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Hohe Terrorgefahr durch IS Afghanistan

Kurz gesagt, 21.06.2024 Forschungsgebiete

Anschläge in Iran und Russland, vereitelte Planungen, Drohungen gegen die Fußball-EM: Die Terrorgefahr steigt. In Deutschland geht die größte Bedrohung von einem Ableger des »Islamischen Staates« (IS) aus, meint Guido Steinberg.

»Wir müssen jeden Tag auch in Deutschland mit einem islamistischen Anschlag rechnen«, warnte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang vergangene Woche, kurz vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft. 

Die größte Bedrohung geht von einem Ableger des »Islamischen Staates« in Afghanistan aus, der sich IS Khorasan (ISPK) nennt und seit 2022 vermehrt Anschläge außerhalb seines ursprünglichen Operationsgebietes in Afghanistan plant. Die Bedrohung dürfte weiter zunehmen, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Hierzu gehört vor allem, die Kontrolle über die europäischen und die deutschen Grenzen zurückzugewinnen. 

Mehr als bloße Propaganda

Nach dem Zusammenbruch des IS-Kalifats im Irak 2017 und in Syrien 2019 wurde der IS-Ableger in Afghanistan zur stärksten Teilorganisation des IS-Netzwerks. Ihm geht es nicht nur um den bewaffneten Kampf gegen die Taliban in Afghanistan, sondern auch um eine Ausweitung des Kampfes in Süd- und Zentralasien und darüber hinaus. In dem ab Februar 2022 unter anderem in Paschtu und Englisch erscheinenden Propagandamagazin »Voice of Khorasan« drohte der ISPK mit Anschlägen in Nachbarstaaten wie Pakistan und Iran sowie auf russische und chinesische Ziele. Zuletzt wandte er sich auch der westlichen Welt zu – beispielsweise mit Drohungen gegen die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland.

Dass es sich bei den Drohungen um mehr als bloße Propaganda handelte, zeigte der IS Khorasan zunächst, indem er im Laufe des Jahres 2022 vermehrt Angriffe auf pakistanische Ziele verübte. Am 4. März 2022 führte ein IS-Selbstmordattentäter einen Anschlag auf eine schiitische Moschee in der pakistanischen Stadt Peschawar aus, bei dem mehr als 60 Menschen umkamen – weitere folgten. Gleichzeitig weitete der ISPK seine Aktivitäten auch nach Iran aus, wo er 2022 und 2023 Attentate verübte. Höhepunkt der Terrorwelle war ein verheerender Anschlag auf eine Trauerprozession anlässlich des vierten Jahrestags des Todes von General Qassem Soleimani am 4. Januar 2024 in Kerman – fast 100 Menschen starben. Noch Aufsehen erregender war der Angriff auf eine Konzerthalle nahe Moskau am 22. März 2024, bei dem mehr als 140 Menschen zu Tode kamen. Der ISPK machte damit deutlich, dass er sein Operationsgebiet auch auf das weit entfernte Russland ausgeweitet hatte. 

Möglich wurden diese Anschläge, weil der IS Khorasan über Personal verfügt, das in Pakistan, Iran und Russland operieren kann, weil es sich dort auskennt und die Landessprachen spricht. Seit der Gründung der Organisation 2014/2015 sind neben Afghanen vor allem Pakistaner sehr stark vertreten, so dass die Angriffe auf Pakistan nicht überraschend kamen. Es gelang dem ISPK auch, einige sunnitische Iraner zu rekrutieren, die ohne größere Probleme die Grenzen zwischen Afghanistan, Pakistan und Iran überqueren und in Iran operieren können. Für die Ausweitung der Operationen nach Russland war aber die starke Präsenz von Zentralasiaten im ISPK entscheidend. Jihadisten aus Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan sind seit den 1990er Jahren in Afghanistan aktiv, seit 2015 haben sich viele von ihnen dem IS angeschlossen. Besonders Tadschiken spielen häufig eine wichtige Rolle in der Organisation, so dass es nicht verwundert, dass der Anschlag in Moskau von vier Tadschiken verübt wurde. 

Sicherheit braucht Grenzkontrollen

Die soziale Zusammensetzung des IS Khorasan wirkt sich auch auf seine Bemühungen aus, Anschläge in der westlichen Welt zu verüben. Hier planen Anhänger der Organisation schon seit 2019 Attentate – bisher wurden jedoch alle vereitelt oder scheiterten. Besonderes Aufsehen erregte eine Gruppe, die im Dezember 2023 Anschläge auf den Kölner Dom und den Stephansdom in Wien geplant haben soll. In Europa stammen viele der Verdächtigen aus Zentralasien, insbesondere aus Tadschikistan. Hinzu kommen oft sehr junge Personen tschetschenischer oder auch ethnisch-albanischer Herkunft. 

Auffällig ist, dass viele verurteilte Terroristen und Terrorverdächtige mit Verbindungen zum IS Khorasan mit dem Flüchtlingsstrom der Jahre 2014 bis 2016 und teils auch danach gekommen sind. Dies sagt nichts über die Flüchtlinge insgesamt aus, denn die Zahl der eingereisten Gewalttäter ist im Verhältnis zu den Gesamtzahlen niedrig. Die Beobachtung untermauert aber die These, dass die verschlechterte Sicherheitslage in erheblichem Maße mit der seit 2014 massenhaften und fast vollkommen unkontrollierten Einwanderung aus den Kriegs- und Krisengebieten der islamischen Welt zusammenhängt. Wenn es nicht gelingt, die Zuwanderung von dort zu begrenzen und die Kontrolle über die weitgehend offenen europäischen und deutschen Grenzen zurückzugewinnen, dürfte sich die Gefahr durch den islamistischen Terrorismus künftig weiter verschärfen.