Die Zahl der Flüchtlinge weltweit steigt seit Jahren an, eine Umkehr dieses Trends ist auch in Zukunft nicht absehbar. Noch immer werden die meisten Flüchtlinge von Nachbarstaaten aufgenommen. Dabei nehmen langandauernde Fluchtsituationen zu, die sowohl Flüchtlinge als auch aufnehmende Länder vor große Herausforderungen stellen. Die internationale Gemeinschaft versucht seit Jahrzehnten, Lösungen für solche Fälle zu finden – bislang mit begrenztem Erfolg. Seit einigen Jahre gilt die Förderung von Resilienz, also von Widerstandsfähigkeit, als richtungsweisender Ansatz; unter anderem wird er in Jordanien und Libanon verfolgt. Wie ist dieser Ansatz zu bewerten? Kann er auch für andere langandauernde Fluchtsituationen als Modell dienen, beispielsweise in den Nachbarländern Afghanistans?
Ende 2020 erreichte die Zahl der Menschen, die sich weltweit auf der Flucht befinden, mit mehr als 82 Millionen einen neuen Höchststand. Darunter befanden sich neben 26,4 Millionen Flüchtlingen auch 48 Millionen Binnenvertriebene und 4,1 Millionen Asylsuchende. Diese Zahlen werden in den kommenden Monaten vermutlich weiter steigen. So rechnet das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) allein mit Blick auf die aktuelle Lage in Afghanistan mit bis zu 515.000 Menschen, die das Land noch in diesem Jahr verlassen könnten. Nicht nur im Falle Afghanistans, sondern generell wird der Großteil aller Flüchtlinge von den jeweiligen Nachbarländern aufgenommen.
Langandauernde Fluchtsituationen
Oft entwickeln sich dort sogenannte langandauernde Fluchtsituationen (protracted refugee situations). Eine solche ist nach UNHCR-Definition gegeben, wenn 25.000 oder mehr Flüchtlinge derselben Nationalität fünf oder mehr Jahre lang in einem Aufnahmeland leben. Solche Situationen halten oft über Jahrzehnte an. Sie stellen in der Regel keine unmittelbaren Notlagen dar, die lebensrettende Maßnahmen erfordern; gleichzeitig ist aber eine dauerhafte Lösung in naher Zukunft nicht absehbar.
Da der Großteil aller Flüchtlinge weltweit von Ländern des Globalen Südens aufgenommen wird, sind diese auch überproportional stark von solchen Fällen betroffen. Die damit verbundenen Herausforderungen sind bekannt. Oft verschärft die Anwesenheit von Flüchtlingen bereits existierende Probleme. Sie verändert nicht nur das demographische Gleichgewicht, sondern führt auch zu kritischem Druck auf soziale, wirtschaftliche, institutionelle und natürliche Ressourcen, was die Kapazitäten von Aufnahmeländern häufig überlastet und so ihre Entwicklung gefährdet. Dies betrifft bei weitem nicht nur arme Länder des Globalen Südens, sondern auch solche mittleren Einkommens wie Kenia, Pakistan oder Iran.
Flüchtlingsschutz und Entwicklung
Trotz der Wechselwirkungen zwischen der Aufnahme von Flüchtlingen und der Entwicklung der aufnehmenden Länder wurden beide Aspekte in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg von der internationalen Gemeinschaft zunächst separat voneinander behandelt. UNHCR war verantwortlich für den Flüchtlingsschutz, während UNDP, das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (VN), sich Entwicklungsfragen widmete. Ausgestattet mit je eigenen Mandaten, brachten die beiden Organisationen unterschiedliche operative Strukturen und institutionelle Kulturen hervor. Als humanitärer Akteur implementierte UNHCR seine Maßnahmen rein nach Bedarfen, unabhängig von den Interessen und Prioritäten einzelner Regierungen. Dagegen arbeitete UNDP mit Regierungen zusammen und setzte Maßnahmen nur im Einklang mit deren politischen Vorgaben um. Die beiden Organisationen hatten nur begrenzt miteinander zu tun; Entwicklungszusammenarbeit (EZ) und die Unterstützung von Flüchtlingen wurden als zwei getrennte Handlungsfelder betrachtet. Während Entwicklungsprojekte sich dabei auf strukturelle Herausforderungen konzentrierten, so die Minderung von Armut, Krankheiten, Hunger und Analphabetismus, lag der Fokus bei der Flüchtlingsunterstützung darauf, humanitäre Hilfe bereitzustellen. Dies geschah oftmals durch Strukturen, die parallel zu bestehenden nationalen Systemen neu aufgebaut wurden. Die lokale Bevölkerung von Aufnahmeländern blieb dabei meist unberücksichtigt, obwohl sie häufig ähnliche Bedarfe hatte wie die Flüchtlinge.
