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Neue US-Exportkontrollen und die wichtigsten Fragen für die EU

Empfehlungen für eine robuste europäische Ausfuhrkontrollpolitik

SWP-Aktuell 2023/A 19, 17.03.2023, 8 Seiten

doi:10.18449/2023A19

Forschungsgebiete

Wie EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen bei ihrem Besuch im Weißen Haus ankündigte, will die EU ihre Exportkontrollen für Dual-Use-Produkte und neue Technologien erneuern und enger mit US-Maßnahmen abstimmen. Da die EU-Staaten China zunehmend als sicherheitspolitische Bedrohung wahrnehmen, wäre die An­wendung von Exportkontrollen gegenüber Peking folgerichtig. Die von der Biden-Regierung im Oktober 2022 gegenüber China erlassenen Executive Orders für den Handel mit leistungsstarken Halbleiterchips, deren Produktionsmaschinen sowie mit hochleistungsfähigen Computern wirken sich bereits auf die EU aus. Um Rechts­sicher­heit für europäische Unternehmen zu schaffen, sollten die EU-Mitgliedstaaten schnell entscheiden, wie umfassend sie eigene Ausfuhrkontrollen modernisieren und ausweiten wollen. Dazu gehört auch eine Strategie, um gemeinsam mit anderen Staa­ten das multilaterale Wassenaar-Arrangement zumindest zeitweise zu ersetzen.

Anders als der ehemalige Präsident Trump strebt Präsident Biden kein umfassendes »Decoupling« von China an. Seine Regierung setzt jedoch die von Trump begonnenen Maßnahmen fort, wie zum Beispiel die Aufnahme chinesischer Firmen auf schwarze Listen für Exporte und Investitionen und die Ausweitung von Exportkontrollen, ins­besondere für leistungsstarke Halbleiter und Halbleiterproduktionsmaschinen im Oktober 2022. Wie Bidens nationaler Sicher­heitsberater Jake Sullivan dazu erklärte, verfolgen die USA das Ziel, »sicherzustellen, dass neue Technologien für, und nicht gegen unsere Demokratien und unsere Sicherheit arbeiten«. Der Fall Russland zeige, dass Technologieexportkontrollen »ein neuer strategischer Vorteil im Instrumentarium der USA und ihrer Verbündeten sein kön­nen, um den Gegnern Kosten aufzuerlegen« und »ihre Fähigkeiten auf dem Schlachtfeld zu schwächen«. Exportkontrollen erschweren Russlands Zugriff auf Komponenten, die für Panzer, Raketen, Autos und Flugzeuge unentbehrlich sind, auch wenn die Kontrol­len nicht zu 100 Prozent wasserdicht sind. Gegenüber »Wettbewerbern« gelte es, bei »grundlegenden Technologien« (foundational technologies) wie Halbleitern einen »möglichst großen Vorsprung« aufzubauen. Es gibt wenig Zweifel daran, dass Sullivan bei diesem Appell China im Blick hat.

Exportkontrollen in der US-Außen- und Sicherheitspolitik

Exportkontrollen gehören zu den mächtigsten wirtschaftlichen Instrumenten der USA, um außen- und sicherheitspolitische Ziele zu erreichen. Die entsprechenden Vorgaben regeln nicht nur die Ausfuhr von Gütern aus ihren Häfen, sondern auch die Wieder­ausfuhr dieser Güter, wenn sie einmal im Ausland sind, die Weitergabe von sensi­blem Know-how, Daten und Bauplänen. In seltenen Fällen fallen auch Güter darunter, die das »direkte Produkt« von US-Ausrüs­tung sind, selbst wenn sie in Fabriken im Ausland hergestellt wurden (Foreign Direct Product Rule, FDPR). In solchen Fällen müs­sen ausländische Hersteller oder Exporteure eine Ausfuhrgenehmigung der US-Behörden beantragen. Damit wollen die USA verhin­dern, dass US-Technologie in die Hände von Staaten oder Organisationen gelangt, die die Sicherheit der USA und ihrer Verbündeten gefährden könnten. In den Bereichen, die für die nationale und internationale Sicherheit entscheidend sind – von der Nukleartechnologie über chemische Waffen bis hin zu konventionellen Waffen – sind solche Beschränkungen eher unstrittig. Bei Gütern mit doppeltem Verwendungszweck (dual use goods), die sowohl zivile als auch militärische Anwendungen haben, sind die Ausfuhrkontrollen hingegen umstrittener.

