Die Berliner Libyen-Konferenz vom Januar 2020 sollte die Friedensbemühungen der Vereinten Nationen (VN) in dem eskalierenden Konflikt unterstützen. Unter den Beschlüssen erzeugte das Bekenntnis der teilnehmenden Staaten zum bestehenden VN-Waffenembargo besondere Aufmerksamkeit. Da dieses schon kurz nach der Konferenz wieder gebrochen wurde, geriet der Ansatz schnell in die Kritik. Tatsächlich gibt es bei Um- und Durchsetzung solcher Embargos der VN etliche Herausforderungen, die im Falle Libyens besonders ausgeprägt sind. Ein genauer Blick auf alle bestehenden VN-Waffenembargos in Konfliktkontexten zeigt aber auch Ansatzpunkte auf, wie diese am häufigsten verhängte Form von VN-Sanktionen besser genutzt werden kann. Gewiss wird kein noch so gut überwachtes Waffenembargo allein einen Friedensprozess retten. Als Teil eines Gesamtpakets von Maßnahmen zur Konfliktlösung kann das Instrument aber wirkungsvoller eingesetzt werden.
Die amtierende Leiterin der VN-Unterstützungsmission (UNSMIL) in Libyen, Stephanie Williams, beklagte im Februar, das VN-Waffenembargo gegen Libyen sei »zu einem Witz geworden«. Tatsächlich hatte UNSMIL kurz zuvor Flüge im Westen und Osten Libyens registriert, die Waffen, gepanzerte Fahrzeuge und Kämpfer ins Land brachten. Solche Verstöße seitens verschiedener Akteure sind seit langem bekannt. Hier aber folgten sie sehr rasch auf die von Deutschland initiierte Konferenz von Berlin, obwohl sich die 12 teilnehmenden Staaten dort noch einmal verpflichtet hatten, das bestehende Waffenembargo zu respektieren und umzusetzen. Das befeuerte die ohnehin wiederkehrende Kritik an VN-Sanktionen. Ohne Zweifel unterminieren die wiederholten und kaum kaschierten Verstöße die Glaubwürdigkeit des Embargos – und nebenbei auch diejenige der verantwortlichen Staaten. Doch Schlussfolgerungen aus dem Fall Libyen lassen sich nicht einfach auf andere Situationen übertragen, zumal Waffenembargos die am häufigsten vom VN-Sicherheitsrat verhängte Art von Sanktionen sind. Neun der zehn aktuellen Sanktionsregime zur Konflikteindämmung oder -lösung enthalten Waffenembargos (Somalia, Irak, Demokratische Republik Kongo, Sudan, Libyen, Taliban, Zentralafrikanische Republik, Jemen, Südsudan). Ein Grund dafür mag sein, dass es nahe liegt, den Zugang der Konfliktparteien zu Rüstungsgütern einzuschränken. Zudem haben Waffenembargos kaum negative humanitäre Auswirkungen, sind aber wie andere Sanktionen des VN-Sicherheitsrats für alle Mitgliedstaaten bindend. Wohl deshalb wurde das VN-Waffenembargo zeitweise zum Dreh- und Angelpunkt der Debatte über die Berliner Beschlüsse, obwohl sie viele andere Punkte zur Konfliktlösung in Libyen enthielten. Verantwortlich für die mangelnde Um- und Durchsetzung von Embargos wie im Falle Libyens sind zwar letztlich Mitgliedstaaten. Doch es gibt Handlungsmöglichkeiten auf VN-Ebene.
Als Haupthindernis gelten hier meist festgefahrene Positionen im Sicherheitsrat, vor allem unter den ständigen Mitgliedern. Ein genauerer Blick auf alle laufenden VN-Waffenembargos in Konfliktkontexten zeigt jedoch ein differenziertes Bild – mit Ansatzpunkten in drei Bereichen.
Embargos an dynamische Konfliktlagen anpassen
Waffenembargos beinhalten das Verbot der Lieferung oder Weitergabe von Waffen und anderem Wehrmaterial in ein bestimmtes Gebiet oder an bestimmte Akteure. Viele Embargos bestehen über lange Zeit, im Falle Somalias schon seit 1992. Sie ziehen direkte Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten nach sich – anders etwa als Reiseverbote, die zunächst individuell ausgesprochen werden müssen. Damit Ziele und Reichweite von Waffenembargos mit dynamischen Konfliktlagen Schritt halten, müssen sie auch angepasst werden. Andernfalls drohen sie zur reinen Symbolpolitik zu werden.
