Bei der 24. Konferenz der Vertragsstaaten (COP24) der VN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC), die im Dezember 2018 im polnischen Kattowitz stattfand, verabschiedeten die Teilnehmer ein Regelbuch für die Umsetzung des Pariser Abkommens. Dies war notwendig, damit das neue Klimaregime ab 2020 implementiert werden kann. Die COP befasste sich auch mit den vor 2020 zu ergreifenden Klimaschutzmaßnahmen, die Gegenstand des ein Jahr lang geführten Talanoa-Dialogs waren, eines Plattformdialogs, an der sich auch Vertreter der Zivilgesellschaft beteiligen konnten.
Die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedstaaten gehören zu den wenigen globalen Akteuren, die über die Mittel und die Entschlossenheit verfügen, die internationale Klimaagenda weiterhin zu unterstützen. Im Vorfeld des vom Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, einberufenen Klimagipfels im September 2019 muss die EU unter Beweis stellen, dass sie angesichts der Ziele des Pariser Abkommens ihre Emissionen künftig schneller senken will, als sie das bisher angekündigt hat. Dazu gehört vor allem, dass sie ihre kurz- und langfristigen Klimaziele anpasst. Außerdem gilt es, die armen Länder politisch und finanziell zu unterstützen. Die vom Klimawandel besonders betroffenen Entwicklungsländer zählen auf die EU und ihre Mitgliedstaaten als verlässliche Partner und Vorbilder. Auch angesichts der bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament und dem Wechsel in der EU-Kommission wird sich die EU schwertun, diesen Erwartungen gerecht zu werden. Ungeachtet dessen muss die EU die Zusammenarbeit mit den Schwellenländern weiter vertiefen und die Klimapolitik quer durch alle Politikbereiche vorantreiben.
Das Regelbuch legt die Regeln und Verfahren fest, mit denen die Bestimmungen des Pariser Abkommens (2015) umgesetzt werden sollen. Dabei geht es um Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, Finanzierungshilfen, Transparenz und regelmäßige Bestandsaufnahmen der globalen und nationalen Aktivitäten. Ziel der COP24 in Polen war es, diese Regeln abschließend festzuschreiben. Zu Beginn der Konferenz herrschte jedoch Skepsis, ob sich dieses Ziel erreichen ließe. Dabei betonten viele Länder, dass ein vollständiges und ausgewogenes Regelwerk notwendig sei. In der kurzen Zeitspanne von vierzehn Tagen war eine Vielzahl von Details zu diskutieren und zu vereinbaren. Die polnische COP-Präsidentschaft hatte die Fäden zudem sehr spät aufgenommen und schien vor allem damit beschäftigt zu sein, innenpolitische Prioritäten geltend zu machen, etwa die Stärkung der Elektromobilität, eine gerechte Transformation im Energiesektor sowie die Berücksichtigung der Wälder als Kohlenstoffsenken.
Über zwei Punkte und eine Reihe weiterer Details konnten sich die Verhandlerinnen und Verhandler während der COP24 jedoch nicht vollständig einigen. Dazu gehören Beschlüsse zu den Regeln für Marktinstrumente wie den Emissionshandel und den »Clean Development«-Mechanismus, die in Artikel 6 des Pariser Abkommens vereinbart wurden. Über sie soll 2019 entschieden werden. Ein Prozess zur Bestimmung der jährlichen Finanzmittel, die den Entwicklungsländern zur Verfügung gestellt werden sollen, wird erst im November 2020 beginnen.
Regeln zur gegenseitigen Information und Transparenz
Differenzierung – eine unendliche Geschichte
Eine entscheidende Aufgabe in den Verhandlungen über das Regelbuch bestand darin, der Forderung nach Differenzierung der Anforderungen an die Vertragsparteien gerecht zu werden. Dieses Anliegen geht auf eine Zweiteilung in Industrie- und Entwicklungsländer zurück. Die Industrieländer haben demnach eine größere Verantwortung für den Klimawandel, dagegen sind vor allem Entwicklungsländer von den Auswirkungen betroffen, ohne in der Vergangenheit zum Klimawandel beigetragen zu haben.
