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Auf der Flucht im eigenen Land

Politische und institutionelle Herausforderungen im Kontext von Binnenvertreibung

SWP-Studie 2020/S 04, 03.03.2020, 38 Seiten

doi:10.18449/2020S04v02

Forschungsgebiete

Dr. Anne Koch ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen.

Die vorliegende Studie entstand im Rahmen des vom Bundes­ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent­wicklung geförderten Projekts »Flucht, Migration und Entwicklung«.

 Während das Thema grenzüberschreitende Flucht seit Jahren ganz oben auf der inter­nationalen Agenda steht, erfährt das zahlenmäßig noch größere Phänomen Binnenvertreibung wenig politische Aufmerksamkeit. Das ist problematisch, da Binnenvertreibung Konflikte fördert und Entwicklung hemmt.

 Das Problem verschärft sich, wenn Binnenvertreibung lange andauert. Wird einer großen Bevölkerungsgruppe über Jahre die Ausübung von Grund- und Bürgerrechten verwehrt, entstehen hohe gesamtgesellschaftliche Kosten und politische Risiken.

 Akute Binnenvertreibung kann vielfältige Ursachen haben. Verstetigt sie sich, deutet das auf grundlegende politische Versäumnisse hin. Entsprechend sensibel ist das Thema für die jeweiligen Regierungen. Sie werten internationale Unterstützungsangebote häufig als unzulässige Eingriffe in ihre inneren Angelegenheiten.

 Auf globaler und regionaler Ebene sind seit Anfang der 2000er Jahre Fortschritte in der Rechtsetzung zu verzeichnen. Die Umsetzung ist aber nach wie vor unzureichend, und es fehlt ein zentraler internationaler Akteur, der sich für die Belange von Binnenvertriebenen stark macht.

 Voraussetzung für den Schutz und die Unterstützung der Betroffenen ist der politische Wille nationaler Entscheidungsträger. Neue Zugänge lassen sich eröffnen, wenn den Regierungen die Folgen von Binnen­vertreibung klarer vor Augen geführt werden und an ihr Eigeninteresse appelliert wird.

 Die Bundesregierung sollte dem Thema Binnenvertreibung mehr Aufmerksamkeit widmen und sich besonders für dauerhafte Lösungen einsetzen. Die wichtigste institutionelle Reform bestände darin, wieder einen Sonderbeauftragten für Binnenvertriebene zu ernennen, der dem Generalsekretär der Vereinten Nationen direkt unterstellt ist.

Problemstellung und Empfehlungen

Laut dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (United Nations High Commissioner for Refugees, UNHCR) befanden sich Ende 2018 weltweit 70,3 Millionen Menschen auf der Flucht vor Kriegen und gewaltsamen Konflikten. Bei knapp 60% dieser Personen handelte es sich um sogenannte Binnen­vertriebene (Internally Displaced Persons, IDPs), also um Menschen, die sich gezwungen sahen, ihren Heimatort zu verlassen, dabei aber keine internationale Grenze überschritten haben. Hinzu kommt eine weitaus größere Zahl an Menschen, die aufgrund von Naturkatastrophen, klimatischen Veränderungen, großangelegten Entwicklungsprojekten oder orga­nisierter Kriminalität vertrieben wurden, sich aber weiterhin im eigenen Land aufhalten.

Binnenvertriebene sind häufig ähnlich schutz­bedürftig wie grenzüberschreitende Flüchtlinge, haben aber keinen Anspruch auf internationalen Schutz. Ungeachtet der alarmierenden Zahlen mangelt es an politischer Aufmerksamkeit für Probleme, die aus Binnenvertreibung entstehen. Hierfür gibt es eine Reihe von Gründen. So tritt Binnenvertreibung fast ausschließlich in ärmeren Weltregionen auf. Anders als grenzüberschreitende Flucht berührt sie daher wohlhabende Staaten, die die internationale Agenda maßgeblich beeinflussen, nicht direkt. Zudem leug­nen viele betroffene Staaten die Existenz oder das Ausmaß von Binnenvertreibung, da diese auf grund­legende eigene politische Versäumnisse und Defizite hindeutet. Darüber hinaus ist die Datenlage schlecht. Da sich die Betroffenen in rechtlicher Hinsicht nicht von ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern unterscheiden und häufig im Land verstreut leben, bleiben sie statistisch »unsichtbar«.

Binnenvertreibung galt lange als vornehmlich humanitäre Herausforderung. Im Jahr 1998 veröffentlichten die Vereinten Nationen (VN) ihre Leitlinien zu Binnenvertreibungen (UN Guiding Principles on Internal Displacement) und erweiterten die bis dahin vorherrschende Sichtweise um eine menschenrecht­liche Perspektive. Wenngleich ohne rechtlich binden­de Wirkung, gelten die Leitlinien dennoch als Meilen­stein in der Fortentwicklung internationaler Schutzstandards. Inzwischen gibt es eine Vielzahl nationaler und regionaler Instrumente zum Schutz von Binnen­vertriebenen. Die Umsetzung bleibt aber defizitär. Wie unzulänglich die bisherigen Maßnahmen sind, lässt sich an den verfügbaren Daten ablesen. Ihnen zufolge hat sich die Zahl konfliktbedingt Binnen­vertriebener seit 1998 mehr als verdoppelt.

Dieser Anstieg ist nicht allein auf neue Vertreibungen zurückzuführen. Ebenso relevant ist die zu­neh­mende Dauer einzelner Vertreibungssituationen. Dauert Binnenvertreibung lange an (»protracted dis­placement«), reicht es nicht aus, nur die materiellen Grundbedürfnisse der Vertriebenen zu decken. Dar­über hinaus muss der Zugang zu Bildung, Einkommensmöglichkeiten und politischer Teilhabe im Vordergrund stehen. Geschieht dies nicht, droht sich die Benachteiligung und Marginalisierung großer Bevölkerungsgruppen zu verstetigen. Zusätzlich zu individuellen Menschenrechtsverletzungen können strukturelle Herausforderungen entstehen: Urbani­sierungstrends verstärken sich, demografische Ver­änderungen bewirken, dass lokale oder regionale Machtverhältnisse sich konfliktträchtig verschieben, Binnenvertriebene und aufnehmende Gemeinden konkurrieren um lokale Ressourcen. Die hieraus erwachsende Ungleichheit kann Konflikte schüren, Entwicklung hemmen und so längerfristige Friedens- und Wiederaufbauprozesse behindern.

Daher greift es zu kurz, Binnenvertreibung nur als unvermeidliche Begleiterscheinung akuter Konflikte und Katastrophen zu sehen. Stattdessen verweist gerade langandauernde Binnenvertreibung auf tiefer­greifende politische Verwerfungen. Wenn Regie­­rungen ihrer Verantwortung gegenüber den eigenen Staatsbürgern nicht gerecht werden wollen oder können, entstehen aus akuten Notlagen längerfristige Probleme. Grundsätzlich zeigen die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte, dass die Herausforderungen infolge von Binnenvertreibung nur im Einvernehmen mit den betroffenen Staaten bewältigt werden können: Die zentrale, aber häufig nicht gegebene Voraussetzung für Lösungsansätze lautet, dass die jeweiligen Regierungen das Problem anerkennen müssen.

Hier kann eine entwicklungspolitische Argu­mentation einen wichtigen Beitrag leisten. Im Kern geht es darum, an das Eigeninteresse betroffener Staaten zu appellieren. Ihnen muss vor Augen geführt werden, dass Binnenvertreibung nicht nur negative Auswirkungen auf die direkt Betroffenen hat, sondern auch hohe gesamtgesellschaftliche Kosten erzeugt, etwa sinkende Produktivität, zurückgehende Steuer­einnah­men und politische Instabilität. Zudem bietet die Entwicklungspolitik Ansatzpunkte dafür, die mit Binnenvertreibung verbundenen strukturellen Heraus­forderungen zu bewältigen.

Die aktuellen Bemühungen auf VN-Ebene, im Rahmen zweier Globaler Pakte die internationale Zusammenarbeit in den Bereichen Flucht und Migra­tion zu stärken, klammern das Phänomen Binnen­vertreibung aus. Dies ist symptomatisch für das fort­währende Spannungsverhältnis zwischen nationaler Souveränität und internationaler Schutzverantwortung und die daraus resultierende Fragmentierung der Zuständigkeiten auf internationaler Ebene. Zwar engagieren sich immer mehr humanitäre, menschenrechtliche und entwicklungsorientierte Akteure gegen Binnenvertreibung. Allerdings mangelt es an flexibel einsetzbaren und mehrjährigen Finanzmitteln, und es fehlt ein zentraler Akteur, der die Fäden zusammenführt und sich im VN-System als starker politischer Fürsprecher für Binnenvertriebene engagiert. Im Janu­ar 2020 wurde ein UN High-Level Panel zu Binnenvertreibung eingerichtet, das ein Jahr lang neue Lösungs­ansätze entwickeln soll. Das ist ein positives Signal. Doch um längerfristige Veränderungen zu bewirken, sollte diese Initiative in einen dauer­haften staaten­geleiteten Prozess überführt werden, der unter der Ägide einer Gruppe direkt betroffener Staaten statt­findet.

Für die internationale Gemeinschaft ist Binnen­vertreibung eine Herausforderung, deren sicherheits- und entwicklungspolitische Auswirkungen unterschätzt werden. Die Bundesregierung sollte dem Thema sowohl auf internationaler Ebene als auch im bilateralen Austausch mit den betroffenen Ländern größeren Stellenwert einräumen. Auf internationaler Ebene wäre es ein Schritt in die richtige Richtung, wenn die Sonderberichterstatterin für die Menschenrechte von Binnenvertriebenen finanziell und perso­nell besser ausgestattet würde. Deutlich mehr Gewicht hätte aber die Berufung eines Sonderbeauftragten für Binnenvertreibung, der direkt dem VN-General­sekretär unterstellt ist. Bilateral sollte sich die Bundes­regierung dafür stark machen, dass Binnenvertriebene in nationalen Entwicklungsplänen systematisch berücksichtigt werden; zudem sollte sie in verbesserte Datenerhebung und -analyse investieren und sich besonders für dauerhafte Lösungen einsetzen.

Warum besteht Handlungsbedarf?

Die VN-Leitlinien betreffend Binnenvertreibungen definieren Binnenvertriebene als »Personen oder Per­sonengruppen, die gezwungen oder genötigt wurden, aus ihren Heimstätten oder dem Ort ihres gewöhn­lichen Aufenthalts zu fliehen oder diese zu verlassen, insbesondere in Folge oder zur Vermeidung der Aus­wirkungen eines bewaffneten Konflikts, von Situatio­nen allgemeiner Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und natürlichen oder vom Menschen verursachten Katastrophen, und die keine international anerkannte Staatsgrenze überschritten haben«.1 Im Gegensatz zur rechtlichen Kategorie »grenzüberschreitende Flücht­linge«, die in der Genfer Flüchtlingskonvention ver­ankert wurde, ist die Definition in den VN-Leitlinien rein deskriptiv und begründet keinen Anspruch auf internationalen Schutz. Die Rechte Binnenvertrie­be­ner sind keine Sonderrechte, sondern leiten sich aus ihrem Status als Bürger oder Einwohner eines Staates ab.2 Daher liegt die Hauptverantwortung für ihren Schutz bei der jeweiligen Regierung.

Das Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) schätzt, dass es im Jahr 2018 zu 28 Millionen neuen Fällen von Binnenvertreibung kam. Trotz der hohen Zahlen erfährt das Thema wenig Beachtung.3 Das liegt unter anderem an der schlechten Datenlage. Ausschlaggebender sind aber politische Gründe. Für wohlhabende westliche Staaten ist Bin­nen­vertreibung kein drängendes Problem, da sie von ihr nicht un­mittelbar betroffen sind. Berechnungen der Weltbank zufolge befanden sich Ende 2015 99% aller konfliktbedingt Binnenvertriebenen in Entwicklungs- oder Schwellenländern.4 Anders als bei grenzüberschreitender Flucht sind wohlhabende Weltregionen auch den Folgen von Binnenvertreibung nicht direkt aus­gesetzt. Entsprechend gering ist die politische Auf­merksamkeit. Die jährlich vom Norwegischen Flücht­lingsrat publizierte Rangfolge »vergessener Krisen« belegt, dass große Vertreibungssituationen, die vor­wiegend innerhalb der Grenzen des betroffenen Lan­des zu verzeichnen sind, regel­mäßig medial vernachlässigt werden. Sie zeigt auch, dass die entsprechenden internationalen Hilfsappelle besonders stark unterfinanziert sind.5

Viele Regierungen leugnen Binnen­vertreibung auf ihrem Territorium, da sie internationale Sanktionen oder Reputationsverluste fürchten.

Zudem leugnen viele Regierungen, dass Binnen­vertreibung auf ihrem Territorium vorkommt, da sie internationale Sanktionen oder Reputationsverluste fürchten. So verhalten sich Regierungen nicht nur dann, wenn staatliche Akteure aktiv an der Ver­treibung beteiligt sind. Auch Binnenvertreibung aufgrund von Naturkatastrophen kann auf mangelnde staatliche Handlungsfähigkeit hindeuten, vor allem wenn Vertreibungssituationen lange andauern und sich die Situation der Betroffenen verstetigt. Weil das öffentliche Interesse an Binnenvertreibung schwach ist und etliche Regierungen nicht zugeben, dass sie in ihrem Land existiert, spielt das Thema

auf interna­tio­naler Ebene politisch kaum eine Rolle. Dieses Ver­säumnis hat weitreichende Folgen. Wenn staatliche Akteure ihrer Schutzverantwortung gegen­über Binnen­vertriebenen nicht gerecht werden, leiden nicht nur die direkt Betroffenen unter vertreibungsspezifischen Benachteiligungen. Es drohen auch gesamtgesellschaftliche Kosten und Konflikte sowie Weiterwanderungen über internationale Grenzen hinweg.

Vertreibungsspezifische Benachteiligung

Obwohl Binnenvertriebene ihren nicht von Vertreibung betroffenen Mitbürgern rechtlich gleichgestellt sind, ist ihnen die Ausübung ihrer Rechte in der Praxis häufig versperrt. So reißt ein erzwungener Orts­wechsel Menschen aus ihrem beruflichen und sozia­len Umfeld, so dass Einkommensmöglichkeiten und der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit verloren gehen. Oft fehlen Dokumente, die erforderlich sind, um am neuen Aufenthaltsort Kinder in der Schule anzumelden oder um politische Rechte wie die Beteiligung an Wahlen wahrzunehmen. Gleiches gilt für den Zugang zum Rechtssystem, so dass es schwierig wird, Kompensationszahlungen einzuklagen oder Grundbesitz zurück­zuerhalten. Betroffene sind häufig traumatisiert und darüber hinaus verstärkt in Gefahr, Opfer sexueller oder anderer Formen von Gewalt zu werden. Haben sie keinen festen Wohnsitz, fehlt ihnen ein Planungs­horizont, der nötig wäre, um beruflich wieder Fuß zu fassen. In Konfliktregionen weisen Binnenvertriebene im Durchschnitt weitaus höhere Raten von Kindersterblichkeit und Mangelernährung auf als grenzüber­schreitende Flüchtlinge und andere von Konflikten betroffene Bevölkerungsgruppen.6 Auch wenn die Sicherheitslage eine Rückkehr an den Heimatort wieder zulässt, sind die Folgen der Binnenvertreibung häufig von langer Dauer. Das gilt beispielsweise für Fälle, in denen die ursprünglichen Wohnverhältnisse auf Gewohnheitsrecht beruhten oder Grundbesitz nicht hinreichend dokumentiert war.

Gesamtgesellschaftliche Kosten

Jüngere Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass die durch Binnenvertreibung verursachten wirt­schaftlichen Kosten Entwicklungserfolge einzelner Länder zunichtemachen können, die diese über Jahre oder Jahrzehnte erarbeitet haben. Schon die direkten Kosten und Verluste, die auf Binnenvertreibung zu­rückgehen, etwa Einkommenseinbußen und Kosten für Unterbringung, Gesundheitsversorgung, Bildung und Sicherheit, machen in einigen Ländern einen substantiellen Anteil des Bruttoinlandsprodukts aus, in extremen Fällen wie der Zentralafrikanischen Republik mehr als 10%.7 Hinzu kommen langfristige negative Auswirkungen. Dazu zählt beispielsweise, dass sich die zukünftigen Einkommen und Steuereinnahmen verringern, da die Schulbildung von Kin­dern und Jugendlichen aufgrund der Vertreibung unterbrochen oder verkürzt wird. Ärmere Länder werden davon besonders stark in Mitleidenschaft ge­zogen, weil ihre Einwohner von vornherein vulne­rabel sind und die negativen Folgen von Vertreibung nicht durch persönliche Rücklagen oder staatliche Sicherungssysteme abgefedert werden.8

Inzwischen betonen auch humanitäre Akteure die entwicklungspolitische Relevanz langandauernder Binnenvertreibung.

