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Illegale Ökonomien in afrikanischen Konfliktgebieten

Erkenntnisse aus Berichten von UN-Expertengruppen

SWP-Aktuell 2022/A 38, 09.06.2022, 8 Seiten

doi:10.18449/2022A38

Forschungsgebiete

Weltweit gibt es eine beträchtliche Zahl an bewaffneten Konflikten, die als langwierig gelten. Als Grund für ihre Fortdauer werden häufig illegale Ökonomien und deren Verbindungen zu Gewaltakteuren genannt. Immer wieder in den Fokus geraten ist die Drogenwirtschaft in Ländern wie Afghanistan, Kolumbien und Myanmar, weil sie Friedensprozesse untergräbt und Unsicherheit schürt. Dabei macht es die begrenzte Informationsbasis schwierig, die genaue Lage in Konfliktgebieten zu erfassen und hinter illegalen Geschäften die Netzwerke interner wie externer Akteure zu identifizieren. Dies gilt auch für die Gewaltkonflikte in Mali, der Demokratischen Republik Kongo (DRK) und der Zentralafrikanischen Republik (ZAR). Doch in allen drei Fällen bestehen Sanktionsregime der Vereinten Nationen (UN). Daher existieren mit den Berichten der UN-Expertengruppen, die die Umsetzung der Maßnahmen überwachen, umfangreiche und regelmäßig aktualisierte Informationsquellen, auch zu illegalen Ökonomien in den betreffenden Konfliktgebieten. Ein Blick in die Berichte für Mali, die DRK und die ZAR aus den letzten fünf Jahren lässt einige Muster erkennen, die Ansatzpunkte für ein externes Engagement aufzeigen, auch wenn es dabei keine einfachen Lösungen gibt.

Der erste Bericht einer Expertengruppe der Vereinten Nationen (Panel of Experts, PoE) erschien im März 2000; er betraf Verstöße gegen Sanktionen des UN-Sicherheitsrates zu Angola. Die Untersuchung legte etwa offen, dass die UNITA als bewaffnete Grup­pe Rohdiamanten gegen Waffen tauschte. Inzwischen werden fast alle UN-Sanktions­ausschüsse von solchen Expertenpanels unterstützt. Sie sammeln, prüfen und analysieren Informationen über die Um­set­zung verhängter Maßnahmen sowie über Personen und Einrichtungen, die auf Sanktionslisten gesetzt werden könnten.

Im Rahmen dieses Mandats untersuchen die PoEs auch illegale Ökonomien und kriminelle Netzwerke in Konfliktgebieten sowie deren transnationale Verbindungen. Die Berichte divergieren in Reichweite und Tiefe, schon allein deshalb, weil sich die Sanktionsregime selbst unterscheiden und die Expertengruppen unterschiedlich zu­sammengesetzt sind. In jüngster Zeit sehen sich die Panels auch zunehmend finanziellen und politischen Einschränkungen aus­gesetzt. Daher sind ihre Ergebnisse durch­aus mit Vorsicht zu behandeln. Insgesamt unterscheiden sich die Kontexte erheblich, was ebenso für die Mandate der PoEs gilt. Eine systematische Analyse von Berichten über mehrere Länder und Expertengruppen hinweg lässt jedoch bestimmte Schlüsselmerkmale illegaler Ökonomien erkennen; ebenso zeigt sich, wie sie in die politische Ökonomie der Konflikte eingebettet sind. Diese Muster sollten bei einem externen Engagement in solchen Umfeldern berück­sichtigt werden.

Ausgewertet wurden die Expertenberichte über die drei genannten Länderregime aus dem Zeitraum von 2015 bis Mitte 2021 (vollständiger Datensatz: https://doi.org/ 10.7802/2421). Sie zeigen, dass Einnahmen aus illegalen Geschäften, die bewaffneten Gruppen zufließen, ein großes Problem dar­stellen, dies aber nur Teil eines komplexe­ren Bildes ist.

