Unterzeichnung des asiatisch-pazifischen Freihandelsabkommens RCEP am 15. November 2020, Vereinbarung eines Investitionsabkommens zwischen der EU und China (CAI) am 30. Dezember, und nun Erweiterungsperspektiven für das Transpazifische Partnerschaftsabkommen CPTPP – die Handelspolitik in und mit Asien nimmt sichtlich Fahrt auf. In der Großregion Ostasien, die aus Japan, Südkorea, China und der ASEAN-Gemeinschaft besteht, wird sich die ökonomische Integration über Handel, Investitionen, Lieferketten und digitale Vernetzung beschleunigen. Dagegen müssen die außen vor bleibenden Regionen Nordamerika, Europa und Indien befürchten, dass Handelsströme umgelenkt werden. Gleichzeitig ist die Geopolitik zu einem bestimmenden Faktor der Handelspolitik geworden. Jegliche Vereinbarung ist immer auch eine politische Positionierung im Kontext der sino-amerikanischen Rivalität oder zumindest eine Rückversicherung gegenüber kommerziellen bzw. technologischen Decoupling-Risiken. Welche wirtschaftlichen und politischen Perspektiven ergeben sich aus den Handels- und Investitionsabkommen? Welche Ziele und Strategien verfolgen die maßgeblichen Akteure? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Europas Handelspolitik?
Die bemerkenswerten Erfolge, die Ostasien wirtschaftlich in den vergangenen fünf Dekaden erzielte, beruhen nicht auf Isolation und Autarkie. Im Gegenteil – die hohen Wachstumsraten, die rasche Industrialisierung und die regionale Wohlstandsbildung wären ohne Außenhandel und handelsbezogene Direktinvestitionen kaum möglich gewesen. Der innerasiatische Handel ist inzwischen größer als der Handel Asiens mit der übrigen Welt. Asien selbst ist zur weltweit größten Handelsregion geworden, mit China als ihrem natürlichen Zentrum. Allerdings verändern sich die außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen seit der Jahrtausendwende fundamental. Dass der jahrzehntelange Aufwärtsprozess der Region sich fortsetzt, ist nicht mehr gesichert.
Von der Handelspolitik zur Geoökonomie
Ob bzw. wie lange noch die etablierte Sicherheitsordnung der Pax Americana die geopolitische Stabilität Asiens sichern kann, ist ungewiss geworden. Während die sicherheitspolitische Rolle Amerikas von seinen regionalen Allianz- und Handelspartnern nach wie vor hoch geschätzt wird, ist China der wichtigste Handelspartner für inzwischen alle Länder der Region, bei weiterhin zunehmenden Anteilen an den regionalen Liefer- und Absatzmärkten. Dabei geriert sich das »Reich der Mitte« mehr und mehr als revisionistische Großmacht. Pekings aggressive Außenpolitik zeigt, dass politische Vormachtstellung und wachsende militärische Schlagkraft die chinesische Bereitschaft gesteigert haben, eigene Interessen konfliktiv durchzusetzen – notfalls auch brachial unter Zuhilfenahme ökonomischer und militärischer Drohungen.
Generell wird die vordergründig an nationalen Wirtschaftsinteressen orientierte Handelspolitik zunehmend von außen- und sicherheitspolitischen Überlegungen dominiert. So betreiben die USA in technologisch sensiblen Bereichen aktiv ein Decoupling Chinas und nötigen Verbündete wie Partnerstaaten, dieser Politik Folge zu leisten. Die Volksrepublik wiederum versucht, ihre Verwundbarkeit zu mindern, und strebt nach technologischer Autonomie. Unternehmen aus Drittländern fürchten mit gutem Grund, sich im Zuge dieses Konflikts definitiv für die eine oder die andere Seite entscheiden zu müssen. China und die USA scheuen nicht davor zurück, Sanktionen, Boykott und Strafzölle als außenpolitische Zwangsmittel einzusetzen. Aber auch andere Länder, zuvorderst Japan, gestalten ihre Handelspolitik sehr strategisch und verfolgen dabei explizit geopolitische Ziele.
