Direkt zum Seiteninhalt springen

Kohärenz stärken: wie ein integrierter Ansatz in der deutschen Afrikapolitik gelingen kann

Blog Joint Futures 34, 13.12.2023

Die deutsche Afrikapolitik braucht ein neues Ambitionsniveau für kohärentes Handeln, fordert Julian Bergmann. Notwendig ist ein integrierter Ansatz, der unterschiedliche Politikfelder stärker miteinander verzahnt. Dafür braucht es ein ressortübergreifendes Narrativ und neue Institutionen und Verfahren zur Koordinierung der deutschen Afrikapolitik.

 

Die Fortschreibung der afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung bietet die Chance, die Kohärenz der deutschen Afrikapolitik zu stärken. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass der Anspruch ressortgemeinsam zu handeln in der Praxis nicht immer vollumfänglich eingelöst wird. Der Wille zum ressortgemeinsamen Handeln ist zwar vorhanden – wie Analysen in Partnerländern deutlich machen – aber eine Verständigung auf konkrete gemeinsame Ziele und Wirkungslogiken auf politischer Ebene fehlt oft und kann diesem deshalb entgegenstehen. Eine Stärkung der Kohärenz ist dringend notwendig.

Kakophonie deutscher Afrikapolitik

Dies liegt auch an der Kakophonie der strategischen Ausrichtung der deutschen Afrikapolitik, die sich aus dem Ressortprinzip ergibt. In den letzten zehn Jahren sind unter drei Bundesregierungen insgesamt zehn unterschiedliche afrikapolitische Strategien, Leitlinien und Eckpunktepapiere veröffentlicht worden: von den afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung (2014, 2019) über das Eckpunktepapier Wirtschaftliche Entwicklung Afrikas im Rahmen des Compact with Africa (2017) hin zu ressortspezifischen Strategien des Bundesministeriums der Verteidigung (2015), des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2017, 2023), des Bundesministeriums für Wirtschaft (2017), des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (2019) und des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (2020).

Diese Strategiefülle macht zwar die stark gewachsene Bedeutung deutlich, die dem Kontinent in der deutschen Außenpolitik zukommt. Gleichzeitig produziert sie auch Inkohärenzen. Eine vergleichende Analyse dieser Strategien hat gezeigt, dass es ressortübergreifend zwar große Übereinstimmungen bezüglich der identifizierten Herausforderungen in Afrika gibt. Gleichzeitig bestehen deutliche Unterschiede in Bezug auf die konkreten Zielrichtungen und die Wirkungslogiken deutscher Afrikapolitik, die von nachhaltigem Frieden über Sicherheit und Stabilität hin zu wirtschaftlicher Entwicklung reichen. Auch zentrale Wertmaßstäbe wie die Wahrung und der Schutz von Menschenrechten und der „do no harm“-Grundsatz finden sich nicht in allen Strategien wieder.

Es braucht ein neues Ambitionsniveau für kohärentes Handeln

Daher ist ein neues Ambitionsniveau für kohärentes Handeln in der deutschen Afrikapolitik notwendig - hin zu einem integrierten Ansatz, der die unterschiedlichen Politikfelder in Bezug auf die Afrikapolitik stärker und langfristig miteinander verzahnt. Der Anspruch eines integrierten Ansatzes in der Außenpolitik ist nicht neu und findet sich in Strategien anderer europäischer Länder und auch der EU, oft im Kontext des Umgangs mit fragilen und konfliktbetroffenen Staaten. Auch die dieses Jahr veröffentlichte Nationale Sicherheitsstrategie fußt auf einem integrierten Verständnis von Sicherheit, das explizit auch Politikfelder wie die Entwicklungspolitik als Sicherheitspolitik im erweiterten Sinne versteht.

Der Anspruch einer Integration unterschiedlicher Politikfelder in einen gemeinsamen Ansatz muss aber nicht auf die Sicherheitspolitik beschränkt sein, sondern kann auch Leitmotiv für regionalspezifische Strategien wie die afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung sein. Als Beispiel hierfür könnte die dieses Jahr verabschiedete Afrikastrategie der Niederlanden dienen, die dezidiert einen integrierten Ansatz in ihrer Strategie verankern.

