Zu den gravierendsten wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie zählt die höhere Staatsverschuldung der Eurozonenstaaten. Die massiven Interventionen des Eurosystems haben die Kreditkosten auf Rekordtiefs gesenkt. Für längere Zeit wird es von einer expansiven Geldpolitik abhängen, wie tragfähig die öffentlichen Finanzen der am höchsten verschuldeten Eurozonenländer sein werden. Allerdings wirft dieses Vorgehen Fragen auf. Ungewiss ist, wie lange die Geldpolitik den Schuldenmarkt der EU-19 stützen kann, ob es wirksame Alternativen gibt und welchen Einfluss die hohen Schuldenstände und die Eingriffe der Europäischen Zentralbank (EZB) auf die Fundamente der Eurozone haben werden.
Die Corona-Pandemie hat Europa hart getroffen. In vielen Staaten wurde das öffentliche Leben fast vollständig heruntergefahren. Betriebe mussten schließen, und Ausgangsbeschränkungen wurden verhängt. Folglich ist die Corona-Krise auch ein großer Schock für die europäische Wirtschaft. Den Mitgliedstaaten der Eurozone blieb nichts anderes übrig, als dem Einbruch der Wirtschaft massiv gegenzusteuern. Mit Liquiditätshilfen versuchen sie die von der Krise am stärksten beeinträchtigten Bevölkerungsgruppen und Wirtschaftszweige zu unterstützen. Um diese staatlichen Interventionen zu ermöglichen, hat die Europäische Kommission die Defizitregeln ausgesetzt. Diese Unterstützungsmaßnahmen waren notwendig und sind es weiterhin. Ohne sie wäre die Arbeitslosigkeit in der Eurozone noch mehr gestiegen, und viele Unternehmen hätten eine Insolvenz befürchten müssen. All das hätte verheerende soziale Folgen, vor allem für die Ärmsten in der Bevölkerung. Zugleich entstände den Staaten ein Finanzierungsproblem, weil die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und damit die Steuereinnahmen sänken sowie die Sozialausgaben wüchsen. Hinzu kämen höhere Ausgaben für den Gesundheitsschutz. Doch die Staaten können allenfalls versuchen, die Folgen der Krise zu mildern, aber keinen Wirtschaftseinbruch verhindern. So haben die europäischen Volkswirtschaften die größten Rezessionen seit Jahrzehnten erlebt. Jene Länder des Euroraums, die immer noch mit den Nachwirkungen der Euro-Krise einschließlich der hohen Staatsverschuldung kämpfen, sind zugleich besonders von der Pandemie betroffen, da der lebenswichtige Tourismussektor in Südeuropa weitgehend stillstand. Sinkendes Wirtschaftswachstum verbunden mit höheren Staatsausgaben lässt die Staatsschulden steigen. Laut Prognosen der EU-Kommission werde 2021 die Schuldenquote in Frankreich auf rund 118% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen – gegenüber 98% im Jahr 2019 –, in Italien sogar auf 160%. Für Spanien, das von der Corona-Krise am stärksten betroffene Land der Eurozone, wurde ein Anstieg um 26 Prozentpunkte auf 122% des BIP vorhergesagt. In Griechenland werde der Schuldenstand die 200%-Marke erreichen. Dort sind die öffentlichen Finanzen auch durch Militärausgaben unter Druck geraten. Nicht einmal Deutschland erfüllt noch das Maastricht-Kriterium von 60% des BIP, denn seine Schuldenquote betrage mittlerweile 70,1% (siehe Grafik 1).
Die negativen fiskalischen Auswirkungen der Pandemie werden im Jahr 2021 noch dadurch verschärft, dass zumindest bis zum zweiten Quartal Einschränkungen für die Wirtschaft aufrechterhalten werden müssen. Andererseits liegen die Kosten für die Bedienung der Staatsschulden in den Ländern des Euroraums immer noch fast auf einem Rekordtief. Gründe dafür sind die niedrigen Zinssätze und die Interventionen des Eurosystems, das aus der EZB und den 19 nationalen Zentralbanken der Eurozone besteht. Zu diesem Zweck wurde ein spezielles Ankaufprogramm hauptsächlich für Staatsanleihen (Pandemic Emergency Purchase Programme, PEPP) aufgelegt. Kann die steigende Staatsverschuldung dennoch zum drängenden Problem für die Eurozone werden?
