Oliver Thränert
Berlin - In den vergangenen Monaten machte das iranische Atomprogramm von sich reden. Nach Ansicht der Mehrzahl der Experten verfolgt dies nicht nur zivile, sondern auch militärische Zwecke. Ein Indiz dafür, daß Teheran sich zumindest schrittweise an die Atombombe heranarbeiten will, ist das iranische Raketenprogramm. Der Iran hat seit den achtziger Jahren viel Geld und Energien in das Vorhaben gesteckt. Dies ist wenig sinnvoll, sollte es Teheran nur darum gehen, konventionelle Sprengköpfe verschießen zu wollen.
Das iranische Raketenprogramm geht zurück auf den irakisch-iranischen Krieg 1980-88. Damals setzte Saddam Hussein verschiedene Raketen gegen seinen Nachbarn ein. Teheran suchte daher nach einer Möglichkeit, eine eigene Abschreckungsfähigkeit mit Raketen aufzubauen. Im Juni 1985, auf dem Höhepunkt des irakisch-iranischen Krieges, reiste der damalige iranische Parlamentssprecher Rafsandschani - eine Figur, die bis heute von großem Einfluß ist und derzeit als möglicher kommender iranischer Präsident gehandelt wird - nach Peking, um dort ein Abkommen über die Zusammenarbeit bei der Raketentechnologie zu unterzeichnen. Auf dieser Grundlage half China beim Aufbau der iranischen Raketeninfrastruktur. Unterstützung bekant Teheran auch aus Nordkorea. Pjöngjang lieferte Scud-B-Raketen (Reichweite 300 km) und später auch Scud C (500 km). Da Teheran jedoch offenbar nicht immer mit dem zufrieden war, was Nordkorea lieferte, wandte man sich zusätzlich an Fachleute aus der ehemaligen Sowjetunion, die fortan dem Iran dabei halfen, eine eigene Produktionslinie für Scud-Raketen aufzubauen. Die Scud-B- und -C-Raketen werden im Iran als Schahab-1 und -2 bezeichnet.
Als Nordkorea Ende der achtziger Jahren damit begann, Scuds zu No-Dong-Raketen zu entwickeln, war Teheran daran finanziell beteiligt. Beim ersten nordkoreanischen Test dieser neuen Waffe im Mai l993 sollen iranische Beobachter anwesend gewesen sein. Die No-Dong basiert auf der Scud-Rakete, hat jedoch einen viermal stärkeren Motor. Ihre Reichweite dürfte maximal bei 1300 km liegen. Anders als bei der Scud wird der Sprengkopf im Flug abgetrennt, so daß dieses System von Abwehrraketen wie der amerikanischen Patriot oder der israelischen Arrow schwerer zu treffen ist.
Bisher hat Nordkorea die No-Dong lediglich an Pakistan und den Iran geliefert. Teheran hat an dem System einige Veränderungen vorgenommen. Russische Firmen haben daran offenbar mitgewirkt. Im Iran wird die Rakete als Schahab-3 bezeichnet. Wie bei der Scud und der No-Dong wird die Rakete mit Flüssigtreibstoff betrieben. Die Abschußrampe ist mobil. Die Schahab-3 wurde im Juli 2003 offiziell bei den iranischen Streitkräften in Dienst gestellt.
Am 11. August sowie am 20. Oktober 2004 testete der Iran eine neue, reichweitengesteigerte Version der Schahab-3. Diese Tests sollen iranischen Angaben zufolge eine Reichweite von bis zu 2000 Kilometern belegt haben, doch gehen westliche Schätzungen eher von bis zu 1500 Kilometern aus. Auch meinte der iranische Verteidigungsminister Schamchani, die Rakete verfüge nun über eine verbesserte Zielgenauigkeit. Tatsächlich wurde ein neues Lenksystem verwendet, doch ist offen, inwieweit die Zielgenauigkeit damit verbessert werden konnte. Der Wiedereintrittskörper kann mit größerer Geschwindigkeit sein Ziel angreifen, so daß er für Abwehrsysteme schwerer zu bekämpfen ist. Er bietet mehr Platz auch für einfache und damit größere nukleare Sprengkopfdesigns.
Darüber hinaus ist der Iran derzeit dabei, eine Infrastruktur für den Bau von Feststoffraketen zu errichten. Der Feststoffantrieb bietet einige Vorteile. So macht er die Systeme zuverlässiger. Insbesondere müssen die Raketen vor einem Start nicht erst mühselig betankt werden. Sie sind vielmehr jederzeit startbereit. Damit wird einem potentiellen Gegner die Möglichkeit nahezu vollständig genommen, die Startvorbereitungen aufzuklären und die Rakete bereits vor dem Start zu zerstören. Außerdem können Feststoffraketen viel größere Geschwindigkeiten erreichen und sind damit schwerer zu bekämpfen. Derzeit ist der Iran bereits dazu in der Lage, die Fateh-110-Feststoffrakete mit einer Reichweite von über 200 Kilometern zu fertigen.
Eine offene Frage ist, ob der Iran weiter mit Nordkorea so eng kooperiert, daß Pjöngjang auch die zweistufige Taepo-Dong-Rakete liefern oder dem Iran helfen würde, sie zusammenzubauen. Die Basis für diese Rakete mit mehreren tausend Kilometern Reichweite ist die No-Dong. Offen ist, ob Teheran Raketen mit Reichweiten anstrebt, die die Bekämpfung von Zielen außerhalb des Nahen Ostens ermöglichten. Mit seinen Schahab-3-Raketen kann der Iran jetzt schon Ziele in Israel angreifen. Grund genug für Europäer wie Amerikaner, zumindest dafür zu sorgen, daß die Raketen keine nuklearen Sprengköpfe tragen werden.
Der Autor leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik in der Stiftung Wissenschaft und Politik.
in: Die Welt, 01.03.2005, S.6