Frankreich steht im Begriff, seinen Interventionskurs im Sahel zu ändern. Nach einem Mini-Aufwuchs von 600 zusätzlichen Soldaten seit Februar 2020 wird die Antiterror-Operation Barkhane wahrscheinlich auf das vorherige Niveau zurückgeführt werden. Mittelfristig sind weitere Reduzierungen möglich. Auch politisch kommt Bewegung in die französische Sahelpolitik, weil Paris ein Gleichgewicht anstrebt zwischen einem geringeren militärischen Fußabdruck, Terrorismusbekämpfung und größerer lokaler Verantwortung.
Die Rückkehr auf das Niveau vor dem Mini-Aufwuchs (4 500 Soldaten) oder perspektivisch eine noch stärkere Reduzierung mag überraschen, da der Aufwuchs in rein militärischer Hinsicht effektiv war. Laut Generalstabschef François Lecointre erhöhte er das Volumen der direkt an Operationen beteiligten Kräfte um 70 %. Die gleichzeitige Konzentration auf das Dreiländereck Mali–Niger–Burkina Faso trug dazu bei, Quantität in Qualität zu überführen. Zudem hat die schon lange geplante und seit Dezember 2019 vorhandene Bewaffnung von Barkhanes drei Reaper-Drohnen die Reaktionszeit deutlich verkürzt. Über 40 % aller Luftangriffe erfolgen nun mithilfe von Drohnen.
Diese Faktoren begünstigten zahlreiche militärische Erfolge in dem einen Jahr, das seit dem Sahel-Gipfel in Pau (13. Januar 2020) vergangen ist. Damals versuchten der französische Präsident Macron und seine Amtskollegen aus Burkina Faso, Tschad, Mali, Mauretanien und Niger, die Intervention besser aufzustellen. Zu den Erfolgen Barkhanes gehört die Neutralisierung Abdelmalek Droukdals, des Anführers von AQMI (Al-Qaida im Islamischen Maghreb), und Bah Ag Moussas, eines militärischen Kommandeurs der Groupe de soutien à l’islam et aux musulmans (GSIM).
Gleichwohl hat das abgelaufene Jahr den politischen und sicherheitspolitischen Kontext nicht grundlegend verändert. Vielmehr hat sich wieder einmal gezeigt, dass mehr Terrorismusbekämpfung nicht gleichbedeutend ist mit einer verbesserten allgemeinen Sicherheitslage. Die Zahl der Binnenvertriebenen in Mali ist weiter gestiegen, von 200 000 im November 2019 auf 311 000 im Oktober 2020. Dies steht auch mit Militäroperationen im Zusammenhang, bei denen die Armeen von Mali, Burkina Faso und Niger viele Menschenrechtsverletzungen begangen haben sollen. Menschenrechtsverletzungen durch ethnische Milizen und jihadistische Gruppen nahmen ebenfalls zu.
Wandel der politischen Haltung
Warum sollte Paris auf die zusätzlichen personellen Mittel verzichten, die sich als so effektiv erwiesen haben? Militärische Anpassungen, ob sie nun kurz- oder mittelfristig vorgenommen werden, sollten nicht losgelöst von einer sich abzeichnenden politischen Neuausrichtung betrachtet werden. In den letzten Monaten haben sich französische Offizielle häufig zu der seit langem in Mali geführten Debatte geäußert, ob die Regierung in Bamako versuchen sollte, mit den jihadistischen Gruppen in einen politischen Dialog zu treten. Selbst wenn die französische Rhetorik in Bezug auf die Terrorismusbekämpfung unnachgiebig bleibt, deuten Erklärungen aus Regierungskreisen auf den Versuch hin, das französische Narrativ bezüglich eines solchen Dialogs und damit auch die Strategie zu ändern.
