Direkt zum Seiteninhalt springen

Über den Einsatz militärischer Gewalt ethisch reflektiert diskutieren

Bundespräsident Joachim Gauck hat versucht, eine Debatte über ethische Kriterien für den Einsatz militärischer Gewalt anzustoßen. Eine solche Debatte sollte auf die oft missverstandene Tradition des »gerechten Krieges« zurückgreifen, meint Peter Rudolf.

Kurz gesagt, 06.08.2014 Forschungsgebiete

Bundespräsident Joachim Gauck hat versucht, eine Debatte über ethische Kriterien für den Einsatz militärischer Gewalt anzustoßen. Eine solche Debatte sollte auf die oft missverstandene Tradition des »gerechten Krieges« zurückgreifen, meint Peter Rudolf.

Wenn in Deutschland von Auslandseinsätzen gesprochen wird, dann oft im Zusammenhang mit einer angeblich gewachsenen internationalen Verantwortung. Im Sinne des Für-etwas-Rede-und-Antwort-Stehens ist Verantwortung jedoch zunächst einmal sehr konkret, denn sie bezieht sich auf die eigenen Soldaten, die in die Lage kommen, zu töten oder getötet zu werden. Soldaten müssen die Gewissheit haben, dass ihre Bereitschaft, zu töten und sich töten zu lassen, nur für moralisch legitime Zwecke eingesetzt wird. Das ist die moralische Substanz des »Vertrages«, den ein Soldat mit seinem Staat geschlossen hat. Allerdings fehlt es an einer breiten Debatte darüber, zu welchen Zwecken und unter welchen Bedingungen der Einsatz militärischer Gewalt nicht nur strategisch und völkerrechtlich, sondern auch ethisch gerechtfertigt sein kann. In offiziellen sicherheitspolitischen Dokumenten bleiben solche Fragen weitgehend ausgeklammert. Eine diffuse Verantwortungsrhetorik ersetzt jedoch keine differenzierte ethische Debatte.

Eine solche ist aber nur möglich, wenn die verbreitete Scheu davor überwunden werden kann, sich auf die oft missverstandene Argumentationstradition des »gerechten Krieges« (»bellum iustum«) einzulassen. Diese hat in den letzten Jahrzehnten, insbesondere in den USA und in Großbritannien, eine Renaissance erlebt, als moralisch vermeintlich gebotene humanitäre Militärinterventionen die Grenzen einer legalistischen Beurteilung vor Augen führten. Zwar sind die Prinzipien und Kriterien, die dieser Tradition einer ethischen Bewertung militärischer Gewalt entstammen, Bestandteil der Sozialethik der großen Kirchen in Deutschland. Und auch in der akademischen Debatte haben sie vor allem als Folge der Kosovo-Intervention 1999 eine gewisse Aufmerksamkeit erfahren. Doch weithin gilt diese Tradition hierzulande als Instrument zur Legitimation von Gewalt und ihr Wiederaufleben als Gefahr für die völkerrechtliche Friedensordnung. Zweifellos diente und dient der Rückgriff auf Argumentationsmuster, die in dieser Tradition stehen, auch zur Rechtfertigung von Kriegen. An einer ethischen Bewertung militärischer Gewalteinsätze kommt man indes nur vorbei, wenn man entweder eine radikalpazifistische oder eine rein realpolitische Position vertritt. Zu wenig ausgeprägt scheint in Deutschland das Bewusstsein dafür zu sein, dass in der bellum iustum-Tradition militärische Gewalt als Übel gilt, wenngleich manchmal als das geringere, und ihr Einsatz immer in Hinblick auf Ziele und Konsequenzen rechtfertigungspflichtig ist.

