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Resilienzförderung als Lösung für langandauernde Fluchtsituationen?

Lehren aus den Erfahrungen in Jordanien und Libanon

SWP-Aktuell 2021/A 61, 29.09.2021, 8 Seiten

doi:10.18449/2021A61

Forschungsgebiete

Die Zahl der Flüchtlinge weltweit steigt seit Jahren an, eine Umkehr dieses Trends ist auch in Zukunft nicht absehbar. Noch immer werden die meisten Flüchtlinge von Nachbarstaaten aufgenommen. Dabei nehmen langandauernde Fluchtsituationen zu, die sowohl Flüchtlinge als auch aufnehmende Länder vor große Herausforderungen stellen. Die internationale Gemeinschaft versucht seit Jahrzehnten, Lösungen für sol­che Fälle zu finden – bislang mit begrenztem Erfolg. Seit einigen Jahre gilt die Förde­rung von Resilienz, also von Widerstandsfähigkeit, als richtungsweisender Ansatz; unter anderem wird er in Jordanien und Libanon verfolgt. Wie ist dieser Ansatz zu bewerten? Kann er auch für andere langandauernde Fluchtsituationen als Modell dienen, beispielsweise in den Nachbarländern Afghanistans?

Ende 2020 erreichte die Zahl der Menschen, die sich weltweit auf der Flucht befinden, mit mehr als 82 Millionen einen neuen Höchststand. Darunter befanden sich neben 26,4 Millionen Flüchtlingen auch 48 Millio­nen Binnenvertriebene und 4,1 Millionen Asylsuchende. Diese Zahlen werden in den kommenden Monaten vermutlich weiter steigen. So rechnet das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) allein mit Blick auf die aktuelle Lage in Afghanistan mit bis zu 515.000 Menschen, die das Land noch in diesem Jahr verlassen könnten. Nicht nur im Falle Afghanistans, sondern generell wird der Großteil aller Flüchtlinge von den jeweiligen Nachbarländern aufgenommen.

Langandauernde Flucht­situationen

Oft entwickeln sich dort sogenannte lang­andauernde Fluchtsituationen (protracted refugee situations). Eine solche ist nach UNHCR-Definition gegeben, wenn 25.000 oder mehr Flüchtlinge derselben Nationa­lität fünf oder mehr Jahre lang in einem Aufnahmeland leben. Solche Situationen halten oft über Jahrzehnte an. Sie stellen in der Regel keine unmittelbaren Notlagen dar, die lebensrettende Maßnahmen erfor­dern; gleichzeitig ist aber eine dauerhafte Lösung in naher Zukunft nicht absehbar.

Da der Großteil aller Flüchtlinge weltweit von Ländern des Globalen Südens auf­genommen wird, sind diese auch über­proportional stark von solchen Fällen be­troffen. Die damit verbundenen Heraus­forderungen sind bekannt. Oft verschärft die Anwesenheit von Flüchtlingen bereits existierende Probleme. Sie verändert nicht nur das demographische Gleichgewicht, sondern führt auch zu kritischem Druck auf soziale, wirtschaftliche, institutionelle und natürliche Ressourcen, was die Kapazi­täten von Aufnahmeländern häufig über­lastet und so ihre Entwicklung gefährdet. Dies betrifft bei weitem nicht nur arme Länder des Globalen Südens, sondern auch solche mittleren Einkommens wie Kenia, Pakistan oder Iran.

