Trotz eines weiteren persönlichen Treffens zwischen Donald Trump und Kim Jong Un im Juni und einer neuerlichen Begegnung auf Arbeitsebene zwischen Vertreterinnen und Vertretern beider Länder im Oktober liegen die Positionen Pyongyangs und Washingtons im Hinblick auf eine Denuklearisierung Nordkoreas nach wie vor weit auseinander. Eine Verständigung über zentrale Fragen, zum Beispiel darüber, was Denuklearisierung genau bedeuten und wie der zukünftige Verhandlungsprozess ablaufen soll, setzt jedoch voraus, dass es ausreichend Raum für flexible Diplomatie und auf allen Seiten den entsprechenden politischen Willen gibt. Auch Europa sollte aktiv auf eine Wiederaufnahme des Dialogs zwischen der internationalen Gemeinschaft und Nordkorea hinarbeiten. Denn die politischen Rahmenbedingungen in Pyongyang und Washington lassen erwarten, dass sich das gegenwärtige »window of opportunity« für eine Lösung der Nuklearfrage im kommenden Jahr wieder schließen und Nordkorea sein selbstauferlegtes Moratorium für Nuklear- und Interkontinentalraketentests wieder aufheben könnte.
Nach einer dramatischen Zuspitzung im Jahr 2017, die die USA und Nordkorea an den Rand einer ernsten Krise führte, gelang es Anfang 2018 erst dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in mit seiner »Olympia-Diplomatie«, die Spirale der Eskalation zu durchbrechen. Erneut durch südkoreanische Vermittlung kam es im Juni 2018 auch zum historischen Gipfeltreffen zwischen Donald Trump und Kim Jong Un in Singapur. Die Trump-Administration stellte dabei alle bisherigen Ansätze im Umgang mit Nordkorea auf den Kopf, indem sie auf den direkten persönlichen Austausch der beiden Staatsführer am Beginn eines dann anzuschließenden Verhandlungsprozesses setzte. So diente die Begegnung in Singapur zunächst dazu, einen direkten Zugang zu Kim Jong Un herzustellen. Dieser verpflichtete sich persönlich zur nuklearen Abrüstung – ein wichtiger Fortschritt in den Verhandlungen mit einem Land, in dem die Entscheidungen des Machthabers dogmatischen Rang besitzen. Die Aufnahme eines direkten Dialogs mit dem politischen Führer Nordkoreas war für einen US-Präsidenten ein politisch riskanter, diplomatisch aber letztlich wichtiger Schritt, um nach Jahrzehnten der Konfrontation die Beziehungen zwischen beiden Ländern neu zu gestalten. Andererseits haben die Treffen auch die Grenzen dieser persönlichkeitsgetriebenen Gipfeldiplomatie offengelegt, denn die Begegnungen wurden nicht durch robuste inhaltliche Gespräche auf Arbeitsebene unterfüttert. Nach einer mehrmonatigen Weigerung Pyongyangs, in einen solchen Dialog einzusteigen, gelang es erst durch eine schwedische Vermittlungsinitiative im Januar 2019, also im unmittelbaren Vorfeld des zweiten Gipfeltreffens von Hanoi, die ersten direkten Konsultationen auf Arbeitsebene aufzunehmen. Den Verhandlungsführern wurde jedoch offenbar weder ausreichend Zeit noch genügend Spielraum eingeräumt, um die nur grob formulierten Absichtserklärungen des Singapur-Abkommens genauer auszudifferenzieren und den nachfolgenden Gipfel umfassend vorzubereiten. Das Treffen von Hanoi, das ohne Abkommen vorzeitig beendet wurde, machte dieses Manko besonders offensichtlich. Das entscheidende Problem des im Jahr 2018 wiederaufgenommenen Verhandlungsprozesses zwischen den USA und Nordkorea ist das Fehlen einer grundlegenden Verständigung über den Fahrplan zur Denuklearisierung Nordkoreas, über die Entwicklung der bilateralen Beziehungen und über die Schaffung eines Friedensregimes auf der koreanischen Halbinsel. So gelang es in Hanoi nicht, den Abstand zwischen den weit auseinanderliegenden Positionen Washingtons und Pyongyangs zu verringern. Nicht einmal eine prozedurale Einigung konnte erreicht werden. Vielmehr bestanden die USA darauf, dass Nordkorea vollständig denuklearisiert sein müsse, bevor es Konzessionen etwa in Form von Sanktionserleichterungen erhält. Nordkorea forderte hingegen, dass die USA zunächst fünf große Pakete von Wirtschaftssanktionen aufheben. Erst dann werde es die Demontage des Atomkomplexes Yongbyon angehen.