Illegale Ökonomien entziehen sich einer simplen Konfliktlogik

Allgemein wird angenommen, dass in Konfliktgebieten die Kriminalität floriert. Tatsächlich kann der Zusammenbruch staatlicher Autorität mit einem Anstieg von Gewaltverbrechen wie Entführungen, Raub­überfällen und Vergewaltigungen einhergehen. Oder die Kontrolle über bis dato legale Aktivitäten, wie die Ausbeutung von Diamanten, wird von nichtstaatlichen be­waffneten Gruppen übernommen. In den meisten Fällen führt der Ausbruch eines Konflikts auch dazu, dass die Nachfrage nach Waffen, Munition und zugehörigem Material steigt. Vor allem wenn ein UN-Waffenembargo verhängt wurde, kann der Schmuggel solcher Ausrüstungsgüter den Nachschub für die Konfliktparteien sichern. Es ist ein Hauptziel vieler bewaffneter Gruppen, die Kontrolle über bestimmte Gebiete und die wirtschaftlichen Aktivitäten dort zu gewinnen, da sie Einnahmen benötigen, um Waffen zu beschaffen und ihre Kämpfer zu versorgen. Gleichzeitig kann es für transnational operierende kriminelle Netzwerke gewinnbringend sein, illegalen Handel durch Konfliktgebiete zu betreiben, wenn ihnen die Instabilität des Landes Vorteile bietet. Letztlich lässt sich nur schwer unterscheiden, was in einem solchen Kontext als legal oder illegal gilt. Darüber hinaus sind die Verbindungen zwischen illegalen Ökonomien und bewaff­neten Konflikten alles andere als eindeutig, was die beteiligten Akteure angeht.

Erstens sind, wie die UN-Berichte zeigen, illegale Ökonomien in der Regel nicht vor­rangig mit einer bestimmten Art von Ge­waltakteur verknüpft. Einige Verflechtungen ziehen international besondere Auf­merksamkeit auf sich, wie etwa der viel­beschworene Nexus zwischen organisierter Kriminalität und Terrorismus, doch sind sie nicht unbedingt dominierend. Dies über­rascht wenig, ist das Spektrum an Gewaltakteuren in vielen Konfliktgebieten doch zunehmend fragmentiert. In Mali gibt es neben dschihadistischen Kräften, die als terroristisch eingestuft werden, eine Viel­zahl bewaffneter Gruppen, die Teil der Koalitionen sind, die das Friedensabkommen von 2015 unterschrieben haben. Hin­zu kommen Gewaltakteure, die sich von diesen Unterzeichnergruppen abgespalten haben, sowie lokale Milizen, Gangs und andere. Darüber hinaus sind staatliche Akteure, einschließlich Angehöriger der Sicherheitskräfte, ebenfalls in illegale Ge­schäfte verwickelt. Im Fall der Zentral­afrikanischen Republik hält der Expertenbericht von 2017 fest, dass staatliche Sicher­heitskräfte an Netzwerken beteiligt sind, über die an diversen Grenzübergängen zur DRK und zum Sudan Waffen und Munition verkauft und geschmuggelt werden.

Transnational agierende Kriminelle schließen sich mit allen Arten von Akteu­ren zusammen, um ihre Gewinne zu sichern. Drogenhändler in Mali scheinen es vorzu­ziehen, mit bewaffneten Gruppen zu kooperieren, die das Friedensabkommen unterzeichnet haben – statt mit solchen, die als terroristisch gelten und damit stär­ker exponiert sind. In einem kürzlich er­schienenen Expertenbericht zur DRK wird beschrieben, wie sich Militäroffiziere von Schmugglern und bewaffneten Gruppen dafür bezahlen ließen, Gold in ihren Last­wagen zu transportieren. Schlüsselfiguren illegaler Ökonomien können sich auch Schutz von mehreren Seiten gleichzeitig verschaffen. Laut PoE hat etwa ein berüch­tigter Menschenhändler und Schmuggler in der malischen Region Gao, der eine örtliche Miliz anführt, sowohl lokale als auch hoch­rangige Verbindungen zu Sicherheitskräften des Landes. Dank seiner Kontakte konn­te er sich wiederholt der Verhaftung ent­ziehen. Zugleich unterhielt er enge Bezie­hungen zu Polizeibeamten, die ihm festge­nommene Migrantinnen und Migranten zur Ausbeutung übergaben. Da beim illegalen Handel mit natürlichen Ressourcen wie Diamanten und Gold in der Regel versucht wird, die wahre Herkunft der Güter zu ver­schleiern, sind häufig staatliche Akteure daran beteiligt. Durch das System für Sorg­faltspflicht und Rückverfolgbarkeit im Um­­gang mit Zinn, Tantal und Wolfram werden in der DRK etwa Bergbaugebiete als »grün« eingestuft, wenn sie frei von Eingriffen bewaffneter Gruppen sind. Im Rahmen des Kimberley-Prozesses – eines multilateralen Regimes zur Verhinderung von Handel mit Konfliktdiamanten – wurde 2015 damit begonnen, Diamantenabbaugebiete in der ZAR anhand bestimmter Kriterien wie der Kontrolle durch die Regierung als »com­pliant« zu kennzeichnen. So werden legale Geschäfte ermöglicht. Gleichzeitig kann dieser Weg aber auch dazu genutzt werden, illegal ausgebeutete Ressourcen aus ande­ren Gebieten zu waschen, die nicht die Bedingungen erfüllen.