Flüchtlingsschutz und Entwicklung

Trotz der Wechselwirkungen zwischen der Aufnahme von Flüchtlingen und der Ent­wicklung der aufnehmenden Länder wur­den beide Aspekte in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg von der internationalen Gemeinschaft zunächst separat voneinan­der behandelt. UNHCR war verantwortlich für den Flüchtlingsschutz, während UNDP, das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (VN), sich Entwicklungsfragen widmete. Ausgestattet mit je eigenen Man­daten, brachten die beiden Organisationen unterschiedliche operative Strukturen und institutionelle Kulturen hervor. Als huma­nitärer Akteur implementierte UNHCR seine Maßnahmen rein nach Bedarfen, un­abhängig von den Interessen und Prioritäten einzelner Regierungen. Dagegen arbei­tete UNDP mit Regierungen zusammen und setzte Maßnahmen nur im Einklang mit deren politischen Vorgaben um. Die beiden Organisationen hatten nur begrenzt mit­einander zu tun; Entwicklungszusammen­arbeit (EZ) und die Unterstützung von Flüchtlingen wurden als zwei getrennte Handlungsfelder betrachtet. Während Ent­wicklungsprojekte sich dabei auf struktu­relle Herausforderungen konzentrierten, so die Minderung von Armut, Krankheiten, Hunger und Analphabetismus, lag der Fokus bei der Flüchtlingsunterstützung darauf, humanitäre Hilfe bereitzustellen. Dies geschah oftmals durch Strukturen, die parallel zu bestehenden nationalen Syste­men neu aufgebaut wurden. Die lokale Bevölkerung von Aufnahmeländern blieb dabei meist unberücksichtigt, obwohl sie häufig ähnliche Bedarfe hatte wie die Flüchtlinge.

Erst in den 1960er Jahren setzte sich all­mählich die Erkenntnis durch, dass Flucht und Entwicklung miteinander in Zusam­menhang stehen und dass beide Bereiche nicht getrennt voneinander bearbeitet werden können, sollen hier wie dort nach­haltige Ergebnisse erzielt werden. Im Folgenden gab es zwar Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, humanitäre Hilfe und EZ zu verknüpfen. Doch führten entsprechende Ansätze in Fluchtsituationen meist nicht zum gewünschten Ziel; viel­mehr wird der Großteil davon in Wissenschaft und Praxis als gescheitert betrachtet. Die Diskussionen darüber, wie man die beiden Bereiche verbinden kann, halten indes weiter an. Seit einigen Jahren hat da­bei das Konzept von Resilienz an Auf­merk­samkeit gewonnen.

Resilienz als Konzept

Das Konzept an sich ist nicht neu. Es wird schon seit dem frühen 19. Jahrhundert von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft­lern genutzt, um Phänomene in unter­schiedlichen Disziplinen zu erforschen, etwa der Physik, Ökologie oder Psychologie. In den frühen 2010er Jahren haben schließ­lich auch staatliche Akteure sowie große internationale Organisationen das Konzept aufgegriffen. Der »Humanitarian Emer­gency Response Review« der britischen Regierung von 2011 gilt als Auslöser, der die Idee von Resilienz auch in der humanitären Hilfe und EZ prominent machte, in­dem er sie ins Zentrum von Überlegungen stellte, wie die beiden Bereiche besser miteinan­der verknüpft werden könnten.

In der Folge verbreitete sich der Resi­lienzgedanke nicht nur in nationalen Stra­tegien und in Programmen humanitärer und EZ-Organisationen, sondern erreichte mit der Agenda 2030 für nachhaltige Ent­wicklung auch die globale Ebene. Unter Resilienzförderung wurden dabei gemein­hin Ansätze verstanden, die darauf ab­zie­len, vorhandene Potentiale und Kapazitäten von Menschen oder Institutionen so zu stärken, dass sie mit akuten Schocks und chronischen Belastungen besser umgehen können. Entsprechende Programme folgten einer Art Dreierlogik: Es ging darum, aktu­elle Krisen schneller bewältigen, sich der neuen Situation anpassen oder sich struk­turell so verändern zu können, dass Ein­schnitte wie gewaltsame Konflikte oder extreme Naturereignisse keine Auswirkung mehr haben und mittel- und längerfristige Lebensperspektiven nicht gefährden. Ins­gesamt sollte Resilienz auf diese Weise Ent­wicklungsfortschritte schützen und zukünf­tigen humanitären Notlagen vor­beugen.

Dies machte Resilienz in zweierlei Hin­sicht attraktiv. Zum einen betrachteten humanitäre und EZ-Akteure Resilienzförde­rung als Möglichkeit, menschliches Leid zu lindern und die Fähigkeiten vulnerabler Personen so zu stärken, dass sie besser mit künftigen oder wiederkehrenden Risiken umgehen können. Zum anderen erhofften sie, auf solchem Wege die Kosten für eine ansonsten oft über Jahre anhaltende Not­hilfe reduzieren zu können.