Wachsende Staatsverschuldung und die Stabilität der Eurozone
Schon seit den 1970er Jahren wächst die Staatsverschuldung in den entwickelten europäischen Volkswirtschaften. Die Einführung des Euro half, die Zinsen für Staatsanleihen zu senken und die Staatsverschuldung auf einen nachhaltigen Pfad zu bringen. Allerdings bewirkten die globale Finanzkrise und die Euro-Krise, dass in den meisten Ländern des Euroraums die Schuldenquote wieder deutlich stieg. Nun führte die aktuelle Pandemie dazu, dass die Verschuldung ein Rekordniveau erreicht hat. Das wirft Fragen nach der Schuldentragfähigkeit und der Stabilität des Euroraums auf. Jedoch ändert sich auch die Sichtweise auf die Staatsverschuldung. Anders als bei der vorangegangenen Krise der Eurozone lassen sich heute keine Akteure identifizieren, welche die übermäßige Verschuldung durch ihr Fehlverhalten herbeigeführt haben. Vielmehr dient die erhöhte Staatsverschuldung infolge der Corona-Pandemie dazu, deren enorme negative wirtschaftliche und soziale Auswirkungen zu mildern und eine schnellere Rückkehr zum Wirtschaftswachstum zu ermöglichen.
Für die Zeit nach Corona stellt sich die Frage, ob das rasche Wachstum der Staatsverschuldung eine Herausforderung für die sich erholenden Volkswirtschaften sein wird. Bisher hieß es, bei einer Schuldenquote von über 90% des BIP werde eine steigende Staatsverschuldung besonders negative Konsequenzen für das künftige Wirtschaftswachstum haben, da private Investitionen verdrängt und die öffentlichen Finanzen durch Schuldendienstkosten belastet würden. Viele Mitglieder der Eurozone, darunter Griechenland, Italien, Frankreich, Spanien und Portugal, haben diesen Wert weit überschritten. Da aber derzeit nur geringe Kosten für den Schuldendienst anfallen, sind auch die problematischen Folgen der Verschuldung für die öffentlichen Finanzen momentan eher begrenzt. Sind die Schuldendienstkosten niedrig, ist auch der Druck schwach, andere investitionsfördernde Staatsausgaben zu kürzen.
Um das Risiko einer übermäßigen Staatsverschuldung einzuschätzen, reicht es nicht aus, nur den Schuldenstand im Verhältnis zum BIP zu berechnen. Hauptüberlegung sollte sein, ob die Wirtschaft in der Lage sein wird, in Zukunft höhere Schulden zu bedienen, zum Beispiel dank der höheren Wachstumsraten. Wichtig ist, ob ihr Wirtschaftsmodell flexibel genug ist, um sich den neuen Herausforderungen wie Digitalisierung oder grüne Transformation anzupassen. Die künftige Schuldentragfähigkeit hängt auch von der Bilanz des öffentlichen Sektors ab. Diese umfasst Vermögenswerte, etwa Anteile an staatlich kontrollierten Unternehmen und Finanzanlagen, aber auch (vor allem langfristige) Verbindlichkeiten. Dabei ist zu beachten, dass sich negative Folgen der Corona-Krise für die öffentlichen Finanzen erst später bemerkbar machen werden. In vielen Ländern werden sie sich etwa in einer schlechteren demographischen Entwicklung äußern, einschließlich eines starken Rückgangs der Geburtenrate. Das kann bewirken, dass die impliziten Schulden steigen, zum Beispiel Kosten für das Gesundheitswesen, die Pflege alter und kranker Menschen und das Rentensystem. Ungünstig in diesem Zusammenhang sind die Aussichten hoch verschuldeter Länder des Euroraums wie Italien, Portugal und Griechenland. Dort steigt der Altersabhängigkeitsquotient, also die Relation der über 65-Jährigen zu den 20- bis 64-Jährigen, auf beunruhigende Weise.
Je höher die Staatsverschuldung, desto empfindlicher reagieren die öffentlichen Finanzen auf eine erhöhte Bedienung ihrer Kosten. Im Falle eines Abschwungs wäre die Finanzpolitik mit einem Dilemma zwischen der Stabilisierung des Konjunkturzyklus und der Schuldentragfähigkeit konfrontiert. Wenn schließlich der Staat nicht mehr in der Lage ist, einige oder alle seiner Schuldverpflichtungen rechtzeitig zu erfüllen, läuft er Gefahr, den Zugang zu den Finanzmärkten zu verlieren. Zurzeit basiert die gesamte Schuldentragfähigkeit der überschuldeten Eurozonenländer nur auf der expansiven Geldpolitik des Eurosystems.
