Mitte Februar fanden in Indonesien die weltweit größten Wahlen statt – und das an einem einzigen Tag. Rund 205 Millionen Wahlberechtigte wurden an die Urnen gerufen, um einen neuen Präsidenten, einen neuen Vizepräsidenten sowie fast 20 000 Abgeordnete für das nationale Parlament, die Provinz- und die Bezirksparlamente zu bestimmen. Der Fokus lag vor allem auf der Wahl des Präsidenten, weil dieser im politischen System des Landes eine hervorgehobene Stellung hat. Sieger ist nach Hochrechnungen der ehemalige General Prabowo Subianto. Seine Wahl zum Staatschef wird von einigen Beobachtern als Bedrohung der indonesischen Demokratie oder gar als Rückkehr zur Diktatur gewertet. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass Prabowo die Politik seines Vorgängers Jokowi fortsetzen wird, die vor allem der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes verpflichtet war. Demokratische Institutionen und Verfahren dürften indes weiter geschwächt werden. Deutschland und die EU sollten sich zugleich darauf einstellen, dass Indonesien unter Prabowo außenpolitisch aktiver und selbstbewusster auftreten wird. Leiten lassen wird sich Jakarta dabei wohl von einem dezidiert transaktional geprägten Verständnis internationaler Kooperation.
Die Wahlen in Indonesien am 14. Februar 2024 läuteten das Ende der zehnjährigen Präsidentschaft Joko Widodos (genannt »Jokowi«) ein, der nach zwei Amtszeiten kraft Verfassung nicht erneut hatte kandidieren dürfen. Jokowi, so viel scheint plausibel, wäre wiedergewählt worden, hätte er denn nochmals antreten können. Er genießt eine ungebrochen hohe Popularität, die zuvorderst darauf zurückgeht, dass die indonesische Volkswirtschaft und der Wohlstand kontinuierlich gewachsen sind. Auch aus den Irrungen der Covid-Pandemie, die viele Menschen im Land ökonomisch hart traf, führte er Indonesien wieder zu jährlichen Wachstumsraten von rund 5 Prozent. Unter Jokowi wurde zudem die lange Zeit marode Infrastruktur des Landes rasant ausgebaut. In vielen Regionen entstanden neue Flughäfen, Seehäfen und Straßen, oftmals finanziert durch chinesische Investments. Ebenso wurde in Indonesien der erste Hochgeschwindigkeitszug Südostasiens eingeführt. Allerdings waren diese Projekte finanziell, sozial und ökologisch mit gewaltigen Kosten verbunden, und mitunter wurde das Verhältnis zu ihrem Nutzen hinterfragt, etwa im Fall von Jokowis Prestigevorhaben, dem Bau einer neuen Hauptstadt namens Nusantara. Allerdings wurde auch die staatliche Gesundheitsversorgung verbessert und effizienter gemacht.
Mehr noch, international entwickelte sich Indonesien zu »Everybody’s Darling«. Aufgrund seiner Größe und strategischen Lage in Südostasien wurde das Land ebenso von China und Russland als Partner umworben wie von den USA, Japan, Südkorea, Australien, diversen europäischen Staaten sowie der EU. Vor allem für Deutschland und die EU erscheint Indonesien von zentraler Bedeutung, um die eigene Abhängigkeit von China zu reduzieren, ebenso als Adressat von Initiativen wie den Just Energy Transition Partnerships (JETP) der G7. Daran ändert auch nichts, dass Präsident Jokowi kaum Interesse an außenpolitischen Themen zeigte. Aus Sicht vieler Indonesier:innen ging es jedenfalls mit der nationalen Entwicklung und dem internationalen Status des Landes während seiner Amtszeit steil bergauf.
Innenpolitisch ist die Ära Jokowi allerdings auch geprägt von einer demokratischen Regression. Zwar hat Indonesien nach wie vor eine lebendige und diverse Zivilgesellschaft, doch wiederholt wurden kritische Vertreter:innen von NGOs und Medien juristisch etwa wegen Diffamierung oder Regierungsbeleidigung belangt. Jokowi übte politischen Einfluss auf das oberste Gericht des Landes aus, um seinem Sohn Gibran Rakabuming Raka – unter Dehnung geltender Gesetze und mit Hilfe seines Schwagers (damals Vorsitzender des Gerichts) – vor der jetzigen Wahl die Kandidatur zur Vizepräsidentschaft zu ermöglichen. Auch schränkte Jokowi die Macht der formell unabhängigen Antikorruptionsbehörde ein. Seine Präsidentschaft war gekennzeichnet durch eine wachsende Machtkonzentration in den Händen weniger alter wie neuer Eliten. Auch fehlte Indonesien zuletzt faktisch eine Opposition im Parlament. Über 80 Prozent der Abgeordneten gehören der von Jokowi geführten »big tent«-Koalition an.
