Die G20 hat sich zu einer gewichtigen globalen Institution entwickelt. Doch die Art und Weise, wie sie Politik betreibt, trägt zu einer Oligarchisierung der EU bei und beschädigt das Vertrauen in die Demokratie, meint Annegret Bendiek.
Kurz gesagt, 06.07.2017 ForschungsgebieteDie G20 hat sich zu einer gewichtigen globalen Institution entwickelt. Doch die Art und Weise, wie sie Politik betreibt, trägt zu einer Oligarchisierung der EU bei und beschädigt das Vertrauen in die Demokratie, meint Annegret Bendiek.
Eine Institution wie die G20 wird grundsätzlich gebraucht. Ohne sie würde der globalen Politik das Forum fehlen, das ansonsten nur ein reformierter und mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestatteter UN-Sicherheitsrat bieten könnte. Für die Behandlung drängender globaler Probleme ist die Europäische Union zu klein, und die Vereinten Nationen sind zu groß. So geht beispielsweise die Initiative »Compact for Africa« zurecht von der G20 aus, die mit privaten Investitionen gerade aus den zwanzig reichsten Ländern die Infrastruktur in Afrika gezielt fördern möchte. Die mit der G20 einhergehende Informalisierung von grenzüberschreitender Politik weist allerdings gravierende Probleme für europäisches Regieren auf und beschädigt das Vertrauen in die Demokratie.
Oligarchisierung europäischer Politik
So fördert der Bedeutungsgewinn der G20 den Prozess der Oligarchisierung europäischer Politik. Der G20 gehören mit Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien vier EU-Staaten an; die EU selbst hat nur einen Beobachterstatus. Jenseits von Fragen des EU-Binnenmarktes kommt die alte Gemeinschaftsmethode kaum noch zur Anwendung. Sie beruht auf dem Zusammenspiel dreier eigenständiger Organe, der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat, und sorgt für eine transparente, effiziente und demokratische Zusammenarbeit in der Europäischen Union. Sie wird jedoch von intergouvernementalen Foren überlagert, in denen nur eine begrenzte Anzahl von Mitgliedstaaten vertreten ist – und wo das europäische Recht sowie die formalen Verfahren der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik keine Anwendung finden. So waren es auch ausgewählte europäische Staats- und Regierungschefs, von denen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Blick auf den G20-Gipfel Rückendeckung für ihre Agenda holte. Zu der Sitzung kamen die britische Premierministerin Theresa May, der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, Italiens Ministerpräsident Paolo Gentiloni, der niederländische Regierungschef Mark Rutte und die norwegische Ministerpräsidentin Erna Solberg. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk waren dabei. Exklusivität auf der Basis von wirtschaftlicher Größe und politischer Macht sind die Währungen, die zählen. Auch intern entwickelt die EU oligarchische Strukturen, in deren Rahmen die vier großen Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien zum Kern politischer Herrschaft in Europa werden. An dem Einfluss Großbritanniens dürfte auch der Brexit nicht viel ändern. Die Konsultation mit Norwegen vor dem G20-Gipfel zeigt, dass die formelle EU-Mitgliedschaft nicht das entscheidende Kriterium ist.
Der G20 fehlen demokratische Verfahren
Die Informalisierung von Politik birgt auch große demokratiepraktische Gefahren. Die G20 kennt keine demokratischen Verfahren. Sie hat weder eine parlamentarische Kammer noch formale Verfahren der Entscheidungsfindung und sieht keine Rechtspflichten für ihre Mitglieder vor. Zudem findet die intergouvernementale Politik generell hinter verschlossenen Türen statt. Dieser von den Staats- und Regierungschefs der G20 eingeforderte hohe Vertrauensvorschuss geht mit demokratischen Kontrollverlusten einher. Regierungen beanspruchen ein Ausmaß an Autonomie gegenüber parlamentarischer Kontrolle und medialer Kritik, das nur schwer mit demokratischem Regieren zu vereinbaren ist. Augenfällig ist das zum Beispiel bei den G20-Pressekonferenzen, wo Journalisten kaum kritische Rückfragen stellen können, weil sie bei den Verhandlungen nicht zugegen waren. An erster Stelle müsste der G20 eine Rechenschaftspflicht auferlegt werden, die von den Parlamenten selbst eingefordert werden kann. Dabei geht es nicht darum, dass Parlamente die Regierungspositionen für den Gipfel vorher absegnen. Ein Kontrollverfahren zur Umsetzung von Gipfelbeschlüssen gegenüber einer Versammlung von G20-Parlamentariern würde aber die Verbindlichkeit der Abschlusserklärungen erhöhen. Das von den Parlamenten vertretene Volk will nicht nur Antworten darauf, ob es sinnvoll ist, eine solche Veranstaltung in einer Großstadt stattfinden zu lassen. Es fragt sich auch, ob die hochtrabenden Gipfelerklärungen die hohen logistischen und finanziellen Kosten der Gipfeltreffen rechtfertigen. Der G20 fehlen ferner Verfahren, die Interessen nicht vertretener Staaten, regionaler und internationaler Organisationen sowie der G20-Kritiker einbeziehen.
Ein intransparenter Club der Mächtigen aber ist Wasser auf die Mühlen der Politikverdrossenen und Populisten. Allein das sollte Anlass genug für Reformen sein. Den europäischen G20-Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien kommt daher eine besondere Verantwortung zu, ihre Erfahrungen mit der Kooperation auf der Basis der Gemeinschaftsmethode in der EU28/27 in die G20 einzuspeisen und damit Reformprozesse zu initiieren. Ein erster wichtiger Schritt wäre eine Selbstverpflichtung der Staats- und Regierungschefs, über geplante und durchgeführte Maßnahmen Rechenschaft abzulegen. Sollte es nicht gelingen, diesen Reformpfad einzuschlagen, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die G20 irrelevant wird.
Der Text ist auch bei EurActiv.de und Tagesspiegel Causa erschienen.
Die G20 ist das Beste, was wir haben, wenn es um das Weltregieren geht. Viele Fragen können nur mit internationaler Zusammenarbeit bewältigt werden. Doch das Format ist nicht geeignet, nennenswerte Ergebnisse zu erzielen, meint Hanns W. Maull.