Besonders schwerwiegend sind solche negativen Folgewirkungen im Falle langandauernder oder wiederholter, sogenannter zyklischer Binnenvertreibung.9 Werden Menschen kurz hintereinander mehrmals vertrieben – was sowohl infolge gewaltsamer Auseinandersetzungen als auch in Gegenden mit hohem Überschwemmungs- oder Erdbebenrisiko häufig vorkommt –, verursacht jede neue Flucht weitere Verluste und Belastungen. Inzwischen betonen auch humanitäre Akteure die entwicklungspolitische Relevanz langandauernder Binnenvertreibung. Sie mahnen an, dass ein aktiver Umgang mit den hieraus erwachsenden Herausforderungen unerlässlich ist, wenn es darum geht, die Globalen Nachhaltigkeits­ziele zu erfüllen.10

Konfliktförderndes Potential

Der Zusammenhang zwischen gewaltsamen Ausein­andersetzungen und Binnenvertreibung kann wechsel­seitig sein: Binnenvertreibung ist nicht nur eine häu­fige Folge bewaffneter Konflikte, sondern kann auch zu deren geografischer Ausweitung oder Verlagerung beitragen.11 Hierbei greift eine Reihe von Mechanismen. Werden Menschen in Bürgerkriegen von staat­lichen Akteuren vertrieben, verbünden sich die Betrof­fenen zuweilen mit nichtstaatlichen Gewaltakteuren. In anderen Fällen sind sie der Ausbeutung durch solche Akteure schutzlos ausgeliefert.12 Fallstudien aus Uganda und Darfur zeigen, dass Orte mit einer hohen Dichte an Binnenvertriebenen als Rückzugs­orte, Waffenlager oder Rekrutierungsgebiete für Rebellengruppen dienen können.13

In der einschlägigen Literatur werden einige mög­liche Faktoren genannt, die bewirken könnten, dass auch Binnenvertreibung aufgrund von Naturkatastro­phen gewaltsame Konflikte wahrscheinlicher macht. Darunter sind der Wettbewerb um knappe Ressourcen, die erzwungene Koexistenz unterschiedlicher ethnischer Gruppen und wachsende Unzufriedenheit, wenn Regierungen die von Naturkatastrophen betrof­fenen Bevölkerungsgruppen nicht angemessen unter­stützen.14 Ein direkter Zusammenhang lässt sich aber bisher nicht empirisch belegen.15 Jenseits akuter Menschenrechtsverletzungen sind die Wechsel­wirkungen zwischen Binnenvertreibung und gewalt­samen Konflikten außen- und sicherheitspolitisch besonders folgenschwer, wenn dadurch Länder lang­fristig destabilisiert werden und dies grenzüber­schreitende Fluchtbewegungen zur Folge hat.

Ursachen und Trends

Wie grenzüberschreitende Flucht wird auch Binnenvertreibung durch ein Zusammenspiel sozialer, wirtschaftlicher und politischer Triebkräfte (»driver«) und akuter Auslöser (»trigger«) verursacht. Kriege und gewaltsame Konflikte, Naturkatastrophen, große Infrastrukturprojekte und hohe Raten von Gewaltverbrechen fallen in die Kategorie akuter Auslöser. Armut, Marginalisierung und staatliche Diskriminierung zählen zu den wichtigsten strukturellen Trieb­kräften. Die akuten Auslöser wiederum lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: diejenigen mit direkter Beteiligung staatlicher Akteure und diejenigen ohne (siehe Tabelle, S. 11).16 Diese Unterscheidung ist rele­vant, da die Frage ihrer eigenen Beteiligung Einfluss darauf haben kann, wie offen staatliche Autoritäten mit Binnenvertreibung umgehen und ob sie externe Unterstützung akzeptieren oder nicht.

Akute Auslöser

Je nach Auslöser unterscheidet sich die Qualität der verfügbaren Daten zu Binnenvertreibung. Grundsätzlich sind sie aber weit weniger verlässlich als Daten zu grenzüberschreitender Flucht. Bei den verfügbaren Statistiken handelt es sich meist um Hochrechnungen punktuell erhobener Daten.

Kriege und gewaltsame Konflikte

Am besten dokumentiert sind Binnenvertreibungen aufgrund von Kriegen und gewaltsamen Auseinander­setzungen. Jenseits direkter Kampfhandlungen können auch die Angst vor Rekrutierung in (para-) militäri­sche Einheiten oder der konfliktbedingte Verlust von Einkommensquellen Fluchtgründe sein. Häufig sind ethnische Minderheiten betroffen, die im Zuge von Bürgerkriegen aus einem bestimmten Landesteil flie­hen oder – wie etwa während des Bosnienkrieges der frühen 1990er Jahre – im Rahmen »ethnischer Säuberungen« aktiv vertrieben werden. Bürgerkriege lösen dabei in der Regel größere Vertreibungswellen aus als zwischenstaatliche Kriege.17 Bei konflikt­bedingter Vertreibung ist ein spezifisches Dilemma besonders ausgeprägt: Oft sind staatliche Akteure direkt oder indirekt an der Vertreibung beteiligt, aber gleichzeitig ist der Staat auch für den Schutz der eigenen Staatsbürger verantwortlich.18 Binnenvertriebene sind in dieser Situation besonders verletzlich, weil sie sich, anders als grenzüberschreitende Flücht­linge, nach wie vor im Hoheitsgebiet ihrer Vertreiber befinden und keine andere Instanz für ihren Schutz zuständig ist.

Oft sind staatliche Akteure an konfliktbedingter Vertreibung beteiligt.

Wie in Grafik 1 (S. 13) ersichtlich, bewegte sich die Zahl konfliktbedingt Binnenvertriebener bis zum Jahr 2012 mit mäßigen Schwankungen um einen Mittel­wert von 20 bis 25 Millionen. Seit 2013 lässt sich ein sprunghafter Anstieg auf über 40 Millionen beobachten, der in großen Teilen vom syrischen Bürgerkrieg verursacht wurde, unter anderem aber auch die instabilen Situationen im Irak, im Jemen und in Libyen abbildet. Die seit Ende der 1990er Jahre fast ununterbrochen steigende Gesamtzahl konfliktinduziert Binnenvertriebener lässt sich allerdings nicht allein auf die jährlich stattfindenden neuen Vertreibungen zurückführen. Ein weiterer Grund ist, dass nur für wenige Vertriebene dauerhafte Lösungen gefunden werden. Hierdurch steigt die Dauer einzel­ner Vertreibungssituationen, und die Gruppe der Betroffenen wächst von Jahr zu Jahr an.19

Tabelle Ursachen von Binnenvertreibung – eine Typologie

Mit direkter staatlicher Beteiligung

Ohne direkte staatliche Beteiligung

Akute Auslöser

Kriege und gewaltsame Konflikte

Akute und schleichende Natur­katastrophen

Große Entwicklungs- und Infra­strukturprojekte

Organisierte Kriminalität

Strukturelle Triebkräfte

Armut
Gesellschaftliche Marginalisierung
Strukturelle Diskriminierung

Aktuellen Erhebungen zufolge finden sich konflikt­bedingt Binnenvertriebene in weltweit 55 Ländern.20 Allerdings ist eine kleine Gruppe von Staaten seit Jahren für den überwiegenden Teil dieser Fälle ver­antwortlich. So befanden sich Ende 2018 knapp drei Viertel aller konfliktinduziert Binnenvertriebenen in nur zehn Ländern, von denen sechs (Syrien, Kolum­bien, die Demokratische Republik Kongo, Sudan, Irak und Nigeria) schon seit mindestens fünf Jahren zu den zehn am stärksten betroffenen Ländern gehören (siehe Grafik 2, S. 13).

Der geografische Überblick in Grafik 2 verdeutlicht, dass konfliktbedingte Binnenvertreibung außer auf akuten Kriegsschauplätzen überwiegend in Staaten mit schwach ausgeprägten Governance-Strukturen auf­tritt. Signifikante Überlappungen mit den Haupt­herkunftsländern grenzüberschreitender Flüchtlinge deuten zudem darauf hin, dass es in Vertreibungs­situationen häufig ein Kontinuum zwischen internen und grenzüberschreitenden Fluchtbewegungen gibt: Syrien, Afghanistan, Somalia, die Demokratische Repu­blik Kongo und Sudan zählen in beiden Kategorien zu den zehn am stärksten betroffenen Ländern. Aus entwicklungspolitischer Perspektive ist eine weitere Kategorie von Ländern von besonderem Interesse: diejenigen, die sowohl von Binnenvertreibung betrof­fen sind als auch größere Zahlen grenzüberschreitender Flüchtlinge aus anderen Ländern aufnehmen. So finden sich Sudan und Äthiopien in diesen beiden Kategorien unter den zehn Staaten, die weltweit am meisten betroffen sind.21 In Lateinamerika droht die venezolanische Flüchtlingskrise Kolumbien zu destabilisieren.

Akute Naturkatastrophen und schleichende Umweltveränderungen

Binnenvertreibung aufgrund von Umweltveränderun­gen wird im Englischen unter dem Begriff »disaster displacement« zusammengefasst. Diese Kategorie schließt zum einen Vertreibungen wegen akuter Naturkatastrophen ein, wie Hurrikane, Überflutungen, Tsunamis, Erdbeben, Vulkanausbrüche und Waldbrände, zum anderen erzwungene Ortswechsel als Folge schleichender Umweltveränderungen wie Desertifikation oder Anstieg des Meeresspiegels.22 Statistisch erfasst werden bisher vorrangig Vertreibungen aufgrund akuter Katastrophen. Die verfüg­baren Daten zeigen, dass jedes Jahr weitaus mehr Menschen ihre Heimat infolge akuter Naturkatastrophen verlassen als aufgrund von Kriegen und gewalt­samen Konflikten und dass hohe Zahlen auch in wohl­habenden Ländern wie den USA auftreten. Dabei unterliegen katastrophenbedingte Vertreibungen größeren Schwankungen als konfliktbedingte (siehe Grafik 3, S. 14).

Datenlücken

Das in Genf ansässige IDMC führt alle verfügbaren Daten zu Binnenvertreibung zusammen und ist damit die maß­gebliche Quelle für aktuelle Statistiken in diesem Bereich. Dennoch bleibt die Datenlage lückenhaft. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen tauchen viele Binnen­vertriebene in den offiziellen Erhebungen nicht auf, da sie im Land verstreut leben und sich nur schwer von ande­ren armen Bevölkerungsgruppen unterscheiden lassen. Zum anderen hängt die Frage, wer als Binnenvertriebener gezählt wird, vom nationalen Kontext ab. Während etwa Kinder von Binnenvertriebenen in einigen Ländern aus der Statistik fallen, wird in anderen der Status als Binnen­vertriebener an die nächste Generation »vererbt« – auch wenn die ursprünglich Vertriebenen bereits lokal integriert sind oder sich dauerhaft niedergelassen haben.a Außer­dem können Unterstützungsangebote, die für Binnenvertriebene vorgesehen sind, gerade in Ländern mit schwach ausgeprägten sozialen Sicherungssystemen dazu führen, dass sich auch nicht von Vertreibung betroffene Personen darum bemühen, registriert zu werden.b Schließlich haben Statistiken zu Binnenvertreibung immer auch eine politische Dimension und werden daher für politische Zwecke instrumentalisiert. So präsentieren betroffene Regierungen sinkende Zahlen, um die eigene Handlungsfähigkeit zu demonstrieren oder das Abflauen eines inneren Konfliktes zu belegen. Hohe Zahlen dagegen dienen dazu, territoriale Ansprüche aufrechtzuerhalten oder Unterstützungsbedarf zu signalisieren.

Grundsätzlich mangelt es an standardisierten Er­hebungsmethoden zu Binnenvertreibung. So gibt es bei­spielsweise für konfliktbedingte Binnenvertreibung so­wohl Bestands- als auch Verlaufsdaten, für katastrophenbedingte Binnenvertreibung jedoch nur Verlaufsdaten. Zudem besteht Unklarheit darüber, wann Binnenvertreibung als beendet gilt. Um hier Abhilfe zu schaffen, hat die VN-Statistikkommission 2016 eine Expertengruppe zu Flüchtlings- und IDP-Statistiken (Expert Group on Refugee and Internally Displaced Persons Statistics, EGRIS) ins Leben gerufen, die ein umfassendes statistisches Rahmen­werk für Binnenvertreibung erarbeitet. Auch das Joint Data Center on Forced Displacement, im Oktober 2019 von UNHCR und Weltbank gemeinsam eröffnet, legt einen Schwerpunkt seiner Arbeit darauf, die Datenlage zu Binnenvertreibung zu verbessern.

a Vgl. Zara Sarzin, Stocktaking of Global Forced Displace­ment Data, Washington, D.C.: World Bank Group, Feb­ruar 2017 (Policy Research Working Paper Nr. 7985), S. 14.

b Vgl. UN Ukraine, »Pensions for IDPs and Persons Living in the Areas Not Controlled by the Government in the East of Ukraine«, Briefing Note, Februar 2019, S. 1.

Die starken jährlichen Schwankungen sind dadurch zu erklären, dass gewaltsame Konflikte sich schrittweise ausweiten und intensivieren, während akute Naturkatastrophen punktuelle Ereignisse sind, die viele Menschen auf einmal zu einem bestimmten Zeit­punkt zur Flucht bewegen. So zwangen beispielsweise im Jahr 2010 Überflutungen in nur zwei Ländern – China und Pakistan – 26,2 Millionen Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. Das waren deutlich mehr als die Gesamtzahl aller katastrophenbedingten Bin­nen­vertreibungen des Jahres 2011, in dem es keine Naturkatastrophen in vergleichbarer Dimension gab.23 Die scheinbare Schicksalhaftigkeit katastropheninduzierter Vertreibung überdeckt allerdings oft tiefer­greifende strukturelle Diskriminierung. So siedeln Angehörige armer und marginalisierter Gruppen häufiger in überschwemmungsgefährdeten Gebieten, leben in Behausungen, die nicht erdbebensicher sind, und haben keine Rücklagen, die ihnen erlauben würden, klimabedingte Ernteausfälle zu überstehen.24

Ebenso wie konfliktinduzierte Vertreibung konzentriert sich auch das Gros katastrophenbedingter Vertreibungen auf eine kleine Gruppe Länder. So ent­fielen im Jahr 2018 rund 85% der neu auftretenden Fälle auf nur zehn Staaten. Die meisten davon liegen im südostasiatischen und im pazifischen Raum, da in diesen Regionen viele Länder von saisonalen Stürmen und Überflutungen betroffen sind.25 Eine Reihe von Staaten verzeichnet hohe Zahlen sowohl konflikt­induzierter als auch katastropheninduzierter Binnen­vertreibung. In Afrika gehören hierzu unter anderem Äthiopien, Mali, Niger, Nigeria und Somalia, in Asien Afghanistan, Indien, Myanmar und die Phi­lippinen.26

Große Entwicklungs- und Infrastrukturprojekte

Großangelegte Projekte, welche die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes vorantreiben sollen, schlie­ßen häufig ein, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen

Grafik 1

Quelle: IDMC

Grafik 2

Quelle: IDMC

umgesiedelt werden. Relativ gut doku­men­tiert ist dies beim Bau von Staudämmen. Vor allem in Indien und China sind hierbei in der Ver­gangen­heit ganze Landstriche überflutet worden.27

Auch Stadterneuerungsinitiativen, Bergbauvorhaben und Infrastrukturprojekte wie der Bau von Bahn­trassen bringen es immer wieder mit sich, dass Men­schen ihrer Heimat den Rücken kehren müssen. Ver­läss­liche Zahlen gibt es nicht, doch Schätzungen gehen von 10 bis 15 Millionen Betroffenen pro Jahr aus.28 Gerade in den am meisten betroffenen Ländern wei­gern sich staatliche Stellen, diese Art von Migra­tion als Binnen­vertreibung zu kategorisieren, da sie im Zu­ge von Modernisierungsbemühungen unvermeidlich zu sein scheint und da im Idealfall zwischen den Ein­zel­interessen betroffener Anwohner und dem In­ter­esse der Bevölkerung als Ganzes abgewogen wurde.29

Grafik 3

Quelle: IDMC

In der Tat gibt es relevante Unterschiede zu konflikt- oder katastropheninduzierter Binnenvertreibung. Umfangreiche Entwicklungsprojekte durchlaufen eine Planungsphase; die erforderlichen Umsiedelungen sind daher mit einigem zeitlichen Vorlauf be­kannt. Zum einen erlaubt dies einen geordneten Ab­lauf, zum anderen kann der Staat oder der jeweilige Träger Kompensationszahlungen leisten oder neue Unterkünfte zur Verfügung stellen. Dennoch können Umsiedelungen eine Form von Vertreibung darstellen, wenn sie unter Zwang stattfinden oder es keine angemessene Kompensation gibt. Wie andere Arten von Binnenvertreibung betrifft dies meist in erster Linie arme und marginalisierte Bevölkerungsgruppen, die nicht in der Lage sind, politische Entscheidungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Das gilt zum Beispiel, wenn städtische Slums geräumt werden, um Platz für teuren neuen Wohnraum zu schaffen, oder wenn indigene Bevölkerungen gezwungen sind, ihr an­gestammtes Land zu verlassen, um die Hebung von Bodenschätzen zu ermöglichen. Darüber hinaus besitzen gerade Angehörige benachteiligter Bevölkerungsgruppen häufig keine formellen Landtitel oder können nicht auf Grundbucheinträge verweisen und werden daher bisweilen ohne Ausgleichszahlungen aus ihren Unterkünften vertrieben.

Organisierte Kriminalität

Unter bestimmten Bedingungen führt auch organisierte Kriminalität zu Vertreibungen.30 In einigen lateinamerikanischen Ländern wie Honduras und El Salvador ist die Zahl der Gewaltverbrechen so hoch und sind die negativen Auswirkungen von Bandenkriminalität so gravierend, dass ein substantieller Teil der Bevölkerung sich zum Ortswechsel gezwungen sieht.31 Schätzungen des IDMC zufolge galt dies Ende 2017 für mindestens 432 000 Menschen im nörd­lichen Dreieck Zentralamerikas.32 Häufig handelt es sich dabei um Einzelpersonen oder einzel­ne Familien, so dass das Phänomen noch weniger sichtbar ist als andere Formen der Vertreibung.33 Auch diese Vari­ante betrifft in der Regel arme Bevölkerungs­gruppen, die nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen, sich vor Gewaltverbrechen zu schützen, und deutet darauf hin, dass der Staat seiner Schutzpflicht den eigenen Bürgern gegenüber nicht nach­gekommen ist.

