Spannungen, sondern hilft ebenfalls bei der Reduzierung von Gewalt und unterstützt Versöhnungsprozesse. Beispiele für entsprechende Aktivitäten sind gemeinsame Aus- und Weiter­bildungs­programme für Flüchtlinge und die Aufnahmegemeinde.

Hingegen zielt die Förderung von Konflikt­bearbeitungs­mechanismen etwa durch Mediationstrainings direkter auf die fried­liche Beilegung lokaler Konflikte, bei­spiels­weise in dem verbreiteten Fall von Land- und Eigentumskonflikten zwischen zurück­gekehrten Flüchtlingen und Stayees (also Personen, die geblieben sind).

»Small p«-Akteure

Viele lokale wie internationale humanitäre und EZ-Organisationen wollen mit ihrer Arbeit eine Stärkung der sozialen Kohäsion er­reichen. Konkrete Maßnahmen zur Kon­flikt­bearbeitung werden dagegen üblicherweise von einer Reihe spezialisierter NGOs um­gesetzt; zu nennen sind hier Swiss­peace, Inter­peace, International Alert oder Search for Common Ground. Der auf Kon­flikt­bearbeitung spezialisierte Friedensförderungs­fonds der VN stellt für diesen Arbeits­bereich Finanzierungen bereit. Auch zivile Komponenten von Friedensmissionen enga­gieren sich mit »small p«-Maß­nahmen, unter anderem indem sie Span­nungen zwi­schen Bevölkerungsgruppen beobachten und versuchen, sie durch Dialogforen mit den lokalen Konfliktparteien abzubauen. Ein solches Vorgehen kann etwa die Rück­kehr von Binnenvertriebenen begünstigen, wie zum Beispiel in der Provinz Ituri in der Demokratischen Republik Kongo. Dar­über hinaus betätigen sich die politischen Missio­nen der VN sowie Feldmissionen der Orga­nisation für Sicher­heit und Zusammen­arbeit in Europa (OSZE) im Bereich lokaler Konflikt­bearbeitung, insbesondere mit vertrauensbildenden Maß­nahmen.

Große Entwicklungsakteure wie die Welt­bank spielen bei »small p«-Maßnahmen ebenfalls eine wichtige Rolle, indem sie kon­flikt­sensible und auf dauerhafte Lösun­gen fokussierte Gesetzgebung zur Bedingung für Kredite und Zuschüsse machen. So setzt beispielsweise eine Finanzierung über das Window for Host Com­mu­nities and Refu­gees (WHR) der International Develop­ment Asso­ciation voraus, dass die Regierung des Landes, das Flüchtlinge aufnimmt, eine Stra­tegie vor­legen kann. Diese muss kon­krete Schritte ein­schließlich möglicher politischer Refor­men enthalten, die lang­fristige Lösungen sowohl für Aufnahme­gemeinden wie auch Men­schen auf der Flucht anstreben.

In Deutschland berücksichtigen die vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geförderte Übergangshilfe (ÜH) sowie die BMZ-Sonderinitiative Geflüchtete und Auf­nahmeländer (SIGA) das Thema soziale Kohäsion. Mit dem Zivilen Friedensdienst (ZFD) verfügt die Bun­desregierung zudem über ein von Friedens- und Entwicklungsorganisationen getragenes Instrument, das Gewaltprävention und Friedensförderung in Krisengebieten explizit zum Ziel hat. Umgesetzt wird dies durch zivile Expertinnen und Experten, die auf lokaler Ebene tätig sind.

»Big P«-Maßnahmen

Im Vergleich zu voran­gegan­genen Ansät­zen, die humanitäre Hilfe und Entwicklungs­zusammenarbeit verbin­den, liegt der beson­dere Mehrwert des HDP-Nexus für Flucht­situationen (und für dauer­hafte Lösun­gen) in seiner Neuerung, den »großen Frieden« einzubeziehen und ihn zumindest als kon­zep­tionellen Anspruch zu formulieren. Vor­kehrungen für seine prak­tische Umsetzung werden durch neue For­men der Kooperation getroffen.