Indonesien droht so immer mehr zu einer nur noch prozeduralen Demokratie zu werden, in der politischer wie ökonomischer Einfluss großteils bei einigen extrem reichen Familien liegt, die ihrerseits mittels Propaganda und Desinformation über soziale Medien den gesellschaftlichen Diskurs zu lenken versuchen. An Jokowis bis zum Ende seiner Amtszeit hohen Zustimmungswerten von über 70 Prozent änderte all dies jedoch nichts.
Das große Ansehen des bisherigen Präsidenten machte sich Prabowo gezielt zunutze, indem er sich im Wahlkampf als Bewahrer von Jokowis Erbe präsentierte. Unterstützt wurde er dabei durch eine mit Halbwahrheiten und Falschinformationen gespickte Social-media-Kampagne. Das inoffizielle Bündnis, das Prabowo mit dem scheidenden Staatschef einging, als er dessen Sohn Gibran zu seinem Vizepräsidentschaftskandidaten machte, ebnete ihm letztlich den Weg zum Wahlsieg.
Ein politisches Chamäleon
Das Erbe Jokowis tritt mit Prabowo nun ein Mitglied einer der vermögendsten und politisch einflussreichsten Familien des Landes an. Sein Großvater spielte eine führende Rolle im indonesischen Unabhängigkeitskampf, danach war er einer der Gründer der staatlichen Entwicklungsbank BNI sowie Berater des ersten Präsidenten Sukarno. Prabowos Vater hatte mehrere Ministerposten während der Suharto-Diktatur inne, sein Bruder wiederum ist einer der reichsten Geschäftsmänner des Landes.
Die Karriere Prabowos begann unter Suharto im Militär. Er heiratete eine von dessen Töchtern und hatte damit schon früh eine persönliche Verbindung zu dem damaligen Diktator. Als General war Prabowo unter anderem in Osttimor während der indonesischen Besatzung stationiert. Dort soll er in Massaker an der Zivilbevölkerung verwickelt gewesen sein. Als 1998 bei studentischen Massenprotesten der Rücktritt Suhartos gefordert wurde, war Prabowo laut Menschenrechtsorganisationen daran beteiligt, führende Vertreter der Bewegung kidnappen und verschwinden zu lassen. Die Vorwürfe blieben unaufgeklärt, und Prabowo wurde nie verurteilt, 1998 indes wegen Insubordination aus dem Militär entlassen. Nach einigen Jahren des selbstgewählten Exils kehrte er 2001 nach Indonesien zurück und betätigte sich zunächst als Geschäftsmann, in der Papier- und der Palmöl-Branche ebenso wie im Öl‑ und Gassektor. Parallel bemühte er sich um eine politische Karriere auf nationaler Ebene.
Bis zu seinem jetzigen Wahlsieg ging er dabei immer als Verlierer vom Platz. 2009 kandidierte er erfolglos für die Vizepräsidentschaft. 2014 und 2019 verlor er im Rennen um das Präsidentenamt jeweils gegen Jokowi. Ideologische und politische Linientreue schienen für Prabowo bisher nur marginale Bedeutung zu haben. Die von ihm 2008 gegründete Gerindra-Partei, in der letzten Legislaturperiode drittstärkste Kraft im Parlament, ist ultrarechts-nationalistisch ausgerichtet. Prabowo paktierte 2009 jedoch mit der eher linksnationalistischen Partei PDI-P um Indonesiens frühere Präsidentin Sukarnoputri Megawati, bevor er dann mit dem alten Rivalen der PDI-P, der Golkar-Partei, kooperierte. Im Wahlkampf 2014 bediente sich Prabowo radikal nationalistischer Parolen, um dann vor der Wahl 2019 die »islamische Karte« zu spielen, indem er einen Pakt mit ultrakonservativen muslimischen Kräften einging. Den Wahlsieg Jokowis 2019 erkannte er zunächst nicht an und beschuldigte diesen der Manipulation, wurde kurze Zeit später aber Verteidigungsminister in dessen Regierung. Viel bekannter als für seine politischen Überzeugungen ist Prabowo denn auch für seine Impulsivität, seinen Jähzorn und seinen Machthunger, den er auch durch Bündnisse mit rivalisierenden Eliten zu stillen versucht.
