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Lampedusa – Symbol einer gescheiterten EU-Flüchtlingspolitik

Den EU-Staaten gelingt es nicht, in der Asyl- und Flüchtlingspolitik an einem Strang zu ziehen. Deutschland sollte den öffentlichen Druck nach der Katastrophe in Lampedusa nutzen, um für gemeinsame hohe Standards zu werben, meint Sabine Riedel.

Kurz gesagt, 16.10.2013 Forschungsgebiete

Den EU-Staaten gelingt es nicht, in der Asyl- und Flüchtlingspolitik an einem Strang zu ziehen. Deutschland sollte den öffentlichen Druck nach der Katastrophe in Lampedusa nutzen, um für gemeinsame hohe Standards zu werben, meint Sabine Riedel.

Die Flüchtlingskatastrophe vor der italienischen Insel Lampedusa wirft ein grelles Licht auf eine gescheiterte EU-Asyl- und -Flüchtlingspolitik. Den Mitgliedstaaten ist es bisher nicht gelungen, sich auf Mindeststandards für die Asylgesetzgebung zu einigen. Und die EU-Kommission versäumt es, sich in der Flüchtlingspolitik an den Bedürfnissen und Erfahrungen der Mitgliedstaaten zu orientieren.

Politisch Verfolgten Rechtssicherheit geben

Das Gebot der Stunde ist es nun, einen neuen Anlauf für eine gemeinsame Asylgesetzgebung zu nehmen, um politisch Verfolgten europaweit eine größere Rechtssicherheit zu geben. Von deutschen Politikern darf man dabei erwarten, dass sie die eigenen relativ hohen Standards vor den europäischen Partnern verteidigen, nicht zuletzt im Interesse der Flüchtlinge selbst. Tatsächlich kommen viele deshalb nach Deutschland, weil ihre Chancen auf ein ordentliches Asylverfahren hier weit besser stehen als in Frankreich, Italien oder Griechenland. Angesichts dessen ist es erstaunlich, wie sich deutsche Politiker derzeit für ihre Asylpolitik geißeln. Es ist noch nicht lange her, als Staatspräsident Nikolas Sarkozy das Aufnahmelager Sangatte an der Atlantikküste schließen ließ und die dort Gestrandeten der Obdachlosigkeit preisgab. Nicht anders hielt es Silvio Berlusconi, der auf Lampedusa ein Exempel statuieren wollte und die dortigen Flüchtlingsunterkünfte dicht machte. Auch Griechenland ging schon vor Ausbruch der Schuldenkrise nicht gerade zimperlich mit Flüchtlingen um. Wie Pro Asyl dokumentiert, überlassen die Behörden dort tausende obdachlose Waisenkinder aus Kriegsregionen schutzlos kriminellen Netzwerken und Menschenhändlern.

Die Situation in den Herkunftsländern verbessern

Neben der Einführung von Mindeststandards in der Asylgesetzgebung müssen sich die EU-Staaten dringend mit der Frage befassen, wie sie mit den Ursachen der Flüchtlingsströme umgehen. In Italien stellt nur jeder fünfte Einwanderer ohne Papiere einen Asylantrag, die anderen sind gekommen, um sich und ihren Familien ein Auskommen zu sichern - und nicht als politisch Verfolgte, die ein Recht auf Asyl genießen. Auch das Gros der Flüchtlinge in der EU insgesamt kommt aus wirtschaftlichen Gründen. Da ihnen weder in der EU noch anderswo auf der Welt Asyl gewährt wird, muss die EU versuchen, die Herkunftsländer darin zu unterstützen, die Lebenssituation der Menschen zu verbessern. Denn die Migration aus Afrika wird noch deutlich zunehmen, sollte sich nichts Entscheidendes ändern. Eine Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge von 2010 prognostiziert, dass sich die Bevölkerung Afrikas bis zum Jahre 2050 auf zwei Milliarden Menschen verdoppeln wird. Bereits heute sind über 40 Prozent der Afrikaner unter 15 Jahre alt, ein Zeichen für Armut und Unterentwicklung.