Der Trend zur Geoökonomie wird befördert durch die fortschreitende Erosion des multilateralen Rahmenwerks der Welthandelsorganisation (WTO). Ihrer vertraglich festgelegten Aufgabe einer multilateralen Handelsliberalisierung ist die 1994 gegründete WTO bislang ohnehin nur rudimentär nachgekommen. Die handelspolitische Streitschlichtung der Organisation liegt auf Eis, seit im Dezember 2019 entsprechende Richterstellen nicht nachbesetzt wurden. China missachtet fortlaufend so fundamentale Prinzipien wie Nichtdiskriminierung, Meistbegünstigung und Transparenz, während die USA (unter Trump) das Vertragsrecht der Organisation mehrfach verletzt haben – Vorgänge, denen die WTO und ihre betroffenen Mitgliedstaaten nichts entgegensetzen. Wenn zugleich Handelsrecht und Liberalisierung von der WTO nicht weiterentwickelt werden, ist es wenig überraschend, dass Asiens von der Weltwirtschaft so abhängige Handelsstaaten ihre eigenen bi- und multilateralen Vereinbarungen treffen. Das Interesse an Handel und Investitionen, die entwicklungs- und wachstumsstimulierend wirken, ist in der Region ungebrochen. Es wird nun aber zunehmend strukturbildend ergänzt durch das Element der Geopolitik.
RCEP – Handelsliberalisierung »ASEAN Way«
Mit dem am 15. November 2020 unterzeichneten Handelsabkommen einer Regionalen Umfassenden Wirtschaftlichen Partnerschaft (Regional Comprehensive Economic Partnership, RCEP) begründen die zehn ASEAN-Staaten zusammen mit Japan, China, Südkorea, Australien und Neuseeland die größte Freihandelszone der Welt. Das Abkommen wird in Kraft treten, sobald mindestens sechs ASEAN-Staaten und drei weitere Partner es ratifiziert haben. Von seiner Dimension her – 2,2 Milliarden Menschen, rund 30 Prozent der Weltproduktion und des Welthandels – kann das Abkommen kaum überschätzt werden. Erstmals sind mit RCEP auch die nordostasiatischen G20-Länder Japan, China und Südkorea in einem Handelsabkommen verbunden.
RCEP dokumentiert die handels- und außenpolitische Zentralität der ASEAN-Gemeinschaft, der die Initiative und die Federführung für das Abkommen oblag. Unmittelbares Motiv der Verhandlungen war, die bestehenden ASEAN+1-Freihandelsabkommen mit ihren Dialogpartnern zu konsolidieren. Im Ergebnis ist RCEP kein tiefes, anspruchsvolles Handelsabkommen geworden. Die vereinbarten Standards – etwa bei geistigen Eigentumsrechten, Dienstleistungen, Investitionen, handelsbezogener Personenfreizügigkeit – sind durchgehend schwach ausgeprägt und wenig zukunftsweisend. Andererseits hat es gerade das geringe Anspruchsniveau ermöglicht, Entwicklungsländer einzubeziehen, denen zudem individuell längere Übergangsfristen und eine differenzierte Anpassung zugestanden wurden. Diese Vorgehensweise entsprang dem Anspruch und der Zielsetzung, wie sie von ASEAN verfolgt werden: nämlich die Staaten der indo-pazifischen Region zur Förderung von wirtschaftlicher Integration, von Wachstum und Entwicklung in einem großen, offenen Handels- und Investitionsraum zu vereinen, dabei auch die weniger entwickelten Staaten zu integrieren und den als spalterisch empfundenen Tendenzen der vormaligen Initiative für eine Transpazifische Partnerschaft (TPP) entgegenzuwirken. Die Unterzeichnung des Abkommens markiert dabei nicht das Ende der Verhandlungen. Für Drittstaaten, insbesondere das bislang nicht einbezogene Indien, soll RCEP beitrittsoffen sein. Auch eine inhaltliche Weiterentwicklung ist angedacht. Tatsächlich weiß man aus der Vergangenheit, dass ASEAN-Handelsabkommen schwach beginnen, dann aber sukzessive nachgebessert und modernisiert werden. Vorgesehen ist, dass ein noch zu schaffendes RCEP-Sekretariat dafür Sorge tragen soll, das Abkommen kontinuierlich anzupassen und fortzuentwickeln.