Die Rolle internationaler Akteure

Da Binnenvertreibung überwiegend in Entwicklungsländern auftritt, bleibt oft unbeachtet, dass auch wohlhabende Staaten aktiv dazu beitragen. Manche von ihnen finanzieren zweifelhafte Infrastruktur- und Agrarprojekte, schüren lokale Konflikte oder schicken abgelehnte Asylbewerber oder vorüber­gehend Schutzbedürftige in die Binnenvertreibung zurück.34 Auch die rechtliche Verfasstheit des globalen Flüchtlingsregimes wirkt sich direkt auf Binnenvertreibung aus, denn viele Länder wenden in ihren Asylverfahren das Prinzip der »internen Fluchtalternative« an: Sie gewähren Menschen nur dann Zugang zu internationalem Schutz unter der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn diese belegen können, dass sie nicht in einer anderen Region inner­halb ihres Heimatlandes Zuflucht vor Verfolgung hätten finden können.35 Demnach gilt Binnenvertreibung hier juristisch als bevorzugte Alternative zu grenzüberschreitender Flucht.

Strukturelle Triebkräfte und langandauernde Binnenvertreibung

Vergleicht man die unterschiedlichen Szenarien, in denen es zu Binnenvertreibung kommt, wird deut­lich, dass die oben angeführten Auslöser am Ende zwar ausschlaggebend für den Ortswechsel einzelner Personen sind, aber schon zuvor bestehende wirtschaftliche, soziale oder politische Benachteiligungen großen Einfluss darauf haben, welche Bevölkerungsgruppen am stärksten in Mitleidenschaft gezogen werden. Diese strukturellen Triebkräfte sind entschei­dend dafür, dass Binnenvertreibung neben der indivi­duellen auch eine starke kollektive Dimension hat. Sie erhöhen das Vertreibungsrisiko in zweierlei Hin­sicht. Zum einen sind arme und marginalisierte Bevölkerungsgruppen aus mehreren Gründen anfälli­ger für Vertreibung: Angehörige solcher Gruppen siedeln oft in Gebieten, die von Naturkatastrophen bedroht oder von organisierter Kriminalität gebeutelt sind. Zudem fehlt es ihnen vielfach an Rücklagen, um klimatisch oder wirtschaftlich bedingte Mangelperioden zu überbrücken. Auch kommt es häufig vor, dass staatliche Autoritäten sie nicht vor Vertreibung durch private Akteure schützen.36 Zum anderen fällt es ihnen besonders schwer, Benachteiligungen zu überwinden, die aus ihrer Vertreibung entstanden sind. Sie sind daher überdurchschnittlich oft von langandauernder Vertreibung (»protracted displacement«, siehe Kasten, S. 16) betroffen.

Im Gegensatz zu akuten Vertreibungssituationen ist langandauernde Binnenvertreibung keine unver­meidliche Folge von Konflikten oder Naturkatastrophen, sondern – zumindest teilweise – das Produkt grund­legender politischer Versäumnisse oder Defizite.

Protracted Displacement

Der Ende der 2000er Jahre eingeführte Begriff »protracted displacement« hat die politische Debatte um Binnen­vertreibung grundlegend verändert. Die im Deutschen übliche Übersetzung »langandauernde Binnenvertreibung« ist missverständlich, da sie eine rein zeitliche Definition suggeriert. Ausschlaggebendes Kriterium dafür, eine Ver­treibungssituation als »protracted« zu bezeichnen, ist aber nicht die Dauer. Entscheidend ist vielmehr, ob Fortschritte hin zu dauerhaften Lösungen erkennbar sind oder ob sich die Situation verstetigt.a Diese Sichtweise verändert auch die Bewertung humanitärer Hilfseinsätze in Vertreibungssituationen, indem sie den Blick auf die Defizite eines Verständnisses von Schutz lenkt, das sich auf »care and maintenance« beschränkt. Dieses enge Schutzverständnis kann bewirken, dass die Betroffenen dauerhaft von Hilfs­programmen und Transferleistungen abhängig werden.b

a IDMC, IDPs in Protracted Displacement: Is Local Inte­gra­tion a Solution? Report from the Second Expert Seminar on Pro­tracted Internal Displacement, 19.–20.1.2011, Genf, Mai 2011, S. 7.

b Center on International Cooperation, Addressing Pro­tracted Displacement: A Framework for Development-Humani­tarian Cooperation, New York, Dezember 2015, S. 6f.

Damit wird die zuvor eingeführte Unterscheidung zwischen Binnenvertreibung mit und ohne Beteiligung staatlicher Akteure aufgeweicht: Da die Hauptverant­wortung für den Schutz von Binnenvertriebenen bei den staatlichen Autoritäten ihres Heimatlandes liegt, deutet langandauernde Binnenvertreibung darauf hin, dass der Staat in dieser Hinsicht versagt hat, un­abhängig vom ursprünglichen Auslöser der Vertreibungssituation. Deshalb ist das Risiko langandauernder Vertreibung in jenen Ländern besonders hoch, die von sozialer Ungleichheit, ethnischen Spannungen und schwachen Institutionen geprägt sind.

Zusätzlicher Datenbedarf

Absolute Zahlen geben einen ersten Eindruck vom Ausmaß der Binnenvertreibung. Sie haben aber nur begrenz­ten praktischen Nutzen, da sich der Unter­stützungsbedarf der Betroffenen je nach Kontext unter­scheidet. Um die verfügbaren Ressourcen sinnvoll zu verteilen und passende Handlungsempfehlungen zu entwickeln, bedarf es einer detaillierteren Einschätzung der Verhältnisse, in denen Binnenvertriebene in den verschiedenen Ländern und Regionen leben. An diesem Punkt setzt eine neue Initia­tive des IDMC an. Mit Hilfe eines thematisch ausdifferenzierten Ampelsystems wird bewertet, wie schwerwiegend (»severe«) die Situation von Binnenvertriebenen in unter­schiedlichen Ländern und Regionen ist.a Dabei wird die Lage von Binnenvertriebenen in acht Teilbereichen ein­geschätzt: (1) Sicherheit, (2) Einkommensmöglichkeiten, (3) Wohnen, (4) staatliche Grundversorgung, (5) Zugang zu Dokumenten, (6) Familien­zusammenführung, (7) politische Teilhabe und (8) Zugang zum Rechtssystem.b Gerade für die Arbeit entwicklungspolitischer Akteure bietet dieser neue Referenzrahmen hilfreiche Ansatz­punkte. Die Planung und Umsetzung passender Hilfs­angebote erfordert allerdings noch weitere Informationen, idealerweise in Form disaggregierter Daten, welche die soziodemografische Struktur der Binnen­vertriebenen und ihre spezifischen Bedarfe abbilden. Das ist zeitaufwen­dig und kostspielig, bildet aber eine wichti­ge Grundlage für gezielte Programm­arbeit.

Da viele betroffene Regierungen nicht gewillt sind, sich mit Binnenvertreibung zu befassen, sehen sich Wissenschaftler bei der Datenerhebung mit einer Art Henne-Ei-Problem konfrontiert: Verlässliche Daten sind notwendig, um das Problem sichtbar zu machen und in den öffent­lichen Raum zu tragen. Gleichzeitig müssten die betroffe­nen Regierungen aber erst einmal akzeptieren, dass es Binnenvertreibung gibt. Solange sie das abstreiten, werden sie auch die finanziellen Mittel und administrativen Res­sourcen nicht bereitstellen, die für Datenerhebung und Datenanalyse erforderlich sind.

a IDMC, Impact and Experience. Assessing Severity of Conflict Displacement. Methodological Paper, Genf, Februar 2019.

b Diese Teilbereiche entsprechen den Kriterien des Framework on Durable Solutions for Internally Dis­placed Persons, das vom Ständigen interinstitu­tionellen Ausschuss der Vereinten Nationen (Inter-Agency Standing Committee, IASC) entwickelt wurde (vgl. das Kapitel »Politische und rechtliche Regulie­rungsansätze« in dieser Studie).

Oft kommt es wie in Afghanistan oder in der Demo­kratischen Republik Kongo im Laufe von Jahrzehnten zu mehreren großen Vertreibungswellen, die zwar im einzelnen unterschiedliche Auslöser haben, zu­sammengenommen aber auf eine »ständige Krise von Staatlichkeit« zurückzuführen sind.37 Strukturelle Diskriminierung manifestiert sich in diesen Fällen in fehlender staatlicher Unterstützung, wenn es darum geht, die im Zuge der ursprünglichen Vertreibung erlittenen Benachteiligungen zu überwinden.

Der Umfang staatlicher Unterstützung für Binnenvertriebene bemisst sich häufig daran, wie viel politi­sches Kapital nationale Autoritäten aus diesem En­gagement schlagen können. Menschen in geografisch und poli­tisch abgeschiedenen Landesteilen sowie politisch unliebsame Gruppen und ethnische Minder­heiten ziehen dabei häufig den Kürzeren. Neben staat­licher Schwäche und politischer Vernachlässigung betroffener Bevölkerungsgruppen können auch Re­pressionen durch autoritäre Regierungen die Ursache dafür sein, dass sich Binnenvertreibung verstetigt. So kommt es zum Beispiel vor, dass staatliche Akteure Menschen, die ihre Heimat aufgrund akuter Umweltkatastrophen verlassen haben, an einer Rückkehr hindern, so dass kurzfristige katastropheninduzierte Vertreibung in längerfristige, staatlich forcierte Ver­treibung über­geht.38

Fallbeispiele: Äthiopien und Pakistan

Große Vertreibungssituationen verursachen meist nicht nur hohe individuelle Kosten, sondern auch strukturelle Veränderungen. Typisch ist etwa, dass sich Urbanisierungstendenzen verstärken, angestamm­te Machtverhältnisse verschieben und gesellschaft­liche Ungleichheiten verschärfen, die schon vor der Vertreibung bestanden. All dies lässt sich an einzel­nen Ländern exemplarisch illustrieren. Äthiopien und Pakistan bieten sich als Fallbeispiele an, da beide Länder seit Jahrzehnten von unterschiedlichen For­men der Binnenvertreibung betroffen sind und weit­reichende wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Auswirkungen erfahren haben.

Die Geschichte Äthiopiens ist durch eine Reihe von Vertreibungswellen geprägt. Auch das politisch moti­vierte Leugnen von Binnenvertreibung hat eine lange Geschichte. Sowohl das Regime Haile Selassies als auch das darauf folgende Militärregime der Derg in den 1970er und 1980er Jahren fürchteten Repu­tationsverluste infolge der Vertreibungen, die durch Misswirtschaft und Hungersnöte verursacht wurden. Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs seit der Jahrtausendwende betrieb Äthiopien große und pre­stigeträchtige Infrastrukturprojekte. In deren Verlauf ließ der Staat wiederholt viele Bürger umsiedeln, ohne die sozialen Kosten solcher Maßnahmen zu berücksichtigen. Die Tendenz, gerade konflikt- und entwick­lungsbedingte Vertreibungen abzustreiten, reicht bis in die jüngste Vergangenheit. Deswegen war es internationalen Akteuren über lange Zeit nur sehr eingeschränkt möglich, die Betroffenen zu unter­stützen.39 Das änderte sich mit dem Amtsantritt des neuen Premierministers Abiy Ahmed im Mai 2018. Inzwischen erkennt die äthiopische Regierung die Existenz konfliktbedingter Binnenvertreibung an, wirbt um Unterstützung durch Hilfsorganisationen und bringt sich auf internationaler Ebene konstruktiv in Diskussionen über Verbesserungen in diesem Bereich ein.40

Die politische Öffnung in Äthiopien unter Abiy Ahmed fiel mit einem rapiden Anstieg neuer Vertreibungen zusammen.

Allerdings fiel die politische Öffnung unter Abiy Ahmed mit einem rapiden Anstieg neuer Vertreibungen zu­sammen. Neben 296 000 Vertreibungen auf­grund von Naturkatastrophen wie Dürren und Über­schwemmun­gen kam es im Jahr 2018 in Äthiopien zu 2 895 000 neuen konfliktbedingten Vertreibungen, der weltweit höchsten Zahl.41 Die Ursachen sind meist soziale und ethnische Spannungen, die schon lange bestehen und von der vorherigen, autoritären Regie­rung unter Kon­trolle gehalten wurden, sich im Kon­text der neu ent­standenen politischen Freiräume aber vermehrt in gewaltsamen Auseinandersetzungen entladen.42 Dieses Problem zu bewältigen stellt eine monumentale Auf­gabe für Abiy Ahmeds Regierung dar. Die im Dezember 2019 gestartete National Durable Solutions Initiative for Internally Displaced Persons ist ein Schritt in die richtige Richtung, sofern sie die Wahlfreiheit der Betroffenen respektiert und diese nicht zu verfrühter Rückkehr drängt.

Seit der Gründung Pakistans im Jahr 1947 prägen Migration und Vertreibung die Geschichte des Landes. Allein in den Jahren 2010 bis 2015 mussten rund 1,5 Millionen Menschen aufgrund von Naturkatastrophen, vor allem Überschwemmungen und Erdbeben, ihre Heimatorte verlassen.43 Auch gewaltsame Kon­flikte riefen in der Vergangenheit immer wieder große Vertreibungswellen hervor. Besonders betroffen war die FATA-Region (Federally Administered Tribal Areas), eine bis zu ihrem Zusammenschluss mit der benachbarten Provinz Khyber Pakhtunkhwa im Jahr 2018 semiautonome Region im Nordwesten Pakistans. Sie gilt als Ursprungs- und Rückzugsort terroristischer Milizen, welche die pakistanische Armee dort wieder­holt mit großen Militäroffensiven zu bekämpfen suchte. Während der Offensive Zarb-e-Azb, die im Juni 2014 startete, sahen sich schon innerhalb des ersten Monats über 900 000 Menschen gezwungen, ihren Heimatregionen den Rücken zu kehren.44

Staatliche Autoritäten unterstützen unterschied­liche Gruppen pakistanischer Binnenvertriebener in sehr unterschiedlichem Maße. Hilfsleistungen für Menschen, die ihre Heimat aufgrund von Naturkatastrophen verlassen mussten, werden seit dem Jahr 2007 durch ein Netz regionaler Disaster Management Authorities koordiniert und sind relativ gut organisiert. Es fehlt aber eine Institution, die sich derjenigen annimmt, welche aufgrund von Konflikten vertrieben wurden. Unter diesem Defizit hatten in den vergangenen Jahren besonders die Binnenvertriebenen aus der FATA-Region zu leiden. Zudem war die pakista­nische Regierung aus Sorge um ihr Ansehen bestrebt, das Ausmaß der Kampfhandlungen und Vertreibungen in der Region zu vertuschen, und startete daher keinen internationalen Hilfsappell für die Betroffenen.45

Verstärkung bestehender Urbanisierungstrends

Urbanisierung gilt als Megatrend des 21. Jahr­hunderts.46 Auch Flucht und Vertreibung werden zu­nehmend zu urbanen Phänomenen.47 Dies belastet die Infrastruktur betroffener Städte, birgt Sicherheitsrisiken und erzeugt soziale Herausforderungen. In Pakistan, einem ohnehin von rapider Urbanisierung geprägten Land, sind in den vergangenen Jahren viele Binnenvertriebene aufgrund familiärer Netzwerke oder auf der Suche nach Einkommensmöglichkeiten in die Städte gezogen.48 Das trifft besonders auf Ka­rachi zu, das wirtschaftliche Zentrum des Landes, und auf die Provinzhauptstadt Peshawar, deren Bevöl­ke­rung sich zwischen 1998 und 2013 von 1,7 auf 3,3 Mil­­lionen annähernd verdoppelte.49 In beiden Städten war das schon zuvor unzulängliche Bildungs- und Gesundheitssystem nicht auf die starke Zuwanderung vorbereitet; ebenso unzureichend ist die Wasser- und Energieversorgung. Auch in Pakistan lässt sich beobach­ten, dass die Konkurrenz um knappe Res­sourcen zu Ressentiments der lokalen Bevölkerung gegenüber Neuankömmlingen führt und dadurch soziale Spannungen schürt. So verschärft sich der Wettbewerb um Wohnraum, und die ärmsten Bevöl­kerungsgruppen werden in die Peripherie der Städte verdrängt. Zudem entstehen neue Sicherheitsrisiken, weil die Taliban Karachi als Rückzugsort sowie zur Rekrutierung neuer Kämpfer nutzen. Gleichzeitig erfahren Binnenvertriebene aus der FATA-Region weitere Benachteiligungen, da sie vereinzelt als Tali­ban-Verbündete wahrgenommen und deswegen verstärkten staatlichen Kontrollen unterzogen wer­den. Die Folge sind Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit und Nachteile bei der Arbeitssuche.50

In Äthiopien, wo aktuellen Berechnungen zufolge 86,8% der Bevölkerung im ländlichen Raum leben, sind Binnenvertreibung und Urbanisierung weniger stark miteinander verknüpft als in Pakistan. Dennoch machen Binnenvertriebene auch hier einen überdurchschnittlich hohen Anteil der Stadtbevölkerung aus: 21% der Betroffenen leben in Städten oder stadt­nahen Gebieten, gegenüber 13,2% der Gesamtbevölkerung.51 In beiden hier betrachteten Ländern trägt Binnen­vertreibung zur Slumentwicklung bei. Die Wohn­situation in Slums wiederum birgt oft ein erhöh­tes Risiko für katastrophenbedingte Vertreibung.52

Zunehmende Urbanisierung bringt indes nicht nur Nachteile, sondern eröffnet auch Chancen. Wenn Binnenvertriebene in die Lage versetzt werden, unter­nehmerisch tätig zu werden, können auch sie einen positiven Beitrag leisten. Beispielsweise können sie bewirken, dass sich die Handelsbeziehungen inner­halb des Landes intensivieren.53 Grundsätzlich gilt: Gerade bei langandauernder Binnenvertreibung ist eine Rückkehr der Vertriebenen in den ländlichen Raum unwahrscheinlich. Deshalb kommt es darauf an, die langfristigen demografischen Veränderungen infolge von Binnenvertreibung frühzeitig anzuerkennen und in städtebaulichen Planungsprozessen zu berücksichtigen. Das ist die beste Grundlage dafür, die vertreibungsbedingten Herausforderungen in urbanen Räumen zu bewältigen.54 Hier kann Unter­stützung durch internationale Akteure hilfreich sein. Es übersteigt die Kompetenzen humanitärer Akteure, komplexe städtische Systeme den Anforderungen anzupassen, die rapide Zuwanderung hervor­bringt. Der notwendige Ausbau öffentlicher Dienstleistungen und materieller Infrastruktur kann nur in enger Ab­stimmung mit der jeweiligen Stadtverwaltung gelin­gen. Deshalb ist er in der Regel eine Auf­gabe für Entwicklungsakteure.