Diese Denkweise machte Resilienz auch für den Fluchtkontext interessant. Dement­sprechend wurde das Konzept von verschie­denen Akteuren des Bereichs aufgenom­men. Das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent­wicklung (BMZ) etwa erklärte im Jahr 2013 verbesserte Resilienz von Menschen und Institutionen zu einem übergreifenden Ziel seiner damaligen »Strategie der entwick­lungsfördernden und strukturbildenden Übergangshilfe« (ESÜH). Dabei sollte Resi­lienz auch im Kontext von Flucht und Ver­treibung gefördert werden, beispielsweise bei der (Re-)Integration von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen oder bei der Unter­stützung von Aufnahmegesellschaften.

Auf internationaler Ebene wurde das Konzept ebenfalls im Zusammenhang von Flucht aufgegriffen. Im Dezember 2014 stellten die VN mit dem »Regional Refugee and Resilience Plan in Response to the Syria Crisis« (3RP) den Resilienzgedanken zum ersten Mal ins Zentrum eines Ansatzes für den Umgang mit einer konkreten, seit meh­reren Jahren bestehenden Fluchtsituation.

Resilienzförderung im Kontext der syrischen Flüchtlingskrise

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Bürgerkrieg in Syrien bereits Hunderttausende von Menschen in die Flucht getrieben. Der Großteil derer, die dabei internationale Grenzen überquerten, wurde von einem der Nachbarländer aufgenommen, darunter Jordanien und Libanon, wo im zahlen­mäßigen Verhältnis zur jeweiligen nationa­len Bevölkerung die meisten Flüchtlinge Zuflucht fanden.

Schnell wurde jedoch klar, dass die auf­nehmenden Gemeinden einen hohen Preis zahlen mussten. Infrastruktur, Ressourcen und Kapazitäten gerieten an ihre Belas­tungsgrenzen. Die Preise für Wohnraum und Lebensmittel stiegen, während die Löhne aufgrund größerer Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt sanken. Knappe Ressour­cen wie Strom und Wasser waren wegen des Bevölkerungszuwachses weniger gut verfügbar. Diese Auswirkungen auf das tägliche Leben dämpften die anfängliche Gastfreundschaft, und es kam vermehrt zu Spannungen zwischen Flüchtlingen und lokaler Bevölkerung.

Der 3RP sollte dieser Situation Rechnung tragen, indem er die bestehenden Nothilfe­maßnahmen für Flüchtlinge um längerfris­tige, entwicklungsorientierte Maßnahmen ergänzte, von denen auch die Aufnahme­länder profitierten. Die VN betonten den einschneidenden Charakter des Plans. Ein Novum für die VN bilde er nicht nur inso­fern, als damit ein regionaler Reaktions­mechanismus geschaffen werde, der zum ersten Mal in einem einzigen, kohärenten Plan humanitäre und entwicklungspoliti­sche Maßnahmen vollständig miteinander verknüpfe. Vielmehr stelle dies insgesamt einen Paradigmenwechsel beim Umgang der VN mit Krisen dar. Vor diesem Hinter­grund wurde der 3RP als Modell verstan­den, das auch auf andere komplexe und langandauernde Krisen übertragbar sein könnte.

Der Regional Refugee and Resilience Plan (3RP)

Im Zentrum des Plans stand die Einführung einer neuen Komponente. Neben die Flüchtlingskomponente, die weiterhin die Schutz- und Grundbedürfnisse von Flücht­lingen abdecken sollte, trat eine sogenann­te Resilienzkomponente. Diese sollte die Fähigkeit der Aufnahmestaaten stärken, mit der Situation umzugehen, gleichzeitig aber auch die Resilienz betroffener Gemein­den und Individuen fördern und dazu bei­tragen, die Kapazitäten nationaler wie loka­ler Dienstleistungssysteme auszubauen.

