Der Weltfußballverband FIFA hat einen neuen Präsidenten gewählt. Doch die Gründe für den Skandal, der diese außerordentliche Wahl auslöste, liegen im System. Um dieses zu verändern, braucht es weiterhin Druck von außen, meint Judith Vorrath.
Kurz gesagt, 03.03.2016 ForschungsgebieteJudith Vorrath
Der Weltfußballverband FIFA hat einen neuen Präsidenten gewählt. Doch die Gründe für den Skandal, der diese außerordentliche Wahl auslöste, liegen im System. Um dieses zu verändern, braucht es weiterhin Druck von außen, meint Judith Vorrath.
Neunundachtzig Prozent der stimmberechtigen Mitgliedsverbände haben auf dem FIFA-Kongress in der vergangenen Woche einem dringend notwendigen Reformpaket zugestimmt. Mehr als ein erster Schritt ist damit jedoch nicht getan, wenn es darum geht, dem von amerikanischen und schweizerischen Ermittlern aufgedeckten Geflecht aus Patronage und Profit beizukommen. Im Mai 2015 hatte die Verhaftung von sieben FIFA-Funktionären und Managern in Zürich den Stein ins Rollen gebracht, der immer mehr Offizielle des Verbandes mit sich riss. Bei der Anklage durch die US-Justizbehörden geht es insbesondere um 150 Millionen US-Dollar Bestechungsgeld für den Zugang zu TV- und Marketingrechten für internationale Fußballturniere; weitere Vorfälle seit 1991 werden untersucht, die Anklagen lauten auf Geldwäsche, Betrug und organisiertes Verbrechen. Im Zuge der Enthüllungen sind Zusammenhänge offengelegt worden, die nicht auf Verfehlungen Einzelner, sondern auf kriminelle Strukturen hinweisen.
Geflecht aus Patronage und Profit
Ausgangspunkt dieser Strukturen ist die simple Tatsache, dass es um sehr viel Geld geht. Beliefen sich die Einnahmen der FIFA 2006 noch auf 749 Millionen US-Dollar, waren es 2014 – ebenfalls ein Weltmeisterschaftsjahr – schon über zwei Milliarden US-Dollar. Während die FIFA Dreh- und Angelpunkt eines rasant wachsenden Marktes im internationalen Fußball ist, hat sie den Rechtsstatus eines im Handelsregister eingetragenen Vereins mit Sitz in Zürich. Offiziell darf sie daher nicht gewinnorientiert handeln, agiert aber de facto wie ein Konzern, der über Rücklagen von mittlerweile 1,5 Milliarden US-Dollar verfügt. Zudem ist sie mit ihren 209 Mitglieds- und sechs Kontinentalverbänden ein internationales Gremium, das großen gesellschaftlichen und politischen Einfluss ausübt. Schwache Kontrollmechanismen und intransparente Entscheidungsstrukturen bilden angesichts dieser Machtfülle den Nährboden für die Misere. Das bislang regierende FIFA-Exekutivkomitee beispielsweise wurde mit Ausnahme des FIFA-Präsidenten nicht von dem aus allen 209 Mitgliedsverbänden bestehenden Kongress gewählt, sondern von den sechs Kontinentalverbänden bestimmt. Statt einer institutionalisierter Gewaltenteilung dominieren in der FIFA persönliche Abhängigkeiten. Besonders auf die Entscheidungen über die Ausrichtung von WM-Endrunden soll regelmäßig über die Finanzierung von Entwicklungsprojekten oder andere Zahlungsflüsse Einfluss genommen worden sein. Die US-Generalstaatsanwältin attestiert der FIFA eine Kultur der »zügellosen, systemischen und tiefverwurzelten« Korruption. Diese begünstigt nicht nur kriminelle Geschäfte, sondern auch ein »Gesetz des Schweigens«.