Handelspolitisch stehen Liberalisierung und Erleichterung des Warenverkehrs im Mittelpunkt des Abkommens. Mit seinem Inkrafttreten sind 65 Prozent des RCEP-Intrahandels zollfrei, nach zwanzig Jahren sollen es mindestens 92 Prozent sein. Allerdings erfolgt die Liberalisierung nicht einheitlich. In etwa der Hälfte der Länder gelten weiterhin je nach RCEP-Handelspartner differenziert unterschiedliche Zollsätze. Außerdem kommen verschiedene Zolltarifsysteme zur Anwendung. Aber die Zollabwicklung wird künftig sehr viel einfacher vonstattengehen. Um etwa einen Warenursprung zu belegen, genügt fortan ein einziges Dokument über mehrere Verarbeitungsstufen und Grenzwechsel. Die handelsbegleitende Datendokumentation ist zentral in einem RCEP-Mitgliedsland möglich.
Die Zollsenkungen betreffen vor allem Industriewaren, weniger Agrargüter. Während die ASEAN-Staaten ihre aufgrund früherer ASEAN+1-Abkommen bilateral ohnehin niedrigen Außenzölle kaum weiter reduzieren, sind die Zollsenkungen Chinas (und in geringerem Maße Südkoreas) gegenüber Japan durchaus substantiell. Einige Beobachter in Japan bezeichnen RCEP daher gar als »China-Japan-Freihandelsabkommen«. Eine herausragende Handelserleichterung ist die RCEP-intern künftig einheitliche Geltung der vergleichsweise einfach handhabbaren ASEAN-Ursprungsregeln, die als Beleg dafür dienen, dass nur Waren aus der Freihandelszone, nicht jedoch aus Drittländern in den Genuss der Zollbefreiung kommen.
Mit einem überschaubaren bürokratischen Aufwand wird es möglich, die Ursprungswerte über mehrere nationale Verarbeitungsstufen zu kumulieren. In der Regel wird der Mindestwertschöpfungsanteil auf FOB-Basis mit bescheidenen 40 Prozent angesetzt, das heißt ein Höchstanteil für Zulieferungen aus Drittländern in Höhe von 60 Prozent. Die Harmonisierung der Informationspflichten und die Festlegung auf eine einheitliche Mindestwertschöpfung würden nach einer Prognose von Euler Hermes im Intra-RCEP-Warenverkehr pro Jahr 90 Milliarden US-Dollar an Kosten einsparen.
Die amerikanischen Ökonomen Peter Petri und Michael Plummer schätzen, dass der RCEP-Handel nach Vertragsumsetzung um 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr zunehmen wird und die handelsbezogenen Einkommenseffekte sich jährlich auf 186 Milliarden US-Dollar belaufen werden, wobei davon etwa knapp die Hälfte auf China und knapp ein Viertel auf Japan entfallen. Von den Zollsenkungen profitiert demnach Nordostasien stärker, als dies Südostasien und Australien/Neuseeland tun. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens liegen in Nordostasien die nach absoluten Werten größeren Volkswirtschaften, zweitens senken China und Südkorea die Zölle am meisten. Den Handelsgewinnen stehen zugleich Handelsablenkungen gegenüber. So geht die Intensivierung der Handels- und Investitionsverbindungen im RCEP-Raum in dynamischer Perspektive zu Lasten der transpazifischen und eurasischen Handels- und Investitionsströme, auch wenn die asiatischen Niederlassungen europäischer oder amerikanischer Unternehmen von den Erleichterungen und Liberalisierungen im Warenhandel gleichermaßen wie die Betriebe vor Ort profitieren.
Wichtiger noch als die unmittelbaren Handelswirkungen dürften die Impulse sein, die das Abkommen für Investitionen und die Konfigurierung der Wertschöpfungsketten liefert. Die Kombination aus Zollsenkungen, Erleichterung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs und Vereinheitlichung von Ursprungsregeln wird eine Reorganisation der Zuliefererketten anstoßen. Dies gilt umso mehr, als der Produktionsstandort China aufgrund der Kostensituation und amerikanischer Strafzölle ohnehin unter Druck steht und Peking selbst eine Wirtschaftspolitik des ökonomischen und technologischen Upgrading verfolgt. Von diesem Trend könnten gerade die ärmeren Länder Südostasiens – darunter Kambodscha, Myanmar, Indonesien, Philippinen – profitieren, deren Profile als Investitionsstandort nun den neuen harmonisierten RCEP-Standards entsprechen müssen.