Bei der konkreten Umsetzung des HDP-Nexus auf Länderebene und bei den meis­ten fluchtrelevanten Ansätzen steht bisher das »small p« im Vordergrund. Selbst wenn solche Maßnahmen wichtig sind, um auf lokaler Ebene Spannungen zu verringern bzw. zu ver­mei­den und zu einem fried­lichen Zusam­men­leben beizutragen, kön­nen sie nur in kleinem Rahmen oder lokal Verbesse­run­gen erzielen. Nachhaltige und dauerhafte Lösungen, die echte Pers­pek­tiven und gleiche Rechte für Menschen auf der Flucht und Aufnahmegesellschaften beinhalten, lassen sich so nicht erreichen, denn: Vor allem die auch im Globa­len Süden häufig bevorzugte Lösung einer sicheren und würdevollen Rückkehr an den Her­kunfts­ort setzt voraus, dass dort Sicher­heit und Frieden herrschen.

Die Förderung des »big P« geht über die lokale oder Projektebene üblicherweise weit hin­aus. Die dafür notwendige tiefer gehende Friedensförderung auf nationaler / regio­na­ler Ebene liegt außerhalb der Zuständigkeit humanitärer Hilfe und wird von der Ent­wick­lungszusammenarbeit meist als zu an­spruchs­voll oder zu politisch betrachtet. Mit dem »big P«-Anspruch des Nexus entsteht zumindest konzeptionell der Raum, diese Lücke (perspektivisch) zu füllen.

Praktische Umsetzung: Zusammenarbeit mit neuen Akteuren

Auf der praktischen Ebene liefert der Nexus einen wesentlichen Beitrag, indem er zusätz­liche Friedensakteure (und Aktivitäten) ein­bindet, die in herkömmlichen Ansätzen, die lediglich huma­nitäre Hilfe und EZ zu­sam­men­denken, fehlen. So bietet der Nexus die Möglichkeit, neben Organisationen, die auf Konfliktprävention und ‑bearbei­tung spezialisiert sind (siehe oben), bei­spiels­weise diplomatische Corps und Friedens­missio­nen einzubeziehen, mit dem Auftrag, poli­tische Friedensprozesse und die fried­liche Bear­bei­tung bestehender Konflikte zu unter­stützen.

Friedensmissionen

Ein ele­men­tarer Bestandteil der rein zivilen Beson­de­ren Politischen Missio­nen der VN ist der hochrangige politische Dialog (»Good Of­fices«) der Sonderbeauftragten, zum Bei­spiel in Kolum­bien. Auch bei VN-Friedens­missio­nen mit einem Auf­trag zu robuster Friedens­erhaltung werden militä­rische, polizeiliche und zivile Aktivitäten durch diese Good Offices ergänzt. Im direkten Aus­tausch mit Staats­oberhäuptern und ande­ren Schlüsselakteuren wie Oppositions­führe­rinnen und ‑führern, bewaffneten Gruppen oder tradi­tio­nellen Autoritäten versuchen die Son­der­beauftragten, auf die Entschärfung neuer und die friedliche Be­arbeitung vor­handener Konflikte hinzuwirken.

Dies lässt sich auch für Fluchtsituationen noch stärker nutzen, wie die Action Agenda on Internal Displacement deutlich macht, die seit 2022 in 15 Pilotländern angewendet wird: Sie betrachtet den hochrangigen poli­tischen Dialog bereits explizit als Teil der Arbeit des Sonder­beraters des VN-General­sekretärs für Lösungen im Bereich Binnen­vertreibung. Zusätzlich sind die Sonder­beauftrag­ten von politischen und Friedens­missio­nen der VN in den Pilot­ländern der Action Agenda vom VN-Haupt­quartier in New York dazu angehalten, die Suche nach Lösungen für Binnenvertrie­bene in ihren hochrangigen politischen Dialog aufzunehmen. Eine Rückkehr an den Herkunftsort setzt Sicherheit und Frieden voraus, wo­durch Frie­densbildung und die Beteiligung bzw. Berücksichtigung von Binnenvertriebe­nen in Friedensprozessen notwendig werden. Da viele von Binnenvertreibung betroffene Länder auch Herkunftsländer von Flüchtlingen sind, etwa Süd­sudan, Irak oder Somalia, können sich der­artige Frie­dens­bemühungen positiv auf eine mög­liche Rückkehr von Flüchtlingen auswirken – immer vorausgesetzt, dies wird in den Verhandlungen mitbedacht.