Erst in den 1960er Jahren setzte sich allmählich die Erkenntnis durch, dass Flucht und Entwicklung miteinander in Zusammenhang stehen und dass beide Bereiche nicht getrennt voneinander bearbeitet werden können, sollen hier wie dort nachhaltige Ergebnisse erzielt werden. Im Folgenden gab es zwar Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, humanitäre Hilfe und EZ zu verknüpfen. Doch führten entsprechende Ansätze in Fluchtsituationen meist nicht zum gewünschten Ziel; vielmehr wird der Großteil davon in Wissenschaft und Praxis als gescheitert betrachtet. Die Diskussionen darüber, wie man die beiden Bereiche verbinden kann, halten indes weiter an. Seit einigen Jahren hat dabei das Konzept von Resilienz an Aufmerksamkeit gewonnen.
Resilienz als Konzept
Das Konzept an sich ist nicht neu. Es wird schon seit dem frühen 19. Jahrhundert von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern genutzt, um Phänomene in unterschiedlichen Disziplinen zu erforschen, etwa der Physik, Ökologie oder Psychologie. In den frühen 2010er Jahren haben schließlich auch staatliche Akteure sowie große internationale Organisationen das Konzept aufgegriffen. Der »Humanitarian Emergency Response Review« der britischen Regierung von 2011 gilt als Auslöser, der die Idee von Resilienz auch in der humanitären Hilfe und EZ prominent machte, indem er sie ins Zentrum von Überlegungen stellte, wie die beiden Bereiche besser miteinander verknüpft werden könnten.
In der Folge verbreitete sich der Resilienzgedanke nicht nur in nationalen Strategien und in Programmen humanitärer und EZ-Organisationen, sondern erreichte mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung auch die globale Ebene. Unter Resilienzförderung wurden dabei gemeinhin Ansätze verstanden, die darauf abzielen, vorhandene Potentiale und Kapazitäten von Menschen oder Institutionen so zu stärken, dass sie mit akuten Schocks und chronischen Belastungen besser umgehen können. Entsprechende Programme folgten einer Art Dreierlogik: Es ging darum, aktuelle Krisen schneller bewältigen, sich der neuen Situation anpassen oder sich strukturell so verändern zu können, dass Einschnitte wie gewaltsame Konflikte oder extreme Naturereignisse keine Auswirkung mehr haben und mittel- und längerfristige Lebensperspektiven nicht gefährden. Insgesamt sollte Resilienz auf diese Weise Entwicklungsfortschritte schützen und zukünftigen humanitären Notlagen vorbeugen.
Dies machte Resilienz in zweierlei Hinsicht attraktiv. Zum einen betrachteten humanitäre und EZ-Akteure Resilienzförderung als Möglichkeit, menschliches Leid zu lindern und die Fähigkeiten vulnerabler Personen so zu stärken, dass sie besser mit künftigen oder wiederkehrenden Risiken umgehen können. Zum anderen erhofften sie, auf solchem Wege die Kosten für eine ansonsten oft über Jahre anhaltende Nothilfe reduzieren zu können.
