Eine zweite Präsidentschaft Donald Trumps würde zu einer Herausforderung für die transatlantischen Beziehungen werden. Die Aufkündigung der nuklearen Rückversicherung wäre indes vermutlich eher das letzte Opfer einer sich auflösenden Beziehung, nicht das erste. Trumps innenpolitische Interessen sind nicht vereinbar mit einem vollständigen Rückzug der Vereinigten Staaten aus ihrer Rolle als globaler Akteur, was eine Voraussetzung für die Aufgabe der nuklearen Sicherheitsversprechen Washingtons an seine Nato-Verbündeten ist. Zwar ist der Extremfall eines Endes der erweiterten nuklearen Abschreckung möglich und bedarf auf Seiten der Verbündeten entsprechender Planung; er ist jedoch höchst unplausibel und darf nicht von den wahrscheinlicheren Entwicklungen ablenken. Denn selbst im bestmöglichen Szenario einer Trump-II-Administration, die in diesem Punkt auf Kontinuität setzt, würde die US-amerikanische nukleare Rückversicherung für Europa voraussichtlich an Glaubwürdigkeit verlieren. Deshalb sollten deutsche und europäische Entscheidungsträger:innen schon jetzt mit ihren US-Kolleg:innen zusammenarbeiten, um die transatlantische diplomatische Koordination, die konventionelle Abschreckung und Verteidigung und auch die nukleare Dimension zu stärken.
Er würde Russlands Politiker:innen ermutigen, mit jedem Nato-Mitglied, das die Vorgaben für die Höhe der Verteidigungsausgaben nicht erfüllt, »zu tun, was immer sie wollen«, sagte Donald Trump kürzlich vor seinen Anhängern. Der ehemalige US-Präsident hat Chancen, die Wahl im November 2024 zu gewinnen. Entsprechend hektische Wellen von öffentlichen Kommentaren und politischen Vorschlägen löst das Szenario einer zweiten Trump-Präsidentschaft aus. Einige Politiker:innen und Analyst:innen befürchten, dass Trump die USA aus der Nato herausführen wird – eine Drohung, die er während seiner ersten Amtszeit wiederholt ausgesprochen hat – und damit die institutionelle Grundlage für die nukleare Rückversicherung zerstören wird. Andere erwarten, dass er den US-Streitkräften nicht befehlen würde, einen angegriffenen Verbündeten zu verteidigen, und dass er sich weigern würde, in einer eskalierenden regionalen Konfliktsituation mit Russland Atomwaffen einzusetzen. Wieder andere argumentieren, dass die amerikanische erweiterte Abschreckung, sowohl konventionell als auch nuklear, schon wegen Aussagen von der Art der oben zitierten vor dem Zusammenbruch stehen würde. Nicht zuletzt weisen viele darauf hin, dass solche leichtfertigen Worte bereits das Potential haben, Gegner zu ermutigen und Verbündete zu verängstigen.
Die düsteren Prognosen haben den Ruf nach europäischen Alternativen oder Ergänzungen zur erweiterten nuklearen Abschreckung der USA laut werden lassen. Die Wichtigkeit nuklearer Abschreckung für Europas Sicherheit wird hierbei kaum hinterfragt: Die meisten Analyst:innen sind sich einig, dass die ambitionierte und risikofreudige russische Führung ohne die konventionelle und nukleare Abschreckung des Westens versuchen würde, ihre militärische Macht zu nutzen, um ihren Einfluss in Europa auszuweiten. Angesichts der Aussichten einer zweiten Trump-Präsidentschaft plädieren einige dafür, dass eine der europäischen Nuklearmächte, Frankreich und das Vereinigte Königreich, oder beide die US‑Verpflichtungen ersetzen sollten. Andere schlagen die Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Atomwaffenarsenals vor. Wieder andere regen an, dass sich die großen europäischen Nationen ihre eigenen Atomwaffen beschaffen sollten. Die bescheidensten Stimmen fordern, dass Paris und London die nukleare Rückversicherung Washingtons mit eigenen Beiträgen ergänzen sollten.