Diplomatie

Diplomatische Corps und Geberforen gene­rell nutzen den hochrangigen politischen Dialog, um Friedensförderung als Voraussetzung für dauerhafte Lösungen zu unter­stützen. Ge­mein­same Stellungnahmen ver­schie­de­ner Geberländer für die DR Kongo zum Bei­spiel verurteilten Gewalt gegen die Zivil­bevölkerung und humanitäre Akteure durch bewaffnete Gruppen und drückten ihre Unterstützung für die Regie­rung im Kampf gegen diese Gruppen aus. Solche Stellungnahmen finden größeres Gehör bei den Adressaten, wenn sie mit anderen Akteursgruppen wie VN-Organisationen, Entwicklungsbanken und der Zivilgesellschaft abgestimmt sind und durch konkrete Aktivitäten flankiert werden, etwa den hochrangigen politi­schen Dialog oder die Finanzierung neuer Projekte.

Bei Konflikten mit regionaler oder inter­nationaler Dimension sind diplomatische Corps, Geberforen auf regionaler und inter­nationaler Ebene sowie regionale Orga­nisa­tionen wie die Afrikanische Union (AU) besonders wich­tig, um alle relevanten Ak­teure an einen Tisch zu bringen. 2022 spielte die AU eine Schlüsselrolle bei der Beendigung des Tigray-Konflikts in Äthiopien. Die Befriedung von Konflikten dieser Art gestal­tet sich in vielen Fällen noch komplexer als diejenige rein interner Konflikte. Eine Her­ausforderung dabei ist, dass die Mandate der zuständigen politischen oder Friedensmissionen meist auf ein Land beschränkt sind. Hinzu kom­men unterschiedliche Man­date der relevan­ten VN-Organisationen wie auch eine geographische Distanz zwischen den unterschied­lichen Akteuren. Dies er­schwert nicht nur den Informationsaustausch, sondern gleichermaßen ein abge­stimmtes Vorgehen bei Friedensbemühungen. Regio­nale Foren und Organi­sationen sowie regio­nale Sonderbeauftragte der VN oder der Euro­päischen Union (EU) könnten hier weiteren Mehrwert schaffen, in­dem sie ver­schiedene Akteursgruppen und die drei Säulen des Nexus auf regionaler Ebene zusammenbringen. Dadurch könn­ten sie koordiniert auf Konfliktlösung in einem bestimmten Kon­text hinarbeiten und damit ebenso auf eine mögliche Rück­kehr von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen.

Positiver Frieden als Ziel des Nexus

Zusätzlich hilfreich für dauerhafte Lösun­gen ist der mit dem HDP-Nexus einher­gehende Perspektivwechsel: Er begreift Frie­den über die Abwesenheit von politi­scher Gewalt hinaus als »positiven Frieden« (nach Gal­tung) und rückt die humanitären und entwicklungspolitischen Bedarfe der Betroffe­nen in den Mittelpunkt – und damit die für positiven Frie­den zentrale soziale Gerech­tigkeit. Dazu gehört auch, margi­nalisierte und mehrfach diskriminierte Gruppen, zu denen Frauen, Binnenvertriebene, Flüchtlinge und junge Menschen häufig gehören, an Friedensprozessen zu beteiligen.