Eine weitere Beobachtung ist, dass die Interaktionsmuster beteiligter Akteure nicht in ein simples Freund-Feind-Schema fallen. Die mit illegalen Ökonomien ver­bundenen Interessen überschreiten häufig Konfliktlinien oder spalten miteinander verbündete Gruppen. Dieses Bild zeigte sich schon während der 1990er Jahre in den Kriegsökonomien des westlichen Balkans, und die hier analysierten Berichte bestätigen es. In Mali gab es etwa eine stillschweigende Übereinkunft zwischen einer bewaff­neten Gruppe, die den Goldabbau im Um­feld der Stadt Kidal und die Verarbeitungsanlagen in Tessalit kontrolliert, und einer dschihadistischen Dachorganisation, die Einfluss auf die Bergbaugebiete um Tessalit ausübt. Staatliche Akteure können auch mit nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen zusammenarbeiten, wie der Fall kongolesischer Sicherheitskräfte zeigt, die offenbar mit Angehörigen bewaffneter Milizen in der Nähe von Bergbaugebieten in der Pro­vinz Nord-Kivu kooperierten.

In der ZAR konkurrieren ehemalige Séléka-Gruppierungen – Überbleibsel einer früheren Koalition von Rebellengruppen – untereinander um Steuern und Sicherheitsarrangements in ressourcenreichen Gebie­ten und in Grenzregionen. Dabei ist es auf­grund von Streitigkeiten über den Schmuggel von Waffen und Munition aus dem Sudan auch zu Zusammenstößen gekommen. Der Schmuggel von Drogen, insbesondere Haschisch, durch Nordmali bedroht laut Expertenpanel die Umsetzung des Friedensabkommens von 2015. Denn um die wichtigsten Transitrouten gibt es einen starken Wettbewerb zwischen einzelnen bewaffneten Gruppen, die das Abkommen unterzeichnet haben, auch zwischen ver­bündeten Kräften. Es kommt regelmäßig zu Auseinandersetzungen um Drogenkonvois, teils auch gewaltsamer Art. In der Regel wird dabei versucht, Drogen von einer anderen Gruppe zu »konfiszieren«. Die Be­richte zur DRK verweisen sogar auf Kämpfe zwischen einzelnen Einheiten der kongolesischen Sicherheitskräfte, die ausbrachen, nachdem sich Mitglieder des Militärs an Entführungen beteiligt hatten.

Insgesamt zeigt sich, dass bei den illegalen Ökonomien in der ZAR, in der DRK und in Mali klare Zuschreibungen schwierig sind. In Mali ist schon nicht eindeutig zwi­schen terroristischen und anderen bewaff­neten Gruppen zu unterscheiden. Aber auch Kategorien wie staatlich und nichtstaatlich verschwimmen, wenn etwa der Offizier einer bewaffneten Gruppe weiter Einfluss auf seine Kämpfer ausübt, nach­dem sie in die malische Armee integriert wurden, und sie zur Absicherung seiner Drogengeschäfte einsetzt. Bewaffnete Grup­pen in der ZAR haben staatliche Strukturen infiltriert, indem sie Behörden wie regiona­le Minendirektionen übernahmen. Dabei beließen sie einzelne Staatsbedienstete im Amt, damit diese weiterhin Dokumente unterzeichnen und so eine legale Fassade gewahrt wird.

Da sich illegale Ökonomien einer simplen Konfliktlogik entziehen, dient ihre Be­kämpfung nicht automatisch dazu, fried­liche Lösungen herbeizuführen. Entscheidend ist, den Verflechtungen zwischen sol­chen Ökonomien und bewaffneten Konflik­ten mit konkreten Zielen zu begegnen – etwa die Gewalt in einem bestimmten Ge­biet einzudämmen oder Anreize für invol­vierte Akteure so zu verändern, dass bei­spielsweise der Druck zur Teilnahme an Friedensverhandlungen steigt. Dies erfor­dert ein fundiertes Verständnis der sub­nationa­len Ordnungen und ihrer Legitimität.