Innenpolitik: Mehr Kontinuität als Wandel
Wenn Prabowo im Oktober den Präsidentenpalast bezieht, ist trotz seiner Allianz mit dem scheidenden Präsidenten nicht davon auszugehen, dass er als verlängerter Arm Jokowis agieren wird. Allerdings dürfte Prabowo zumindest das innenpolitische Erbe seines Vorgängers in großen Teilen fortführen. Dazu gehört vor allem der weitere Ausbau der Infrastruktur im Land. So hat Prabowo angekündigt, Jokowis umstrittenes, 33 Milliarden Dollar teures Projekt zur Errichtung einer neuen Hauptstadt im Dschungel von Borneo weiterzuverfolgen. Auch an diversen anderen Großvorhaben wie etwa Hochgeschwindigkeitszügen soll unter Prabowo festgehalten werden, obwohl sie vielfach von chinesischen Investitionen abhängig sind und oft mit hoher Verschuldung einhergehen.
Darüber hinaus teilt er das Ziel seines Vorgängers, Indonesien in ein modernes Industrieland zu verwandeln. Unter Prabowo soll durch noch mehr industrielles »downstreaming« die Wertschöpfung im eigenen Land weiter erhöht werden. Die unter Jokowi erlassenen, in Europa kontroversen Exportverbote für Rohstoffe wie Nickel, Bauxit oder Kupfer (Letzteres ab 2024) will Prabowo in Kraft lassen.
Lange Zeit hatte Indonesien seine Rohstoffe lediglich exportiert. Der Rest der Wertschöpfungskette – also Veredelung, Weiterverarbeitung und Produktion – fand in den importierenden Ländern statt. Die wachsende globale Nachfrage etwa nach Nickel, das unter anderem zur Produktion von Batterien für Elektroautos benötigt wird, möchte Indonesien für sich nutzen, verfügt es doch über die weltweit größten Vorkommen des Metalls. Durch Exportverbote sowie Anreize für ausländische Unternehmen, in Veredelung, Weiterverarbeitung und Produktion im Land selbst zu investieren, will Indonesien eine höhere Wertschöpfung innerhalb der eigenen Grenzen erreichen und sich vom Dasein des reinen Rohstofflieferanten verabschieden. Und zumindest im Fall von Nickel zeigt sich bisher Erfolg. Vor allem chinesische Firmen tätigten entsprechende Investments in Indonesien, und dessen Export von Nickelprodukten ist seit 2020 um fast 100 Prozent gestiegen.
Zwar hatte die EU 2019 bei der Welthandelsorganisation (WTO) gegen Indonesiens Exportverbot für Nickelerz geklagt und Recht bekommen. Das Land legte jedoch umgehend Berufung ein – Folge ist ein Prozess, der angesichts der Dysfunktionalität des WTO-Berufungsorgans viele Jahre dauern dürfte. Aus Sicht Jakartas will die EU mit der Klage das Bestreben rohstoffexportierender Staaten einhegen, mehr von der Wertschöpfungskette im eigenen Land zu halten. Die EU entgegnet, dass WTO-Konformität zentral für einen freien und regelbasierten Handel sei. Derweil wurden in Indonesien jedoch Fakten geschaffen. Jakarta will das Exportverbot erst dann zurücknehmen, wenn die nationalen Verarbeitungskapazitäten noch weiter ausgebaut sind. Zu Prabowos innenpolitischen Ziele gehört auch, das Land bei der Ernährungs- und Energiesicherheit unabhängiger zu machen.