Richtigerweise merken viele allerdings auch an, dass eine rasche Alternative zur nuklearen Rückversicherung der USA aufgrund technischer, rechtlicher, politischer und strategischer Faktoren nicht zu realisieren ist und es nur wenige zusätzliche nukleare Optionen gäbe, die Frankreich oder das Vereinigte Königreich wählen könnten, um die amerikanischen Verpflichtungen zu untermauern.
Auch wenn die Risiken groß sind und Unberechenbarkeit Trumps Markenzeichen ist, zeigt eine systematische Analyse nicht nur, dass der Extremfall einer Aufkündigung der nuklearen Rückversicherung unwahrscheinlich ist, sondern auch, welche Entwicklungen während einer potentiellen zweiten Amtszeit des vormaligen Präsidenten wahrscheinlicher wären und welche rechtzeitigen politischen Maßnahmen viele der Sorgen über den Zerfall der erweiterten nuklearen Abschreckung verringern könnten.
Grundlagen der Rückversicherung
Strategische Kommunikation ist ein wichtiges Element der erweiterten nuklearen Abschreckung. Sie repräsentiert jedoch nur das Dach, das auf zwei Säulen ruht: militärische Fähigkeiten und Entschlossenheit. Ohne maßgeschneiderte und einsatzbereite militärische Fähigkeiten gibt es keine erweiterte nukleare Abschreckung, an die sowohl die Schützlinge als auch die Gegner glauben können. Ohne Entschlossenheit wiederum, also die Bereitschaft, sie auch einzusetzen, haben diese Fähigkeiten wenig Bedeutung. Die Entschlossenheit beruht in erster Linie auf erkennbaren Interessen – von den Interessen wichtiger politischer Gruppen bis hin zu denen des Oberbefehlshabers. Die Interessenlage zeigt sowohl den Schützlingen als auch den Gegnern, warum ein Beschützer überhaupt Schutz anbietet. Strategische Kommunikation sollte die Abschreckungsfunktion verstärken, indem sie sowohl die Fähigkeiten als auch die Entschlossenheit zu deren Einsatz verdeutlicht.
Erschwerend kommt hinzu, dass erweiterte nukleare Abschreckung inhärent unglaubwürdig ist: Damit gemeint ist das Versprechen bzw. die Bereitschaft, die eigene Bevölkerung in Gefahr zu bringen, um einen Verbündeten zu schützen. Washington bekräftigt hingegen seit Jahrzehnten seine Drohung, zur Abschreckung nuklearer und nicht-nuklearer »strategischer Angriffe« und zur Verteidigung »der vitalen Interessen der Vereinigten Staaten, ihrer Verbündeten und Partner« mit Atomschlägen zu reagieren. Für Alliierte in Europa und Asien wird dieses Versprechen explizit und regelmäßig wiederholt.
Um dem inhärenten Glaubwürdigkeitsdilemma entgegenzuwirken, hat die US-Regierung ein breites Spektrum an strategischen und taktischen Atomwaffen zur Verfügung, die mit einer Vielzahl von Trägersystemen ausgestattet sind und deren Einsatz von neuen Technologien unterstützt wird. Mehr als sieben Jahrzehnte massiver finanzieller und politischer Investitionen, die in europaspezifische Fähigkeiten geflossen sind, haben Washington operative Flexibilität und Mittel zum Eskalationsmanagement verschafft. Frankreich und Großbritannien, die kleinere und geringer diversifizierte Arsenale besitzen, fehlen vergleichbare Spielräume. Auch wenn die Modernisierung ihrer nuklearen Optionen in Europa und Asien die USA zunehmend finanziell herausfordert, ist die nukleare Rückversicherung Washingtons für die europäischen Verbündeten breit aufgestellt.
So schwierig es auch ist, die erweiterte Abschreckung glaubwürdig zu machen, so ist sie kein Kartenhaus, das sofort in sich zusammenfällt, wenn die strategische Kommunikation sie unterminiert. Zwar würden Trumps unbedachte Äußerungen, wenn sie aus dem Weißen Haus kommen, die Glaubwürdigkeit der US-Versprechen schwächen. Doch solange die Fähigkeiten und Interessen im Wesentlichen unverändert bleiben, dürfte sich der Schaden in Grenzen halten. Außerdem würden hier eher die Schützlinge als die Gegner an der Existenz und Effektivität der erweiterten nuklearen Abschreckung zweifeln: Für Verbündete ist es das Risiko, dass Washington nicht zur Verteidigung Europas schreitet, das die Glaubwürdigkeit der Rückversicherung unterminiert; für Gegner ist es das Risiko, dass die Vereinigten Staaten doch eingreifen könnten, das zur Vorsicht mahnt. Schlussendlich legen die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse nahe, dass die Interessen des Beschützers die Hauptantriebskraft für solche Bewertungen sein sollten.