Wichtig dabei ist: ein integrierter Ansatz bedeutet nicht die Fusion unterschiedlicher Politikfelder und das Überkommen historisch gewachsener institutioneller Ressortkulturen und Herangehensweisen. Vielmehr geht es um das Stärken von Komplementaritäten und das kohärente Ausrichten der einzelnen Politiken auf gemeinsame Ziele und Prinzipien.

Integrierter Ansatz: Gemeinsame Narrative – Institutionen – Verfahren

Doch wie gelingt ein solch integrierter Ansatz? Aus der Forschung zur horizontalen Integration der Umwelt-, Klima- und Nachhaltigkeitspolitik lässt sich ableiten, dass ein integrierter Ansatz durch drei Instrumente befördert werden kann bzw. drei Dimensionen beinhalten sollte: kommunikative, institutionelle, und prozedurale.

Bei der kommunikativen Dimension geht es im Wesentlichen um drei Elemente: (1) ein gemeinsam entwickeltes strategisches Problemverständnis, (2) politikfeldübergreifende Narrative, die gemeinsame Ziele definieren und (3) Orientierungsplanken für konkrete Umsetzungsschritte. Strategiedokumente spielen eine wichtige Rolle für die Ausformulierung der Zielrichtung eines integrierten Ansatzes, reichen aber alleine nicht aus.

Die institutionelle Dimension umfasst politikfeldübergreifende Strukturen für Koordination, um systematische und effektive Koordinierung möglich zu machen. Solche Strukturen können von interministeriellen Arbeitsgruppen und Task Forces über die Abordnung von Verbindungsbeamt*innen hin zu informellen Austauschformaten reichen. In der prozeduralen Dimension schließlich sollten administrative Standards und Verfahren vereinheitlicht werden, um Informationsaustausch und Entscheidungsprozesse über verschiedene Politikfelder hinweg zu ermöglichen. Auch die Einführung neuer, gemeinsamer Verfahren wie zum Beispiel die Co-Finanzierung von Projekten über Ressortgrenzen hinweg kann zu einer stärkeren Integration von Politikfeldern beitragen.

Vom ressortgemeinsamen zum integrierten Ansatz in der deutschen Afrikapolitik

Wie nun das Ganze in den neuen afrikapolitischen Leitlinien verankern? In der kommunikativen Dimension sollten die neuen Leitlinien ein gemeinsames afrikapolitisches Narrativ entwickeln, das die bisherigen Ressortstrategien verbindet und gleichzeitig eine verbindliche Richtschnur für die Ausgestaltung zukünftiger ressortspezifischer Strategien festlegt. Dieses Narrativ sollte auf gemeinsame langfristige Ziele hinwirken. Außerdem bietet es Grundlage, sich über eine übergeordnete Wirkungslogik des deutschen Engagements in Afrika zu verständigen. Damit müsste nicht direkt in der nächsten Legislaturperiode erneut eine Überarbeitung vorgenommen werden. Die Beantwortung von drei Fragen sollte im Zentrum der Erarbeitung eines gemeinsamen Narratives stehen:

Erstens: Was sind zentrale Interessen der afrikanischen Partnerländer und -organisationen in der Kooperation mit Deutschland und wie können wir diese durch unser Engagement adressieren? Die Interessen der Partner als Ausgangspunkt der eigenen strategischen Überlegungen zu verwenden ist eine wichtige Voraussetzung dafür, um relevante und glaubwürdige Politikangebote zu formulieren.

Zweitens: Was sind die Interessen, Ziele und Leitprinzipien deutscher Afrikapolitik? Dazu gehört auch sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie mit möglichen Konflikten zwischen einer Interessens- und Werteorientierung umgegangen wird. Diese manifestieren sich zum Beispiel im Umgang mit den Putschregierungen in Westafrika. Hier wird es wichtig sein, normative Eckpfeiler zu definieren, die trotz pragmatischen Handelns gewahrt bleiben müssen.

