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Foresight*: Globaler Wettlauf um Gesundheitsfachkräfte aus Afrika

SWP-Aktuell 2020/A 87, 03.11.2020, 7 Seiten

doi:10.18449/2020A87

Forschungsgebiete

Pretoria, 12. Februar 2024: Während eines Festakts unterzeichnen der deutsche Gesundheitsminister und sein südafrikanischer Kollege das Abkommen »Together We Care« über die Ausbildung und Entsendung von 20 000 südafrikanischen Alten- und Krankenpflegerinnen und -pflegern nach Deutschland. Dieses Abkommen ist Teil einer umfassenden Kooperationsvereinbarung. So sollen in mehreren südafrikanischen Städten Ausbildungszentren für medizinisches Fachpersonal aufgebaut werden. Zudem enthält die Vereinbarung Zusagen über die Unterstützung für ein duales Aus­bildungssystem und für Visaerleichterungen. In den Medien wird das Ereignis aus­giebig kommen­tiert und überwiegend positiv bewertet. Die FAZ veröffentlicht einen Leitartikel mit dem Titel »Deutschland beweist, dass es im globalen Wettbewerb bestehen kann«, die taz begrüßt den Vertrag mit der Meldung »Deutschland bleibt Einwanderungsland«.

Das Abkommen ist Ergebnis intensiver Ver­handlungen zwischen Deutschland und Südafrika. Der in Deutschland seit langem bestehende Fachkräftemangel in der Pflege­ hat sich seit Ausbruch der Covid-19-Pan­demie 2020 dramatisch verschärft. Mittler­weile bemühen sich viele osteuropäische Regierungen, ihre Gesundheitsfachkräfte durch finanzielle Anreize im eigenen Land zu halten oder zur Rückkehr zu bewegen. Deshalb hat der Personal- und Nachwuchsmangel solche Ausmaße angenommen, dass die Funk­tionsfähigkeit des gesamten deut­schen Gesundheitssystems in Frage steht. In den europäischen Nachbarländern sieht es ähn­lich aus. Im Jahr 2016 progno­stizierte die WHO, bis 2030 werde in Euro­pa ein zusätz­licher Bedarf an 18,2 Millio­nen Gesundheitsfachkräften entstehen. Diese Vor­her­sage erscheint immer realisti­scher.

Wie alles begann

Aus diesen Gründen legt die Bundesregierung seit Anfang 2021 Priorität darauf, dass die Personalausstattung in der Pflege ver­bessert wird. Dabei folgt sie Empfehlun­gen des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) von 2019, denen gemäß vor allem die Aus­bildungskapazitäten erweitert, die Teilzeit­quoten verringert, eine »Stille Reserve« gebil­det und ein längerer Verbleib in der Pflege gewährleistet werden sollen. Da die Bevöl­kerung außereuropäischer Zuwanderung skeptisch gegenübersteht, wird die eben­falls vom DKI empfohlene Akquise zusätz­licher Pflegekräfte aus dem Ausland zu­nächst ausgeklam­mert. Dann aber muss das Insti­tut der deut­schen Wirtschaft (IW) seine 2018 erstellte Prognose, bis zum Jahr 2035 werde ein Bedarf an 130 000 bis 150 000 neuen Vollzeitpflegekräften allein in der Altenpflege entstehen, deutlich nach oben korrigieren. In der Folge mehren sich in Politik und Öffentlichkeit Stimmen, die nach ver­stärkten Anwerbebemühungen im Ausland rufen.

Die Bundesregierung muss reagieren. In einer vom Kanzleramt einberufenen res­sort­übergreifenden Sitzung im Oktober 2021 beraten Ressortvertreter darüber, welche außereuropäischen Länder sich für die Re­krutierung von Pflegekräften eignen wür­den. Beteiligt sind das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), das Auswärtige Amt (AA), das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent­wicklung (BMZ) und das Bundesministerium des Innern (BMI). Schon früh richtet sich der Blick auf den afrika­nischen Konti­nent, da sich diese regionale Schwerpunktsetzung mit den fortwährenden Bemühungen der Bundes­regierung um eine neue Partner­schaft zwischen der EU und Afrika ver­knüp­fen ließe.