Taten und Interessen zählen mehr als Worte
Memoiren, journalistische Berichte, durchgesickerte Dokumente, Beobachtungen aus seiner ersten Amtszeit und Pläne für eine zweite Amtszeit lassen Interessen und Leitmotive erkennen, die die Formel »Trump gleich Rückzug« mit einem entsprechenden Ende der nuklearen Rückversicherung in Frage stellen. Während seiner ersten Präsidentschaft bestand Trumps Hauptziel darin, die erlangte Macht zu konsolidieren. Er stützte sich dabei auf eine Wählerschaft, die sich lange Zeit nicht repräsentiert gefühlt hatte, aber auch auf Wirtschaftseliten und traditionelle konservative Wählergruppen. Während er seine Basis mit wirtschaftlichem Protektionismus und Einwanderungsbeschränkungen zufriedenstellte, war Trump stets darum bemüht, ökonomisches Wachstum zu generieren, um breitere Unterstützung zu gewinnen. Im Ausland strebte er nach militärischem und wirtschaftlichem Einfluss, um sowohl Gegner als auch Verbündete zu Kompromissen zu zwingen, die seinen innenpolitischen Zielen dienlich sein würden. Weder Trump noch die große Mehrheit seiner Berater:innen wollten den internationalen Einfluss der USA aufgeben. Im Gegenteil, ihr Ziel war es, das globale Engagement der USA kosteneffizienter zu gestalten, indem sie von Verbündeten auf harsche Art und Weise weitere Zugeständnisse erpressten.
Trotz Trumps wirtschaftlichem Protektionismus und seiner aggressiven Rhetorik stärkte seine Regierung faktisch sowohl die konventionellen als auch die nuklearen Sicherheitsversprechen: Trump drohte zwar wiederholt mit dem Austritt aus der Nato oder der Verweigerung von Verteidigungshilfen für angegriffene Verbündete, doch jüngste Berichte kann man so deuten, dass dies hauptsächlich seine Taktik war, um Verbündete zu Kompromissen zu zwingen. Entscheidend ist, dass Trumps Regierung sowohl die Qualität als auch die Quantität der konventionellen Streitkräfte in Europa erhöht hat. Die zuständigen Minister seines Kabinetts stellten auch immer wieder die sicherheitspolitische Rolle von Atomwaffen heraus und betonten die Notwendigkeit, dass die USA sich für die erweiterte nukleare Abschreckung neue Optionen eröffnen und entsprechende Fähigkeiten erwerben müssten, wie moderne Nuklearwaffensysteme mit geringerer Sprengkraft.
Vor allem aber bietet Trumps Wahlkampfrhetorik wenig Belege dafür, dass er die USA rasch aus der Nato zurückziehen und die erweiterte nukleare Abschreckung aufkündigen würde. Während mehrere lose assoziierte Berater Trumps eine »schlafende« Nato und noch mehr Druck auf Verbündete vorschlagen, damit diese ihre Verteidigungsausgaben erhöhen, spricht sich keiner aus Trumps Lager dafür aus, das Konzept der nuklearen Rückversicherung für Europa oder Asien aufzugeben. Die außenpolitische Agenda, die in Trumps Wahlkampagne sichtbar wird, fokussiert auf die Eindämmung des chinesischen Expansionismus, die Begrenzung der Einwanderung und die Verschärfung des Protektionismus. Insgesamt liegt der Schwerpunkt jedoch nach wie vor auf innenpolitischen Reformen, deren Umsetzung durch die Aufkündigung grundlegender, darunter nuklearer Bündnisverpflichtungen kaum erleichtert werden würde.
