Die Ebolafieber-Epidemie in der Demokratischen Republik Kongo verdeutlicht, wie dringlich es ist, die Zusammenarbeit zwischen Sicherheits-, Gesundheits- und Entwicklungsakteuren auszubauen. Da die Krankheit sich ausbreitet, hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den internationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen. In Krisensituationen sind die Zusammenhänge von Gesundheit und Sicherheit hochkomplex. Welche Bevölkerungsgruppen und welche Krankheit mit welcher Begründung als angebliches Gesundheitsrisiko wahrgenommen werden, ist eine normative Frage für Geberländer. Politische Konsequenzen hat sie vor allem für betroffene Entwicklungsländer. Wo Gesundheit und Sicherheit gemeinsame Ziele sind, reicht es nicht aus, nur Infektionskrankheiten in Entwicklungsländern einzudämmen. Vielmehr müssen dort krisenresistente, funktionsfähige und zugängliche Gesundheitssysteme etabliert werden. Dies fördert die Umsetzung des Menschenrechts auf Gesundheit, schafft Vertrauen in staatliche Strukturen und berücksichtigt Sicherheitsinteressen anderer Staaten. Die Bundesregierung könnte sich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) für eine Politik unter dem Narrativ »Stabilität durch Gesundheit« einsetzen.
Seit August 2018 grassiert im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo erneut das Ebolafieber. Bislang erkrankten mehr als 2500 Menschen, über 1700 davon starben. Das Fieber brach in einer konfliktgeprägten Region aus, in der staatlichen Autoritäten misstraut wird und Milizen Gewalttaten verüben. Angriffe auf humanitäres und medizinisches Personal forderten auch zivile Opfer, darunter ein Mitarbeiter der WHO. Deshalb sahen sich internationale Organisationen gezwungen, ihre Nothilfe zurückzufahren oder einzustellen. Die schwierige Sicherheitslage hat massive Auswirkungen auf die öffentliche Ordnung, die Gesundheitsversorgung und die Eindämmung der Krankheit. Inzwischen hat die WHO eine »gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite« ausgerufen, nachdem sich die Epidemie in die ugandische Grenzregion und die kongolesische Millionenstadt Goma ausgeweitet hatte. Die WHO benötigt nun verstärkt internationale Unterstützung und bat besonders Nachbarstaaten, die Grenzen offen zu halten, damit Hilfe ankommen kann.
Aufgrund der Epidemie durfte die Bevölkerung in den betroffenen, von der Opposition dominierten Provinzen nicht an der Präsidentschaftswahl teilnehmen. Zudem regte sich in der Bevölkerung von Beginn an Widerstand gegen die Hilfsmaßnahmen. Darin drückte sich der Unmut über anhaltende Missstände und deren mangelnde Beachtung seitens der internationalen Gemeinschaft aus. Erst jetzt, als eine hochansteckende Krankheit zum wiederholten Male ausbrach, richtete sich die globale Aufmerksamkeit auf die Krisenregion, obwohl es dort seit Langem an hinreichenden Versorgungsstrukturen fehlt. Diese Situation bildet den Nährboden für den Ausbruch von Krankheiten, untergräbt das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und destabilisiert ihn zusätzlich.
Gesundheit und Sicherheit – strittiges Konzept mit Tradition
Die erste internationale Hygienekonferenz im Jahr 1851 bildete den Ausgangspunkt internationaler Gesundheitszusammenarbeit. Seitdem treiben Industriestaaten die Weiterentwicklung des internationalen Infektionsschutzregimes voran, nicht zuletzt aufgrund eigener Sicherheitsinteressen. Vor allem Sicherheitsakteure haben das Konzept der sogenannten globalen Gesundheitssicherheit (global health security) in wissenschaftlichen Debatten und den internationalen Beziehungen etabliert.
Im Jahr 2007 nannte die WHO folgende Themen als relevant für Gesundheitssicherheit:
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Umweltveränderungen,
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Armut,
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Ernährungsunsicherheit,
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Gewalt,
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Konflikte und humanitäre Krisen,
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Stärkung von Gesundheitssystemen,
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HIV/Aids,
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Krankheiten mit massiven Auswirkungen auf wirtschaftliche Stabilität,
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chemische, biologische und nukleare Angriffe und Unfälle,
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wieder und neu auftretende (Infektions-) Krankheiten.
Hinzu kommen antimikrobielle Resistenzen, die seit einiger Zeit als sicherheitsrelevant betrachtet werden. Diese Vielfalt zeigt, dass es keine einheitliche Definition sogenannter Gesundheitssicherheit gibt. Dennoch gelten die verbindlichen inter-nationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) der WHO als Ausgangsvereinbarung. Sie enthalten für alle Mitgliedstaaten Vorgaben zur Vorbeugung gegen sowie Meldung und Eindämmung von Infektionskrankheiten. Bei einem schwerwiegenden, unerwarteten und ungewöhnlichen grenzüberschreitenden Ausbruch kann die WHO eine »gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite« ausrufen, um internationale Nothilfe auszuweiten. Dabei sind betroffene Länder angehalten, Krankheitsfälle sofort der WHO zu melden. Außerdem sind alle Staaten verpflichtet, ihre Grenzen offen zu halten und den Handel nicht einzuschränken. Jedoch werden diese Regeln nicht immer befolgt. Mitunter werden Krankheitsfälle verschwiegen, und der Waren- und Reiseverkehr wird aus Angst vor Ausbreitung der Krankheit reduziert. Dies schwächt den betroffenen Staat und die Märkte dort.