Außenpolitik: Aktivere Rolle und wachsendes Selbstbewusstsein
Indonesien ist nicht nur eine der bevölkerungsreichsten Demokratien der Welt, sondern gilt auch als Symbol für die Vereinbarkeit von Demokratie und Islam. Allein schon seiner Größe und geographischen Lage wegen ist das Land überdies ein wichtiger Akteur im Kontext der zunehmenden Großmächterivalität zwischen den USA und China im Indopazifik. Der Status eines Beitrittskandidaten für die OECD untermauert das wachsende wirtschaftliche Gewicht Indonesiens. Entsprechend hat sich das Spektrum an Themen, die für Jakarta relevant sind, in der letzten Dekade stark vergrößert. Es reicht von Fragen regionaler Integration über den Bürgerkrieg in Myanmar, die Lage im Südchinesischen Meer und die Taiwan-Frage bis zum israelisch-palästinensischen Konflikt. Indonesien wird dabei zunehmend von einer Vielzahl an Staaten umworben. Dessen ungeachtet hat das Land unter Jokowi außenpolitisch eine sehr passive Rolle gespielt. Für ihn war Außenpolitik nur dann von Interesse, wenn sich ein direkter Zusammenhang zur wirtschaftlichen Entwicklung Indonesiens ergab. An Jakartas außenpolitischen Traditionslinien rüttelte er nicht. Dazu gehören Neutralität, die Ablehnung von Allianzen sowie geopolitischen »Blöcken« und vor allem das Streben nach strategischer Autonomie durch sogenanntes Hedging. Letzteres bezeichnet das Bemühen, eine Vielzahl internationaler Akteure einzubeziehen, um Vorteile für sich zu maximieren und gleichzeitig die Risiken zu großer Abhängigkeit von einzelnen Staaten zu verringern.
Der in England, der Schweiz und Malaysia aufgewachsene Prabowo dürfte international durchaus anders agieren als sein Vorgänger. Denn im Unterschied zu Jokowi spricht er fließend Englisch, genießt das globale Rampenlicht und will Indonesiens Status weiter erhöhen. Zwar ist unwahrscheinlich, dass Prabowo die etablierten Grundlinien der indonesischen Außenpolitik antasten wird, wohl aber lässt sich erwarten, dass Jakarta unter seiner Präsidentschaft eine aktivere Rolle auf internationaler Bühne spielen wird. Bereits als Verteidigungsminister scheute Prabowo in dieser Hinsicht vor unkonventionellen Ideen und unberechenbaren Vorgehensweisen nicht zurück. So präsentierte er etwa einen weder innerhalb der eigenen Regierung noch mit externen Partnern abgestimmten Friedensplan für die Ukraine, der vor allem in Kiew, Washington und Brüssel ob seiner »pro-russischen« Elemente für Stirnrunzeln sorgte. Dass er zuletzt ankündigte, eine indonesische Botschaft in Gaza zu eröffnen, passt ebenfalls in dieses Bild. Auch über einen baldigen Beitritt Indonesiens zur Staatengruppe BRICS sprach Prabowo im Wahlkampf. Äußerst dünnhäutig wiederum reagierte er auf perzipierte Bevormundungen seines Landes durch ausländische Mächte und vermeintliche »neokoloniale Attitüden«.
Jenseits überraschender Initiativen auf globalem Parkett müssen sich Indonesiens Partner auf ein noch stärker transaktional ausgerichtetes Verständnis von Außenpolitik einstellen – einen Ansatz also, bei dem Jakarta für sein internationales Engagement einen konkreten Gegenwert erwartet. Der Fokus der indonesischen Seite liegt dabei vor allem auf kurzfristigen Vorteilen meist materieller Art. In diesem Sinne dürften sich auch für Deutschland und andere europäische Staaten immer wieder punktuelle Möglichkeiten der Kooperation bieten, beispielsweise beim Übergang Indonesiens zu erneuerbaren Energien. Zur JETP mit Jakarta, die im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft vereinbart wurde, hat sich Prabowo bereits positiv geäußert.
Neuer Realismus in den Beziehungen zu Indonesien
Dabei gilt es für Berlin den Stellenwert der Beziehungen zu Indonesien im regionalen Kontext realistisch einzuschätzen. Mindestens zwei Aspekte sollte man berücksichtigen, um einem solchen neuen Realismus gerecht zu werden. Erstens wird Deutschland viele der selbstgesteckten Ziele im Indo-Pazifik kaum erreichen können, ohne eng mit Indonesien zusammenzuarbeiten. Zu diesen Zielen gehören unter anderem die Diversifizierung von Lieferketten, Rohstoffpartnerschaften, die Bekämpfung des Klimawandels und die Sicherheit maritimer Handelsrouten. Auch ist die strategische Bedeutung des Archipelstaates geopolitisch wie geoökonomisch schlichtweg zu groß, um Indonesien stiefmütterlich zu behandeln. Bereits ein Blick auf die Landkarte der Region reicht für diese Erkenntnis aus.