Umso wichtiger werden präventive Ansätze, die einen Zusammenhang herstellen zwischen der Bekämpfung illegaler Migration mit der Außenwirtschafts- und Entwick-lungspolitik. Als erstes Land der EU hat Spanien hierzu konkrete Strategien entwickelt und Partnerschaften mit afrikanischen Staaten übernommen, um staatliche Strukturen und die Zivilgesellschaft zu stärken. Deutschland ist diesem Beispiel gefolgt und pflegt Transformationspartnerschaften mit den Staaten Nordafrikas und dem Nahen Osten. Diese Erfahrungen sollten in den europäischen Diskurs eingebracht werden. Es wäre die Aufgabe der EU-Kommission, diesen zu moderieren. Schließlich sollte geprüft werden, welche Auswirkungen die Militärinterventionen in Libyen und Mali auf die Flüchtlingsthematik hatten. Wie schwer wiegen nationale Wirtschaftsinteressen um die Sicherung afrikanischer Rohstoffe und sind sie möglicherweise eine Ursache für die neuerlichen Flüchtlingswellen? Die Ergebnisse einer solchen Untersuchung sollten in künftige Überlegungen zur Prävention von Flucht eingehen.

Bedürfnisse und Erfahrungen der Mitgliedstaaten in den Fokus rücken

Zwar befasst sich die EU-Kommission mit dem Flüchtlingsproblem, allerdings ohne sich dabei an den Erfahrungen und Bedürfnissen der Mitgliedstaaten zu orientieren. So hat sie die Visapolitik mit den Staaten des West-Balkan in den letzten Jahren großzügig liberalisiert und verhandelt mit Russland, der Ukraine und der Türkei zurzeit über eine Aufhebung der Visumspflicht. So wächst die EU jährlich um eine halbe Million Menschen ohne Aufenthaltsberechtigung. Dies verwundert nicht, liest man den Bericht der Europäischen Grenzagentur Frontex aus dem Jahre 2010: Danach können heute eine Milliarde Menschen aus 37 Ländern ohne Visum in die EU einreisen. Viele von ihnen bleiben in der EU und sichern sich ihr Auskommen in illegalen Beschäftigungsverhältnissen. Gleichzeitig wirbt die EU-Kommission in Osteuropa und Nordafrika über Mobilitätspartnerschaften um neue Arbeitsmigranten. Eine solche Migrationspolitik orientiert sich jedoch nur noch am wirtschaftlichen Nutzen. Den aktuellen politischen und humanitären Herausforderungen in den Mitgliedstaaten wird sie nicht gerecht. Italienische und spanische Migrationsforscher des Clandestino Projects konnten nachweisen, dass es sich vielmehr bewährt, wenn Arbeitsverhältnisse von Einwanderern, die schon seit einiger Zeit ohne Sozialversicherung in Europa leben, legalisiert werden: die Sozialkassen werden aufgefüllt, einheimische Unternehmen zufriedengestellt, weil sie nicht neue Arbeitskräfte anlernen müssen, und den Betroffenen eine menschenwürdige Existenz gesichert. Zwar setzen diese Maßnahmen nicht an den Fluchtursachen an, könnten aber zumindest einem Teil der bereits in Europa lebenden Wirtschaftsflüchtlinge die Chance eines Neuanfangs bieten.

Der öffentliche Druck, der durch die Katastrophe in Lampedusa entstanden ist, darf nicht in gegenseitigen Beschuldigungen verpuffen. Vielmehr müssen die EU-Mitgliedstaaten ihn nutzen, um endlich an einem Strang zu ziehen. Deutschland sollte hierbei eine führende Rolle einnehmen und hohe Standards in der Asylgesetzgebung einfordern sowie ein Nachdenken über Fluchtursachen in Gang bringen.

Der Text ist auch bei EurActiv.de erschienen.