Verschiebung von Machtverhältnissen

Bürgerkriege haben häufig die Vertreibung von Minderheiten zur Folge, zuweilen – wie etwa im Bosnienkrieg – mit dem ausdrücklichen Ziel eth­nischer Segregation. Aber auch Binnenvertreibung aufgrund um sich greifender, allgegenwärtiger Gewalt oder von Naturkatastrophen birgt besonders in multiethnischen Gesellschaften das Risiko, dass über Jahre und Jahrzehnte austarierte Machtverhältnisse in Frage gestellt und damit Konflikte angefacht werden.55

Äthiopien ist seit 1991 als ethnisch föderaler Staat mit neun Bundesstaaten organisiert. Sechs davon, nämlich Afar, Amhara, Harar, Oromia, Somali und Tigray, sind jeweils einer der größten ethnischen Gruppen des Landes zugeordnet. Die übrigen drei sind ethnisch stärker durchmischt. Auch wenn die Zentralregierung, die bis zum Regierungswechsel 2018 zudem eindeutig autoritär war, große Macht besitzt, steht diese föderale Struktur für ein gewisses Maß an Selbstverwaltung und kultureller Autonomie. Allerdings bildet das föderale System die Vielfalt der multiethnischen Gesellschaft Äthiopiens keineswegs vollständig ab. Darüber hinaus ist die politische Teil­habe der Gruppen, welche die einzelnen Bundes­staaten dominieren, nicht gleichwertig, weil einige von ihnen an der Zentralregierung beteiligt sind, andere dagegen nicht. Das System als Ganzes ist auch deswegen fragil, weil Migrationsbewegungen inner­halb des Landes die Logik ethnisch dominierter Regio­nen stören. Grenzstreitigkeiten und Land­konflikte führen in Äthiopien regelmäßig zu Binnenvertreibung. In den Jahren 2018 und 2019 beispielsweise kam es sowohl in Oromia und Harar als auch an den Grenzen zwischen Oromia und Somali sowie zwischen Amhara und Tigray zu gewalt­samen Auseinandersetzungen, in deren Folge zahl­reiche Menschen vertrieben wur­den.56 Die Ursprünge mancher dieser Konflikte liegen in früheren staat­lichen Umsiedelungsprogrammen, bei deren Umset­zung angestammte Landrechte igno­riert wurden.57

Auch Pakistan ist ein föderaler Staat, aber sein politisches System ist weniger stark entlang ethnischer Zugehörigkeiten organisiert als das Äthio­piens. Den­noch hat die Vertreibung von Bevölkerungsgruppen demografische Veränderungen in einzelnen Regionen mit sich gebracht und damit bestehende Macht­verhältnisse in Frage gestellt. Ver­anschaulichen lässt sich dies am Beispiel Karachis, Pakistans Haupt­stadt von der Staatsgründung 1947 bis zum Jahr 1959 und heute führende Wirtschaftsmetropole des Landes so­wie Hauptstadt der Provinz Sindh. Infolge der gewalt­samen Ausschreitungen, die mit der Teilung Indiens nach der Unabhängigkeit vom britischen Empire ein­hergingen, siedelten sich viele muslimische Flüchtlinge (die Mohajirs) aus Indien in Karachi an. Jahr­zehnte später mobilisierte die pakistanische Militärregierung unter Mohammed Zia-ul-Haq diese Gruppe, um ein Gegengewicht zur Pakistan Peoples Party (PPP) zu schaffen, die ihre Hochburg im Sindh hatte. Das führte Mitte der 1980er Jahre zur Gründung der Partei Muttahida Qaumi Movement (MQM), die sich für die Rechte der Mohajirs einsetzte. Sie avancierte in Karachi und der Provinz Sindh zu einem wichtigen Gegenspieler der PPP.

Aufgrund seiner wirtschaftlichen Anziehungskraft wurde Karachi auch zur größten paschtunischen Stadt außerhalb der traditionellen Siedlungsgebiete der Paschtunen im Nordwesten. Ab 2007 entwickelte sich die gemäßigte Awami National Party (ANP) zu einem politischen Sprachrohr der paschtunischen Mittelschicht Karachis. Die Sorge der etablierten Par­teien vor einem weiteren Erstarken der ANP äußerte sich in der Folge auch in einer ablehnenden Haltung gegenüber paschtunischen Binnenvertriebenen, die in Karachi Zuflucht suchten.58 Letztlich gelang es der ANP aber nicht, zu einer entscheidenden Kraft in Karachi aufzusteigen. Ein wichtiger Grund dafür war, dass ihre Vertreter Anfang der 2010er Jahre gezielt von Taliban-Anhängern bedroht und Opfer von An­schlägen wurden.59

Verschärfung gesellschaftlicher Ungleichheit

Im Zuge von Vertreibungen sind nicht nur neue Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen. Häufig werden auch langjährige Muster von Benachteiligung und Marginalisierung fortgeschrieben und verstärkt. In Pakistan werden Binnenvertriebene aus der ehe­ma­ligen FATA-Region diskriminiert, etwa bei der Arbeits­suche.60 Zudem werden sie zur Rückkehr in Gebiete gedrängt, die zwar nicht mehr offiziell als Konflikt­gebiete eingestuft wurden, in denen aber nach wie vor weder die Wasser- und Stromversorgung noch der Zu­gang zu Bildung und Gesundheit gewähr­leistet sind.61 Es gibt jedoch weitere Formen struk­tureller Benachteiligung. So mussten Menschen, die wegen der großen Überschwemmungen im Jahr 2010 ihre Unterkünfte verloren hatten, einen maschinenlesbaren Personalausweis vorlegen, um finanzielle Unterstützung zu erhalten. Da aber die meisten paki­stanischen Frauen nicht eigenständig, sondern nur als Familienmitglied eines männlichen Verwandten registriert sind, war es besonders für alleinstehende oder verwitwete Frau­en schwierig, Zugang zu diesen Unterstützungs­leistungen zu bekommen.62 Eine andere benachteiligte Gruppe von Binnenvertriebenen waren Landarbeiter, die in quasifeudalen Abhängigkeitsverhältnissen zu Grundbesitzern standen und ebenfalls aufgrund der Überschwemmungen ihre Hei­mat verlassen mussten. Berichten zufolge kehrten einige der Ärmsten unter ihnen nicht an ihre Heimat­orte zurück, da sie befürch­teten, die durch den Ernte­ausfall entstandenen Kosten selbst tragen zu müssen und auf diese Weise in Schuldknechtschaft zu geraten.63

Vor- und Nachteile von Registrierung

Binnenvertriebene gelten häufig als »statistisch unsicht­bar«, weil sie verstreut innerhalb von Gastgemeinden oder bei Verwandten leben und im Alltag nicht auf­fallen. Daher wird das volle Ausmaß des Unterstützungsbedarfs mitunter nicht erkannt oder von staat­licher Seite geleug­net. Damit Binnenvertriebene gezielt unterstützt werden können, müssen sie sich gemeinhin registrieren lassen. Neben rein praktischen Heraus­forderungen, ähnlich denen bei der Registrierung grenzüberschreitender Flücht­linge, taucht hier aber ein zusätz­liches Problem auf: Ein offizieller Status als Binnen­vertriebene kann bewirken, dass sie von den übrigen, nicht von Vertreibung betrof­fenen Staatsangehörigen abgegrenzt werden. Das kann negative Folgen haben. Zum einen kann die »Sicht­bar­keit«, die durch eine offi­zielle Registrierung erzeugt wird, gerade für verfolgte Minderheiten gefährlich sein, etwa wenn sie tätliche Angriffe nach sich zieht oder gezielte Diskriminierung auslöst. Zum anderen besteht die Gefahr, dass staatliche Akteure eine Registrierung als Vorwand nutzen, um die Verantwortung für Schutz und Versorgung der betrof­fenen Personen Hilfsorganisationen zu­zuschieben und ihren Verpflichtungen gegenüber den eigenen Staats­angehörigen nicht mehr nachzukommen. Internatio­nalen Akteuren fordert diese Gemengelage ein hohes Maß an politischer Umsicht und Sensibilität ab. Nicht nur sollte ein verantwortungsbewusster und daten­schutz­konformer Umgang mit persönlichen Daten gewähr­leistet sein. Vor allem sollte eine Registrierung nie Selbstzweck sein, sondern grundsätzlich davon abhängig gemacht werden, ob sie der Gesamtsituation der Binnenvertrie­benen zu- oder abträglich ist.

In Äthiopien wiederum sind arme Bevölkerungs­gruppen besonders häufig von staatlichen Umsiedelungsprogrammen betroffen. Im Zuge der Modernisierung und Expansion der Hauptstadt werden vor allem Slumbewohner und die ländliche Bevölkerung aus dem näheren Umkreis von Addis Abeba umgesiedelt. Dabei verlieren viele Betroffene den Zugang zu Einkommensquellen.64 Auch kommt es immer wieder vor, dass staatliche Umsiedelungsprogramme die Rechte aufnehmender Gemeinden verletzen. Davon werden besonders Pastoralisten in Mitleidenschaft gezogen, also Hirten, die eine extensive Naturweidewirtschaft betreiben. Da ihre Landrechte oft nicht formell dokumentiert sind, gelten die von ihnen genutzten Flächen als potentielle Siedlungsgebiete, ohne dass die Pastoralisten dazu konsultiert wurden.65

Ein neues Problemfeld unter Premierminister Abiy Ahmed sind staatlich organisierte Rückführungen von Menschen, die erst vor kurzem vor gewalttätigen Auseinandersetzungen in ihren Heimatgebieten geflohen sind. Diese Rückführungen in Gebiete, die zum Teil nach wie vor unsicher sind, verlaufen zwar nicht unter physischem Zwang. Sie bilden aber in einigen Fällen die Voraussetzung für den Zugang zu Nahrungsmittelhilfen und anderen Unterstützungsleistungen. Aus diesem Grund haben diejenigen, die besonders stark auf Unterstützung angewiesen sind, keine andere Wahl, als die Risiken einer Rückkehr in Kauf zu nehmen.66

Dauerhafte Lösungen sind nur möglich, wenn vertreibungsbedingte Benachteiligungen beseitigt werden.

Die Gegenüberstellung zweier sehr unterschied­licher Länderkontexte – Äthiopien und Pakistan – verdeutlicht die längerfristigen Herausforderungen, die aus Binnenvertreibung erwachsen. Staatliche Akteure, die strukturelle Veränderungen scheuen, versuchen häufig, den Status quo wiederherzustellen, der vor der Vertreibung herrschte. Deswegen drängen sie auf eine schnelle Rückkehr der Betroffenen an ihre Heimatorte. Sind allerdings die Umstände für eine sichere Rückkehr nicht gegeben, oder haben die Betroffenen andere Präferenzen, verstetigt dieses Vorgehen die Benachteiligung, welche im Kontext der Vertreibung erlitten wurde. Für dauerhafte Lösungen ist es jedoch unabdingbar, dass vertreibungsbedingte Benachteiligungen beseitigt werden. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob die Menschen sich dort nieder­lassen, wo sie sich gerade befinden, an ihren Heimat­ort zurückkehren oder sich anderswo ansiedeln.

Solche Lösungen sind anspruchsvoll und verlangen vom jeweiligen Staat ein hohes Maß an Handlungswillen und Handlungsfähigkeit. Internationale Akteu­re können helfen, beides zu stärken. Grundlage ent­sprechender Bemühungen sind die Normen und Regu­lierungsansätze im Bereich Binnenvertreibung, die während der vergangenen drei Jahrzehnte erarbeitet wurden.

Politische und rechtliche Regulierungsansätze

Im Gegensatz zum internationalen Flüchtlingsregime, konsolidiert durch das VN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) und die Genfer Flüchtlingskonvention, sind die Rechte von Binnenvertriebenen nicht in vergleichbarer Weise institutionell und völkerrechtlich abgesichert. Immerhin konnten in den letzten drei Jahrzehnten wichtige normative Fortschritte erzielt werden, welche die Rechte von Binnenvertriebenen stärken und Lösungsansätze aufzeigen. Neben den VN-Leitlinien betreffend Binnenvertreibungen gibt es vor allem auf regionaler Ebene Anknüpfungspunkte, um Binnenvertriebene zu schützen und entwicklungs­orientiert zu unterstützen. Auf nationaler Ebene wurden zudem immer mehr rechtliche Schutzinstru­mente geschaffen.

Binnenvertreibung auf der internationalen Agenda

Rekonstruiert man die Auseinandersetzung mit dem Thema Binnenvertreibung auf der internationalen Agenda, ist es sinnvoll, zwischen normativen (völker­rechtlich bindenden und nicht bindenden), institu­tionellen und diskursiven Entwicklungen zu unter­scheiden. Der Zeitstrahl in Grafik 4 bietet einen Über­blick über die ersten beiden Bereiche.

Völkerrechtliche Grundlagen

Im Jahr 1992 verabschiedete die VN-Menschenrechts­kommission eine erste Resolution zum Thema Binnen­vertreibung, in der sie unter anderem forderte, einen VN-Sonderbeauftragten für Binnenvertriebene zu berufen.67 Erster Amtsinhaber war der ehemalige sudanesische Außenminister Francis Deng. Wie dring­lich seine Aufgabe war, unterstrichen die Verwerfungen des Bosnienkrieges. Die Existenz einer großen Gruppe Binnenvertriebener innerhalb eines europäischen Staates und die Sorge westeuropäischer Staa­ten, dass sich diese Menschen auf den Weg über die Grenze machen könnten, rückten das Thema Binnen­vertreibung damals ins Bewusstsein der internationalen Gemeinschaft. Dieses Gelegenheitsfenster nutzte Deng, um die Rechte von Binnenvertriebenen zu stärken. Im Jahr 1998 präsentierte er der VN-Men­schenrechtskommission die unter seiner Ägide erarbeiteten VN-Leitlinien betreffend Binnenvertreibungen.

Die Guiding Principles der VN wurden zum wichtigsten Referenzpunkt für den Schutz von Binnenvertriebenen.

Dieses Dokument entwickelte sich zum zentralen völkerrechtlichen Referenzpunkt für den Schutz von Binnenvertriebenen.68 Es enthält keine neuen

Grafik 4

rechtlichen Normen, sondern buchstabiert aus, wie bereits existierende völkerrechtliche und humanitäre Rechtsgrundsätze im Kontext von Binnen­vertreibung angewandt werden können. In ihrer Struktur orien­tieren sich die Leitlinien an den unterschiedlichen Phasen einer Vertreibungssituation. So widmet sich Abschnitt II dem Schutz vor Vertreibung, Abschnitt III dem Schutz während einer Vertreibung und Ab­schnitt V den Themen Rückkehr, Neuansiedlung und Wiedereingliederung. Hinzu kommen allgemeine Leitlinien (Abschnitt I) und Leitlinien zu humanitärer Hilfe (Abschnitt IV). Die vorrangige Verantwortung nationaler Behörden zieht sich als roter Faden durch die gesamten Leitlinien.69

Ein Hauptanliegen Dengs war es, die Widersprüche zwischen nationaler Souveränität und internationaler Schutzverantwortung zu überwinden. Unter dem Schlagwort »sovereignty as responsibility« warb er für ein anspruchsvolles Verständnis staatlicher Souveränität, das rechtliche Selbstbestimmung nicht absolut setzt, sondern hervorhebt, dass diese mit einer Ver­antwortung des Staates gegenüber der eigenen Bevöl­kerung einhergeht.70 Dieses Verständnis wird in den Leitlinien aufgegriffen. Darin ist festgelegt, dass Ange­bote internationaler humanitärer Organisationen und anderer geeigneter Akteure, die Binnenvertriebe­ne unterstützen können, nicht willkürlich abgelehnt werden dürfen – »insbesondere dann nicht, wenn die zuständigen Behörden nicht in der Lage oder nicht willens sind, die benötigte humani­täre Hilfe zu leisten«.71 Deng schuf also die Konzep­tion einer staat­lichen Schutzverantwortung, deren Nichterfüllung nicht tatenlos hingenommen werden darf, sondern von der internationalen Gemeinschaft kompensiert werden muss. Er war damit einer der Wegbereiter für die Norm Responsibility to Protect (R2P), die in den frühen 2000er Jahren auf VN-Ebene etabliert wurde und humanitäre Interventionen legitimiert.72

Mit der Veröffentlichung der Leitlinien waren die Grundpfeiler einer internationalen Schutzverantwortung für Binnenvertriebene errichtet. In den nächsten Jahren wurden weitere internationale und regionale Normen und Rechtsinstrumente entwickelt. Hierzu zählen die im Jahr 2005 verabschiedeten Principles on Housing and Property Restitution for Refugees and Displaced Persons, auch Pinheiro Principles genannt. In ihnen wird Flüchtlingen und Binnenvertriebenen die gleiche Rechtssicherheit und der gleiche Zugang zu Wohneigentum und Grundbesitz zugesichert wie anderen Bürgerinnen und Bürgern.73 Im afrikanischen Kontext wurden auf regionaler Ebene zwei Abkommen geschlossen, bis heute die einzigen völkerrechtlich verbindlichen Schutzinstrumente für Binnenvertriebene. Das erste ist das im Jahr 2006 verabschiedete Protocol on the Protection and Assistance to Internally Displaced Persons der International Conference on the Great Lakes Region (ICGLR), das die VN-Leitlinien für die zehn Mitgliedstaaten der ICGLR verbindlich macht. Beim zweiten handelt es sich um die African Union Convention for the Protection and Assistance of Internally Displaced Persons in Africa (»Kampala-Konvention«) aus dem Jahr 2009.