Paris ist darauf bedacht, nicht als Hindernis für mögliche politische Wege aus der Krise gesehen zu werden. Indizien dafür sind Verweise auf die Porosität und die unscharfen Identitäten bewaffneter Gruppen sowie Unterscheidungen zwischen lokalen vs. internationalen Jihadisten oder zwischen Radikalen vs. potentiell ausstiegswilligen Anhängern. Dies signalisiert zumindest eine ambivalentere und möglicherweise entgegenkommendere Haltung in der umstrittenen Frage des Dialogs mit Jihadisten. Indes bleibt die Skepsis gegenüber den Erfolgsaussichten eines Dialogs bestehen, nicht zuletzt, weil frühere Initiativen unter der Führung Bamakos im Sande verliefen.
Die französische Regierung schließt eigene Verhandlungen mit »terroristischen Gruppen« aus; aber es ist eine andere Frage, ob sie der malischen Regierung im Weg stehen wird. Der französische Diskurs betont die malische Souveränität. Die oft vorgebrachte Analogie zu Afghanistan ist nicht stichhaltig, da die USA dort bilateral mit den Taliban verhandelten und die afghanische Regierung ausschlossen. Ein Lackmustest für die französische Haltung wird sein, ob sie im Falle eines malischen Dialogvorstoßes militärische Operationen zumindest vorübergehend auf Eis legt.
Die sich abzeichnende französische Positionierung ist im Kern Realpolitik. Sie berücksichtigt, dass Malis neue Führung wiederholt erklärt hat, den Weg des Dialogs zu erkunden. Wenn man bedenkt, wie oft französische und andere Offizielle in der Vergangenheit einen Mangel an malischer Führung und Eigenverantwortung beklagt haben, ist es letztlich in Paris’ bestem Interesse, sich stillschweigend hinter der malischen Regierung einzureihen. Die zahlreichen Militärschläge der letzten 12 Monate gegen jihadistische Ziele stehen nicht im Widerspruch zu der Idee, dem Dialog eine Chance zu geben. Sie sind ein notwendiger Schritt, um das militärische Kräfteverhältnis zu korrigieren, das noch vor einem Jahr dramatisch ungünstig für die malische Regierung war. Zudem gilt, dass sich Frankreich nur nach einem positiven Schlussakkord zurückziehen kann. Alles andere wäre ein politischer und strategischer Misserfolg. Die sichtbaren Erfolge des Jahres 2020 können die Gelegenheit bieten, erhobenen Hauptes mit dem Rückzug zu beginnen.
Gründe für den Wandel
Die Veränderungen der französischen Haltung haben sich seit einem Jahr angedeutet. Anlässlich des Sahel-Gipfels in Pau hatte Macron mit zwei unerwarteten Eingeständnissen neue Bewegung in die Diskussion gebracht: Zum einen hätten Regierungen und Teile der Bevölkerung in der Sahelzone eine bestenfalls zwiespältige Einstellung gegenüber der französischen und in geringerem Maße auch der internationalen Intervention. Zum anderen würden sich die politischen und sicherheitspolitischen Trends im Sahel trotz der Intervention in die falsche Richtung entwickeln. Damit hatte Paris die relative Ineffektivität der Intervention sowie ihre fragile lokale Legitimität erkannt. Ein Jahr später hat sich die Situation dank des militärischen Aufwuchses – innerhalb enger Grenzen – etwas verbessert. In der Tat ist es unwahrscheinlich, dass sich Macrons Analyse aus der Zeit vor Pau grundlegend geändert hat. Das heißt, die Regierung ist nicht bereit, eine große, kostspielige und unbefristete Präsenz in der Sahelzone aufrechtzuerhalten, die nicht in der Lage ist, strategische und politische Fortschritte in Gang zu setzen.
Ein Faktor sind die Kosten. Barkhane ist eine strategische Last. Selbst wenn sich bei der Operation wertvolle operative Erfahrungen sammeln und nützliche Lehren aus ihr ziehen lassen, stehen andere oder neue Bedrohungen zunehmend auf der französischen Tagesordnung (die Ostgrenzen der Europäischen Union, das östliche und südliche Mittelmeer, Cyber). Dies wird auch die aktualisierte Revue stratégique de défense et de sécurité nationale abbilden, die derzeit entsteht. Barkhane verursacht erhebliche finanzielle Kosten (695 Millionen Euro 2019, annähernd 1 Milliarde Euro 2020). In Anbetracht des wirtschaftlichen Drucks durch die Corona-Krise könnten die Kosten für eine Operation, die zu Hause lange auf Gleichgültigkeit gestoßen ist, schwieriger zu verteidigen sein, und das, obwohl die Öffentlichkeit Terroranschläge als große Bedrohung für die nationale Sicherheit ansieht.
