Selbst wenn die Förderhöchstmenge beim Erdöl überschritten sein wird, werden uns nicht-konventionelle Ölreserven noch lange zur Verfügung stehen
in: Handelsblatt Nr. 047 vom 08.03.2005, Seite 9in: Handelsblatt Nr. 047 vom 08.03.2005, Seite 9
Enno Harks
Selbst wenn die Förderhöchstmenge beim Erdöl überschritten sein wird, werden uns nicht-konventionelle Ölreserven noch lange zur Verfügung stehen
Seit im Herbst letzten Jahres der Ölpreis über 50 Dollar pro Fass geklettert ist und seitdem er nur knapp darunter pendelt, geht sie wieder um: die Angst vor der bald einsetzenden Ölkrise. In alarmistischen Tönen wird davor gewarnt, dass die Ölproduktion schon sehr bald ihr Maximum erreichen wird und dass dies das Ende des Ölzeitalters einläuten wird. Die Vertreter dieser "Peak-Oil"-Theorie sehen den Zeitpunkt für die Jahre 2008 bis 2010 gekommen.
Tatsächlich ist unbestritten, dass ein solches Fördermaximum existiert. Das liegt an den technischen und ökonomischen Faktoren des Abbaus nicht-erneuerbarer Ressourcen und führt dazu, dass die Produktion einer Art (asymmetrischer) Glockenkurve folgt. Deren Peak wird von der Mehrheit der Wissenschaftler für Öl um 2020 vermutet. Doch viel wichtiger als die Frage, wann genau dieses Maximum erreicht wird, ist die Frage, was denn eigentlich danach geschehen wird: eine globale Ölkrise, wie von den fossilen Apokalyptikern vorhergesagt, oder vielmehr der Beginn marktwirtschaftlicher Anpassungsprozesse?
Die Antwort ist klar: Man kann getrost von Letzterem ausgehen. Zwar wird das Ölangebot ab dem Produktionspeak eine steigende Nachfrage nicht mehr befriedigen können, doch hieraus folgt zunächst nur ein Ansteigen des Ölpreises. Diese Preissteigerung wird die Nachfrage dämpfen und zugleich Fördergebiete mit hohen Produktionskosten rentabel machen.
Neben höheren Ausgaben für Exploration und Förderung und dem damit einhergehenden technischen Fortschritt wird insbesondere nicht-konventionelles Öl vom Markt bereitgestellt werden. Diese Mengen werden aller Voraussicht nach zwar nicht die gesamte Produktionsmenge erhöhen können, es ist aber anzunehmen, dass die Ölförderung ab dem Peak durch diese Erweiterung der Ressourcenbasis für einige Jahre (womöglich ein Jahrzehnt) auf einem Plateau stabilisiert wird, bevor sie unwiderruflich sinkt. Daraus folgt, dass ab dem Peakzeitpunkt die Ölpreise nicht explosionsartig steigen werden, sondern eher einen kontinuierlichen Anstieg beginnen.
Hierzu einige Fakten: Heute betragen die durchschnittlichen weltweiten Produktionskosten für Öl rund sechs bis acht Dollar pro Fass, wobei diese im Mittleren Osten bei zirka zwei bis vier Dollar und in westlichen Nicht-Opec-Ländern bei elf bis 13 Dollar pro Fass liegen. Der aktuelle Marktpreis beträgt um die 45 Dollar pro Fass - die Differenz, zu einem großen Teil verursacht durch Opec-Kartellpolitik und fehlenden Zugang des Marktes zu den Fördergebieten des Mittleren Ostens, landet als ökonomische Rente bei den Öl produzierenden Staaten oder multinationalen Unternehmen.
Für eine Steigerung dieser Produktionskosten für konventionelles Öl bleibt somit noch ein großer Spielraum. Zusätzlich werden die nicht-konventionellen Ölreserven eine bedeutende Rolle spielen, da sie schon heute in Reichweite ökonomischer Rentabilität und ihre Vorräte zum Teil wesentlich größer sind als die des konventionellen Öls. Hier sind insbesondere Ölsande, Gas-to-liquids und Coal-to-liquids zu nennen.
Ein kurzer Überblick: Ölsande, deren Vorkommen in Kanada in etwa den gesamten konventionellen Ölreserven Saudi-Arabiens entsprechen, werden heute schon zu Kosten von 15 bis 20 Dollar pro Fass gefördert und machen gut ein Drittel der Gesamtförderung Kanadas aus. Des Weiteren kann Gas, dessen Vorräte im Vergleich zu Öl wesentlich größer sind, zu hochwertigem synthetischem Kraftstoff verarbeitet werden. Die Produktionskosten machen dies schon heute bei einem Rohölpreis ab 20 Dollar pro Fass wirtschaftlich, und einige Länder, insbesondere Qatar, das über 15 Prozent der Weltgasreserven verfügt, forcieren entsprechende Großprojekte mit Hilfe westlicher Ölmultis.
Und schließlich kann auch Kohle verflüssigt werden ("coal-to-liquids"), ein Verfahren, das sich am Markt als entscheidend herausstellen könnte, da Kohle um ein Vielfaches höhere Reserven aufweist als Öl und Gas (noch für Jahrhunderte) und die Produktionskosten auf rund 25 Dollar pro Fass gefallen sind. Für dieses Verfahren hat China letztes Jahr ein Kooperationsabkommen mit der südafrikanischen Sasol geschlossen, um bis 2011 zwei gigantische Kohleverflüssigungsanlagen zu errichten. China hat die drittgrößten Kohlevorkommen der Welt.
Ein weiterer Grund für ein Ausbleiben einer Ölkrise ist in der Verbrauchs- und Steuerstruktur zu suchen. Denn Öl wird schon heute in den Ländern Europas zu nahezu 60 Prozent im Verkehrssektor eingesetzt - Tendenz steigend -, und der Kraftstoffpreis ist nur äußerst unterproportional vom Rohölpreis abhängig. Ein Rechenbeispiel: Selbst bei einem hypothetischen Anstieg des Rohölpreises von 40 Dollar auf 100 Dollar pro Fass bedeutet dies in Deutschland auf Grund der hohen Volumensteuern auf Kraftstoffe nur einen Anstieg von heutigen 1,05 Euro auf 1,35 Euro pro Liter Benzin - eine Summe, die für den europäischen Verkehrsteilnehmer doch eher Peanuts sein wird, insbesondere wenn dieser Anstieg allmählich und erst im Zeitraum nach 2020 erfolgt.
Letztendlich kann man deshalb festhalten, dass es in absehbarer Zukunft keine fossile Energiekrise auf Grund fehlender Verfügbarkeiten geben wird. Apokalyptische Szenarien lassen sich immer gut verkaufen, doch leider erwecken sie häufig zusätzlich den Eindruck, dass sich das eigentliche Problem der Menschheit, das fossile Klimaproblem, durch das Ende des Öls bald von selbst löse. Dies ist jedoch nicht nur ein gewaltiger Irrtum, sondern sogar gefährlich. Denn der Markt wird noch für mehrere Jahrzehnte genügend fossile Brennstoffe mit zunehmend negativer CO2-Bilanz zur Verfügung stellen. Weit länger jedenfalls, als mit einer Antwort auf das Klimaproblem gewartet werden kann. Kurz gesagt: Wir werden eher an manifesten Klimaproblemen scheitern als an der Verfügbarkeit fossiler Rohstoffe.
Enno Harks forscht für die Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin.