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Neue Konnektivität im Golf von Bengalen

Chancen und Perspektiven der »Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation« (BIMSTEC)

SWP-Aktuell 2018/A 64, 22.11.2018, 4 Seiten Forschungsgebiete

Dank des Engagements Indiens hat die Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation (BIMSTEC) seit 2016 einen neuen Aufschwung erfahren. Indien hofft zum einen, durch eine Intensivierung der regionalen Koope­ration den schwer zugänglichen Nordosten des eigenen Landes besser entwickeln zu können. Zum anderen will es in Anbetracht der Investitionen der chinesischen Belt and Road Initiative in den Nachbarstaaten seinen Führungsanspruch in der Region untermauern. Aus internationaler Perspektive ist BIMSTEC ein wichtiger Baustein der indischen »Act East«-Politik im Kontext der neuen Bedeutung des Indo-Pazifischen Raums. Mit der Unterstützung von BIMSTEC können Deutschland und die Europäi­sche Union (EU) ihre strategische Partnerschaft mit Indien vertiefen und zugleich ihre Sichtbarkeit im Golf von Bengalen erhöhen.

BIMSTEC wurde 1997 zunächst als BIST-EC (Bangladesh, India, Sri Lanka, and Thailand Economic Cooperation) ins Leben gerufen. Nach der Aufnahme Myanmars im gleichen Jahr nannte sie sich BIMSTEC. Der Eintritt von Nepal und Bhutan 2004 machte dann eine weitergehende Umbenennung notwen­dig. Ziel der Organisation war die Förde­rung der wirt­schaftlichen Zusammenarbeit der An­rainerstaaten am Golf von Bengalen.

Die Mitgliedstaaten von BIMSTEC haben sehr unterschiedliche Erfahrungen mit regionaler Kooperation. Thailand und Myanmar sind Mitglieder der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN), die als erfolgreiche Regionalorganisation gilt. Der intraregionale Handel der ASEAN-Mitglied­staaten beläuft sich gegenwärtig auf circa 29 Prozent ihres gesamten Warenverkehrs. Des Weiteren hat die ASEAN multilaterale sicherheitspolitische Institutionen wie das ASEAN Regional Forum (ARF) und den East Asia Summit (EAS) etabliert, um auch ex­terne Großmächte in die Region einzubinden.

Bangladesch, Bhutan, Indien und Nepal sind Mitglieder der South Asian Association for Regional Cooperation (SAARC), die als eher erfolgloses Modell regionaler Kooperation in Asien gilt. Der intraregionale Han­del liegt bei lediglich sieben Prozent. Der indisch-pakistanische Konflikt hat die Ent­wicklung der Organisation immer wieder gehemmt. Eine nennenswerte regionale Zusammenarbeit hat sich in Südasien des­halb nicht herausgebildet.

Die sieben Mitgliedstaaten der BIMSTEC-Kooperation zählen rund 1,5 Milliarden Men­schen. Das sind zwar 22 Prozent der Weltbevölkerung, doch etwa 90 Prozent davon leben in Indien. Das kombinierte Bruttoinlandsprodukt (BIP) beläuft sich auf 2,7 Billionen US-Dollar. Das Wirtschaftswachstum der BIMSTEC-Staaten lag in den letzten fünf Jahren bei 6,5 Prozent.

Die Entwicklung von BIMSTEC verlief anfangs schleppend, da ihr die Mitglieder nur geringe politische Aufmerksamkeit schenkten und die Organisation schwache institutionelle Strukturen hatte. So sollte es ursprünglich alle zwei Jahre ein Treffen auf höchster Ebene geben. Es fanden jedoch bisher nur vier Gipfeltreffen statt (2004 in Bang­kok, 2008 in Neu-Delhi, 2014 in Nay­pyidaw und 2018 in Kathmandu). Die Mit­gliedstaaten konnten sich bislang nicht auf ein Freihandelsabkommen verständigen. Der intraregionale Handel liegt somit nur bei knapp fünf Prozent. Allerdings haben sich die Außen- und Handelsminister der betei­ligten Staaten regelmäßig getroffen und Kooperationsprojekte erörtert. Beim Gipfel­treffen 2014 wurde die Einrichtung eines Sekretariats beschlossen, das noch im glei­chen Jahr in Dhaka seine Arbeit auf­nahm. Die Zahl der Arbeitsgruppen hat sich von anfangs sechs auf mittlerweile 14 erhöht.