Illegale Besteuerung als Kern nichtstaatlicher Governance

Illegale Ökonomien mögen zwar Konflikte und (gewaltsamen) Wettbewerb anheizen, doch können die involvierten Akteure in ihren Hochburgen ein gewisses Maß an Legitimität besitzen. Die PoE-Berichte gehen kaum direkt auf diesen Aspekt ein; sie geben aber indirekt Aufschluss darüber, wie die an illegalen Geschäften Beteiligten im Allgemeinen vorgehen. Eine gängige An­nahme ist, dass kriminelle Gruppen eher opportunistisch agieren und es kaum dar­auf anlegen, offen gegen den Staat vorzu­gehen oder ihn zu ersetzen. Tatsächlich scheint in den drei Fokusfällen eine Koexis­tenz mit dem Staat möglich zu sein, sofern die Einnahmen aus der illegalen Ökonomie weitgehend unangetastet bleiben. Wenn jedoch bestehende Arrangements durch staatliche Eingriffe bedroht werden, kann es zu gewalttätigen Reaktionen kommen. Dies zeigt der Fall des oben erwähnten Men­schenhändlers in Gao. Er attackierte die Polizei, als er zu Verbrechen befragt werden sollte, die seiner kriminellen Gruppierung zugeschrieben wurden. Die Expertengruppe konstatierte, dass er in der Stadt »unantastbar« sei.

Aber auch lokal mächtige Einzelpersonen oder Gruppen können auf Schutz­vereinbarungen angewiesen sein, wenn sie Waren durch Gebiete transportieren, die teilweise oder vollständig von bewaffneten Gruppen kontrolliert werden. Dies ist ein Hauptschema, das für Mali berichtet wird. Bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen um die Kontrolle von Schmuggelrouten geht es im Wesentlichen darum, Konvois mit Drogen und anderen Waren sowie zur Beförderung von Migrantinnen und Migran­ten zu organisieren. Auch im Fall der ZAR und der DRK sollen »Sicherheitsgebühren« und Zahlungen für den Transit erhoben werden. Laut Expertenpanels sind dort einige bewaffnete Gruppen unmittelbar daran beteiligt, natürliche Ressourcen ille­gal auszubeuten und damit zu handeln, etwa wenn es um Diamanten in der ZAR geht. Allerdings scheinen solche Geschäfte in allen drei Ländern eher die Ausnahme als die Regel zu sein. Die wichtigere Ein­nah­mequelle für bewaffnete Gruppen ist die illegale Besteuerung von Warenproduktion und -handel aller Art sowie des Personenverkehrs in den von ihnen kontrollierten Gebieten. Hier können sich die Interessen von kriminellen Netzwerken und bewaffneten Gruppen überlappen.

Die erwähnten Zahlungen können an Schutzvereinbarungen geknüpft sein, wie sie beim Drogenhandel in Nordmali vor­kommen. Teilweise geht es aber auch ein­fach nur darum, Gelder abzuschöpfen, etwa durch die Erhebung von Steuern ent­lang der Straßen in den Goldminengebieten von Mali. Für die DRK und die ZAR wird illegale Besteuerung als noch umfassender be­schrie­ben. Mitunter zielt sie systematisch auf alle Arten ökonomischer Tätigkeit ab – von der Wandertierhaltung über Landwirtschaft und Fischerei bis hin zu illegaler Aus­­beu­tung und Schmuggel von Mineralien. In der DRK betreiben einige Mai-Mai-Gruppen parallele Verwaltungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten, darunter Zoll- und Migrationsämter. Auf ähnliche Weise haben ehemalige Séléka-Kräfte in der ZAR mitunter eigene Verwaltungsstrukturen aufgebaut.