Gewinner China
Der wirtschaftliche Integrationsschub, der von RCEP ausgeht, wird insbesondere China zugutekommen. RCEP und das komplementäre CPTPP-Abkommen (siehe unten) stützen die nationalen Wachstumskräfte in der Region und deren außenwirtschaftliche Ausrichtung auf China als industriellen Kern, indem sie die Handelsintegration in einem erweiterten Ostasien ermöglichen und dabei die Wettbewerbsfähigkeit von Gütern und Dienstleistungen »Made in Asia« erhöhen. Die Volksrepublik dürfte ihre Rolle als regionales Gravitations- und Kraftzentrum damit weiter ausbauen. Pekings Belt-and-Road-Initiative unterstützt diesen Trend zusätzlich, weil sie ökonomische Abhängigkeiten zugunsten Chinas schafft. Dessen Position wird auch dadurch gestärkt, dass sich der seit vier Dekaden anhaltende Trend eines im Vergleich zu anderen Weltregionen höheren Wirtschaftswachstums Ostasiens fortsetzen wird. Dies gilt umso mehr, als die Region die Covid-19-Pandemie gesundheitspolitisch und ökonomisch vergleichsweise gut meistert und nach dieser Krise weniger strukturelle Verwerfungen wird abarbeiten müssen.
China ist zudem der politische Gewinner von RCEP. Politische Motive dürften die Kompromissbereitschaft des Landes in den Verhandlungen denn auch befördert haben. Denn mit deren Abschluss Ende 2019 hat China bewiesen, dass es Amerikas Bemühungen, die Volksrepublik einzuhegen und zu isolieren, widerstehen kann. Die Unterzeichnung des Abkommens im November 2020 dokumentierte ein regionales Einvernehmen, ungeachtet der aggressiven Außenpolitik, die Peking im selben Jahr gegenüber einigen der Nachbarn betrieben hatte.
Verlierer Indien
Indien hat den RCEP-Kompromiss, der nach 31 Verhandlungsrunden und 18 Ministertreffen gefunden wurde, letztlich nicht mitgetragen und ist im November 2019 aus dem Prozess ausgestiegen. Durch die Nichtteilnahme am Abkommen entgehen Indien Einkommen in Höhe von 60 Milliarden US‑Dollar jährlich, wie die Ökonomen Petri und Plummer schätzen. Der Ausschluss des Landes von Asiens Lieferketten wird die Entwicklung und Industrialisierung des indischen Subkontinents nachhaltig belasten. Politökonomisch ist Neu-Delhis Vorgehen aber zumindest teilweise nachvollziehbar. Indiens Bundesregierung fürchtete die Importkonkurrenz aus China (Industriewaren), aus Australien (Molkereiprodukte) und aus Südostasien (Gewürze) und war nicht bereit, Freihandel bei digitalen Daten und Quellcodes zu akzeptieren. Andererseits konnte Indien eigene Forderungen nicht durchsetzen, wie die nach einem Snapback-Mechanismus bei übermäßigen Warenimporten, nach restriktiveren Ursprungsregeln – die seine Industrie schützen sollten – und nach einer weiterreichenden Öffnung der RCEP-Dienstleistungsmärkte. Vor allem war und ist eine Liberalisierung des Warenhandels mit China in dem Land politisch nicht durchsetzbar. Denn Indien hat hier ohnehin schon ein hohes Defizit; die bilaterale Handelsstruktur wird als kolonialistisch empfunden, der chinesische Wettbewerb als unfair.
Neu-Delhi betrieb ab Mitte der 1990er Jahre durchaus erfolgreich eine Politik der außenwirtschaftlichen Liberalisierung und der weltwirtschaftlichen Integration. Doch unter Premierminister Narendra Modi hat ein Kurswechsel stattgefunden. Wie die aktuellen wirtschaftspolitischen Leitlinien »Make in India« und »Self-Reliant India« anzeigen, orientiert sich die Entwicklungsstrategie wieder stärker nach innen. Industriepolitik hat an Stellenwert gewonnen. Die Protektion nach außen nimmt zu, insbesondere gegenüber China.