Die Folgen des gescheiterten Gipfeltreffens von Hanoi
Das Scheitern des Gipfels von Hanoi verkomplizierte die Situation vor allem aus zwei Gründen:
Für Nordkorea und insbesondere für Kim Jong Un bedeutete der Abbruch der Gespräche einen Gesichtsverlust. Nach dem Gipfel brach Nordkorea vorerst jegliche Kontakte zu den USA ab, unterzog die eigene Politik gegenüber Washington einer umfassenden Überprüfung und tauschte das Personal, das für die Beziehungen mit den USA zuständig war, zu großen Teilen aus. Auf einer Sitzung der Obersten Volksversammlung Mitte April 2019 betonte Kim Jong Un in einer Grundsatzrede, dass die Tür für neue Gespräche zwar offen sei, der Norden jedoch nur »bis zum Ende dieses Jahres mit Geduld auf eine mutige Entscheidung der USA warten« werde. Bereits in seiner Neujahrsansprache am 1. Januar 2019 hatte Kim erklärt, dass, wenn die USA die Geduld des Nordens falsch einschätzten, Nordkorea dazu »gezwungen sein könnte, einen neuen Weg zu gehen, um die Souveränität des Landes und die höchsten Interessen des Staates zu verteidigen und Frieden und Stabilität auf der koreanischen Halbinsel zu erreichen«. Im Mai 2019 führte Nordkorea erstmals seit Ende 2017 wieder Raketentests durch.
Innerhalb der US-Regierung schien das Scheitern des Gipfels von Hanoi denjenigen in die Hände gespielt zu haben, die einen härteren Ansatz gegenüber Nordkorea befürworten. So hat die Trump-Regierung ihre Definition von Denuklearisierung inzwischen offensichtlich erheblich erweitert. Sie fordert nun, dass auch alle biologischen und chemischen Waffenbestände im Verbund mit der Zerstörung aller Atomsprengköpfe und spaltbaren Materialien beseitigt werden müssten. Ferner wurde bekannt, dass die USA auch verlangen, dass alle im Nuklearbereich tätigen Expertinnen und Experten in den zivilen Bereich überführt werden müssen. Am 7. März 2019 erklärte Donald Trumps damaliger Nationaler Sicherheitsberater John Bolton ausdrücklich, dass Nordkorea seine Programme für nukleare, chemische und biologische Waffen vollständig aufgeben müsse, bevor die USA die Sanktionen spürbar erleichtern könnten.
Zwar hielten beide Seiten auch nach dem Gipfel von Hanoi einige wenige direkte Kommunikationskanäle offen, nicht zuletzt über einen direkten schriftlichen Austausch zwischen Trump und Kim; inhaltliche Verhandlungen, die die konträren Positionen der beiden Länder einander angenähert hätten, fanden jedoch nicht statt.
