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Griechenland vor einem neuen politischen Deal?

Mit einer Abwahl der alten politischen Elite in Griechenland würden sich die Chancen verbessern, das Vertrauen zwischen Staat und Gesellschaft wiederherzustellen, meint Lars Brozus. Der erste Grundstein für einen neuen politischen Deal könnte dabei die Herstellung von Steuergerechtigkeit sein.

Kurz gesagt, 22.01.2015 Forschungsgebiete

Mit einer Abwahl der alten politischen Elite in Griechenland würden sich die Chancen verbessern, das Vertrauen zwischen Staat und Gesellschaft wiederherzustellen, meint Lars Brozus. Der erste Grundstein für einen neuen politischen Deal könnte dabei die Herstellung von Steuergerechtigkeit sein.

Bei den Parlamentswahlen in Griechenland dürfte die bisherige Oppositionspartei Syriza stärkste Partei werden. Gelingt es ihr, eine stabile Regierung zu bilden, stehen die Chancen deutlich besser als zuvor, dass tiefgreifende Reformen nicht nur geplant, sondern auch umgesetzt werden. Hierfür muss die neue Regierung der Gesellschaft einen neuen politischen Deal unterbreiten, der vor allem auf die Überwindung des alten klientelistischen Systems gerichtet sein sollte. An erster Stelle wird es darum gehen, Parteien und öffentlichen Sektor zu entflechten, die Verwaltungsstrukturen zu professionalisieren sowie die bestehenden Steuerungerechtigkeiten abzubauen. Wenn diese Herkulesaufgabe gelingt, steigen die Chancen, dass neues Vertrauen in die politischen Institutionen entsteht und die Gesellschaft den neuen Deal annimmt.

Die ökonomische Krise war das Ende des alten Deals

Griechenland wird seit dem Ende der Militärdiktatur 1974 von einer politischen Elite regiert, die sich in zwei Parteien organisiert hat: der konservativen Nea Dimokratia (ND) und der sozialdemokratischen PASOK. Ihr politischer Deal sah vor, dass die Parteien ihre Anhänger – und damit direkt oder indirekt einen großen Teil der Bevölkerung – mit Stellen und Aufträgen versorgten. Im Gegenzug konnten sie sich auf deren politische Loyalität verlassen.

Die Stabilität dieser Machtkonstellation basierte darauf, dass die Versorgungserwartungen der Bevölkerung erfüllt werden konnten. Mit den massiven Einschränkungen der Staatsausgaben aufgrund der seit 2010 mit den internationalen Geldgebern getroffenen Vereinbarungen war dies nicht mehr möglich. Die Gesellschaft sah den Deal von der Politik aufgekündigt. Entsprechend fiel die Reaktion aus: Kamen ND und PASOK bis zum Beginn der Krise bei Wahlen gemeinsam meist auf über 80 Prozent der Stimmen, liegt ihr Stimmenanteil seit 2009 stetig unter 50 Prozent. Darüber hinaus zeigen Umfragedaten des Eurobarometers zwischen 2009 und 2014 einen dramatischen Rückgang des Vertrauens in die politischen Institutionen, der gleichermaßen Regierung, Parlament und Parteien betrifft. Die griechischen Werte, die 2009 noch über dem EU-Durchschnitt lagen, liegen mittlerweile weit darunter.

Syriza, die nicht Teil der alten Machtkonstellation war, konnte zu einer ernsthaften Alternative werden, weil die meisten Griechen den jahrzehntelang dominierenden Kräften weder die Durchsetzungsfähigkeit noch den Willen für eine Neubegründung der Beziehungen zwischen Gesellschaft und Staat zutrauen. Ob es einer Syriza-geführten Regierung allerdings gelingt, die von vielen Griechen selbst geforderten Reformen in reale Reformbereitschaft umzuwandeln, wird wesentlich davon abhängen, dass schnell Vertrauen in einen neuen politischen Deal entsteht. Die Verringerung der Steuerungerechtigkeit könnte ein erster Schritt auf diesem Weg sein, der nicht nur die Einnahmen des Staates, sondern auch das Vertrauen in die politischen Institutionen erhöhen würde.

Steuergerechtigkeit als Grundlage eines neuen politischen Deals

Steuerhinterziehung und Steuervermeidung sind in Griechenland traditionell stark ausgeprägt. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die Wahrnehmung, dass der Staat eingenommene Gelder für Klientelpolitik einsetzt – ein Eindruck, den die etablierten Parteien kaum korrigieren können, weil dies die Grundlage der alten Machtkonstellation ist. Insofern eröffnet sich mit dem Machtwechsel die Chance, ungenutzte Reserven für die Erhöhung der griechischen Staatseinnahmen zu heben. Dies setzt allerdings eine erhebliche Kraftanstrengung der neuen Regierung voraus, die nicht zwingend mit Konfrontation einhergehen muss. Vielmehr kann es durchaus gelingen, die Gesellschaft zu motivieren, freiwillig einen größeren Anteil an der Staatsfinanzierung zu leisten. Drei Faktoren spielen dabei eine Rolle: Krisenwahrnehmung, Elitenkohäsion und Vertrauen. So sind finanziell leistungsfähigere Bevölkerungsgruppen in Krisenzeiten durchaus bereit, mehr Steuern zu zahlen. Dieser Befund gilt auch, wenn die Elitenkohäsion, also der Zusammenhalt zwischen verschiedenen Teileliten (Politik, Wirtschaft, Medien usw.), nur schwach ausgeprägt ist – dann allerdings nur, wenn Vertrauen in die sachgerechte Verwendung der Steuereinnahmen besteht. Dass Syriza mit der alten Wirtschafts- und Medienelite wenige Berührungspunkte aufweist, muss also kein Nachteil sein. Die neue Regierung sollte aber ein besonderes Augenmerk darauf legen, auch die alten Eliten von den Vorzügen des neuen politischen Deals zu überzeugen.

Das Vertrauen in die sachgerechte Verwendung von Steuereinnahmen kann durch verschiedene Maßnahmen gesteigert werden, die auf Transparenz, Effektivität, Neutralität und Ausgewogenheit zielen. Transparenz bezieht sich auf die Nachprüfbarkeit von Staatseinnahmen und  ausgaben, während Effektivität die wirksame Verwendung der Mittel im öffentlichen Interesse meint. Unter Neutralität werden unabhängige und unparteiliche Entscheidungen über die Verwendung dieser Mittel verstanden. Ausgewogenheit schließlich besagt, dass die Beitragsfähigkeit von Individuen und Unternehmen zur Finanzierung öffentlicher Angelegenheiten in einem fairen Verhältnis zu den tatsächlich geleisteten Beiträgen steht.

Die technischen Voraussetzungen für eine effektive Steuerpolitik haben sich bei den griechischen Behörden in den letzten Jahren erheblich verbessert. Die Unterstützung durch die EU-Institutionen hat dazu viel beigetragen. Auch der internationale Kontext ist günstig, denn nicht nur Griechenland leidet unter Steuerungerechtigkeit. In der EU sollen Steuerschlupflöcher gestopft werden, und die OECD und die G20 sind dabei, die internationale Zusammenarbeit gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung voranzubringen. Eine von Syriza geführte neue griechische Regierung könnte mit dem Verweis auf diesen Kontext nach innen wie nach außen um Unterstützung für ihr Vorgehen werben.

Dieses »Kurz gesagt« ist auch bei Zeit.de und Euractiv.de erschienen.