Indiens Initiative

Die neue Aufmerksamkeit, die BIMSTEC in den letzten Jahren erhalten hat, ist im Wesentlichen dem verstärkten Engagement Neu-Delhis zu verdanken. Noch 2015 gab es in Indien einige Stimmen, die die Perspektiven von BIMSTEC kritisch beurteilten. Zwei Entwicklungen könnten den Aus­schlag für eine Neubewertung der Organisation gegeben haben: Erstens haben sich die Beziehungen zu Pakistan weiter verschlechtert. Ende Dezember 2015 hatte Premier­minister Modi überraschend seinen pakis­tanischen Amtskollegen Nawaz Sharif be­sucht und damit Hoffnungen auf eine er­neute Annäherung geweckt. Diese wurden allerdings bereits im Januar 2016 durch einen Terroranschlag in der indischen Stadt Pathankot zunichte gemacht. Zweitens be­gann die chinesische Regierung in dieser Zeit, verschiedene, bereits begonnene Ko­operationsprojekte wie den »Bangladesch, China, India Myanmar (BCIM)«-Korridor als Teil ihrer Belt and Road Initiative (BRI) dar­zustellen. Da Indien als eines der wenigen Länder in Asien eine Teilnahme am BRI ablehnt, zeigte die Regierung in Neu-Delhi in der Folge kaum noch Interesse an dem BCIM-Projekt.

Mitte Oktober 2016 fand im indischen Goa der BRICS-Gipfel (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) statt. Auf Initia­tive Indiens wurde das BRICS-Meeting mit einem Outreach-Treffen mit den Staatschefs der BIMSTEC-Länder verbunden. Die indi­sche Regierung nutzte diese Gelegenheit, um BIMSTEC als eine Alternative zur SAARC darzustellen. Wegen eines Terroranschlags auf einen Militärstützpunkt im indischen Teil Kaschmirs im September 2016 hatte die Regierung in Neu-Delhi ihre Teilnahme am bevorstehenden SAARC-Gipfel in Pakistan abgesagt. Andere SAARC-Staaten wie Afgha­nistan, Bangladesch, Bhu­tan und Nepal schlossen sich der indischen Entscheidung an. Indien lud zu dem BRICS-BIMSTEC-Gip­fel noch die Malediven und Afghanistan als Beobachter ein. Beide Staaten sind nicht Mit­glied von BIMSTEC, wohl aber von SAARC. Die Staats- und Regierungschefs von BIMSTEC verurteilten in ihrem Abschlussdokument den Terrorismus und erklärten ihren Willen zu einer engeren sicherheitspolitischen Zusammenarbeit, ein Statement, das sich nach Ansicht aller Beobachter klar gegen Pakistan richtete.

Seit 2016 kann BISTEC eine Reihe von positiven Entwicklungen verbuchen: Im August des Jahres wurde die BIMSTEC Trans­port and Connectivity Working Group (BTCWG) ins Leben gerufen. 2017 legte die thailändische Regierung den Entwurf für einen BIMSTEC Master Plan for Connectivity vor. Die Mitgliedstaaten verhandeln derzeit über Vereinbarungen zur Förderung der Küstenschifffahrt und des Kraftfahrzeug­verkehrs. Ein Abkommen über die Verbesse­rung der Zollabfertigung ist bereits unter­zeichnet worden. Über den Ausbau grenz­überschreitender Stromnetze gibt es eine Absichtserklärung. Schließlich wurde die sicherheitspolitische Zusammenarbeit ver­stärkt, unter anderem durch die Ansetzung regelmäßiger Treffen der Innenminister und der Vertreter der Sicherheitsapparate. Das Interesse Indiens an einer solchen enge­ren sicherheitspolitischen Kooperation er­hielt aber bereits erste Rückschläge. So ent­sandten Nepal und Thailand zu dem ersten gemeinsamen militärischen Manöver der BIMSTEC-Staaten im September 2018 in Indien nur Beobachter. Vor allem die Nicht­teilnahme Nepals wurde von Beobachtern mit dem politischem Druck erklärt, den Peking auf Kathmandu ausübt. Beide Staa­ten führten anschließend ihrerseits ein ge­meinsames Manöver durch.

Das neue Interesse an BIMSTEC

Mit BIMSTEC verbindet Indien wichtige in­nenpolitische, regionale und internationale Aspekte seiner Außenpolitik. Innenpolitisch soll durch eine erhöhte Konnektivität in diesem Raum zugleich auch der Zugang in den Nordosten Indiens verbessert werden. Die Region ist bislang nur durch einen circa 20 Kilometer breiten Korridor zwischen Bangladesch und Nepal erreichbar. Auf den nördlichsten Bundesstaat in diesem Raum, Arunachal Pradesh, erhebt China seit Jahr­zehnten Anspruch. Zugleich kämpfen eine Reihe von militanten Gruppierungen im Nordosten für größere Autonomie, teilweise auch für Unabhängigkeit. Die Region gilt seit vielen Jahren als Landbrücke für eine engere Zusammenarbeit mit Südostasien und der ASEAN. Seit Anfang der 1990er Jahre verfolgen die indischen Regierungen eine »Look East«-Politik, die Premierminister Modi nach 2014 zu einer »Act East«-Politik aufwertete. Neben dem Nordosten selbst würde eine verbesserte, im Verbund mit den Anrainerstaaten im Golf von Bengalen stimulierte wirtschaftliche Entwicklung ver­mutlich auch den etwa 300 Millionen Men­schen zugutekommen, die in den Bun­des­staaten an der indischen Ostküste leben.