Die Entwicklungen seit dem »Gipfel« von Panmunjom
An dem Mangel an Verhandlungsdynamik änderte sich auch nach dem weithin als historisch bezeichneten Treffen zwischen Donald Trump und Kim Jong Un nichts, das am 30. Juni 2019 an der innerkoreanischen Grenze stattfand. Zwar ist die symbolische Bedeutung einer Begegnung an diesem Ort als Geste der Aussöhnung verfeindeter Staaten und als Akt der Vertrauensbildung in einem tiefgreifenden Konflikt wie jenem zwischen den USA und Nordkorea nicht geringzuschätzen. Doch gelang es auch unter diesen Vorzeichen nicht, ein neues Momentum für die Fortsetzung des Dialogs auf Arbeitsebene zu erzeugen. Im Gegenteil spitzte sich die Situation in den folgenden Monaten weiter zu. So führte Nordkorea ab Ende Juli mehrere Raketentests, zum Teil auch neuer Waffensysteme, durch, darunter auch mit ballistischen Kurzstreckenraketen auf Festbrennstoffbasis. Nach nordkoreanischen Angaben waren diese Tests auch eine Reaktion auf die gemeinsamen Militärübungen der USA und Südkoreas und auf den Erwerb von 40 amerikanischen F‑35-Kampfjets durch Seoul. Jenseits dieser erneuten Zuspitzung gab es jedoch auch immer wieder Signale, die auf eine Rückkehr beider Länder an den Verhandlungstisch hindeuteten. Am 9. September vermeldete die nordkoreanische Vize-Außenministerin Choe Son Hui, dass Pyongyang und Washington den Dialog auf Arbeitsebene binnen kurzem wiederaufnehmen würden – eine Aussage, die auch vom Generaldirektor der Abteilung für amerikanische Angelegenheiten im nordkoreanischen Außenministerium bestätigt wurde. Mit dem Hinweis, dass ein Gespräch über die Denuklearisierung nur möglich sei, wenn die Bedrohungen und Hürden beseitigt würden, die Nordkoreas Sicherheit und Entwicklung behinderten, machte er indes deutlich, dass in den Verhandlungen große Schwierigkeiten zu überwinden wären. Das Treffen, zu dem beide Seiten schließlich am 5. Oktober in Schweden zusammenkamen, wurde jedoch nach nur einem Tag wieder abgebrochen, wobei sich die Bewertung des Dialogs zwischen Washington und Pyongyang fundamental unterschied: Während die USA von einem produktiven Austausch sprachen, bezeichnete der Chefunterhändler Nordkoreas, Kim Myong Gil, das Meeting als gescheitert, da die USA ihre Haltung nicht modifiziert hätten.
Wege zur Überbrückung der Positionen Nordkoreas und der USA
Um die weit auseinanderliegenden Positionen Nordkoreas und der USA zu überbrücken, führt letztlich kein Weg an einer Intensivierung des Dialogs mit Pyongyang vorbei. Dabei ist Nordkorea sicherlich alles andere als ein einfacher Verhandlungspartner; auch sollte das Gespräch mit Pyongyang kein Selbstzweck sein. Doch lehrt die Erfahrung der bisherigen Versuche, die Nuklearfrage auf der koreanischen Halbinsel diplomatisch zu lösen, eines deutlich: Auch wenn es von Seiten Nordkoreas in der Vergangenheit regelmäßig Provokationen gab, so ließen sich immer nur dann Fortschritte in den Bemühungen zur friedlichen Beilegung des zentralen Konfliktthemas erreichen, wenn die internationale Gemeinschaft und Nordkorea im direkten diplomatischen Austausch miteinander standen. Dabei haben die Entwicklungen seit dem gescheiterten Gipfel von Hanoi erneut klar gezeigt, dass ein begrenztes Engagement nicht ausreicht, um die komplexe Frage der nuklearen Abrüstung Nordkoreas zu lösen. Vielmehr muss einerseits der Diplomatie auf Arbeitsebene ein größerer Spielraum und mehr Flexibilität gewährt werden. Und andererseits bedarf es eines Sets geeigneter Formate zur Adressierung der zahlreichen Herausforderungen, die mit einer möglichen Denuklearisierung Nordkoreas einhergehen.