Diese Zweiteilung wurde in der UNFCCC (1994) und dem Kyoto-Protokoll (1997) eingeführt, weil sich damit das Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung umsetzen ließ (common but differentiated responsibilities and respective capabilities [CBDR&RC]; UNFCCC Artikel 3). Angesichts des wirtschaftlichen Aufstiegs wichtiger Entwicklungsländer ist diese Teilung jedoch nicht mehr zeitgemäß. Mit dem Pariser Abkommen wurde sie dann überwunden, indem es Schwellenländer wie China, Brasilien und Indien einlädt, auf freiwilliger Basis in allen klimapolitischen Dimensionen einen Beitrag zu leisten. Die erneut von den Entwicklungsländern erhobene und von China unterstützte Forderung, die Verpflichtungen nach dem CBDR&RC-Prinzip zu differenzieren, zielte darauf ab, Gerechtigkeit herzustellen, und schloss auch den Umgang mit Verlusten und Schäden ein, die der Klimawandel verursacht.
Die Differenzierungsdebatte bei der COP24 konzentrierte sich vor allem auf die Frage, wie die Regeln für die Emissionsbilanzierung und ‑berichterstattung gestaltet werden sollten, da diese erhebliche technische und bürokratische Kapazitäten erfordern. Die Maßgabe einer einheitlichen Berichterstattung ist Teil der Transparenzanforderungen (Artikel 13 Pariser Abkommen) an die Staaten. In den 2018 geführten Vorverhandlungen äußerten einige Länder den Wunsch, in Anbetracht ihrer begrenzten Möglichkeiten von einheitlichen Standards entbunden zu werden. Diesem Wunsch wird mit dem »erweiterten Transparenzrahmen« des Regelbuchs entsprochen: Für diejenigen Länder, die nicht in der Lage sind, termingerecht alle Informationen und Berichte zu liefern, wie beispielsweise die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs), wird es eine Ausnahmeregelung geben (»selective flexibility«). Umfang, Häufigkeit und Einzelheiten ihrer Emissionsberichterstattung werden weniger strengen Vorgaben unterliegen.
Der ab 2024 fällige Emissionsbericht der Staaten, der sich an ihren national festgelegten Beiträgen orientiert (nationally determined contributions, NDCs), muss weitere Informationen liefern, anhand derer sich verfolgen lässt, was sie in ihrer nationalen Klimapolitik tatsächlich erreicht haben. In der Vorlaufphase bis 2024 sind zwei weitere Überprüfungsrunden vorgesehen, bei denen Experten die nationalen Maßnahmen beurteilen sollen: eine technische Überprüfung und eine Peer Review.
Auch für die Ausgestaltung der globalen Bestandsaufnahme (Global Stocktake [GST], siehe unten, S. 4) wurde eine Differenzierung der Pflichten eingefordert. Laut Pariser Abkommen soll die globale Bestandsaufnahme für alle Vertragsparteien gerecht erfolgen. Das Regelbuch gibt jedoch bisher keine Hinweise darauf, wie bei der Durchführung der Bestandsaufnahme Gerechtigkeitsaspekte einbezogen werden sollen oder wie diese in den Inhalt und das Gesamtergebnis einfließen könnten. Es bleibt nun den abschließenden Verhandlungen über den GST vorbehalten, diese Aspekte zu reflektieren und zu operationalisieren.
Nicht zuletzt forderten die Entwicklungsländer im Sinne der Differenzierung strengere Regeln für die Industrieländer, wenn sie ihrer Pflicht nachkommen, finanzielle Zusagen und ehrgeizigere NDCs zu kommunizieren. Auf diese Weise sollen die Industrieländer transparent machen, wie es um ihre Bereitschaft steht, Verantwortung und finanzielle Belastungen zu übernehmen.
Informationen über Emissionsminderungen
In Kattowitz einigten sich die Vertragsstaaten darauf, wie im Rahmen der künftigen NDCs Informationen bereitgestellt werden sollen, die für Klarheit, Transparenz und Verständnis von Emissionsminderungen notwendig sind. Die Länder können selbst bestimmen, welche Informationen ihren NDCs angemessen sind, da die Klimaziele in den NDCs sehr unterschiedlich formuliert werden können und nationale Bedingungen variieren. Die grundlegenden Richtlinien für die technische Erfassung sind nun vorgegeben. Künftig müssen die Staaten erläutern, auf welcher methodischen Grundlage sie ihre Emissionen messen; das gilt sowohl für die Emissionsquellen als auch für die ‑senken. Diese klaren Maßgaben waren auch deshalb notwendig, weil sich im Zuge der Verabschiedung des Pariser Abkommens auch Länder wie China verpflichtet haben, ihre Emissionen zu reduzieren. Für sie gab es bisher keine Vorgaben, während für die Industrieländer bereits Standards unter dem Kyoto-Protokoll existierten. Als Richtlinien für die Berichterstattung gelten jene des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC).