Gemeinsam stellen die Ressorts Kriterien auf: Das BMG legt Wert darauf, dass die betreffenden Länder Erfolge beim Umgang mit der immer noch schwelenden Covid-19-Pandemie verzeichnen und dass der durch­schnittliche Bildungsstandard der Bevölkerung hoch genug ist, um eine pflegerische Ausbildung nach deutschem Standard an­zuschließen. Das AA betont den Mehr­wert schon bestehender Deutschkenntnisse und erklärt, dass es in dem jeweiligen Land bereits Sprachvermittlungsinstitutionen wie das Goethe-Institut geben müsse. Das BMZ mahnt an, die Kriterien Jugendüberhang und Jugendarbeitslosigkeit in den Mittelpunkt zu stellen, um den entwicklungs­poli­tischen Nutzen möglicher Anwerbe­pro­gram­me zu erhöhen und Bedenken zu entkräften, es könne sich ein Brain-Drain-Effekt einstellen. Immer wieder schal­tet sich auch das BMI ein, das einer Fachkräfte­akquise nach wie vor kri­tisch gegenübersteht und regel­mäßig Sicherheits­bedenken geltend macht. Das Wochen­magazin Der Spiegel zitiert den Bundes­innenminister mit den Worten: »Erst arbei­ten wir jahrelang daran, die Afrikaner aus Deutschland fernzuhalten, und nun laden wir sie ein.« Diese skeptische Grundhaltung behindert lange Zeit die Verhandlungen und ver­zögert das Vorhaben.

Dennoch einigen sich die Ressorts angesichts des dringenden Handlungsbedarfes schließlich auf Sondierungsgespräche mit einer Reihe afrikanischer Länder, die nach Auffassung der Ministerien zumindest eini­ge dieser Kriterien erfüllen und mit denen Deutschland auf bestehende Koope­rationen auf­bauen kann. Hierzu gehören die Elfen­beinküste, Ghana, Kenia, Marokko, Senegal, Tunesien und Südafrika. Da zahl­reiche junge Afrikanerinnen und Afrikaner gern in Europa arbeiten möchten, ist der Ressort­kreis opti­mistisch, binnen eines Jah­res erste Anwerbe­abkommen mit manchen Her­kunftsländern ver­einbaren zu können.

»Germany is late to the party«

Kurz vor der Sommerpause, im Juni 2022, macht sich Ernüchterung in der Bundes­regierung breit: In der ersten Verhandlungsrunde zeigt keiner der angesprochenen Staaten Interesse am Angebot der deut­schen Regierung, klar festgelegte Kontin­gente an Pflegekräften aus den betroffenen Ländern in Kompaktsemina­ren fortzubilden und für zunächst zwei Jahre in deut­schen Einrichtungen zu beschäftigen. Die Begründungen ähneln sich über­all: »Uns wurden schon attrakti­vere Ange­bote von anderer Seite gemacht«, »Warum sollten wir weltweit begehrte Pflegekräfte ohne Gegenwert nach Deutsch­land sen­den?« und (im Originalton): »Germany is late to the party«.

Wie konnte es dazu kommen? Offensichtlich ist in kurzer Zeit ein globa­ler Wettbewerb um Gesundheitsfachkräfte entstanden, als nicht nur andere euro­päische Länder begannen, Pflegekräfte aus Afrika zu rekru­tieren, sondern auch China, Australien und Kanada. Berichte in den Medien taten ihr Übriges. Die zu­ständigen deutschen Ent­scheider haben die Dynamik dieser Ent­wicklung unterschätzt. Das lag zum einen daran, dass sie den Blick über­wiegend nach innen richteten. Zum ande­ren nutzten andere euro­päische Län­der, allen voran die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien, bilaterale Kanäle, um möglichst ohne öffentliches Aufsehen zu ver­handeln. Grund waren die Vor­behalte in der eigenen Bevöl­ke­rung.

Inzwischen hat Frankreich mit Algerien, Marokko und Tunesien ein Abkommen geschlossen, und Großbritannien mit Kenia. Die chinesische Regierung wiederum konn­te an bestehende Austauschprogramme für afrikanische Studierende an­knüpfen und hat dafür öffentlichkeits­wirksam beim letzten Forum on China-Africa Cooperation (FOCAC) geworben. Weil schon vor Beginn der Pandemie ein immenser, rapide steigen­der Bedarf im eigenen Land bestanden hatte, sagte die Regierung in Peking dem Senegal, der Elfenbeinküste und Ghana beträcht­liche Direktinvestitionen für den Fall zu, dass die drei Länder China umfas­senden Zu­gang zu ausgebildeten Pflege­kräften gewäh­ren. Deshalb schlu­gen diese Länder ähnliche Verhandlungs­angebote anderer Staaten aus. Süd­afrika ließ sich zwar nicht zu solchen nahe­zu exklusiven Anwerbe­abkommen drängen. Mit Blick auf die Verhandlungs­erfolge der anderen afri­kanischen Staaten erhob es aber hohe Forderungen.

