Die EU-Kommission hat angekündigt, während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft einen neuen »Pakt für Migration und Asyl« zu präsentieren. Erwartet werden Impulse für die lang ausstehende Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, eine Stärkung der EU-Außengrenzen und die migrationspolitische Kooperation mit Drittstaaten. Letzteres sehen viele Staaten der EU als besonders dringlich an, um Herkunftsländer zur Rückübernahme ausreisepflichtiger Staatsbürger zu bewegen. Neben positiven Anreizen werden zunehmend Sanktionsmöglichkeiten gegenüber kooperationsunwilligen Drittstaaten diskutiert. Zwar können Strafmaßnahmen kurzfristig wirken, erscheinen aber wenig nachhaltig und gefährden weitergehende Ziele der Europäischen Außen- und Entwicklungspolitik. Daher sollte sich Deutschland während seiner Ratspräsidentschaft eher für migrationspolitische Instrumente einsetzen, die einen langfristigen und fairen Interessenausgleich der EU mit Drittstaaten zum Ziel haben.
In der europäischen Grenz-, Asyl- und Migrationspolitik hat sich in den letzten zwanzig Jahren zumindest in Teilbereichen eine gemeinschaftliche EU-Politik herausgebildet. So kann die Europäische Kommission seit gut einem Jahrzehnt stellvertretend für die Mitgliedstaaten mit Drittstaaten über die Rückübernahme abgelehnter Asylsuchender und irregulärer Migranten verhandeln und hat dazu bereits 18 Abkommen geschlossen. Dennoch ist die Rückkehrrate EU-weit in den letzten Jahren gesunken und lag 2019 laut Eurostat bei 32%. Nur etwa jeder dritte ausreisepflichtige Drittstaatsangehörige ist demnach in sein Herkunftsland zurückgekehrt. Es ist wahrscheinlich, dass die EU-Kommission mit dem angekündigten »Pakt für Migration und Asyl« Maßnahmen für eine Erhöhung der Rückkehrquote vorschlagen wird. Abgesehen von rechtlichen und verwaltungstechnischen Hürden in den Mitgliedstaaten scheitert ein Vollzug der Ausreisepflicht häufig am Unwillen von Drittstaaten, ihre Staatsbürger zurückzunehmen. Die Frage ist, wie sich die völkerrechtliche Pflicht zur Rückübernahme besser durchsetzen lässt und gleichzeitig menschenrechtliche Standards gewahrt werden können.
Positive und negative Konditionalität
Als ein Hebel, um das Verhalten eines Staates zu beeinflussen, gilt das Prinzip der Konditionalität. Dabei wird zwischen positiver und negativer Konditionalität unterschieden: Erstere hat zum Ziel, einen Staat zu belohnen, wenn er die auferlegten Bedingungen erfüllt (»more for more«). Letztere konzentriert sich darauf, einen Staat wegen mangelnder oder fehlender Kooperation zu bestrafen oder zu sanktionieren, etwa durch Kürzung, Aussetzung oder Beendigung von Leistungen (»less for less«). Die Wirksamkeit restriktiver Maßnahmen ist aber schwer zu messen und im wissenschaftlichen Diskurs höchst umstritten.
Auch die EU wendet das Instrument seit Jahrzehnten in verschiedenen Politikbereichen an. So wurde die Zusammenarbeit mit Drittstaaten an politische Bedingungen geknüpft, etwa an die Erfüllung demokratischer oder menschenrechtlicher Standards. Ein wichtiger Anwendungsbereich ist die EU-Erweiterungspolitik, wenn auch mit gemischter Bilanz: Nicht alle Beitrittsländer konnte die Aussicht auf EU-Mitgliedschaft zu nachhaltigen Reformen motivieren.
Migrationspolitische Konditionalisierung
Ende der 2000er Jahre übertrug die EU-Kommission das Prinzip der Konditionalität auch auf ihre externe Migrationspolitik. Vorrangig mit Staaten der östlichen und südlichen Nachbarschaft vereinbarte sie sogenannte Mobilitätspartnerschaften. Mit diesen Dialogprozessen wollte sie unter anderem die Kooperation von Partnerländern bei der Rückübernahme abgelehnter Asylsuchender oder irregulärer Migranten verbessern, indem sie Visaerleichterungen in Aussicht stellte. Allerdings gelang dies fast nur mit den östlichen Nachbarländern, nicht aber mit anderen Staaten, etwa den nordafrikanischen Partnerländern Marokko und Tunesien.
Im 2016 neu begründeten Migrationspartnerschaftsrahmen konnten Vereinbarungen mit fünf weiter entfernten afrikanischen Transit- und Herkunftsländern erzielt werden, nämlich Niger, Nigeria, Senegal, Mali und Äthiopien. Dabei wurde auf den Anreiz in Form von Visaerleichterungen verzichtet. Vielmehr sollen diese Länder in erster Linie mit finanziellen Anreizen aus dem neu etablierten EU-Treuhandfonds (EUTF) für Afrika zur Kooperation bei der Rückübernahme ihrer Staatsbürger bewegt werden.
