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»Im Internet dominieren die Dschihadisten«

Nach dem Attentat auf dem Frankfurter Flughafen erläutert Asiem el Difraoui, wieso die dschihadistische Propaganda im Netz so erfolgreich ist, und was für Konsequenzen daraus gezogen werden sollten.

Kurz gesagt, 10.03.2011 Forschungsgebiete

Nach dem Attentat auf dem Frankfurter Flughafen fordert der Bundesanwalt ein verschärftes Vorgehen gegen Propaganda im Internet. Asiem el Difraoui erläutert, wieso die Hetzer im Netz so erfolgreich sind, und was für Konsequenzen daraus gezogen werden sollten.

Der Attentäter von Frankfurt, Arid U., soll ein Einzeltäter sein und sich innerhalb weniger Monate vor allem über das Internet radikalisiert haben. Ist das realistisch?

Eine Radikalisierung ausschließlich und allein über das Netz ist wohl die Ausnahme. Aber das Internet ist ein entscheidender Faktor in diesem Prozess geworden. Studien und Interviews mit Häftlingen in Saudi-Arabien und mit Al-Qaida-Sympathisanten auch in Europa belegen das ziemlich eindrücklich, deshalb wächst auch die Angst vor dem sogenannten Instant-Mudschaheddin. Wichtigster Faktor im Radikalisierungsprozess bleibt zwar der persönliche Kontakt zu einem Gefährder. Das kann ein radikaler Scheich, aber auch ein Freund oder Familienmitglied sein, der starke dschihadistische Sympathien hegt und den Religionssuchenden erklärt, warum es wichtig ist, am Dschihad teilzunehmen. Der andere wichtige Faktor aber ist inzwischen das Internet.

Was passiert da im Netz?

Seit Mitte der 90er Jahre hat sich dort ein ganzer dschihadistischer Propaganda-Apparat auf Websites und in Foren entwickelt. Sie sind voller ideologischer Texte, Audios, A-Capella-Dschihad-Lieder, Videos sowie Foren und Chats. Der Apparat dient den Dschihadisten zum Austausch oder zur Radikalisierung und Rekrutierung. Besonders wichtig bei der Propaganda sind hunderte von Videos mit einer ganz eigenen Bildsprache. Dazu gehören Märtyrer-, Kampf- oder sogar postmoderne Videos, die an eine internationale Jugendkultur appellieren. Besonders wichtig in diesen Filmen sind Sequenzen, die Vergehen gegen die muslimische Zivilbevölkerung zeigen – Bombenangriffe, Vergewaltigungen oder Bilder aus Abu Ghraib. Ich habe das selbst bei Interviews mit Dschihadismus-Sympathisanten in London und Paris erlebt. Auch dieser junge Frankfurter soll als Auslöser für seine Tat ein Video genannt haben, in dem muslimische Frauen vergewaltigt werden. Die Erniedrigung von Muslimen ist ein zentrales Thema dieser Internet-Inhalte. Dadurch wird ein Solidaritätsgefühl geschaffen und gleichzeitig passt es in diese Idee von einem Komplott der Amerikaner, Zionisten und deren Alliierten, sprich einer globalen Verschwörung, gegen den Islam.

Warum ist die Internet-Propaganda so erfolgreich?

Diese Videos sind emotional unglaublich aufgeladen, die Menschen können sich sehr einfach damit solidarisieren. Von ihrer gefühlsmäßigen Wucht her wirken Bilder von einem Massaker viel stärker und unmittelbarer als ein durchgeschriebener Text. Außerdem haben mir in London junge Leute erzählt, dass ihrer Ansicht nach nur das Internet wahre, unzensierte Inhalte zeige. Für sie ist das Netz das einzige unabhängige Medium, das das wahre Gesicht des Krieges gegen den Islam mit all seinen Opfern darstellt.

Das klingt etwas naiv.

Nun, ihnen ist schon klar, dass auf den islamistischen Seiten vielleicht nicht alles stimmt. Aber die Leute, mit denen ich sprach, sagen: Es zeigt eben die andere Seite. Viele von diesen Menschen empfinden die Berichterstattung über Muslime und Araber in den westlichen Medien als extrem negativ und unterstellen eine grundsätzliche Ablehnung und Zensur. Außerdem haben manche dieser Seiten schon vor Wikileaks eben auch echte Gräueltaten der amerikanischen Soldaten gezeigt.