Obwohl Deutschland und Indonesien die jeweils größten Volkswirtschaften in Europa bzw. Südostasien bilden, sind die bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern vergleichsweise unterentwickelt. Der wechselseitige Handel ist eher gering; mit Vietnam und Malaysia, beides sehr viel kleinere Volkswirtschaften, ist das bilaterale Handelsvolumen jeweils mehr als doppelt so groß. Politisch und gesellschaftlich sind die deutsch-indonesischen Beziehungen nach heutigem Stand ebenfalls nicht sehr eng, auch wenn sie sich allgemein in vielen Politikbereichen kooperativ und freundschaftlich gestalten.
Zweitens gilt es im Sinne eines neuen Realismus zu akzeptieren, dass Transaktionalismus im Umgang mit Indonesien kein Schimpfwort ist – aus dortiger Sicht ganz im Gegenteil. Der Umstand, dass Jakarta ob seiner wachsenden strategischen Bedeutung von vielen internationalen Partnern umworben wird, macht es notwendig, diesen ausgeprägten Politikansatz des Landes pragmatisch zu behandeln. Dies betrifft zuvorderst Indonesiens materielle Interessen unter der neuen Regierung, aber auch deren ordnungspolitische Vorstellungen. Letztere sind oftmals nicht deckungsgleich mit den deutschen, etwa was den Blick auf Russlands Invasion in der Ukraine angeht. Für eine bilaterale Kooperation auf Augenhöhe empfiehlt es sich, von Beginn an die enge Abstimmung mit Prabowos Regierung zu suchen, mögliche Interessendivergenzen früh und offen anzusprechen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Gefragt sind dabei neben bilateralen Formaten auch Verhandlungen über internationale Regulierungsfragen.
Geht es um Letztere, dürfte Prabowo vor allem für die EU allerdings ein noch schwierigerer Partner sein als sein Vorgänger. Brüssel verhandelt derzeit mit Jakarta über ein Freihandelsabkommen, dem Prabowo bislang einigermaßen reserviert gegenübersteht. In einer außenpolitischen Grundsatzrede während des Wahlkampfs gab er zu verstehen, dass er durchaus bereit wäre, die Verhandlungen platzen zu lassen, sollte die EU ihre »protektionistische« Haltung nicht ändern. Bei indonesischen Agrarausfuhren sieht Prabowo sein Land durch eine EU-Verordnung gegen Abholzung unmittelbar benachteiligt. Das betrifft vor allem Palmöl, dessen weltweit größter Exporteur Indonesien ist. Die EU-Verordnung zielt darauf ab, die Einfuhr von Rohstoffen wie Palmöl zu verbieten, wenn sie mit der illegalen Abholzung von Wäldern in Verbindung stehen. Zudem stellt die Verordnung strenge Zertifizierungsanforderungen an die Produzenten von Palmöl. Im August 2023 hat Jakarta bei der WTO ein Verfahren gegen EU-Zölle auf indonesischen Biodiesel, der aus Palmöl hergestellt wird, eröffnet.
Mit dem künftigen Freihandelsabkommen sollen 95 Prozent der Zölle auf Waren und Dienstleistungen abgeschafft, ausländische Direktinvestitionen ausgeweitet und die Wettbewerbsbedingungen zwischen privaten und staatlichen Unternehmen angeglichen werden. Dies böte neue Chancen, das bislang im regionalen Vergleich relativ geringe Handelsvolumen zwischen EU-Staaten und Indonesien zu erhöhen. Zudem würde es auch die strategische Präsenz der EU in der Region stärken, wenn es gelänge, die Verhandlungen mit einem der zentralen Akteure dort erfolgreich zu beenden. Deutschland sollte sich deshalb dafür einsetzen, dass das Freihandelsabkommen noch unter der Regierung Jokowi – die bis Herbst des Jahres amtiert – abgeschlossen wird.
Schwierigkeiten im Verhältnis Indonesiens zur EU sollten nicht zu der Annahme verleiten, die Außen- und Sicherheitspolitik des Landes gestalte sich zunehmend antieuropäisch oder antiwestlich. Letzteres ist so nicht zu beobachten. Sicherheitspolitisch etwa hat sich Indonesien während Prabowos Amtszeit als Verteidigungsminister stärker in Richtung USA und Nato orientiert. Einerseits geschah dies aufgrund der massiven Aufrüstung Chinas und seines aggressiven Vorgehens in von Jakarta beanspruchten Gewässern um die Natuna-Inseln im Südchinesischen Meer. Andererseits geht es Indonesien darum, seine wachsende wirtschaftliche Abhängigkeit von China durch eine sicherheitspolitische Kooperation mit den USA sowie Partnern bzw. Alliierten Washingtons auszubalancieren. Neben gemeinsamen Militärübungen und Trainingsprogrammen betrifft dies vor allem den Rüstungssektor. Zwecks Modernisierung seiner Streitkräfte hat Indonesien zuletzt etwa F‑15-Kampfflugzeuge sowie Black-Hawk-Helikopter in den USA, französische Rafale-Jets und türkische Drohnen bestellt.