Diese Beobachtungen scheinen die An­nahme zu bestätigen, dass bewaffnete Gruppen – im Gegensatz zu kriminellen Akteuren – darauf zielen, eine alternative Form von Autorität zu etablieren und den Staat zu verdrängen. Genauer betrachtet ergeben die PoE-Berichte jedoch kein so eindeutiges Bild. Bei einigen Gruppen mag es als Anzeichen für eine Strategie des Staatsaufbaus gewertet werden, dass sie versuchen, neue Verwaltungsstrukturen zu schaffen. Tatsächlich aber scheint es ihnen hier größtenteils darum zu gehen, Abgaben einzutreiben. Auch bei Gruppen wie der ehemaligen Séléka in der ZAR, die behaup­ten, die Einnahmen dienten dazu, öffent­liche Dienstleistungen für die Bevölkerung bereitzustellen, scheint das Hauptziel der Profit durch die Steuererhebung zu sein. So wurden eigene Strukturen vor allem im Zu­sammenhang mit Bergbauaktivitäten ein­gerichtet, etwa zur Erteilung von Lizenzen. In einem anderen Fall besetzten ehemalige Séléka-Kräfte eine für Agrarsteuern zustän­dige Behörde und zwangen sie, 50 Prozent der Einnahmen abzugeben, die aus Kaffee­lieferungen in den Sudan herrührten. Wie an anderen Orten ließen sie einige Staats­beamte im Amt, um sich den Zugang zu legalen Einnahmen zu sichern.

Inwieweit solche von bewaffneten Grup­pen geschaffenen Strukturen als legitim an­gesehen werden, lässt sich anhand der PoE-Berichte nicht beantworten. Es gibt jedoch deutliche Hinweise darauf, dass illegale Be­steuerungssysteme vor allem aus­beute­risch angelegt sind. Einige Grup­pen in der ZAR garantierten offenbar die Sicherheit von Viehhirten, die ihr Gebiet durchquerten, nachdem sie an Kontrollpunkten Steuern eingezogen hatten. Quelle der Unsicherheit sind jedoch häufig die bewaffneten Grup­pen selbst. In Bangui, der Hauptstadt der ZAR, drangsalierten sogenannte Selbst­verteidigungsgruppen die lokale Bevölkerung. Zugleich lieferten sie sich gewalttätige Auseinandersetzungen um die Besteuerung von Geschäften, Bussen und Taxis.

Wie die Expertengruppe aus einigen Regionen der DRK berichtete, sieht sich die Bevölkerung mit Steuerforderungen mehre­rer Gruppen gleichzeitig konfrontiert. Wer nicht zahlt, wird mit Strafe bedroht. Gold­minenunternehmen in der DRK und der ZAR gaben an, zur Einschüchterung seien einzelne ihrer Mitarbeiter von bewaffneten Gruppen entführt oder sogar getötet wor­den. Entsprechende »Sicherheitsvereinbarungen« kommen faktisch also durch Er­pressung zustande. Die Arrangements, wie sie zwischen Drogenhändlern und bewaff­neten Gruppen in Mali existieren, mögen anderer Natur sein; hier geht es auch dar­um, dass Transportmittel oder Eskorten ent­lang wichtiger Routen bereitgestellt wer­den. Es gibt aber keinen Hinweis auf andere Dienstleistungen, die von bewaffneten Grup­pen in diesen Gebieten erbracht werden.

Dies steht im Gegensatz zu den Berichten anderer PoEs, wie etwa zu Somalia. Das betreffende Panel hat festgestellt, dass die Al-Shabaab-Miliz selbst in Gebieten, die sie nicht mehr physisch kontrolliert, als »Schat­tenregierung« mit einem umfassenden Steuersystem agiert und einige grundlegende Dienstleistungen bereitstellt, darunter islamische Gerichtsbarkeit. Die zentralen Merkmale in den drei behandelten Fällen scheinen indes darauf hinzudeuten, dass die Governance bewaffneter Gruppen zu­nehmend der krimineller Akteure ähnelt. Dies spiegelt sich auch in den PoE-Berichten wider. So weist etwa das Panel für die ZAR darauf hin, dass die Frage von Einkünften unter verbündeten Gewaltakteuren für Zusammenstöße sorgte, hinter denen lokale kriminelle Interessen sichtbar wurden.

Es bedürfte einer detaillierteren Analyse, um ein wirkliches Verständnis für solche Interessen und die Besteuerungssysteme nichtstaatlicher Akteure zu entwickeln; dies gilt ebenso für die genaue Rolle der Zentralregierung. Zudem ist ein Blick über die unmittelbare Konfliktzone hinaus erforderlich, um die Reichweite illegaler Einkommensquellen zu erfassen.

Transnationale Reichweite

Gewaltsame Konflikte haben in der Regel eine transnationale Dimension. Bewaffnete Gruppen bewegen sich häufig über Gren­zen hinweg, oder Nachbarländer sind in die Auseinandersetzungen verwickelt. Die ille­galen Ökonomien, von denen die PoEs berichten, weisen weitere grenzüberschreitende Verbindungen auf.