Scheinbar sind die Bürger nicht unbedingt davon überzeugt, dass der Terrorismus aus der Sahelzone eine Bedrohung für Frankreich darstellt. Umgekehrt haben französische Politiker und Medien Barkhane in letzter Zeit kritischer verfolgt, da die Zahl der französischen Opfer gestiegen ist. Seit 2013 haben 51 französische Soldaten ihr Leben in der Sahelzone verloren, 30 unter ihnen in den letzten zwei Jahren. Bislang deutet wenig darauf hin, dass Barkhane im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2022 mehr als nur eine Nebensache sein wird; dennoch kann die Reduzierung von Kosten und Opfern politisch nur vorteilhaft für die Regierung sein.
Barkhane: Erfolgreiche Taktik, wenig Fortschritte
Die Entscheidungsträger in Paris wissen, dass sich in absehbarer Zeit keine günstigere Situation für den Beginn eines Rückzugs einstellen wird. Solche Gelegenheiten wurden zweimal verpasst: 2013 nach der erfolgreichen Intervention Serval und 2015, als die Unterzeichnung des malischen Friedensabkommens eine angemessene Ausstiegsoption bot. Die Grenzen dessen, was eine französische (militärische) Intervention in der Sahelzone realistischerweise erreichen kann, sind seit einiger Zeit offensichtlich, nicht zuletzt für das französische Militär selbst. Es ist zu einer Binsenweisheit geworden, dass Barkhanes taktische Erfolge nicht zu strategischem Fortschritt geführt haben.
Erstens waren die politischen Ziele, die Barkhane unterstützen sollte, vage und optimistisch. Das gilt für die Vorstellung, die Eindämmung der terroristischen Bedrohung würde (irgendwie) dazu beitragen, politischen Fortschritt im Gewand des malischen Friedensabkommens zu ermöglichen, ferner Sicherheitslösungen dank des Wiederaufbaus der Sicherheitskräfte. Doch die Umsetzung des Friedensabkommens oder andere Formen des politischen Wandels blieben ungreifbar. Der von Partnern der Operation (u. a. von EUTM Mali) gewählte Ansatz des Kapazitätsaufbaus hat nur bescheidene Ergebnisse gezeitigt. Barkhane müht sich ab in einer strategischen Leere.
Zweitens waren mit Barkhane selbst keine politischen Ambitionen verbunden; ihre Prämisse ist es, sich aus der malischen Politik herauszuhalten. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass die Operation es vermieden hat, in die Konflikte Zentralmalis hineingezogen zu werden. Die Vorstellung, durch den Fokus auf Terrorismusbekämpfung unpolitisch zu sein, ist abwegig. Barkhane und ihre internationalen Verbündeten haben buchstäblich einen Sicherheitsschirm aufgespannt, unter dem die Eliten in Bamako und im Norden Malis – im Grunde die Unterzeichner des Algier-Abkommens – ihre eigennützigen Agenden verfolgen konnten, anstatt sich den Konsequenzen ihres (Nicht-)Handelns zu stellen. Den Anspruch, unpolitisch zu sein, hielten viele Malier nie für glaubwürdig. Sie verstanden nicht, warum Städte im Norden von den Jihadisten, nicht aber von den sezessionistisch gesinnten Rebellen befreit werden sollten. Aus ihrer Sicht ist Barkhane maßgeblich in die Innenpolitik involviert. Gegenteilige Behauptungen haben nur Misstrauen und Gerüchte über Frankreichs versteckte Agenden geweckt.