In der Einschätzung darüber, wer oder was als Gesundheitsrisiko wahrgenommen wird und aus welchem Grund, offenbaren sich Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Sicherheit. Gesundheitsthemen werden »versicherheitlicht«, indem ein Akteur ein angebliches Gesundheitsrisiko, etwa in Gestalt einer Infektionskrankheit, identifiziert und bei weiteren Akteuren für diese Einordnung und damit die Akzeptanz als Risiko wirbt. Motiviert durch eigene Sicherheitsinteressen, können dominante Akteure die Versicherheitlichung intensivieren und beschleunigen, indem sie den Diskurs gezielt lenken. Personen mit bestimmten (Infektions-) Krankheiten können so als kollektives Risiko dargestellt werden. Auf diese Weise kann das Recht des Einzelnen auf Gesundheit hinter nationale Sicherheitsinteressen zurückgestellt werden.
Besonders deutlich wird der Vorrang nationaler Sicherheitsinteressen, wenn Industrieländer Geld und Expertenwissen fast ausschließlich für die Erkennung und Behandlung von Infektionskrankheiten sowie die Abwehr von Bioterrorismus bereitstellen. Prävention und Rehabilitation kommen dagegen häufig zu kurz. Zentrales Ziel der neuen »Strategie zu Gesundheitssicherheit« der USA ist der Schutz der eigenen Bevölkerung und der von Partnerländern vor Infektionskrankheiten.
Investitionen in Gesundheitssicherheit fließen vor allem in Entwicklungsländer. Dort leiden jedoch viele Menschen zusätzlich zu Infektionskrankheiten an Herz-Kreislauf- und Tumorerkrankungen sowie Diabetes (doppelte Krankheitslast). Oft fehlen den Gesundheitssystemen vor Ort Mittel für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung, die sich nicht überwiegend auf Infektionskrankheiten konzentriert. Unabdingbar als Basis politischen Handelns ist daher eine umfassende wissenschaftliche Einschätzung von Gesundheitsrisiken im lokalen Kontext.
Gesundheit, Sicherheit, Stabilität
Gesundheit als nichttraditionelles Sicherheitsthema steht seit 2000 immer häufiger auf der Agenda des VN-Sicherheitsrats. Das liegt zum einen an neuen, schwerwiegenden Gesundheitskrisen in instabilen politischen Kontexten. Zum anderen werden im Sicherheitsrat immer öfter Themen besprochen, die einer erweiterten Sicherheitslogik folgen, etwa Klimawandel als Sicherheitsproblem.
In der Resolution des Sicherheitsrats von 2014 zum Ebolafieber-Ausbruch in Westafrika wurde eine Infektionskrankheit explizit und direkt als Bedrohung für Frieden und Sicherheit beschrieben. Damit rief der Sicherheitsrat die erste kollektive Gesundheitsmission der VN (United Nations Mission for Ebola Emergency Response, UNMEER) ins Leben. Allerdings ist der Schutz öffentlicher Gesundheit verfassungsmäßige Aufgabe der WHO. Daher riet deren unabhängig besetzter Ebola-Zwischenbewertungsausschuss für den Fall künftiger Gesundheitskrisen von weiteren VN-Missionen ab.
Anlässlich der Situation in der Demokratischen Republik Kongo sprach der WHO-Generaldirektor im Oktober 2018 vor dem VN-Sicherheitsrat. Dieser verabschiedete daraufhin Resolution 2439 mit Forderungen zum Schutz und Zugang medizinischer humanitärer Helfender. Seit Mai 2019 gibt es einen Notfallkoordinator der VN für den Ebola-Ausbruch: David Gressly war zuvor stellvertretender Leiter der Friedensmission MONUSCO in der Demokratischen Republik Kongo und personifiziert die Schnittstelle zwischen Gesundheit und Sicherheit.
Die bisherigen Resolutionen mit explizitem Gesundheitsbezug stellten entweder einen Zusammenhang zwischen Gesundheitsrisiken und Frieden, Stabilität und Sicherheit her oder befassten sich mit dem Schutz humanitären Personals. Wenig Aufmerksamkeit dagegen erhielten die Vorbeugung gegen Epidemien sowie der Aufbau resilienter und leistungsfähiger Gesundheitssysteme. Für diese Themen ist der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) zuständig.