Diese Denkweise machte Resilienz auch für den Fluchtkontext interessant. Dementsprechend wurde das Konzept von verschiedenen Akteuren des Bereichs aufgenommen. Das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) etwa erklärte im Jahr 2013 verbesserte Resilienz von Menschen und Institutionen zu einem übergreifenden Ziel seiner damaligen »Strategie der entwicklungsfördernden und strukturbildenden Übergangshilfe« (ESÜH). Dabei sollte Resilienz auch im Kontext von Flucht und Vertreibung gefördert werden, beispielsweise bei der (Re-)Integration von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen oder bei der Unterstützung von Aufnahmegesellschaften.
Auf internationaler Ebene wurde das Konzept ebenfalls im Zusammenhang von Flucht aufgegriffen. Im Dezember 2014 stellten die VN mit dem »Regional Refugee and Resilience Plan in Response to the Syria Crisis« (3RP) den Resilienzgedanken zum ersten Mal ins Zentrum eines Ansatzes für den Umgang mit einer konkreten, seit mehreren Jahren bestehenden Fluchtsituation.
Resilienzförderung im Kontext der syrischen Flüchtlingskrise
Zu diesem Zeitpunkt hatte der Bürgerkrieg in Syrien bereits Hunderttausende von Menschen in die Flucht getrieben. Der Großteil derer, die dabei internationale Grenzen überquerten, wurde von einem der Nachbarländer aufgenommen, darunter Jordanien und Libanon, wo im zahlenmäßigen Verhältnis zur jeweiligen nationalen Bevölkerung die meisten Flüchtlinge Zuflucht fanden.
Schnell wurde jedoch klar, dass die aufnehmenden Gemeinden einen hohen Preis zahlen mussten. Infrastruktur, Ressourcen und Kapazitäten gerieten an ihre Belastungsgrenzen. Die Preise für Wohnraum und Lebensmittel stiegen, während die Löhne aufgrund größerer Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt sanken. Knappe Ressourcen wie Strom und Wasser waren wegen des Bevölkerungszuwachses weniger gut verfügbar. Diese Auswirkungen auf das tägliche Leben dämpften die anfängliche Gastfreundschaft, und es kam vermehrt zu Spannungen zwischen Flüchtlingen und lokaler Bevölkerung.
Der 3RP sollte dieser Situation Rechnung tragen, indem er die bestehenden Nothilfemaßnahmen für Flüchtlinge um längerfristige, entwicklungsorientierte Maßnahmen ergänzte, von denen auch die Aufnahmeländer profitierten. Die VN betonten den einschneidenden Charakter des Plans. Ein Novum für die VN bilde er nicht nur insofern, als damit ein regionaler Reaktionsmechanismus geschaffen werde, der zum ersten Mal in einem einzigen, kohärenten Plan humanitäre und entwicklungspolitische Maßnahmen vollständig miteinander verknüpfe. Vielmehr stelle dies insgesamt einen Paradigmenwechsel beim Umgang der VN mit Krisen dar. Vor diesem Hintergrund wurde der 3RP als Modell verstanden, das auch auf andere komplexe und langandauernde Krisen übertragbar sein könnte.
Der Regional Refugee and Resilience Plan (3RP)
Im Zentrum des Plans stand die Einführung einer neuen Komponente. Neben die Flüchtlingskomponente, die weiterhin die Schutz- und Grundbedürfnisse von Flüchtlingen abdecken sollte, trat eine sogenannte Resilienzkomponente. Diese sollte die Fähigkeit der Aufnahmestaaten stärken, mit der Situation umzugehen, gleichzeitig aber auch die Resilienz betroffener Gemeinden und Individuen fördern und dazu beitragen, die Kapazitäten nationaler wie lokaler Dienstleistungssysteme auszubauen.