Was für Konsequenzen sollten jetzt gezogen werden?

Die Bundesanwaltschaft hat mit Blick auf das Frankfurter Attentat gefordert, verstärkt gegen die Propaganda im Internet vorzugehen. Bei reinen Aufrufen zur Gewalt ist die Sache auch klar. Aber wenn man Videos von irakischen Zivilisten ins Netz stellt, die bei einem US-Bombenangriff im Irak gestorben sind, um damit eine amerikanisch-jüdische Weltverschwörung zu belegen, wird es mit dem rechtlichen Instrumentarium sehr eng. Geheimdienste reduzieren bereits durch Cyberangriffe und gezielte Zerstörung die Anzahl islamistischer Websites. Diese Angriffe verursachen für die Betreiber viel Arbeit, da sie sich erst wieder ein neues System aufbauen und wieder neue Administratoren finden müssen. Somit wird die Verbreitung von dschihadistischen Inhalten im Netz geringer und die Aktivitäten und ideologischen Debatten auf den entsprechenden Websites werden beobachtbarer.

Reichen Verbote von Websites und Cyber-Attacken als Maßnahmen aus?

Nein. Zum einen kann man die Websites ohnehin nicht vollständig auslöschen. Und zum anderen ist das wirklich gefährliche, dass infolge der jahrelangen Propaganda der Dschihadisten ein ideologisches Corpus entstanden ist, das die Deutungshoheit über bestimmte islamische Konzepte für sich beansprucht und das im Internet dominiert. Dazu gehört das Konzept des Selbstmord-Märtyrertums, das dem Islam eigentlich fremd ist, auf das sich aber die Dschihadisten berufen. Oder es geht um Fragen wie „Wer ist ungläubig“, „Wer ist Apostat“, oder „Wie verhalte ich mich als Muslim gegenüber Anders- oder Nichtgläubigen“. Entscheidend ist also: Was macht man gegen dieses Corpus?

Was schlagen Sie vor?

Zu dem im Netz vorherrschenden dschihadistischen Narrativ müssen glaubwürdige Gegennarative geschaffen werden. Dieses ideologische Corpus kann etwa mittels religiöser Autoritäten widerlegt werden, die auch von den Dschihadisten anerkannt werden. Viele Themen, zum Beispiel dass der Dschihad eine ausgesprochen komplexe Angelegenheit ist, dass man Leute nicht einfach so exkommunizieren kann, dass es ganz andere Formen des Islam gibt, müssen breiter diskutiert werden und im Internet mehr Raum finden. Im Moment landen diejenigen, die sich für den Islam interessieren, also gerade junge Muslime, zu schnell auf dschihadistischen oder radikalen Websites. Und zwar auch schon dann, wenn sie nach ganz unverfänglichen Fragen suchen wie „Welchen Vornamen soll ich meiner Tochter, meinem Sohn geben“ oder „Wie genau soll ich beten“. So werden sie von Anfang an auf ein falsches Gleis gesetzt. Die große Aufgabe ist es, diesen virtuellen Raum mehr zu besetzen mit der ganzen Komplexität und des Reichtums der islamischen Geschichte und Deutungsauslegung.

Und wie könnte das konkret aussehen?

Beispiele gibt es etwa aus Marokko und Singapur, wo moderne islamische Webforen betrieben werden, auf denen eine zeitgemäße Koranauslegungen stattfindet, und die Jugendlichen die Möglichkeit geben, sich zu vernetzen, ihre islamische Identität zu finden ohne dabei auf radikale Argumentationen zu stoßen. Hier werden auch zeitgenössische muslimische Jugendkultur und Alltagsthemen wie Sport, islamischer Pop oder Literatur diskutiert. So kann man der dschihadistischen Subkultur etwas entgegenhalten. Eines der besten Gegennarrative aber ist zur Zeit, dass in Ägypten und Tunesien junge Muslime ihr Schicksal selbst in die Hand genommen haben mit Mitteln, die überhaupt nichts mit Dschihadismus zu tun haben, und worauf viele Muslime und Araber zu Recht sehr stolz sind.

Fragen: Ruth Ciesinger, Webredaktion

Berlin, 10.03.2011

Asiem el Difraoui ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Rahmen des von der Gerda Henkel-Stiftung geförderten Projekts »Jihadismus im Internet: Die Internationalisierung von Gewaltdiskursen im World Wide Web«.