Das EU-Ölembargo hat politische Signalwirkung, aber nur verzögerten Einfluss auf die russische Wirtschaft. Bei der Erwägung weiterer Energiesanktionen sollte die EU Erwartungen managen und realistischer handeln – vor allem in einem Bereich, meint Jacopo Pepe.
Nach langem Ringen haben sich die EU-Länder Anfang Juni auf ein Teilembargo gegen russisches Öl geeinigt. Die EU will Russlands Haupteinnahmequelle trockenlegen und die Abhängigkeit von russischen Öl beenden. Betroffen sind bis zu zwei Drittel der Ölimporte, die über Tanker nach Europa gelangen. Das wird Russland ökonomisch auf Dauer sicher hart treffen. Nach Inkrafttreten des Embargos verliert das Land unter den aktuellen Ölpreisen Einnahmen von circa 330 Millionen Euro täglich. In dem sechsten Sanktionspaket wird darüber hinaus ein Versicherungs- und Rückversicherungsverbot für russische Ölladungen auf See eingeführt. Damit erhöhen sich für Russland die Kosten, um das Öl an Drittländer zu liefern.
Allerdings haben die langen Verhandlungen um einen Kompromiss auch das Ansehen der Union beschädigt und Zweifel an ihrer Entschlossenheit geweckt. Die lange Vorlaufzeit von sechs Monaten spielt Russland in die Hände. Es kann in der Zwischenzeit die komplexe Logistik der Ölströme an Drittländer organisieren. Zudem gewährt der aktuell hohe Ölpreis Russland bereits jetzt Mehreinnahmen. Und da die Herkunft von Öl nicht immer eindeutig ist, wird es schließlich für die Versicherer kompliziert, das Verbot einzuhalten. Wenn es um die Öl- und Gasversorgung geht, sind die Abhängigkeiten einzelner Länder und ihre politischen Prioritäten offenbar wichtiger als Solidarität und schnelles Handeln.
Um die russische Wirtschaft schneller und effektiver zu treffen, wird nun nach ergänzenden Maßnahmen gesucht. Vor allem wird ein Einfuhrzoll auf Gas und Öl diskutiert. Dieser könnte schneller und effektiver wirken als das beschlossene Ölembargo – und ein für die EU riskantes Gasembargo. Den Zoll könnte der europäische Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit beschließen, ohne mühsame Verhandlungen und Kompromisse. Im Idealfall reduziert der Zoll nicht nur die Zahlungen an Russland, sondern auch die Auswirkungen auf die europäische Versorgungssicherheit. Dabei würden die Preise nicht so stark steigen, weil keine Angebotsverknappung droht.
Allerdings hat diese Lösung zwei wesentliche Schwachstellen: Bei relativ unelastischer Gas- und Ölnachfrage würde Russland höchstwahrscheinlich die Preise nicht senken, und die Importeure würden den Zoll an die europäischen Endverbraucher weitergeben. Darüber hinaus wäre ein Beschluss mit qualifizierter Mehrheit zwar möglich. Er würde aber genauso wie im Falle des Teilembargos ein Signal der Unentschlossenheit senden.
Es zeigt sich, dass Energiesanktionen aufgrund des hohen Verflechtungsgrades und gegenseitiger Abhängigkeiten mit Russland nicht besonders geeignet sind, um Russland und seine militärische Handlungsfähigkeit schnell zu beeinträchtigen. Was theoretisch möglich wäre, ist gesamtwirtschaftlich nicht immer haltbar. Es droht entweder den Sanktionierten nicht schnell genug oder den Sanktionierenden zu hart zu treffen. Diese Lehre sollten die EU und Deutschland beherzigen, vor allem wenn es um mögliche Sanktionsmaßnahmen gegen russische Gaslieferungen geht.
Aufgrund mangelnder Alternativen bleibt Gas mehr als Öl kurz- bis mittelfristig die Achillesferse der EU. Gasexporte sind aber auch für Russland kritisch. Einnahmen aus dem Ölexport fallen zwar höher aus. Die Ausweichmöglichkeiten sind im Gasbereich aber noch begrenzter: Die fehlende Infrastruktur gen Asien und die größtenteils erdgebundene Lieferwege stellen Hürden dar, welche Russland erst in einigen Jahren überwinden kann, während das Land mehr denn je auf diese Einnahmequelle angewiesen ist. Umso wichtiger ist es für die EU und Deutschland, den Ausstieg aus russischem Gas mit kühlem Kopf und langem Atem nach zwei Prinzipien zu planen:
Erstens müssen die EU und ihre Mitgliedsländer bei der Erwägung weiterer Energiesanktionen – insbesondere im Gasbereich – die Erwartungen managen und ihre Handlung nach realistischen Zielen richten. Alle bis dato vorgeschlagenen Sanktionsmaßnahmen wie Embargos, Einfuhrzölle oder Preisdeckel sind nur bedingt geeignet, um die russische Aggression schnell zu beenden. Die politischen Risiken und die ökonomischen Kosten für Europa können erheblich sein und die Akzeptanz für eine längere Konfrontation mit Russland schwinden lassen. Man kann sich darüber hinaus nicht sicher sein, ob Russland politisch und militärisch einlenkt. Während eine Debatte um sofortige Maßnahmen weiterhin zu begrüßen und moralisch nachvollziehbar ist, sollte der politische Fokus weiterhin darauf liegen, der russischen Wirtschaft den maximalen Schaden zuzufügen und gleichzeitig die Risiken für die europäischen Wirtschaften minimieren.
Dafür müsste aber die EU bei weiterhin unsicheren Versorgungsalternativen weniger sofortige Sanktionsmaßnahmen erwägen. Vielmehr sollte sie sich als ersten Schritt auf die rapide Sicherung alternativer Gasquellen sowie auf die Umsetzung des Plans »Repower EU« – dem Maßnahmenpaket der Kommission für die Energieunabhängigkeit von Russland – konzentrieren, zumal sie sich gegen den Fall eines von Russland herbeigeführten Lieferstopps bereits jetzt wappnen muss.
Zweitens, und vom ersten ableitend, müssen die EU und ihre Mitgliedsländer die Sicherung ihrer alternativen und möglichst nachhaltigen Gasversorgung viel intensiver und koordinierter vorantreiben, zumindest die vom russischen Gas besonders abhängigen Länder wie Deutschland oder Italien. Die neu geschaffene »EU-Energie-Plattform«, mit der die EU-Mitgliedsländer Gas und perspektivisch Wasserstoff aus anderen Staaten als Russland beschaffen, die Nachfrage bündeln und so den Preis dafür senken wollen, ist sicherlich ein Instrument, um die Verhandlungsmacht zu erhöhen. Dafür müssten sie aber schon jetzt Fragen wie der Menge, Infrastruktur oder Vertragslaufzeit klären.
Deutschlands schwierige bilaterale Verhandlungen mit Ländern wie Katar oder Israel zeigen, dass in der neuen europäischen Energiewelt nationale Alleingänge nicht zielführend sind. Eine europäische oder zumindest multilaterale Gasversorgung würde hingegen die langfristige Basis für einen nachhaltigen Ausstieg aus russischen Energielieferungen legen. Das würde Russland substantieller treffen als jede weitere hastig beschlossene, nur bedingt wirksame Sanktionsmaßnahme.
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Über tiefsitzende Rivalitäten und neue Möglichkeiten der Kooperation zwischen Griechenland, der Türkei und Zypern
doi:10.18449/2022A04
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