Auch im Kontext der globalen Bestandsaufnahme wurde die Frage der Differenzierung erörtert (siehe oben, S. 2). Einheitliche Metriken wurden in Frage gestellt, über sie wurde hart verhandelt (»eine Tonne ist eine Tonne«), ebenso wie über die methodischen Ansätze bei der Berichterstattung – beide sind entscheidend für die Kohärenz der nationalen Berichte und die globale Bestandsaufnahme der Klimaschutzmaßnahmen.
Die 2015 vorgelegten NDCs umfassen ein breites Spektrum an Zeiträumen, in denen Klimaschutzziele erreicht werden sollen. So hat sich beispielsweise die EU ein Ziel für 2030 gesetzt, Australien für 2025. Zudem haben Länder unterschiedliche Basisjahre gewählt. Die Entscheidung über einen gemeinsamen Zeitrahmen für die NDC-Berichterstattung wurde auf 2031 verschoben, Bis dahin kann jedes Land weiterhin frei entscheiden, für welchen Zeitraum es Klimaziele in den neuen NDCs setzt.
Klimaanpassung, Finanzierung und Bestandsaufnahmen
Das Regelbuch legt auch fest, wie Anpassungsmaßnahmen an das UNFCCC-Sekretariat kommuniziert werden sollen. Dies zielt darauf ab, Entwicklungsländer zu unterstützen. Die Länder können wählen, ob sie ihre Prioritäten, Pläne, Maßnahmen und Unterstützungsbedarfe in ihren NDCs in Form einer nationalen Eingabe oder als Teil ihrer nationalen Anpassungspläne übermitteln wollen. Dem Thema »Verluste und Schäden« (loss and damage) – dessen Behandlung kleine Inselstaaten eingefordert haben und über das seit 2013 im Rahmen des Warsaw International Mechanism Verhandlungen geführt werden – wird in keinem Abschnitt des Regelwerks Rechnung getragen. Stattdessen werden die Länder aufgefordert, über Verluste und Schäden in den Abschnitten zu Anpassung, Transparenz und globaler Inventur zu berichten. Dies stellt in den Augen der Entwicklungsländer einen Rückschritt dar.
Die Industrieländer sind verpflichtet, alle zwei Jahre darzulegen, wie sie die Entwicklungsländer finanziell unterstützen. Dabei müssen sie zum einen Informationen über die genauen klimabezogenen Effekte der bereitgestellten Mittel liefern, was ein »Greenwashing« – eine Umwidmung statt einer Erhöhung – der bestehenden Entwicklungsfinanzierung verhindern soll. Zum anderen müssen sie darlegen, welche weiteren Anstrengungen sie unternehmen wollen, um mehr Mittel insbesondere aus öffentlichen Quellen bereitzustellen. Ab 2021 wird das Sekretariat der UNFCCC die relevanten Informationen sammeln. Auf Ministerebene soll ebenfalls alle zwei Jahre ein Dialog über die Klimafinanzierung stattfinden. Ein neues langfristiges Ziel wurde jedoch nicht vereinbart. Im November 2020 sollen Gespräche über ein Finanzziel aufgenommen werden, dessen Volumen größer sein soll als 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr.
