Der deutliche Wahlsieg der linken Nationalen Volksmacht-Koalition (Jathika Jana Balawegaya / National People’s Power, NPP) bei der Parlamentswahl vom 14. November 2024 signalisiert den Wunsch nach einem politischen Neuanfang in Sri Lanka. Hierfür muss die neue Regierung von Präsident Anura Kumara Dissanayake erstens die Folgen der schweren Wirtschaftskrise von 2022 bewältigen. Zweitens steht nach wie vor eine politische Lösung für den seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt mit der tamilischen Minderheit aus. Drittens sollen mit Verfassungsreformen die Machtbefugnisse des Präsidenten beschnitten und wieder ein parlamentarisches System eingeführt werden. Außenpolitisch wird die neue Regierung weiter eine Balancepolitik zwischen China und Indien verfolgen. Die Stärkung der Demokratie und der Ausgleich zwischen den Volksgruppen sind für die neue Regierung auch ein zentrales außenwirtschaftliches Anliegen, wenn sie über 2027 hinaus vom Allgemeinen Präferenzsystem Plus (APS+) der Europäischen Union (EU) profitieren will.
Anura Kumara Dissanayake hatte sich bei der Präsidentschaftswahl im September 2024 überraschend gegen Amtsinhaber Wickremesinghe und Oppositionsführer Premadasa durchgesetzt. Dissanayake stammt aus einfachen Verhältnissen, spricht nur Singhalesisch und gehört anders als seine beiden Hauptkonkurrenten nicht zu den traditionellen Politikerdynastien. Nach seiner Wahl löste Präsident Dissanayake umgehend das Parlament auf, da seine Partei, die Janatha Vimukthi Peramuṇa (JVP), nur über drei Sitze verfügte.
Der Wahlerfolg der NPP bei der anschließenden Parlamentswahl war in vielerlei Hinsicht eine Überraschung. Sie ist eine Koalition aus 21 linken Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen, deren Zentrum die JVP von Präsident Dissanayake bildet. Die NPP erzielte als erste politische Gruppierung unter den Bedingungen des Verhältniswahlrechts eine Zweidrittelmehrheit der Sitze im Parlament. Traditionelle Parteien wie die United National Party (UNP) oder die Sri Lanka Freedom Party (SLFP) wurden de facto bedeutungslos. Selbst die Sri Lanka Podujana Peramuna (SLPP), die von der Rajapakse-Familie dominiert wird und 2020 noch 145 Sitze gewonnen hatte, hat nur noch drei Abgeordnete im neuen Parlament. Von den 159 Abgeordneten der NPP sind 145 parlamentarische Neulinge.
Die traditionellen Hochburgen der JVP liegen in den ärmeren ländlichen Regionen des singhalesischen Südens. Umso erstaunlicher ist, dass die NPP in 16 der insgesamt 22 Wahldistrikte des Landes über 50 Prozent der Stimmen errang. Ebenso unerwartet waren ihre Erfolge in den tamilischen Gebieten im Norden. In Jaffna, der politischen Hochburg der Tamilen, gewann die NPP drei von sechs Sitzen gegen traditionelle tamilische Regionalparteien wie die Ilankai Tamil Arasu Kachchi (ITAK). Das war umso bemerkenswerter, weil sich die JVP in der Vergangenheit immer gegen weitergehende politische Zugeständnisse an die Tamilen gewandt hatte.
Für den Erfolg der JVP lassen sich verschiedene Gründe anführen. Die NPP mit der JVP als ihrem Zentrum wird als Bündnis wahrgenommen, das am ehesten mit den etablierten Parteien und Politikerdynastien bricht, wie bereits Dissanayakes Wahl zum Präsidenten zeigte. Sie gilt damit auch als glaubwürdiger in ihren Versprechen, die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern sowie gegen Korruption und Nepotismus vorzugehen.