Vor allem die Kampala-Konvention ist in mehr­facher Hinsicht richtungsweisend. Zunächst ist sie das bisher einzige rechtlich verbindliche Instrument auf regionaler Ebene, das nicht nur die Rechte von Binnen­vertriebenen bekräftigt, sondern gleichzeitig die sich hieraus ableitenden Ver­pflichtungen für staatliche Akteure ausbuchstabiert. Zudem weitet die Konven­tion die Möglichkeiten internationaler Einmischung aus, indem sie die Afrikanische Union (AU) autorisiert, bei Bedarf in Mitgliedstaaten zu intervenieren und dazu beizutragen, dauerhafte Lösungen für Binnenvertriebene zu schaffen. Nachdem Swasiland als fünf­zehnter afrikanischer Staat die Kampala-Konvention ratifiziert hatte, trat sie 2012 in Kraft. Inzwischen sind 29 Staaten beigetreten; weitere elf haben die Konven­tion unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert.74

Das Ende von Binnenvertreibung ist kein punktuelles Ereignis, sondern ein Prozess.

Auf VN-Ebene war es Walter Kälin, der die Umsetzung der VN-Leitlinien im nationalen Kontext voran­trieb. 2004 hatte er von Francis Deng das Amt des Sonderbeauftragten übernommen, allerdings mit dem um einen menschenrechtlichen Schwerpunkt ergänz­ten Titel »for the Human Rights of Internally Dis­placed Persons«.75 Während Kälins Amtszeit entwickelte das Inter-Agency Standing Committee (IASC) der VN auch das bis heute diskursprägende Framework on Durable Solutions for the Displaced. Darin wurde das Ende von Binnenvertreibung erstmals nicht als punktuelles Ereignis definiert, sondern als Prozess, in dessen Verlauf die aus der Vertreibung entstandenen besonderen Bedarfe der Betroffenen Schritt für Schritt verringert werden.76

Seit Mitte der 2010er Jahre sind einige widersprüch­liche Entwicklungen zu beobachten. Einerseits findet Binnenvertreibung zunehmende Berücksichtigung in wichtigen entwicklungspolitischen und humanitären Prozessen. So werden in den Globalen Nachhaltigkeitszielen von 2015 Binnenvertriebene als vulnerable Gruppe aufgeführt. Das im selben Jahr verabschiedete Sendai Framework for Disaster Risk Reduction 2015–2030 enthält Empfehlungen, wie sich kata­strophenbedingte Vertreibung vermeiden oder bewäl­tigen lässt. Die beim World Humanitarian Summit 2016 vereinbarten »core commitments« schließen das ambitionierte Ziel ein, die Zahl der Binnenvertriebenen bis zum Jahr 2030 um die Hälfte zu senken.77 Zudem werden in der New Urban Agenda von 2017 die besonderen Herausforderungen anerkannt, mit denen sich Binnenvertriebene in städtischen Räumen konfrontiert sehen.78

Andererseits wird das Thema in zentralen flucht- und migrationsbezogenen Prozessen konsequent ausgespart. Während 2015 und 2016 grenzüberschrei­tende Wanderungsbewegungen im Kontext der starken Zuwanderung nach Europa auf der interna­tionalen Agenda ganz nach oben rückten, wurde dem Thema Binnenvertreibung trotz stetig steigender Zahlen nicht die gleiche Aufmerksamkeit zuteil.79 In der New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten aus dem Jahr 2016 werden Binnenvertriebene nur in der Einleitung erwähnt, und die im Dezember 2018 auf VN-Ebene angenommenen globa­len Pakte zu Flucht und Migration berücksichtigen Binnenvertriebene überhaupt nicht.80 Das hat gravie­rende Konsequenzen, etwa bei der Verteilung von Geldern, die für die Umsetzung der beiden Pakte vor­gesehen sind.

Institutionelle Entwicklungen und Zuständigkeiten

Von Beginn an waren die institutionellen Zuständigkeiten für Binnenvertriebene fragmentiert. Im Fall akuter Krisen wurden sie ad hoc auf jene humanitären Akteure verteilt, die vor Ort waren. Die Mängel dieses Systems waren schon früh bekannt. So forderte die VN-Generalversammlung bereits im Jahr 1988, humanitäre Hilfe für Binnenvertriebene wirksamer zu koordinieren. Seit 1990 sind die VN Resident Co­ordinators dafür zuständig. An der grundlegenden Situation änderte sich aber wenig.81

Im Jahr 1998 wurde das vom Norwegischen Flüchtlingsrat finanzierte IDMC gegründet. Die Arbeit dieser Organisation verbesserte die Datenlage zu Binnen­vertreibung und bereitete den Weg für eine grund­legende Bestandsaufnahme der Situation Binnen­vertriebener weltweit. Zwei wichtige VN-Publikationen der Jahre 2004 und 2005 kamen zu dem übereinstimmenden Schluss, dass das bestehende System den Schutz von Binnenvertriebenen nicht gewährleisten konnte.82 Die Erkenntnisse aus diesen Berichten waren eine wichtige Triebfeder für den im Jahr 2005 voll­zogenen humanitären Reformprozess der VN und weitere Umstrukturierungen innerhalb einzelner internationaler Organisationen.83 Seitdem trägt das Flüchtlingskommissariat der VN (UNHCR) als Leiter des Global Protection Cluster die Hauptverantwortung für den Schutz konfliktinduziert Binnenvertriebener und teilt sich die Leitung des Camp Coordination and Management Clusters mit der Internationalen Orga­nisation für Migration (IOM).84 Zudem bauten OCHA und UNHCR eigens mit Binnenvertreibung befasste Organisationseinheiten auf, und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) entwickelte erstmals eine offizielle Position zur Berücksichtigung von Binnenvertriebenen in seiner Arbeit. Innerhalb des VN-Entwicklungs­programms (United Nations Develop­ment Programme, UNDP) wurde der Aufgabenbereich Binnenvertreibung dem Bureau of Crisis Prevention and Recovery zugeteilt. Darüber hinaus wurde 2009 der Joint IDP Profiling Service (JIPS) gegründet. Als Dienstleister bietet er an, soziodemografische Daten zu einzelnen von Flucht und Vertreibung betroffenen Gruppen zu erheben, und erleichtert es damit, diese gezielt zu unterstützen. Mit der Gründung des Global Program on Forced Displacement im selben Jahr wurden die Themen Flucht und Vertreibung auf der Agenda der Weltbank verankert, allerdings ohne ausdrücklich einen Schwerpunkt auf Binnenvertreibung zu legen.

Diese institutionellen Fortschritte wurden durch Rückschritte in anderen Bereichen konterkariert oder waren nicht von Dauer. Im Jahr 2010 wurde das Amt des VN-Sonderbeauftragten für die Menschenrechte von Binnenvertriebenen durch das eines thematisch gleich gelagerten VN-Sonderberichterstatters ersetzt. Auch wenn die Mandats­veränderung nach außen als rein technisch motivierte Reform dargestellt wurde, bedeutete sie doch eine faktische Herabstufung des Amtes. Seitdem bringt es keine offizielle Anstellung bei den VN mehr mit sich, sondern wird unvergütet von einer Privatperson ausgefüllt.85 Die schon vorher schlecht ausgestattete Position verfügt nur über mini­male Reisemittel. Das erschwert eine der Kernaufgaben, die offiziellen Länderbesuche, und macht die jeweiligen Amtsinhaberinnen oder Amtsinhaber von zusätzlicher Unterstützung durch einzelne Geber­länder abhängig. Gleichzeitig verkleinerten etliche humanitäre Organisationen, vor allem OCHA, UNHCR und IKRK, Anfang der 2010er Jahre mit Verweis auf das erfolgreiche »mainstreaming« des Themas ihre Organisationseinheiten, die mit Binnenvertreibung befasst waren, oder lösten sie ganz auf. Schließlich wurde vor allem den VN-Akteuren von ihren Gebern nahegelegt, sich angesichts immer mehr großer Krisen und deswegen wachsender Finanzierungs­lücken auf ihre Kernmandate zu besinnen, im Fall von UNHCR also auf den Schutz grenzüberschreitender Flücht­linge.86

Wenige Jahre später nahmen eben diese Akteure die Tatsache, dass Binnenvertriebene in der New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten von 2016 nicht erwähnt werden, zum Anlass, sich neu zu dem Thema zu positionieren. Vor allem UNHCR setzte sich im Zuge eines Operational-Review-Prozes­ses 2017 selbstkritisch mit seiner bisherigen Rolle im Kontext von Binnenvertreibung auseinander. Die Organisation räumte dem Thema größere Priorität ein und formulierte das Ziel, systematischer Geld für Situationen langandauernder Binnenvertreibung einzuwerben.87

Um die vielschichtigen, durch Binnenvertreibung entstehenden Herausforderungen zu bewältigen, bedarf es deutlich mehr flexibel einsetzbarer und längerfristiger finanzieller Mittel, als derzeit zur Ver­fügung stehen. Eine Reform internationaler Finan­zie­rungsstrukturen in diesem Sinne entspräche sowohl den im Rahmen des »New Way of Working« formulierten Zielen als auch der im Februar 2019 vom OECD Development Assistance Committee (DAC) verabschie­deten Empfehlung zum Humanitarian-Development-Peace Nexus (dem sogenannten Triple Nexus).88 Aufgrund bestehender Organisationslogiken und der Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Akteuren verläuft die Umsetzung dieser Reformvorschläge aller­dings schleppend. Dennoch sind in einigen Bereichen vielversprechende Fortschritte zu verzeichnen. So wurden in den vergangenen Jahren neue flexible Finanzierungsinstrumente entwickelt, um Länder zu unterstützen, die besonders viele grenzüberschreiten­de Flüchtlinge aufnehmen. Es handelt sich dabei um die Global Concessional Financing Facility und das Regional Subwindow for Refugees and Host Com­mu­nities, das in der 18. Budgetperiode der Internatio­nal Development Association (IDA) eingeführt wurde.89 Vergleichbare Instrumente für Situationen akuter oder langandauernder Binnenvertreibung fehlen dagegen und sind auch für die kommende Budget­periode der IDA nicht vorgesehen.

Zum zwanzigjährigen Jubiläum der VN-Leitlinien betreffend Binnenvertreibungen im Jahr 2018 riefen UNHCR, OCHA und die Sonderberichterstatterin für die Menschenrechte von Binnenvertriebenen eine neue Initiative ins Leben, den GP20 Plan of Action.90 Dieser auf drei Jahre angelegte Aktionsplan verfolgt einen Multiakteursansatz und hat sich als wichtiger Katalysator für zwischenstaatliche Lernprozesse er­wiesen.91 Parallel hierzu gründeten IDMC und IOM ein informelles Dialogformat, so dass sich die in Genf ansässigen Botschafter der von Binnenvertreibung direkt betroffenen Länder untereinander austauschen können. Die Vertreter der bisher 18 beteiligten Länder schätzen den vertraulichen Rahmen und die Detail­tiefe der Unterredungen. Eine Beteiligung an dem Dialogformat kann als Indikator gewertet werden, dass die jeweiligen Regierungen grundsätzlich offen dafür sind, transparent und konstruktiv mit dem Thema Binnenvertreibung umzugehen. Zudem wächst hierdurch ein gemeinsames Problemverständnis, das langandauernde Binnenvertreibung und die Suche nach dauerhaften Lösungen in den Mittelpunkt stellt.92

Eine weitere Initiative wurde im Jubiläumsjahr 2018 angestoßen: In einem von Norwegen und der Schweiz initiierten Brief forderten 37 Staaten (darun­ter die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, aber auch Afghanistan, Argentinien, Georgien, Irak, Mali, Nigeria und Sambia) den VN-Generalsekretär dazu auf, ein High-Level Panel (HLP) on Internally Displaced Persons ins Leben zu rufen, um mehr inter­nationale Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen und neue Lösungsansätze zu entwickeln.93 Als der Unterstützerkreis weiter anwuchs, beschloss der VN-General­sekretär, ein solches Panel einzurichten, und betraute UNHCR, IOM und OCHA mit der Aufgabe, es gemeinsam zu konzipieren und vorzubereiten. Das achtköpfige Panel hat seine Arbeit im Januar 2020 aufgenommen und soll nach einem Jahr einen Ab­schlussbericht mit Empfehlungen vorlegen. Es um­fasst Regierungsvertreter, zivilgesellschaftliche und privatwirtschaftliche Akteure sowie Vertreter inter­nationaler Organisationen und wird von einem Sekre­tariat in Genf sowie einem vierköpfigen Beraterkreis unterstützt. Die Mitglieder des Panels stammen aus Afghanistan, Äthiopien, Italien, Jordanien, Kolum­bien, Norwegen, Ruanda und Südsudan. Die meisten dieser Länder sind stark von Binnenvertreibung betroffen.94

Diese Zusammensetzung lässt hoffen, dass sich der Prozess nicht auf eine Nabelschau beschränkt, bei der zum wiederholten Male VN-interne Koordinationsprobleme diskutiert werden, sondern sich der drän­gen­den Frage annimmt, wie der Handlungswille betroffe­ner Staaten gefördert werden kann. Da kein genuiner Entwicklungsakteur an der Konzeption des Panels beteiligt war, wird es zudem eine Kernaufgabe des neu gegründeten Sekretariats sein, Organisationen wie UNDP und Weltbank in den weiteren Prozess einzubinden.

Diskursiver Wandel

Als das United States Committee for Refugees and Immigrants Mitte der 1980er Jahre erstmals Zahlen zu Binnenvertreibung erhob, galt diese als rein humanitäres Problem, das in erster Linie bessere Koordinierung bestehender Hilfsangebote erforderte.95 Francis Deng, der erste VN-Sonderbeauftragte für Binnen­vertriebene, betonte während seiner Amtszeit die individuellen Rechte der Betroffenen und ergänzte den Diskurs dadurch um eine menschenrechtliche Dimension. Diese findet sich seit dem Jahr 1998 auch in den Resolutionen der VN-Generalversammlung wieder, die sich mit Binnenvertreibung befassen.96

Eine große Errungenschaft ist, dass Binnenvertriebene in den Globalen Nachhaltigkeitszielen als vulnerable Gruppe erwähnt werden.

In den darauffolgenden Jahren bildete die Umsetzung der Leitlinien in nationales Recht einen Schwer­punkt des internationalen Engagements im Bereich Binnenvertreibung. Die Suche nach Gründen für den fortwährenden Anstieg der Zahlen trotz Fortschritten in der Rechtsetzung erhöhte die Aufmerksamkeit für langandauernde Vertreibungssituationen. Ab 2009 erschien eine Reihe von Publikationen zum Thema »protracted displacement«, die den Begriff in der öffentlichen Debatte etablierten.97 Dieser neue Fokus fand wiederum Eingang in den politischen Diskurs: In ihrer Resolution zu Binnenvertreibung aus dem Jahr 2014 griff die VN-Generalversammlung das Kon­zept auf und erweiterte die in den vorhergegangenen Resolutionen verankerte humanitäre und menschenrechtliche Perspektive um eine entwicklungspolitische Dimension.98 Die mit Binnenvertreibung befass­ten VN-Akteure und Nichtregierungsorganisationen knüpften an diesen Perspektivwechsel an und warben dafür, Binnenvertreibung im Kontext internationaler entwicklungspolitischer Prozesse zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist es als große Errungenschaft zu werten, dass Binnenvertriebene als vulne­rable Gruppe in den 2015 verabschiedeten Globalen Nachhaltigkeitszielen erwähnt werden.

Parallel hierzu hat sich zwischen OCHA, UNHCR und IOM ein Konsens herausgebildet, dass die akute Notversorgung von Vertriebenen nicht ausreicht, sondern dass auch humanitäre Akteure in ihren Stra­tegien und Arbeitsprogrammen von Anfang an das gesamte »Vertreibungs-Kontinuum« im Blick behalten müssen, von Prävention bis hin zu dauerhaften Lösun­gen. In jüngeren Positionspapieren bekennen sich alle drei Organisationen zu der Notwendigkeit, frühzeitig mit zahlreichen lokalen Akteuren zusammenzuarbeiten, Kapazitätsaufbau zu betreiben und die Belange von Binnenvertriebenen zu vertreten, sowohl auf nationaler Ebene als auch innerhalb von Fachressorts und Kommunalverwaltungen. Insgesamt zeichnen sich die Neupositionierungen durch eine stärker ent­wicklungsorientierte Sicht auf den Themen­komplex Binnenvertreibung aus, als dies noch vor wenigen Jahren der Fall war.99

Im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte hat sich also ein diskursiver Wandel vollzogen. Er bewirkte, dass Binnenvertreibung heute nicht mehr als rein huma­nitäres Problem, sondern als mehrdimensionale Auf­gabe verstanden wird, die sowohl humanitäre als auch menschenrechtliche und entwicklungspolitische Aspekte einschließt. Diese Perspektiverweiterung ging damit einher, dass immer mehr internationale Akteure sich konzeptionell oder operativ im Bereich Binnenvertreibung engagieren.