Vor diesem Hintergrund ist das deutsche Angebot, Pflegekräfte auf Zeit und ohne gewichtige Gegenleistung abzuwerben, nicht kon­kurrenzfähig. Zunehmend besorgt be­richten die Medien über wachsende Schwie­rigkeiten, drin­gend benötigte Fachkräfte für Deutschland zu gewinnen. Schreckens­meldungen über vernachlässigte alte Men­schen in unter­besetzten Pflegeheimen heizen die Debatte weiter an. Die Presse wirft der Regierung vor, schlecht verhandelt zu haben und sich nicht nach­drücklich genug für die deut­schen Inter­essen ein­zusetzen.

Durchbruch bei den Verhandlungen

Nun steht die Bundesregierung unter Hand­lungsdruck und beschließt, ein Herkunftsland gezielt zu umwerben. Die Wahl fällt auf Südafrika, den wichtigsten deutschen Wirtschaftspartner in Subsahara-Afrika. Prä­sident Cyril Ramaphosa und seine ANC-geführte Regierung signalisieren grund­sätzliches Interesse an einer Kooperation mit Deutschland. Doch der ANC ist in sich gespalten. In Anlehnung an die Politik des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma bevor­zugt eine Fraktion die Zusammen­arbeit mit anderen BRICS-Staaten, besonders China und Russland. Das hemmt die Aufnahme konkreter Verhandlungen.

Daraufhin berät der deutsche Ressortkreis, wie die Bedenken auf Seiten der Süd­afrikaner ausgeräumt wer­den können. Angesichts der aggressiven Verhandlungsführung Chinas ist es keine leichte Auf­gabe, ein maß­geschneidertes Paket zusammen­zustellen, das Südafrikas spezifischen Be­darfen Rechnung trägt und attraktiver ist als die Angebote weiterer Wettbewerber. Zudem sind inzwischen auch kleinere euro­päische Staaten wie die skan­dinavischen Länder und die Niederlande in den globalen Wett­bewerb um Gesund­heitsfachkräfte einge­stiegen. Sie stellen der südafrikanischen Regierung umfangreiche Handels- und Investi­tionspartnerschaften in Aus­sicht.

Bei der Angebotsentwicklung helfen sollen kurzfristig angesetzte Konsultationen mit Länderexpertinnen und -experten aus Forschung und Entwicklungszusammen­arbeit, der Pflegewirtschaft, den Außenhandelskammern, der Arbeitsverwaltung und der südafrikanischen Diaspora. In den Bera­tungen zeigt sich, dass der Bereich Berufs­ausbildung für die süd­afrikanische Regie­rung oberste Priorität hat, um die hohe Jugendarbeitslosigkeit bei Schul­abgängern zu verringern. Hieran an­knüpfend schlägt das BMZ vor, eine in Fachkreisen schon seit Jahren diskutierte Idee in die Verhandlungen einzubringen: transnationale Ausbildungspartnerschaften. Sie sehen vor, zwei­gliedrige Pflegeschulen in Südafrika aufzu­bauen, die von Deutschland kofinanziert werden. Diese Schulen sollen parallel für den heimischen und den deutschen Markt ausbilden. Mit dem Partnerschaftsgedanken und der Idee eines fairen Interessenausgleichs, welche diesem Konzept zu­grunde liegen, könne sich das deutsche An­gebot an die südafrikanische Regierung von dem anderer Länder abheben. Die übrigen Res­sorts schließen sich dieser Strategie an. Im März 2023 unterbreitet die Bundesregierung bei einem Sondertreffen der deutsch-südafrikanischen Binationalen Kommission ihren Partnern ein neues Angebot für die Ausbildung und Entsendung von Pflege­kräften. Auf dieser Basis stimmt die südafri­kanische Regierung der Aufnahme konkre­ter Verhandlungen zu.

