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»Rahmennationen« statt Battlegroups – Was Deutschland für die europäische Verteidigung tun kann

Anstatt kleinteilige Projekte zu lancieren, sollte Deutschland beim EU-Verteidigungsgipfel im Dezember sein Konzept der »Rahmennationen« einbringen, meinen Major und Mölling.

Kurz gesagt, 20.11.2013 Forschungsgebiete

Anstatt kleinteilige Projekte zu lancieren, sollte Deutschland beim EU-Verteidigungsgipfel im Dezember sein zukunftsweisendes Konzept der »Rahmennationen« einbringen, meinen Claudia Major und Christian Mölling.

Auf Initiative Deutschlands einigten sich die EU-Außen- und Verteidigungsminister zu Beginn dieser Woche auf Veränderungen bei den EU-Battlegroups, den ca. 1.500 Mann starken Krisenreaktionskräften der EU. Damit drehen sie am kleinsten Rad, an dem die EU in ihrer Verteidigungspolitik überhaupt drehen konnte. Das ist umso unverständlicher, als Deutschland mit seinem Konzept der »Rahmennationen« einen Vorschlag erarbeitet hat, der das Zeug hat, die Probleme der europäischen Verteidigung an der Wurzel zu packen. Der Verteidigungsgipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel im Dezember wäre der geeignete Ort, diesen zu diskutieren.

Immense Strukturprobleme in Europas Streitkräften

In der EU stehen 1,5 Millionen Soldaten vor immensen Strukturproblemen, weil die Finanzkrise die Verteidigungshaushalte Europas auf Dauer in Mitleidenschaft zieht. Die Militärapparate kleiner EU-Staaten schrumpfen derart, dass sie nur noch in einigen Bereichen einsatzfähig sind. Die großen EU-Staaten schrumpfen auf das Format von Bonsai-Armeen – zwar ist militärisch noch alles vorhanden, aber in viel zu geringer Menge, als dass sie allein etwas ausrichten könnten. Es fehlt allen zunehmend das, was moderne Armeen schnell, beweglich, kampfkräftig und durchhaltefähig macht: Tankflugzeuge, Transporter, IT-Infrastruktur und die Kooperation mit trainierten Verbänden. Vor allem geht die Schlüsselfähigkeit moderner Armeen verloren, nämlich militärische Einsätze führen, also organisieren zu können, inklusive Kommunikation, Logistik und Aufklärung. All das kann Europa, wenn überhaupt, nur gemeinsam bereitstellen, egal ob zur Landesverteidigung oder für Auslandseinsätze. Anstatt aber die Bemühungen zu koordinieren, spart in Europa jeder für sich allein. So lassen die individuellen Sparanstrengungen bekannte Löcher, etwa bei der Aufklärung, wachsen; gleichzeitig horten und bestellen die Staaten Massen überschüssigen Materials wie gepanzerte Fahrzeuge oder Kampfflugzeuge. Sinnvoll wäre eine Absprache zwischen den EU-Staaten, wer sich auf welche Ausrüstung spezialisiert, damit nicht mehr alle alles haben müssen, aber im Notfall immer noch die nötigen Bestände bereitstehen. Die aber fehlt weitgehend.

Ein neuer Ansatz: »Rahmennationen« als Rückgrat europäischer Verteidigung

Angesichts dieser fundamentalen Herausforderung sind die soeben beschlossenen Veränderungen bei den EU-Battlegroups fine tuning im Promillebereich. Battlegroups sind ohnehin bislang Theorie, denn eingesetzt wurden die Verbände noch nie. Jegliche Veränderung ist hier also nur ein weiteres theoretisches Detail, das am wirklichen Problem weitgehend vorbeigeht. Dass Deutschland sich für so viel Theorie starkmacht, verdeckt die Tatsache, dass es viel Konstruktives und Praktisches für die Verteidigungspolitik zu bieten hat. Als einzige Nation in EU und NATO hat Deutschland ein Konzept erarbeitet, wie europäische Verteidigungskooperation in Zukunft systematisch organisiert werden kann. Zwar haben alle Europäer vor zwei Jahren den »Pooling & Sharing«- und »Smart Defence«-Initiativen zugestimmt, also der Koordination militärischer Fähigkeiten in Zeiten knapper Kassen, aber dann kam nicht mehr viel. Das Konzept der »Rahmennationen« nun hat das Zeug, die Debatte um Verteidigungskooperation signifikant voranzubringen, das zeigen die positiven Reaktionen, als Deutschland es kürzlich in der NATO vorstellte.

Der Grundgedanke ist, dass die Europäer Cluster bilden, also Gruppen aus kleineren und größeren Staaten, die sich intensiver darüber absprechen, wer künftig welche teuren Geräte und Truppen bereithält. Die Führung des Clusters übernimmt laut Konzept eine sogenannte Rahmennation, etwa Deutschland oder Frankreich. Diese bringt ein breites Fähigkeitenprofil als stabilen Rahmen und militärisches Rückgrat in die Kooperation ein, an den die kleineren Teilnehmer ihre Beiträge andocken. So wird der Verbund als Ganzes leistungsfähiger und kann einen Einsatz länger durchhalten. Damit setzt das Konzept genau an den Problemen an, die die Strukturkrise europäischer Verteidigung kennzeichnen. Seine Umsetzung liefe darauf hinaus, dass sich die europäischen Staaten um die fünf bis sechs großen Staaten herum organisieren, die bis auf Weiteres ein breites Fähigkeitsspektrum vorhalten werden. Die Militärapparate der kleineren Staaten werden nicht größer, aber bedeutsamer, weil sie im Zuge der Kooperation Dinge einbringen, die alle brauchen, auch die großen »Rahmennationen«.

EU und NATO nutzen – für eine europäische Verteidigung

Der Schönheitsfehler ist, dass Deutschland diesen Vorschlag bislang nur in die NATO, nicht jedoch in die EU eingebracht hat. Das ist weder sinnvoll noch in deutschem Interesse. Deutschland strebt eine größtmögliche Auswahl an Handlungsoptionen an, doch ein Fokus auf den NATO-Rahmen bedeutet, die Möglichkeiten in der EU ungenutzt zu lassen. Deutschland fordert zudem, die Verteidigungsplanung in EU und NATO zu harmonisieren. Schließlich verzweifeln beide Organisationen derzeit an der Frage, wie sich die europäischen Staaten militärisch effektiver und ökonomisch effizienter organisieren können, um die Lücke zu schließen, die die USA in Europa hinterlassen werden. Ein so grundlegender Vorschlag wie das Konzept der »Rahmennationen«, der bewusst die europäische Planung auf eine andere, nämlich eine gemeinsame Grundlage stellt, sollte entsprechend in NATO und EU zur Diskussion gestellt werden. Der Verteidigungsgipfel der EU-Staats- und Regierungschefs im Dezember ist eine gute Gelegenheit für Deutschland, das Konzept auf den Tisch zu legen. Es würde damit aus dem Klein-Klein der bisherigen Vorschläge für den Gipfel hervorstechen - und der Größe der Herausforderung mit einem nennenswerten Konzept gerecht werden.

Der Text ist auch bei EurActiv.de erschienen.