Grafik 5

In ihrem Zusammenspiel bilden die Handlungen dieser Akteure ein globales Regime zu Binnenvertreibung, das sich langsam verdichtet (siehe Grafik 5). Mit Ausnahme der IOM, die sich sowohl humanitär als auch entwick­lungspolitisch betätigt, sind die beteiligten Akteure allerdings jeweils fest in einer der drei Dimensionen verwurzelt. Hieraus ergibt sich in institutioneller Hinsicht eine »leere Mitte«. Dem neuen Binnen­vertreibungsregime, dessen Normen und Standards sich derzeit herausbilden, fehlt ein Akteur, der als zentraler politischer Fürsprecher für die Belange von Binnenvertriebenen fungiert. Die Expertinnen und Experten zum Thema Binnenvertrei­bung sind sich einig, dass es einer solchen Position bedarf, um echte Verbesserungen bei Schutz und Unterstützung für Binnenvertriebene zu erzielen.100 Sinnvoll wäre daher, den Posten eines Sonderbeauftragten für Binnen­vertriebene wieder einzuführen, der direkt dem VN-Generalsekretär unterstellt ist und das Thema in all seinen Dimensionen bearbeitet. Im Sinne des Triple Nexus sollte auch die Peacebuilding-Dimension von Binnenvertreibung stärker berücksichtigt und sollten die entsprechenden Akteure früh­zeitig und systematisch in Debatten um Binnenvertreibung eingebunden werden.

Nationale Schutzinstrumente

Weil die VN-Leitlinien betreffend Binnenvertreibungen völkerrechtlich nicht bindend sind, entfalten sie nur dann Wirkung, wenn sie in nationale Rechts­systeme integriert werden. Dass dies in zunehmendem Maße der Fall ist, spricht für ihre inzwischen gefestigte und weiter wachsende Bedeutung.101 Die Umsetzung der Leitlinien in nationales Recht kann unterschiedliche Formen annehmen. Sie kann ent­weder in nationale Gesetzgebung münden oder sich in Politikinstrumenten und Aktionsplänen niederschlagen, die auf den Leitlinien basieren.

Gesetze allein reichen nicht aus, wenn es an Ressourcen mangelt oder das Rechtssystem eines Landes überlastet ist.

Eine gesetzliche Grundlage ist wichtig, um staat­liche Autoritäten in die Pflicht zu nehmen und um die Rechte, die Binnenvertriebenen zustehen, einklag­bar zu machen. Allerdings sind Gesetzgebungs­verfahren in der Regel aufwendig und langwierig, und Gesetze allein reichen nicht aus, wenn es in erster Linie an Ressourcen mangelt oder wenn das Rechtssystem eines Landes prinzipiell überlastet oder aus anderen Gründen nicht funktionsfähig ist. Politikinstrumente wie ministerielle Beschlüsse, Verordnungen oder Aktionspläne lassen sich zum einen schneller verabschieden und erleichtern es zum anderen, allgemein gehaltene gesetzliche Rege­lungen in konkreten Vertreibungssituationen anzu­wenden. Bis heute wurde der Schutz von Binnen­vertriebenen in 14 Ländern gesetzlich verankert; in 35 Ländern existieren relevante Politikinstrumente in diesem Bereich.102 Dabei spielen internationale Akteure eine ambivalente Rolle: Einerseits sind unter ihrer Anleitung fortschrittliche nationale Rechts­instrumente entstanden, andererseits haben inter­nationale Akteure kaum Einfluss auf die Umsetzung entsprechender Bestimmungen.103 Wichtiger sind häufig die Positionen subnationaler Akteure. In Afghanistan zum Beispiel scheitert die Umsetzung der 2013 verabschiedeten afghanischen National Policy on Internal Displacement aufgrund ungelöster Landkonflikte an Widerständen auf regionaler und lokaler Ebene.104 Dagegen wurden die Bemühungen um ein nationales Schutzinstrument in Äthiopien maßgeblich durch eine vorangegangene Initiative auf regionaler Ebene angeregt.105

Angesichts der Schwierigkeiten in der Anwendung vertreibungsspezifischer Rechts- und Politikinstrumente lohnt es sich, auch andere Formate zu erkun­den. Je nach Kontext kann ein sektoraler Ansatz, der die Bedarfe von Binnenvertriebenen in unterschied­lichen Politikfeldern systematisch berücksichtigt, eine effektivere Form des Schutzes darstellen. Ein Beispiel dafür wäre, den Schulzugang minderjähriger Binnen­vertriebener im nationalen Bildungsgesetz festzuschreiben.106 Aus entwicklungspolitischer Perspektive ist das »mainstreaming« der Belange von Binnen­vertriebenen in nationaler Gesetzgebung besonders dann vielversprechend, wenn damit die bestehenden Strukturen inklusiver gemacht werden, statt wenig nachhaltige Parallelstrukturen zur Unterstützung Binnenvertriebener aufzubauen.107

Die bislang 29 afrikanischen Staaten, welche der Kampala-Konvention beigetreten sind, haben sich mit der Ratifizierung verpflichtet, die dort enthaltenen Bestimmungen zum Schutz und zur Unter­stützung von Binnenvertriebenen in nationales Recht zu überführen. Bisher hat dies nur ein einziger Staat getan: Im Dezember 2018 verabschiedete die nigrische Nationalversammlung ein entsprechendes Gesetz. Vorausgegangen war ein umfangreicher nationaler Beratungsprozess, der von UNHCR und der Sonder­berichterstatterin für die Menschenrechte von Binnen­vertriebenen unterstützt wurde und an dem sich neben staatlichen Akteuren auch traditionelle und religiöse Autoritäten beteiligten.108 Dieses Beispiel zeigt, dass internationale Akteure vor allem mit ihrer Unterstützung für nationale Verwaltungen dazu beitragen können, der Kampala-Konvention in den einzelnen Staaten mehr Geltung zu verschaffen.

Überzeugungsarbeit auf regionaler Ebene ist wirkungsvoller als wirtschaftliche Sanktionen oder militärische Drohgebärden.

Der insgesamt schleppende Fortschritt bei Rati­fizierung und Umsetzung der Konvention deutet auf mangelnden politischen Willen hin. Regionale und (sub-) regionale Foren spielen eine wichtige Rolle dabei, den Prozess voranzutreiben, etwa die Entwicklungsorganisation Intergovernmental Authority on Development (IGAD), die Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (Southern African Development Community, SADC) und die Westafrikanische Wirt­schaftsgemeinschaft (Economic Community of West African States, ECOWAS). Der thematische Austausch unter benachbarten Staaten, die häufig vor ähnlichen Herausforderungen stehen, kann die Bereitschaft nationaler Entscheidungsträger erhöhen, sich für den Schutz von Binnenvertriebenen zu engagieren.109 In diesem Bereich hat der GP20-Prozess neue Impulse gesetzt. So verpflichteten sich Senegal und Kap Verde nach einem Treffen von Parlamentariern aus ECOWAS-Staaten mit den regionalen Vertretern des GP20-Pro­zesses im März 2019 dazu, die Kampala-Konvention zu ratifizieren.110 Eine 2018 erschienene quantitative Studie zur Wirksamkeit der VN-Leitlinien betreffend Binnenvertreibungen stützt die These, dass regionale Foren und Akteure eine zentrale Rolle spielen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass auf regionaler Ebene geleistete Überzeugungsarbeit größeren Ein­fluss auf die nationale Umsetzung der VN-Leitlinien hat als wirtschaftliche Sanktionen oder militärische Drohgebärden.111 Dies ist eine wichtige Lehre für zukünftige Bemühungen um den Schutz von Binnen­vertriebenen.

Perspektiven und Handlungs­spielräume für internationales Engagement

Binnenvertreibung ist häufig eine direkte Folge von Kriegen und gewaltsamen Konflikten. In diesen Situa­tionen sind die drängendsten Herausforderungen zu­nächst nicht vertreibungsspezifisch. Stattdessen geht es – wie derzeit in Syrien – um die weitaus größe­ren Handlungsfelder Konfliktbeilegung, Wieder­aufbau und Versöhnung. Auch im Fall verheerender Naturkatastrophen steht die akute Nothilfe für alle Betroffenen an erster Stelle, unabhängig davon, ob sie vertrieben wurden oder nicht. Grundlegend anders ist die Situation bei langandauernder Binnenvertreibung im Sinne von »protracted displacement«, also wenn sich vertreibungsbedingte Benachteiligungen verstetigen. In diesem Fall ist die Lage der Betroffenen keine unvermeidliche Folge akuter Auslöser, sondern entweder politisch intendiert oder das Ergebnis poli­tischer Versäumnisse oder mangelnder Kapazitäten auf Seiten der jeweiligen Regierung.

Für internationale Akteure, die helfen möchten, Binnenvertreibung zu mindern, ergibt sich hieraus ein Dilemma. Auf der einen Seite besteht vertreibungsspezifischer Handlungsbedarf, der weit über das üb­liche Repertoire humanitärer Hilfe hinausgeht. Auf der anderen Seite weisen diese Situationen direkt auf staatliches Verschulden oder staatliche Defizite hin und sind damit politisch hochsensibel. Internationale Unterstützungsangebote, die in erster Linie menschen­rechtlich begründet sind, werden von den Regierungen betroffener Staaten häufig als rufschädigend wahrgenommen und daher als unzulässiger Eingriff in die inneren Angelegenheiten abgelehnt. Neue Zugänge eröffnet der in den vergangenen Jahren voll­zogene Diskurswechsel von einem rein rechtebasierten zu einem stärker entwicklungsorientierten Ansatz, der an das Eigeninteresse von Staaten appelliert. Was aber sind konkrete Beiträge, die Entwicklungsakteure im Kontext von Binnenvertreibung leisten können? In Anlehnung an die VN-Leitlinien betreffend Binnen­vertreibungen ist es sinnvoll, bei der Antwort auf diese Frage drei Phasen zu unterscheiden, nämlich Prävention, akute Vertreibungssituationen und die Suche nach dauerhaften Lösungen.

Vermeidung von Binnenvertreibung

Im Bereich Prävention kann die Entwicklungszusam­menarbeit durch ihre regulären, nicht vertreibungsspezifischen Aktivitäten und Ziele eine wichtige Rolle spielen. Da arme und marginalisierte Bevölkerungsgruppen überdurchschnittlich häufig von Binnenvertreibung betroffen sind, bilden Armutsbekämpfung und Demokratieförderung wichtige Pfeiler jeder Prä­ventionsstrategie. Darüber hinaus allerdings unter­scheiden sich solche Strategien je nach Kontext und Ursache möglicher Vertreibungen. Krisenprävention ist die beste Maßnahme gegen konfliktbedingte Binnenvertreibungen. Im Vorfeld akuter gewaltsamer Konflikte sind in erster Linie außen- und sicherheitspolitische Interventionen gefragt. Zu einem früheren Zeitpunkt jedoch kann die Entwicklungspolitik einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie gute Regierungsführung fördert und die Menschenrechte stärkt. Ansätze der Friedens- und Versöhnungsarbeit können gerade auf lokaler Ebene das Risiko wiederholter Vertreibungen senken.

Prävention von Vertreibung darf nicht zu verordneter Immobilität führen.

Vertreibungen aufgrund akuter Naturkatastrophen lassen sich dagegen mit einer Reihe von Maßnahmen verringern, wenngleich nicht völlig verhindern. Dazu gehört, Wissen über Naturereignisse zu verbreiten und darauf aufbauend langfristige Anpassungen im Siedlungsverhalten vorzunehmen, des Weiteren Katastrophenschutz und nachhaltige Infrastrukturplanung. Bei schleichenden Umweltveränderungen ist die Palette möglicher Präventionsstrategien breiter. Sie umfasst Resilienzförderung und Klimaadaptationsstrategien, immer Hand in Hand mit Maßnahmen, welche die strukturelle Diskriminierung marginalisierter Gruppen reduzieren sollen. Gerade in diesem Bereich ist entscheidend, dass die Prävention von Vertreibung nicht zu verordneter Immobilität führt. Zum einen ist es das Recht jedes Einzelnen, sich innerhalb des eigenen Landes frei zu bewegen. Zum anderen ist die Grenze zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Mobilität unscharf, weil Migration selbst eine weit verbreitete Klimaadaptationsstrategie darstellt.112

Ansätze im Falle langandauernder Vertreibung

Lange galten akute Vertreibungssituationen als Betätigungsfeld humanitärer Akteure, Ansätze für längerfristige Lösungen dagegen als Zuständigkeits­bereich von Entwicklungsakteuren. Inzwischen wird diese Chronologie in Frage gestellt. Auch in Situationen, in denen etwa die von Betroffenen gewünschte Rückkehr an den Heimatort noch nicht möglich ist, sollte versucht werden, Marginalisierung und Vulne­rabilitäten der Binnenvertriebenen zu verringern und deren Eigenständigkeit zu erhöhen. Auf diese Weise können sie auf später mögliche dauerhafte Lösungen vorbereitet werden.113 In erster Linie geht es darum, jene staatlichen Autoritäten in die Pflicht zu nehmen, denen es obliegt, die Rechte ihrer eigenen Bürger und Bürgerinnen zu wahren. Entwicklungspolitische Akteure sollten daher die Handlungskapazitäten lokaler Verwaltungen in den Regionen stärken, in denen Binnenvertriebene Zuflucht gesucht haben, und die zuständigen Behörden beim Ausbau von Infrastruktur und Basisdienstleistungen unterstützen. Bei längerer Vertreibungsdauer ist dies essentiell, um zu verhindern, dass sich als Nothilfe gedachte Maßnahmen verstetigen und Parallelstrukturen entstehen. Besondere Unterstützung brauchen Binnen­vertriebene in vielen Ländern beim Zugang zu politi­schen Rechten und zu Einkommensmöglichkeiten. Beide Elemente sind ausschlaggebend dafür, Eigen­ständigkeit und Selbstbestimmung der Betroffenen zu stärken. Auch wenn Binnenvertriebene spezifische Bedarfe haben mögen, ist es wichtig, gleichzeitig den Unterstützungsbedarf nicht von Vertreibung betroffe­ner Personen anzuerkennen, um Verteilungskonflikten vorzubeugen. Immer mehr setzen sich daher gebietsbezogene Ansätze (area-based approaches) durch, die alle in einer Region ansässigen Personen unterstützen und damit auch die Bedarfe der auf­neh­menden Gemeinden berücksichtigen.

Einen weiteren wesentlichen Beitrag können Ent­wicklungsakteure leisten, indem sie offenen und transparenten Umgang mit dem immer noch häufig tabuisierten Phänomen Binnenvertreibung fördern. Bemühungen menschenrechtlicher Akteure in diese Richtung werden leicht als ungerechtfertigte Kritik von außen wahrgenommen. Akteure der Entwicklungszusammenarbeit dagegen können ihre schon bestehenden Zugänge zu staatlichen Akteuren nutzen, um auf die gesamtgesellschaftlichen Kosten und Risiken vor allem langandauernder Binnenvertreibung hinzuweisen. Das käme einer politischen Kultur zugute, in der das Thema offen diskutiert wird. Eine solche offene Gesprächskultur sowie syste­matische Datenerhebung bilden Grundvoraussetzungen dafür, wirksame Lösungsansätze zu erarbeiten.

Dauerhafte Lösungen

Das Konzept dauerhafter Lösungen basiert auf der Annahme, dass die besonderen Bedarfe von Binnenvertriebenen weder in dem Moment enden, in dem diese vorübergehenden Schutz gefunden haben, noch dann, wenn der ursprüngliche Vertreibungsgrund wegfällt. Unabhängig vom zukünftigen Aufenthaltsort gilt Binnenvertreibung erst dann als beendet, wenn die Betroffenen keinen vertreibungsbedingten Unterstützungsbedarf mehr haben und den gleichen Zugang zu Rechten genießen wie nicht von Vertreibung betroffene Mitbürger.114

Wie in allen binnenvertreibungsbezogenen Belangen stehen zuallererst staatliche Akteure in der Pflicht, die Rechte ihrer eigenen Bürger zu wahren. Während dieser Phase können sich Entwicklungs­akteure in zweierlei Hinsicht konstruktiv einbringen. Zum einen sollten sie sich dafür einsetzen, dass die Belange von Binnenvertriebenen systematisch in nationalen Entwicklungsplänen und sektoralen Politik­prozessen berücksichtigt werden. Zum anderen gilt es, den Weg hin zu dauerhaften Lösungen partizipativ zu gestalten. Nur wenn die Betroffenen in Planungs- und Managementprozesse einbezogen werden, lässt sich gewährleisten, dass ihren Rechten und Bedarfen Rechnung getragen wird. Ein Beispiel ist die freie Wahl des Wohnortes innerhalb des eigenen Landes: Je nach politischem Kontext haben staatliche Akteure eine klare Präferenz für oder gegen die baldige Rück­kehr der Vertriebenen an ihren vorherigen Wohnort. Sowohl eine erzwungene Rückkehr als auch eine Umsiedelung auf staatlichen Druck hin verstetigen jedoch die vertreibungsbedingte Benachteiligung der betroffenen Personen gegenüber ihren Mitbürgern. Dauerhafte Lösungen lassen sich nur verwirklichen, wenn Binnenvertriebene in die Lage versetzt werden, eine freiwillige und fundierte Entscheidung darüber zu treffen, wo sie sich langfristig ansiedeln wollen.