Fünf Elemente machten den Kern des resilienzbasierten Ansatzes aus. Dazu gehörte erstens die Verknüpfung von humanitären mit entwicklungspolitischen Maßnahmen. Zweitens sollte die Eigenständigkeit (self-sufficiency) betroffener Bevölkerungsgruppen gefördert werden, beispielsweise durch Bildungsmaßnahmen oder durch Programme zur Verbesserung der Lebensbedingungen. Drittens waren Parallelstrukturen zu vermeiden, weshalb der Fokus darauf lag, vorhandene lokale Systeme zu nutzen. Deren Strukturen und Kapazitäten sollten gestärkt werden, um der erhöhten Nachfrage etwa nach Bildungs- oder Gesundheitsdienstleistungen standhalten zu können. Ein viertes Element bildeten Partnerschaften, darunter insbesondere eine neue formalisierte Kooperation zwischen UNHCR und UNDP. Während UNHCR weiterhin für die Flüchtlingskomponente verantwortlich war, sollte UNDP die Resilienzkomponente obliegen. Fünftens strebte man nach sozialer Kohäsion, um Spannungen zwischen Flüchtlingen und lokaler Bevölkerung zu mindern.
Neben diesen fünf Kernelementen umfasste die Strategie weitere zentrale Aspekte. Dazu zählte unter anderem, den Regierungen der Aufnahmeländer die Leitung und Eigenverantwortung (ownership) für alle Maßnahmen zu übertragen, womit sichergestellt werden sollte, dass diese in Einklang mit den jeweiligen nationalen Interessen und Planungsprozessen standen. Ein weiterer Schwerpunkt lag darauf, die ökonomischen Chancen sowohl für Flüchtlinge als auch für vulnerable Aufnahmegemeinden zu erhöhen. Dabei konzentrierte sich der 3RP auf Programme, mit denen Existenzgrundlagen verbessert werden sollten, beispielsweise durch einkommensschaffende Maßnahmen oder die Förderung der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung.
Gestärkt werden sollten auch Koordination und Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren, insbesondere mit Blick auf nationale und lokale Behörden der Aufnahmeländer. Schließlich legte der 3RP – verglichen mit den vorherigen, rein humanitär ausgerichteten Reaktionsplänen – einen deutlicheren Fokus auf Rechenschaftspflicht gegenüber Gebern wie Betroffenen. Dafür setzte der Plan einerseits einen neuen Schwerpunkt auf Monitoring und Evaluierungen. Andererseits verfolgte er einen partizipativen Ansatz, der insbesondere gewährleisten sollte, dass die betroffenen Bevölkerungsgruppen in Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen einbezogen würden.
Umsetzung in Jordanien und Libanon
Als regionaler Ansatz wurde der 3RP unter anderem in Jordanien und Libanon umgesetzt. Die Erfahrungen dort zeigen, dass die Idee von Resilienz durchaus Potentiale birgt, was den Umgang mit langandauernden Fluchtsituationen betrifft, dabei aber auch Risiken mit sich bringt.
Potentiale
Zunächst einmal bietet das Konzept mit seinem Fokus auf integrierten Ansätzen einen Rahmen, um zum einen mehr Entwicklungsakteure einzubinden und zum anderen Flüchtlingsunterstützung um Maßnahmen für die lokale Bevölkerung zu ergänzen. Beide Aspekte können insbesondere in Ländern mittleren Einkommens wie Jordanien und Libanon nicht als selbstverständlich betrachtet werden. EZ-Akteure sind dort häufig entweder nicht präsent oder beschränken ihre Maßnahmen auf einzelne Sektoren. Ein Blick auf die Fluchtsituation in den beiden Ländern verdeutlicht jedoch, wie schnell auch hier strukturelle Herausforderungen ein verstärktes entwicklungspolitisches Engagement erforderlich machen können.
