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Israel kodifiziert den jüdischen Charakter des Staates

Das israelische Nationalstaatsgesetz ist nach langer Diskussion in vielen Punkten abgemildert worden. Mit der Stärkung des jüdischen Nationalstaatscharakters gegenüber grundlegenden demokratischen Prinzipien haben die Initiatoren ihr Ziel dennoch erreicht, meint Peter Lintl.

Kurz gesagt, 19.07.2018 Forschungsgebiete

Das israelische Nationalstaatsgesetz ist nach langer Diskussion in vielen Punkten abgemildert worden. Mit der Stärkung des jüdischen Nationalstaatscharakters gegenüber grundlegenden demokratischen Prinzipien haben die Initiatoren ihr Ziel dennoch erreicht, meint Peter Lintl.

Mit der Verabschiedung des Grundgesetzes »Israel: der Nationalstaat des jüdischen Volkes« hat die Regierung Benjamin Netanjahus das prestigeträchtigste Vorhaben der Legislaturperiode umgesetzt. Das Gesetzesvorhaben war von enormem Widerstand aus israelischer Opposition, Zivilgesellschaft und dem juristischen Apparat begleitet. Sogar Staatspräsident Reuven Rivlin intervenierte mit einem öffentlichen Brandbrief.

Das Grundgesetz ist maßgeblich vom rechten Rand der ohnehin rechten israelischen Regierung vorangetrieben worden: von der nationalreligiösen Partei »Jüdisches Heim«, von Teilen des konservativen »Likud« Netanjahus und von der säkular-nationalistischen Partei »Israel Beitenu«. Sie verfolgen den Anspruch, ethnische, nationale und religiöse Dimensionen des Judentums hervorzuheben.

Dieses Grundgesetz–Israel hat keine Verfassung, sondern einzelne Grundgesetze mit Verfassungsrang – soll den jüdischen Charakter des Staates als oberstes Prinzip vor allen anderen verankern. Wie Yedidia Stern, Vize-Präsident des Israel Democracy Institutes, ausführt, hat das Gesetz das Potential, zum wichtigsten Rechtsakt im gesamten Gesetzeskanon Israels zu werden.

 

Gegen die liberale »konstitutionelle Revolution« der 1990er Jahre

Ausgangspunkt für dieses Gesetz ist die Kritik an der sogenannten »konstitutionellen Revolution« der 1990er Jahre, die Menschenrechte auf Verfassungsrang gehoben hatte. Die Unterstützer des Nationalstaatsgesetzes kritisieren, dass sich auf dieser Grundlage in Israel eine liberale Hegemonie etabliert habe, die, unterstützt vom Obersten Gerichtshof, unverhältnismäßig großen Einfluss fand. Nach Meinung von Justizministerin Ayelet Shaked (Jüdisches Heim) habe die konstitutionelle Revolution Israel seines jüdischen Charakters beraubt. Sie forderte daher: »Wir müssen den jüdischen Charakter des Staates schützen, auch wenn das bedeutet, Menschenrechte zu opfern«.

Darin liegt die eigentliche Intention dieses Gesetzes. Es ist ein Versuch, jüdische Prinzipien gegenüber demokratischen Prinzipien und individuellen Rechten wenigstens zu stärken, besser noch sie ihnen überzuordnen. In einer früheren Version des Gesetzes war diese Überordnung noch explizit verankert, scheiterte aber am Widerstand der Mitte-rechts-Partei »Kulanu«. Letztlich wurde als Kompromiss jede Bestimmung des Verhältnisses von Demokratie und Judentum gestrichen und nur mehr der jüdische Charakter des Staates betont.