Bei den in jüngster Zeit getätigten Rüstungskäufen in den USA und Europa sollte jedoch nicht übersehen werden, dass eines von Jakartas übergeordneten Zielen dabei immer auch der Ausbau der heimischen Verteidigungsindustrie ist. Ein Gesetz aus dem Jahr 2012 schreibt vor, dass bei der Beschaffung von Militärgütern inländische Unternehmen zu bevorzugen sind. Gehen Aufträge ins Ausland, soll das betreffende Geschäft auch umfangreiche Wissens- und Technologietransfers nach Indonesien umfassen, damit die eigene Industrie davon profitieren kann. So wurden zuletzt etwa auf indonesischen Werften in Kooperation mit einem holländischen Rüstungskonzern zwei Fregatten der Sigma-Klasse gebaut. Das Motiv für die sicherheitspolitische Kooperation mit holländischen, amerikanischen, französischen oder türkischen Partnern ist nicht allein strategischer Natur. Entscheidend ist ebenso, dass sie bereit sind, Ausbildung zu leisten, technisches Know-how zu teilen, Lizenzen zu vergeben und Produktionskapazitäten in Indonesien auszubauen. Auch die militärische Modernisierung des Landes folgt daher zumindest partiell dem innenpolitischen Imperativ der nationalen Wirtschaftsentwicklung. Deutschland und die EU sollten in ihre Beziehungen zu Jakarta diesen ökonomischen Primat stets mitreflektieren und die Partnerschaft mit dem Land hier ebenfalls an einem neuen Realismus ausrichten.
Wendepunkt oder weiter so?
Dass mit Prabowo Subianto ein Ex-General aus der Suharto-Ära im dritten Anlauf die Präsidentschaftswahlen des Landes gewinnen konnte, ist nicht gleichbedeutend mit einer Rückkehr in die Diktatur. Aber die Art und Weise seines Wahlsiegs hat signifikante Defekte der indonesischen Demokratie aufgezeigt. Prabowo tritt das Präsidentenamt 2024 in einem innenpolitischen Kontext an, in dem demokratische Institutionen viel schwächer sind als noch vor zehn Jahren. Überdies ist im Parlament keine starke Opposition zu erwarten, sollte es unter Prabowo eine weitere demokratische Regression geben. Denn nahezu alle dort vertretenen Parteien gehörten in den letzten zehn Jahren den von Jokowi geführten Koalitionen an und unterstützten offen die Maßnahmen, mit denen die demokratische Kontrolle der Exekutive untergraben wurde. Daher könnten die Wahlen 2024 durchaus einen Wendepunkt in Indonesiens Demokratisierungsprozess darstellen. Zu befürchten ist, dass der Weg nunmehr in Richtung einer nur noch prozeduralen Demokratie führt.
International wird Indonesien unter Prabowo wohl eine selbstbewusstere und aktivere Rolle spielen. Dabei ist es durchaus möglich, dass der neue Präsident gelegentlich mit unkonventionellen Ideen und Vorgehensweisen für Schlagzeilen sorgt. Die Beziehungen des Landes zur EU dürften sich weiter schwierig gestalten. Im Wahlkampf setzte Prabowo auf eine nationalistische Rhetorik des »Indonesien zuerst«; folgen könnten also bald noch mehr handels- wie wirtschaftspolitischer Transaktionalismus und »Protektionismus«. Für Deutschland und andere europäische Akteure dürften sich so zumindest punktuell Möglichkeiten der politischen Zusammenarbeit eröffnen. Eine breiter aufgestellte, strategischere Kooperation mit Jakarta wird nicht immer einfach sein, allein schon wegen des teils unberechenbaren Politikstils des neuen Präsidenten. Sie ist jedoch weiterhin nötig zwecks Erreichung der selbstgesteckten Ziele deutscher und europäischer Politik in der Region – wie auch ob der über Südostasien hinausgehenden strategischen Rolle und Bedeutung Indonesiens.
Dr. Felix Heiduk ist Leiter der Forschungsgruppe Asien.
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