In den Produktionssparten, in denen die USA einen eindeutigen technologischen Vorsprung besitzen, sind US-Exportbeschrän­kungen besonders wirksam. Aber ohne Ko­operation mit anderen Staaten sind diese nur von begrenztem Nutzen. Unilaterale US-Maßnahmen wären wirkungslos, wenn die kontrollierte Technologie über Umwege an ein chinesisches Unternehmen weiterverkauft werden könnte. Daher sind solche Re-Exporte inzwischen nach US-Recht illegal. Außerdem verbessert die US-Regierung, wenn sie sich auf eine breite Koalition stüt­zen kann, ihre Möglichkeiten, »Endverbleibs­kontrollen« durchzuführen. Um sicher­zustellen, dass reglementierte Güter nicht umgeleitet werden, müssen die USA mit den Behörden anderer Länder kooperieren.

Während die USA zu Beginn des Kalten Krieges den Vorteil hatten, viele der fort­schrittlichsten Technologien zu entwickeln, zu produzieren und deren Verbleib und Verwendung somit effektiv kontrollieren zu können, besitzen US-Unternehmen heute in wenigen Bereichen eine Monopolstellung. Multinationale Unternehmen mit Sitz in den USA führen 17 Prozent ihrer Forschungs- und Entwicklungsarbeiten außerhalb der USA durch, und ein zunehmender Teil da­von findet außerhalb der Grenzen verbündeter Staaten statt. Untersuchungen zufolge sind die Ausfuhrkontrollen heute weniger wirksam als in den 1990er Jahren, was vor allem auf die zunehmende Nutzung globa­ler Wertschöpfungsketten zurückzuführen ist, die eine Verlagerung der Produktion an Orte außerhalb der Vereinigten Staaten er­leichtert.

Verbindung mit Investitionskontrollen

Soll die die Verbreitung sensibler Techno­logien wirksam gesteuert werden, müssen Ausfuhrkontrollen in Verbindung mit anderen Instrumenten, wie Investitions­kontrollen, eingesetzt werden. Wenn ein chinesisches Unternehmen ungehindert ein US-Unternehmen mit exportbeschränkter Technologie kaufen kann, droht der Know-how-Transfer durch die Hintertür. In den USA wächst die Befürchtung, dass US-Inves­titionen in China den Exportreglementierungen zuwiderlaufen könnten. US-Risiko­kapitalgeber können derzeit legal in Unter­nehmen investieren, die in der Volksrepu­blik die Produktion genau der Waren und Technologien auf­bauen, die Unternehmen nach US-Recht nicht nach China exportieren dürfen. Des­halb zieht die Biden-Regie­rung inzwischen in begrenztem Maße Kon­trollen für US-Auslandsinvestitionen (out­bound investment controls) in Erwägung.

Umsetzung durch US-Behörden

Die US-Bestimmungen zu Exportkontrollen bestehen größtenteils aus Listen, in denen die Arten von Gütern, Technologien oder Dienstleistungen aufgeführt sind, deren Ausfuhr je nach Land (z. B. wenn ein Pro­dukt nicht nach Nordkorea geliefert werden darf), Endverwendung (z. B. Verbot des Ein­satzes für militärische Zwecke) oder End­nutzer (z. B. Verbot der Lieferung an ein bestimmtes Unternehmen wie Huawei) ein­geschränkt werden kann. Die Prüfung ist unterschiedlich streng: In einigen Fällen kann ein gelistetes Produkt von der Geneh­migungspflicht befreit werden, in anderen kann das Handelsministerium individuell entscheiden und in wieder anderen Fällen kann die Ausfuhr mit einer »Ablehnungsvermutung« (presumption of denial) belegt werden, die nahezu sicher zur endgültigen Ablehnung führt, wie häufig gegenüber dem Unternehmen Huawei praktiziert.