Erstens können illegale Ökonomien in Konfliktgebieten eine Reichweite entwickeln, die deutlich über die jeweilige Re­gion hinausgeht. Während der Schmuggel von Jagdmunition oder von Gütern des tägli­chen Bedarfs vielleicht nur zwei oder drei Nachbarländer miteinander verbindet, reicht der illegale Handel mit natürlichen Ressourcen wie Mineralien geographisch weiter – bis hin zu Wirtschaftszentren jenseits des afrikanischen Kontinents. So gelangt beispielsweise Gold aus der ZAR oder der DRK auf internationale Märkte. Es wird zunächst in Nachbarländer geschmuggelt, bevor es in legale Lieferketten einge­schleust und in Länder außerhalb der Re­gion exportiert wird. Einschlägige Kon­takte bestehen dabei zu Handelszentren und Finanzplätzen wie den Vereinigten Arabi­schen Emiraten (VAE). Insbesondere Dubai wird als wichtiges Ziel für Gold und Dia­manten genannt, die aus der DRK und der ZAR geschmuggelt werden. Umgekehrt fließen Zigarettenexporte aus den VAE, die über den Hafen von Cotonou (Benin) nach Westafrika gehen, in den Schmuggel durch Mali und andere Länder. Im Allgemeinen werden Zigaretten ohne länderspezifische Kennzeichnung über westafrikanische Häfen in Benin, Togo, Ghana und Côte d’Ivoire eingeführt und durch Länder wie Mali geschmuggelt. Die Ware verbleibt dann in der Region oder wird etwa nach Algerien oder auch Europa weitertransportiert.

Zweitens geht die größere Reichweite ille­galer Ströme oft mit einem umfassenderen Netz von Akteuren einher. Dabei kön­nen auch offiziell zugelassene Unternehmen und Geschäfte eine Rolle spielen – indem sie eine Fassade für kriminelle Akti­vitäten, einschließlich Geldwäsche, bieten oder sich selbst am illegalen Handel betei­ligen. In der DRK sind »comptoirs« die einzigen Firmen, die legal Gold ausführen dürfen. Laut Expertengruppe melden sie allerdings systematisch zu wenig Exporte an und kaufen illegal Gold wie auch andere Mineralien aus »non-compliant«-Gebieten. Was die ZAR betrifft, werden nach PoE-Angaben fast 95 Prozent des im Land geför­derten Goldes illegal ausgeführt. Zum einen spielen dabei legale Sammler und Expor­teure eine Rolle; zum anderen verschaffen sich auch Einzelpersonen aus dem Ausland – einige als Teil internationaler krimineller Netzwerke – über lokale Kontakte Zu­gang zu Minen und erwerben dort illegal Mineralien. Diese bringen sie anschließend in ihre Herkunftsländer, wobei sie die un­zureichenden Kontrollen durch Fluggesellschaften und Zoll ausnutzen. Die für die ZAR berichteten Fälle betrafen unter ande­rem indische, israelische und chinesische Staatsangehörige. In der Stadt Bria wurden 2016 mehrere Personen mit 550 Karat an nichtdeklarierten Diamanten verhaftet. Darunter war ein Israeli, der bereits 2004 in Mali wegen Schmuggels von Rohdiamanten verhaftet worden war und den die Expertengruppe für Côte d’Ivoire verdächtigte, auch an der Ausfuhr illegaler Diamanten aus diesem Land beteiligt zu sein.

Die transregionale Dimension zeigt sich ebenso im Drogenhandel, etwa beim Schmuggel von Kokain aus Südamerika über Routen, die teils durch afrikanische Länder führen. In den drei vorliegenden Fällen ist dies jedoch nur für Mali von Be­deutung und dabei weit weniger für den konfliktreichen Norden des Landes. Dort geht es vor allem um Haschisch aus marok­kanischer Produktion, das über Mali und Niger nach Libyen gelangt. Kokain wird teilweise auf die entsprechenden Konvois zugeladen. Dieser Drogenhandel stützt sich auf starke regionale Verbindungen. Trans­port- und Reiseunternehmen in Maureta­nien und Niger werden von malischen Schmugglern als Scheinfirmen genutzt, um Haschisch ebenso wie Migrantinnen und Migranten zu befördern. Laut Experten­panel sind Briefkastenfirmen eines sanktio­nierten Maliers am Drogenhandel in Alge­rien, Mali, Marokko und Niger beteiligt. Wahrscheinlich geht es hier darum, Drogen­gelder zu waschen und Schmuggel­operationen zu finanzieren.