CAI – Priorität für Marktzugang
Kurz vor Jahresende 2020 einigten sich die EU und China auf ein Umfassendes Investitionsabkommen (Comprehensive Agreement on Investment, CAI). Vorausgegangen waren dem Abschluss 34 zähe Verhandlungsrunden über sieben Jahre hinweg. Die Aussicht auf eine gemeinsame handelspolitische Front des Westens hatte China kurz vor Amtsantritt der Biden-Administration zu entscheidenden Zugeständnissen genötigt. Im Ergebnis wird CAI den Marktzugang europäischer Unternehmen substantiell verbessern und die Wettbewerbsbedingungen für Investoren in China meistbegünstigend ein Stück weit fairer und regelgebundener gestalten, während der EU-Binnenmarkt für chinesische Investoren auch künftig offen bleiben wird. China verzichtet auf unfreiwilligen Technologietransfer und auf Joint-Venture-Zwang, zudem verspricht es Transparenz bei staatlichen Subventionen und der Regulierung seiner Staatsunternehmen. In einem Nachhaltigkeitskapitel akzeptiert Peking überdies Bemühungsklauseln zur Einhaltung von Umwelt- und Arbeitsstandards. Avisiert ist sogar, die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zur Zwangsarbeit zu unterzeichnen.
Allerdings ist fraglich, ob und gegebenenfalls wie stringent CAI umgesetzt wird. Zum einen besteht aufgrund entsprechender Negativerfahrungen große Skepsis, ob China seine der EU gegebenen Zusagen tatsächlich einhalten wird. Zumindest wird es politisch nachdrücklicher Anstrengungen der europäischen Seite bedürfen, auf eine vertragsgerechte Umsetzung zu drängen. Zum anderen ist angesichts heftiger Kritik in Europa höchst unsicher, ob es überhaupt zu einer Unterzeichnung während der französischen EU-Ratspräsidentschaft 2022 und einer anschließenden Ratifizierung durch das Europäische Parlament kommen wird.
Offensichtlich ist, dass sich die EU als ein unabhängiger handelspolitischer Akteur positioniert, der nicht nur für einen verbesserten Marktzugang europäischer Unternehmen eintritt – und dabei China beachtliche Konzessionen abringen kann –, sondern auch für eine regelbasierte Handelsordnung und die Durchsetzung der eigenen Regulierungsstandards. Mit CAI dokumentiert die EU, dass sie gegenüber China prinzipiell an ihrer Politik der Einbindung und Interdependenz festhält und zumindest wirtschaftlich keine Entkoppelung von der Volksrepublik anstrebt, auch wenn die politischen Gegensätze in den vergangenen Jahren gewachsen sind.
Europas handelspolitische Positionierung wird jedoch erkauft durch einen Verlust an außenpolitischer Glaubwürdigkeit. Unter der Regentschaft Xi Jinpings hat China sich autoritär verhärtet und gerade im zurückliegenden Jahr 2020 eine aggressive Politik betrieben, etwa gegenüber Hongkong, Taiwan, Australien, Indien und Schweden. In diesem Lichte werten Kritiker aus Europas Zivilgesellschaft, Medien und Parlamenten die Übereinkunft der EU mit Peking zu Recht als opportune Akzeptanz chinesischer Realpolitik. Mit der bewusst und sichtlich gewählten Priorität für Marktzugang verliert der Anspruch, gegenüber dem »Systemrivalen« China die europäischen Werte Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu vertreten, politisch an Überzeugungskraft. Zudem hätte das Timing für den Abschluss der Verhandlungen kaum schlechter sein können, unmittelbar vor Amtsantritt der demokratischen Biden-Administration, die offen für eine gemeinsame China-Politik des Westens wirbt. CAI wird es Europa und den USA nicht einfacher machen, eine einheitliche Position gegenüber Peking zu finden. Genau dies aber dürfte China mit seinem Einlenken kurz vor Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft bezweckt haben. Nun kann es sich als verantwortungsvolle, dem Multilateralismus verpflichtete Großmacht präsentieren. Für Europa bleibt die bittere Erkenntnis, dass die EU in dem Dilemma zwischen außenwirtschaftlichen Interessen und außenpolitischem Anspruch die rechte Balance noch nicht gefunden hat.