Gesundheitlichen Herausforderungen lässt sich künftig besser begegnen, wenn der Zusammenhang von Gesundheit, Sicherheit und Stabilität in den Blick genommen wird. Das umfasst die sozialen, politischen, ökonomischen und militärischen Bedingungen und Auswirkungen einer Krankheit. So destabilisierten die wirtschaftlichen Folgen von HIV/Aids mehrere Jahre lang die besonders betroffenen Regionen Afrikas: Krankheitsbedingter Arbeitsausfall führte zu Produktivitätseinbußen, höheren Kosten für medizinische Versorgung und reduzierten Investitionen aus dem Ausland. Dies kann wachsende Einkommensunterschiede, mehr Armut und schließlich sozialen und politischen Unfrieden zur Folge haben. Für 41 Staaten Subsahara-Afrikas, in denen rund fünf Prozent der Bevölkerung mit HIV infiziert sind, wurde in Modellrechnungen eine Reduktion des Bruttoinlandsprodukts um mehr als zwei Prozent pro Jahr ermittelt. Wenn eine hohe Krankheitslast vorliegt, das Vertrauen in staatliche Gesundheitsstrukturen sinkt und staatliche Leistungen nicht mehr finanzierbar sind, können Krankheiten sogar den Wendepunkt in der Entwicklung vom fragilen zum gescheiterten Staat markieren.
Zeit für ein neues Narrativ
Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, den Multilateralismus wertegeleitet zu stärken. Das ließe sich zum Beispiel an der Schnittstelle von Gesundheit, Sicherheit und Stabilisierung in die Tat umsetzen. Der Begriff Gesundheitssicherheit sollte kritisch hinterfragt werden. Er ist Ausdruck der Dominanz und der Interessen von Industriestaaten und vernachlässigt tatsächliche Bedarfe von Partnerländern. Um das Recht auf Gesundheit durchzusetzen, muss globale Gesundheitspolitik Interessen anderer Politikfelder berücksichtigen, moderierend wirken sowie für Gesundheitsprioritäten und ethische Implikationen einstehen. Das beinhaltet die Unterstützung gesundheitsfördernder Lebensbedingungen, Präventivmaßnahmen, die Erkennung und Behandlung akuter und chronischer Krankheiten sowie Rehabilitation. Es gilt also, sich nicht auf die Behandlung von Infektionskrankheiten zu beschränken. Ein neues Narrativ könnte helfen, die Glaubwürdigkeit eines deutschen gesundheitspolitischen Engagements in Foren der Vereinten Nationen zu erhöhen. So ließen sich dafür auch Partner im globalen Süden finden. Statt Bedrohungsszenarien könnten die gemeinsamen Risiken und die Verwundbarkeit aller Menschen in den Mittelpunkt rücken und das Narrativ »Stabilität durch Gesundheit« verfolgt werden. Das setzt voraus, sich vom Begriff Gesundheitssicherheit abzuwenden und stattdessen Gleichwertigkeit von Gesundheit, Sicherheit und Stabilität anzustreben.
Deutschlands Handlungsmöglichkeiten
Deutschland könnte Themen der Agenda des Sicherheitsrats aufgreifen, die an der Schnittstelle von Gesundheit, Sicherheit und Stabilität liegen. Das böte Gelegenheit, das Narrativ »Stabilität durch Gesundheit« mit Blick auf Synergieeffekte anzuwenden. Zwischen Partnerländern wäre dann über lokale Bedarfe nach allgemeiner Gesundheitsversorgung und die Behandlung von Infektionskrankheiten ebenso zu verhandeln wie über den Schutz humanitärer Akteure und Einrichtungen. Im Sicherheitsrat bilden die Arria-Formel-Sitzungen, benannt nach dem einstigen venezolanischen Botschafter bei den VN, das geeignetste Forum, um in diese präventive Richtung zu wirken. In diesem Rahmen lassen sich drohende humanitäre Krisen im Lichte ihrer systemischen Zusammenhänge betrachten. Auch kann in diesem Format für entsprechende Allianzen geworben werden.
Geber- und Empfängerländer sollten sich mit vereinten Kräften bemühen, Gesundheitssysteme auch im Kontext bilateraler Entwicklungszusammenarbeit zu stärken. Zu diesem Zweck sollte gemäß den Empfehlungen der WHO das Konzept der allgemeinen Gesundheitsversorgung favorisiert werden. Das hieße, universellen Zugang zu bedarfsgerechten Gesundheitsleistungen zu fördern und zu verhindern, dass Betroffene wegen hoher privater Gesundheitsausgaben in finanzielle Not geraten.
Der Ebola-Ausbruch in der Demokratischen Republik Kongo führt vor Augen, wie dringlich intensivere Zusammenarbeit ist. Das gilt für die Kooperation zwischen Gesundheits-, Sicherheits- und Entwicklungsakteuren auf lokaler und nationaler Ebene, aber auch zwischen WHO, Sicherheitsrat und ECOSOC. Gemeinsames Ziel deutscher Global-Health-Akteure sollte sein, funktionsfähige und zugängliche Gesundheitsstrukturen aufzubauen und dauerhaft zu sichern. Das Auswärtige Amt sowie die Bundesministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, für Gesundheit, für Bildung und Forschung sowie der Verteidigung sollten dabei die gesellschaftliche Funktion des Gesundheitssektors als stabilisierender Faktor verstärkt in den Blick nehmen.
Daniel Gulati ist Wissenschaftler, Maike Voss Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Beide arbeiten im Projekt »Globale Gesundheit«, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert wird.
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doi: 10.18449/2019A41