EZB zur Rettung: Risiken und Alternativen
Mit der Ankündigung des Kaufprogramms PEPP in Höhe von 1850 Milliarden Euro hat sich die EZB implizit verpflichtet, die Zinsen der Staatsanleihen niedrig zu halten. Bisher war die Strategie der EZB erfolgreich, denn die Mitgliedstaaten können ihre Schulden derzeit auf einem Rekordtief finanzieren. Selbst die jüngste politische Krise in Italien hat nicht zu einem erhöhten Aufschlag auf italienische Staatsanleihen geführt. Die entscheidende Frage lautet, wie lange die EZB den Schuldenmarkt der Eurozone noch stabilisieren kann. Der EZB-Rat hat angekündigt, dass der Ankauf der Staatsanleihen bis mindestens März 2022 dauern werde, wenn die Covid-19-Krisenphase vorbei ist und die fälligen Kapitalzahlungen aus den Staatsanleihen bis Ende 2023 reinvestiert werden. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass die Asset-Käufe in der Endphase der Präsidentschaftswahlen in Frankreich im Jahr 2022 gestoppt werden. Außerdem werden die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie wie höhere Verschuldung und Arbeitslosigkeit eine viel längere Unterstützung durch die Geld- und die Fiskalpolitik erfordern.
Bei der Frage, ob die EZB den Schuldenmarkt der Eurozone länger stützen kann, ist die Inflation der Schlüsselfaktor. Solange die Inflation deutlich unter dem Ziel der EZB bleibt (unter, aber nahe 2%), kann diese ihre akkommodierende Geldpolitik rechtfertigen. Andernfalls müsste sie zwischen dem geldpolitischen Ziel und der Stabilität der Währungsunion wählen. Derzeit befindet sich die Inflation in der Eurozone auf einem niedrigen Niveau. Zwar sind die Fünf-Jahres-Inflationsswaps, ein Indikator für die Inflationserwartungen, in den letzten Monaten stetig gestiegen. Ob die Inflation aber wirklich signifikant wächst und nahe bis an das EZB-Ziel heranreichen wird, ist unter Ökonomen umstritten.
Eine andere Art Herausforderung ist die Situation auf dem US-Markt. Die jüngsten Pläne der US-Regierung für massive Ausgaben ließen die Zinssätze amerikanischer Anleihen in die Höhe schnellen. In der Folge stiegen auch die Zinsen der europäischen Anleihen. Das wird die EZB zwingen, zügiger zu kaufen, und die Käufe vielleicht vom Kapitalschlüssel der EZB lösen, den sie mit dem PEPP zwar offiziell aufgegeben, aber bisher einzuhalten versucht hat (siehe Grafik 2).
Risiken des EZB-Engagements
Die Strategie, die Schuldenstabilisierung der Eurozone auf die Geldpolitik zu stützen, könnte aber auch Risiken für die Eurozone mit sich bringen. Ein großes Problem ist die Risikoverteilung im Eurosystem. Dieses ist stark dezentralisiert, und ein Teil des Risikos liegt in der Verantwortung der teilnehmenden Zentralbanken. Ähnlich wie bei den bisherigen Programmen zum Kauf von Vermögenswerten des öffentlichen Sektors ist das PEPP durch begrenzte Risikoteilung gekennzeichnet. Diese deckt nur 20 Prozent der Ankäufe von Staatsanleihen im Rahmen des PEPP ab. Das Gros der Risiken tragen die nationalen Zentralbanken. Die italienische Zentralbank etwa muss überwiegend italienische Wertpapiere auf dem Sekundärmarkt kaufen und dabei das gesamte Risiko auf sich nehmen. Müsste eine Zentralbank, die ein großes Quantum der nationalen Staatsschulden besitzt, Verluste hinnehmen, stände die weitere Teilnahme dieser Bank am Eurosystem in Frage.