Globaler Einfluss braucht nukleare Rückversicherung
Auch wenn die Absage an die nukleare Rückversicherung den Wünschen einiger seiner Unterstützer:innen entsprechen würde, müsste sich eine zweite Trump-Administration der Tatsache stellen, dass ihre primären Ziele im Widerspruch zum Verzicht auf die erweiterte nukleare Abschreckung stehen. Von ihrem Beschützer im Stich gelassen und mit atomaren Bedrohungen konfrontiert, würden einstige Verbündete regionale Bündnisse mit atomarer Bewaffnung eingehen, eigene Kernwaffen erwerben oder nukleare Gegner beschwichtigen – oder zu einer Kombination all dessen greifen. Solche Entwicklungen würden den Interessen jeder US-Regierung erheblich zuwiderlaufen – auch denen eines Weißen Hauses unter Trump.
Die strategische Anpassung, die auf den Entzug der nuklearen Rückversicherung folgen würde, dürfte zumindest vorübergehend zu Instabilität in wichtigen Teilen der Welt führen, mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen für die internationale Sicherheit. Die allgemeine Ungewissheit über Absichten und Fähigkeiten würde zunehmen. Sich verschiebende Allianzen würden neue Konfliktlinien eröffnen. Die Risiken regionaler Kriege und nuklearer Eskalation würden zunehmen. Konservative Wählergruppen in den Vereinigten Staaten würden befürchten, dass das Land erneut in großangelegte bewaffnete Konflikte hineingezogen werden könnte. Politische Kräfte, die den demokratischen und kapitalistischen Ideen Washingtons feindlich gegenüberstehen, könnten in verschiedenen Regionen die Oberhand gewinnen.
Globale Instabilität würde auch zu einem wirtschaftlichen Abschwung führen, der unvermeidlich Auswirkungen auf die USA selbst hätte. Massiv steigende Ausgaben für das Militär würden jene für die Industrie und Soziales einschränken und innenpolitische Unzufriedenheit nach sich ziehen. Protektionistische Bestrebungen würden sich durchsetzen. Zunehmende Risiken oder tatsächliche Konflikte würden Investitionen und Innovationen hemmen. Da die Vereinigten Staaten geografisch isoliert und militärisch sicher sind, könnten sie zwar aus diesem Chaos möglicherweise auch ein paar Vorteile ziehen. Wie die jüngste Pandemie jedoch gezeigt hat, sind auch die USA weltwirtschaftlich tief verflochten; eine Rezession ließe sich infolgedessen nur schwer vermeiden. Trumps Wählerbasis, die sich entrechtet fühlt, wäre von einer wirtschaftlichen Depression besonders stark betroffen. Die Unternehmen, die ihren Reichtum in erster Linie aus der Integration in die Weltwirtschaft beziehen, würden massiv unter der globalen Instabilität leiden.
Nicht zuletzt würde nukleare Proliferation, beispielsweise in Europa und Ostasien, dafür sorgen, dass diese Regionen für den Einfluss der USA deutlich weniger empfänglich wären. Die Akteure, die ihre Sicherheit durch alternative Bündnisse, Alleingänge oder Besänftigung nuklearer Nachbarn wiederhergestellt hätten, sähen wenig Gründe, die Politik der USA zu unterstützen. So könnten regionale Mächte sich nicht nur den Pressionen Washingtons entziehen, dabei zu helfen, Peking in die Schranken zu weisen, sie könnten auch bewusst gegen die Interessen der USA arbeiten. Ohne nukleare Rückversicherung würde Trumps Fähigkeit schwinden, Verbündete unter Druck zu setzen.
Aufgrund dieser vorhersehbaren negativen Folgen erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass selbst eine transaktional orientierte Trump-Administration in einer Absage an die erweiterte nukleare Abschreckung eine Grundlage für die »besten Deals« erkennen könnte. Solange Washington für das Erreichen seiner Ziele in Europa und Asien engagiert sein muss, wäre der Entzug der nuklearen Rückversicherung also kontraproduktiv und extrem kostspielig.
Wahrscheinliche Entwicklungen und unwahrscheinliche Szenarien
Aus der obigen Analyse ergeben sich drei mögliche Szenarien für die Zukunft der erweiterten nuklearen Abschreckung der USA unter einer Administration Trump II: eine schwierige Fortsetzung, ein versehentlicher Zerfall und ein törichtes Ende.