Grundsätzlich sind Waffenembargos umfassender und präziser geworden. In Libyen etwa verwenden viele Konfliktparteien heute andere militärische Mittel als 2011 und setzen vermehrt ausländische Kämpfer ein. Darauf sind Waffenembargos der VN mittlerweile eingestellt.
Während das Embargo für den Irak von 2003 recht knapp den Verkauf oder die Lieferung von Waffen und sonstigem Wehrmaterial verbietet, beziehen alle weiteren laufenden Verbote in Konfliktkontexten auch technische Beratung, finanzielle Hilfe und Ausbildung im Zusammenhang mit militärischen Aktivitäten ein. Das Waffenembargo für Libyen – ebenso wie die Embargos für den Südsudan und die Zentralafrikanische Republik – untersagt explizit auch die Bereitstellung bewaffneter Söldner.
Auch bei einzelnen VN-Waffenembargos nimmt der Sicherheitsrat Veränderungen vor, die substantiell und durchaus am Konfliktgeschehen im Zielgebiet orientiert sind. Hilfreich dafür sind inzwischen übliche Befristungen von Sanktionen. Sie erfordern eine regelmäßige Verlängerung und damit Befassung mit der Lage.
Es gibt festgefahrene Fälle wie das Waffenembargo gegen Sudan/Darfur. Dieses konnte leicht verschärft, aber nie auf das gesamte sudanesische Territorium ausgeweitet werden, vor allem weil China sich dagegen sperrte. So war das Embargo kaum zu kontrollieren und blieb fast wirkungslos. Das ist aber nicht der Normalfall. Selbst nach der Kontroverse über die westliche Intervention in Libyen wurden im Sicherheitsrat noch relevante Beschlüsse zu dem nicht befristeten Waffenembargo gefasst. Dazu zählten Lockerungen 2011 und 2013 ebenso wie 2014 eine erneute Verschärfung nach dem Wiederausbruch von Gewalt.
Die meisten Änderungen durch den Sicherheitsrat differenzieren die Embargos weiter aus, vor allem durch Ausnahmen. Diese finden sich heute in allen Regimen, abgesehen von dem Waffenembargo gegen die Taliban. Sonderregelungen sollen zum Beispiel Lieferungen nichtletalen Geräts für humanitäre Zwecke oder die Ausstattung von Friedensoperationen ermöglichen, aber auch dem Kapazitätsaufbau nationaler Sicherheitskräfte dienen. In fast allen Fällen besteht diese Möglichkeit, nationale Sicherheitskräfte zu unterstützen und auszubilden, die ansonsten unter das Embargo fallen würde. In der Demokratischen Republik Kongo gilt das Waffenembargo seit 2008 nur noch für nichtstaatliche Akteure.
Solche Lockerungen begründet der Sicherheitsrat oft damit, dass in dem betreffenden Staat eine zivile Übergangsregierung eingesetzt wurde oder weitgehend freie Wahlen stattfanden. Anpassungen beziehen sich also auf Ereignisse und Veränderungen vor Ort, doch diese werden vom Sicherheitsrat interpretiert. Fehleinschätzungen hierbei können bewirken, dass sich das Embargo nicht mehr wirkungsvoll umsetzen lässt.
Selbst wenn Änderungen rechtzeitig und der Konfliktlage angemessen erfolgen, sind sie nicht leicht umzusetzen und zu kontrollieren. Mitunter erzeugen Ausnahmeregelungen neue Schlupflöcher. Auch können die Bedingungen für Ausnahmen kompliziert sein, so die übliche Meldepflicht oder Genehmigung durch den jeweiligen Sanktionsausschuss. Damit Waffenembargos greifen können wie beabsichtigt, müssen Änderungen und ihre Ziele klar formuliert und an die Mitgliedstaaten, gerade in der betroffenen Region, kommuniziert werden.