Fünf Elemente machten den Kern des resilienzbasierten Ansatzes aus. Dazu ge­hörte erstens die Verknüpfung von huma­nitären mit entwicklungspolitischen Maß­nahmen. Zweitens sollte die Eigenständigkeit (self-sufficiency) betroffener Bevölke­rungsgruppen gefördert werden, beispiels­weise durch Bildungsmaßnahmen oder durch Programme zur Verbesserung der Lebensbedingungen. Drittens waren Paral­lelstrukturen zu vermeiden, weshalb der Fokus darauf lag, vorhandene lokale Syste­me zu nutzen. Deren Strukturen und Kapa­zitäten sollten gestärkt werden, um der erhöhten Nachfrage etwa nach Bildungs- oder Gesundheitsdienstleistungen stand­halten zu können. Ein viertes Element bil­deten Partnerschaften, darunter insbeson­dere eine neue formalisierte Kooperation zwischen UNHCR und UNDP. Während UNHCR weiterhin für die Flüchtlings­komponente verantwortlich war, sollte UNDP die Resilienzkomponente obliegen. Fünftens strebte man nach sozialer Kohä­sion, um Spannungen zwischen Flüchtlin­gen und lokaler Bevölkerung zu mindern.

Neben diesen fünf Kernelementen umfasste die Strategie weitere zentrale Aspekte. Dazu zählte unter anderem, den Regierungen der Aufnahmeländer die Lei­tung und Eigenverantwortung (ownership) für alle Maßnahmen zu übertragen, womit sichergestellt werden sollte, dass diese in Einklang mit den jeweiligen nationalen Interessen und Planungsprozessen standen. Ein weiterer Schwerpunkt lag darauf, die ökonomischen Chancen sowohl für Flücht­linge als auch für vulnerable Aufnahme­gemeinden zu erhöhen. Dabei konzentrier­te sich der 3RP auf Programme, mit denen Existenzgrundlagen verbessert werden soll­ten, beispielsweise durch einkommensschaffende Maßnahmen oder die Förderung der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung.

Gestärkt werden sollten auch Koordina­tion und Zusammenarbeit zwischen ver­schiedenen Akteuren, insbesondere mit Blick auf nationale und lokale Behörden der Aufnahmeländer. Schließlich legte der 3RP – verglichen mit den vorherigen, rein humanitär ausgerichteten Reaktionsplänen – einen deutlicheren Fokus auf Rechen­schaftspflicht gegenüber Gebern wie Betrof­fenen. Dafür setzte der Plan einerseits einen neuen Schwerpunkt auf Monitoring und Evaluierungen. Andererseits verfolgte er einen partizipativen Ansatz, der insbeson­dere gewährleisten sollte, dass die betroffe­nen Bevölkerungsgruppen in Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen einbezo­gen würden.

Umsetzung in Jordanien und Libanon

Als regionaler Ansatz wurde der 3RP unter anderem in Jordanien und Libanon um­gesetzt. Die Erfahrungen dort zeigen, dass die Idee von Resilienz durchaus Potentiale birgt, was den Umgang mit langandauern­den Fluchtsituationen betrifft, dabei aber auch Risiken mit sich bringt.

Potentiale

Zunächst einmal bietet das Konzept mit seinem Fokus auf integrierten Ansätzen einen Rahmen, um zum einen mehr Ent­wicklungsakteure einzubinden und zum anderen Flüchtlingsunterstützung um Maß­nahmen für die lokale Bevölkerung zu ergänzen. Beide Aspekte können insbeson­dere in Ländern mittleren Einkommens wie Jordanien und Libanon nicht als selbst­verständlich betrachtet werden. EZ-Akteure sind dort häufig entweder nicht präsent oder beschränken ihre Maßnahmen auf einzelne Sektoren. Ein Blick auf die Flucht­situation in den beiden Ländern verdeutlicht jedoch, wie schnell auch hier struktu­relle Herausforderungen ein verstärktes entwicklungspolitisches Engagement erfor­derlich machen können.