CPTPP – auf dem Wege zur Erweiterung
Im Januar 2017 zogen sich die USA unter dem frisch ins Amt gekommenen Präsidenten Donald Trump aus dem – mit amerikanischer Federführung verhandelten – transpazifischen Freihandelsabkommen TPP zurück. Daraufhin vereinbarten die verbliebenen elf Staaten, die Initiative ohne Washington weiterzuverfolgen. Tatsächlich unterzeichneten Australien, Brunei, Chile, Japan, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam am 8. März 2018 das Abkommen unter der neuen Bezeichnung Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTPP, auch TPP-11). Vom ursprünglichen Vertragstext ausgesetzt – aber nicht entfernt – wurden lediglich 22 Vertragsklauseln, überwiegend angesiedelt im Bereich der geistigen Eigentumsrechte. Bereits am 30. Dezember 2018 trat CPTPP für die Vertragsstaaten Australien, Japan, Kanada, Mexiko, Neuseeland und Singapur in Kraft, für Vietnam am 14. Januar 2019. Brunei, Chile, Malaysia und Peru haben CPTPP bis heute nicht ratifiziert.
Auch ohne amerikanische Beteiligung ist CPTPP das wichtigste Handelsabkommen seit Gründung der WTO im Jahr 1994. Was erreicht wurde, sind weitreichende Liberalisierungen, eine wegweisende Weiterentwicklung von Handelsregeln und die strategische Positionierung als beitrittsoffene Speerspitze einer globalen handelspolitischen Liberalisierung. Für die EU ist CPTPP im internationalen Regulierungswettbewerb gleichermaßen Partner, Konkurrent und Widersacher. Bereits das neue USMC-Handelsabkommen, das 2017/2018 zwischen den USA, Mexiko und Kanada ausgehandelt wurde, nutzte zahlreiche CPTPP-Vertragsklauseln als Vorlage.
Die im CPTPP getroffenen Vereinbarungen sind zukunftsweisend. Industrie- und Warenhandel werden nahezu vollständig liberalisiert. Bei Inkrafttreten des Abkommens werden 86 Prozent der Tariflinien zollfrei gestellt, nach fünfzehn Jahren sollen es 99 Prozent sein. Für analoge und digitale Dienstleistungen sind Nichtdiskriminierung, Meistbegünstigung, Niederlassungsfreiheit und Transparenz umfänglich und rechtsverbindlich garantiert. Für Investitionen gelten alle maßgeblichen Schutzstandards. Bei Enteignungen und Diskriminierungen steht der Weg zu Investor-Staat-Schiedsgerichten offen. Nachhaltigkeitskapitel verpflichten die Vertragsstaaten auf die ILO-Schutznormen und die maßgeblichen internationalen Umweltabkommen. In Bezug auf Staatsunternehmen binden sich die CPTPP-Mitglieder an die Prinzipien Nichtdiskriminierung, Nichtsubventionierung, Transparenz, neutrale Aufsicht und kommerzielle Ausrichtung. Spezielle Fachausschüsse sorgen für eine vertragskonforme Implementierung des Abkommens und erforderlichenfalls für inhaltliche Anpassungen. Per jährlich rotierendem Vorsitz zeichnen Mitgliedstaaten verantwortlich für die interne Koordination und Zusammenarbeit sowie die Repräsentanz nach außen.
CPTPP steht vor einer Erweiterung. Zahlreiche Länder haben Interesse an einer Mitgliedschaft bekundet, darunter Großbritannien, Kolumbien, Südkorea, Taiwan, Thailand und sogar die Volksrepublik China. Die Sequenz der Erweiterungen wird maßgeblich bestimmen, wie sich CPTPP handels- und geopolitisch aufstellen wird.