Die US-Regierung passt derzeit ihre Ex­portkontrollpolitik an, um auf politische Veränderungen in China, aber auch auf schnelle technologische Entwicklungen zu reagieren. Da unter Präsident Xi Jinping die Grenzen zwischen öffentlichem und pri­vatem Sektor zunehmend verwischen, lässt sich heute schwerer beurteilen, ob ein chinesisches Unternehmen Waren aus rein kommerziellen oder aus sicherheitspolitischen Gründen bestellt. Chinas Politik der »militärisch-zivilen Fusion« (Military Civil Fusion, MCF) lässt in Washington die Alarm­glocken läuten. Weil die in den USA geliste­ten chinesischen Unternehmen mit Verbin­dungen zum Militär laufend neue Ableger gründen und so den US-Behörden entgehen, änderten die USA zuletzt ihre Strate­gie. Außerdem veranlassen die zunehmende Leistungsfähigkeit kommerzieller Halb­leiter und die Verwendung von Produkten wie Drohnen in der Kriegsführung die USA dazu, ihre Kontrollen auszuweiten.

Exportkontrollen von Trump bis Biden

Hohe Intensität unter Trump

Exportkontrollen waren vor der Zeit der Trump-Regierung ein relativ ruhiger Bereich der US-Außenwirtschaftspolitik, wenn auch immer mit unterschwelligen Spannungen verbunden. Die Trump-Administration hat den Einsatz dieser Instrumente auf oft dis­ruptive Weise verstärkt. Den Anfang machte ZTE, ein großes chinesisches Telekommunikationsunternehmen, das gegen die US-Export­kontrollen und ‑Sanktionen verstieß, indem es Geräte mit US-Technologie an Iran und Nordkorea verkaufte. Anfang 2018 setz­ten die USA eine Verweigerungsanordnung (denial order) in Kraft, die ZTE den Zugang zu Technologien und zu Gütern verbat, die den US-Exportkontrollen unterliegen. Durch eine Vereinbarung zwischen Trump und Xi Jinping wurde die Anordnung aufgehoben, allerdings erst, nachdem ZTE hohe Geld­strafen und Beobachtungsmaßnahmen akzeptiert hatte.

Im Verlauf des Jahres 2018 verabschiedete der US-Kongress wichtige Gesetze, die eine Überprüfung der nationalen Sicherheit im Hinblick auf Exporte und Investitionen nach sich zogen. Der Export Control Reform Act (ECRA) verpflichtete die Regierung dazu, die US-Exportkontrollen entweder in den Rahmen multilateraler Vereinbarungen ein­zupassen oder ganz abzuschaffen. Zu­dem beauftragte der Kongress das Commerce Department damit, »neue und grundlegen­de« (emerging and foundational) Technologien zu identifizieren und den Handel damit stärker zu kontrollieren.

Das nächste große chinesische Technologieunternehmen, das im Oktober 2018 ins Visier der US-Behörden geriet, war Fujian Jinhua. Dem Chiphersteller wurde vorgewor­fen, Designs seines US-Konkurrenten Micron gestohlen zu haben und die Technologie als seine eigene auszugeben. Die US-Regierung argumentierte, dass der Diebstahl von geis­tigem Eigentum »die langfristige wirtschaft­liche Lebensfähigkeit von US-Lieferanten dieser wesentlichen Komponenten von US-Militärsystemen bedroht«. Fujian Jinhua wurde daraufhin auf die häufig zitierte »Entity list« gesetzt, die den Zu­gang der dort aufgeführten Unternehmen zu US-Waren und -Technologie stark ein­schränkt.

Im Mai 2019 setzten die USA auch Huawei, einen der wichtigsten Technologie­führer Chinas und weltweit bedeutenden Anbieter von Geräten für Telekommunikationsinfrastruktur und Smartphones, auf die Entity List, nachdem das Unternehmen vor einem US-Gericht wegen seiner Ge­schäfte mit dem Iran angeklagt worden war. Die US-Regierung stieß sich außerdem an der enorm gewachsenen Bedeutung eines chinesischen Produzenten für die globale Telekommunikationsinfrastruktur.