Gleichzeitig bewirkte die neu eingeführ­te Resilienzkomponente, dass die beiden Regierungen sich bei Entwicklung und Um­setzung des 3RP viel stärker engagierten als bei den vorhergehenden Reaktionsplänen und ein wachsendes Gefühl von ownership im Umgang mit der Fluchtsituation ent­wickelten. So integrierte die jordanische Regierung zusätzliche Sektoren in den Plan, führte Quotenregelungen für Begünstigte ein und machte ihr Einverständnis zur Vor­aussetzung für die Durchführung aller Maßnahmen. Eine solche Mitwirkung ver­steht sich nicht von selbst. Maßnahmen zu einer Fluchtsituation in Ländern mit nied­rigem oder mittlerem Einkommen werden häufig von UNHCR koordiniert und umge­setzt. Es kann dann schwierig sein, die Regierung des Aufnahmelandes zu motivie­ren, dass sie sich an Planung und Umset­zung von Programmen beteiligt, insbeson­dere wenn sie darin für das Land selbst kei­nen Mehrwert sieht. Für die Regierung ist es womöglich bequemer und kostengünstiger, den Umgang mit der Situation an die inter­nationale Gemeinschaft auszulagern. Vor allem in Ländern mit bestehenden Regie­rungs- und Dienstleistungsstrukturen kön­nen internationale Organisationen diese Rolle jedoch nicht für immer übernehmen. Abhilfe ist möglich, wenn der Fokus auf Maßnahmen liegt, die auch dem Aufnah­meland zugutekommen, wie die Erfahrun­gen in Jordanien und Libanon zeigen. Hier führte die Aussicht auf eine mögliche Ent­wicklungsdividende dazu, dass die Regie­rungen sich an der Planung konkreter Schritte beteiligten. Auch Gebern gegen­über vertraten sie die strategische Ausrich­tung des Plans, statt wie in den Jahren zuvor das Feld internationalen Organisationen zu überlassen.

Darüber hinaus gelang es, über die neuen Koordinierungsstrukturen des 3RP, in denen die alleinige Führungsrolle von UNHCR um eine Beteiligung von UNDP ergänzt wurde, mehr Akteure in Foren und Arbeitsgruppen zusammenzubringen, dar­unter humanitäre und EZ-Akteure, Vertre­ter und Vertreterinnen der Zivilgesellschaft, der Privatwirtschaft und des Finanzsektors, der nationalen und lokalen Behörden sowie Geber. Dies verbesserte die Zusammen­arbeit, verhinderte eine Doppelung von Maß­nahmen und stellte überdies sicher, dass alle Beteiligten ihre Interessen und Prioritä­ten artikulieren konnten. So lag etwa der jordanischen Regierung vor allem an Infra­strukturmaßnahmen, während die inter­nationale Gemeinschaft ihren Fokus auf Kapazitätenstärkung und einkommens­schaffende Maßnahmen für Flüchtlinge richtete.

Im Libanon hatten die Instabilität von Regierungsbündnissen, das Fehlen einer gemeinsamen Vision zur Entwicklung des Landes sowie Streitigkeiten zwischen und innerhalb verschiedener Ministerien die allgemeine Zusammenarbeit immer wieder erschwert. Gerade in diesem Land eröffnete sich nun ein neuer Raum für Dialog und Verhandlungen zwischen Umsetzungsorga­nisationen und der Regierung. Die daraus hervorgegangene Strategie wiederum schuf nicht nur einen klaren Handlungsrahmen, sondern auch Vertrauen in den Prozess an sich.

Neue Monitoring- und Evaluierungs­systeme verbesserten die Transparenz, wenn es darum ging, wo, wie und für wen Geld ausgegeben wurde. Sie trugen eben­falls dazu bei, Vertrauen in die Maßnah­men zu schaffen. Die jordanische Regierung war dank eines neuen, staatlich kontrollier­ten Monitoring-Systems in der Lage, durch­geführte Maßnahmen und Begünstigte ge­nau aufzulisten. Auf diese Weise konnte sie die internationale Gemeinschaft stärker dazu bewegen, dass Unterstützung nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für die lokale Bevölkerung gewährt wurde.

Da sich der Plan rund um das gerade aufkommende Schlagwort von Resilienz drehte, konnte er schließlich als etwas grundsätzliches Neues dargestellt werden, womit es gelang, die internationale Auf­merksamkeit für die Lage in der Region hoch zu halten. Die VN setzten dafür eine breite Öffentlichkeitsarbeit ein, inklusive eigener Website, Hochglanzbroschüren und Veranstaltungen zum Resilienzkonzept. Auch Jordanien nutzte den Begriff erfolg­reich. Es konnte so den Blick von Gebern auf die Situation im Land lenken und gleichzeitig eine Strategie für den Umgang damit präsentieren, um Finanzmittel ein­zuwerben.

