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Eine Frage von Standardregelungen? Koloniale Kontinuitäten der afro-europäischen Visaregelungen und Mobilitätspartnerschaften

Megatrends Spotlight 45, 17.02.2025

Legale, sichere Migration nach Europa ist für Afrikaner*innen aufgrund rassifizierter Mobilitätsstrukturen zunehmend schwieriger geworden. Visabestimmungen stellen enorme Hürden dar, und Migrationspartnerschaften haben trotz des Bedarfs an Arbeitsmigration wenig Wirkung gezeigt, so Franzisca Zanker.

Die neuen afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung wurden im Januar 2025 veröffentlicht. Sie kommen zur rechten Zeit, da wir aktuell des 140. Jahrestages der berüchtigten Berliner Konferenz (1884/85) gedenken, die den Ausgangspunkt für die fast vollständige Kolonisierung eines ganzen Kontinents bildete. Die Leitlinien erklären das fortgesetzte Bekenntnis zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit. Sie enthalten auch einen Aufruf zu „regulärer und geordneter Migration“ sowie zur Stärkung des Studierenden- und Wissenschaftler*innenaustauschs durch beschleunigte Visaverfahren in beiden Bereichen. Angesichts dieser Ziele ist es angebracht, über die kolonialen Kontinuitäten unserer heutigen afro-europäischen Visaregelungen nachzudenken.

Eine Frage von Standardregelungen?

Im Jahr 2023 wurde im Bundestag eine kleine Anfrage hinsichtlich Visabestimmungen für Studierende und Wissenschaftler*innen aus Afrika gestellt. Die Anfrage bezog sich unter anderem auf die Ablehnung des Visumantrags eines kamerunischen Wissenschaftlers. Die Antwort der Bundesregierung lautete, dies sei keine Diskriminierung gewesen, sondern lediglich eine Entscheidung auf der Grundlage der üblichen Vorschriften. Das mag zutreffen, doch was, wenn die Vorschriften selbst das Problem sind?

Als jemand, dem weder mit meinem britischen noch mit meinem deutschen Pass jemals ein Visum irgendwo auf der Welt verweigert wurde, finde ich es besonders beschämend, dass ich ebenso noch nie eine Konferenz oder einen Workshop mit Kolleg*innen aus Afrika organisiert habe, ohne mich mit Visa-Verzögerungen, Ablehnungen oder anderen Problemen befassen zu müssen. Was benötigt jemand mit einem deutschen Pass, um nach Namibia oder Tansania zu reisen? Für Namibia braucht es kein Visum, obwohl sich dies bald ändern wird, und für Tansania lediglich ein Visum bei Ankunft, zum Preis von 50 USD. Reisende aus Namibia oder Tansania, die ein Schengen-Visum benötigen, brauchen hingegen ein Einladungsschreiben, die Buchung von Hin- und Rückflug, einen Unterkunftsnachweis, einen Beschäftigungsnachweis oder einen Nachweis über die Bereitschaft, in das Heimatland zurückzukehren (z. B. ein Arbeitszeugnis), einen Nachweis über den finanziellen Status, einen Nachweis über ausreichende finanzielle Mittel (durch Bankunterlagen) und eine Krankenversicherung, die Kosten in Höhe von mindestens 30.000 EUR abdeckt. Außerdem müssen Antragstellende einen Termin bei der Botschaft des europäischen Landes, das sie besuchen möchten, vereinbaren. Die Kosten für das Visum betragen 83 EUR. Im Jahr 2022 wurden 30 Prozent aller afrikanischen Anträge abgelehnt, was deutlich über dem weltweiten Durchschnitt von 17,5 Prozent liegt. Einer anderen aktuellen Studie zufolge sind afrikanische Antragstellende unverhältnismäßig stark von der Nicht-Erstattung der Schengen-Visa betroffen. So nahm die EU im Jahr 2023 130 Millionen Euro durch abgelehnte Visumanträge ein, wobei etwa 42 Prozent dieser Einnahmen von Antragstellenden aus Afrika stammten.

Wenn legale Migrationswege abnehmen, nimmt irreguläre Migration zu

Die legalen Einreisemöglichkeiten von Afrika nach Europa haben seit den 1980er Jahren stetig abgenommen. Trotz der Rede von gleichberechtigter Partnerschaft und legalen Migrationswegen auf europäischer und deutscher diplomatischer Ebene wird ein legaler, sicherer und sogenannter „geordneter“ Zugang zu europäischen Ländern zunehmend unmöglich. Einem von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Bericht zufolge hatte bis 2012 die überwiegende Mehrheit der afrikanischen Migrant*innen, die nach Europa kamen, vor ihrer Ankunft ein Visum und eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. In der Regel kamen jährlich zwischen 400 000 und 500 000 afrikanische Migrant*innen an; seit 2012 hat sich die Zahl fast halbiert auf etwa 270 000 bis 290 000 pro Jahr. Der Bericht stellt fest, dass die legale Migration zwar deutlich zurückgegangen sei, irreguläre Migrationsbewegungen über das Mittelmeer jedoch zugenommen haben. Daraus lässt sich ableiten, dass, wenn die regulären Wege reduziert werden, an ihrer Stelle irreguläre Wege entstehen. Und das kann fatale Folgen haben: Laut dem Bericht zu vermissten Migrant*innen sind seit 2014 nicht weniger als 31 360 Personen im Mittelmeer verschwunden, vermutlich ums Leben gekommen. 

