Der Zusammenhang zwischen Handelspolitik und Migration ist bislang kaum erforscht. Die Wissenschaftlerin Evita Schmieg spricht im Interview über die Ergebnisse ihrer SWP-Studie, die diese komplexe Beziehung untersucht. Ein Wirkungszusammenhang ist dabei eindeutig.
Frau Schmieg, was zeichnet eine erfolgreiche Handelspolitik aus?
Evita Schmieg: Soziale und Umweltgesichtspunkte müssen neben ökonomischen Zielen stehen. Mögliche Probleme durch Zollsenkungen müssen vorher geprüft werden, wie etwa Arbeitslosigkeit oder Ernährungsunsicherheit durch Agrarimporte. Am erfolgreichsten waren Abkommen, die von ergänzenden Reformen wie Weiterbildung, Sozialversicherungsreformen oder Investitionen in Infrastruktur begleitet wurden. Es muss auch möglich sein, flexibel zu reagieren, falls doch größere Probleme auftreten – durchaus auch damit, Zölle wieder zu erhöhen.
Welche Rolle spielt das Thema Migration in der EU-Handelspolitik?
Bisher eine sehr geringe. Handelspolitik ermöglicht bisher kaum legale Migration, obwohl es das Welthandelsabkommen zum Handel mit Dienstleistungen vorsieht. Allerdings unter einem anderen Namen: Dienstleistungserbringung durch natürliche Personen. Weil das Thema in allen Ländern politisch sehr sensibel ist, spielt dieser Handel bisher kaum eine Rolle. Als eigenes Thema ist Migration in Handelsabkommen bisher nicht verankert. In der EU ändert sich das momentan: Parallel zu Handelsabkommen werden nun Mobilitätsvereinbarungen geschlossen. Einwanderungs-, Visa- und Handelspolitik sollen künftig besser koordiniert und Berufsqualifikationen leichter anerkannt werden. Das könnte sehr hilfreich sein. Es wäre allerdings ein falscher Weg, Handelsabkommen mit migrationspolitischen Konditionalitäten zu verbinden; eine solche Instrumentalisierung der Handelspolitik für migrationspolitische Zwecke würde die Stabilität und Vorhersehbarkeit der Rahmenbedingungen für Außenhandel untergraben.
Für die EU sehen Sie in der Handelspolitik einen Ansatz, Pflegepersonal für ihre alternden Gesellschaften zu sichern. Wie müsste solch eine Handelspolitik gestaltet sein?
Pflege, aber auch Handwerk und technische Ausbildungsberufe sind gute Beispiele, wie zirkuläre Migration im Interesse von Entsende- und Empfängerländern gestaltet werden kann. Deutschland könnte sich in der Ausbildung in Entwicklungsländern engagieren – am besten gemeinsam mit Unternehmen, die Fachleute brauchen. Nach einem zeitlich begrenzten Einsatz hier müssten diese nach ihrer Rückkehr dabei unterstützt werden, in ihrem Heimatland wieder Fuß zu fassen und dort zur Entwicklung beizutragen. So kommt es nicht zum Braindrain.
Bringt die zirkuläre Migration nicht auch gesellschaftliche Herausforderungen mit sich?
Ja, durchaus. Allerdings stehen wir mit alternden Gesellschaften und Fachkräftemangel vor mindestens ebenso großen Herausforderungen. Nichts tun ist daher keine gute Alternative. Im Übrigen ist die deutsche Wirtschaft mit ähnlichen Instrumenten bereits unterwegs – so mit dem Programm »Afrika Kommt!«. Es räumt afrikanischen Nachwuchsführungskräften zeitlich begrenzt die Möglichkeit ein, deutsche Unternehmen kennenzulernen. Meine Anregung ist, solche Ansätze auszubauen und die Handelspolitik dafür stärker zu nutzen.
Und auch mit Handelsabkommen zu verknüpfen?
Zirkuläre Migration in Handelsabkommen einzubeziehen, hätte den Vorteil eines breiteren Interessenausgleichs, weil mehr Themen einbezogen würden. Reine Handelsabkommen verbessern meist vor allem die Investitionsbedingungen für Unternehmen; Arbeitnehmer profitieren in erster Linie indirekt. Bezieht man die zirkuläre Migration ein, so schlagen sich die Interessen der Arbeitnehmer unmittelbarer nieder.
Der Zusammenhang zwischen Handelspolitik und Migration ist komplex. Warum lässt sich dennoch eindeutig sagen, dass sich Migration immer positiv auf Handelsströme auswirkt?
Migrierende versuchen, auch im Zielland ihre Konsumgewohnheiten aufrechtzuerhalten. Das führt zunächst zu steigenden Importen, vor allem von Lebensmitteln. Wenn die Zuwandernden gut integriert wurden, können sie helfen, den Zugang zu ihren Herkunftsmärkten zu vereinfachen. Das führt dann mittel- und langfristig zu steigenden Exporten des Ziellandes. Dieser Effekt ist besonders stark, wenn die Zuwandernden eine seltene Sprache sprechen oder ihre Herkunftsmärkte institutionell oder kulturell schwer zugänglich sind.
Inwieweit greifen Handels- und Migrationspolitik bereits ineinander?
Es ist interessant, dass die Diskussionen um diese beiden Politikfelder bisher kaum verbunden sind. So kommt es auch, dass sich die Diskussion um Migration sehr auf die Bedingungen, unter denen Migrierende leben, und damit einhergehende rechtliche und soziale Fragen konzentriert, also Handelsaspekte ausklammert. Die Handelspolitik ignoriert diese Bedingungen bisher gänzlich. Sie gibt ja vor, sich nur mit Handel und nicht mit Migration zu befassen. Aber natürlich hat man es bei der »Dienstleistungserbringung durch natürliche Personen« mit Menschen zu tun. Es wäre deshalb wichtig, beides besser zusammenzubringen und in Handelsabkommen beispielsweise Formulierungen aus Migrationsabkommen aufzunehmen.
Kann denn Handelspolitik letztendlich Fluchtursachen bekämpfen?
Handelsabkommen können nur unter bestimmten Bedingungen zu Wachstum und Entwicklung beitragen – und damit Fluchtursachen bekämpfen: Arme Länder haben schlechtere Voraussetzungen, im Wettbewerb mit Importen zu bestehen. Sie müssen ihre Märkte deshalb vorsichtiger öffnen als die EU. Und sie brauchen echte Marktchancen. Zum Beispiel über Abkommen, die den EU-Markt für Produkte öffnen, die sie tatsächlich exportieren können. Zum Glück hat die EU das frühere Motto ihrer Handelspräferenzen gegenüber AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) über Bord geworfen, das zugespitzt lautete: Flugzeuge aus Burkina Faso sind zollfrei, aber Ananas in Dosen muss verzollt werden. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit AKP-Staaten und -Regionen räumen jetzt vollkommen freien Zugang zum EU-Markt ein. Um diesen zu nutzen, brauchen ärmere Länder aber auch Unterstützung durch handelsbezogene Wirtschaftspolitik, da es ihnen für die Wettbewerbsfähigkeit oft an Kapazitäten und Geld fehlt.
Das Interview führte Cetin Demirci von der Online-Redaktion der SWP.
Ein Aktionsfeld für die EU
doi:10.18449/2019S22