Bereits vor dem Krieg war der Wohnraum in der Ukraine in einem schlechten Zustand, jetzt ist viel zerstört. Die Bundesregierung sollte deshalb Geflüchteten Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten in energetischer Sanierung und gemeinwohlorientiertem Wohnungsbau anbieten, meinen Steffen Angenendt, André Härtel, Knut Höller und David Kipp.
Im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine wurden bisher mehr als 1,4 Millionen Wohnungen beschädigt oder zerstört. Dabei sind die Verluste regional sehr unterschiedlich: Während in einigen Großstädten kaum Wohnraum zerstört wurde, ist der Wiederaufbau vor allem in Frontstädten auf absehbare Zeit unwahrscheinlich.
Hinzu kommt, dass der Wohnungsbestand aufgrund der Massenprivatisierung Anfang der 1990er Jahre und jahrzehntelang unterlassener Instandhaltung sowie Modernisierung insbesondere energetisch in einem sehr schlechten Zustand ist. Das spiegelt sich auch im ukrainischen Energieverbrauch wieder, der zwei- bis dreimal höher ist als der europäische Durchschnitt.
Um die Lebensbedingungen in der Ukraine zu stabilisieren und die Rückkehr der Ukrainerinnen und Ukrainer zu fördern, werden die EU-Staaten massiv in den Wiederaufbau des zerstörten Wohnraums investieren müssen. Die Gesamtkosten dafür werden auf mehr als 50 Milliarden US-Dollar geschätzt, also aktuell etwa 46 Milliarden Euro. Dass der Wiederaufbau der Ukraine auch für die Bundesregierung eine hohe Dringlichkeit hat, wurde bei der Vorstellung der ressortübergreifenden Plattform zum Wiederaufbau der Ukraine im März 2023 deutlich.
Wegen der Massenprivatisierung in der postsowjetischen Ära ist der Mietwohnungssektor in der Ukraine bislang von privaten Investoren geprägt. Die Schaffung von Wohneigentum hatte in der Lebensplanung der meisten Ukrainerinnen und Ukrainer höchste Priorität. Aufgrund der kriegsbedingten Verluste an Eigenkapital wird dies in Zukunft jedoch nicht mehr für alle möglich sein. Es ist deshalb absehbar, dass der benötigte Wohnraum mit den bestehenden Strukturen nicht geschaffen werden kann. Es fehlt sowohl an Investitionskapital als auch an Rückkehrenden und Binnenvertriebenen, die Mieten oder gar Eigentum in privat finanzierten Wohnungen bezahlen können. In den Wiederaufbaudokumenten der ukrainischen Regierung werden daher alternative Angebote wie kommunale und genossenschaftliche Lösungen gefordert, die bezahlbare Mietwohnungen in größerem Umfang anbieten können. Da es diese noch nicht gibt, müssen sie erstmal geschaffen werden.
Bei Neubauten und Sanierungen müssen dabei die in der EU üblichen Energiestandards eingehalten werden, und die EU sollte darauf achten, dass diese in ukrainisches Recht übernommen und umgesetzt werden. Auch in den Wiederaufbauplänen der ukrainischen Regierung spielen die energetische Sanierung und die Schaffung neuen Wohnraums eine wichtige Rolle, unter anderem weil die Wohnsituation der Binnenvertriebenen verbessert werden muss. Deren Zahl ist vor allem in den Großstädten stark angestiegen und betrug Ende Januar 2023 mehr als 5,4 Millionen Menschen. Gleichzeitig lebt auch ein Teil der vor dem Krieg in der Ostukraine 2014 Geflohenen noch in provisorischen Unterkünften.
Der immense zukünftige Bedarf an energiesparendem Wohnraum, energetischer Gebäudesanierung und Expertise für genossenschaftliches Wohnen erfordert jedoch entsprechende Fachkräfte. Diese sind in der Ukraine derzeit nicht vorhanden. Hier kann die deutsche und europäische Aufbauhilfe ansetzen.
Neben Ausbildungsprogrammen in der Ukraine, die zum Beispiel von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) angeboten werden könnten, könnte Deutschland auch Ausbildungsangebote für Ukrainerinnen und Ukrainer schaffen, die sich mit vorübergehendem Schutzstatus in Deutschland aufhalten. Insgesamt wurden in Deutschland 1,06 Millionen Ukrainerinnen aufgenommen, von denen im Dezember 2022 rund 600.000 arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldet waren.
Es könnten konkrete Ausbildungspartnerschaften entwickelt werden, bei denen die Auszubildenden in Wohnungsunternehmen und -genossenschaften arbeiten und parallel eine entsprechende Aus- und Weiterbildung erhalten, zum Beispiel im gemeinnützigen Europäischen Bildungszentrum der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (EBZ) in Bochum. Durch solche Ausbildungsgänge könnten den Ukrainerinnen und Ukrainern Fachkenntnisse in der energetischen Gebäudesanierung und der Mietwohnungsbewirtschaftung in kommunalen Wohnungsunternehmen und Genossenschaften vermittelt werden.
Die Finanzierung könnte durch Bundes- und EU-Mittel sowie durch die Wohnungsunternehmen erfolgen. Das Programm könnte speziell auf die Aus- und Weiterbildung von Frauen zugeschnitten und in eine Strategie zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr sowie in einen Sonderfonds zur Finanzierung des Wiederaufbaus eingebettet werden.
Bei der Konzeption eines solchen Programms sollte berücksichtigt werden, dass sich ein Teil der ausgebildeten Ukrainerinnen und Ukrainer wahrscheinlich gegen eine Rückkehr entscheiden wird. Aus der Migrationsforschung ist bekannt, dass sich der Aufenthalt von Geflüchteten mit zunehmender Aufenthaltsdauer verfestigt und sich einige zum Bleiben entscheiden. Hier besteht ein grundsätzliches Spannungsfeld zum Interesse des Herkunftslandes an einer Rückkehr. In diesem Fall würde die deutsche Wohnungswirtschaft, die angesichts der auch hier anstehenden umfangreichen energetischen Gebäudesanierung ebenfalls unter einem zunehmenden Fachkräftemangel leidet, von der Ausbildung der zusätzlichen Fachkräfte profitieren. Die IG Metall und die Handwerksverbände sprechen davon, dass bereits heute zwischen 160.000 und 190.000 Fachkräfte zur Erreichung der Klimaschutzziele im Gebäudesektor in Deutschland fehlen.