Drittens: Was ist das spezifische deutsche Angebot an afrikanische Partnerstaaten und -organisationen und welchen Mehrwert kann das afrikapolitische Engagement Deutschlands ihnen bieten? Die zentrale Aufgabe für die Bundesregierung ist es hier, das vielfältige afrikapolitische Engagement der einzelnen Ressorts von einer Bürde für kohärentes Handeln in eine spezifische Stärke deutscher Afrikapolitik umzumünzen. Dies gelingt vor allem dann, wenn sich die Ressorts auf gemeinsame inhaltliche Leitplanken einigen. Damit begriffen sie die Leitlinien alle als Richtschnur deutscher Afrikapolitik – trotz unterschiedlicher Ressortlogiken – und wären bereit, diese gemeinsam zu tragen. Auch dann, wenn sich dadurch in einzelnen Ländern Einschränkungen für das eigene Handeln ergeben sollten.

Neben der Entwicklung eines ressortübergreifenden Narratives können die afrikapolitischen Leitlinien aber auch Impulse für einen integrierten Ansatz auf der institutionellen und prozeduralen Dimension geben. Mit der Einrichtung eines Ressortkreises Afrika auf Ebene der Staatssekretäre im Zuge der Fortschreibung der afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung von 2019 wurde bereits ein wichtiges Koordinierungsgremium in der deutschen Afrikapolitik geschaffen. Dieses hat sich in wichtigen Phasen wie zum Beispiel während der deutschen G20-Präsidentschaft, die einen starken Afrika-Fokus hatte, bewährt. Die Rolle der Runde für die Festlegung ressortübergreifender Richtlinien für das deutsche afrikapolitische Engagement bezüglich konkreter Themenfelder (z.B. Energie- und Klimapolitik) oder in konkreten Länder- und Regionalkontexten sollte jedoch weiter gestärkt werden. Auch auf Länderebene fehlen oft permanente Strukturen, die alle in einem Land tätigen Ressorts zusammenbringen und ein gemeinsames Monitoring und Evaluierung des deutschen Engagements im Land ermöglichen.

Im Zuge der Entwicklung der neuen afrikapolitischen Leitlinien sollten sich die Ressorts auch damit beschäftigen, welche neuen Verfahren es möglicherweise für einen integrierten Ansatz in der deutschen Afrikapolitik benötigt. Die systematische Einführung der ressortübergreifenden Entwicklung von Länderstrategien oder die Schaffung neuer Möglichkeiten zur gemeinsamen Projektfinanzierung und –implementierung könnten mögliche Mechanismen sein. Auch wenn deren Einrichtung über das Leitlinien-Dokument an sich hinausgeht, wird nur durch die Stärkung von gemeinsamen Verfahren ein integrierter Ansatz in der deutschen Afrikapolitik möglich sein.

Das alles bietet zwar keine fertigen Antworten auf die Frage, wie die neuen afrikapolitischen Leitlinien inhaltlich ausgestaltet werden. Eine Fokussierung auf die kommunikative, institutionelle und prozedurale Dimension von politikfeldübergreifend kohärentem Handeln zeigt jedoch wichtige Wegweiser auf, an denen sich die afrikapolitischen Leitlinien zur Entwicklung eines integrierten Ansatzes in der deutschen Afrikapolitik orientieren sollten.

PD Dr. habil. Julian Bergmann ist Senior Researcher am German Institute of Development and Sustainability (IDOS). Er hat zahlreiche wissenschaftliche Beiträge zur EU-Außen- und Entwicklungspolitik sowie zur Afrika-EU-Kooperation im Bereich Frieden und Sicherheit veröffentlicht.

Die Verantwortung für die in den Beiträgen und Interviews vorgetragenen Inhalte, Meinungen und Quellen liegt bei den jeweiligen Autor*innen.