Gleichzeitig bewirkte die neu eingeführte Resilienzkomponente, dass die beiden Regierungen sich bei Entwicklung und Umsetzung des 3RP viel stärker engagierten als bei den vorhergehenden Reaktionsplänen und ein wachsendes Gefühl von ownership im Umgang mit der Fluchtsituation entwickelten. So integrierte die jordanische Regierung zusätzliche Sektoren in den Plan, führte Quotenregelungen für Begünstigte ein und machte ihr Einverständnis zur Voraussetzung für die Durchführung aller Maßnahmen. Eine solche Mitwirkung versteht sich nicht von selbst. Maßnahmen zu einer Fluchtsituation in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen werden häufig von UNHCR koordiniert und umgesetzt. Es kann dann schwierig sein, die Regierung des Aufnahmelandes zu motivieren, dass sie sich an Planung und Umsetzung von Programmen beteiligt, insbesondere wenn sie darin für das Land selbst keinen Mehrwert sieht. Für die Regierung ist es womöglich bequemer und kostengünstiger, den Umgang mit der Situation an die internationale Gemeinschaft auszulagern. Vor allem in Ländern mit bestehenden Regierungs- und Dienstleistungsstrukturen können internationale Organisationen diese Rolle jedoch nicht für immer übernehmen. Abhilfe ist möglich, wenn der Fokus auf Maßnahmen liegt, die auch dem Aufnahmeland zugutekommen, wie die Erfahrungen in Jordanien und Libanon zeigen. Hier führte die Aussicht auf eine mögliche Entwicklungsdividende dazu, dass die Regierungen sich an der Planung konkreter Schritte beteiligten. Auch Gebern gegenüber vertraten sie die strategische Ausrichtung des Plans, statt wie in den Jahren zuvor das Feld internationalen Organisationen zu überlassen.
Darüber hinaus gelang es, über die neuen Koordinierungsstrukturen des 3RP, in denen die alleinige Führungsrolle von UNHCR um eine Beteiligung von UNDP ergänzt wurde, mehr Akteure in Foren und Arbeitsgruppen zusammenzubringen, darunter humanitäre und EZ-Akteure, Vertreter und Vertreterinnen der Zivilgesellschaft, der Privatwirtschaft und des Finanzsektors, der nationalen und lokalen Behörden sowie Geber. Dies verbesserte die Zusammenarbeit, verhinderte eine Doppelung von Maßnahmen und stellte überdies sicher, dass alle Beteiligten ihre Interessen und Prioritäten artikulieren konnten. So lag etwa der jordanischen Regierung vor allem an Infrastrukturmaßnahmen, während die internationale Gemeinschaft ihren Fokus auf Kapazitätenstärkung und einkommensschaffende Maßnahmen für Flüchtlinge richtete.
Im Libanon hatten die Instabilität von Regierungsbündnissen, das Fehlen einer gemeinsamen Vision zur Entwicklung des Landes sowie Streitigkeiten zwischen und innerhalb verschiedener Ministerien die allgemeine Zusammenarbeit immer wieder erschwert. Gerade in diesem Land eröffnete sich nun ein neuer Raum für Dialog und Verhandlungen zwischen Umsetzungsorganisationen und der Regierung. Die daraus hervorgegangene Strategie wiederum schuf nicht nur einen klaren Handlungsrahmen, sondern auch Vertrauen in den Prozess an sich.
Neue Monitoring- und Evaluierungssysteme verbesserten die Transparenz, wenn es darum ging, wo, wie und für wen Geld ausgegeben wurde. Sie trugen ebenfalls dazu bei, Vertrauen in die Maßnahmen zu schaffen. Die jordanische Regierung war dank eines neuen, staatlich kontrollierten Monitoring-Systems in der Lage, durchgeführte Maßnahmen und Begünstigte genau aufzulisten. Auf diese Weise konnte sie die internationale Gemeinschaft stärker dazu bewegen, dass Unterstützung nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für die lokale Bevölkerung gewährt wurde.
Da sich der Plan rund um das gerade aufkommende Schlagwort von Resilienz drehte, konnte er schließlich als etwas grundsätzliches Neues dargestellt werden, womit es gelang, die internationale Aufmerksamkeit für die Lage in der Region hoch zu halten. Die VN setzten dafür eine breite Öffentlichkeitsarbeit ein, inklusive eigener Website, Hochglanzbroschüren und Veranstaltungen zum Resilienzkonzept. Auch Jordanien nutzte den Begriff erfolgreich. Es konnte so den Blick von Gebern auf die Situation im Land lenken und gleichzeitig eine Strategie für den Umgang damit präsentieren, um Finanzmittel einzuwerben.
