Donalds Trumps Politik des »America First« untergräbt die Grundlagen der traditionellen amerikanischen Führungsrolle. Innenpolitisch mag Trump nach den Zwischenwahlen im November 2018 unter Druck geraten, sollten die Demokraten die Mehrheit zumindest in einem der beiden Häuser des Kongresses erlangen. Doch dies würde an den unilateralen Tendenzen der gegenwärtigen US-Außenpolitik und an der immer härteren Gangart gegenüber Moskau und Peking kaum etwas ändern. Wie lange Trump auch Präsident bleiben mag – sicher ist nur, dass die außenpolitische Debatte in den USA in Bewegung geraten ist. Das Nachdenken über den strategischen reflektierten Umgang mit den Vereinigten Staaten bleibt daher eine zentrale Herausforderung für die deutsche Außenpolitik. Dies gilt nicht zuletzt mit Blick auf den amerikanisch-chinesischen Machtkonflikt und transatlantische Verwerfungen, die sich daraus ergeben könnten.
Donald Trump ist der erste Präsident der USA seit 80 Jahren, der aus dem breiten außenpolitischen Konsens des Landes ausbricht. Lange war man sich in der amerikanischen Außenpolitik einig, dass den USA die Rolle eines »liberalen« Hegemons zukomme, der nicht nur nationale Interessen verfolge, sondern die Stabilität des internationalen Systems garantiere und öffentliche Güter bereitstelle. Es lässt sich nur spekulieren, ob Trump wirklich, und sei es bloß instinktiv, eine einigermaßen kohärente Vorstellung von der außenpolitischen Rolle der USA hat. Dass Trump das bestehende internationale Handelssystem und die überkommenen Bündnisbeziehungen für schädlich hält, hat er seit fast 30 Jahren immer wieder gesagt. Auf jeden Fall will er, wie der amerikanische Wissenschaftler und Kolumnist Walter Russell Mead argumentiert, die internationalen Beziehungen zugunsten der Vereinigten Staaten verändern und das Machtgefälle zwischen ihnen und anderen Staaten dafür einsetzen, das relative Kosten-Nutzen-Verhältnis zum Vorteil der USA zu verschieben. Internationale Politik ist für die USA unter Trump die Arena ungezügelter Machtrivalitäten, in der Staaten rigoros ihre Interessen verfolgen – frei von der Illusion, es gäbe so etwas wie eine internationale Gemeinschaft.
Wandel und Beharrung
Bislang hat Trump – zumindest auf der ideologischen Ebene – all jene Lügen gestraft, die gehofft hatten, er werde sich dem überkommenen Konsens zur internationalen Rolle der USA anschließen. In einigen Bereichen hat er beträchtliche destruktive Energie entfaltet, sei es in der Klima- und der Iranpolitik, sei es in der Außenwirtschaftspolitik, welche die Dominanz der USA auf dem Weltmarkt wiederherstellen will. Menschenrechte spielen in der amerikanischen Außenpolitik allenfalls gegenüber Staaten eine Rolle, die wie Iran als Gegner gelten. Ansonsten bewegt sich die Außenpolitik der USA für Trump in einer, wie es einmal genannt wurde, »post-human rights world«, in der Beziehungen rein nach strategischen und ökonomischen Interessen gepflegt werden, ohne dass Menschenrechtserwägungen dem entgegenstehen.
Trump agiert jedoch in einem institutionellen Kontext, in dem die traditionelle strategische Orientierung tief verankert ist. Ihr zufolge sollen die militärische Vorherrschaft, die amerikanische Führungsrolle und die bestehenden Bündnissysteme bewahrt werden. Für einen großen außenpolitischen Kurswechsel bedarf es eines steten fokussierten Durchsetzungswillens und wohl eines »strategischen Schocks«, der die geronnenen außenpolitischen Vorstellungen obsolet erscheinen lässt.
Noch verläuft vieles entlang der bisherigen Linien, vor allem im militärischen Bereich. So gehen trotz Trumps Bündnisskepsis die unter der Rubrik Reassurance and Deterrence eingeleiteten Initiativen der Nato weiter. Waffenexporte in die Ukraine hatte der Kongress schon 2014 mit dem Ukrainian Freedom Support Act erlaubt, doch Präsident Obama hielt sich weitgehend zurück und »tödliche« Rüstungsgüter, wie es denn heißt, wurden nicht geliefert. Unter Trump wurde diese Linie mit der Lieferung von Panzerabwehrraketen überschritten.