Der Fokus liegt hier auf einem Frieden, der den Bedarf an humanitärer Hilfe min­dert und den Ausbau von Entwicklungschancen einschließt und so größere Dauer­haftigkeit verspricht. Diese an den Betrof­fe­nen und ihren Bedarfen orientierte Perspek­tive geht damit auch über Stabilisie­rungs­ansätze hinaus, die in erster Linie die Ab­wesenheit von politischer Gewalt anstre­ben. Selbst wenn umfassender, nachhaltiger, posi­tiver Frieden in vielen Fällen unerreich­bar bleibt, ist es dennoch wichtig, ihn für die humanitären, entwicklungspolitischen und friedensfördernden Akteure als Ziel zu formulieren, damit sie ihre Aktivitäten dar­an ausrichten und zumindest einen Bei­trag dazu leisten können.

Empfehlungen

Grundsätzlich sind sowohl die Unterstützung nationaler Friedensprozesse als auch lokale Konfliktbearbeitung und soziale Ko­häsion für Fluchtsituationen hochrele­vant, und zwar für Binnenvertreibung eben­so wie für grenz­überschreitende Flucht. Bestandteile des »small p« wie Kon­flikt­sensibilität und flan­kierende friedens­fördernde Maß­nahmen bleiben in diesen politisch heiklen und meist fragilen Situa­tionen unabdingbar. Gleiches gilt für das »big P«.

Der Anspruch des Nexus, zu umfassender Friedensförderung beizutragen, ist für Fluchtsituationen von essentieller Bedeutung auch wenn dies in der Praxis, ins­besondere in Fällen grenzüberschreitender Flucht, schwie­rig umzusetzen bleiben dürfte. (Positiver) Frieden reduziert Kon­flikt- und damit Flucht­ursachen und ist ein Schritt hin zu dauer­haften Lösungen für Menschen auf der Flucht, sei es am Her­kunfts-, am Auf­nahme- oder an einem dritten Ort.

Um den Mehrwert, den der HDP-Nexus bietet, voll auszuschöpfen, liegen einige Empfehlungen für die deutsche Politik nahe.

Unterstützung des Sonderberaters des VN-General­sekretärs für Lösungen im Bereich Binnen­vertrei­bung

Obwohl die Laufzeit für das Mandat des Sonderberaters nur zwei Jahre beträgt, birgt die Action Agenda on Internal Displacement großes Potential und Deutschland sollte die Arbeit des Sonderberaters aktiv unterstützen. Wünschenswert wäre, dass deutsche Botschaften und relevante Res­sorts sich in hochrangigen politischen Dialogen stark machen für friedliche Konfliktbearbeitung und dauerhafte Lösungen für Binnenvertriebene. Wann immer möglich, sollte Deutschland dafür werben, in diesen Pro­zes­sen auch die Rückkehr von Binnenvertriebenen und Flüchtlingen mitzudenken. Gleichzeitig sollte es sich dafür einset­zen, dass die Suche nach dauerhaften Lösungen und anderen HDP-Nexus-relevan­ten Zielen systematisch integriert wird in die Mandate von Friedensmissionen der VN, der EU, der OSZE und anderen regionalen Organi­sationen.

Wenn die Laufzeit des Mandats des Sonder­beraters im Jahr 2024 endet, wäre es in Deutschlands Sinne, in einer Eva­luie­rung genau zu analysieren, welche Lehren sich aus dem Einbezug von hoch­rangigem poli­ti­schem Dialog und einer Zusammenarbeit mit Friedensmissionen ziehen lassen. Diese könnte man dann sowohl für Fluchtkontexte, die nicht Teil der Pilotländer der Action Agenda sind, als auch für die Umset­zung des HDP-Nexus gene­rell nutzen.

