Obwohl auch die 76. Generaldebatte der Vereinten Nationen Pandemie-bedingt erneut in einem hybriden Format stattfinden musste, war die Stimmung deutlich positiver als im Vorjahr. Nicht nur war der Saal in New York besser gefüllt, auch der Ton der Debatte war kooperativer, nicht zuletzt weil US-Präsident Biden auf Diplomatie zu setzen versprach. UN-Generalsekretär António Guterres legte seinen Bericht »Our Common Agenda« vor und warb für ambitionierte UN-Reformen. All dies passt zum Thema der diesjährigen Generaldebatte: »Stärkung der Widerstandsfähigkeit durch Hoffnung« (»Building resilience through hope«). Parallel zur Debatte fand eine Vielzahl von Treffen statt, die jenseits von Worten auch auf Taten zielten. Hier ist die Bilanz jedoch nicht überzeugend, wie ein Blick auf den sogenannten »SDG-Moment« zeigt.
Der neue Präsident der 76. UN-Generalversammlung, der ehemalige Außenminister der Malediven Abdulla Shahid, setzt auf eine »Präsidentschaft der Hoffnung« und benennt entsprechende Prioritäten: Es gehe darum, den Wiederaufbau nach Covid-19 nachhaltig zu gestalten und dabei sowohl den Rechten der Menschen als auch den Bedürfnissen des Planeten gerecht zu werden. Als Vertreter eines kleinen Inselstaates ist es ihm ein besonderes Anliegen, die Bekämpfung des Klimawandels voranzutreiben. Dabei stellt er die Bedeutung der multilateralen Zusammenarbeit heraus, es gelte die Vereinten Nationen zu revitalisieren.
UN-Generalsekretär Guterres hatte zu Beginn der Debatte die Alarmglocken geläutet und vor einer Krisenkaskade gewarnt. Gleichzeitig sei es die »raison d’être« der UN, von Menschen gemachte Probleme gemeinsam zu lösen – das gebe ihm Hoffnung. Aber dafür müssten die globalen Governance-Prozesse und ‑Strukturen stärker auf die Zukunft ausgerichtet werden.
Die Generaldebatte
Rund 100 Staats- und Regierungsoberhäupter waren zur Eröffnung der 76. Generalversammlung angereist. In der Generaldebatte senden die Staatenlenker üblicherweise politische Signale, mit denen sie sowohl zu erkennen geben, welche Themen ihrer Ansicht nach auf der internationalen Agenda prioritär sein sollen, als auch, was von ihnen an politischem Willen, Ansprüchen und Forderungen, Konflikten und Kooperationsbereitschaft für das kommende Jahr zu erwarten ist. In den Reden fanden sich sowohl Anzeichen für Kontinuität als auch für Wandel; vor dem Hintergrund der Geschehnisse in Afghanistan beispielsweise einiges an realpolitischer Ernüchterung, aber auch deutlich mehr Bereitschaft zu multilateraler Kooperation als im Vorjahr.
Wie bei der Generalversammlung üblich eröffnete auch dieses Jahr der Präsident Brasiliens die Debatte. Wie schon 2020 war Jair Bolsonaros Rede primär von nationalen Wirtschaftsinteressen seines Landes bestimmt; sie klang teils wie eine Werberede für internationale Investoren, teils wie eine Verteidigung gegen Kritik vor allem aus Europa.
US-Präsident Joe Biden schlug einen anderen Ton an: Vor fast vollem Haus betonte er die gemeinsamen Herausforderungen der Weltgemeinschaft und dass er jedem Staat Kooperation anbiete, um globale Probleme zu bearbeiten, und dabei auf beharrliche Diplomatie (»relentless diplomacy«) setze statt auf unerbittliche Kriege. Anders als Trump im Vorjahr sprach er China nicht direkt an, machte aber deutlich, dass die USA ihre Partner und die Rechte von Individuen schützen würden, dies jedoch im Kontext eines verantwortungsvollen Wettbewerbs und nicht eines neuen kalten Krieges.