In einem Punkt konvergiert Trumps Vorliebe für die Demonstration von Stärke mit dem »Washingtoner Drehbuch«, wie es Barack Obama einmal bezeichnet hat, nämlich in der Neigung zum Einsatz militärischer Gewalt. Trump scheint an begrenzten Militärschlägen als Ausdruck der Entschlossenheit Gefallen gefunden zu haben. Das zeigen nicht nur die Angriffe auf Syrien, sondern auch die Fortsetzung des Drohnenkrieges mit offenbar größerem Spielraum für Militär und Geheimdienst. Waren frühere US-Administrationen noch bemüht, den Einsatz militärischer Gewalt – mit welch fragwürdigen Argumenten auch immer – völkerrechtlich zu legitimieren, verzichtete die Trump-Administration im Falle Syriens völlig darauf. Ungeachtet völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Zweifel an seinem Vorgehen in Syrien fand Trump innenpolitisch damit Zustimmung auch unter jenen, die seiner Außenpolitik ansonsten sehr kritisch gegenüberstehen. Sollte Trump künftig interventionistischer handeln, als es seine Rede im Wahlkampf vermuten ließ, würde er nur einem Muster folgen, das sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts erkennen lässt.
Großmachtrivalitäten als neues Paradigma
Was auch immer Trump will – die Institutionen des »nationalen Sicherheitsstaats«, also Verteidigungsministerium, Geheimdienste und Außenministerium, haben sich längst auf die Ära neuer Großmachtrivalitäten eingestellt: die Machtkonkurrenz mit einem aufsteigenden China und einem wiedererstarkenden Russland (siehe SWP-Studie 6/2018). Ob man die Großmachtkonflikte eher in geopolitischen oder ideologischen Kategorien interpretiert – momentan scheint gewiss, dass diese Konfliktlinien die US-Außenpolitik in hohem Maße bestimmen werden.
Die amerikanische Russlandpolitik geht in Richtung eines »Neo-Containment«. Präsident Trump brachte keine Personen in wichtige Positionen, die seine Vorstellungen von einer Annäherung im Verhältnis zu Russland teilen. Offenbar beeinflusst von Henry Kissinger, wollte Trump wie einst Nixon die »China-Karte« jetzt die »Russland-Karte« im geopolitischen Machtpoker ausspielen und Russland auf die Seite der USA im Konflikt mit China ziehen. Die russische Einmischung in den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf hat den für Entspannung in den amerikanisch-russischen Beziehungen ohnehin engen Handlungsspielraum des Präsidenten indes vollends schrumpfen lassen. Die Demokraten im Kongress sind – ob aus Empörung oder Kalkül – auf eine harte Linie in der Russlandpolitik eingeschwenkt und versuchen, die »russische Bedrohung« innenpolitisch zu nutzen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung in den USA sieht Russlands Macht und Einfluss als Bedrohung für das amerikanische Wohlergehen. Das Image Russlands erreichte im Februar 2018 den Tiefststand der letzten 30 Jahre: 72 Prozent der Bürger in den USA hatten eine »»unvorteilhafte« Sicht auf Russland. Dazu hat die russische Einmischung in den amerikanischen Wahlkampf beigetragen, die in einer mitunter hysterisch anmutenden Debatte zu einer Art »zweites Pearl Harbor« stilisiert wird.