Ein weiteres, bedeutenderes Problem ist die Gefahr, dass die EZB, so sie Eigentümerin eines erheblichen Teils der Schulden eines Staates ist, als Akteurin in die nationale Politik eingreift. Das könnte leichtsinniges Verhalten nationaler Akteure aufgrund ökonomischer Fehlanreize (moral hazard) begünstigen. Auch wenn der Druck des Marktes keinen entscheidenden Faktor für die langfristigen Strukturreformen bildete, war er doch nützlich, um die Regierungen auf dem Reformweg zu halten. Sobald die EZB einen großen Teil der öffentlichen Schulden eines Landes besitzt, könnte die dortige Regierung nicht nur Strukturreformen rückgängig machen. Im Extremfall könnte sie die öffentliche Finanzpolitik lockern, weil sie weiß, dass die EZB auf dem Schuldenmarkt intervenieren wird, um eine mögliche Destabilisierung der gesamten Eurozone zu vermeiden. Allerdings riefe die massive Stützung des Euro-Schuldenmarktes erneut rechtliche Fragen auf, zum Beispiel nach der Begrenzung der Käufe pro Emittent oder nach dem Kapitalschlüssel der EZB, wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Mai 2020 gezeigt hat. Ein ähnliches rechtliches Problem, nämlich die Notwendigkeit der EZB, den konkreten Zeithorizont ihrer Intervention anzugeben, ergäbe sich, wenn die im Rahmen des PEPP gekauften Anleihen vom Eurosystem auf unbestimmte Zeit verlängert und damit eine Art »ewige Schuld« darstellen würden.
Mögliche Alternativen
Die Frage ist, ob es eine alternative Lösung geben könnte, um den Schuldenmarkt der Eurozone zu stabilisieren. Es ist kaum zu erwarten, dass das BIP der am höchsten verschuldeten Staaten schnell genug wachsen wird, um ihre Schulden zu senken. Schon vor der Pandemie waren die Wachstumsraten in der Eurozone bescheiden. Eine andere Möglichkeit, die Staatsverschuldung zu reduzieren, ist die Restrukturierung. Anleihen der Mitglieder des Euroraums werden nach nationalem Recht ausgegeben, und die jüngste Reform der Klausel in Anleihebedingungen (Collective Action Clauses) hat die Umstrukturierung erleichtert. Im Falle Italiens jedoch, wo inländische Investoren den Großteil der Staatsanleihen kaufen, könnte dies das Finanzsystem destabilisieren, da die Investoren wie zum Beispiel Banken gezwungen wären, die Verluste zu akzeptieren. Eine andere Option wäre, zu nutzen, dass die Staatsanleihen nach nationalem Recht ausgegeben wurden. Dies könnte zum Beispiel geändert werden, um die Laufzeit fälliger Anleihen zu verlängern (Local Law Advantage). Ein solcher Schritt würde jedoch sehr negative Reaktionen an den Finanzmärkten auslösen und die Finanzierungskosten anderer hoch verschuldeter Länder der Eurozone in die Höhe treiben.
In den letzten Monaten wurde, vor allem in Frankreich, häufig der Vorschlag unterbreitet, dass die EZB bei der Stützung der Staatsfinanzen noch weiter gehen sollte und dass alle von der EZB aufgekauften coronabedingten Staatsschulden gestrichen werden könnten. Auch wenn Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union kein direktes Verbot der monetären Finanzierung enthält, widerspräche ein Schuldenerlass durch das Eurosystem dem Geist des Vertrags. Ein solcher Präzedenzfall könnte Investoren, die Staatsanleihen kaufen, fürchten lassen, dass die von ihnen gehaltenen Anleihen eines Tages ebenfalls gestrichen werden. Das würde unweigerlich höhere Zinsen auf die Schulden nach sich ziehen. Eine solche Lösung dürfte auch die Tendenz zum moral hazard fördern. Statt eigenständig schwierige strukturelle Reformen in die Wege zu leiten, würden die hoch verschuldeten Länder wohl weiterhin erwarten, dass die EZB ihre Schulden annulliert. Daher sollte diese Option allenfalls als letzter Ausweg für mögliche Extremfälle in Betracht gezogen werden, etwa wenn sich die aktuelle Pandemie als dauerhaft erweisen sollte. Das würde eine tiefgreifende Umstrukturierung der von der Pandemie betroffenen Sektoren erfordern und die Schulden noch einmal dramatisch steigen lassen.
Ein weiterer Vorschlag lautet, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in die Schuldenstabilisierung einzubeziehen. Dieses Instrument könnte einen Teil der vom Eurosystem gekauften Anleihen übernehmen und damit einen Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik ermöglichen. Allerdings widerspräche eine solche Lösung dem derzeitigen Modell der ESM-Operationen, das darin besteht, bestimmten Mitgliedstaaten nur unter strengen Auflagen Finanzhilfe zu gewähren. Soll der ESM in die Schuldenstabilisierung einbezogen werden, müsste der ESM-Vertrag geändert werden, der außerhalb des EU-Rechtssystems liegt. Einer solchen Lösung müssten alle Mitglieder zustimmen, und alle nationalen Parlamente müssten sie ratifizieren. Damit dieses Instrument eine wichtigere Rolle bei der Stabilisierung des Schuldenmarktes spielen kann, müsste es vor allem der direkten Kontrolle der Mitgliedstaaten entzogen und zu einer EU-Institution gemacht werden. Zurzeit ist das nur schwer vorstellbar.