Risiken

Trotz dieser positiven Entwicklungen zeigt die Umsetzung des 3RP in Libanon und Jordanien aber auch, wo Fallstricke eines resilienzbasierten Ansatzes liegen. So wur­de schnell klar, dass verschiedene Akteure den Begriff Resilienz sowie die Elemente des Plans unterschiedlich nutzten und mit dem Ansatz jeweils eigene Interessen ver­folgten. Vor dem Hintergrund der europäi­schen »Flüchtlingskrise« war die internatio­nale Gemeinschaft vor allem daran inter­essiert, Fluchtursachen zu mindern und Weiterwanderungen zu verhindern – unter anderem durch Maßnahmen, die die Lebensbedingungen von Flüchtlingen ver­bessern. Jordanien und Libanon hingegen ging es vor allem darum, die negativen Auswirkungen der Flüchtlingsaufnahme abzumildern, eigene Entwicklungsziele voranzutreiben und wirtschaftliches Wachstum zu fördern. In Jordanien zeigte sich diese Interpretation beispielsweise daran, wie die Regierung die neue Resi­lienz­komponente verwendete, um Zielgrup­pen und Maßnahmen zu kategorisieren. Flücht­linge sollten weiterhin humanitäre Hilfe erhalten; längerfristige, resilienz­fokussierte Maßnahmen jedoch sollten sich nur an Jordanierinnen und Jordanier richten. Die internationale Gemeinschaft auf der ande­ren Seite betonte zwar ebenfalls die Bedeu­tung des Flüchtlingsschutzes. Gleichzeitig strebte sie aber auch Resilienz im Sinne von mehr Selbständigkeit für Flüchtlinge und die lokale Bevölkerung an, etwa durch Zu­gang zu längerfristigen Maßnahmen, mit denen die Lebensgrundlagen beider Grup­pen verbessert werden sollten.

Letztlich gelang es auch mit dem resi­lienzbasierten Ansatz des 3RP nicht, die unterschiedlichen Interessen miteinander zu verknüpfen. Dies hing größtenteils da­mit zusammen, dass Jordanien und Liba­non eine langfristige lokale Integration von Flüchtlingen strikt ablehnten – und damit alle Schritte, die deren Selbständigkeit erhö­hen sollten. Daher konzentrierten sich viele Geber weiterhin auf kurzfristige, humani­täre Maßnahmen, die schnell greifbare Er­gebnisse erzielten, was weder ihre Erwar­tungen an einen resilienzbasierten Ansatz erfüllte noch die der Aufnahmeländer. Gleichzeitig stellte dieses Vorgehen die Nachhaltigkeit der Strategie generell in Fra­ge, denn sie bot so keine Lösung dafür, die Abhängigkeit der Flüchtlinge von exter­ner Hilfe zu verringern. Da die sozio-ökono­mische Integration von Flüchtlingen jedoch klar unter die Souveränität Jordaniens und Libanons fiel, konnte daran auch die Neu­ausrichtung nichts ändern, die der 3RP mit seinen längerfristigen und entwicklungs­orientierten Maßnahmen ins Auge gefasst hatte.

Eine weitere Schwierigkeit zeigte sich im Libanon in der Kombination zweier Kern­elemente von Resilienzförderung: natio­naler ownership auf der einen, Förderung nationaler Kapazitäten auf der anderen Sei­te. In der Theorie sind diese Aspekte positiv zu bewerten, denn langfristig ge­sehen redu­zieren sie nicht nur die Kosten für Hilfs­maßnahmen, sondern stellen auch sicher, dass die Prioritäten der betroffenen Länder angemessen berücksichtigt werden. Im Libanon war die Regierung jedoch mit zu­nehmendem Engagement und verbesserten Kapazitäten auch immer mehr in der Lage, die Entwicklung und Umsetzung von Maß­nahmen zu kontrollieren. Weil sie gleich­zeitig eine zunehmend flüchtlingsfeind­liche Einstellung entwickelte, hatte dies zur Folge, dass mehr Restriktionen sowohl gegenüber Flüchtlingen als auch gegenüber Durchführungsorganisationen forciert wer­den konnten. So erließ die Regierung etwa neue wohnungsrechtliche Vorschriften für Flüchtlinge, schränkte sie in ihrer Bewe­gungsfreiheit ein und übte zunehmend Druck auf sie aus, nach Syrien zurückzukehren.