Vor allem auf Initiative des Kongresses wird das Netz der Sanktionen gegen Russland immer engmaschiger. Der Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act vom August 2017 kodifizierte einige bestehende Sanktionen und erhöhte den Druck auf Trump, schärfere Sanktionen zu verhängen. Zudem schuf der Kongress ein Überprüfungsverfahren, das ihm Mitsprache bei Aufhebung oder Aussetzung der Sanktionen sicherte. Wie andere Sanktionsgesetze auch war es von einer breiten überparteilichen Mehrheit getragen und wurde sogar fast ohne Gegenstimmen verabschiedet. Nolens volens unterschrieb Trump das Gesetz mit einigen Vorbehalten. Mitte September 2018 erließ er eine Exekutivverordnung, mit der er die russische Einmischung in den Wahlkampf zum nationalen Notfall (national emergency) erklärte, und verhängte eine Reihe von Sanktionen. Im Kongress ist überdies der Defending American Security From Kremlin Aggression Act anhängig, der nichts Geringeres zum Ziel hat, als Russland faktisch vom internationalen Kapitalmarkt auszuschließen. Ferner verhängten die USA wegen des Nervengiftanschlags auf den ehemaligen russischen Spion Sergei Skripal in Großbritannien Ende August 2018 Sanktionen, wie dies ein Gesetz aus dem Jahre 1991 vorsieht, das den Einsatz chemischer und biologischer Kampfstoffe mit Strafen belegt. Diese Sanktionen verwehren Russland den Zugang zu amerikanischen Hochtechnologieprodukten. Schließlich wird auch diskutiert, mit Hilfe von Sanktionen den Verkauf russischer Staatsanleihen zu unterbinden und den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 zu vereiteln. Sowohl die Administration als auch die Mehrheit des Kongresses möchten dieses Projekt gerne verhindern. Die USA haben, wie es die amerikanische Zeitschrift Newsweek auf den Punkt brachte, Russland den »Wirtschaftskrieg« erklärt.
Die große Konfliktlinie ist indes die Machtrivalität mit China. Hier verbindet sich die geopolitische Herausforderung, die vor allem Sicherheitspolitiker betonen, mit überparteilicher Entrüstung wegen Chinas wirtschaftlicher Praktiken. Die Töne, die etwa Senator Bernie Sanders in dieser Frage anschlägt, unterscheiden sich nicht sehr von denen Trumps. Auch in der Chinapolitik ist der Kongress ein Faktor, der – und das gilt für beide Parteien – die harte Linie der Administration eher unterstützt und verstärkt als mäßigt.
In seiner Rede zur Chinapolitik vom 4. Oktober 2018 hat Vizepräsident Mike Pence die Sicht der Trump-Administration dargelegt. Ihr zufolge soll der machtpolitische und ideologische Konflikt mit einem expansiven und autoritären China offensiv ausgetragen und die Beziehung zwischen beiden Ländern im Sinne des »America First« neu gestaltet werden (»to re-set America’s economic and strategic relationship, to finally put America first«). Das Verteidigungsministerium richtet Planungen und Haushalt auf die Machtrivalität mit China aus. So dient die Aufstockung des Verteidigungshaushalts zu einem Gutteil dazu, Waffensysteme zu beschaffen, die in einem militärischen Konflikt mit China gebraucht würden. Und der im August 2018 in Kraft getretene Export Control Reform Act of 2018 autorisiert Exportkontrollen für noch näher zu bestimmende neue Technologien, die als kritisch für die nationale Sicherheit der USA gelten, aber den bestehenden Kontrollen noch nicht unterliegen. Hauptziel verschärfter Exportkontrollen ist China.
Für die USA stellt sich mit Blick auf China eine ungewohnte Herausforderung: Wie geht man mit einem strategischen Rivalen um, mit dem man wirtschaftlich eng verbunden ist? Insofern erstreckt sich die Gestaltung wirtschaftlicher Beziehungen nicht nur auf die Verteilung der Wohlfahrtsgewinne, sondern zunehmend auf Sicherheitsfragen. In den wirtschaftlichen Beziehungen dürfte daher das Problem der relativen Gewinne eine Rolle spielen. Vor allem stellt sich die Frage, wie sich in der militärisch sensiblen Konkurrenz im Hochtechnologiebereich der amerikanische Vorsprung sichern lässt, etwa durch ein Exportkontrollsystem, das mit den Verbündeten abgestimmt wird.
Gelegentlich wird die These vertreten, die USA hätten nur geringe Aussichten, sicherheitspolitisch motivierte Handels- und Technologierestriktionen erfolgreich gegenüber China einzusetzen. Bei Hochtechnologiegütern könne China leicht in Europa andere Lieferanten finden. Wer dieser Auffassung anhängt, ignoriert jedoch, dass die USA aufgrund der extraterritorialen Reichweite ihres Exportkontrollsystems und ihrer Sanktionsgesetze in der Lage sind, europäische Firmen vor die Wahl zwischen dem amerikanischen und dem chinesischen Markt zu stellen. Müssten europäische Firmen bei einer Verschärfung des amerikanisch-chinesischen Konflikts eine solche Wahl treffen, hätte dies weitaus gravierendere Konsequenzen als im Fall Irans. China ist nach den USA der wichtigste Handelspartner Europas.