Die Globale Bestandsaufnahme (Global Stocktake [GST], Artikel 14 Pariser Abkommen) ist das zentrale »top-down«-Instrument im Gefüge des Pariser Abkommens, das ansonsten von nationalen Selbstverpflichtungen dominiert wird. Im Rahmen der globalen Bestandsaufnahme werden alle fünf Jahre sämtliche angekündigten NDCs überprüft (sieh Grafik 1, S. 2), um abzugleichen, ob die im Pariser Abkommen vereinbarten globalen Ziele erreicht werden können. Zu diesen Zielen gehören die Begrenzung der globalen Mitteltemperatur auf deutlich unter 2°C, anzustreben sind möglichst 1,5°C, die Anpassungsmaßnahmen sowie finanzielle und andere Formen der Unterstützung für die Entwicklungsländer. Der GST ist ein wichtiges Instrument, um die Staaten über die gemeinsamen Fortschritte zu informieren. Dabei ist er darauf angewiesen, dass die Staaten die für transparente Berichterstattung geltenden Regeln einhalten (siehe Grafik 2). Für den GST sind nun sogenannte »sources of input« festgelegt worden, jene Quellen, mittels derer die Bestandsaufnahme erfolgen kann – hinzu kommen die Informationen, die beispielsweise der IPCC bereitstellt. Dazu gehören auch Eingaben von Interessengruppen, die keine Vertragsstaaten sind. Ebenfalls vereinbart wurden die Zuständigkeiten für die Vorbereitung des GST und die Durchführung unter der UNFCCC.
Bewertungen der COP24‑Ergebnisse
Nach dem Urteil der meisten Industrieländer ist das Regelbuch ausgewogen. Sie begrüßen vor allem, dass es doch noch rechtzeitig verabschiedet wurde. Die Entwicklungsländer – einschließlich der LDCs und der kleinen Inselstaaten – beklagen hingegen, dass die Industrieländer vor allem mit ihrem Bemühen Erfolg hatten, Druck auszuüben, um ihre Forderungen nach bestimmten Regeln durchzusetzen. Die Entwicklungsländer bewerten das Gesamtergebnis als »mitigation-centric«, als zu stark orientiert am Ziel des Klimaschutzes. In der Folge seien für sie wichtige Aspekte verwässert worden, darunter eine verlässlichere finanzielle Unterstützung und das Thema Gerechtigkeit. Eine gerechte Lastenverteilung vermissen sie mit Blick auf die Risiken des Klimawandels: Die LDCs und Inselstaaten befürchten, dass sie mit der Bewältigung der Klimaschäden allein gelassen werden, vor allem weil keine konkreten finanziellen Mittel in Sicht seien.
Diese Wahrnehmung wird noch durch die Tatsache verstärkt, dass die Industrieländer kaum kurzfristige Klimaschutzmaßnahmen ergreifen. Die kleinen Inselstaaten, die afrikanischen Länder, die Vertreter der Zivilgesellschaft und Jugendgruppen vermissen im Regelbuch einen Aktionsplan, um die Klimaambitionen umgehend zu steigern. Die Dringlichkeit dieses Anliegens war mit dem 1,5-Grad-Bericht des IPCC (Oktober 2018) verdeutlicht worden, dem zufolge diese Temperaturgrenze nur einzuhalten ist, wenn die Länder in den nächsten zwölf Jahren entschlossen handeln. Ein weiterer Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen über die aktuelle Lücke bei den Klimaschutzanstrengungen (UNEP Emission Gap Report) legt dar, dass die derzeitigen globalen Anstrengungen um das Fünffache verstärkt werden müssten, soll dieses Ziel erreicht werden. Die Debatte, die bei der COP24 über den IPCC-1,5-Grad-Bericht geführt wurde, zeigte zudem deutlich, dass es ambitionierte Länder gibt und solche, die blockieren wollen; Kuwait, Russland, Saudi-Arabien und die USA lehnten es ab, den Bericht willkommen zu heißen.
Die verschiedenen Bewertungen des Regelbuchs beruhen auf sehr unterschiedlichen Erwartungen. Das Regelbuch ist das Rückgrat des Pariser Abkommens, da es Einzelheiten seiner Anwendung festlegt. Es ist somit ein wichtiger Markstein auf dem Weg zu einem funktionierenden Klimaregime. Allerdings kann ein Regelbuch keine Ambitionen erzeugen, Emissionen schneller zu senken. Denn das zugrundeliegende Regime sieht keine verbindlichen Minderungsmechanismen oder Sanktionen vor, um die Einhaltung der Regeln durchzusetzen. Stattdessen werden die Anstrengungen, sowohl den Klimaschutz zu verstärken als auch die finanzielle Unterstützung zu steigern, den politischen Prozessen im In- und Ausland und nichtstaatlichen Akteuren überlassen. Die Durchsetzung bleibt letztlich Sache der proaktiven Länder und ihrer diplomatischen Fähigkeiten.