Alle drei Expertengruppen berichten von Waffenhandel, der hauptsächlich mit Nach­barländern erfolgt. Für die ZAR hat das Panel etwa Muster eines Waffenschmuggels identifiziert, den ehemalige Séléka-Elemen­te in die DRK und aus dem Land heraus betrieben. Verhaftungen in der DRK weisen auf die Existenz eines Netzwerks von Akteuren hin, die Waffen an Gruppen in der ZAR im Austausch gegen natürliche Ressourcen liefern. Die Expertengruppe zur DRK berichtete über entsprechende Be­schlagnahmungen 2019 und 2020. Sie standen in Zusammenhang mit internen Schmuggelnetzwerken, die teilweise Ver­bindungen in die ZAR hatten. Nigrische Behörden wiederum informierten darüber, nahe der Stadt Agadez seien für Mali be­stimmte Gewehre konfisziert worden. Ein ähnliches Bild vermitteln andere Quellen über Waffenhandel, etwa in Westafrika, die aufzeigen, dass in jüngerer Zeit vor allem die regionale Zirkulation von Waffen oder das Abzweigen aus offiziellen Beständen relevant sind.

Während auch dieser Waffenhandel besonderen Schaden anrichtet, betreffen die geographisch weiterreichenden Han­delsströme meist hochwertige Waren wie Gold oder Drogen, die be­trächt­liche Ge­win­ne einbringen. Daher sollte gegen diese Verbindungen der illega­len Ökonomien in Konfliktgebieten konse­quenter vorgegangen werden.

Ansatzpunkte für externes Eingreifen

Die illegalen Ökonomien in den Konfliktgebieten Malis, der ZAR und der DRK stel­len jeden externen Akteur, der friedensfördernd in die Situation eingreifen will, vor große Herausforderungen. Erstens gibt es keine automatische Synergie zwischen der Bekämpfung illegaler Ökonomien und der Eindämmung oder Lösung von Konflikten. Der Ansatzpunkt von UN-Sanktionsregimen ist in der Regel, nichtstaatliche bewaffnete Gruppen bzw. »spoiler« von ihren Einnahmen abzuschneiden. Doch obwohl die Beobachtung durch Expertengruppen viele relevante Informationen erbracht hat, wur­den diese kaum dafür genutzt, entsprechen­de Personen oder Organisationen auf Sank­tionslisten zu setzen. Gründe dafür sind politische Manöver und ein unzureichendes Follow-up in den UN-Sanktionsausschüssen, aber auch das Fehlen klarer Ziele. In der Tat könnten Sanktionen ein Mittel sein, um illegalen Ökonomien in Konfliktgebieten samt ihren transnationalen Verflechtungen zu begegnen. Es würde jedoch eine starke politische Führung erfordern, Maßnahmen gegen bestimmte Akteure so abzustimmen, dass sie dem Gesamtziel dienen, Frieden herzustellen und zu erhalten. Angesichts der momentanen Situation im UN-Sicher­heitsrat und seinen nachgeordneten Gremien ist ein solches Vorgehen unwahrscheinlich. Bei allen Initiativen von Mit­gliedstaaten oder Regionalorganisationen, die auf illegale Ökonomien in diesen Kon­texten zielen, sollte es jedoch ein Min­dest­kriterium sein, dass sie tatsächlich zur Stär­kung von Frieden und Sicherheit beitragen.

Zweitens sollte der Aspekt menschlicher Sicherheit im Vordergrund stehen, wenn bewertet wird, wie sich illegale Ökonomien und die Interessenpolitik beteiligter Akteu­re auswirken. Bisher ist ein zentraler An­satzpunkt, im Rahmen laufender Friedensprozesse die Wiederherstellung und Stär­kung staatlicher Autorität zu fördern. In diesem Sinne leisten etwa Friedensmissionen neben technischer Hilfe und dem Auf­bau staatlicher Kapazitäten auch operative Unterstützung, etwa durch gemeinsame Patrouillen mit nationalen Sicherheitskräften oder durch direkte Vollzugsmaßnahmen. Dabei können Beschlagnahmungen, Verhaftungen oder Entwaffnungsaktionen zwar kurzfristig von Nutzen sein, die Straf­losigkeit wird in aller Regel aber weiter bestehen. Zudem bergen Kapazitätsaufbau und technische Hilfe in Konfliktgebieten ihre eigenen Risiken. Stärkt man Akteure oder Einrichtungen, die selbst direkt oder indirekt in illegale Geschäfte verwickelt sind, wird dies kaum zu mehr Sicherheit für die Bevölkerung führen oder die staat­liche Legitimität erhöhen. Die Verbindungen zwischen lokalen kriminellen Interessen und der nationalen politischen Ökono­mie werden von den PoEs weniger beleuch­tet; dabei können sie ernsthafte Heraus­forderungen darstellen. Dies bedeutet aller­dings nicht, dass nichtstaatliche Gewalt­akteure eine hohe Legitimität besitzen. Die Steuersysteme und Schutzarrangements bewaffneter Gruppen – laut Expertengruppen das wichtigste Bindeglied zu ille­galen Ökonomien – können zwar eine Sym­biose mit staatlichen Stellen eingehen. Gegenüber Bevölkerung und Privatsektor jedoch erscheinen sie in den drei untersuchten Fällen vor allem als ausbeuterisch.