Es ist sicher sinnvoll und in Europas Interesse, die USA bei berechtigten Forderungen gegenüber China zu unterstützen, gerade was den »erzwungenen Technologietransfer« bei ausländischen Investitionen in China angeht. Zeichnet sich eine abgestimmte Position der USA und Europas ab, erhöht dies das Verhandlungsgewicht. Wie Larry Kudlow, der Wirtschaftsberater des amerikanischen Präsidenten, verlauten ließ, möchte die Trump-Administration eine Koalition der Willigen zusammenbringen, um eine gemeinsame Front gegen China zu formieren.
Nur ist es fraglich, ob chinesische Zugeständnisse Trump beschwichtigen können, wenn sein Ziel vielleicht längst die wirtschaftliche Eindämmung und technologische Schwächung des globalen Rivalen ist. Manche in der Administration, etwa Peter Navarro, Trumps Berater in Handelsfragen und Direktor des Nationalen Handelsrats, aber wohl auch einige im Pentagon und im Nationalen Sicherheitsrat scheinen die USA wirtschaftlich so weit wie möglich von China abkoppeln zu wollen. Davon erhoffen sie sich, die wirtschaftlich-technologische und damit auch sicherheitspolitische Verwundbarkeit zu reduzieren, die aus der Interdependenz entstanden ist. Aus Sicht der »Falken« in Washington ist China die große Bedrohung für die industriellen Grundlagen der USA. In dieser Perspektive sind wirtschaftliche und nationale Sicherheit untrennbar.
Europa kann den amerikanisch-chinesischen Konflikt nicht nennenswert beeinflussen. Seine Konsequenzen können jedoch dramatisch sein, wenn die wirtschaftliche Verflechtung zwischen USA und China sich auflöst, wirtschaftliche Blöcke oder geschlossene wirtschaftliche Räume entstehen und ein Prozess ökonomischer De-Globalisierung einsetzt.
Ungewissheiten und Unwägbarkeiten
Deutschland muss sich auf diese Konfliktstrukturen, ihre Risiken und Kosten ebenso einstellen wie auf Ungewissheiten über den längerfristigen Kurs amerikanischer Außenpolitik. Weiterhin ist eine unberechenbare Politik der USA zu erwarten. Das Kalkül scheint zu sein, auf diese Weise Unsicherheit in die Beziehungen hineinzubringen, die zum eigenen Vorteil genutzt werden soll.
Gewiss kann man darauf hoffen, dass nach der Präsidentschaft Trumps an bessere Zeiten in den transatlantischen Beziehungen angeknüpft werden kann, und daher befürworten, dass Europa auch um den Preis der Beschwichtigung möglichst viel an Kooperation »hinüberretten« sollte. Doch Trump steht mit seinen außenpolitischen Vorstellungen in der Tradition von Ideen, die im amerikanischen Diskurs lange randständig, in Präsidentschafts(vor)wahlkämpfen der letzten Jahrzehnte aber durchaus (in Gestalt des Kandidaten Pat Buchanan) vertreten waren. Trump findet mit seinen Vorstellungen zu Handel und Einwanderung und seiner Skepsis gegenüber Bündnisverpflichtungen beträchtliche Resonanz und nur wenig Widerstand in seiner Partei. Etwas verfrüht scheint es allerdings, wie der amerikanische Politikberater und Publizist Robert Kagan festzustellen, dass »America First« gewonnen habe.
Aber die außenpolitische Debatte in den USA ist in Bewegung geraten. Abzuwarten bleibt, wie sehr die Republikanische Partei sich vom traditionellen Konservativismus entfernen und zu einer Partei des populistischen Nationalismus werden wird. Erstaunlich ist, wie weit die Republikaner im Kongress unter Trump von traditionellen, orthodoxen republikanischen Vorstellungen abgewichen sind. Hohe Staatsausgaben und ein wachsendes Haushaltsdefizit scheinen kein Problem mehr zu sein, die Wende zu einer eher protektionistischen Handelspolitik ebenso wenig. Zahlreiche traditionelle Republikaner werden im nächsten Kongress nicht mehr vertreten sein, weil sie bei den Wahlen nicht mehr antreten, darunter erfahrene Außenpolitiker wie der Vorsitzende des Auswärtigen Senatsausschusses, Bob Corker. Führende außenpolitische Köpfe der Republikaner im nächsten Kongress werden »America First«-Falken wie Tom Cotton, Marco Rubio und Lindsey Graham sein, die eher wenig von Diplomatie, aber viel von Militärschlägen halten.