Der Fall Huawei veranschaulicht die Gren­zen unilateraler Exportkontrollen in einer interdependenten Welt. Im Zuge des von Trump angekündigten plötzlichen Ver­bots von Lieferungen an Huawei drohten den US-Firmen Verluste in Höhe von Dut­zenden Milliarden US-Dollar, weil die Re­striktionen zuerst nicht für ausländische Unternehmen galten. Huawei-Geräte waren damals bereits ein fester Bestandteil in Haushalten und Telekommunikationsnetzen weltweit. Als die USA androhten, Huawei vollständig daran zu hindern, Telekommu­nikationsnetze in anderen Ländern zu be­dienen, regte sich massiver Widerstand auf Seiten von US-Verbündeten und anderen Partnern, die damals die US-Einschätzung eines hohen Sicherheitsrisikos nicht teilten. Um Zeit zu gewinnen, erteilte Washington eine »vor­läufige allgemeine Lizenz« (tempo­rary general license), die eine weitere Beliefe­rung Huaweis zuließ.

Chinas Abhängigkeit von US-Technologie verschaffte Washington zwar die Möglichkeit, Verstöße gegen Sanktionen zu bestra­fen, aber die Zwangsmaßnahmen erhöhten für Peking auch den Anreiz, stärker auf eigenständige Produktion zu setzen oder Lieferketten umzustrukturieren. Huawei fand andere Zulieferer außerhalb der Reich­weite der US-Behörden, um seine Komponentenlücken zu schließen. Zum Teil han­delte es sich dabei um US-Firmen, die ihre Produktion ins Ausland verlagerten, um den von Washington verhängten Beschränkungen zu entgehen. Daraufhin zog die Trump-Regierung neue Register. Im August 2020 wandte das US-Handelsministerium die FDPR auf Huawei und die mit ihm verbun­denen Firmen an. Selbst Halbleiter, die ohne jeglichen US-Anteil produziert wurden, waren nun vom Verkauf an Huawei aus­geschlossen, wenn sie mit US-Equipment, das in den globalen Halbleiterlieferketten von Peking bis Seoul, Tokio und Taipeh all­gegenwärtig ist, hergestellt worden waren. Damit versetzten die USA Huawei einen schweren Schlag. Dennoch erholte sich das Unternehmen. Derzeit baut es beispiels­weise noch einen Großteil der 5G-Netze in Deutschland mit aus.

Biden: Kontinuität mit mehr Reichweite

Mit einer entscheidenden Ausnahme folgt Biden der Linie Trumps. Seine Regierung hat rund 150 weitere chinesische Unternehmen auf die Entity List gesetzt, auch im Zusam­men­hang mit der Menschenrechts­lage in Xinjiang. Sie hat vermehrt die FDPR eingesetzt, weitere Technologien reglementiert und auch die Investitionskontrollen ausgeweitet. Der Hauptunterschied besteht in dem Versuch, andere Staaten davon zu überzeugen, ähnliche Maßnahmen einzu­führen – mit gemischtem Ergebnis. Einige der neuen US-Export­kontrollen wurden von anderen Staaten in einem plurilateralen Rahmen übernommen. Bei den gemeinsam gegen Russland erlassenen Sanktionen und Ausfuhrbeschränkungen für Spitzentechnologie zahlte sich das Zugehen der US-Behör­den auf Europa und die asiatischen Verbün­deten aus. Die Biden-Regierung machte die Drohung an Russland, die FDPR anzuwen­den, unmittelbar nach dem russischen An­griff auf die Ukraine wahr.

Darüber hinaus formierten die USA eine internationale Koalition von 38 Staaten, darunter sogar Singapur und die Schweiz, die gleichzeitig auf die russische Invasion reagierten. Das Vorgehen markierte einen Wendepunkt in der zwischenstaatlichen Kooperation, da einige Länder, insbesondere in Europa, mit langjährigen Tabus bra­chen und neuen Exportkontrollen zustimm­ten, die über den traditionellen Rahmen hinausgingen. Bisher vereinbarten die Mitglieder des multilateralen Wassenaar-Arrangements gemeinsame Regeln, um die Verbreitung von Dual-Use-Gütern zu steuern. Für neue Listungen von Gütern im Rahmen des Wassenaar-Abkommens wären einstimmige Beschlüsse nötig, die Russland als Mitglied verhindern kann. Washington akzeptierte die im Februar 2022 erlassenen nationalen Ausfuhrkontrollen und verzich­tete darauf, die FDPR auf die Partnerländer anzuwenden.