Die EU während der COP24
Die EU war entscheidend bei den Bemühungen, die Klimaverhandlungen voranzutreiben und die polnische Präsidentschaft bei der Ausarbeitung des Regelwerks zu unterstützen. Ihr größter Erfolg war, dass sie mit den Industrieländern zusammengearbeitet hat und China überzeugen konnte, strengen und einheitlichen Berichtspflichten zuzustimmen. Die EU-Verhandler haben auch den Forderungen der Entwicklungsländer entsprochen, die Modalitäten für die vorläufigen Finanzbestimmungen zu erörtern. Außerdem haben sie zugestimmt, dass die Bereitstellung von Geldern im Rahmen eines transparenten Prozesses bewertet und überprüft wird.
Hingegen konnten sie wenig zur Konkretisierung von Gerechtigkeitsaspekten und zu deren Einbindung in den GST beitragen, die von den Entwicklungsländern gefordert wurden. Die armen Länder und die Vertreter der Zivilgesellschaft waren unzufrieden mit dem unverbindlichen Ansatz, den die EU bei der Anpassungsfinanzierung sowie bei Verlusten und Schäden als Folgen des Klimawandels verfolgten. Insbesondere zeigten sie sich einmal mehr enttäuscht darüber, dass die EU nicht in der Lage ist, ihre kurzfristigen Klimaziele höher zu stecken.
Ungeachtet dessen drängte die EU darauf, das 1,5-Grad-Ziel im Talanoa-Dialog sprachlich deutlicher zu verankern – einem Forum, das 2017 unter der fidschianischen COP-Präsidentschaft eingesetzt wurde. Der Talanoa-Dialog wurde in Kattowitz mit einem »Talanoa Call for Action« beendet. Dafür wurde die »High Ambition Coalition« jener Staaten noch einmal wiederbelebt, die 2015 wesentlich zu dem Verhandlungserfolg in Paris beigetragen haben. In diesem Zusammenhang erklärte die EU, dass sie bis 2020 Möglichkeiten zusätzlicher Klimaschutzmaßnahmen prüfen werde.
Ist die EU der Entwicklung noch voraus?
Kurz vor dem Gipfel in Kattowitz hat der Europäische Rat in einem Beschluss vom November 2018 hervorgehoben, dass ein ehrgeiziges und solides Regelbuch ebenso notwendig sei wie eine Intensivierung der Klimaschutzmaßnahmen. Die Europäische Kommission hatte zudem eine Strategie für ein bis 2050 zu realisierendes klimaneutrales Europa entworfen (»A Clean Planet for all«). Die 2050-Strategie wird 2019 Gegenstand weiterer Debatten sein und soll als Grundlage für die Langfriststrategie dienen, die die EU ebenso wie alle anderen Vertragsparteien im kommenden Jahr bei der UNFCCC einreichen soll (siehe Grafik 1, S. 2). In dieser Strategie verfolgt die EU das Konzept der Klimaneutralität, die im Pariser Abkommen als Ziel für die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts verankert wurde. Die 2050-Szenarien der Europäischen Kommission umfassen ein breites Spektrum von EU-Politikbereichen und Optionen zur Bekämpfung der Treibhausgasemissionen. Mit der Veröffentlichung dieser Strategie gibt die EU wieder einmal eine Richtung vor und könnte anderen Ländern als Beispiel dienen – auch wenn nicht klar ist, ob der Europäische Rat diese Vision bei nächster Gelegenheit unterstützen wird.
Ein kritischeres Thema ist das kurz- bis mittelfristige Engagement der EU bei der nächsten Runde der NDCs, die 2020 für die COP26 geplant ist (siehe Grafik 1, S. 2). Ein erster Versuch der Kommission, eine Anhebung des bis 2030 zu erreichenden Emissionsminderungsziels von 40 Prozent auf 45 Prozent vorzuschlagen, scheiterte im Sommer 2018. Im Februar 2019 schlug der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments als Ziel vor, die Emissionen gegenüber dem Stand von 1990 um 55 Prozent zu senken. Würde die EU das für 2030 geltende Ziel höher stecken und somit auch einen ambitionierteren NDC liefern, könnte sie ihre Glaubwürdigkeit steigern. Die EU könnte damit wohl auch davon ablenken, dass sie vor dem Jahr 2020 keine zusätzlichen Klimaschutzmaßnahmen umsetzen wird.