Erstes Szenario: Angesichts der massiven Kosten, die eine Aufkündigung der nuklearen Rückversicherung nach sich zöge, wäre der wahrscheinlichste Verlauf nukleare Kontinuität. Eine zweite Trump-Präsidentschaft würde in ihren Grundzügen zur Politik der ersten Amtszeit zurückkehren, wenn auch in einer deutlich schwierigeren Weltlage. Zusätzlich würde eine noch stärkere Fokussierung auf Asien das europäische Vertrauen in die Entschlossenheit der USA im Hinblick auf den alten Kontinent voraussichtlich weiter schwächen. Höchstwahrscheinlich würde eine Trump-Administration eine »Lastenverschiebung« anstelle einer Lastenteilung propagieren und Europa noch stärker als in der ersten Amtszeit zur Übernahme zusätzlicher konventioneller Verteidigungsverpflichtungen drängen. Außerdem könnte Trump Europa den Großteil der Kosten für die Unterstützung der ukrainischen Kriegsanstrengungen tragen lassen, während er gleichzeitig Druck auf Kyjiw ausüben würde, ein ungünstiges Friedensabkommen zu akzeptieren.
In diesem wahrscheinlichen Szenario bliebe die erweiterte nukleare Abschreckung zwar aufrechterhalten, ihre Zuverlässigkeit wäre aber in Krisenfällen zweifelhaft. Ein direkter russischer Versuch der nuklearen Nötigung eines Nato-Mitglieds wäre nach wie vor kaum zu erwarten, da er das bestehende internationale System unter Führung der USA bedrohen und damit auch ein Weißes Haus unter Trump zu einer Reaktion zwingen würde. Unterhalb dieser Schwelle müssten sich die Europäer jedoch Sorgen machen, ob und wenn ja wie die USA in einer begrenzten, aber potentiell eskalierenden Krise reagieren und ob Moskau die daraus resultierende Unsicherheit ausnutzen könnte. Daraus folgend stünde Europa insgesamt vor massiven sicherheitspolitischen Herausforderungen, auf die einzelne Staaten in unterschiedlicher Weise reagieren würden: Besonders schutzbedürftige europäische Regierungen in Zentral- und Osteuropa, die keine Nuklearwaffen besitzen, würden versuchen, sich durch eine Verstärkung ihrer bilateralen Beziehungen zu Washington abzusichern, EU-basierte Verteidigungsinstitutionen auszubauen oder eine potentielle Eskalation mit Russland gänzlich zu vermeiden. Um Letzteres zu veranschaulichen: Wenn die Bedenken wegen einer Eskalation die Waffenlieferungen an die Ukraine schon unter Biden gebremst haben, würden solche Selbstbeschränkungen unter Trump wahrscheinlich noch stärker wirken.
Ein zweites Szenario ist das eines nicht intendierten Zerfalls der nuklearen Rückversicherung. In diesem Fall würde die internationale Ordnung und damit auch die erweiterte Abschreckung nicht absichtlich, sondern aus Versehen zusammenbrechen. Eine Reihe von Gründen wären für diesen Kollateralschaden denkbar, zum Beispiel dass Trump den US-Verwaltungsapparat beschädigt und damit sowohl die militärische Macht als auch die Entschlossenheit zur Reaktion in der Krise verringert; dass innenpolitische Unruhen die außenpolitische Entscheidungsfindung empfindlich stören oder gänzlich verhindern; oder dass Trumps Politik den Isolationist:innen eine Mehrheit im Kongress verschafft. Infolgedessen würden sich die Verbündeten der USA allmählich neu orientieren, wodurch die erweiterte nukleare Abschreckung zunehmend obsolet würde. In dieser Konstellation eines weitreichenden innenpolitischen und internationalen Umbruchs könnte Russland eine erfolgversprechende Gelegenheit für seine revisionistischen Ambitionen in Europa sehen.