Zweitens verknüpft sich mit BIMSTEC für Indien auch die Chance, dem wachsenden Einfluss Chinas in der Region eigene Kon­nektivitätsprojekte entgegenzusetzen. China verfügt traditionell über sehr gute militärische und wirtschaftliche Beziehungen mit Myanmar und hat in den letzten Jahren im Rahmen der BRI massiv in Bangladesch, Nepal und Sri Lanka investiert. BIMSTEC ist für Indien in verschiedener Hinsicht attrak­tiver als zum Beispiel SAARC, ein Format, in dem der Konflikt mit Pakistan immer wieder Fortschritte blockiert hat. Zudem sind Südostasien und die ASEAN unter poli­tischen und ökonomischen Gesichtspunkten für Indien nützlichere Partner als die Nachbarstaaten in Südasien.

Für die anderen BIMSTEC-Mitglieder hat die Organisation ebenfalls an Bedeutung gewonnen. In Sri Lanka konzentriert sich die außenpolitische Diskussion in den letz­ten Jahren nicht mehr so sehr auf Südasien als vielmehr auf neue Initiativen wie die Indian Ocean Rim Association (IORA) oder eben BIMSTEC. Die Himalaja-Staaten Nepal und Bhutan sehen in BIMSTEC eine willkom­mene Möglichkeit, ihre Handelswege zu diversifizieren. Bangladesch verspricht sich von dem Kooperationsprojekt eine Verbesse­rung seiner Beziehungen zu Südostasien, auch wenn bilaterale Probleme wie die Ver­treibung der Rohingyas mit Myanmar in die­sem Kontext nicht erörtert werden. Thailand hat ebenfalls ein Interesse, seine Beziehun­gen mit Südasien zu vertiefen, und engagiert sich in der BIMSTEC-Organisation unter anderem in der Frage einer möglichen Ver­netzung der Hafenstädte in der Region.

BIMSTEC, Deutschland und die EU

Die BIMSTEC-Kooperation hat poli­tisch in den letzten Jahren einen deutlichen Auf­wind erhalten, auch wenn die konkreten Ergebnisse bisher noch eher bescheiden ausfallen. Gleichwohl ist BIMSTEC für die deutsche und europäische Asienpolitik von Bedeutung, denn die Stärkung regionaler Kooperation bzw. Konnektivität ist seit vie­len Jahren eines ihrer zen­tralen Anliegen.

Wegen des eklatanten Übergewichts der chinesischen Investitionen verlieren gegen­wärtig viele regionale Kooperationsprojekte an Attraktivität für ihre Mitglieder. Denn auf diese Weise nehmen die handelspolitischen, finanziellen und auch die politischen Abhängigkeiten von China zu. Die EU setzt in ihrer im Herbst 2018 veröffentlichten Konnektivitätsstrategie gegenüber Asien weiterhin auf die Förderung der regionalen Kooperation. Dabei legt sie ihren Schwerpunkt auf den Aufbau von Transport-, Ener­gie- und digitalen Netzwerken. Diese Berei­che stehen auch bei BIMSTEC im Vordergrund. Darüber hinaus könnten Deutsch­land und Indien durch eine engere Kooperation im BIMSTEC-Rahmen auch ihre strategische Partnerschaft vertiefen. Indien ist mittlerweile bereit, auch mit anderen Staaten in solchen Projekten zusammenzuarbeiten, wie die India and Japan Vision 2025 zeigt. BIMSTEC will sich ebenfalls für die Zusam­menarbeit mit internationalen Organisationen öffnen. Schließlich könnten Deutschland und die EU mit der Unterstützung von BIMSTEC ihre Sichtbarkeit im Indo-Pazifi­schen Raum erhöhen.

Wie für andere Regionalorganisationen besteht auch für BIMSTEC die Herausforde­rung darin, jenseits aller gutgemeinten Vor­schläge finanzielle und personelle Kapazi­täten bereitzustellen. So verfügt das Sekre­tariat bislang nur über einen eher kleinen Etat und eine geringe Sach- und Personalausstattung. In beiden Bereichen verfügen Deutschland und Europa über reichhaltige Expertise. Gerade eingedenk der oben ge­nannten negativen Implikationen, die die BRI für regionale Kooperationsprojekte haben könnte, sollte es auch im Interesse der deutschen und euro­päischen Politik liegen, eine neu belebte Organisation wie BIMSTEC zu unterstützen.

Dr. habil. Christian Wagner ist Senior Fellow der Forschungsgruppe Asien.

Dr. Siddharth Tripathi ist Post-Doc-Fellow an der Willy Brandt School of Public Policy, University of Erfurt.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2018

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