Zusätzlich wurden in den letzten Jahren vermehrt informelle und rechtlich unverbindliche Rückübernahmevereinbarungen getroffen, nämlich mit Afghanistan (2016), Äthiopien (2018), Bangladesch (2017), Côte d’Ivoire (2018), Guinea (2017) und Gambia (2018). Neben Positivanreizen setzt die EU dabei immer stärker auch auf negative Sanktionen.
Sanktion 1: Kürzung der Entwicklungszusammenarbeit
Ein Hebel dabei besteht in der Kürzung der Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Ob solche Maßnahmen die Bereitschaft von Partnerländern zur Rückübernahme erhöhen, hängt aber stark vom jeweiligen Kontext ab. So gelang es der EU-Kommission Anfang 2018 – nachdem sie die Auszahlung von EUTF-Mitteln verzögert hatte –, sich mit Äthiopien auf ein rechtlich unverbindliches Rückübernahme-Protokoll zu verständigen. In dessen Folge erhöhte sich die Rückkehrquote von 8% im Jahr 2017 auf 17% im Jahr 2019. Auch Afghanistan stimmte 2016 in einer Erklärung mit dem Titel »New Way Forward« einer verbesserten Zusammenarbeit mit der EU zu. Dazu beigetragen hat die implizite Drohung der EU, Finanzhilfen zu kürzen, auf die der Staatshaushalt in hohem Maße angewiesen ist. Die neue Vereinbarung ermöglichte es den Mitgliedstaaten, die Rückkehrzahlen noch im Jahr 2016 deutlich zu steigern, und zwar EU-weit von 4% im Jahr davor auf 28%.
Trotz dieser erhöhten Rückkehrquoten wirft das Vorgehen der EU Fragen hinsichtlich seiner Wirksamkeit, Nachhaltigkeit und Legitimität auf. Blickt man beispielsweise auf die absolute Zahl von Rückkehrenden aus EU-Staaten nach Äthiopien, so fällt auf, dass es sich dabei nur um 205 Menschen im Jahr 2017 und 240 im Jahr 2019 handelte. Angesichts dieser geringen Zahlen stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit. In Afghanistan wiederum hat sich die Rückkehrquote nach einem kurzen Anstieg bereits im Folgejahr wieder verringert und lag 2019 nur noch bei 8% (2370 Rückkehrende). Abschiebungen nach Afghanistan werden aufgrund der verheerenden Sicherheitslage vor Ort sowohl von UNHCR als auch Nichtregierungsorganisationen heftig kritisiert. Das Beispiel macht auch deutlich, welche Schwierigkeiten mit der Androhung negativer Sanktionen in einem fragilen Kontext generell einhergehen: Werden bei fehlender Kooperation Finanzhilfen gestrichen, kann dies zu einer weiteren Destabilisierung des Landes beitragen. Das liefe den sicherheits- und entwicklungspolitischen Interessen der EU zuwider.
In anderen Fällen scheint die Hebelwirkung europäischer EZ begrenzt. So scheiterten Verhandlungen über ein Rückübernahmeabkommen im Jahr 2016 am mangelnden Interesse Nigerias. Daraufhin wurde ein geplantes, mit 50 Millionen Euro vom EUTF finanziertes Berufsbildungsvorhaben nicht umgesetzt. Nigeria ist jedoch nicht wie andere Länder auf diese Entwicklungsgelder angewiesen. Andere Einnahmequellen spielen eine weitaus größere Rolle. Zum einen sind das Rücküberweisungen von Migranten. Sie steuern einen sehr viel größeren Anteil zum nationalen Haushalt bei als das Gesamtvolumen der EZ. Im Jahr 2018 etwa beliefen sich die Rücküberweisungen nach Nigeria auf 24,3 Milliarden US-Dollar, die öffentlichen EZ-Mittel aber nur auf 3,3 Milliarden. Zum anderen ist die EU nicht die einzige mögliche Partnerin Nigerias für eine Zusammenarbeit: Vor allem China ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Wirtschaftspartner für Nigeria geworden. Chinesische Investitionen und Bauverträge zwischen 2015 und 2018 wurden auf 26,7 Milliarden US-Dollar geschätzt. Vor diesem Hintergrund kann die europäische Drohung, Entwicklungsgelder zu reduzieren, keinen starken Druck erzeugen.
Sanktion 2: Visarestriktionen
Ein weiteres Anwendungsfeld negativer Konditionalität liegt darin, die Rückübernahme mit der EU-Visapolitik zu verknüpfen. Bereits 2017 schuf der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten einen informellen Mechanismus. Mit ihm sollten Drittstaaten sanktioniert werden, die bei der Rückübernahme von Migranten nicht kooperieren. Im Februar 2020 erhielt er mit den Änderungen des Schengen-Visakodexes eine neue rechtliche Grundlage. Der neue Kodex sieht vor, dass Staatsbürger eines Landes, das aus Sicht der EU-Kommission nicht ausreichend mit der EU kooperiert, längere Visa-Bearbeitungszeiten und höhere Gebühren in Kauf nehmen müssen.