Dieses zweite Szenario einer versehentlichen Aufkündigung der nuklearen Rückversicherung ist zwar möglich, aber weit weniger wahrscheinlich als das erste einer schwierigen Kontinuität. Historische und wissenschaftliche Beobachtungen legen nahe, dass innerstaatliche und internationale Strukturen viel widerstandsfähiger sind, als es auf den ersten Blick scheint. Letztlich sind vier Jahre zu kurz, um alle Kontrollmechanismen im US-amerikanischen System aufzuheben und jegliche, seit langem bestehende Institutionen zu zerstören.
Als drittes Szenario bleibt der Extremfall einer gezielten Aufkündigung der nuklearen Rückversicherung. Schließlich könnte Trump als Präsident in der Tat die USA von allen sicherheitspolitischen Verpflichtungen schnell und abrupt entkoppeln, gegebenenfalls durch einfache präsidentielle Deklaration. Trump hat gezeigt, dass er zu Entscheidungen neigt, die nicht nur leichtsinnig, sondern auch eindeutig gegen seine eigenen Interessen und die seiner Anhängerschaft gerichtet sind. Seine Wahlkampfrhetorik ist in dieser Hinsicht nicht ermutigend. Zwar wurde eine Reihe juristischer und prozeduraler Schutzmaßnahmen eingeführt, aber der Spielraum des US‑Präsidenten ist nach wie vor sehr groß. Ohne wahltaktische Zwänge oder parteipolitische Abhängigkeiten könnte sich Trump über alle und alles hinwegsetzen und selbst Krisen mit enormen innenpolitischen Kosten, die auf solch dramatische Entscheidungen folgen würden, schlichtweg ignorieren. Auch wenn dieser Extremfall äußerst unwahrscheinlich ist, kann wegen Trumps notorischer Unberechenbarkeit nichts definitiv ausgeschlossen werden.
Unbequeme Alternativen erfordern sorgfältige Planung
Drei Tatsachen scheinen derzeit in der öffentlichen europäischen Debatte einerseits zu Alarmismus und andererseits zu Beschwichtigungen und einer Schockstarre geführt zu haben. Erstens hätte ein Ende der erweiterten nuklearen Abschreckung der USA dramatische Folgen für die europäische Sicherheitsarchitektur. Zweitens ist eine Aufkündigung der nuklearen Rückversicherung aus all den hier dargelegten Gründen nach wie vor unwahrscheinlich. Drittens gibt es keinen schnellen und günstigen Ersatz für die umfangreiche und vielfältige atomare Abschreckungsfähigkeit der USA. Stattdessen wäre es essentiell, sich über die Herausforderungen des potentiellen Extremfalls und entsprechende Alternativen für Europas Sicherheit Klarheit zu verschaffen, eine komplexe und durchaus unbequeme technische und politische Arbeit, die sich jedoch lohnen könnte:
Die Planung einer übergreifenden europäischen nuklearen Abschreckungsoption kann helfen, sich auf das schlimmstmögliche Trump-Szenario vorzubereiten. Eine solche Option böte aber auch mittelfristig ein Druckmittel gegenüber Washington und würde eine langfristige Absicherung gegen grundlegende Veränderungen in der internationalen Ordnung bedeuten. Denn es ist auch nicht auszuschließen, dass spätere Führungen in Washington für Europa eine vergleichbare oder noch schwierigere Herausforderung darstellen könnten.
Der Aufbau einer glaubwürdigen europäischen nuklearen Abschreckung wäre mit erheblichen technischen Schwierigkeiten verbunden. Dazu zählen die Beschaffung von spaltbarem Material, der Aufbau einer Produktions- und Wartungslogistik, der Erwerb von technologischen Fähigkeiten und die Mobilisierung finanzieller Ressourcen. Darüber hinaus stellen sich eine Reihe von Fragen: Welche und wie viele nukleare Sprengköpfe sollen hergestellt, welche und wie viele Trägersysteme sollen einsatzbereit gehalten und welche wesentlichen technischen Fähigkeiten für einen effektiven Einsatz von Nuklearwaffensystemen müssen ergänzend entwickelt werden? Solche militärischen Fähigkeiten müssten einen der zwei Pfeiler der atomaren Abschreckung bilden.