In der Demokratischen Partei wird, wie bereits absehbar, nach der Zwischenwahl der Anteil »linker« progressiver Abgeordneter im Repräsentantenhaus ansteigen. Zurzeit lässt sich allenfalls darüber spekulieren, wie sich die außenpolitischen Vorstellungen dieser erstarkenden Minderheit entwickeln und wie sehr sie die eher interventionskritische Stimmung der demokratischen Wählerbasis aufnehmen. Das gilt auch für die Frage, ob sich in den nächsten Jahren gar eine Art Gegenkoalition aus linken Demokraten und libertären Republikanern zum traditionellen »Establishment«-Konsens formen könnte.
Donald Trump hat jedenfalls den Diskurs über die grundlegende strategische Orientierung geöffnet. Verfolgt man die Diskussionen in neu gegründeten Zeitschriften wie American Affairs und American Greatness, aber auch in älteren wie The American Conservative oder The National Interest, dann zeigt sich eines: Gerade jüngere Konservative versuchen dem Trumpismus, dieser Mischung aus Nationalismus und Populismus, eine intellektuelle Grundlage auch für die Zeit nach Trump zu geben und beschränken sich dabei nicht auf die Innen- und Wirtschaftspolitik. Diese Versuche, die globalisierungs-, allianz- und interventionskritischen Impulse zu einem Neuentwurf republikanischer Außenpolitik zu bündeln, verdienen aufmerksame Beobachtung. Das alte außenpolitische (neo-)konservative Establishment der Republikanischen Partei ist marginalisiert und im inneren Exil. Am Ende einer möglichen zweiten Amtszeit Trumps werden viele einst tonangebende Republikaner im Rentenalter sein.
Nicht länger geht es im außenpolitischen Diskurs der USA vorrangig darum, wie die Strategie liberaler Hegemonie operativ umgesetzt wird, so wie es tendenziell lange der Fall in Washington war. Doch was sich derzeit unter Trump abzeichnet, ist nicht die »grand strategy« der »Zurückhaltung«, wie sie von akademischen Experten immer wieder in die Diskussion eingebracht wurde, sondern, wie der Politikwissenschaftler Barry Posen es bezeichnete, eher »Hegemonie ohne Liberalismus«. Die USA unter Trump wollen Vormacht bleiben – und wegen ihrer materiellen wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen werden sie noch auf längere Zeit der mächtigste Staat sein. Ob man in einigen Jahren noch von amerikanischer Hegemonie im liberalen Sinne sprechen kann, ist fraglich. Denn eine solche setzt die Gefolgschaft anderer Staaten voraus, welche die Führungsrolle als legitim anerkennen. Im westlichen System war das über Jahrzehnte ungeachtet aller Konflikte im Großen und Ganzen der Fall. Eine gemeinsame Wertebasis, die Bereitschaft der Führungsmacht zu multilateralen Entscheidungsprozessen, Zurückhaltung bei der einseitigen Durchsetzung nationaler Interessen und schließlich die Bereitstellung öffentlicher Güter – all dies sind Voraussetzungen dafür, dass ein hegemonialer Anspruch als legitim akzeptiert wird.
Man sollte die amerikanische Hegemonialrolle mit ihren unilateralen Tendenzen und die vielbeschworene liberale internationale Ordnung nicht nostalgisch verklären und ihr Gewaltpotential nicht ausblenden. Doch die gegenwärtige Abkehr der USA von dieser Rolle und die gleichzeitige Zuspitzung von Großmachtrivalitäten verbinden sich zu einem gravierenden Wandel in der internationalen Politik.
Strategische Risikoabsicherung
Weitgehend herrscht Einigkeit darüber, dass es im deutschen Interesse liegt, während einer Zeit des Umbruchs und der Unsicherheit möglichst kooperative transatlantische Beziehungen zu bewahren. Die Beziehungen zwischen Europa und den USA ähneln stark dem Idealtyp »komplexer Interdependenz« (der Begriff stammt von Robert Keohane und Joseph Nye). Gemeint ist damit ein Geflecht, in dem nicht Fragen militärischer Sicherheit dominieren, sondern vielerlei Themen auf der Agenda stehen, und in dem die Staaten durch mannigfaltige transgouvernementale und die Gesellschaften durch ein dichtes Netzwerk transnationaler Beziehungen verbunden sind. Ein solches Beziehungsgeflecht bietet Möglichkeiten, eigene Positionen in den amerikanischen Politikprozess einzuspeisen und Verhandlungsmacht über die Verknüpfung unterschiedlicher Themen aufzubauen.