Spielraum für die Diplomatie
Die Aufnahme substantieller Denuklearisierungsverhandlungen zwischen den USA und Nordkorea setzt Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten voraus. So ist es unrealistisch zu erwarten, dass Washington weitreichende Zugeständnisse macht, ohne dass Pyongyang eine nachprüfbare Verpflichtung zur Abrüstung eingegangen ist. Es ist jedoch ebenso unrealistisch zu erwarten, dass Kim Jong Un einem Verhandlungsansatz zustimmt, der keine Garantien zum Schutz seines Regimes enthält und Nordkorea keine Möglichkeiten bietet, seine wirtschaftliche Entwicklung parallel zur Denuklearisierung (und nicht etwa erst danach) zu forcieren. Wenn die USA und Nordkorea offiziell auf ihren jeweiligen Maximalpositionen beharren, wird der diplomatische Prozess 2020 nicht von der Stelle kommen. Es ist daher unerlässlich, dass beide Seiten ihre Verhandlungspositionen modifizieren. Nur wenn sie signalisieren, dass sie für Kompromisse offen sind, werden sie sich über das Endziel von Verhandlungen verständigen und eine entsprechende Roadmap formulieren können, die kurz-, mittel- und langfristige Zwischenergebnisse benennt. Ein mehrstufiger Ansatz, der politische, sicherheitspolitische und wirtschaftliche Regelungen umfasst und auch auf die Normalisierung der Beziehungen und die Errichtung eines Friedensregimes auf der koreanischen Halbinsel ausgerichtet ist, wäre ein vielversprechendes Verhandlungskonzept.
In einem ersten Schritt aber müssten sich die USA und Nordkorea darüber einig werden, was am Ende eines solchen Prozesses erreicht sein soll: die vollständige Denuklearisierung Nordkoreas im Gegenzug für die Schaffung eines Friedensregimes, die Aufhebung von Sanktionen und die Normalisierung der Beziehungen. Alle diese Ziele müssten in sich wiederum klar definiert sein.
Der zweite Schritt bestünde in der Ausarbeitung eines abgestuften Fahrplans, um diese Ziele zu erreichen. Eine solche Roadmap müsste realistische Zwischenetappen benennen, wobei verschiedene Optionen existieren – von einem umfassenden Benchmarking des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms über ein vorübergehendes Einfrieren des spaltbaren Materials des Nukleararsenals bis hin zu einer Deckelung des Arsenals selbst. Das unmittelbare Ziel der Festlegung solcher Zwischenschritte ist es, die Sicherheitslage auf der koreanischen Halbinsel zu verbessern, die Grundlagen für eine eventuelle Denuklearisierung zu schaffen und erste verifizierte Schritte auf dem Weg dorthin zu gehen, die eine gewisse Lockerung der Sanktionen ermöglichen. Gerade das Thema Verifikation hat sich in vergangenen Verhandlungen als ein besonders schwer zu überwindendes Problem erwiesen. Doch die internationale Gemeinschaft sollte gerade in dieser Frage, an der die Glaubwürdigkeit des Denuklearisierungsprozesses hängt, keine Abstriche machen. Im Gegenzug für überprüfbare Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung sollten die USA, aber auch die EU, ihrerseits zu einer partiellen Sanktionserleichterung bereit sein.