Genauso stand ein höheres Maß an ownership der Regierung im Gegensatz zur Stärkung von Kapazitäten und Selbständig­keit betroffener Individuen. Da die libane­sische Regierung den langfristigen Aufent­halt von Flüchtlingen sowie deren sozio-ökonomische Integration klar ablehnte, bedeuteten mehr Kontrollmöglichkeiten ihrerseits, dass einkommensschaffende Maßnahmen zunehmenden Restriktionen unterlagen und der Zugang von Flüchtlin­gen zum Arbeitsmarkt weiter beschränkt wurde.

Gleichzeitig wird angesichts der aktuel­len Lage im Libanon deutlich, dass die Förderung von Kapazitäten im Rahmen des Plans nicht ausreichte, um das Land ange­messen auf neue Schocks jenseits der Fluchtsituation vorzubereiten und struk­turelle Probleme etwa hinsichtlich guter Regierungsführung zu lösen. So scheiterte wiederholt die Bildung einer neuen Regie­rung, nachdem die bisherige infolge der Beiruter Explosionskatastrophe von August 2020 zurückgetreten war. Die politische Elite weigert sich bis heute, dringend not­wendige Reformen umzusetzen, mit denen sich ein Kollaps des Landes abwenden ließe, der angesichts weiterer Krisen wie der Covid-19-Pandemie und dem Verfall der Währung droht.

Übertragbarkeit auf andere Kontexte

Trotz des neuen Narrativs von Resilienz sind viele Elemente des 3RP altbekannt. Aspekte wie die Verknüpfung von humani­tärer Hilfe und EZ, die Förderung von Kapa­zitäten oder eine größere nationale Füh­rungsrolle finden sich seit langem unter diversen Schlagworten in Ansätzen, die zum Ziel haben, Flüchtlingsschutz mit der Entwicklung von Aufnahmeländern zu verbinden.

Neu am 3RP ist dagegen nicht nur die großangelegte Vermarktungsstrategie für ein vermeintlich innovatives Konzept, sondern auch dessen Umsetzung in Län­dern mittleren Einkommens. Die Beispiele Jordanien und Libanon zeigen, dass der Ansatz einige grundsätzliche Potentiale für den Umgang mit langandauernden Flucht­situationen in solchen Ländern bietet. So kann die Aussicht auf eine Entwicklungs­dividende nationale ownership fördern, was die Voraussetzung dafür ist, Unterstützung der internationalen Gemeinschaft schritt­weise zu reduzieren. Eine gemeinsame strategische Vision sowie neue Koordinie­rungsstrukturen, die unterschiedliche Akteure inklusive nationaler und lokaler Behörden der Aufnahmeländer zusammen­bringen, ermöglichen politischen Dialog und eröffnen zusätzliche Handlungsspiel­räume. Zusammen mit der Stärkung natio­naler Kapazitäten im Umgang mit der Situation sowie verbesserter wirtschaft­licher Selbständigkeit und Unabhängigkeit von Flüchtlingen und lokaler Bevölkerung kann ein solcher Ansatz die Grundlage bieten, um nachhaltige Lösungen in der Region zu erreichen, die keiner dauerhaf­ten Unterstützung von außen bedürfen.

Geht es darum, ob der Ansatz auf andere Länder übertragbar ist, müssen jedoch auch die damit einhergehenden Risiken beachtet werden. Diese hängen stark vom politi­schen Kontext in den jeweiligen Ländern ab. Exemplarisch zeigt sich das in der Frage, wie die Nachbarländer Afghanistans in der aktuellen Situation unterstützt werden können.