Tabelle Ergebnisse der Parlamentswahl vom 14. November 2024 |
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Die JVP: von der Revolution zur Regierung
Die JVP verbindet eine lange und gewaltvolle Geschichte mit Sri Lanka. 1971 unternahm die Partei unter marxistischen Vorzeichen einen ersten bewaffneten Aufstand gegen die linke Regierungskoalition der Sri Lanka Freedom Party (SLFP), der aber rasch niedergeschlagen wurde. Von 1987 bis 1989 führte die Partei eine weitere Rebellion an, diesmal unter buddhistisch-nationalistischen Vorzeichen. Sie wandte sich gegen ein Abkommen mit Indien, das den Tamilen größere regionale Autonomie gewähren sollte. Dieser zweite Aufstand löste eine Welle der Gegengewalt durch parastaatliche Todesschwadronen gegen Anhänger der JVP aus. Infolge dieser Auseinandersetzungen sollen zwischen 1987 und 1989 bis zu 60.000 Menschen im singhalesischen Süden ums Leben gekommen oder verschwunden sein. In den 1990er Jahren kehrte die JVP in den politischen Mainstream zurück.
Der Erfolg der Regierung von Präsident Dissanayake wird davon abhängen, ob sie die wirtschaftliche Entwicklung wiederbeleben kann, eine dauerhafte Lösung für den Tamilenkonflikt findet und ob ihr die Rückkehr zu einem parlamentarischen System gelingt.
Die Überwindung der Wirtschaftskrise
Das Ende des jahrzehntelangen Bürgerkriegs mit den tamilischen Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) im Mai 2009 führte nicht wie erhofft zu einer dauerhaften wirtschaftlichen Erholung Sri Lankas. Stattdessen stieg in der Folge die Staatsverschuldung, unter anderem durch chinesische Infrastrukturprojekte im Rahmen der Seidenstraßeninitiative. Die Anschläge vom Ostersonntag 2019, bei denen eine islamistische Splittergruppe über 260 Menschen tötete, ließen den Tourismus einbrechen, eine der wichtigsten Devisenquellen des Landes. Ab 2020 beschleunigte die Corona-Pandemie den Rückgang der Touristenzahlen. 2019 wurde Gotabaya Rajapakse, der als Sieger des Bürgerkriegs gegen die LTTE im Jahr 2009 galt, zum neuen Präsidenten gewählt. 2020 gewann seine Partei SLPP die Parlamentswahl und traf in der Folge eine Reihe umstrittener Entscheidungen. Dazu zählten unter anderem Steuersenkungen und ein abrupter Übergang zur ökologischen Landwirtschaft, die die Staatsfinanzen und die Versorgungslage deutlich verschlechterten. Im April 2022 erklärte die Regierung ihre Zahlungsunfähigkeit. Die schlechte wirtschaftliche Lage führte zu massiven Protesten der sogenannten Aragalaya-Bewegung, die im Juli 2022 in die Flucht von Rajapakse ins Ausland mündeten. Im Jahr 2022 schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt um 7,8 Prozent, und im September des Jahres lag die Inflation bei fast 70 Prozent. Weil die Währungsreserven schwanden, entstanden massive Probleme bei der Versorgung mit Nahrung, Medikamenten und Treibstoff.
Die Regierung von Präsident Ranil Wickremesinghe handelte ein Reformpaket mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) aus, das unter anderem Einsparungen bei den Staatsausgaben beinhaltet. Im November 2023 erzielte Sri Lanka eine erste Vereinbarung mit wichtigen bilateralen Gläubigern, darunter Indien und der Pariser Club. Die Wirtschaftskrise hat die Armutsquote auf 25 Prozent der Bevölkerung verdoppelt. Präsident Dissanayake erklärte, am Abkommen mit dem IWF festzuhalten, aber durch Nachverhandlungen soziale Verbesserungen anzustreben. Die Wählerinnen und Wähler erwarten, dass die NPP am ehesten in der Lage ist, die sozialen Härten abzufedern, die sich aus den Sparauflagen des IWF ergeben. Eine der großen politischen Herausforderungen besteht darin, die absehbaren Einsparungen gerecht auf die Volksgruppen zu verteilen.