Risiken
Trotz dieser positiven Entwicklungen zeigt die Umsetzung des 3RP in Libanon und Jordanien aber auch, wo Fallstricke eines resilienzbasierten Ansatzes liegen. So wurde schnell klar, dass verschiedene Akteure den Begriff Resilienz sowie die Elemente des Plans unterschiedlich nutzten und mit dem Ansatz jeweils eigene Interessen verfolgten. Vor dem Hintergrund der europäischen »Flüchtlingskrise« war die internationale Gemeinschaft vor allem daran interessiert, Fluchtursachen zu mindern und Weiterwanderungen zu verhindern – unter anderem durch Maßnahmen, die die Lebensbedingungen von Flüchtlingen verbessern. Jordanien und Libanon hingegen ging es vor allem darum, die negativen Auswirkungen der Flüchtlingsaufnahme abzumildern, eigene Entwicklungsziele voranzutreiben und wirtschaftliches Wachstum zu fördern. In Jordanien zeigte sich diese Interpretation beispielsweise daran, wie die Regierung die neue Resilienzkomponente verwendete, um Zielgruppen und Maßnahmen zu kategorisieren. Flüchtlinge sollten weiterhin humanitäre Hilfe erhalten; längerfristige, resilienzfokussierte Maßnahmen jedoch sollten sich nur an Jordanierinnen und Jordanier richten. Die internationale Gemeinschaft auf der anderen Seite betonte zwar ebenfalls die Bedeutung des Flüchtlingsschutzes. Gleichzeitig strebte sie aber auch Resilienz im Sinne von mehr Selbständigkeit für Flüchtlinge und die lokale Bevölkerung an, etwa durch Zugang zu längerfristigen Maßnahmen, mit denen die Lebensgrundlagen beider Gruppen verbessert werden sollten.
Letztlich gelang es auch mit dem resilienzbasierten Ansatz des 3RP nicht, die unterschiedlichen Interessen miteinander zu verknüpfen. Dies hing größtenteils damit zusammen, dass Jordanien und Libanon eine langfristige lokale Integration von Flüchtlingen strikt ablehnten – und damit alle Schritte, die deren Selbständigkeit erhöhen sollten. Daher konzentrierten sich viele Geber weiterhin auf kurzfristige, humanitäre Maßnahmen, die schnell greifbare Ergebnisse erzielten, was weder ihre Erwartungen an einen resilienzbasierten Ansatz erfüllte noch die der Aufnahmeländer. Gleichzeitig stellte dieses Vorgehen die Nachhaltigkeit der Strategie generell in Frage, denn sie bot so keine Lösung dafür, die Abhängigkeit der Flüchtlinge von externer Hilfe zu verringern. Da die sozio-ökonomische Integration von Flüchtlingen jedoch klar unter die Souveränität Jordaniens und Libanons fiel, konnte daran auch die Neuausrichtung nichts ändern, die der 3RP mit seinen längerfristigen und entwicklungsorientierten Maßnahmen ins Auge gefasst hatte.
Eine weitere Schwierigkeit zeigte sich im Libanon in der Kombination zweier Kernelemente von Resilienzförderung: nationaler ownership auf der einen, Förderung nationaler Kapazitäten auf der anderen Seite. In der Theorie sind diese Aspekte positiv zu bewerten, denn langfristig gesehen reduzieren sie nicht nur die Kosten für Hilfsmaßnahmen, sondern stellen auch sicher, dass die Prioritäten der betroffenen Länder angemessen berücksichtigt werden. Im Libanon war die Regierung jedoch mit zunehmendem Engagement und verbesserten Kapazitäten auch immer mehr in der Lage, die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen zu kontrollieren. Weil sie gleichzeitig eine zunehmend flüchtlingsfeindliche Einstellung entwickelte, hatte dies zur Folge, dass mehr Restriktionen sowohl gegenüber Flüchtlingen als auch gegenüber Durchführungsorganisationen forciert werden konnten. So erließ die Regierung etwa neue wohnungsrechtliche Vorschriften für Flüchtlinge, schränkte sie in ihrer Bewegungsfreiheit ein und übte zunehmend Druck auf sie aus, nach Syrien zurückzukehren.