EU-interne Konkurrenz und südafrikanische Kontroversen

Zwar zeigt die südafrikanische Regierung grundsätzlich Interesse am deutschen An­gebot der Ausbildungspartnerschaften. Dennoch ist sich das Kabinett in Pretoria darüber einig, dass man den globalen Wett­bewerb um Gesundheitsfachkräfte auch als Chance nutzen sollte, um weitergehende Forderungen zu stellen, vor allem mit Blick auf die Visapolitik. Ein zäher Verhandlungsmarathon zwischen den beiden Regie­rungen beginnt. Die deutsche Delegation argumentiert, Visafragen müssten grundsätzlich auf europäischer Ebene abgestimmt werden und ständen deshalb in bilateralen Verhandlungen nicht zur Disposition. Diese Haltung lässt die südafrikanische Seite nicht gelten. Stattdessen verweist sie auf parallel geführ­te Verhandlungen mit Finn­land und den Niederlanden, bei denen schon konkrete Visaerleichterungen an­geboten wurden. Von dieser innereuropäischen Konkurrenz überrumpelt, bittet die deutsche Delegation im September 2023 um eine zweiwöchige Verhandlungspause, um intern ein neues Angebotspaket abzu­stimmen.

Bevor dies gelingt, tritt ein weiteres Hindernis auf: Ein interner Machtkampf im ANC bringt die Verhandlungen fast zum Scheitern. Innerparteiliche Gegner des Präsidenten Cyril Ramaphosa übermitteln heikle Informationen an die Presse, um ihn und seine Frak­tion im ANC vor den 2024 anstehenden Wahlen zu schwächen und so innerhalb der Partei Verhandlungsmasse aufzubauen. Dazu gehö­ren auch Informa­tionen über die mög­lichen Ausbildungspartnerschaften mit Deutschland. »Rama­phosa is a sellout«, wird des Präsidenten schärfster Gegner Ace Magashule in der südafrikanischen Presse zitiert – ein Ver­räter also, der im Zuge einer neoliberalen Wirtschaftspolitik junge, schwarze Süd­afrikaner an den Westen verkaufe. Seriöse süd­afrikanische Medien führen die Diskus­sion differenzierter, aber mit ähn­lichem Tenor: Warum ausgerechnet Deutsch­land? Warum wirbt die Bundes­republik die guten Leute ab? Und was haben wir davon?

Eine Debatte über die Partnerschaften entbrennt vor allem an den südafrikanischen Universitäten, an denen seit 2014 kritisch über die Dekolonialisierung des Bildungssystems und der inter­nationalen Beziehungen diskutiert wird. Deutschland wird dabei durchaus als problematischer Partner gesehen: Erstens habe die Bundesregierung die Schuld für den Geno­zid an den Herero und Nama in Namibia noch immer nicht hinreichend anerkannt und sei schon daher kein guter Partner. Zweitens seien der Rechtsruck in Europa und die rassistischen Übergriffe auf Migrantinnen und Migranten, auch in Deutschland, besorgniserregend. Und drit­tens stelle sich die Frage, ob Südafrika die Pflegekräfte nicht eher im eigenen Land brauche.

Diese Diskussion bringt Ramaphosa nur knapp ein Jahr vor den Par­la­ments- und Präsidentschaftswahlen innen­politisch massiv unter Druck. Gleichzeitig verleiht sie ihm in den Verhandlungen aber den nötigen Rückenwind, um neben Ausbildungs­partnerschaften und Visaerleichterun­gen auch weitreichende Unterstützung für Südafrika beim Ausbau eines dualen Ausbildungssystems zu verlangen. Mit die­sem umfassenden Forderungspaket gelingt es ihm, die Kritiker aus den eigenen Reihen zu beschwichtigen und seine Verhandlungsergebnisse als Erfolg bei der Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit vor den anstehenden Wahlen zu verkaufen. Als sich im Dezember 2023 nach entschiedener Für­sprache der ande­ren Ressorts auch das BMI auf die Forderungen der südafrikanischen Regierung einlässt, ist der Weg frei, um die konkreten Inhalte festzulegen.

Das Abkommen

Herzstück des öffentlichkeitswirksam »To­gether We Care« benannten Abkommens ist der Aufbau von zehn zweigliedrigen Pflege­schulen in Südafrika, den Deutschland mit­finanziert. Sie sollen sowohl für den heimi­schen als auch für den deutschen Markt ausbilden. Das schließt ein, Absolventen und Absolventinnen in geeignete Arbeitsverhält­nisse in Deutschland zu ver­mitteln, und zwar mindestens 17 500 aus den ersten fünf Jahrgängen. Um dem akuten deutschen Bedarf an Pflegekräften Rechnung zu tragen, sollen zudem 2 500 Südafrikanerinnen und Südafrikaner, die bereits die Grund­lagen einer Pflegeausbildung absolviert haben, nach Deutschland entsendet werden und am jeweiligen Ein­satz­ort berufsbegleitend fortgebildet werden.