Zum einen spielen bei einer möglichen Anwendung des Ansatzes geopolitische und menschenrechtliche Aspekte eine Rolle. So ist eine Zusammenarbeit, die über huma­nitäre Hilfe hinausgeht und auf mehr Resi­lienz abzielt, mit Ländern wie Pakistan und Iran heikel. Pakistan unterstützt nicht nur die Taliban, sondern unterdrückt und dis­kriminiert systematisch Minderheiten. Auch wegen der wachsenden Nähe des Lan­des zu China sind seine Beziehungen mit westlichen Ländern angespannt. Das irani­sche Regime wiederum ist mit Sanktionen belegt. Frauenrechte werden in beiden Staaten vielfach verletzt. Diese sind damit schwierigere Partner für eine Kooperation als Jordanien und Libanon, mit denen die EU bereits vor der syrischen Flüchtlingskrise im Rahmen der Europäischen Nachbarschafts­politik gute Beziehungen pflegte und die sich in diesem Zusammenhang offiziell zu gemeinsamen Werten wie Demokratie und Menschenrechten bekennen.

Dennoch haben bereits in diesen Län­dern unklare Definitionen von Begrifflich­keiten wie Resilienz dazu geführt, dass Akteure den Ansatz unterschiedlich inter­pretierten und entsprechend nutzten, um eigene Interessen voranzutreiben. Geostra­tegisch bedeutsame Länder besitzen dabei noch größere Verhandlungsmacht. Es be­steht die Gefahr, dass sie den Ansatz instru­mentalisieren, um eigene Prioritäten durch­zusetzen. So könnte Iran ein Ende der Sanktionen als Zugeständnis einfordern.

Zum anderen muss beachtet werden, welche generelle Einstellung die Regierun­gen von Aufnahmeländern gegenüber Flüchtlingen an den Tag legen. Pakistan wie Iran haben bereits signalisiert, dass sie nicht bereit sind, in größerer Zahl weitere afghanische Geflüchtete aufzunehmen. Die Stimmung gegenüber jenen, die sich bereits in den beiden Ländern aufhalten, ist zuneh­mend feindselig. Eine im Sinne der Resi­lienzförderung größere nationale Führungs­rolle, erhöhte Verantwortung im Umgang mit der Situation sowie verbesserte Eigen­kapazitäten könnten die Regierungen noch stärker befähigen, Gesetze und Vorschriften zu beschließen und durchzusetzen, die etwa der wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Flüchtlingen entgegenstehen oder Grundprinzipien des Flüchtlingsschutzes konterkarieren.

Im Hinblick auf diese Faktoren muss jede Fluchtsituation einzeln bewertet und die Strategie für den Umgang damit an den jeweiligen Kontext angepasst werden. Letzt­lich ist hier nicht entscheidend, ob die Kernelemente einer solchen Strategie unter Resilienzförderung laufen oder ob sich dafür ein anderer Begriff findet. Maßgeb­lich ist vielmehr, dass bei allen Überlegun­gen die politischen Umstände im Aufnah­meland ausreichend bedacht und Men­schenrechte sowie Grundprinzipien des Flüchtlingsschutzes eingehalten werden.

Für politische Entscheidungsträger und ‑trägerinnen kann sich ein schwieriger Balanceakt ergeben. Einerseits sollen Men­schen vor Ort unterstützt und Perspektiven für Flüchtlinge geschaffen werden. Ande­rerseits will man dabei keine Strukturen fördern, die bestehende Probleme – etwa Missachtung von Frauen- und Menschenrechten oder Diskriminierung von Minder­heiten – fortschreiben und zu mehr Repressionen für Flüchtlinge führen. Statt sich nur auf die Idee von Resilienzförde­rung zu beschränken, sollten im Fall von Iran und Pakistan auch Erfahrungen in die Überlegungen einbezogen werden, die es mit früheren, langjährigen Hilfsprogram­men in beiden Ländern gibt. Im Iran zählen dazu good practice-Beispiele wie Dialogformate zwischen der Regierung und UNHCR. In Pakistan waren Bemühungen erfolgreich, Flüchtlingen Zugang zu nationalen Bil­dungs- und Gesundheitsdienstleistungen zu gewähren. Lehren müssen dagegen aus bestehenden Herausforderungen gezogen werden, etwa was die Einbindung betroffe­ner Gemeinden in Maßnahmen oder die Entwicklung evidenzbasierter Programme betrifft.

Dr. Amrei Meier ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen.
Dieses SWP-Aktuell wurde im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten Projekts »Flucht, Migration und Entwicklung – Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten für deutsche und europäische Politik« verfasst.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2021

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ISSN (Online) 2747-5018