Geldpolitik und Fiskalpolitik als Kern der Stabilisierungsstrategie
Der Euroraum wird über längere Zeit mit einer hohen Verschuldung seiner Mitgliedstaaten umgehen müssen. Die derzeit prognostizierten Werte werden wahrscheinlich in vielen EU-19-Ländern weiter steigen, da die Pandemie andauert und die Impfungen langsamer als erwartet voranschreiten. Nicht nur höhere Ausgaben und geringere Einnahmen werden die öffentlichen Finanzen stärker belasten. Zum Anstieg der Schulden kann auch beitragen, dass öffentliche Unterstützung unter anderem für den Bankensektor notwendig wird. Dieser dürfte wegen Problemen in der Realwirtschaft stark von der Pandemie in Mitleidenschaft gezogen werden. Das Ausmaß solcher Schwierigkeiten wird der Stresstest zeigen, den die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) koordiniert. Die Ergebnisse des Tests werden für Juli 2021 erwartet.
Gegenwärtig gibt es keine effektive Alternative zur Schuldenstabilisierung durch Geldpolitik. Diese erlaubt es den Mitgliedstaaten, sich auf die Bekämpfung der Pandemie zu konzentrieren. Unter den aktuellen Bedingungen ist es entscheidend, die aktive Fiskalpolitik mindestens bis 2023 fortzusetzen, um die Erholung nach der Pandemie zu unterstützen. Wichtig ist auch, dass Deutschland so lange wie möglich eine aktive Fiskalpolitik betreibt. Eine schnelle Rückkehr der größten Volkswirtschaft der Eurozone zu normalen Wachstumsraten könnte anderen Mitgliedstaaten helfen.
Außerdem ist es unerlässlich, die Geldpolitik durch eine verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik so weit wie möglich von ihren ständigen Interventionen auf dem Schuldenmarkt zu entlasten. Es ist wichtig, die öffentlichen Mittel zur Bekämpfung der Pandemiefolgen effektiv einzusetzen, um die Erwerbsbeteiligung aufrechtzuerhalten und durch produktive Investitionen eine breitere Basis für Wirtschaftswachstum zu schaffen. Vor allem sollte in Humanressourcen investiert werden, besonders in digitale Bildung. Nur ein schnelleres Wirtschaftswachstum bietet die Chance zur Stabilisierung und möglicherweise zum Schuldenabbau. Ausgabeneffizienz ist gerade im Fall des Wiederaufbaufonds von Bedeutung. Es sind die Nettozahler, die sie bewerten. Gelingt es den von der Pandemie am stärksten betroffenen Ländern nicht, die EU-Mittel effektiv für einen wachstumsfördernden Impuls und Strukturreformen zu verwenden, werden sie nach der Pandemie mit denselben Problemen konfrontiert sein, allerdings mit viel höherer Staatsverschuldung. Das Augenmerk wird sich besonders darauf richten, wie Italien den Wiederaufbaufonds nutzt. Die neue Regierung unter dem ehemaligen EZB-Chef Mario Draghi bietet gute Chancen, dass diese Mittel effektiv verplant und verwendet werden. Andererseits geben Italiens mittelfristige politische Aussichten Anlass zur Sorge, zumal bei den nächsten Wahlen eine rechtspopulistische Koalition zu erwarten ist. All dies dürfte sich negativ auf die fiskalische Stabilität des Landes auswirken. Außerdem dürfte es die Bereitschaft anderer Länder des Euroraums dämpfen, sich auf eine weitere fiskalische Integration einzulassen.
Im Hinblick auf das Schuldenmanagement sollten die Regierungen der am höchsten verschuldeten Länder des Euroraums das derzeitige Niedrigzinsumfeld optimal nutzen, um Schulden mit möglichst langen Laufzeiten zu begeben. Das würde helfen, die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen gegenüber kurzfristigen Schwankungen an den Finanzmärkten zu sichern.