Anders als die Wassenaar-Exportkontrol­len, haben die Russland-Kontrollen ein wirtschaftsstrategisches Ziel. Sie sollen die russische Wirtschaft und die Kriegsmaschinerie zum Erliegen bringen. Zwar bewirkten die Maßnahmen anfangs einen Ein­bruch der russischen Importe. Die Koalition vereint in sich die meisten Hersteller von Spitzentechnologie weltweit. Dennoch ge­lingt es bisher nicht, Russlands Wirtschaft in die Knie zu zwingen und das Land damit zur Beendigung des Krieges zu bewegen.

Neue Chip-Kontrollen gegen China

Am 7. Oktober 2022 nahm die Biden-Regie­rung China erneut ins Visier. In den USA werden 42 Prozent der Anlagen und fast alle Entwicklungstools zur Herstellung leistungsstarker Halbleiter produziert, was Washington ein einzigartiges Druckmittel verschafft. Die neuen Kontrollen zielen darauf ab, den Verkauf modernster Chips, die für künstliche Intelligenz und Supercomputing-Anwendungen verwendet wer­den, zu unterbinden. Die FDPR ist ein Ele­ment in dieser Strategie. Die USA wollen außerdem Chinas Versuche konterkarieren, selbst fortschrittlichere Chips zu produzieren. Die Biden-Regierung hat dabei erklärt, ihre Exportregelungen sehr präzise auf Hochleistungschips zuzuschneiden, die eine Sicherheitsbedrohung darstellen. Wäh­rend der Handel mit Chips für »Massen­vernichtungswaffen, Hyperschallraketen, autonome Systeme und Massenüberwachung« reglementiert wer­den soll, kann mit anderen, weniger leistungsstarken Halb­leiterchips weiter gehan­delt werden. Die US-Regierung entschied sich für unilaterale Exportkontrollen. Allerdings erwirkte sie im Januar eine Einigung mit den Niederlanden und Japan darüber, dass auch die dort angesiedelten Hersteller von Anlagen für Hochleistungschips den Verkauf nach China stoppen.

Trade-Offs aus US-Perspektive

Ausweitung der Exportkontrollen

In den USA wächst der politische Druck auf die Biden-Regierung, Exportkontrollen aus­zuweiten, um auf eine Reihe von Entwicklungen in China – von der Modernisierung seines Militärs bis zu Menschenrechtsfragen – zu reagieren. Dort, wo die US-Unter­neh­men eine Monopolstellung besitzen, oder in den Fällen, in denen es starke moralische Gründe (z. B. Menschenrechtsverletzungen) gibt, können unilaterale Maßnahmen ge­boten sein. Das Risiko besteht jedoch darin, dass US-Firmen, die nicht mehr in den chine­sischen Markt exportieren können, ihre Pro­duktion entweder ins Ausland verlagern oder aus dem Wettbewerb ausscheiden, weil ihnen wichtige Einnahmen entgehen. Wenn ausländische Unternehmen China weiter beliefern, verpufft die Wirkung der US-Kontrollen und die eigenen Hersteller bleiben auf den Kosten sitzen. Diese Erfah­rung haben die USA in der Vergangenheit bereits gemacht, etwa als die Clinton-Regie­rung 1999 strengere Kontrollen für Satelli­ten einführte als der Rest der Welt und der US-Marktanteil daraufhin innerhalb eines Jahrzehnts von 73 auf 25 Prozent sank.

Eine Ausweitung von Exportkontrollen ohne klare rote Linien, welche Sicherheitsbedrohungen ihren Einsatz rechtfertigen, könnte den US-Unternehmen sogar dort schaden, wo es gar nicht um sicherheits­relevante Produkte geht. In Umfragen be­richteten 45 Prozent der US-Firmen in China von Umsatzeinbußen, weil die chinesischen Kunden befürch­teten, sich nicht mehr auf US-Lieferungen verlassen zu können. Dass Washingtons Kontrollen manchmal zu weit gehen, zeigt der Fall Xiaomi, eines Herstel­lers von Telefonen und Lautsprechern, der auf eine Liste von Militärunternehmen ge­setzt wurde. Ein US-Richter erklärte die Entscheidung später für »willkürlich und unberechenbar«, woraufhin die US-Regie­rung den Elektronikanbieter von der Liste entfernte. Für die Marktakteure bleibt je­doch weiterhin unklar, welche Unter­nehmen als Nächstes ins Visier der US-Behör­den geraten können.

Alleingänge oder Koalitionen?