Genauso stand ein höheres Maß an ownership der Regierung im Gegensatz zur Stärkung von Kapazitäten und Selbständigkeit betroffener Individuen. Da die libanesische Regierung den langfristigen Aufenthalt von Flüchtlingen sowie deren sozio-ökonomische Integration klar ablehnte, bedeuteten mehr Kontrollmöglichkeiten ihrerseits, dass einkommensschaffende Maßnahmen zunehmenden Restriktionen unterlagen und der Zugang von Flüchtlingen zum Arbeitsmarkt weiter beschränkt wurde.
Gleichzeitig wird angesichts der aktuellen Lage im Libanon deutlich, dass die Förderung von Kapazitäten im Rahmen des Plans nicht ausreichte, um das Land angemessen auf neue Schocks jenseits der Fluchtsituation vorzubereiten und strukturelle Probleme etwa hinsichtlich guter Regierungsführung zu lösen. So scheiterte wiederholt die Bildung einer neuen Regierung, nachdem die bisherige infolge der Beiruter Explosionskatastrophe von August 2020 zurückgetreten war. Die politische Elite weigert sich bis heute, dringend notwendige Reformen umzusetzen, mit denen sich ein Kollaps des Landes abwenden ließe, der angesichts weiterer Krisen wie der Covid-19-Pandemie und dem Verfall der Währung droht.
Übertragbarkeit auf andere Kontexte
Trotz des neuen Narrativs von Resilienz sind viele Elemente des 3RP altbekannt. Aspekte wie die Verknüpfung von humanitärer Hilfe und EZ, die Förderung von Kapazitäten oder eine größere nationale Führungsrolle finden sich seit langem unter diversen Schlagworten in Ansätzen, die zum Ziel haben, Flüchtlingsschutz mit der Entwicklung von Aufnahmeländern zu verbinden.
Neu am 3RP ist dagegen nicht nur die großangelegte Vermarktungsstrategie für ein vermeintlich innovatives Konzept, sondern auch dessen Umsetzung in Ländern mittleren Einkommens. Die Beispiele Jordanien und Libanon zeigen, dass der Ansatz einige grundsätzliche Potentiale für den Umgang mit langandauernden Fluchtsituationen in solchen Ländern bietet. So kann die Aussicht auf eine Entwicklungsdividende nationale ownership fördern, was die Voraussetzung dafür ist, Unterstützung der internationalen Gemeinschaft schrittweise zu reduzieren. Eine gemeinsame strategische Vision sowie neue Koordinierungsstrukturen, die unterschiedliche Akteure inklusive nationaler und lokaler Behörden der Aufnahmeländer zusammenbringen, ermöglichen politischen Dialog und eröffnen zusätzliche Handlungsspielräume. Zusammen mit der Stärkung nationaler Kapazitäten im Umgang mit der Situation sowie verbesserter wirtschaftlicher Selbständigkeit und Unabhängigkeit von Flüchtlingen und lokaler Bevölkerung kann ein solcher Ansatz die Grundlage bieten, um nachhaltige Lösungen in der Region zu erreichen, die keiner dauerhaften Unterstützung von außen bedürfen.
Geht es darum, ob der Ansatz auf andere Länder übertragbar ist, müssen jedoch auch die damit einhergehenden Risiken beachtet werden. Diese hängen stark vom politischen Kontext in den jeweiligen Ländern ab. Exemplarisch zeigt sich das in der Frage, wie die Nachbarländer Afghanistans in der aktuellen Situation unterstützt werden können.