Der chinesische Staatschef Xi Jinping konnte nicht direkt reagieren, da seine Rede vorab aufgezeichnet worden war. Wie schon im Vorjahr setzte er in seinem Video den Akzent vor allem auf wirtschafts- und entwicklungspolitische Themen.
Für Deutschland sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Ende der Sitzungswoche. Er betonte, die Großmächte dürften die internationale Ordnung nicht nach beliebigem Eigeninteresse unterlaufen, sondern trügen Verantwortung für die gemeinsamen Anliegen der Welt – die UN seien eben kein »wertneutraler Boxring der Weltmächte«. Zukünftige Generationen würden ihre Regierungen daran messen, ob sie Konflikte und Probleme gelöst hätten. Steinmeier kündigte in dem Zusammenhang die erneute Kandidatur Deutschlands als Mitglied im Sicherheitsrat 2027/28 an.
Xi Jinping erzielte zudem Aufmerksamkeit mit der Ankündigung, China wolle international keine weiteren Kohlekraftwerke mehr bauen (unklar ist, ob das auch die Finanzierung umfasst). Stattdessen wolle es verstärkt die Entwicklung grüner und kohlenstoffarmer Technologien unterstützen. Biden versprach, die Gelder für Klimaschutzmaßnahmen der ärmsten Länder erneut zu verdoppeln. Boris Johnson amüsierte die Runde mit der Bemerkung, dass er anders als Kermit der Frosch denke, es sei sehr einfach, »grün« zu sein, und rief dazu auf, im Vorfeld der Klimakonferenz in Glasgow mutiger und innovativer zu sein.
Interessant ist also, dass viele Rednerinnen und Redner den Wettbewerb um internationale »leadership« und den »pitch for power« vor allem über die Themen Klimaschutz und Pandemiebewältigung ausgetragen haben – das ist neu. Viele Reden gingen auch auf die besondere Rolle der Vereinten Nationen ein. Xi Jinping äußerte, die UN seien die zentrale Plattform für internationale Kooperation, der Trend zu kleineren Gruppen sei abzulehnen. Biden lobte das »noble« Mandat der UN; gleichzeitig schlug er einen Global Health Threat Council vor, ließ dabei aber offen, ob dieser in das UN-System integriert werden sollte.
Our Common Agenda
Dabei würde ein solcher Council gut zu den jüngsten Vorschlägen des UN-Generalsekretärs passen. Im Vorjahr hatten die Mitgliedstaaten ihn beauftragt, einen Bericht vorzulegen, wie die zwölf »commitments« in der zum 75. UN-Geburtstag verabschiedeten Erklärung umgesetzt werden könnten. Dieser Bericht mit dem Titel »Our Common Agenda« wurde von einem UN-Team unter Leitung von Volker Türk erarbeitet (Beigeordneter Generalsekretär für strategische Koordination im UN-Sekretariat) und von intensiven Konsultationsprozessen begleitet. Der Bericht ist thematisch breit angelegt – geht er doch auf alle zwölf Anliegen der Erklärung ein. Ein zentrales Konzept ist der inklusive und vernetzte Multilateralismus, den der UN-Generalsekretär schon länger propagiert. Ein starker Fokus liegt auf der Jugend als Hoffnungsträger, samt entsprechender Beteiligungsformate, und auf der Gerechtigkeit zwischen Generationen. Dies war auch Thema vieler Reden in der Generaldebatte. Im Bericht finden sich eine Reihe innovativer Vorschläge, wie die UN besser mit langfristigen Anliegen und globalen Gütern umgehen könne, so ein
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Bericht zu strategischer Vorausschau und globalen Risiken (alle fünf Jahre) und eine Notfallplattform für komplexe Krisen;
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»Future Summit« im Jahr 2023 mit entsprechenden Vorbereitungsprozessen, unter anderem über »UN Futures Labs«;
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UN-Sondergesandter für zukünftige Generationen und ein UN Youth Office;
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verändertes Mandat für den UN-Treuhandrat, damit er als Rat für zukünftige Generationen fungieren kann;
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Hochrangiger Beirat zur verbesserten Governance globaler Güter;
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zweijährlicher Gipfel zu Finanzierungsfragen, unter Teilnahme von G20, UN-Wirtschafts- und Sozialrat, UN-Generalsekretär und den Chefs und Chefinnen der internationalen Finanzinstitutionen.