Allein das Vereinigte Königreich hat bislang formell einen Beitrittsantrag gestellt (am 1. Februar 2021). Die britische Regierung verspricht sich von einer CPTPP-Mitgliedschaft, den erstrebten handelspolitischen Neuanfang nach dem Brexit zu erreichen und den Traum von »Global Britain« in einer anglosphären Welt zu verwirklichen. Dabei stehen die Chancen auf einen Beitritt gut. Aus Sicht der CPTPP-Mitglieder wäre Großbritannien zweifellos ein wirtschaftlich attraktives Neumitglied. Zudem sollte es dem Land nicht sonderlich schwerfallen, die Verpflichtungen des Abkommens zu erfüllen. Allerdings würde dessen Charakter fundamental verändert, sollte ein Nicht-Pazifik-Anrainerstaat aufgenommen werden. CPTPP wäre dann weniger eine pazifisch-regionale Freihandelszone als vielmehr ein anglosphär dominierter, freihändlerisch ausgerichteter Globalisierungsclub. Insofern dürfte ein Beitritt Großbritanniens nicht zum Selbstläufer werden.
Die Rückkehr der USA zu dem Abkommen wäre grundsätzlich möglich. Sehr wahrscheinlich wären die CPTPP-Mitglieder bereit, die bei der Neuverhandlung suspendierten 22 Vertragsklauseln wieder in Kraft zu setzen, um damit eine Aufnahme des Landes zu erleichtern. Der Beitritt würde den USA nicht nur beträchtliche Einkommensgewinne bescheren, sondern auch ein Instrument in die Hand geben, um chinesische Machtansprüche einzuhegen. Allerdings wären die bei einem CPTPP-Beitritt erforderlichen Marktöffnungen innenpolitisch derzeit kaum vermittelbar. Angesichts der bedenklichen inneren Verfassung Amerikas liegen die Prioritäten der Biden-Präsidentschaft zumindest vorläufig nicht in der Außenwirtschaftspolitik.
Der Beitrittswunsch Chinas, prominent geäußert von Xi Jinping persönlich, geht auf mehrere Motive zurück. Erstens könnte das Land mit einer CPTPP-Mitgliedschaft seine Exporte und Importe breiter aufstellen; es würde dabei erhebliche Einkommensgewinne realisieren. Zweitens könnten die Aufnahmebedingungen, ähnlich wie bei Chinas WTO-Beitritt von 2001, zur Durchsetzung schwieriger interner Reformen genutzt werden. Drittens wäre die Volksrepublik als CPTPP-Mitglied exzellent positioniert, um künftig die globalen Handelsregeln mitzugestalten. Viertens könnte Chinas Beteiligung an dem Abkommen den sino-amerikanischen Handelskonflikt entschärfen. Und fünftens würde ein Beitritt als diplomatischer Sieg über die USA gewertet werden. Allerdings ist fraglich, ob China je in der Lage sein wird, die strikt ausformulierten Vertragsklauseln zu Staatsunternehmen, geistigen Eigentumsrechten, Nachhaltigkeit und Niederlassungsfreiheit ausländisch kontrollierter Digitalunternehmen zu erfüllen. Für eine Aufnahme des Landes wäre daher ein erhebliches Entgegenkommen erforderlich. Damit ist aber nicht zu rechnen. Schließlich liegt der unausgesprochene Geschäftszweck von CPTPP darin, Peking auf eine regelgebundene Handelsordnung zu verpflichten. Einmal beigetreten, wäre China aber nicht mehr gezwungen, seine protektionistischen Strukturen und diskriminierenden Verhaltensweisen zu ändern.
Taiwan hätte vergleichsweise wenig Probleme, die CPTPP-Beitrittskriterien zu erfüllen. Gegen eine Marktöffnung würde sich zwar die politisch gut vernetzte Agrarlobby des Landes heftig wehren. Doch hätte sie innenpolitisch wohl wenig Durchsetzungskraft, würde als Gegenargument auf Taiwans politische Aufwertung verwiesen, die mit einem CPTPP-Beitritt einherginge. Allerdings hat China seinen Widerstand gegen eine Aufnahme Taiwans erklärt. Als Nichtmitglied kann die Volksrepublik dessen Beitritt zwar nicht blockieren. Peking dürfte einen solchen Schritt aber als Einmischung in innere Angelegenheiten brandmarken und politischen Druck auf alle CPTPP-Mitglieder ausüben, der Aufnahme Taiwans zu widersprechen.