Die Weigerung der US-Administration, eine begrenzte Sanktionsentlastung als Teil des Verhandlungsprozesses in Betracht zu ziehen, ist durchaus kritisch zu betrachten. Leider wird diese Haltung auch von der EU und insbesondere der E3 (Deutschland, Frankreich und England) geteilt. Vor allem dass Washington es ablehnt, der südkoreanischen Moon-Regierung die Wiederaufnahme gemeinsamer Wirtschaftsprojekte mit Nordkorea zu gestatten, ist kurzsichtig; nicht zuletzt da diese Politik ein Problem in den innerkoreanischen Beziehungen zementiert, das sich erneut nach dem Gipfel von Hanoi ganz deutlich manifestiert hat: die direkte Abhängigkeit des innerkoreanischen Verhältnisses von der Dynamik der US-Nordkorea-Beziehungen. Zum anderen würde die Gewährung begrenzter Erleichterungen durchaus im Einklang mit der Logik stehen, aus der heraus die Sanktionen gegen Nordkorea erlassen worden sind. Denn mit den Zwangsmaßnahmen sollte letztlich nicht (nur) negatives Verhalten bestraft werden; sie sollten auch positive Anreize bieten, um der Diplomatie mehr Raum zu geben. Das heißt aber auch, dass die Arbeitsebene ein klares Mandat für Verhandlungsinhalte und ‑spielräume bekommen müsste, was insbesondere auf Seiten Nordkoreas eine Ausweitung der zu sehr auf die Gipfelebene verengten Kommunikation mit den USA erfordert. Die langanhaltende Weigerung Pyongyangs, sich auf Arbeitsebene mit amerikanischen Gesprächspartnern an einen Tisch zu setzen, erstickt a priori das Potential von Diplomatie und verstellt den Weg für eine nachhaltige Lösung der Nuklearfrage.
Flexibilität in den Formaten
Im Umgang mit der Bedrohung, die von den Nuklear- und Raketenprogrammen Nordkoreas ausgeht, hat die internationale Gemeinschaft seit den 1990er Jahren mehrere bilaterale und auch multilaterale Initiativen zum Dialog mit Pyongyang gestartet. Auch wenn keine dieser Initiativen bis heute zum eigentlichen Ziel der Denuklearisierung Nordkoreas geführt hat, greift es zu kurz, diese Ansätze als per se gescheitert zu betrachten. Vielmehr gilt es, die richtigen Lektionen aus den vorausgegangenen Verhandlungsvorstößen zu ziehen. Das gilt auch und gerade für die Frage, welches Format zur Bearbeitung der zahlreichen Herausforderungen angemessen ist, die mit der Denuklearisierung Nordkoreas verknüpft sind. Denn neben der atomaren Abrüstung müssen unter anderem ein Friedensregime auf der koreanischen Halbinsel etabliert, die regionalen Beziehungen normalisiert und ein multilateraler Sicherheitsmechanismus für Korea kreiert werden. Ohne Zweifel wird die Diplomatie auf der koreanischen Halbinsel derzeit von bilateralen Prozessen dominiert. Die genannten flankierenden Verhandlungsziele werden es aber notwendig machen, weitere Akteure wie etwa China, Japan und die Vereinten Nationen einzubeziehen und neue Formate ins Leben zu rufen. Zu den Erfahrungen, die aus den zurückliegenden Denuklearisierungsverhandlungen mit Nordkorea gewonnen wurden, zählt nicht zuletzt, dass Formate wie etwa die Sechs-Parteien-Gespräche überfrachtet gewesen sind, weil man in ihrem Rahmen eine Vielzahl oftmals miteinander verwobener issues mitverhandeln wollte.
Ein möglicher Beitrag Europas
Nach Jahrzehnten der Konfrontation und immer wieder gescheiterter Versuche einer Verständigung zwischen Nordkorea und der internationalen Gemeinschaft hat die seit 2018 zu beobachtende Rückkehr der Diplomatie auf der koreanischen Halbinsel erneut ein »window of opportunity« geöffnet. Auch Europa kann und sollte konkrete Beiträge leisten, um dieses Fenster offen zu halten – nicht zuletzt, weil ein Scheitern des gegenwärtig angebahnten Verhandlungsprozesses enorme Gefahren für den Frieden und die Stabilität in Ostasien und darüber hinaus bedeuten würde.