Dezentralisierung von Entscheidungsprozessen

Um institutionelle Grenzen unter anderem zwischen Ressorts in Geber- wie Entwicklungsländern oder zwischen VN-Agenturen zu über­winden, sollte Deutschland für eine De­zentra­lisierung eintreten, damit Ent­schei­dungen über Nexus-Aktivi­täten verstärkt auf regionaler, Länder- oder lokaler Ebene ge­fällt werden. Dazu müssten zum einen Bot­schaften und Delega­tionen vor Ort per­so­nell und finanziell besser ausgestattet und ihnen mehr Ent­scheidungsbefugnisse übertragen werden. Dies steht im Einklang mit der sogenannten Flagship Initia­tive des VN-Not­hilfe­koordinators, also seinen Bemü­hungen um eine betroffenenzentrierte Reform der humanitären Hilfe. Diese soll Entscheidungsbefugnisse der humanitären Akteure auf nationaler Ebene erweitern und von strengen globalen Vor­gaben lösen. Damit will man erreichen, dass Aktivitäten mehr an den tatsächlichen Bedarfen der betroffenen Bevölkerung und dem jewei­ligen Kon­text ausgerichtet werden.

Für Deutschland bedeutet dies konkret, die Aufgaben von Referentinnen und Refe­ren­ten für wirtschaftliche Zusammenarbeit, für humanitäre Hilfe bzw. für Stabilisierung und diejenigen von Referenten und Refe­ren­tinnen für Flucht und Migration in den Aus­landsvertretungen näher aneinander heran­zuführen und die Aufgaben von Letz­teren entwicklungsorientierter anzu­legen. Auch bestehende Koordinierungs­instru­mente zwischen dem Auswärtigen Amt (AA) und dem BMZ wie die gemeinsame Analyse und abgestimmte Planung (GAAP) sollten syste­matisch an­gewendet werden und sämt­liche Instrumente umfassen, einschließlich der Übergangshilfe und der SIGA.

Zum anderen muss die Umsetzung der Nexus-Maßnahmen noch stärker über lokale Organisationen erfolgen – wie im Grand Bargain bereits für humanitäre Hilfe vor­gesehen und in der Flagship Initia­tive gefor­dert. Lokale Organisationen orientieren sich häufig vornehmlich an den Bedarfen und trennen nicht zwischen den Aufgaben­bereichen Humanitäres, Entwicklung und Frieden, im Gegensatz zu vielen internationalen Organisationen und Gebern. Und nicht zuletzt sollten betroffene Regierungen dazu ermuntert werden, eine Koordina­tions­rolle zu übernehmen.

Einsatz von »dreisprachigen« Expertinnen und Experten

Deutschland sollte verstärkt Expertinnen und Experten mit Kenntnissen in allen drei Säulen des HDP-Nexus einsetzen bzw. Per­sonal entsprechend aus- und weiterbilden. Dies gilt vor allem auf Ebene der Botschaften und EU-Delegationen sowie ein­ge­schränkt auch für die Hauptstadt­ebene der Geber. Mehr Verständnis für die Arbeits­weise, die komparativen Vor­teile und die Lücken der ande­ren Arbeitsbereiche ist eine Vor­aus­setzung für gegenseitiges Verständnis, ver­tiefte Zusam­menarbeit und verbesserte Ressortkoordination.

Die vom BMZ mitfinanzierte Nexus Aca­demy, die auf eine gemeinsame Initiative von OECD und VN zurückgeht, ist ein wich­tiger Schritt in diese Richtung. Sie sollte so ausgebaut werden, dass noch mehr Men­schen daran teilnehmen können. In Deutsch­land arbeitet das dem AA nachgeordnete Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) am Kapazitätsaufbau und bietet Fach­kräften für Friedenseinsätze und solchen für huma­nitäre Einsätze Weiterbildungen zum HDP-Nexus an. Um diese Res­sourcen noch gezielter zu nutzen, empfiehlt es sich besonders für Fluchtkontexte, HDP-Nexus-Beraterin­nen und ‑Berater organisatorisch auch mit der Verantwortung für die Suche nach dauerhaften Lösun­gen zu be­trauen und etwa im Resident Coordinator Office der VN anzusiedeln. Die Kooperation von humanitären und Entwicklungsakteuren mit zivilen Komponenten von Friedens­missionen dürfte ebenfalls leichter­fallen, wenn vielseitig ausgebildetes Personal über Friedensmissionen Bescheid weiß und zwi­schen ihren Kom­ponenten differenzieren kann.