Unilaterale Entscheidungen und kleine Ko­alitionen ermöglichen es oft, neue Regeln schneller umzusetzen. Wenn China jedoch durch andere Anbieter an Technologie ge­langen kann, gleichen Entschlüsse in klei­ner Runde eher einer Art Maginot-Linie, die nur die Illusion von Sicherheit auf­recht­erhält. Am Wassenaar-Arrangement betei­ligen sich 42 Staaten, einschließlich Russ­land und Indien, um sicherzustellen, dass die Beschränkungen flächendeckende Wir­kung zeigen. Allerdings ist das Format durch die Mitgliedschaft Russlands in zentralen Fra­gen, gerade auch was Kontrollen gegen­über China betrifft, handlungsunfähig.

Gelingt keine Einigung mit anderen Staa­ten, bleibt Washington immer das Mittel extraterritorialer Exportkontrolle in Form der FDPR. Das ist aber nur dann effektiv, wenn die USA einen technologischen Vor­sprung haben, den sie als Druck­mittel ein­setzen können – was nur in wenigen Spar­ten der Fall ist. Offene Drohungen schaden den US-Allianzen. Denn Länder, die sich über die extraterritoriale Anwendung des US-Exportkontrollrechts ärgern, können die Zusammenarbeit in anderen Bereichen ver­weigern oder darüber hinwegsehen, dass die eigenen Firmen US-Bestimmungen um­gehen. Selbst unter dem strengeren Export­kontrollsystem in der Zeit des Kalten Krie­ges fanden Unternehmen immer wieder Wege, sensible Technologie in die Sowjetunion zu liefern.

Komplexität

Damit die Vorschriften wirksam umgesetzt werden können, müssen Unternehmen diese nachvollziehen können. Übermäßig komplexe oder weit gefasste Bestimmungen fördern Unsicherheiten. Regeln werden teils (ungewollt) nicht eingehalten, teils auch übererfüllt, wenn Produzenten sich lieber zurückziehen, um Strafen zu entgehen. Unternehmensstrukturen und Lieferketten im Bereich der Spitzentechnologie sind häufig komplex, und der Versuch, die Kon­trollen passgenau auf bestimmte Techno­logien zuzuschneiden, kann zu einem kaum durchschau­baren Regelwerk führen. Die jüngsten US-Richtlinien zum Handel mit Halbleiterprodukten umfassen 139 Seiten.

Kurzfristig vs. langfristig

Ein weiteres Risiko besteht im »Designing out« von US-Komponenten. Der verstärkte Einsatz von Ausfuhrbeschränkungen und insbesondere der FDPR hat Unternehmen in und auch außerhalb Chinas vor Augen ge­führt, wie schnell sie in das Netz der Export­kontrollen geraten können. Dazu reicht es, US-Kom­ponenten und ‑Technologie zu verwenden. Selbst für die USA ist es jedoch schwer, wenn nicht gar unmöglich, den Handel mit bestimmten Technologien dauer­haft zu überwachen. Zugleich reduziert jede Entscheidung, US-Komponenten von China fernzuhalten, langfristig auch die Einflussmöglichkeiten Washingtons. Je weniger China von der US-Technologie abhängig ist, desto weniger wissen die USA über die Stärken und Schwächen der anderen Seite.

Überraschenderweise hat Peking seit der Einführung der neuen US-Exportkontrollen keine Vergeltungsmaßnahmen ergriffen. Das mag einerseits an der Stärke der US-Techno­logieunternehmen liegen, andererseits aber auch ein Ausdruck der Image-Pflege sein, die die Volksrepublik seit kurzem betreibt. Denn Vergeltungsmaßnahmen könnten Unternehmen aus den USA und anderen Ländern zu einem vollständigen »Decoupling« be­wegen. Künftige Investitionen und Techno­logietransfers nach China wären bedroht. Das schließt nicht aus, dass China gegen kleinere Länder wie Japan und die Nieder­lande Vergeltung übt, je nachdem wie weit sie sich den US-Kontrollen anschließen.