Auf Seiten der EU sollte diese Erkenntnis mit der Einsicht einhergehen, dass die bisherige Strategie gegenüber Nordkorea zwei entscheidende Schwächen aufwies. Zum einen hat der als »critical engagement« bezeichnete Ansatz nicht dazu beigetragen, die erklärten Ziele der EU gegenüber Pyongyang zu erreichen, nämlich durch eine Denuklearisierung Nordkoreas die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel und in der Region nachhaltig abzubauen, das internationale Nichtverbreitungsregime zu stärken und die Menschenrechtssituation in Nordkorea zu verbessern. Dies bedeutet selbstredend nicht, dass die Ziele als solche irrig wären, sondern vielmehr, dass die Methode, sie zu verwirklichen, ungenügend gewesen ist. Zweitens hat die Strategie des »critical engagement« auch ausgesprochen negative strategische Konsequenzen für die EU. Die zunehmende Fokussierung auf Sanktionen als zentrales Mittel im Umgang mit Nordkorea ging mit einer spürbaren Reduktion diplomatischer Initiativen einher. Dadurch ist die EU-Politik gegenüber Nordkorea immer passiver und reaktiver geworden. Mehr noch, die EU verknüpfte Fortschritte in der Nuklearfrage direkt mit Fortschritten in anderen Bereichen der Beziehungen zu Pyongyang. Aufgrund des äußerst begrenzten diplomatischen Einflusses der EU in der Nuklearfrage hat diese Strategie den Spielraum Brüssels zusätzlich eingeschränkt und die Glaubwürdigkeit der Europäer als Akteur in Sicherheitsfragen in Nordostasien weiter dezimiert.
Angesichts der Konsequenzen, die auch für Europa zu erwarten sind, wenn der diplomatische Prozess mit Nordkorea scheitert, ist es dringend geboten, dass Brüssel und die Regierungen der Mitgliedstaaten dem Konflikt auf der koreanischen Halbinsel endlich den adäquaten politischen Stellenwert beimessen. Die EU sollte eine mit den regionalen Partnern abgestimmte, aber dennoch unabhängige und auf den Interessen Europas basierende Politik formulieren – und diese gegenüber den Hauptakteuren im Korea-Konflikt klar kommunizieren. Denn wenn auch der direkte diplomatische Einfluss Europas begrenzt ist, hat Brüssel im Hinblick auf die koreanische Halbinsel nichtsdestotrotz starke strategische Interessen: Dazu zählen unter anderem die regionale Sicherheit in Ostasien, die Legitimität des Nichtverbreitungsregimes, die Achtung der Menschenrechte und die Stärkung der multilateralen Zusammenarbeit. Bei den Bemühungen, ihre Rolle auf der koreanischen Halbinsel neu zu bestimmen, kann es der EU nicht darum gehen, einen strategischen Part in der Nuklearfrage zu übernehmen – dies wäre weder realistisch noch hilfreich. Vielmehr sollte sich Europa dezidierter auf seine Stärken stützen und seine außenpolitischen Vorteile (wie etwa seine vielfältigen Beziehungen zu allen am Konflikt beteiligten Parteien) besser ausspielen und sich somit auf spezifische und realistische Initiativen konzentrieren, die einen klaren Mehrwert für eine diplomatische Lösung der Nuklearfrage schaffen.
Wie diese Stärken gewinnbringend eingebracht werden können und welchen Beitrag Europa zur Konfliktbewältigung in Korea leisten kann, zeigt nicht zuletzt das Beispiel Schweden, das immer wieder eine Brücke zwischen Nordkorea, den USA und Europa gebildet und auch den Dialog zwischen Washington und Pyongyang wiederholt arrangiert und gefördert hat. Zuletzt richtete Schweden 2019 beide Treffen der Verhandlungsführer Nordkoreas und der USA auf Arbeitsebene aus. Solche Initiativen einzelner EU-Mitgliedstaaten sind von großer Bedeutung. Allerdings wurden sie von Brüssel zuletzt eher geduldet als politisch effektiv unterstützt.
Auch wenn die Neuformulierung der europäischen Strategie gegenüber Nordkorea sicherlich ein langfristiges Unterfangen darstellt, gibt es doch konkrete Initiativen, die von der EU und/oder ihren Mitgliedstaaten auch kurzfristig umgesetzt werden können und sollten.