Japan spielt in den anstehenden Beitrittsverhandlungen eine zentrale Rolle. Das Land ist faktische Führungsmacht von CPTPP und hat dort den diesjährigen Vorsitz inne. Schon die Überführung der TPP-Initiative in CPTPP wäre ohne Tokios entschlossenes Handeln nicht möglich gewesen. Denn jenseits von Liberalisierungszielen ist Handelspolitik für die Administrationen von Abe (2012–2020) und Suga (seit September 2020) ein strategisches Instrument der Außenpolitik. In Kongruenz mit Japans 2016 offiziell verkündeter »Free and Open Indo-Pacific«-Strategie (FOIP) geht es bei CPTPP um die Einhegung der wirtschaftlichen Offensiven Chinas. Vor diesem Hintergrund hat die japanische Handelsbürokratie schon deutlich gemacht, dass sie auf rigorosen Liberalisierungs- und Regulierungsstandards bestehen und es nicht akzeptieren wird, Inhalte zu verwässern, damit ein wichtiger Beitritt (sprich der chinesische) möglich wird. Dabei kommt Tokio das Aufnahmegesuch des liberalen Großbritannien sehr gelegen. Mit London ließe sich ein modellhafter Beitritt durchexerzieren und damit ein Maßstab setzen, den China sicherlich nicht erfüllen könnte.
Schlussfolgerungen für Europa
Die neue EU-Handelsstrategie für eine offene, nachhaltige und durchsetzungsfähige Handelspolitik setzt die nötigen Akzente, um in realistischer und defensiver Weise mit der chinesischen Herausforderung umgehen zu können. Das Asien außerhalb Chinas bleibt in der Strategie aber praktisch unerwähnt. Dabei handelt es sich hier um die dynamischste und vom Volumen her wichtigste Wirtschaftsregion der Welt. Und um die regelbasierte Handelsordnung aufrechterhalten und stärken zu können, gerade auch in Reaktion auf Pekings Offensiven, ist eine enge Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Akteuren der Indopazifik-Region unverzichtbar, darunter mit Japan, Südkorea, Australien, Singapur und Kanada.
Die europäische Handelspolitik sollte zweierlei tun. Erstens gilt es Europas indopazifische Handels- und Investitionsverbindungen jenseits von China auszubauen, nicht zuletzt auch um bestehende Abhängigkeiten vom chinesischen Markt abzumildern. Bi- und multilaterale Vereinbarungen können dafür ein sinnvolles Instrument sein. So sollten insbesondere die seit Jahresmitte 2018 laufenden Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen mit Australien und mit Neuseeland zügig zum Abschluss gebracht werden.
Zweitens ist zu empfehlen, dass die EU auch mit CPTPP als Gruppe in Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen tritt. Zumindest sollten sich EU und CPTPP beidseitig über die Weiterentwicklung und Modernisierung der globalen Handelsregeln verständigen, insbesondere in den Bereichen geistige Eigentumsrechte, Nachhaltigkeit, Schutzmaßnahmen, Subventionen, Staatsunternehmen, digitaler Handel und Investor-Staat-Streitschlichtung. Sollte ein Abschluss mit Australien und Neuseeland gelingen, wäre die EU mit all jenen Mitgliedstaaten in einem Freihandelsabkommen verbunden, die CPTPP ratifiziert haben. Damit wäre eine exzellente politische und rechtliche Grundlage für eine euro-indopazifische Partnerschaft geschaffen, welche über die Handelspolitik hinaus auf die Außenpolitik ausstrahlen würde.
Beide Seiten verfolgen in der Handelspolitik und im Verhältnis zu China analoge, bereichsweise deckungsgleiche Interessen. Da in regulatorischen Fragen ohnehin schon eine weitreichende Konvergenz besteht (bzw. in den einzelnen Freihandelsabkommen erreicht wurde), würden sich durch eine Zusammenarbeit mit CPTPP zudem die Chancen verbessern, EU-Standards global durchzusetzen. Schließlich wäre eine euro-indopazifische Partnerschaft auch im Verhältnis zu den USA wichtig. Gemeinsam ließe sich einem in Amerika wiederkehrenden Trend zu Protektionismus und Unilateralismus mit sehr viel mehr Überzeugungs- und Durchsetzungskraft entgegentreten.
Dr. Hanns Günther Hilpert ist Leiter der Forschungsgruppe Asien.
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doi: 10.18449/2021A23