Jenseits des Gesundheitssektors enthält die Vereinbarung umfangreiche Zusagen der deutschen Regierung, duale Ausbildungsprogramme zu fördern und auf diese Weise den Ausbau südafrikanischer Kapa­zitäten in ver­arbeitender Industrie und Landwirtschaft zu unterstützen. Überdies hat die Bundesregierung Visaerleichte­rungen für Geschäftsreisen und Studien­austauschprogramme zugesichert.

Strittig ist zunächst noch, ob es sich bei den Ent­sendungen von Pflegekräften von Beginn an um befristete Arbeitsaufenthalte mit Rückkehrpflicht handeln sollte oder ob auf frei­willige Rückkehr der Arbeits­migran­tinnen und -migranten gesetzt wird. Schließ­lich einigt man sich auf einen mobilitätsorientierten Ansatz, wonach die Entscheidung den Migrantinnen und Migranten selbst überlassen wird. Somit könnte zirku­läre Migration gefördert wer­den, falls die Migrantinnen und Migranten dies wünschen. Um diesen Mobilitätsansatz und die Wahlfreiheit abzusichern, verlangt die südafrikanische Regierung von der Bun­des­regierung ein »Mobilitätsförderungs­paket«. Es solle finanzielle und praktische Unter­stützung von Rückkehrern nach Süd­afrika umfassen, ihnen gleichzeitig aber auch die Option einer Re-Migration nach Deutschland samt Arbeitserlaubnis eröffnen. Auch diese Forderung akzeptiert die Bundes­­regierung. Daraufhin titelt der südafrika­nische Mail and Guardian: »Ger­many and South Africa finally seeing eye to eye.« Einer Unterzeichnung des Abkommens steht nichts mehr im Weg.

Blick in die Zukunft: Afrikanischer Kontext

Nach Abschluss der Verhandlungen drängt die deutsche Seite darauf, die Vereinbarungen zur Ent­sendung von Pflegekräften rasch umzusetzen. Ungeachtet warnender Stim­men aus dem BMZ wird auf eine Pilotphase verzichtet. Alle zehn Pfle­geschulen werden gleichzeitig aufgebaut, und schon im März 2024 sollen die ersten der insgesamt 2 500 »Direktentsendungen« nach Deutschland stattfinden.

Dieser ambitionierte Zeitplan gibt Anlass zur Sorge. Die Zusammenarbeit bietet nicht nur Vorteile, sondern birgt auch Probleme für das südafrikanische Gesundheitssystem, das durch eine scharfe Zweiteilung zwi­schen öffentlicher und privater Ver­sor­gung gekennzeichnet ist. Zwar hat Südafrika seit Beginn der Corona-Pandemie erheb­liche Anstrengungen unternommen, das öffent­liche Gesundheitssystem zu stärken und die Korruption darin einzudämmen. Den­noch sind die Anreize, dort zu arbeiten, weiterhin schwach. Tatsächlich kommt das Gros der Bewerbungen für die Direkt­entsendungen nach Deutschland aus dem

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schlecht bezahlten öffentlichen Sektor. Dessen ohnehin be­grenzte Personalressourcen werden dadurch weiter reduziert. Vor allem im länd­lichen Raum – in den Pro­vinzen Eastern Cape, Mpumalanga und Limpopo – herrscht ein eklatanter Mangel an Pflege­personal. Die Kritik aus der ent­wicklungspolitischen Community lässt nicht lange auf sich warten. Daher sieht sich das BMZ gezwungen, flankierend zum »To­gether We Care«-Abkommen neue Pro­gramme zur Stärkung des südafrikanischen Gesundheitssystems aufzulegen. Sie sollen in erster Linie der ländlichen Gesundheitsversorgung zugutekommen und darüber hinaus medi­zintechnische Kooperationen deutscher und südafrika­nischer Unternehmen fördern.