Trade-offs aus Perspektive der EU

Umfang

Als Russland im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierte, schloss sich die EU der von den USA angeführten Koalition von 38 Län­dern an, die gemeinsam Finanzsanktionen und weitreichende Exportkontrollen gegen Russland einführten. Die politischen Ent­scheidungsträger der EU zögern jedoch, diese Maßnahmen über den Ausnahmefall hinaus anzuwenden. Wenn die EU-Länder den Forderungen der USA nachkommen, vergleichbare Ausfuhrbeschränkungen einzuführen, gefährden sie ihre Handels- und Investitionsbeziehungen mit China und damit möglicherweise ihre eigene wirtschaftliche Stabilität. Gerade Deutschland hat bisher großen Wert darauf gelegt, seine starken transatlantischen Beziehungen mit einer Offenheit für Geschäfte mit China in Einklang zu bringen. Große EU-Unternehmen, die seit Beginn des Krieges in der Ukraine aufgrund ihres Rückzugs vom russischen Markts und steigender Energie- und Produktionskosten ihre Ge­winne schrumpfen sehen, üben Druck auf die Regierungen der Mitgliedstaaten aus, Geschäfte mit China nicht einzuschränken.

Die EU könnte versuchen, am Status quo festzuhalten und sich den Diskussionen über neue, umfassendere Exportkontrollen zu entziehen. Ein solcher Ansatz birgt je­doch Risiken für die europäische Sicherheit. Untätigkeit wäre mit politischen Kosten verbunden: Sie könnte die Zusammenarbeit mit den USA in anderen Politikbereichen beeinträchtigen. Die EU verliert so jede Möglichkeit, auf US-Entscheidungen über den Umfang und die Ausgestaltung der Ausfuhrkontrollen einzuwirken.

Dabei hatte die EU-Kommission bereits einen großen Schritt auf die USA zu ge­macht, als sie sich im September 2021 mit der US-Regierung auf ein gemeinsames Statement zur Eröffnung des Transatlantic Trade and Technology Council (TTC) einigte. Darin stimmte sie zu, bei Exportkontrollen, die über die traditionellen Ziele hinaus­gehen, mit den USA zusammenzuarbeiten. Als konkrete Fälle, in denen solche Restrik­tionen greifen können, benennt die Erklä­rung Menschenrechtsverletzungen, Sicher­heitsrisiken, die durch neue Technologien entstehen, die zivil-militärische Fusions­politik »bestimmter Akteure« und wirtschaft­liche Zwangsmaßnahmen, die sich gegen die EU oder die USA richten. Obwohl nicht explizit genannt, bezieht sich der gesamte Passus in erster Linie auf China. Setzt die EU die Erklärung nun in die Tat um, könn­te sie damit auch ihre Abwehrkräfte gegen mögliche Versuche Chinas stärken, einen Keil zwischen die Mitgliedstaaten zu trei­ben.

Koalitionen

Die Regierung Biden hat mit unilateralen Exportkontrollen gegen Peking, einschließlich einer neuen FDPR, längst dafür gesorgt, dass EU-Unternehmen sensible Technologien nicht mehr länger ungehindert nach China ausführen können. Da die Spannungen zwischen den USA und China zunehmen, nicht zuletzt im Zu­sammenhang mit Taiwan, sollte Europa in Zukunft mit noch mehr und strengeren Kon­trollen seitens der US-Regierung rechnen.

Verstärkt die EU ihre Zusammenarbeit mit den USA bei den Ausfuhrkontrollen im Rahmen des TTC, hat sie selbst mehr Mög­lichkeiten, Einfluss darauf zu nehmen, wie weit die gemeinsamen Maßnahmen gehen. Darüber hinaus wäre es im EU-Interesse, die Kooperation auch auf andere Wirtschafts­mächte wie Südkorea und Japan zu erwei­tern. Gemeinsam könnte die Entscheidungs­findung in einem plurilateralen Format mit mehr Ländern zunächst zwar aufwendiger werden. Die EU und die USA könnten aber damit sicherstellen, dass Unternehmen in Ost- oder Südostasien die Beschränkungen nicht umgehen. Plurilaterale Exportkontrol­len würden gleiche Wettbewerbsbedingun­gen schaffen, so dass sie beispielsweise US-Unternehmen nicht unverhältnismäßig stark begünstigen – eine Sorge, die kleine­re Länder im Rahmen des Exportkontrollsystems im Kalten Krieg (CoCom) stets teil­ten. Gemeinsam mit asia­tischen Partnern könnte die EU zum Beispiel durch die Gestal­tung von Entscheidungsverfahren und Mehrheitsregeln eine völlige US-Dominanz verhindern.