Zum einen spielen bei einer möglichen Anwendung des Ansatzes geopolitische und menschenrechtliche Aspekte eine Rolle. So ist eine Zusammenarbeit, die über humanitäre Hilfe hinausgeht und auf mehr Resilienz abzielt, mit Ländern wie Pakistan und Iran heikel. Pakistan unterstützt nicht nur die Taliban, sondern unterdrückt und diskriminiert systematisch Minderheiten. Auch wegen der wachsenden Nähe des Landes zu China sind seine Beziehungen mit westlichen Ländern angespannt. Das iranische Regime wiederum ist mit Sanktionen belegt. Frauenrechte werden in beiden Staaten vielfach verletzt. Diese sind damit schwierigere Partner für eine Kooperation als Jordanien und Libanon, mit denen die EU bereits vor der syrischen Flüchtlingskrise im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik gute Beziehungen pflegte und die sich in diesem Zusammenhang offiziell zu gemeinsamen Werten wie Demokratie und Menschenrechten bekennen.
Dennoch haben bereits in diesen Ländern unklare Definitionen von Begrifflichkeiten wie Resilienz dazu geführt, dass Akteure den Ansatz unterschiedlich interpretierten und entsprechend nutzten, um eigene Interessen voranzutreiben. Geostrategisch bedeutsame Länder besitzen dabei noch größere Verhandlungsmacht. Es besteht die Gefahr, dass sie den Ansatz instrumentalisieren, um eigene Prioritäten durchzusetzen. So könnte Iran ein Ende der Sanktionen als Zugeständnis einfordern.
Zum anderen muss beachtet werden, welche generelle Einstellung die Regierungen von Aufnahmeländern gegenüber Flüchtlingen an den Tag legen. Pakistan wie Iran haben bereits signalisiert, dass sie nicht bereit sind, in größerer Zahl weitere afghanische Geflüchtete aufzunehmen. Die Stimmung gegenüber jenen, die sich bereits in den beiden Ländern aufhalten, ist zunehmend feindselig. Eine im Sinne der Resilienzförderung größere nationale Führungsrolle, erhöhte Verantwortung im Umgang mit der Situation sowie verbesserte Eigenkapazitäten könnten die Regierungen noch stärker befähigen, Gesetze und Vorschriften zu beschließen und durchzusetzen, die etwa der wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Flüchtlingen entgegenstehen oder Grundprinzipien des Flüchtlingsschutzes konterkarieren.
Im Hinblick auf diese Faktoren muss jede Fluchtsituation einzeln bewertet und die Strategie für den Umgang damit an den jeweiligen Kontext angepasst werden. Letztlich ist hier nicht entscheidend, ob die Kernelemente einer solchen Strategie unter Resilienzförderung laufen oder ob sich dafür ein anderer Begriff findet. Maßgeblich ist vielmehr, dass bei allen Überlegungen die politischen Umstände im Aufnahmeland ausreichend bedacht und Menschenrechte sowie Grundprinzipien des Flüchtlingsschutzes eingehalten werden.
Für politische Entscheidungsträger und ‑trägerinnen kann sich ein schwieriger Balanceakt ergeben. Einerseits sollen Menschen vor Ort unterstützt und Perspektiven für Flüchtlinge geschaffen werden. Andererseits will man dabei keine Strukturen fördern, die bestehende Probleme – etwa Missachtung von Frauen- und Menschenrechten oder Diskriminierung von Minderheiten – fortschreiben und zu mehr Repressionen für Flüchtlinge führen. Statt sich nur auf die Idee von Resilienzförderung zu beschränken, sollten im Fall von Iran und Pakistan auch Erfahrungen in die Überlegungen einbezogen werden, die es mit früheren, langjährigen Hilfsprogrammen in beiden Ländern gibt. Im Iran zählen dazu good practice-Beispiele wie Dialogformate zwischen der Regierung und UNHCR. In Pakistan waren Bemühungen erfolgreich, Flüchtlingen Zugang zu nationalen Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen zu gewähren. Lehren müssen dagegen aus bestehenden Herausforderungen gezogen werden, etwa was die Einbindung betroffener Gemeinden in Maßnahmen oder die Entwicklung evidenzbasierter Programme betrifft.
Dr. Amrei Meier ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen.
Dieses SWP-Aktuell wurde im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten Projekts »Flucht, Migration und Entwicklung – Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten für deutsche und europäische Politik« verfasst.
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ISSN (Print) 1611-6364
ISSN (Online) 2747-5018
doi: 10.18449/2021A61