Gleichzeitig hat die Ausbildungspartnerschaft unmittelbare Kon­sequenzen für das Nachbarland Simbabwe, das noch immer von Emmerson Mnangagwa und der ZANU-PF regiert wird. Nachdem das Land im Jahr 2020 in eine dramatische Wirtschafts- und Ernährungskrise gerutscht war und sich zudem die Repressionen der Regierung gegen die Bevölkerung weiter verschärft hatten, sind weitere Sim­babwer nach Süd­afrika ausgewandert. Die desolaten Zu­stände im simbabwischen Gesundheits­system wurden durch die Aus­breitung der Pandemie im ländlichen Raum – welche die Regierung zu verschleiern versuchte – erst in den Folge­jahren 2021 und 2022 richtig sichtbar. Kaum jemand aus Simbab­we möchte in das krisengeschädigte Land zurückkehren.

Ein großer Teil des simbabwischen Gesund­heitspersonals befindet sich bereits seit Ende 2020 im Exil in Südafrika. Grund ist, dass die Regierung auf die Streiks und Pro­teste der Ärzte und Krankenschwestern in Simbabwe im Juni und Juli 2020 mit immer härterer Hand reagierte. Wer konnte, verließ das Land. Deswegen ist das Gesund­heitssystem inzwischen derart ausgedünnt, dass sich der Zugang zu medizinischer Versorgung noch weiter verschlechtert hat.

Die Einigung auf das »Together We Care«-Abkommen hat noch zusätzliche Aus­wirkungen auf Simbabwe. Bis Deutschland und Südafrika sich darauf verständigten, war es für die südafrikanische Regie­rung schwierig gewesen, das qualifizierte sim­babwische Gesundheitspersonal zu beschäf­tigen. Doch durch die Partnerschaft werden zusätzliche Stellen in Süd­afrika frei. Dies hat zur Folge, dass noch mehr Beschäftigte aus dem Gesundheits­bereich in Simbabwe versuchen, nach Süd­afrika zu kommen. Für Südafrika hat das Vorteile, weil auf diese Weise ein Teil der nach Deutschland ab­wandernden Fachkompetenz ersetzt wird. Gleichzeitig wird das BMZ dafür kri­ti­siert, negative Folge­effekte für die Region nicht mitbedacht zu haben. Nun sieht es sich mit Forderungen konfrontiert, das Gesund­heitssystem Simbabwes zu stär­ken und die bilaterale Entwicklungs­zusam­men­arbeit mit dem Land wiederaufzunehmen.

Blick in die Zukunft: Europäische Kooperation

Für die deutsche Regierung stellt die Über­einkunft mit Südafrika einen hart errungenen Verhandlungserfolg dar, den sie öffent­lichkeitswirksam zu präsentieren weiß. Die mit dem Thema befassten Vertreterinnen und Vertreter der unterschiedlichen Mini­sterien wissen aber, dass das deutsch-süd­afrika­nische Abkommen nur ein erster Schritt auf dem langen Weg zur Behebung des Fachkräftemangels im Pflegesektor sein kann. Inzwischen haben viele wohl­habende Staaten ihre Anwerbebemühungen auf dem afrikanischen Kontinent sowie in Südost­asien weiter intensiviert. In etlichen poten­tiellen Partnerländern, in denen Deutschland mit seinen direkten europäischen Nachbarn konkurriert, setzt sich schließlich China durch. Angesichts der offensicht­lichen Nachteile dieser EU-internen Kon­kurrenzsituation legt die EU-Kommission im Herbst 2025 einen Vorschlag für eine euro­päische Anwerbestrategie vor. Er beruht auf der Annahme, dass die Bünde­lung der Verhandlungsmacht aller EU-Mitgliedstaaten bei der Fachkräfterekrutierung genauso sinnvoll ist wie in anderen Politikfeldern. Dies bringt neue Dynamik in die Diskussion über eine gemeinsame europäische Arbeitsmigrationspolitik, die nach Ansicht der EU-Kommission künftig stärker auf Wirtschafts­sektoren und deren Bedarfe als auf individuelle Qualifikationen von Arbeitskräften ausgerichtet sein soll.

Dr. Steffen Angenendt ist Leiter der Forschungsgruppe Globale Fragen.
Dr. Anne Koch ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen.
Dr. Melanie Müller ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika.

* Foresight setzt sich mit denkbaren Ereignissen in der Zukunft auseinander. Es ist eine Vorausschau auf ein fiktives Geschehen (keine Analyse zur Gegenwart!) mit dem Ziel, nichtlineare oder überraschende Entwicklungen durchzuspielen.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2020

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doi: 10.18449/2020A87