Wiederaufnahme des politischen Dialogs der EU mit Nordkorea
Der politische Dialog zwischen der EU und Nordkorea, der erstmals im Dezember 1998 stattfand, diente in erster Linie der Verbesserung der bilateralen Beziehungen. Der seither 14 Mal auf »senior-level« abgehaltene Dialog wurde für Brüssel zweifellos zu einer der wichtigsten Ressourcen gegenüber Pyongyang. Im Rahmen dieses Formats wurden verschiedene Themen erörtert, darunter die Massenvernichtungswaffenprogramme Nordkoreas, die Situation der Menschenrechte dort, die Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea, Möglichkeiten zum Abbau der Spannungen auf der koreanischen Halbinsel, die Unterstützung mit Nahrungsmitteln und die humanitäre Hilfe der EU. Im Einklang mit ihrer zunehmend restriktiven Politik, die Sanktionen in den Mittelpunkt stellte und den offiziellen Austausch mit Nordkorea reduzierte, stoppte die EU den politischen Dialog jedoch einseitig nach der vorerst letzten Verhandlungsrunde im Juni 2015. Nordkorea selbst schlug 2018 eine Wiederaufnahme der Gespräche vor – ein Angebot, das zwar von einigen Mitgliedsstaaten unterstützt, aber insbesondere von den E3 mit dem Hinweis abgelehnt wurde, Nordkorea müsse zuvor »mehr tun«. Diese Entscheidung ist bedauerlich, denn die EU hätte durch eine Rückkehr zum politischen Dialog nichts zu verlieren und durchaus etwas zu gewinnen: Das Gesprächsformat bietet Brüssel eine der wenigen Gelegenheiten, die von Europa als besonders wichtig erachteten Fragen – wie etwa die friedliche Beilegung des Atomkonflikts, Nonproliferation oder Menschenrechte – in einem institutionalisierten Rahmen direkt mit Nordkorea zu erörtern. Um den eigentlichen Entscheidungsträgern in Pyongyang näher zu kommen, sollte Brüssel sogar die Möglichkeit in Betracht ziehen, den Dialog aufzuwerten und auf eine höhere diplomatische Ebene zu heben. Ein stabiler Gesprächskanal zwischen der EU und Nordkorea könnte dazu beitragen, ein tieferes Verständnis von den nordkoreanischen Motiven und Zielen zu gewinnen, und würde möglicherweise gleichzeitig das Vertrauensverhältnis zwischen beiden Seiten verbessern – was sich unabhängig davon positiv auswirken würde, ob die laufenden Verhandlungen zwischen Nordkorea und den USA sowie zwischen den beiden Koreas erfolgreich sind oder nicht.
Expertengespräche und Track‑1.5‑Dialoge
Parallel zur Wiederaufnahme des politischen Dialogs sollten die EU und/oder einzelne Mitgliedstaaten den Austausch von Expertinnen und Experten sowie Offiziellen auf Track-1.5-Ebene zu jenen Themenbereichen forcieren, zu denen Europa einen zweckmäßigen Beitrag leisten kann. Insbesondere nach dem Kollaps der Sechs-Parteien-Gespräche, als der offizielle Dialog mit Nordkorea weitestgehend erlahmte, haben Think-Tanks und akademische Einrichtungen in mehreren europäischen Ländern (zum Beispiel in Schweden, Norwegen, Finnland und Spanien) bereits Foren geschaffen, in denen nordkoreanische und westliche Fachleute und (ehemalige) Regierungsvertreterinnen bzw. ‑vertreter zu diskreten Gesprächen zusammenkamen. Tatsächlich gibt es zahlreiche Belege dafür, dass Nordkorea derartigen Dialogen durchaus Bedeutung zumisst. Denn solche Plattformen bieten unter anderem die Gelegenheit für »back-channel messaging« oder auch dazu, sogenannte »Versuchsballons« zu lancieren. Auch wenn sich die verschiedenen Track-1.5-Initiativen, in die Nordkorea eingebunden ist, erheblich im Hinblick auf ihren jeweiligen Institutionalisierungsgrad, die behandelten Themen und Ziele sowie ihre personelle