Die Tamilenfrage
Spätestens seit der Parlamentswahl von 1956 gibt es einen Konflikt über die Frage regionaler Autonomie zwischen der singhalesischen und überwiegend buddhistischen Mehrheit, die rund 75 Prozent der Bevölkerung umfasst, und der Minderheit der hauptsächlich hinduistischen Sri-Lanka-Tamilen, die ungefähr elf Prozent ausmachen. Mögliche politische Kompromisse wurden in den 1960er Jahren durch buddhistisch-nationalistische Gruppen und singhalesische Oppositionsparteien torpediert.
Der Konflikt verschärfte sich in den 1970er Jahren und schlug mit dem Pogrom gegen die Tamilen im Juli 1983 in offenen Bürgerkrieg um. Internationale Vermittlungsversuche durch Indien 1987 und Norwegen 2002 brachten keinen nachhaltigen Erfolg. Ab 2006 eskalierte der Bürgerkrieg erneut, mit dem Ergebnis, dass die LTTE im Mai 2009 zerschlagen wurde. In der Endphase des Bürgerkriegs begingen beide Kriegsparteien umfangreiche Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen, die 2011 in einem Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen dokumentiert wurden.
Der Konflikt über die Frage der regionalen Autonomie für die tamilische Minderheit, der dem Bürgerkrieg zugrunde lag, ist bis heute virulent. Bereits Präsident Rajapakse war der tamilischen Forderung nach mehr Autonomie mit dem Versprechen begegnet, für bessere wirtschaftliche Entwicklung zu sorgen. Als Kandidat bei der Präsidentenwahl im September 2024 verfolgte Dissanayake eine ähnliche Strategie, konnte sich damit aber in den tamilischen Gebieten nicht gegen seinen singhalesischen Widersacher Premadasa durchsetzen. Umso frappanter war der Erfolg der NPP in den tamilischen Gebieten bei der Parlamentswahl zwei Monate später. Im Wahlkampf hatte Präsident Dissanayake den Tamilen Lokal- und Provinzratswahlen sowie die Rückgabe von Land versprochen, das seit dem Ende des Bürgerkriegs 2009 von den Streitkräften besetzt ist. Die Aussichten auf eine verbesserte wirtschaftliche und politische Entwicklung dürften den Umschwung der Tamilen zugunsten der NPP erklären.
Abzuwarten bleibt, in welchem Maß sich das Wahlergebnis auf die Aussöhnung zwischen den Volksgruppen und die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen auswirken wird. Angesichts der Einsparungen im Staatshaushalt ist offen, inwieweit die Regierung die bisherigen Aussöhnungsprogramme fortführen wird. Die Frage nach der Aussöhnung mit den Tamilen hat eine Diskussion unter den Singhalesen ausgelöst, ob auch die massiven Menschenrechtsverletzungen des Aufstands von 1987 bis 1989 aufgearbeitet werden sollten. Weil darin sowohl die JVP als auch staatliche Stellen verstrickt waren, ist ungewiss, ob und wie die NPP dieses brisante Thema anpacken will.
Die Rückkehr zum parlamentarischen System
Die Verfassungen von 1972 und 1978, welche die Regierungen der SLFP und der UNP verabschiedeten, trugen zur Eskalation des Konflikts bei. 1972 erhielt der Buddhismus einen besonderen Platz in der Verfassung. Die Tamilen fühlten sich dadurch diskriminiert und reagierten mit der Forderung nach einem eigenen Staat Tamil Eelam. Mit der Verfassung von 1978 wurden ein präsidentielles System nach französischem Vorbild und ein Verhältniswahlrecht eingeführt. An beiden Institutionen gab es seitdem immer wieder Kritik. Am präsidentiellen System wird bemängelt, dass dem Präsidenten zu große Machtbefugnisse gewährt werden. Das Verhältniswahlrecht mit seinen 22 Wahldistrikten gilt als teuer und umständlich. Im Vergleich zu den Einzelwahlkreisen im alten Mehrheitswahlrecht müssen Kandidaten im Wahlkampf ein weit größeres Gebiet abdecken. Das Präferenzsystem bei der Stimmenvergabe wird als kompliziert angesehen. Bei der Parlamentswahl waren fünf Prozent der Stimmen ungültig, was deutlich über den Werten aus dem alten Mehrheitswahlrecht liegt.