Wenn politische und kriminelle Motive zusammentreffen, kann ein stärker inte­grierter Ansatz erforderlich sein. Um bei­spielsweise die Sicherheitslage in bestimmten Gebieten nachhaltig zu verbessern, sind umfangreiche Programme für Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration (DDR) von entscheidender Bedeutung. Für Kon­texte, in denen bewaffnete Gruppen schwer von kriminellen Akteuren zu unterscheiden sind, wurde 2021 ein Modul zu DDR und organisierter Kriminalität entwickelt, das zu den Integrated Disarmament, Demobilization, and Reintegration Standards der UN gehört. Solche Anleitungen können dazu beitragen, in entsprechenden Situatio­nen besser mit Grauzonen und unscharfen Akteurskategorien umzugehen.

Drittens könnten negative Auswirkungen illegaler Ökonomien in Konfliktgebieten verringert werden, indem stärker gegen ihr transnationales Umfeld vorgegangen wird. Die Erkenntnisse einiger PoEs gaben Anlass dazu, mit Regierungen, Unternehmen und anderen Akteuren in Kontakt zu treten, um deren Verbindungen zu illega­len Ökonomien in Konfliktgebieten zu thematisieren. Ziel war etwa, den Import von Gold zu verhindern, das aus der öst­lichen DRK in die VAE geschmuggelt wird. Ein griechischer Produzent stoppte nach den Berichten des Panels die Ausfuhr von Zigaretten nach Burkina Faso, von wo aus sie zuvor teils nach Mali geschmuggelt wor­den waren. Damit sich ein solches Engagement nicht nur kurzfristig und punktuell auswirkt, muss es über das UN-Sanktions­system hinaus verfolgt werden. Auf Grund­lage vorhandener Informationen könnte der Druck auf Staaten außerhalb des je­weiligen Konfliktgebiets erhöht werden, ihre Regeln und Praktiken zu ändern oder Ermittlungsverfahren gegen bestimmte Akteure einzuleiten.

Regionale Kooperationsmechanismen haben sich in den drei Fokusfällen als schwierig erwiesen. Es gibt verschiedene bilaterale und trilaterale Abkommen, die dazu dienen sollen, grenzüberschreitende Bedrohungen zu bewältigen. Allein die ZAR unterhält mit ihren Nachbarländern zwölf Abkommen, welche auch die Bekämpfung illegalen Handels umfassen. Doch viele die­ser Übereinkünfte sind politische Rhetorik geblieben. Zertifizierungssysteme wie das Regional Mineral Certification Framework der Internationalen Konferenz der Region der Großen Seen wurden von den Staaten nur mit Verzögerung umgesetzt, vor allem was den Export von Gold betrifft. In der Regel beginnen Reformen im Laufe eines Friedensprozesses zu spät – nämlich erst, wenn sich die wirtschaftlichen Interessen bereits verfestigt haben. Mechanismen wie der Kimberley-Prozess müssen sorgfältig konzipiert werden, da sonst die Gefahr be­steht, dass sie den Schwarzmarkt anheizen. Die Berichte der PoEs liefern hier nützliche Lehren aus den Erfahrungen mit den als »compliant« oder »green« eingestuften Zonen in der ZAR und der DRK. Allerdings gibt es eine zunehmende Tendenz, die Man­date und Untersuchungen der Experten­panels zu beschneiden. Dies hat negative Folgen für die Informationsbasis weit über das UN-Sanktionssystem hinaus.

Dr. Judith Vorrath ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.
Laura Marcela Zuñiga war von August bis Oktober 2021 Praktikantin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.

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