Unklar ist bisher jedoch nicht nur, wie genau eine »ausreichende« Zusammenarbeit aussieht. Auch die Effektivität einer strengeren Visapolitik insgesamt muss hinterfragt werden. Zwar bewirkten Visarestriktionen, dass Rückübernahmevereinbarungen mit Bangladesch (2017) und Côte d’Ivoire (2018) getroffen wurden. Die Rückkehrrate ist seitdem allerdings nicht gestiegen: In Bezug auf Côte d’Ivoire blieb sie weitgehend gleich, hinsichtlich Bangladesch fiel sie sogar von 17% (2017) auf 11% (2019). Eine Hebelwirkung der restriktiveren Visapolitik lässt sich also nicht erkennen.
Als Gegenbeispiel wird oft ein ähnlicher, bereits 2016 eingeführter Mechanismus in der Zusammenarbeit mit den Ländern des Westbalkans genannt. Hier hat die Drohung, bei fehlender Kooperation das visafreie Reisen auszusetzen, die Rückkehrzahlen stark erhöht. Was dieses Beispiel aber maßgeblich von anderen Kontexten unterscheidet, ist die geografische Nähe der Kooperationsländer zur EU, die Intensität der Zusammenarbeit in anderen Bereichen sowie die Aussicht auf einen EU-Beitritt als Positivanreiz.
Dagegen sind die europäischen Visabedingungen für viele afrikanische Hauptherkunftsländer von Asylsuchenden ohnehin schwierig zu erfüllen. Deswegen stellen Visarestriktionen offenbar keinen besonders wirkungsvollen Hebel dar.
Sanktionen in anderen Politikbereichen
Immer wieder hat die EU-Kommission in den vergangenen Jahren erklärt, dass sie grundsätzlich alle Politikbereiche für ihre migrationspolitischen Ziele nutzen will, unter anderem Mobilität, Energie, Sicherheit und Digitalpolitik. Laut EU-Handelsstrategie (Trade4all) sollen ausdrücklich auch die Synergien zwischen Handelspolitik und Migration gestärkt werden. Bisher wurden Aspekte der Rückkehrpolitik jedoch nicht in Verhandlungen der EU mit Drittstaaten aufgenommen. Allerdings ist denkbar, dass der Druck auf die für Handelsabkommen zuständige EU-Kommission weiter steigen wird. Damit verbunden sein könnten Forderungen, in Abkommen Konditionalitätsklauseln aufzunehmen, die Handelspräferenzen an die Kooperation bei der Rückübernahmepolitik koppeln. Ein solches Vorgehen widerspräche jedoch nicht nur dem Gleichbehandlungsgebot der Welthandelsorganisation, sondern brächte auch strategische Nachteile mit sich. Derartige Maßnahmen könnten wichtige Bemühungen untergraben, etwa die mit der Neuausrichtung der EU-Afrika-Strategie angekündigten intensiveren Handelsbeziehungen und den Dialog auf Augenhöhe mit afrikanischen Partnern. Das wiederum könnte den Einfluss Chinas auf dem Kontinent weiter stärken.
Schlussfolgerungen
Die Erfahrungen mit negativer Konditionalität zeigen, dass die Drohung mit Strafmaßnahmen zwar vereinzelt mehr Kooperation bei der Rückübernahme erzeugt hat. Die Rückkehrquoten sind in der Folge jedoch nur zeitweise angestiegen, bei insgesamt sehr kleinen absoluten Zahlen. Nicht nur steht die Wirksamkeit einer solchen Politik in Frage. Sie konterkariert häufig auch weitergehende Ziele der Europäischen Außen- und Entwicklungspolitik. Dies ist dann der Fall, wenn die Drohung mit Sanktionen eine partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe gefährdet, Partnerländer sich daraufhin neu orientieren und die EU deshalb ihre Einflussmöglichkeiten verliert. Gerade vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie ist es nicht zu empfehlen, kooperationsunwilligen Partnerländern die EZ-Mittel zu kürzen. Das nämlich würde die negativen Folgen der globalen Rezession und der sinkenden Rücküberweisungen für die Lebensbedingungen in jenen Ländern verschärfen.
Statt also die Idee negativer Konditionalität weiterzuverfolgen, sollte sich die Bundesregierung während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gemäß ihrem ressortkohärenten Ansatz für eine umfassende migrationspolitische Kooperation einsetzen, die auf einen langfristigen und fairen Interessenaustausch mit Drittstaaten setzt. Das hieße auch, ein altes Versprechen einzulösen und Partnerländern mehr legale Zuwanderungsmöglichkeiten zu gewähren, wenn sie bei der Rückkehrpolitik kooperieren. Unerlässlich ist auch eine verbesserte demokratische Kontrolle der auswärtigen Migrationspolitik durch das Europaparlament, um Transparenz und die Einhaltung menschenrechtlicher Standards zu sichern.
David Kipp ist Wissenschaftler, Nadine Knapp ist studentische Mitarbeiterin und Amrei Meier ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Das SWP-Aktuell entstand im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten Projekts »Flucht, Migration und Entwicklung – Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten für deutsche und europäische Politik«.
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doi: 10.18449/2020A54