Wo kein Kläger, da kein Richter
Trotz starker Verdachtsmomente tat sich daher lange wenig bei der Offenlegung dieses Systems. Versuche hatte es durchaus gegeben. Der damalige Fifa-Generalsekretär Michel Zen-Ruffinen beispielsweise legte schon im Mai 2002 ein Dossier vor, in dem er Fifa-Präsident Blatter Amtsmissbrauch und Korruption in zwei Fällen vorwarf. Das Fifa-Exekutivkomitee löste daraufhin den Vertrag des Generalsekretärs auf, und die bei einem Strafgericht in Zürich eingereichte Klage gegen Blatter wurde zurückgezogen. Angesichts solcher Vorgänge wurde die FIFA immer wieder als mafiöse Organisation bezeichnet. Tatsächlich laufen die Verfahren in den USA auch unter dem RICO-Gesetz, dem »Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act« zur Bekämpfung krimineller Vereinigungen. Ob man die FIFA nun als solche kategorisiert oder nicht: Innerhalb der Organisation gibt es naturgemäß wenig Interesse, kriminelle Praktiken aufzudecken, die den eigenen Ruf gefährden. Anzeigen sind gerade bei Korruption und Wirtschaftskriminalität selten. Zwar verursachen diese »white collar crimes« einen hohen wirtschaftlichen Schaden, laufen aber in der Regel sehr geräuschlos ab. Denn die Auswirkungen von Manipulationen bei der Vergabe von Fußballweltmeisterschaften oder des Betrugs mit Fernsehrechten sind eher abstrakt und die Opfer kaum persönlich auszumachen. So konnten sich Patronage und Betrug über einen langen Zeitraum und in beachtlichem Umfang ausbreiten – ohne dass sie besonders gut versteckt gewesen wären. Es war Druck von außen nötig, um an dem System zu rütteln.
Ohne Kontrolle von außen geht es nicht
Erst durch die staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen und Anklagen kamen FIFA-interne Prozesse wirklich in Gang. Dazu gehörten die Suspendierung von Präsident Blatter und anderer hochrangiger Funktionäre durch die FIFA-Ethikkommission oder die Verabschiedung der Reformen in der letzten Woche: Neben längst überfälligen Punkten wie einer Amtszeitbegrenzung und der Offenlegung der Vergütung aller höherrangigen Offiziellen ersetzt künftig ein FIFA-Rat das bislang allmächtige Exekutivkomitee. Dieser soll über die strategische Ausrichtung wachen, während der gestärkte Generalsekretär das operative Geschäft kontrolliert. Damit werden Management und politische Funktionen getrennt. Das Maßnahmenpaket ist im Vergleich zu anderen internationalen Sportverbänden durchaus fortschrittlich. Allerdings bleiben auch viele Mitgliedsverbände der FIFA inklusive der europäischen weit hinter diesen neuen Standards zurück. Damit ist Widerstand im System programmiert. So ist fraglich, ob die ebenfalls eingeführten Integritätschecks für neue Ratsmitglieder oder die Prinzipien guter und demokratischer Führung von Mitgliedsverbänden Wirkung entfalten können. Schon in der Vergangenheit sind immer wieder Reformen beschlossen und anschließend verwässert worden. Um glaubwürdig zu sein, bedürfte es auch weiterer Aufklärung. Doch die FIFA-Führung steht angesichts finanzieller Einbußen durch den Skandal auch unter dem Druck, schnell wieder »Normalität« herstellen zu müssen; weitere Enthüllungen könnten da hinderlich sein. So kommt es wohl weiterhin auf die Aufmerksamkeit von Justiz, Medien und Öffentlichkeit an. Vor allem Staaten können den Druck verstärken, indem sie die nationale Gesetzgebung anpassen und sich für eine internationale Aufsicht von Sportverbänden einsetzen. Eine immer wieder vorgeschlagene Antikorruptionsagentur könnte sich am Aufbau der Antidopingagentur Wada orientieren. Diese hat kürzlich erst mit einer unabhängigen Untersuchungskommission das ganze Ausmaß des Dopingskandals im internationalen Leichtathletikverband IAAF aufgedeckt.
Der Text ist auch bei Handelsblatt.com erschienen.