Mechanismen im VN-Sanktionssystem nutzen
Nicht alle VN-Mitgliedstaaten verfügen über ein ausgefeiltes System der Ausfuhr- und Transitkontrolle. Neben der Umsetzung von VN-Sanktionen in nationales Recht und der Einbeziehung des Privatsektors ist dies aber eine wichtige Voraussetzung für wirksame Sanktionsregime. Zudem sind Strafverfolgung und Justiz vieler Staaten kaum imstande, Verstöße angemessen zu ahnden.
Deshalb kommt es darauf an, solche Kapazitäten in Mitgliedstaaten zu stärken. Bei Sanktionen zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung und zur Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen geschieht das bereits recht umfangreich, doch wenn es um Regime zur Konfliktlösung geht, sind deutlich mehr Bemühungen nötig. Dabei können immer noch viele Ansatzpunkte aus den Ergebnissen des Bonn-Berlin-Prozesses genutzt werden, den Deutschland 1999 angestoßen hatte, um die nationale Umsetzung von VN-Waffenembargos zu unterstützen.
Doch die Grenze zwischen mangelnden Fähigkeiten und bewusster Umgehung und Verletzung von Waffenembargos ist fließend. So haben sich auch Mechanismen für eine bessere Um- und Durchsetzung von Sanktionen im VN-System etabliert. Zunächst bestehen Waffenembargos nicht mehr als alleinige Sanktion, da dies weitgehend wirkungslos war. Inzwischen werden sie zusammen mit Ausfuhrverboten für Güter oder dem Einfrieren von Vermögenswerten erlassen, die zur Finanzierung von Waffenbeschaffung relevant sind.
In Libyen etwa ist die unerlaubte Ausfuhr von Rohöl und Erdölprodukten Teil des Sanktionsregimes. Doch wenn Drittstaaten Konfliktparteien direkt militärisch unterstützen, sind diese weniger auf solche Finanzierungsquellen angewiesen. Die teilweise offenen Eingriffe Ruandas und Ugandas in der Demokratischen Republik Kongo führten daher zu einem Beschluss des Sicherheitsrats über Flugverkehr- und Zollkontrollen an den Grenzen im Osten des Landes. Gegen Eritrea wurden 2009 Sekundärsanktionen verhängt, weil es Al-Shabaab in Somalia unterstützte. Solche Ansätze als Reaktion auf Verstöße durch Staaten nutzt der Sicherheitsrat aber relativ selten, zumal wenn Eigeninteressen seiner ständigen Mitglieder berührt sind.
Ein anderer Weg führt über die Listung von Personen oder Entitäten, die an dem Bruch eines Embargos beteiligt sind. Fast alle der laufenden neun Sanktionsregime sehen die Möglichkeit vor, Verstöße gegen das Waffenembargo mit Reiseverboten oder dem Einfrieren von Vermögenswerten zu ahnden. Doch finden sich kaum Personen oder Unternehmen wegen solcher Verstöße auf den Sanktionslisten – bisher drei zu Somalia, eine zum Sudan und vier zu den Taliban. Nur im Falle der Demokratischen Republik Kongo ist eine größere Zahl mit dieser Begründung gelistet, auch deshalb, weil bis Ende 2005 die Verletzung des Waffenembargos einziges Kriterium für eine Listung war. Heute gibt es die Tendenz zu immer mehr und ausdifferenzierteren Listungskriterien. Wichtig wäre aber auch, die bestehenden Kriterien in den VN-Sanktionssystemen zu nutzen, wenn Verstöße auftreten.