Überwindung von Fehlanreizen

Die Tabuisierung von wirtschaftlichen Inter­essen der Hilfsorganisationen am Status quo sowie Fehlanreize, die die Ver­zahnung der drei Bereiche sowohl für Geber als auch für umsetzende Organisationen häufig un­attrak­tiv machen, müssen über­wunden wer­den. Ein zentraler Mechanismus dafür könnte die Rechenschafts­legung gegenüber Betroffe­nen bzw. deren Beurtei­lung der Maßnahmen sein. Die Bundes­regierung sollte daher dafür sorgen, dass bestehende Moni­to­ring­instrumente stärker auf die Rück­meldung von Nutzerinnen und Nutzern zugeschnitten werden und deren Einbeziehung bei Planung und Eva­luierung ver­pflich­tend vorgegeben wird. Bisher ist dies zu selten und nicht systematisch genug der Fall. Die Anreizstruktur würde sich ver­ändern, wenn Feedback von Betroffenen eine größere Rolle als etwa Sichtbarkeit und Reputations­gewinn spie­len würde. Dann hätten die­jenigen Organi­sationen einen Vorteil, die ihre Maßnahmen an den tatsächlichen Bedarfen aus­rich­ten und sich dazu mit anderen Akteuren abstimmen. In Reformbemühungen wie der oben erwähn­ten Flagship Initiative stellt die Rechenschaftslegung gegenüber Betroffenen bereits ein wesentliches Element dar.

Weitere konkrete Maßnahmen, die dazu beitragen können, ungünstige Anreizstruktu­ren zu verändern, sind geographische (regional- oder länderspezifische) Korb­finan­zierungen, die alle drei Säulen um­fas­sen. Darüber hinaus ist denkbar, dass Geber ihre Implementierungspartner ver­pflichten, mit Akteuren aus den anderen Säulen enger zusammenzuarbeiten, zum Beispiel über die Verankerung in Ausschrei­bungen, und dies belohnen. In die richtige Richtung wei­sen überdies die gemeinsame Beauftragung von Organisatio­nen der verschiedenen Säu­len wie in Joint Programmes der VN, das vom BMZ beauf­tragte Projekt SUN (»Unterstützung von UNHCR bei der Umset­zung des Globalen Flüchtlingspaktes im Nexus hu­ma­nitäre Hilfe, Entwicklung, Frieden«) der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und des UNHCR sowie die gemeinsame Beauf­tragung von NGOs durch das AA und das BMZ über den Nexus-Chapeau-Ansatz. Allerdings wäre zu wünschen, dass die »big P«-Dimen­sion der Friedenssäule bei all diesen Ansätzen noch aus­gebaut würde.

Für sich allein genommen wird keine dieser Maßnahmen den entscheidenden Unterschied machen können. Wichtig bleibt des­halb, nicht nur darauf zu setzen, dass die beteiligten Akteure aufgrund der größe­ren Effizienz und Wirksamkeit des Nexus ihre Arbeitsweise ändern. Vielmehr muss außer­dem sichergestellt werden, dass eine kon­tinuierliche Über­prüfung und Evaluierung stattfindet. Ausschlaggebend hierbei müssen greif­bare Verbesserungen für betroffene Menschen sein. Dann bietet sich tatsächlich die Chance, dass humanitäre, entwicklungs­politische und friedensfördernde Akteure gemeinsam einen Beitrag zur Konfliktbewältigung leisten und für Menschen auf der Flucht Perspektiven schaffen.

Nadine Biehler und Dr. Amrei Meier sind Wissenschaftlerinnen in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Barbara Kobler ist Consultant / freiberuflich unter anderem für das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF).
Das Aktuell wurde verfasst im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent­wicklung geförderten Projekts »Strategische Flucht und Migrationspolitik« (SWP) und des vom Auswärtigen Amt geförderten Projekts »Stärkung des Standby Partnership Mechanismus« (ZIF).

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2023

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