Nach allem, was bislang unter Trump zu beobachten war, muss in Betracht gezogen werden, dass die transatlantischen Beziehungen erodieren, die amerikanischen Sicherheitsgarantien an Glaubwürdigkeit verlieren und die Wirtschaftsbeziehungen lockerer werden. Für Europa stellt sich zudem die Frage, wie sehr es zum Objekt des Ringens der drei Großmächte um geopolitischen Einfluss wird und wie es seine Gestaltungsfähigkeit behaupten kann. Antworten darauf erscheinen umso dringlicher in einer Situation, in der man sich nicht mehr sicher sein kann, ob die USA unter Trump Europa als eigenständigen Akteur schwächen oder gar zerstören wollen, um die transatlantischen Beziehungen in bilaterale Abmachungen zu verwandeln und so die Machtasymmetrie voll zu ihren Gunsten zu nutzen. Geopolitisch ergibt das einen gewissen Sinn, wenn man die Weltsicht zugrunde legt, dass die USA ihre überlegene Macht in der Ära neuer Großmachtrivalitäten sichern müssen, vor allem mit Blick auf den sich abzeichnenden Weltführungskonflikt mit China. Man stelle sich eine Situation vor, in der eine einträchtige EU sich in diesem Konflikt dem Schulterschluss mit den USA entzöge.
In einer Zeit der Ungewissheit über den Kurs der US-Außenpolitik und des Wandels im internationalen System ist es für Deutschland vernünftig, im europäischen Verbund eine Politik der strategischen Risikoabsicherung zu entwickeln und die eigenen außenpolitischen Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Dieser Logik folgen die gegenwärtigen Berliner Überlegungen zu einer USA-Strategie und zur Stärkung der »europäischen Autonomie«.
Solange jedoch die Prämisse unhinterfragt bleibt, dass die USA für die europäische Sicherheit unentbehrlich sind, prägt schon mental eine Asymmetrie die transatlantischen Beziehungen und konterkariert das Ziel »souveränes Europa«. Das Ziel »strategische Autonomie« kann noch so oft beschworen werden, aber es wird sie nicht geben, solange der nukleare Schutzschirm der USA als notwendig gilt. Zudem setzen Polen und die baltischen Staaten unbeirrt weiter auf die USA; die »strategische Autonomie« Europas weckt dort eher Furcht als Hoffnung. Gewiss kann man im vorherrschenden sicherheitspolitischen Denken verharren und davon absehen, die Notwendigkeit nuklearer Abschreckung grundsätzlich in Frage zu stellen. Wenn man diese Haltung einnimmt, würde strategische Autonomie bedeuten, sich über die Weiterentwicklung der französischen Atomstreitmacht (Force de Frappe) im Sinne einer europäischen Abschreckung Gedanken zu machen.
Europa mag vielleicht Schritte in Richtung finanzieller Souveränität unternehmen, um sich nicht länger dem sogenannten Dollar-Unilateralismus unterordnen zu müssen. Womöglich gelingt es Europa auch, über neue, vom Dollar unabhängige Zahlungskanäle zumindest manche Unternehmen dem Zugriff der amerikanischen Sanktionsgesetze zu entziehen. Nur werden die USA dieser Entwicklung wohl kaum tatenlos zuschauen, so sie sich denn überhaupt realisieren ließe und nennenswert zur Aufrechterhaltung von Handelsbeziehungen mit dem Iran beitrüge. Schließlich geht es im Falle Irans unausgesprochen auch um die Demonstration der amerikanischen Fähigkeit, mit wirtschaftlichen Mitteln Europas Gefolgschaft in den Machtkonflikten mit Russland und China zu erzwingen. Ohne den Euro als Reservewährung neben dem Dollar wird es wohl keine finanzielle Souveränität geben können. Doch dazu müssten die Anleger Vertrauen in die Stabilität des Euro haben. Das wiederum würde die Ausgabe von Eurobonds erfordern, ein Schritt, den Deutschland wegen der Haftungsrisiken bislang nicht gehen wollte. Entwickelt sich der Euro zur Reservewährung mit wachsender Nachfrage, dürften sich auch die Exporte aus der Eurozone verteuern. Die Auswirkungen bekäme besonders die exportorientierte Wirtschaft zu spüren.