Für den Pfeiler der Entschlossenheit und das beide überwölbende Dach der strategischen Kommunikation braucht es harte politische Arbeit. Dabei müsste zuallererst geklärt werden, ob die Bemühungen für eine europäische Abschreckungsoption einem französischen, französisch-britischen oder gemeinsamen europäischen Projekt dienen sollen. Anschließend stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen Frankreich und Großbritannien Teil eines gemeinsamen Nuklearprojekts wären und die Ausweitung ihrer atomaren Abschreckung auf alle anderen europäischen Staaten anbieten würden. Folglich muss die Bereitschaft schutzbedürftiger europäischer Staaten ausgelotet werden, im Gegenzug für einen solchen Schutz nicht nur finanzielle, sondern auch politische Kosten in Kauf zu nehmen. Des Weiteren ist es von größter Bedeutung, das Mindestmaß an europäischer Zentralisierung zu bestimmen, um wirksame Kommando-, Kontroll- und Kommunikationsstrukturen einer gemeinsamen nuklearen Abschreckung zu gewährleisten. Es obliegt den nicht-staatlichen Befürworter:innen dieser Lösungen, die intellektuelle Vorarbeit zu leisten, denn die europäischen Regierungen werden solche kritischen Fragen bestenfalls hinter verschlossenen Türen anreißen.
Zweifel können zerstreut werden
Die Vorbereitung auf unwahrscheinliche, aber katastrophale Szenarien ist enorm wichtig. Nichtdestotrotz, sollte die Minderung der Sicherheitsdefizite, die sich aus den viel wahrscheinlicheren Entwicklungen ergeben könnten, an erster Stelle stehen. Entsprechend schlagen wir vier Schritte vor, die über die offensichtlich notwendige Unterstützung der ukrainischen Kriegsanstrengungen hinausgehen und diplomatische Koordination, konventionelle Aufrüstung und nukleare Rückversicherung umfassen. Politische Bedenken und Misstrauen können zwar nicht vollständig ausgeräumt, aber gemildert werden. Diese Schritte sind nicht nur für die Stärkung des Vertrauens in die nukleare Rückversicherung, sondern auch für die Weiterentwicklung der transatlantischen Sicherheitsarchitektur relevant.
Die folgenden Maßnahmen zielen darauf ab, Trumps politischen Spielraum einzuschränken, die Wahrscheinlichkeit von Krisen zu verringern, die eine nukleare Eskalation der USA erforderlich machen könnten, und die derzeitigen Abschreckungsmaßnahmen zu verstärken. Darüber hinaus würden sie, einmal initiiert, einen sich selbst verstärkenden Kreislauf schaffen: Weniger Druck von Seiten der USA und ein größeres Vertrauen der europäischen Regierungen in die Beherrschbarkeit einer Eskalation würden bedeuten, dass mehr Staaten die Bemühungen innerhalb der Nato zur Eindämmung und Abwehr russischer Aggressionen unterstützen und weniger auf Bilateralismus mit Washington oder alternative, unerprobte EU-basierte Institutionen setzen würden.
Erstens sollten die europäischen Regierungen mit demokratischen und republikanischen Abgeordneten zusammenarbeiten, um Trumps rhetorische Kritik an der Nato zu entschärfen. Repräsentant:innen europäischer Staaten sollten sich an führende republikanische Politiker:innen auf Bundes- und Staatsebene wenden, um die politischen, wirtschaftlichen und strategischen Verflechtungen über den Nordatlantik hinweg zu erörtern. Sie sollten Washington auch ermutigen, den US-Wähler:innen zu erklären, warum die Aufrechterhaltung des Bündnisses und glaubwürdiger Sicherheitsversprechen für die Vereinigten Staaten von Vorteil sind, wohl wissend, dass eine solche Darstellung schmerzhafte Umverteilungsfragen aufwerfen könnte. Erste Bemühungen, republikanische Politiker:innen für dieses Anliegen zu gewinnen, scheinen begonnen zu haben. Darüber hinaus sollte eine koordinierte europäische Öffentlichkeitsarbeit aufzeigen, wie viele von Trumps Forderungen aus der ersten Amtszeit bereits erfüllt wurden, was zu höheren Nato-Ausgaben und zur Anschaffung von US-Waffen geführt hat, Entwicklungen, die einen positiven Effekt auf den amerikanischen Arbeitsmarkt haben – auch wenn das Anbiedern an einen Demokratie- und Europafeind wie Trump innenpolitisch auf Kritik stoßen wird.