Tief verwurzelte rassifizierte Strukturen der (Im-)Mobilität

Alles in allem haben wir ein System, in dem die legale Migration nach Europa - auf sichere und geordnete Weise - für afrikanische Bürger*innen immer schwieriger geworden ist. Ist dies einfach eine Frage von Vorschriften, die für Menschen aus Afrika besonders schwierig sind, weil das reiche Europa ein so beliebtes Ziel ist und sonst überrannt würde? Erstens machten afrikanische Migrant*innen 2020 nur 14,5 Prozent der weltweiten Migration aus, deutlich weniger als aus Asien (41%) oder Europa (22,5%). Die große Mehrheit der afrikanischen Migrant*innen bleibt auf dem afrikanischen Kontinent, und weniger als ein Drittel von ihnen lebt in Europa (27,2 %). Zweitens steht Deutschland im Henley Passport Index an dritter Stelle, was bedeutet, dass die Deutschen visumfrei in 192 Länder reisen können; im Gegensatz dazu liegt Tansania auf Platz 69 mit 73 Zielen, wohin seine Bürger*innen ohne Visum reisen können. Die Mobilitätsungleichheiten können als Tatsache betrachtet werden. 

Die Rechtswissenschaftlerin Tendayi Achiume spricht von einem „neokolonialen Imperium“, in dem einige Orte mehr Mobilitätsbeschränkungen diktieren als andere. Mit anderen Worten: Eine tief verwurzelte Ungleichheit bestimmt, wer sich wie bewegen darf. Dies ist mit rassifizierten Strukturen verbunden, die die Bewegung von Schwarzen Menschen und People of Colour kontrollieren und zum Sicherheitsrisiko erklären. Was das mit Kolonialismus zu tun hat? Eine ganze Menge, wie Autor*innen wie Lucy Mayblin und Joe Turner, Henrietta McNeill und Thomas Spijkerboer und weitere berichten. Warum haben Visumpflichten weltweit abgenommen, während sie für Bürger*innen afrikanischer Länder stagnieren oder sogar zugenommen haben? Unter welchen Bedingungen werden Regelungsrahmen für Mobilität geschaffen, darunter auch die Genfer Flüchtlingskonvention, die sich ursprünglich nur an europäische Flüchtlinge richtete? Und wo liegen die Ursachen für die grundlegenden Ungleichheiten in der Wohlstandsverteilung, die bestimmen, wer migrieren kann? Oder anders gefragt: Woher kommt der ganze Reichtum in den Ländern, deren Bürger*innen am meisten Freizügigkeit genießen? Man kann mit Sicherheit sagen, dass die internationalen Beziehungen nach wie vor von kolonialem Erbe geprägt sind, und dieses Erbe diktiert bis heute Mobilitätsregelungen.

Win-Win? Migrationspartnerschaften

In Anbetracht der politischen Forderungen nach sicherer und geordneter Migration sowie dem Bedarf an qualifizierten Migrant*innen ist ein offensichtlicher Weg die Erteilung von Visa für Studium und Praktika. Doch nach Angaben der deutschen Regierung erhielten zwischen 2012 und 2022 nur 283 namibische Studierende und 16 Wissenschaftler*innen ein Visum. Das ist nicht gerade viel für ein Jahrzehnt.

Ein weiteres Mittel zur Steigerung der Mobilität sind bilaterale Migrationsabkommen, die ein guter Weg nach vorne sein können und manchmal als doppelte oder dreifache Gewinne bezeichnet werden: ein Gewinn für das Zielland (mehr Arbeitskräfte mit gefragten Qualifikationen), ein Gewinn für das Herkunftsland (in Form von Geldüberweisungen nach Hause) und ein Gewinn für die Migrant*innen selbst (die von der Beschäftigung und dem Erlernen neuer Fähigkeiten profitieren). Solche Abkommen bieten potenziell innovativere und realistischere Wege für legale Migration, wie zum Beispiel das kürzlich abgeschlossene bilaterale Abkommen zwischen Kenia und Deutschland, das Visa für kenianische IT-Spezialist*innen ohne formale Qualifikationen vorsieht (Artikel 7.3) - etwas, das normalerweise den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erschweren würde. Aber profitieren wirklich alle von dieser Art von Abkommen?

Erstens ist es fraglich, wie viele Kenianer*innen tatsächlich nach Deutschland reisen und dort arbeiten können. Außerdem bleibt unklar, wie dieser Ansatz dazu beitragen kann, die Jugendarbeitslosigkeit von 67 Prozent in Kenia zu bekämpfen. Zweitens ist es wahrscheinlich, dass das Abkommen vor allem bereits gut ausgebildeten Kenianer*innen die Möglichkeit gibt, nach Deutschland zu gehen - zum Beispiel denjenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten, was die Gefahr eines Brain Drain mit sich bringt. In der Tat gibt es in Kenia bereits einen Mangel an medizinischem Fachpersonal - derzeit kommt ein Arzt/ eine Ärztin auf 5 263 Kenianer*innen: mehr als das Fünffache des von der WHO empfohlenen Verhältnisses.