Perspektiven: Fundamente der Eurozone unter Druck
Die Stabilisierung der Staatsverschuldung wird in den kommenden Jahren eines der drängendsten Themen auf der Agenda des Euroraums sein. Sie wird zwei wichtige Debatten über die Grundlagen der Währungsunion beeinflussen: die Ausgestaltung des aktuellen fiskalpolitischen Rahmens und die Überprüfung der geldpolitischen Strategie der EZB.
Steigende Schuldenstände stellen die bestehenden fiskalischen Regeln in Frage. In vielen Fällen werden die Staatsschulden weit höher sein als der Maastricht-Referenzwert von 60% des BIP. Daher steht in Zweifel, ob dieser Rahmen überhaupt einzuhalten ist. Beispiele sind die 2011 beschlossene Regel, die eine jährliche Senkung der Schuldenquote um ein Zwanzigstel der Differenz zwischen der tatsächlichen Schuldenquote und dem Schwellenwert von 60% verlangt, oder die Begrenzung des Haushaltsdefizits auf 3%. Obwohl es zweifellos nötig ist, die fiskalischen Regeln in der Eurozone realistischer zu gestalten, scheint es keine gute Idee zu sein, diese Diskussion jetzt zu beginnen. Aufgrund der ungünstigen politischen Lage (in Deutschland finden 2021, in Frankreich 2022 Wahlen statt) und sehr unterschiedlichen Positionen würde sie kaum zu einer konstruktiven Lösung führen.
Am besten wäre es, die derzeit gültige allgemeine Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts mindestens bis Ende 2022 zu verlängern. Allerdings wird sich auch Deutschland früher oder später einer Diskussion über die Reform der Fiskalregeln stellen müssen. Zusätzlich zur seit langem vorgeschlagenen Vereinfachung werden sie weniger auf spezifischen Benchmarks beruhen und mehr auf die Situation bestimmter Volkswirtschaften, ihren Konjunkturzyklus oder ihre systemische Bedeutung für die Stabilität des Euroraums zugeschnitten sein müssen. Diese »Individualisierung« der fiskalischen Regeln birgt jedoch die Gefahr, dass sie weiter politisiert werden. Die hohe Verschuldung und die Notwendigkeit, das Eurosystem von der Aufgabe zu ihrer Stabilisierung zu entlasten, werden eine partielle Post-Corona-Schulden-Vergemeinschaftung nötig machen. Die Eurozone in ihrer heutigen Gestalt als fiskalisch dezentralisierte Währungsunion ist anfällig für Schuldenkrisen in ihren am höchsten verschuldeten Mitgliedsländern. Solche Krisen können schnell einen Dominoeffekt in der gesamten Eurozone auslösen. Vor einer gemeinsamen Emission müssen die Pläne für die Zeit nach Corona indes mit einer Diskussion darüber einhergehen, wie nachhaltig die Wirtschaftsmodelle der südlichen Euroländer sind und welche Bedingungen für Reformen gelten sollen.
Steigende Staatsverschuldung wird auch die aktuelle Debatte über die geldpolitische Strategie der EZB in hohem Maße bestimmen. Die Hauptelemente dieser Strategie – etwa die Definition des Inflationsziels, die Art und Weise, wie Inflation gemessen wird, und der geldpolitische Horizont – werden ebenfalls großen Einfluss auf die Fähigkeit des Eurosystems zur Schuldenstabilisierung haben. Vorteilhaft wäre, wenn die Geldpolitik mehr Flexibilität bei der Unterstützung der Wirtschaftspolitik erhielte, so wie es heute weltweit üblich ist. Geldpolitik allein aber wird den Euroraum nicht dauerhaft stabilisieren können, solange die eklatantesten strukturellen Defizite in den größten Ländern des Euroraums fortbestehen. Kurzfristig steht die EZB vor der Herausforderung, die Zinssätze für die Staatsschulden der Eurozonen-Mitglieder zu stabilisieren. Nach Ankündigung des Fiskalplans nämlich wurden diese Zinssätze wegen steigender Renditen für US-Anleihen stark erhöht. Längerfristig wird die EZB eine noch schwierigere Aufgabe meistern müssen. Es geht darum, in die Schuldenstabilisierung einzugreifen und gleichzeitig eine Dominanz der nationalen Fiskalpolitik gegenüber der supranationalen Geldpolitik zu vermeiden.
Dr. Paweł Tokarski ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa.
Alexander Wiedmann arbeitete als Praktikant in der Forschungsgruppe EU / Europa.
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doi: 10.18449/2021A24