Schließlich haben Barkhanes schiere Präsenz und der stetige französische Diskurs über Terrorismusbekämpfung eine nuanciertere Analyse der Situation in Mali erschwert. Andere Herausforderungen als der Terrorismus bekamen wenig Aufmerksamkeit seitens malischer, französischer und internationaler Entscheidungsträger. Nirgendwo wurde dies deutlicher als in Zentralmali, wo fehlende oder ineffektive Institutionen, erodierendes Sozialkapital und gewaltsamer sozioökonomischer Wettbewerb erklären, warum jihadistische und andere Gewaltakteure ihre Macht und Autorität so leicht ausweiten konnten. Indes zeigt die Tatsache, dass Barkhane in Zentralmali überhaupt nicht eingriff: Die Defizite der Intervention können keineswegs nur am vermeintlichen Übergewicht militärischer Instrumente festgemacht werden. Konzepte wie der vernetzte oder integrierte Ansatz müssen in Mali noch ihre Wirksamkeit unter Beweis stellen.
Ausblick
Frankreich wird seinen militärischen Fußabdruck im Sahel in absehbarer Zeit wahrscheinlich reduzieren. Dahinter steht die Einschätzung, dass der seit 2014 existierende, auf Terrorismusbekämpfung ausgerichtete Interventionsrahmen an seine Grenzen gestoßen ist. Allerdings besteht die Wahl nicht zwischen Bleiben und Abziehen. Die französischen Entscheidungsträger werden versuchen, eine Balance zu finden zwischen dem politischen Ziel, den Rückzug einzuleiten, und den möglichen Folgen eines solchen Prozesses vor Ort.
Kurzfristig würde ein größerer Truppenabbau jihadistische Gruppen ermutigen und die Armeen in Mali, Burkina Faso und Niger überfordern. Sobald die Zahl der Soldaten spürbar reduziert wäre, dürfte Frankreich noch stärker auf eine ferngesteuerte Kriegsführung zurückgreifen wie die Zusammenarbeit von Geheimdiensten, bewaffnete Drohnen, Spezialkräfte und die Unterstützung von Sicherheitskräften. Das Mentoring lokaler Kräfte während militärischer Operationen wird ganz oben auf der Agenda stehen, um dem langfristigen Kapazitätsaufbau, dem Markenzeichen der meisten Ertüchtigungsmaßnahmen in Mali, auch qualitativ einen Schub zu verleihen. In dieser Hinsicht ist die zunehmend dezentralisierte Ausbildung und Beratung der Armee durch die militärische Ausbildungsmission EUTM Mali zu begrüßen. Genauso relevant sollte aber ein erneuter Vorstoß sein, mit Bamako über Reformen des Sicherheitssektors zu verhandeln. Solange grundlegende Reformen (Personal, Logistik, Rechenschaftspflicht) blockiert sind, besteht kein Grund zu der Hoffnung, dass effektive und selbsttragende Verteidigungs- und Sicherheitskräfte aufgebaut werden (können).
Eine geringere französische Militärpräsenz birgt Chancen und Risiken. Sollte Barkhane ihre Präsenz reduzieren, werden jihadistische Kräfte mehr Bewegungsfreiheit gewinnen. Folglich wird dies die malische Armee sowie EUTM, MINUSMA und zivile Organisationen einem größeren Risiko von Anschlägen aussetzen. Umso wichtiger ist die Aufklärung, zu der das deutsche MINUSMA-Kontingent mit seinen Drohnen beiträgt.
Trotz dieser Kapazitäten kann es zu Opfern kommen und damit zu einem politischen Stresstest für das europäische Engagement in Mali und dem Sahel. In diesem Zusammenhang ist eine neuerliche Debatte darüber sinnvoll, was für Europa im Sahel auf dem Spiel steht und was nicht. Deutsche und europäische Sicherheit werden vom Sahel nicht unmittelbar bedroht. Die Herausforderung sind nicht Terrorismus und Migration, sondern eine kluge Politik, die handlungsfähige und legitime Ordnungen befördert, um dem weiteren regionalen Ausgreifen der Krise entgegenzuwirken. Eine Priorität europäischer Afrikapolitik sollte sein, die Nachbarstaaten der Sahelländer in einem vorbeugenden Sinn krisenfester zu machen.
Dr. Denis M. Tull ist Wissenschaftler in der SWP-Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika.
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doi: 10.18449/2021A06
(Revidierte deutsche Fassung von SWP Comment 5/2021)