Zusammensetzung unterscheiden, so lässt sich doch allgemein feststellen, dass solche Treffen dazu beitragen, zusätzliche Informationen über Nordkorea, seine Positionen und die institutionellen und politischen Dynamiken zu gewinnen, die diesen Positionen zugrunde liegen. Wenn einzelne EU-Mitgliedstaaten sich miteinander abstimmen und die Institutionalisierung von Track-1.5-Gesprächen (etwa über die technischen Aspekte der Denuklearisierung) initiieren würden, könnten solche Kanäle den offiziellen Dialog Europas mit Nordkorea ergänzen und auf diese Weise eine zentrale Lücke in den komplexen Prozessen der Denuklearisierung und Friedenskonsolidierung in Korea schließen. Mit ihrer Expertise im Bereich Nichtverbreitung, auf die sich die EU und ihre Mitglieder nicht zuletzt aufgrund ihrer Erfahrungen aus den Verhandlungen mit dem Iran stützen können, wären europäische Staaten ein glaubwürdiger Gastgeber für solche Foren. Dies setzt jedoch voraus, dass innerhalb der EU und speziell auf Seiten der E3-Staaten der entsprechende politische Wille vorhanden ist. Nur dann kann solchen Initiativen ein angemessenes diplomatisches Gewicht verliehen werden.
Die Zeichen stehen auf einem konfliktreichen Jahr 2020
Wenn die komplexe Aufgabe, die mit der Denuklearisierung Nordkoreas verknüpft ist, bewältigt werden soll, muss zuerst ein robuster diplomatischer Prozess zwischen der internationalen Gemeinschaft (und vor allem den USA) und Nordkorea etabliert werden. Neben den oben diskutierten Herausforderungen sprechen jedoch auch die aktuell ungünstigen politischen Rahmenbedingungen in Washington und Pyongyang dafür, dass die Zeit, um einen solchen Prozess zu initiieren, begrenzt ist. So ist einerseits zu erwarten, dass die anstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA eine zunehmend spannungsgeladene Atmosphäre für die Gespräche zwischen Washington und Pyongyang schaffen werden. Nordkorea strebt eine schnelle Abmilderung des Sanktionsdrucks an. Doch die von Kim Jong Un gesetzte Frist, der zufolge der Dialog bis zum Jahresende wiederaufgenommen sein muss, lässt vermuten, dass das nordkoreanische Regime danach zu einer Politik der Kriseninduzierung zurückkehren könnte, etwa durch die Wiederaufnahme der Tests von Langstreckenraketen und Nuklearwaffen. Länger abzuwarten und auf Verhaltensänderungen Nordkoreas durch die Sanktionspolitik zu hoffen, ist für die internationale Gemeinschaft daher keine sinnvolle Option. Denn diese abwartende Haltung basiert auf der Prämisse, dass die Situation auf der koreanischen Halbinsel statisch ist – doch sie ist alles andere als das. Zwar ist die Gefahr einer militärischen Eskalation dank der diplomatischen Annäherung der vergangenen Monate und des Teststopps, den sich Nordkorea im Hinblick auf Nuklearwaffen und ballistische Langstreckenraketen verordnet hat, vorübergehend eingedämmt. Doch könnte Pyongyang seine Bemühungen zur Ausweitung und technischen Verbesserung seines Atomwaffen- und Raketenarsenals schnell wiederaufnehmen. Je länger die internationale Gemeinschaft und insbesondere die USA auf ein »besseres« Abkommen warten, desto größer ist die Gefahr, dass die gegenwärtige Gelegenheit verpasst wird, die Bedrohung, die von Nordkoreas Nuklear- und Raketenprogrammen ausgeht, weiter steigt und eine Verhandlungslösung in der Zukunft damit zusätzlich erschwert wird.
Dr. Eric J. Ballbach ist Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe Asien.
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ISSN 1611-6364
doi: 10.18449/2019A71