Bei allem Bemühen um dauerhafte Lösungen muss man anerkennen, dass nicht in jeder Situation und nicht für jeden Betroffenen ein ideales Ergebnis zu erzielen ist. Auch freiwillige Rückkehr bedeutet in vielen Fällen die Rückkehr an den Ort früherer Gewalterfahrungen. Selbst wenn sich die Betroffenen wieder am selben Ort wie zuvor ansiedeln würden, hieße das nicht zwingend, dass sie sich dort auch in Zukunft noch heimisch fühlen.115 Gerade im Falle konfliktinduzierter Vertreibung gilt es, die rechte­basierte Perspektive mit dem Einzelnen im Mittelpunkt um eine Sichtweise zu ergänzen, in der die Belange lokaler Gemeinschaften in den Blick genom­men werden. Zum einen ist es unerlässlich, die Betroffenen in Friedensprozesse einzubinden, wenn es darum geht, Konflikte dauerhaft zu schlichten und das Risiko wiederholter Vertreibung zu verringern. Zum anderen schließt umfassende Friedens- und Versöhnungsarbeit auch ein, unterschiedliche Modelle von Wiedergutmachung abzuwägen. Werden nach Beilegung großer gewaltsamer Konflikte umfang­reiche individuelle Kompensationszahlungen gesetz­lich verankert, ohne dass die Umsetzung sicher­gestellt ist, schürt dies Erwartungen, die nicht erfüllt werden können. Friedensfördernder mag es in solchen Fällen sein, dem Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen und einem inklusiven politischen System Vorrang einzuräumen.

Fazit – Empfehlungen für die deutsche Politik

Die hohen und weiter steigenden Zahlen von Binnen­vertriebenen gehen mit wirtschaftlichen und sozialen Kosten einher und erhöhen die Gefahr, dass gewaltsame Konflikte entstehen. Daher muss die internationale Gemeinschaft dringend nach dauerhaften Lösun­gen suchen und weitere Vertreibungen verhindern. Neue Handlungsoptionen eröffnet der Perspektivwechsel hin zu einem stärker entwicklungspolitisch geprägten Umgang mit Binnenvertreibung. Die deutsche Regierung sollte ihre Ressourcen bündeln und sich vor allem für tragfähige Lösungen enga­gieren. Dazu müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen wäre dafür zu sorgen, dass verläss­lichere Daten generiert werden können. Zum anderen gilt es, Gelegenheitsfenster für politische Initiativen in Ländern mit Binnenvertreibung zu erkennen, und zwar sowohl auf nationaler als auch auf subnationaler Ebene.

Wichtige Partner bei dieser Arbeit sind nicht nur die einschlägigen VN-Organisationen, sondern auch die Nichtregierungsorganisationen IDMC und JIPS, die sich schwerpunktmäßig mit Binnenvertreibung befassen. IDMC setzt immer stärker auf Präsenz vor Ort, um bestehende Daten zu Binnenvertreibung nutzbar zu machen und den politischen Willen nationaler Entscheidungsträger zu stärken, sich dem Phänomen zu stellen. Diese internationale Präsenz bildet eine relativ neue Facette in der Arbeit von IDMC und macht neue Finanzierungsquellen not­wendig. JIPS dagegen setzt mit seinen lokalen Bedarfs­analysen genau dort an, wo die entwicklungspolitische Programmarbeit beginnt. Bei der Bewältigung von Binnenvertreibung gewinnt der entwicklungs­orientierte Ansatz immer mehr an Boden. Er sollte aber nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zum bisher vorherrschenden menschenrechtlich geprägten Ansatz verstanden werden. So ließe sich die Verbindung zwischen den beiden Welten festigen, indem ein Vertreter aus dem Büro der Sonderbeauftragten für die Menschenrechte von Binnenvertriebenen in das Crisis Bureau von UNDP entsandt wird. Hierfür könnte die Bundesregierung die Kosten über­nehmen.

Die zentrale politische Herausforderung bildet das Spannungsverhältnis zwischen nationaler Souve­ränität und Unterstützung von außen. Deshalb kann es echte Fortschritte im Bereich Binnenvertreibung nur im Einvernehmen mit den betroffenen Staaten geben. Die Besetzung des vor kurzem eingerichteten UN High-Level Panel zu Binnenvertreibung lässt hoffen, dass einige der dort vertretenen Staaten bereit sind, auf internationaler Ebene neue Impulse zu setzen. Diesen Prozess sollte die deutsche Regierung unter­stützen. Sie sollte sich auf VN-Ebene dafür stark machen, dass aus den gebündelten Erfahrungen des High-Level Panel und des GP20 Plan of Action ein längerfristiger staatengeleiteter Pro­zess hervorgeht, der die internationale Gemeinschaft im Kontext von Binnenvertreibung handlungsfähiger macht. Keinesfalls sollten diese prozessorientierten Neue­rungen aber den drängenden Handlungsbedarf im bestehenden Institutionengefüge überdecken. Ein Schritt in die richtige Richtung bestände darin, das Amt der VN-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechte von Binnenvertriebenen finanziell und personell besser auszustatten. Politisch deutlich wirkungsvoller wäre allerdings, erneut den Posten eines VN-Sonderbeauftragten für Binnenvertriebene einzurichten, der dem VN-Generalsekretär direkt unterstellt ist.

Eine zentrale und vordringliche Aufgabe lautet, die bestehenden Finanzierungsinstrumente den tatsächlichen Bedarfen anzupassen, die aus Binnenvertreibung erwachsen. Die Bundesregierung sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen. So sollte sie flexible und mehrjährige Mittel bereitstellen, die keine künstliche Trennung kurz- und längerfristiger Unterstützungsmaßnahmen erzwingen. Darüber hinaus sollte sie das Potential von Finanzierungsinstrumenten erkunden, die im Sinne von »anti­cipatory action« einer vorausschauenden statt einer reaktiven Logik folgen, und sollte sich zudem für entsprechende Reformen auf internationaler Ebene einsetzen.116

Deutschland ist ein wichtiges Zielland für Migranten und Flüchtlinge. Dies hat unter anderem zur Folge, dass die Rückkehr abgelehnter Asylbewerber und anderer Personen ohne legalen Aufenthaltsstatus von großer innenpolitischer Bedeutung ist. Angesichts der weitreichenden negativen Auswirkungen von Binnenvertreibung sollte sich die deutsche Regierung allerdings bemühen, Rückführungen in die Binnenvertreibung zu vermeiden. Hieraus ergibt sich auch die Notwendigkeit, genauer als bisher zu definieren, was unter erfolgreicher Rückkehr zu ver­stehen ist.

Abkürzungsverzeichnis

ANP Awami National Party

AU Afrikanische Union

COHRE Centre on Housing Rights and Evictions (Genf)

CRED Centre for Research on the Epidemiology of Disasters (Brüssel)

DAC Development Assistance Committee (OECD)

ECOWAS Economic Community of West African States

EGRIS Expert Group on Refugee and Internally Displaced Persons Statistics

FATA Federally Administered Tribal Areas

HLP High-Level Panel

IASC Inter-Agency Standing Committee

ICGLR International Conference on the Great Lakes Region

IDA International Development Association

IDMC Internal Displacement Monitoring Centre (Genf)

IDP Internally Displaced Person

IGAD Intergovernmental Authority on Development

IKRK Internationales Komitee vom Roten Kreuz

IOM Internationale Organisation für Migration (Genf)

JIPS Joint IDP Profiling Service (Genf)

MQM Muttahida Qaumi Movement

NOREF Norwegian Peacebuilding Resource Centre (Oslo)

OCHA United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs

ODI Overseas Development Institute (London)

OECD Organisation for Economic Co-operation and Development

OHCHR Office of the High Commissioner for Human Rights (UN)

PPP Pakistan Peoples Party

R2P Responsibility to Protect

SADC Southern African Development Community

UN United Nations

UNDP United Nations Development Programme

UNHCR United Nations High Commissioner for Refugees

VN Vereinte Nationen

Endnoten

1

 Vereinte Nationen, Leitlinien betreffend Binnenvertreibungen. Einleitung, Anwendungsbereich und Zweck, E/CN.4/1998/53/Add.2, Anlage, 11.2.1998, S. 5, <https://www.un.org/Depts/german/ wiso/e-cn4-1998-53-add.2.pdf> (Zugriff am 10.12.2019).

2

 Walter Kälin, Guiding Principles on Internal Displacement. Annotations, Washington, D.C.: American Society on Inter­national Law, 2000 (Studies in Transnational Legal Policy, Nr. 32), S. 2.

3

 Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC), Global Report on Internal Displacement 2019, Genf, Mai 2019, S. 5.

4

 World Bank, Forcibly Displaced. Toward a Development Approach Supporting Refugees, the Internally Displaced, and Their Hosts, Washington, D.C., 2017, S. 18

5

 Norwegian Refugee Council, The World’s Most Neglected Displacement Crises (online), 5.6.2019, <https://www.nrc.no/ shorthand/fr/the-worlds-most-neglected-displacement-crises/ index.html> (Zugriff am 16.10.2019).

6

 Vgl. Centre for Research on the Epidemiology of Disasters (CRED), People Affected by Conflict. Humanitarian Needs in Numbers, Brüssel, Dezember 2013, S. 17.

7

 Christelle Cazabat/Marco Tucci, Unveiling the Cost of Internal Displacement, Genf: IDMC, Februar 2019, S. 6.

8

 Ebd., S. 5.

9

Vgl. Alexandra Bilak/Avigail Shai, »Internal Displacement beyond 2018: The Road Ahead«, in: Forced Migration Review, 59 (2018), S. 49–51 (51).

10

 Vgl. Walter Kälin/Hannah Entwisle Chapuisat, Breaking the Impasse. Reducing Protracted Internal Displacement as a Collec­tive Outcome, New York: United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA): 2017 (OCHA Policy and Studies Series), S. 2.

11

 Heidrun Bohnet/Fabien Cottier/Simon Hug, »Conflict-induced IDPs and the Spread of Conflict«, in: Journal of Conflict Resolution, 62 (2018) 4, S. 691–716.

12

 Sarah Kenyon Lischer, »Security and Displacement in Iraq«, in: International Security, 33 (2008) 2, S. 95–119; Héloïse Ruaudel, Armed Non-state Actors and Displacement in Armed Conflict, Genf: Geneva Call, 2013, S. 8–13.

13

 Vgl. Robert Muggah, »Protection Failures: Outward and Inward Militarization of Refugee Settlements and IDP Camps in Uganda«, in: Robert Muggah (Hg.), No Refuge: The Crisis of Refugee Militarization in Africa, London: Zed Books, 2006, S. 89–136; Clea Kahn, Conflict, Arms, and Militarization: The Dynamics of Darfur’s IDP Camps, Genf: Small Arms Survey, 2008, S. 35.

14

 Nils Petter Gleditsch/Ragnhild Nordås/Idean Salehyan, Climate Change, Migration and Conict: The Migration Link, New York: International Peace Academy, Mai 2007 (Coping with Crisis Working Paper Series); Rafael Reuveny, »Climate Change-induced Migration and Violent Conflict«, in: Political Geography, 26 (2007) 6, S. 656–673.

15

 Heidrun Bohnet/Fabien Cottier/Simon Hug, Conflict versus Disaster-induced Migration. Similar or Distinct Implications for Security?, Paper Prepared for Presentation at the 55th ISA Annual Convention, Toronto, 26.–29.3.2014.

16

 Die scharfe Trennlinie zwischen den beiden Kategorien ist rein schematisch und kann den in der Realität vorhandenen Graubereichen nicht Rechnung tragen: So werden gewaltsame Konflikte auch von nichtstaatlichen Akteuren aus­gefochten, private Unternehmen tragen die Verantwortung für große Infrastrukturprojekte, und staatliche Akteure sind in kriminelle Netzwerke verstrickt.

17

 Vgl. World Bank, Forcibly Displaced [wie Fn. 4], S. 45. Ein aktuelles Beispiel ist Syrien, mit 6,6 Millionen Binnenvertriebenen derzeit das am stärksten betroffene Land.

18

 Vgl. Adam G. Lichtenheld, Explaining Population Displacement Strategies in Civil Wars: A Cross National Analysis (erscheint voraussichtlich 2020 in International Organization).

19

 Vgl. Kälin/Chapuisat, Breaking the Impasse [wie Fn. 10], S. 16.

20

 Vgl. IDMC, »2018 Internal Displacement Figures by Country«, Global Internal Displacement Database, <http://www. internal-displacement.org/database/displacement-data> (Zugriff am 16.10.2019).

21

 United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), Global Trends. Forced Displacement in 2018, Genf, Juni 2019, S. 17.

22

 Für eine Typologie relevanter Umweltveränderungen vgl. IDMC, Displacement Due to Natural Hazard-induced Disasters. Global Estimates for 2009 and 2010, Genf, Juni 2011, S. 7.

23

 Ebd., S. 13.

24

 IDMC, Global Report on Internal Displacement 2019 [wie Fn. 3], S. 83.

25

 In folgenden Ländern kam es 2018 zu den meisten kata­strophenbedingten Fällen von Binnenvertreibung: Philip­pinen (3 802 000), China (3 762 000), Indien (2 675 000), USA (1 247 000), Indonesien (853 000), Nigeria (613 000), Somalia (547 000), Afghanistan (435 000), Kenia (336 000) und Myan­mar (298 000).

26

 Vgl. IDMC, »2018 Internal Displacement Figures by Country« [wie Fn. 20].

27

 World Bank, Resettlement and Development. The Bankwide Review of Projects Involving Involuntary Resettlement 1986–1993, Washington, D.C., März 1996 (Environment Department Papers, Nr. 32).

28

 Nadine Walicki/Michael J. Ioannides/Bryan Tilt, Dams and Internal Displacement. An Introduction, Genf: IDMC, April 2017 (Case Study Series), S. 2.

29

 Vgl. Nadine Walicki, Expert Roundtable on Displacement Caused by Development. Event Summary, Genf: IDMC, August 2017, S. 6.

30

 Die Grenze zwischen gewaltsamen Konflikten und organisierter Kriminalität ist nicht immer trennscharf. In Kolumbien etwa vermischen sich diese beiden Ursachen für Vertreibung. Vgl. Adriaan Aalsema, »Colombia Has Highest Number of Internally Displaced People«, Colombia Reports, 19.6.2018, <https://colombiareports.com/colombia-has-highest-number-of-internally-displaced-people/> (Zugriff am 10.12.2019).

31

 David James Cantor, »The New Wave: Forced Displacement Caused by Organized Crime in Central America and Mexico«, in: Refugee Survey Quarterly, 33 (2014) 3, S. 34–68.

32

 Vgl. IDMC, »Understanding and Estimating Displacement in the Northern Triangle of Central America«, Genf, September 2018, <http://www.internal-displacement.org/ research-areas/criminal-violence> (Zugriff am 16.10.2019).

33

 IDMC, Global Report on Internal Displacement 2016, Genf, Mai 2016, S. 45.

34

 IDMC, Mini Global Report on Internal Displacement 2017, Genf, Mai 2017, S. 27f.

35

 Vgl. Elizabeth Ferris, »Internal Displacement and the Right to Seek Asylum«, in: Refugee Survey Quarterly, 27 (2008) 3, S. 76–92.

36

 In Kolumbien beispielsweise machen Frauen, Kinder und ethnische Minderheiten einen überproportional großen Teil aller Binnenvertriebenen aus, vgl. James M. Shultz et al., »Internal Displacement in Colombia. Fifteen Distinguishing Features«, in: Disaster Health, 2 (2014) 1, S. 13–24 (13f).

37

 Katy Long, Permanent Crises? Unlocking the Protracted Displacement of Refugees and Internally Displaced Persons, Oxford: Refugee Studies Centre, Oktober 2011.

38

 Ebd., S. 6.

39

 Vgl. Mehari Taddele Maru, Causes, Dynamics, and Consequences of Internal Displacement in Ethiopia, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Mai 2017 (Division Global Issues, Working Paper).

40

 Mark Yarnell, »Ethiopia: Abiy’s Misstep on IDPs and How He Can Fix It«, African Arguments (online), 24.10.2018, <https://africanarguments.org/2018/10/24/ethiopia-idps-abiy-misstep-fix/> (Zugriff am 14.10.2019).

41

 IDMC, Global Report on Internal Displacement 2019 [wie Fn. 3].

42

 Human Rights Watch, »Ethiopia: Abiy’s First Year as Prime Minister. Review of Conflict and Internally Displaced Persons«, 9.4.2019, <https://www.hrw.org/news/2019/04/09/ ethiopia-abiys-first-year-prime-minister-review-conflict-and-internally-displaced> (Zugriff am 16.10.2019).

43

 Vgl. IDMC, Global Report on Internal Displacement 2016 [wie Fn. 33], S. 26. Das IDMC hebt in seinen Jahresberichten regelmäßig hervor, dass die für Pakistan verfügbaren Daten zu Binnenvertreibung unzulänglich sind, da sie nur die Betroffenen in der ehemaligen FATA-Region berücksichtigen.

44

 Sohail Ahmad/Sadia Sohail/Muhammad Shoaib Malik, »Displacement from FATA Pakistan (2009–2016): Issues and Challenges«, in: Global Regional Review, 1 (2016) 1, S. 48–60 (50).

45

 »PM Has Given Clear Instructions Not To Seek External Assistance: FO«, in: The Express Tribune (online), 10.7.2014, <https://tribune.com.pk/story/733684/pm-has-given-clear-instructions-not-to-seek-external-assistance-fo/> (Zugriff am 18.2.2020).

46

 Vgl. United Nations, Department of Economic and Social Affairs, World Urbanization Prospects: The 2018 Revision, New York 2019, S. 1.

47

 Nadine Biehler/David Kipp, Alternativen zu Flüchtlings­lagern. Städte sollten bei der Aufnahme von Menschen auf der Flucht international unterstützt werden, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, November 2019 (SWP-Aktuell 67/2019), S. 2; IDMC, Global Report on Internal Displacement 2019 [wie Fn. 3], S. 77.