EU-Partnerschaften – Beziehungen müssen intensiviert werden
Das Pariser Abkommen sollte für eine regelmäßige Steigerung der nationalen Ambitionen sorgen und Überprüfungsprozesse sicherstellen. Um das Abkommen zu unterstützen, hat sich die EU bemüht, Verbündete zu finden. Insbesondere seitdem sich die USA 2017 von der multilateralen klimapolitischen Agenda abgekehrt haben, ist dies zu einer der großen Herausforderungen der Klimadiplomatie geworden. Bemühungen, den Schulterschluss mit Staaten wie China, Kanada und Mexiko zu suchen, wurden in den letzten zwei Jahren erschwert von Konflikten in den internationalen Handelsbeziehungen zwischen den USA und China sowie von internen Auseinandersetzungen der EU über den Brexit. Vor den Europawahlen im Frühjahr werden die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitglieder im Mai 2019 in der rumänischen Stadt Sibiu darüber beraten, wie sie die größten Herausforderungen meistern wollen. Darüber hinaus müssen die EU-Akteure sicherstellen, dass die neue Europäische Kommission, die Ende 2019 antreten wird, die offenen Fragen und Strategieprozesse nahtlos weiterbearbeitet.
Die Bildung klimapolitischer Koalitionen ist noch schwieriger geworden, weil sich auch Brasilien, bisher ein wichtiger Unterstützer des Pariser Abkommens, nicht mehr an der internationalen Kooperation in der Klimapolitik beteiligen will. Nachdem Jair Bolsonaro zum Staatspräsidenten gewählt worden ist, hat sich Brasilien der Gruppe der Blockierer angeschlossen. Da Brasilien erklärt hat, als Gastgeber der nächsten COP nicht mehr zur Verfügung zu stehen, werden Chile und Costa Rica die COP25 bzw. das Pre-COP-Treffen ausrichten.
Dies wird den Interessen vieler lateinamerikanischer Länder und ihrer möglichen Rolle in der Klimadiplomatie mehr Aufmerksamkeit verschaffen. So kann die EU beispielsweise mit den proaktiven AILAC-Ländern (Independent Association of Latin America and the Caribbean) zusammenarbeiten – einer Gruppe von acht Ländern, darunter Chile, Peru und Kolumbien –, um die noch offenen Details des Regelbuchs (siehe Grafik 2, S. 5) zu vereinbaren und getroffene Absprachen umzusetzen.
Sowohl in der Kooperation mit Indien als auch mit China ist es wichtig, dass sich die EU weiterhin für klare und transparente Berichterstattung engagiert, die nötig ist, um das Regelbuch anwenden zu können. Im Hinblick auf Indien hat dies an Dringlichkeit gewonnen, da die Vereinten Nationen kürzlich Daten zur Bewaldung, die Neu-Delhi für die Bereitstellung von Geldern vorgelegt hatte, aus Mangel an Transparenz in Zweifel gezogen haben. Beide asiatischen Riesen zeigen regelmäßig auf, wie sie erneuerbare Energien, Energieeffizienz, nachhaltige Städte und grünes Wachstum vorantreiben wollen. Doch üben sie Zurückhaltung, wenn es darum geht, ihre NDCs zu erhöhen. Insbesondere Indien ist in eigenen Augen beispielhaft in puncto installierter Kapazität erneuerbarer Energien. Das Land wendet sich immer wieder an die EU, um die Zusammenarbeit bei entsprechenden Technologien auszuweiten.
Der Zugang zu erschwinglichen, klimafreundlichen und nachhaltigen Technologien sollte weiterhin ein Leitgedanke für eine regelmäßige Zusammenarbeit zwischen der EU und ihren Partnern in Asien sein. Die EU erklärte in Kattowitz ihr Interesse an technologischer Zusammenarbeit auch bei Bioenergien in Kombination mit der Abscheidung und Speicherung von CO2 sowie bei der Kreislaufwirtschaft. Diese Themen böten sich für eine künftige Zusammenarbeit und die Förderung von Investitionen an.