Zweitens muss die Nato ihre Fähigkeiten stärken, um jedem russischen militärischen Übergriff auf verbündetes Gebiet rasch entgegenzutreten. Das plausibelste Szenario für eine nukleare Eskalation besteht darin, dass Russland ein Nato-Gebiet besetzt und mit dem Einsatz von Atomwaffen droht, um die Kontrolle zu behalten. Wenn es den europäischen Streitkräften also gelingt, Moskaus konventionelle Kriegsführung zu vereiteln, ist die Wahrscheinlichkeit einer nuklearen Eskalation durch Russland deutlich geringer und damit auch die Sorge, ob die USA in solch regionalen Konflikten zu intervenieren bereit wären. Die konventionellen Aufrüstungsbemühungen im Sinne der Abschreckungsstrategie durch Vereitelung (deterrence by denial) sind seit Februar 2022 im Gange, aber die mögliche Wiederwahl Trumps dürfte Anreiz für weitere Maßnahmen sein. Vor diesem Hintergrund könnten europäische Regierungen auch erwägen, gewisse militärische Anschaffungen aus den USA so zu verzögern, dass sie in eine potentielle zweite Amtszeit Trumps fallen würden.
Drittens sollte das Bündnis seine Raketenabwehr und seine konventionellen Langstreckenfähigkeiten verstärken und zusammendenken. Moskau könnte Angriffe auf Nato-Gebiete mit der Drohung verbinden, wichtige militärische Zentren weiter westlich zu zerstören, wodurch der Zusammenhalt des Bündnisses untergraben werden könnte. Zum einen könnten diversifizierte Fähigkeiten zur Raketenabwehr Russland abschrecken, indem sie Moskau dazu zwingen, Eskalationsstufen in Betracht zu ziehen, die die globalen Interessen der USA verletzen würden. Zwar sollten die bestehenden Bemühungen hier ausgeweitet werden, doch können die derzeit verfügbaren Technologien nur begrenzte Optionen bieten. Zum anderen könnten luft- und landgestützte Raketensysteme mit größeren Reichweiten sowohl eine Abschreckungswirkung auf die Erfolgsaussichten russischer militärischer Übergriffe entfalten (deterrence by denial) als auch angemessene Vergeltung (deterrence by punishment) signalisieren. Die Vereinigten Staaten haben beträchtliche Ressourcen bereitgestellt und die Entwicklung verschiedener landgestützter Mittelstreckenraketensysteme nähert sich dem Abschluss. Die europäischen Regierungen sollten mit Washington zusammenarbeiten, um neue konventionelle Optionen für ein gemeinsames Eskalationsmanagement zu gewinnen, aber auch ihre eigenen Programme vorantreiben.
Schließlich sollten sowohl die Amerikaner als auch die Europäer die nukleare Rückversicherung von beiden Seiten stärken. Repräsentant:innen europäischer Staaten sollten ihre US-Kolleg:innen davon überzeugen, sich vorübergehend die Option offenzuhalten, seegestützte taktische Nuklearwaffen zu entwickeln, da diese das russische Kalkül beeinflussen würden. Die Allianz sollte auch erwägen, ob es nicht eher im Sinne einer modernisierten nuklearen Teilhabe wäre, auf luftgestützte atomar bewaffnete Marschflugkörper als auf frei fallende Atombomben zu setzen. Im Gegenzug sollten europäische Regierungen prüfen, welche ergänzenden Rollen französische und britische Atomwaffen spielen könnten. Die militärischen Möglichkeiten sowohl in Paris als auch in London sind begrenzt, aber beide könnten kleine zusätzliche Beiträge leisten und wichtige politische Funktionen zur Untermauerung der europäischen Kohäsion erfüllen.
Dr. Liviu Horovitz ist Wissenschaftler, Elisabeth Suh Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik. Das Aktuell entstand im Rahmen des Projekts STAND (Strategic Threat Analysis and Nuclear (Dis-)Order).
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DOI: 10.18449/2024A21