Ihre Zweidrittelmehrheit eröffnet der NPP die Möglichkeit, Verfassungsreformen in beiden Bereichen durchzuführen. Offen bleibt, ob damit auch die Frage der regionalen Autonomie für die Tamilen geregelt werden soll. Daran könnten sich aber rasch wieder die alten Konflikte mit der Opposition aus radikalen buddhistisch-nationalistischen Gruppen entzünden.
Die Balance zwischen Indien und China
Außenpolitisch wird die neue Regierung der NPP weiter versuchen, eine Balancepolitik zwischen Indien und China zu verfolgen. Abhängig von den jeweiligen Regierungskonstellationen in Colombo konnten beide Staaten ihren Einfluss in Sri Lanka ausbauen. Indien gilt traditionell als Fürsprecher der tamilischen Minderheit und engagiert sich beim Wiederaufbau der zerstörten Gebiete im Norden und Osten. China hat seinen politischen Einfluss vor allem während der Regierungszeit der Rajapakse-Familie ausgeweitet und ist der größte bilaterale Gläubiger. Sri Lanka gilt oft als Beispiel für die wachsende Verschuldung von Staaten im Globalen Süden durch chinesische Infrastrukturprojekte. Als Sri Lanka seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte, übertrug die Regierung 2017 die Kontrolle über den Hafen in Hambantota für 99 Jahre an eine chinesische Staatsfirma.
Um wieder mehr politischen Einfluss in Sri Lanka zu gewinnen, unterstützte Indien das Land in der Wirtschaftskrise 2022. Der indische Adani-Konzern finanzierte zusammen mit der amerikanischen Development Finance Corporation (DFC) den Bau eines Containerterminals in Colombo als Gegengewicht zu chinesischen Projekten. Allerdings wurde diese Zusammenarbeit nach Korruptionsvorwürfen amerikanischer Behörden gegen die Adani-Gruppe im Dezember 2024 eingestellt.
Präsident Dissanayake signalisierte mit seinen ersten beiden Auslandsreisen, die ihn nach Indien und China führten, wo die künftigen außenpolitischen Prioritäten seiner Regierung liegen. Indien hat wiederholt die Besuche chinesischer Schiffe in Sri Lanka als Bedrohung seiner nationalen Sicherheitsinteressen kritisiert. Dissanayakes Erklärung, Indiens Sicherheitsinteressen stärker zu berücksichtigen, ist auch deshalb bedeutsam, weil die JVP sich stets gegen den indischen Einfluss gewandt hatte.
Ausblick: Ein politischer Neuanfang in Sri Lanka?
Keine srilankische Regierung der letzten Jahrzehnte verfügte über ein solch umfassendes Mandat über die Volksgruppen hinweg, eine Reihe der strukturellen Probleme des Landes anzugehen. Dennoch steht die Regierung vor einem Drahtseilakt, da die geplanten wirtschaftlichen und politischen Reformen eng miteinander verzahnt sind. Werden die Lasten der Sparauflagen ungleich auf die Tamilen und Singhalesen verteilt, kann deren jeweilige Unterstützung für die NPP schnell wieder ins Gegenteil umschlagen. Als zu weitgehend empfundene föderale Zugeständnisse an die Tamilen können dazu führen, dass singhalesische Extremisten den Reformprozess blockieren. Zu geringe Zugeständnisse wiederum könnten tamilischen Hardlinern Auftrieb geben.
Die westlichen Staaten haben ein Interesse am Erfolg der Reformen, die der srilankischen Demokratie wieder politische und fiskalische Stabilität verleihen. Die EU verfügt über Instrumente wie das bis 2027 laufende Allgemeine Präferenzsystem Plus, um die politische und wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Sri Lanka nutzt noch nicht alle Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Eine weitere Verlängerung hängt auch von Faktoren wie der Gewährung fundamentaler Freiheiten, dem Aussöhnungsprozess und den Spielräumen für die Zivilgesellschaft ab. Die Festigung der Demokratie und der Ausgleich zwischen den Volksgruppen bilden auch zentrale außenwirtschaftliche Herausforderungen für die neue Regierung.
Dr. habil. Christian Wagner ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Asien.
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DOI: 10.18449/2025A02