Während die Zivilgesellschaft den Bericht bereits eifrig diskutiert, gar als möglichen Wendepunkt für den Multilateralismus, gibt es von den Mitgliedstaaten bislang nur einige wenige Rückmeldungen. Ohne deren politische Unterstützung und Finanzierungszusagen werden die meisten Vorschläge aber nicht umzusetzen sein. Immerhin signalisierten die Staats- und Regierungsoberhäupter von Costa Rica, Neuseeland, Schweden, Südafrika, Senegal und Spanien Unterstützung dafür, die Kapazitäten der UN für Vorausschau und Risikomanagement zu stärken und den Gipfel für die Zukunft 2023 auszurichten. Dagegen stand das Ministertreffen der Allianz für den Multilateralismus zwar unter dem Motto »Shaping our common agenda« – doch zum Bericht gab es kaum Bezüge oder gar konkrete Angebote.
Viele Parallelaktivitäten
Auch in diesem Jahr gab es eine Reihe hochrangiger Treffen und Dialoge parallel zur Generaldebatte, so unter anderem den UN-Gipfel für Ernährungssysteme (Food Systems Summit) oder den hochrangigen Dialog zu Energie unter der Schirmherrschaft der UN-Generalversammlung. Deutschland war zudem Mitveranstalter eines Treffens zum »Berliner Prozess« zu Libyen, zur Situation in Afghanistan und der »Allianz für den Multilateralismus«.
Diese Paralleltreffen sollen erstens politisches Momentum generieren, meist über Auftritte von Staats- und Regierungsoberhäuptern oder Prominenten. Zweitens sollen sie auch zu konkreten Ergebnissen führen, meist freiwilligen Selbstverpflichtungen oder Finanzierungszusagen oder zumindest interessanten Erkenntnissen. Beim Dialog zu Energie waren die Mitgliedstaaten und andere interessierte Akteure beispielsweise eingeladen, sogenannte »Energiepakte« einzugehen, und zwar zu den Themen Energiezugang, integrierte und gerechte Energiewende, Innovation, Technologie und Daten sowie Finanzen und Investitionen. Gerne werden Zusagen dann in einem Online-Register öffentlich gelistet, so auch im Falle des Energie-Dialogs und Ernährungsgipfels. Neu ist, dass dabei immer stärker auch nichtstaatliche Akteure einbezogen werden. Gleichzeitig hagelte es Kritik vieler Nichtregierungsorganisationen und Experten, die von Lobbygruppen dominierte Prozesse beanstandeten.
SDG-Moment: hochrangig und peppig, aber wenig gehaltvoll
Auch der diesjährige »SDG-Moment« zeigte die Stärken und Schwächen dieses Ansatzes auf. Im Sommer hatten die Mitgliedstaaten Reformen der UN-Governance zur 2030-Agenda und den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) verabschiedet. Ein Element sollte die Stärkung des SDG-Moments beim Auftakt der UN-Generalversammlung sein. In der Resolution wurde empfohlen, dass dieses vom UN-Generalsekretär einberufene Treffen am Tag vor der Eröffnung der Generaldebatte stattfinden solle, unter Beteiligung von Staats- und Regierungschefs und ‑chefinnen. Dabei sollten besonders inspirierende Beispiele vorgestellt werden, wie Länder die SDGs umgesetzt haben (»use the annual SDG Moment to highlight inspiring action on the Goals«).
Das UN-Sekretariat gab drei Ziele für das diesjährige Treffen aus: erstens das »Momentum« für die 2030-Agenda und SDGs aufrechtzuerhalten; zweitens aufzuzeigen, wie Covid-19-Maßnahmen mit der Transformation hin zu nachhaltiger Entwicklung (so der Titel und die Ambition der 2030-Agenda) zusammengebracht werden können, und drittens mit Beispielen zu demonstrieren, dass diese Transformation bis 2030 möglich ist.