Auch wenn strategische Autonomie allenfalls langfristig näherungsweise zu verwirklichen wäre, lassen sich im Hier und Heute aus der Maxime strategischer Risikoabsicherung einige Folgerungen für den Umgang mit den USA ableiten. Strategische Risikoabsicherung kann je nach Konflikt- und Interessenkonstellation in eine Politik wirtschaftlicher und diplomatischer Gegenmachtbildung münden. Solche Initiativen werden als »soft balancing« bezeichnet. Eine Form wäre die Nutzung internationaler Institutionen, um amerikanische Machtausübung zu beschränken oder sie zumindest zu beinflussen. Eine andere Form kann darin bestehen, amerikanischem Handeln oder bestimmten Politikkonzepten der USA internationale Legitimität zu verweigern. Die Trump-Administration mag sich um internationale Zustimmung wenig scheren. Sollte Trump aber in den Präsidentschaftswahlen 2020 einem starken demokratischen Rivalen gegenüberstehen, könnte der Ansehens- und Vertrauensverlust der USA im Wahlkampf nicht ohne Bedeutung sein. Soft balancing kann schließlich auch heißen, eine eigenständige faktensetzende internationale Führungsleistung in jenen Politikfeldern zu erbringen, in denen die USA eher blockieren als initiieren.
Strategische Risikoabsicherung kann aber auch den Schulterschluss (bandwagoning) mit den USA bedeuten. Dieser ist zweifellos sinnvoll, wenn das amerikanische Vorgehen mit eigenen Interessen übereinstimmt. Angebracht kann er auch dann sein, wenn die Interessen nicht völlig divergieren und Aussicht besteht, die amerikanische Politik im eigenen Sinne zu beeinflussen.
Vor allem mit Blick auf die Beziehungen zu China stellt sich den Europäern die Frage, ob sie einen Schulterschluss mit den USA praktizieren sollen, wie weit er gehen soll und welche Kosten sie zu tragen bereit wären. Chinas Aufstieg berührt die USA und Europa in unterschiedlichem Maße, so dass auch die Bedrohungswahrnehmungen bisher voneinander abweichen. Wie soll sich Deutschland verhalten, wenn es nicht nur darum geht, mehr Lasten in der Nato zu übernehmen, sondern wenn die USA in Asien militärische Beiträge in der Auseinandersetzung mit China einfordern sollten? Ist es in deutschem Interesse, sich als abhängige Macht in die amerikanische Globalstrategie einbinden zu lassen? Die USA mögen zwar die amerikanische Sicherheitszusage als Hebel einsetzen, um die europäischen Verbündeten auf Linie zu bringen. Doch zumindest für Deutschland und jene Nato-Staaten, die Russland nicht direkt fürchten müssen, wird dieser Hebel eher kraftlos bleiben.
Gefolgschaft gegenüber den USA mag in gewissem Maße im Interesse europäischer Staaten liegen. Allerdings könnte eine verschärfte Großmachtrivalität einschneidende Konsequenzen für Deutschland und andere europäische Staaten haben. Deshalb ist es im Sinne der Risikoabsicherung vernünftig, sich zumindest die Fähigkeit zu einer eigenen, von den USA losgelösten Politik gegenüber Russland und China zu verschaffen.
Fazit
Viel wird gegenwärtig über den Zerfall der liberalen, regelbasierten internationalen Ordnung diskutiert, oft in einer ahistorischen, verklärenden Sicht der Vergangenheit. Noch wird wenig darüber nachgedacht, wie in der Zeit neuer Großmachtkonflikte Sicherheit und Frieden mit Hilfe neuer Spielregeln gewährleistet werden können. Auch wird deutsche Außenpolitik sich verstärkt die Frage stellen müssen, ob, in welchem Maße und unter welchen Bedingungen sie die USA in der Machtrivalität mit Russland und im Hegemonialkonflikt mit China unterstützen soll.
Dr. Peter Rudolf ist Senior Fellow der Forschungsgruppe Amerika.
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