Empfehlungen für die EU-Mitglied­staaten und die Kommission

In Anbetracht der jüngsten politischen Veränderungen in den USA und in China, der Entwicklungen des Sicherheitsumfelds und des Potentials der neuen Technologien müssen die EU-Staaten ihre bisherigen Ex­portkontrollen überdenken. Zwar hat die EU ihre Vorschriften für die Ausfuhr von Dual-Use-Gütern erst 2021 aktualisiert, doch das Ergebnis war ein Kompromiss, der gene­rell davon absieht, Handelsbeschränkungen, die aufgrund von Menschenrechtsverletzun­gen und der Bedrohung der nationalen Sicherheit erwogen werden, auf der EU-Ebene anzusiedeln, es sei denn, sie sind in multilaterale Regime wie das Wassenaar-Ab­kommen eingebunden. Dieses sieht jedoch bisher keine Maßnahmen gegen einzelne Länder vor. Deshalb waren Exportkontrollen, die sich gegen Russland richten, im Wasse­naar-Rahmen nicht möglich und die EU-Mit­gliedstaaten waren gezwungen, ihre natio­nalen Befugnisse maximal auszuweiten.

Um wirksam handeln zu können, sollten die EU-Länder die Überprüfung und Aktua­lisierung der Ausfuhrkontrolllisten auf EU-Ebene und in den einzelnen Mitgliedstaaten fortsetzen und wo nötig, wie bei den Russ­land-Sanktionen, auch mit EU-Sanktionen verbinden. Ein stärker zentralisierter Pro­zess bei der Bewertung der Durchführung von Kontrollen könnte wesentlich dazu bei­tra­gen, Schlupflöcher zu schließen. Mehr Trans­parenz würde bei den nationalen Regierungen die Gewissheit stärken, dass ihre eigenen Kontrollen nicht dazu führen, dass ihre Unternehmen von Exporteuren in anderen Staaten, für die laxere Regeln gel­ten, ausgestochen werden.

Als Nächstes sollten die EU-Mitgliedstaa­ten ihre Bemühungen verstärken, Investi­tionskontrollen in das breitere EU-Konzept zur Kontrolle sensibler Güter und Technologien miteinzubeziehen. Die EU-Kommis­sion hat bereits hilfreiche Risikobewertungs­kriterien entwickelt, aber die Mitglied­staaten sollten bereitwilliger Informationen über ihre Investitionsscreening-Prozesse, und auch über ihre Bewertungskriterien, innerhalb der EU zur Verfügung stellen.

Ein Ziel der EU-Kommission sollte es sein, die US-Regierung davon zu überzeugen, dass die europäischen Kontrollen robust genug sind, um auf die Anwendung der FDPR für Güter und Technologien, die zwischen Europa und den USA gehandelt werden, verzichten zu können – wie bereits im Februar 2022 bei den Russland-Kontrollen ge­schehen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Exportkontrollstrategien auch einen positiven Impuls für den Abbau von Barrieren zwischen Verbündeten be­inhalten. Wenn die EU insgesamt weniger Exportkontrollen einführt als die USA, soll­te für Washington trotzdem klar erkennbar sein, dass dieses »Weniger« nicht gleich­bedeutend ist mit zu schwachen Kontrollen. Sonst droht ein Umleiten von eigentlich kontrollierten Produkten, was am Ende den Handel noch stärker ankurbeln könnte, an­statt ihn zu unterbinden.

Gleichzeitig müssen die europäischen Regierungen ihre eigene Vorstellung davon entwickeln, wie ein Nachfolger oder eine Ergänzung des Wassenaar-Arrangements als multi- oder plurilateraler Rahmen für die Kontrolle der Verbreitung von Dual-Use-Gütern und sensiblen neuen Technologien aussehen sollte. Die Koordinierung der gemeinsamen Russland-Kontrollen erfolgte ad hoc, aber es besteht die einmalige Gele­genheit, sie zu institutionalisieren und da­mit dauerhafter und wirksamer zu machen, um gemeinsam Sicherheitsbedrohungen anzugehen.

Martin Chorzempa ist Senior Fellow am Peterson Institute for International Economics (PIIE) in Washington, D.C. Dr. Laura von Daniels ist Leiterin der Forschungsgruppe Amerika.

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