Während in den Vorjahren der »Moment« eher kurz war, sprachen dieses Jahr über den gesamten Tag verteilt 27 Staats- und Regierungschefs und ‑chefinnen. Eingeladen waren jene Länder, die in den Jahren zuvor freiwillige Berichte über ihre Umsetzung der SDGs beim Hochrangigen Politischen Forum für nachhaltige Entwicklung (HLPF) vorgestellt hatten. In den (zumeist vorab aufgezeichneten Video-)Botschaften waren die dominanten Themen wiederum »Covid recovery« und Klimaschutz; darüber hinaus ging es auch um Gender-Themen, Finanzierung, Gerechtigkeit (auch zwischen Generationen), Bildung und Innovation.
Die Tatsache, dass es die Staats- und Regierungschefs und ‑chefinnen sind, die beim SDG-Moment sprechen, steht für politische Relevanz und weckt Aufmerksamkeit. Das Programm war durchaus rasant moderiert und peppig aufgemacht, unter anderem mit der unter Jugendlichen populären K-Pop Boygroup BTS, die zusammen mit dem Präsidenten der Republik Korea als »Special Presidential Envoy for Future Generations and Culture« auftraten. Das sorgte zumindest in den sozialen Medien für Momentum: Der UN-Kenner Richard Gowan notierte am Folgetag amüsiert auf Twitter, dass die Rede des Generalsekretärs auf YouTube 5.300 Mal angeschaut worden sei, die von BTS hingegen 6,4 Millionen Mal; das dazugehörige Musikvideo wurde bislang über 27,6 Millionen Mal geklickt.
Gleichzeitig ist die Bilanz mit Blick auf die anderen Ziele des SDG-Moments äußerst mager, denn überzeugende konkrete Beispiele wurden nicht präsentiert. Zwar nannten einige Sprecherinnen und Sprecher Programme und Prozesse, doch handelte es sich dabei meist um bereits anderweitig beschlossene Vorhaben oder lediglich um Ankündigungen. Die Bundesregierung bezeichnet den Beitrag von Bundeskanzlerin Angela Merkel gar als »Grußwort«, entsprechend erwähnte sie die überarbeitete Nachhaltigkeitsstrategie und das Klimaschutzgesetz nur kurz. Bei allen Beiträgen blieb unklar, inwiefern die genannten Maßnahmen tatsächlich einen transformativen Wandel im Sinne der 2030-Agenda gefördert haben bzw. dazu führen werden und warum das andere Länder überzeugen könnte, ebenfalls diesen Weg zu gehen. Das aber wäre entscheidend, um andere zu inspirieren. Die UN sollten überlegen, das Format des SDG-Moments zukünftig besser auf dieses Anliegen zuzuschneiden.
Wer nichts waget, der darf nichts hoffen (Schiller)
Der Ton der Generaldebatte war in diesem Jahr kooperativer – das gibt Anlass zu Hoffnung. Doch ein Hauptproblem besteht fort: In den Bereichen Sicherheit und Wirtschaft wollen die Mitgliedstaaten es nicht wagen, weitere Souveränität und Befugnisse an die UN abzugeben. Erst im Frühjahr scheiterten Verhandlungen, die darauf abzielten, den UN mehr Kompetenzen und Mittel für die Überprüfung der SDG-Umsetzung zuzusprechen. Und so bleibt der UN-Bürokratie nur, zu versuchen, über weichere Formate Schwung für die Umsetzung gemeinsam vereinbarter Ziele zu erzeugen und dafür auch nichtstaatliche Partner zu interessieren. Zukünftig soll dabei die K-Pop Girlgroup »Blackpink« helfen, die UN-Generalsekretär Guterres (neben einem Nobelpreisträger und dem Microsoft-Präsidenten) zu SDG-Advokaten ernannte. »Blackpink« hat 67,7 Millionen Abonnentinnen und Abonnenten.
Dr. Marianne Beisheim ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen.
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doi: 10.18449/2021A64