Die am stärksten vom Klimawandel bedrohten Länder verlassen sich darauf, dass die EU größere Anstrengungen zum Schutz des Klimas unternimmt und sie politisch und finanziell unterstützt. Die EU und ihre Mitgliedstaaten werden den Entwicklungsländern bei der nächsten Einreichung von NDCs und den damit verbundenen konzeptionellen und verfahrenstechnischen Herausforderungen ebenso helfen müssen wie bei der Befolgung der neuen Bilanzierungs- und Berichtsvorschriften des Regelbuchs. Da ein Großteil der Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern auf verlässliche und nachhaltige Finanzquellen angewiesen ist, bleibt dies ein sensibles Thema.
Im Jahr 2020 wird ein Prozess beginnen, um die Summe von 100 Milliarden US-Dollar, die pro Jahr als Finanzierung zugesagt wurden, von 2025 an zu erhöhen (siehe Grafik 1, S. 2). Dies betrifft sowohl Minderungs- als auch Anpassungsfinanzierungen. Ein nachhaltiges Engagement ist vor allem für den relativ kleinen, aber bewährten Anpassungsfonds wichtig, der gegenwärtig nur ad hoc aufgefüllt wird. Ebenso wichtig ist es, dass die EU sich für Fortschritte bei der Operationalisierbarkeit von Finanzmitteln einsetzt, die dazu dienen, mit Verlusten und Schäden umzugehen, die der Klimawandel verursacht.
Klimagipfel des UN-Generalsekretärs im September
Angesichts des fortschreitenden Klimawandels hat UN-Generalsekretär António Guterres für den 23. September zu einem Klimagipfel eingeladen. Der Gipfel in New York steht unter dem Motto »A Race We Can Win. A Race We Must Win«. Bei dieser Gelegenheit könnten nicht nur die EU, sondern auch Indien und China ihren politischen Willen zeigen, eine ehrgeizige nationale Klimastrategie zu verfolgen und weitere Aktionspläne zur Bekämpfung der Folgen des Klimawandels zu verabschieden. Würden die großen Akteure in einen Wettbewerb um die Aufstockung ihrer NDCs eintreten, wäre das ein wichtiges Signal für diesen Gipfel. Der UN-Generalsekretär will den UNFCCC-Prozess mit verschiedenen Regierungsebenen (Regionen, Städte), der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft verknüpfen, und das über Schlüsselbereiche der Klimapolitik hinweg. Dies kann auch dazu dienen, die Zusammenarbeit mit subnationalen Akteuren und der Zivilgesellschaft in den USA aufrechtzuerhalten, um den USA im Klimaregime einen Platz zuzuweisen – auch wenn völlig offen ist, ob es eine erneute Kehrtwende in der US-Klimapolitik geben wird.
Die Liste an Aufgaben, die sich aus dem Regelbuch ergeben, ist lang. Angesichts dessen bedarf es in diesem Jahr einer gezielten EU-Klimaaußenpolitik, die vorhandene Beziehungen stärkt und die Zusammenarbeit vertieft. Die Anstrengungen sollten sich nicht auf die COP25 und den Gipfel von New York beschränken. Vielmehr gilt es, Unterstützung für die internationale Klimapolitik auch in anderen Politikfeldern anzustreben. Ein Beispiel ist der Umgang mit den Klimarisiken, die bereits mehrfach im UN-Sicherheitsrat mit Blick auf ihre Folgen für Frieden und Sicherheit diskutiert worden sind. Die letzte Debatte fand am 25. Januar 2019 unter dem Vorsitz der Dominikanischen Republik statt. 2019 sind fünf europäische Staaten (Belgien, Deutschland, Frankreich, Polen, Vereinigtes Königreich) Mitglieder im UN-Sicherheitsrat. Aus dieser Position heraus kann die EU die Anliegen der kleinen Inselstaaten und weiterer betroffener Länder stärken, indem sie dafür sorgt, dass den Klimarisiken und ihren möglichen Folgen für die Sicherheitspolitik mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Dr. Susanne Dröge ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Globale Fragen.
Dr. Vijeta Rattani forscht in Neu-Delhi zur internationalen Klimapolitik.
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ISSN 1611-6364
doi: 10.18449/2019A15
(Deutsche Übersetzung von SWP Comment 9/2019)