Natürlich kann man das politische Auftreten des kenianischen Präsidenten Ruto in Frage stellen, der behauptet hat, dass bis zu 250 000 Kenianer*innen in Deutschland Arbeit finden könnten. Aber auch von deutscher Seite wird versucht, einerseits den dringenden Bedarf an Arbeitsmigration anzuerkennen - wenn auch nicht allzu laut - und andererseits die möglicherweise konstruierten Ängste der deutschen Wählerschaft zu beschwichtigen. Dies geschieht dadurch, dass die kenianische Regierung im Gegenzug für die Erteilung von Arbeitsvisa diejenigen Kenianer*innen zurücknehmen muss, die keinen Rechtsanspruch auf ein Leben in Europa haben. Abschiebungen „im großen Stil“ sind ein langjähriges Ziel der derzeitigen Regierung. Warum schließlich sind die Artikel 10-18 des Abkommens der Zusammenarbeit bei der Rückführung - auch von Drittstaatsangehörigen - von Deutschland nach Kenia gewidmet, was wohl wenig mit Arbeitsmigration zu tun hat? Im Jahr 2023 wurden nach Angaben von Eurostat fünf Kenianer*innen aus Deutschland zurückgeführt. Im selben Jahr wurden insgesamt 85 kenianische Staatsangehörige zur Ausreise aufgefordert, nachdem festgestellt worden war, dass sie kein Aufenthaltsrecht in Deutschland hatten. Rechtfertigen diese Zahlen wirklich einen so großen Teil des Abkommens der Frage der Rückführung zu widmen?

Was hier deutlich wird, ist die Konditionalität solcher Partnerschaften, bei denen eine Seite eindeutig das Sagen hat und einseitig die Bedingungen für den (erweiterten) Zugang von Arbeitskräften zu den europäischen Arbeitsmärkten festlegt. Für afrikanische Regierungen, die sich an die Rückkehrbedingungen halten, ist der Druck im eigenen Land hoch, insbesondere wenn es keinen sichtbaren und glaubwürdigen Zugang zu Visa gibt. Im Falle des deutsch-kenianischen Abkommens bot die Partnerschaft Präsident Ruto die Gelegenheit, seiner verärgerten Wählerschaft die (potenzielle) Schaffung von Arbeitsplätzen zu verkaufen, da die Kosten für die Rückkehr so weniger Kenianer*innen gering waren. Die deutsche Regierung konnte ihrerseits öffentlich ihr Engagement für Abschiebungen zeigen, auch wenn diese nur symbolisch sind. 

Was will Deutschland?

Es ist 140 Jahre her, dass etwas mehr als ein Dutzend Männer, die nicht-afrikanische Länder vertraten, in einem Raum in Berlin zusammensaßen und einseitig über das Schicksal eines ganzen Kontinents und von Millionen seiner Bewohner*innen entschieden. Achiume argumentiert, dass es ein moralisch-rechtliches Argument gibt, dass Menschen aus ehemals kolonisierten Regionen frei in das Gebiet der ehemaligen Kolonialmächte reisen können sollten. Schließlich gab es für die Kolonisatoren und ihre Familien nie irgendwelche Beschränkungen, in die Kolonien zu reisen. Von dieser Wiedergutmachungsvision könnten wir nicht weiter entfernt sein. Die Frage lautet: „Wovor haben wir solche Angst?“ Und vielleicht, aus der Perspektive einer wirtschaftlichen Realpolitik: „Was brauchen wir?“ Tatsache ist, dass Deutschland Arbeitsmigration benötigt, aber eine aktuelle Studie zeigt, dass viele Arbeitsmigrant*innen Deutschland verlassen, weil sie sich hier nicht wohl fühlen. In der Tat ist Deutschland das europäische Land, in dem Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe am meisten Diskriminierung und Rassismus erfahren. Wir müssen uns selbst, unsere Politiker*innen und die Medien hinterfragen, die ein weitgehend verzerrtes Bild von einer unkontrollierten Zahl von Migrant*innen zeichnen, die eine sicherheitsrelevante Bedrohung darstellen. Dieses Bild stimmt weder mit den tatsächlichen Zahlen noch mit dem tatsächlichen Bedarf an Arbeitsmigration überein. Es unterschlägt außerdem die Schwierigkeiten, mit denen Migrant*innen, insbesondere aus Afrika, konfrontiert sind. Dies führt uns zurück zur wichtigsten aller Fragen: Wann werden wir unsere Mitverantwortung an einem ungerechten Mobilitätsregime übernehmen und uns dazu bekennen?

Der Text wurde aus dem Englischen von Constantin Herburger übersetzt.

Dr. Franzisca Zanker ist Senior Researcher und Leiterin des Forschungsclusters "Patterns of (Forced) Migration" am Arnold-Bergstraesser-Institut der Universität Freiburg.