In erster Linie bildet diese Tradition ein Bezugssystem, das sich dazu eignet, die Diskussion über moralische Aspekte von Militäreinsätzen zu strukturieren. Das Konzept des gerechten Krieges wendet sich gegen jede rein utilitaristische Bewertung militärischer Gewalt. Es handelt sich vielmehr um den Versuch, einschränkende Kriterien für den Einsatz militärischer Gewalt zu formulieren und Prinzipien sowie vorhersehbare Handlungsfolgen zur Grundlage einer Bewertung zu machen. Die traditionelle Unterscheidung zwischen ius ad bellum (Recht zum Krieg) und ius in bello (Recht im Krieg) sowie die neuere Diskussion um ein ius post bellum (Recht nach dem Krieg) lassen den falschen Eindruck entstehen, es gehe um das Abhaken einer Art Checkliste und die getrennte Bewertung der Phasen eines Gewalteinsatzes, die in ihrer moralischen Qualität vermeintlich unverbunden sind. Stattdessen geht es darum, einen Gewalteinsatz im Hinblick auf seine Zwecke, seine Voraussetzungen und seine Umsetzung einer dauernden Gesamtbewertung zu unterziehen – und zwar vorab, begleitend und rückblickend.

Eine Theorie legitimer militärischer Gewaltanwendung, die an die bellum iustum-Tradition anknüpft sowie die gegenwärtige ethische Debatte reflektiert und rekonstruiert, wirft eine Reihe von Fragen auf, die sich zugespitzt so zusammenfassen lassen: Dient der Einsatz militärischer Gewalt klar bestimmten legitimen Zwecken? Rechtfertigen diese Zwecke also eine Ausnahme vom Tötungsverbot? Sind sie verallgemeinerungsfähig und hierauf möglichst durch den Zwang zur Legitimation in multilateralen Verfahren »getestet«? Waren andere, gewaltärmere Mittel erfolglos oder bieten sie keine plausibel begründbare Erfolgsaussicht? Kann ein Einsatz militärischer Gewalt die mit ihm angestrebten legitimen Zwecke mit vernünftig begründeter Aussicht auf Erfolg dauerhaft und mit einem Minimum an Gewalt erreichen?

Zwar lassen sich grundlegende Kriterien verschieden interpretieren und politische Situationen unterschiedlich einschätzen. Daher ist nicht zu erwarten, dass es in einem konkreten Fall zu einer einhelligen Bewertung kommt. Doch der explizite Rückgriff auf die Kategorien einer normativen Theorie legitimer Gewaltanwendung kann helfen, dem öffentlichen Diskurs eine Struktur zu geben. Dies könnte dazu beitragen, dass die Probleme und Dilemmata, die mit dem Einsatz militärischer Gewalt einhergehen, rationaler diskutiert werden. So ließe sich den Verengungen einer oftmals legalistisch, moralistisch oder gar rein realpolitisch geführten Debatte entgegenwirken.

Zweifellos würde es die ethische Debatte befördern, wenn die Bundesregierung vor jedem größeren Einsatz militärischer Gewalt, der über rein friedenserhaltende und damit eher »polizeiliche« Einsätze hinausgeht, begründen würde, in welchem Maße er den Prinzipien und Kriterien moralisch legitimer militärischer Gewaltanwendung Rechnung trägt. Doch dem dürfte nicht nur die Scheu davor entgegenstehen, an eine der deutschen sicherheitspolitischen Kultur eher fremde Denktradition anzuknüpfen. Zu stark scheint auch die grundsätzliche Abneigung gegen jedwede »Prüfkriterien« für Entscheidungen über die Entsendung deutscher Soldaten, zu groß die Befürchtung, ein Kriterienkatalog könne den politischen Handlungsspielraum und die Flexibilität einengen. So verständlich diese Besorgnis aus der Sicht politischer Akteure auch sein mag: Bei einer ethischen Bewertung handelt es sich nicht um das Abhaken einer Liste von Prüfkriterien, sondern um einen strukturierten Austausch normativer Argumente als Grundlage verantwortungsvoller politischer Entscheidungen.

Der Text erscheint auch als Blogbeitrag bei »Review 2014 – Außenpolitik Weiter Denken«.