48

 Michael Kugelman, Urbanisation in Pakistan: Causes and Consequences, Oslo: Norwegian Peacebuilding Resource Centre (NOREF), Januar 2013 (NOREF Expert Analysis), S. 2f; IDMC, Pakistan: Solutions to Displacement Elusive for Both New and Pro­tracted IDPs, Genf, 24.8.2015, S. 7.

49

 Irina Mosel/Ashley Jackson, Sanctuary in the City? Urban Displacement and Vulnerability in Peshawar, London: Overseas Development Institute (ODI), Mai 2013 (Humanitarian Policy Group Working Paper), S. 12.

50

 Gabriel Domínguez, »Pakistan’s Urbanization: ›A Challenge of Great Proportions‹«, Interview mit Michael Kugelman, Deutsche Welle (online), 30.12.2014, <https:// www.dw.com/en/pakistans-urbanization-a-challenge-of-great-proportions/a-18163731> (Zugriff am 14.10.2019).

51

 International Organization for Migration (IOM), Internal Displacement in Urban and Rural Areas. An Analysis of IDP Distribution and Access to Services in Nigeria and Ethiopia, Genf, Mai 2019, S. 11–13.

52

 IDMC, Global Report on Internal Displacement 2019 [wie Fn. 3], S. 84f.

53

 Ebd., S. 91.

54

 Ebd., S. 101.

55

 Ethnische Diversität ist zwar nicht per se konflikt­fördernd, aber Konfliktparteien mobilisieren ihre Anhänger häufig entlang ethnischer Linien, vgl. u.a. James D. Fearon, »Ethnic Mobilization and Ethnic Violence«, in: Barry R. Wein­gast/Donald Wittman (Hg.), The Oxford Handbook of Poli­tical Economy, Oxford: Oxford University Press, 2006, S. 852–868.

56

 Human Rights Watch, »Ethiopia: Abiy’s First Year as Prime Minister« [wie Fn. 42]; IDMC, Global Report on Internal Displacement 2019 [wie Fn. 3], S. 14.

57

 Vgl. Markos Ezra, Ecological Degradation, Rural Poverty, and Migration in Ethiopia: A Contextual Analysis, New York: Population Council, 2001 (Policy Research Division Working Paper Nr. 149); Maru, Causes, Dynamics, and Consequences of Internal Displacement in Ethiopia [wie Fn. 39], S. 7.

58

Tayyab Ali Shah, »Fresh Violence Threatens to Make Karachi the New Mogadishu«, The Jamestown Foundation Terrorism Monitor (online), 4.2.2011, <https://jamestown.org/ program/fresh-violence-threatens-to-make-karachi-the-new-mogadishu/>, »ANP Critical of Government Decision to Stop IDPs from Entering Karachi«, AAJ News (online), 24.5.2009, <http://www.aaj.tv/english/national/anp-critical-of-govern ment-decision-to-stop-idps-from-entering-karachi/> (Zugriff am 19.2.2020).

59

Sartaj Khan, »Karachi’s Great Middle Class Pashtun Hope«, in: The Friday Times (online), 6.10.2017, <https://www. thefridaytimes.com/karachis-great-middle-class-pashtun-hope/> (Zugriff am 19.2.2020).

60

 Waqqas Mir, »State Authorities Fail Citizens«, Develop­ment and Cooperation (online), 4.2.2016, <https://www.dandc. eu/en/article/pakistan-violates-rights-internally-displaced-people> (Zugriff am 18.2.2020).

61

 Zulfiqar Ali, »IDPs Unwilling to Return Will Be De­registered«, Dawn (online), 6.1.2017, <https://reliefweb.int/ report/pakistan/idps-unwilling-return-will-be-deregistered> (Zugriff am 14.12.2019).

62

 Alice Thomas, »Rising Waters, Broken Lives. Experience from Pakistan and Colombia Floods Suggests New Approaches Are Needed«, in: Susan F. Martin/Sanjula Weerasinghe/ Abbie Taylor (Hg.), Humanitarian Crises and Migration. Causes, Consequences and Responses, London/New York: Routledge, 2014, S. 53–76.

63

 IDMC, Pakistan: Displacement Caused by Conflict and Natural Disasters, Achievements and Challenges, Genf, 10.1.2012, S. 7.

64

 Maru, Causes, Dynamics and Consequences of Internal Displace­ment in Ethiopia [wie Fn. 39], S. 21.

65

 Ebd., S. 27f.

66

 Refugees International, Statement: Ethiopia’s Treatment of Its Own IDPs Making Crisis Worse (online), Washington, D.C., 18.5.2019, <https://www.refugeesinternational.org/reports/ 2019/5/17/ethiopias-treatment-of-its-own-idps-making-crisis-worse> (Zugriff am 14.10.2019).

67

 Vgl. UN Commission on Human Rights, Resolution E/CN.4/ RES/1992/73, 5.3.1992, <https://www.refworld.org/docid/3b00 f0e71c.html> (Zugriff am 10.2.2020). In der Folge verabschie­dete die VN-Menschenrechtskommission jedes Jahr eine Reso­lution zum Thema Binnenvertreibung; hinzu kamen ab 1994 Resolutionen der VN-Generalversammlung im zweijährigen Rhythmus. Der VN-Menschenrechtsrat, der die Menschenrechts­kommission 2006 ablöste, verabschiedet alle zwei bis drei Jahre eine neue Binnenvertreibungs-Resolution. Eine Übersicht über die Resolutionen findet sich unter Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR), Resolutions of the Human Rights Council, Previous Commission on Human Rights, and the General Assembly on Internally Displaced Persons, <https://www.ohchr.org/EN/Issues/IDPersons/Pages/Resolutions. aspx> (Zugriff am 16.10.2019).

68

 Vgl. u.a. die wiederholte Bestätigung der Leitlinien durch Resolutionen der Generalversammlung und des Men­schenrechtsrats der VN: UN General Assembly, Resolution A/RES/66/165, 22.3.2012, <https://undocs.org/en/A/RES/66/165> (Zugriff am 10.2.2020); UN Human Rights Council, Resolution A/HRC/RES/23/8, 20.6.2013, <https://undocs.org/en/A/HRC/RES/ 23/8> (Zugriff am 10.2.2020).

69

 Vgl. Vereinte Nationen, Leitlinien betreffend Binnenvertreibungen [wie Fn. 1].

70

 Vgl. Francis M. Deng, »Frontiers of Sovereignty: A Frame­work of Protection, Assistance, and Development for the Internally Displaced«, in: Leiden Journal of International Law, 8 (1995) 2, S. 249–286.

71

 Vereinte Nationen, Leitlinien betreffend Binnenvertreibungen [wie Fn. 1], S. 11.

72

 Francis M. Deng, »From ›Sovereignty as Responsibility‹ to the ›Responsibility to Protect‹«, in: Global Responsibility to Protect, 2 (2010) 4, S. 353–370. Sowohl die IDP-Leitlinien als auch das Konzept R2P wurden auf dem World Humanitarian Summit 2005 von der VN-General­versammlung in einer Resolution bestätigt, vgl. UN General Assembly, Resolution A/RES/60/1, 24.10.2005, <https://undocs.org/en/A/RES/60/1> (Zugriff am 10.2.2020).

73

 Vgl. Centre on Housing Rights and Evictions (COHRE), The Pinheiro Principles. United Nations Principles on Housing and Property Restitution for Refugees and Displaced Persons, Genf 2005, <https://www.humanitarianlibrary.org/sites/default/files/ 2014/07/99774.pdf> (Zugriff am 20.12.2019).

74

 Vgl. African Union, »Status List«, <https://au.int/en/ treaties/african-union-convention-protection-and-assistance-internally-displaced-persons-africa> (Zugriff am 11.2.2020).

75

 Vgl. The Brookings Institution/University of Bern, Addressing Internal Displacement: A Framework for National Responsibility, Washington, D.C./Bern, April 2005.

76

 Vgl. Walter Kälin, Report of the Representative of the Secre­tary-General on the Human Rights of Internally Displaced Persons, A/65/282, 11.8.2010; UN Human Rights Council, Framework on Durable Solutions for Internally Displaced Persons, A/HRC/13/21/ Add.4, 9.2.2010, <https://undocs.org/en/A/HRC/13/21/Add.4> (Zugriff am 10.2.2020).

77

 Vgl. UN General Assembly, Transforming Our World: The 2030 Agenda for Sustainable Development, Resolution A/RES/70/1, 21.10.2015, <https://undocs.org/en/A/RES/70/1> (Zugriff am 10.2.2020), United Nations, New Urban Agenda, <http://habi tat3.org/wp-content/uploads/NUA-English.pdf> (Zugriff am 10.2.2020).

78

 Vgl. Leave No One Behind: A Commitment to Address Forced Displacement, High-Level Leaders’ Roundtable, Core Responsibility Three of the Agenda for Humanity, World Humanitarian Summit, Istanbul, 23.–24.5.2016, <http://bit.ly/2T1fzsF> (Zugriff am 16.10.2019).

79

 Steffen Angenendt/Anne Koch, »Die internationale Zusammenarbeit in der Flüchtlings- und Migrationspolitik – fragmentierte Teilordnungen unter Veränderungsdruck«, in: Hanns W. Maull (Hg.), Auflösung oder Ablösung? Die internatio­nale Ordnung im Umbruch, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Dezember 2017 (SWP-Studie 21/2017), S. 73–89 (81).

80

 Vgl. VN-Generalversammlung, New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten, A/RES/71/1, 3.10.2016, <https://www. un.org/depts/german/gv-71/band1/ar71001.pdf> (Zugriff am 10.2.2020), United Nations, Global Compact on Refugees, New York 2018, <https://www.unhcr.org/5c658aed4> (Zugriff am 10.2.2020), UN General Assembly, Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration, A/RES/73/195, 11.1.2019, <https:// undocs.org/en/A/RES/73/195> (Zugriff am 10.2.2020).

81

Roberta Cohen/Francis M. Deng, Masses in Flight. The Global Crisis of Internal Displacement, Washington, D.C.: Brookings Institution Press, 1998, S. 127.

82

 Vgl. Simon Bagshaw/Diane Paul, Protect or Neglect? Toward a More Effective United Nations Approach to the Protection of Internally Displaced Persons, Washington, D.C./New York: The Brookings Institution/OCHA, November 2004; Costanza Adinolfi et al., Humanitarian Response Review, New York/Genf: Vereinte Nationen, August 2005, S. vi, 16.

83

 Brookings-LSE Project on Internal Displacement, Ten Years after Humanitarian Reform: How Are IDPs Faring? A Sum­mary, Washington, D.C.: Brookings Institution, Dezember 2014, S. 1.

84

 Dengs Vorschlag, UNHCR ein generelles Mandat für den Schutz von Binnenvertriebenen zu übertragen, war nicht erfolgreich, vgl. Thomas G. Weiss/David A. Korn, Internal Dis­placement. Conceptualization and Its Consequences, London/New York: Routledge, 2006, S. 82f.

85

 Elizabeth Ferris, Ten Years after Humanitarian Reform: How Have IDPs Fared?, Washington, D.C.: Brookings Institution, Dezember 2014, S. 40.

86

 Ebd., S. 40–43.

87

 Vgl. UNHCR, Operational Review of UNHCR’s Engagement in Situations of Internal Displacement, Genf, September 2017; Kälin/Chapuisat, Breaking the Impasse [wie Fn. 10]; IOM, Frame­work for Addressing Internal Displacement, Genf 2017.

88

 Vgl. OCHA, New Way of Working, Genf 2017, <https:// www.agendaforhumanity.org/sites/default/files/20170228 %20NWoW%2013%20high%20res.pdf>, und OECD, DAC Recommendation on the Humanitarian-Development-Peace Nexus, Paris 2019, <https://legalinstruments.oecd.org/public/doc/ 643/643.en.pdf> (Zugriff am 2.12.2019).

89

 Steffen Angenendt/Nadine Biehler/David Kipp/Amrei Meier, Mehr Flüchtlinge, unzureichende Finanzmittel. Wie kann der internationale Flüchtlingsschutz finanziert werden?, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juli 2019 (SWP-Studie 16/2019), S. 20f.

90

 GP20 steht für 20 Jahre Guiding Principles. Vgl. 20th Anniversary of the Guiding Principles on Internal Displacement: A Plan of Action for Advancing Prevention, Protection and Solutions for Internally Displaced People 2018–2020, 23.5.2018, S. 4, <https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/2018 0523-gp20-plan-of-action-final.pdf> (Zugriff am 10.2.2020).

91

 Interviews mit Vertretern von UNHCR, IOM, OCHA und IDMC, April und Mai 2019.

92

 Interviews mit Vertretern von IDMC und IOM, Mai 2019.

93

 Brief wurde am 26. Juli 2018 von NorwayUN getwittert, siehe unter <https://twitter.com/norwayun/status/1022511 054121775104?lang=de> (Zugriff am 16.10.2019).

94

 Vgl. United Nations, »Secretary-General Appoints Members of High-Level Panel on Internal Displacement«, Pressemitteilung, New York, 3.12.2019, <https://www.un.org/ press/en/2019/sga1930.doc.htm> (Zugriff am 9.12.2019).

95

 Cohen/Deng, Masses in Flight [wie Fn. 81], S. 32.

96

 Vgl. UN General Assembly, Resolution A/RES/52/130, 26.2.1998, <https://undocs.org/en/A/RES/52/130> (Zugriff am 11.2.2020), sowie alle darauffolgenden Resolutionen der Generalversammlung zum Thema Binnenvertreibung.

97

 Vgl. u.a. die Beiträge in Forced Migration Review, 33 (2009), <https://www.fmreview.org/protracted>, sowie IDMC, Pro­tracted Internal Displacement in Europe. Current Trends and Ways Forward, Genf, Mai 2009, und Katy Long, Permanent Crises? Un­locking the Protracted Displacement of Refugees and Internally Dis­placed Persons, Oxford: Refugee Studies Centre, Oktober 2011.

98

 UN General Assembly, Resolution A/RES/68/180, 30.1.2014, S. 1f, <https://undocs.org/en/A/RES/68/180> (Zugriff am 10.2.2020). In dieser Resolution wird zudem erstmals Peace­building als mögliche weitere Dimension genannt; in einer weiteren Resolution wird Versöhnungsarbeit (Tran­sitional Justice) hinzugefügt, vgl. Resolution A/RES/72/182, 19.1.2018, <https://undocs.org/en/A/RES/72/182> (Zugriff am 10.2.2020).

99

 Vgl. UNHCR, Operational Review of UNHCR’s Engagement [wie Fn. 87]; Kälin/Chapuisat, Breaking the Impasse [wie Fn. 10]; IOM, Framework for Addressing Internal Displacement [wie Fn. 87].

100

 Interviews mit Vertretern von UNHCR, OCHA, IKRK, IOM, IDMC und OHCHR, April und Mai 2019.

101

 Ileana Nicolau/Anaïs Pagot, »Laws and Policies on Internal Displacement: Global Adoption and Gaps«, in: Forced Migration Review, 59 (2018), S. 9–10.

102

 Vgl. Global Protection Cluster, Global Database on IDP Laws and Policies, <http://www.globalprotectioncluster.org/ global-database-on-idp-laws-and-policies/> (Zugriff am 16.10.2019).

103

 Phil Orchard, Protecting the Internally Displaced. Rhetoric and Reality, London/New York: Routledge, 2018, S. 11.

104

 Ebd., S. 12.

105

 Behigu Habte/Yun Jin Kweon, »Addressing Internal Displacement in Ethiopia«, in: Forced Migration Review, 59 (2018), S. 40–42.

106

 Jacopo Giorgi, Regulatory Frameworks on Internal Displacement. Global, Regional, and National Developments, Genf: Global Protection Cluster, November 2016, S. 22.

107

 Vgl. Center on International Cooperation, Addressing Protracted Displacement: A Framework for Development-Humani­tarian Cooperation, New York, Dezember 2015, S. 6.

108

 Vgl. UNHCR, »Niger Becomes First African Country to Adopt National Law for Protection and Assistance of Internally Displaced People«, Pressemitteilung, Genf, 7.12.2018, <https://www.unhcr.org/afr/news/press/2018/12/5c0a29eb4/ niger-becomes-first-african-country-to-adopt-national-law-for-protection.html> (Zugriff am 16.10.2019).

109

 Angela Cotroneo, »Strengthening Implementation of the Guiding Principles by Affected States«, in: Forced Migration Review, 59 (2018), S. 29–31.

110

 Interviews mit Vertretern von IKRK und GP20, Mai 2019.

111

 Gabriel Cardona-Fox, Exile within Borders. A Global Look at Commitment to the International Regime to Protect Internally Displaced Persons, Leiden: Brill, 2018 (International Refugee Law Series, Bd. 15), S. 173f.

112

 Sarah Opitz Stapleton et al., Climate Change, Migration and Displacement. The Need for a Risk-informed and Coherent Approach, London/New York: ODI/UNDP, November 2017.

113

 Kälin/Chapuisat, Breaking the Impasse [wie Fn. 10], S. 23f.

114

 Kälin, Report of the Representative of the Secretary-General on the Human Rights of Internally Displaced Persons [wie Fn. 76], S. 1.

115

 Megan Bradley, »Durable Solutions and the Right of Return for IDPs: Evolving Interpretations«, in: International Journal of Refugee Law, 30 (2018) 2, S. 218–242.

116

 Zum Konzept »anticipatory action« siehe Mark Lowcock, Anticipation Saves Lives: How Data and Innovative Financing Can Help Improve the World’s Response to Humanitarian Crises, London, 2.12.2019, <https://reliefweb.int/report/world/mark-lowcock-under-secretary-general-humanitarian-affairs-and-emergency-relief> (Zugriff am 19.12.2019).

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