Die grundsätzliche Idee, Israel als Nationalstaat der Juden zu kodifizieren, wird von einer Mehrheit der Israelis geteilt. In vielerlei Hinsicht sieht die jüdische Mehrheit darin nur das Festschreiben einer ohnehin existenten Realität: Israel wurde als jüdischer Staat gegründet. Zudem befürchten viele Israelis angesichts des stagnierenden Friedensprozesses, der erstarkenden israelkritischen »Boycott, Divestment and Sanctions«-Bewegung (BDS) und einer anhaltenden europäischen Kritik nicht nur, aber insbesondere am Siedlungsbau, dass die Legitimität des Staates zunehmend in Frage gestellt wird. Vor diesem Hintergrund ist die Idee eines solchen Gesetzes auch als Versuch zu verstehen, eine Selbstvergewisserung über die Legitimität des jüdischen Staates herbeizuführen.

 

Kritik am Gesetzesentwurf

Umstritten ist allerdings die von der politisch rechts stehenden Koalitionsregierung unter Netanjahu propagierte Vorstellung eines jüdischen Staates, wie sie im Gesetzentwurf zum Ausdruck kam. So sollte zunächst eine Klausel integriert werden, die es ermöglicht hätte, homogene Gemeinden auf der Grundlage von Nationalität oder Religion zu schaffen. Dies schürte Befürchtungen, dass vor allem die arabisch-palästinensische Minderheit noch stärkere Ausgrenzung erfahren könnte.

In der Nachfolge des lautstarken Protests wurde dieser Artikel zugunsten einer von Naftali Bennett, dem Vorsitzenden von »Jüdisches Heim«, eingebrachten Klausel gestrichen, die besagt, dass die jüdische Besiedlung allgemein gestärkt werden soll. Dies bezieht sich nicht notwendigerweise auf das besetzte Westjordanland, aber schließt dessen Besiedlung auch nicht aus.

Ein anderer strittiger Punkt, der allerdings Eingang in das Gesetz gefunden hat, ist die de-facto-Nachordnung des Arabischen hinter des Hebräische. Selbst die alte Garde des Likud, altgediente und ehemalige Parlamentarier wie Benny Begin, Moshe Arens oder auch Präsident Rivlin, bezweifeln die Notwendigkeit einer solchen Bestimmung.

Viel Kritik hat auch der Umstand erfahren, dass das Prinzip der Gleichheit, bis dato in keinem Grundgesetz Israels festgehalten, auch in diesem Gesetz wieder fehlt. Diese Auslassung hat durchaus Methode: Aus Angst davor, dass der Oberste Gerichtshof der arabischen Bevölkerung kollektive Rechte zusprechen könnte, erklärte Yariv Levin (Likud), einer der Architekten des Gesetzes, dezidiert, das der Einschluss des Gleichheitsprinzips »das genaue Gegenteil von dem ist, was ich will«.

 

Setzt sich die rechte Minderheit langfristig durch?

Auch wenn nicht alle Forderungen der Initiatoren des Gesetzes integriert wurden, ist es doch ein Erfolg einer rechten Minderheit im Staat, die ihre strategische Situation in der Koalition ausgenutzt hat. Es ist ihr gelungen, eine Entwicklung in Gang zu setzen, der sich auch die Kritiker innerhalb der Regierung – insbesondere »Kulanu«, aber auch die ultraorthodoxen Parteien – nicht mehr entziehen konnten. Auch Netanjahus Sinneswandel ist ein Produkt dieser Entwicklung. Er hat sich den Positionen primär aus Sorge um Wählerstimmen angenähert und stellt sich nun selbst als maßgeblichen Wegbereiter des Gesetzes dar. Kürzlich betonte er auf äußerst populistische Weise die Notwendigkeit des Gesetzes mit den Worten, dass auch die Mehrheit Rechte habe.

Für seine rechts stehenden Initiatoren ist das Gesetz ein Versprechen für die Zukunft und eine Abkehr von der Vergangenheit. Laut Justizministerin Shaked läutet es eine konservative Gegenrevolution zur Verfassungsrevolution der 1990er ein. Ob sich auf dem weiteren Weg des jüdischen Staates die derzeit so erfolgreiche, weit rechts stehende Minderheit in diesem Sinne durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.

Dieser Text ist auch bei EurActiv.de und auf Handelsblatt.com erschienen.