Verstöße feststellen – und ahnden
Listungen von Personen und Entitäten nimmt in der Regel ein Sanktionsausschuss vor, den der Sicherheitsrat eingesetzt hat. Dass Verstöße zu selten Konsequenzen haben, liegt aber nicht einfach daran, dass der Ausschuss aus den 15 Mitgliedstaaten des Sicherheitsrats besteht. Denn im Ausschuss gilt das Konsensprinzip, so dass jeder Staat Beschlüsse verhindern kann. Bei den einzelnen, an den Ausschuss delegierten Entscheidungen zur laufenden Umsetzung spielen außerdem konsistente Regeln eine größere Rolle als im Sicherheitsrat, wo oft Paketlösungen ausgehandelt werden. So haben nichtständige Mitglieder über die Ausschüsse mehr Einflussmöglichkeiten. Allerdings benötigen sie eine sehr gute Informationsgrundlage, um Vorschläge einzubringen. Daher ist es wichtig, dass fast alle Ausschüsse mittlerweile von VN-Expertenpanels unterstützt werden, die mit eigenen Untersuchungen die Umsetzung der Sanktionen überwachen und auch Waffenexperten umfassen. Wenn die Panels Verstöße aufdecken, kann dies selbst ohne Listung Wirkung entfalten, etwa wenn nationale Behörden die Informationen aus den Berichten nutzen. Freilich kann es schwierig sein, Verstöße gegen Waffenembargos zweifelsfrei nachzuweisen, zumal in den Konfliktgebieten oft bereits viele Waffen zirkulieren. Zudem stehen die Expertenpanels aufgrund finanzieller Beschränkungen und politischer Einflussnahme immer wieder unter Druck.
Daher sind weitere Ansätze der Überwachung relevant, etwa durch internationale Zollkooperation. Diesen Weg ist die Europäische Union in den 1990er Jahren gegangen, um die Überwachung der Sanktionen gegen das ehemalige Jugoslawien zu verbessern. In »Sanction Assistance Missions« wurden Zollexperten an die Grenzen der Nachbarstaaten von Serbien und Montenegro entsandt und waren über ein Kommunikationszentrum in Brüssel mit dem VN-Sanktionsausschuss verbunden. Das lässt sich so nicht einfach wiederholen, zumal die Kooperation der Nachbarstaaten unverzichtbar ist. Doch das Beispiel zeigt, dass die Frage der Machbarkeit eine politische ist, nicht vorrangig eine der Kapazitäten.
Etwas anders verhält es sich bei den VN-Friedensmissionen, die teilweise ein Mandat zur Überwachung von Waffenembargos im Einsatzgebiet haben, so in der Zentralafrikanischen Republik und der Demokratischen Republik Kongo. Systematische Kontrollen sind bei schrumpfenden Mitteln schwierig und haben keine Priorität. Auch werden Sanktionen in VN-Missionen häufig skeptisch beurteilt. Hier ist neben mehr Ressourcen eine bessere Abstimmung von VN-Maßnahmen nötig, die letztlich auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet sind.
Wo die Kontrolle von Seewegen einen Ansatzpunkt bietet, autorisiert der Sicherheitsrat auch Operationen von Staaten und Regionalorganisationen, so bei den Embargos zu Somalia und Libyen. Die Anfang April mandatierte EU-Operation Irini etwa soll das VN-Waffenembargo auf hoher See vor der Küste Libyens mit Schiffen, Flugzeugen und per Satellit überwachen. Oft konzentriert sich die Debatte auf die Beschlagnahmung von Waffen auf See. Doch der Gewinn an belastbaren Informationen durch Irini dürfte weitaus wichtiger sein, inklusive der Erhebung von Beweismitteln, was auch im deutschen Mandatsentwurf aufgeführt ist. Insofern ist eine deutsche Beteiligung sinnvoll. Wesentlich ist, dass Erkenntnisse im Sinne einer Konfliktlösung über das VN-Sanktionssystem und in diplomatischen Prozessen genutzt werden. Dafür kann sich Deutschland mit dem Vorsitz im Sanktionsausschuss zu Libyen einsetzen. Mit Blick auf andere Kontexte wäre es wünschenswert, wenn die Bundesregierung sich auch über den Sitz im Sicherheitsrat hinaus für die bessere Um- und Durchsetzung von VN-Waffenembargos als Teil einer umfassenden Konfliktlösung engagierte.
Dr. Judith Vorrath ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.
© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2020
Alle Rechte vorbehalten
Das Aktuell gibt die Auffassung der Autorin wieder.
SWP-Aktuells werden intern einem Begutachtungsverfahren, einem Faktencheck und einem Lektorat unterzogen. Weitere Informationen zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP-Website unter https://www. swp-berlin.org/ueber-uns/ qualitaetssicherung/
SWP
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit
Ludwigkirchplatz 3–4
10719 Berlin
Telefon +49 30 880 07-0
Fax +49 30 880 07-100
www.swp-berlin.org
swp@swp-berlin.org
ISSN 1611-6364
doi: 10.18449/2020A32