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Fahren auf Sicht

Effektive Früherkennung in der politischen Praxis

SWP-Studie 2018/S 24, 29.11.2018, 31 Seiten Forschungsgebiete

Dr. Lars Brozus ist Wissenschaftler in der SWP-Forschungsgruppe Amerika.

Die Annexion der Krim durch Russland, die sogenannte Flüchtlingskrise im Sommer 2015 und Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten sind einige markante Beispiele für Überraschungen, welche die Politik in Berlin und Brüssel vor anhaltende Herausforderungen gestellt haben. Da sich solche Überraschungen zu häufen scheinen, verwundert es nicht, dass auf Seiten der Politik das Interesse an Früherkennung wächst. Sie soll dabei helfen, insbesondere böse Überraschungen so rechtzeitig zu antizipieren, dass deren Eintritt vermieden werden kann.

Aber wie wird Früherkennung besser? In den Blick zu nehmen gilt es dafür den gesamten Früherkennungsprozess von (1) der Erarbeitung der Analysen über (2) deren Management an der Schnittstelle zwischen Wissens­produktion und Politik bis zu (3) der Ebene, auf der Entscheidungen fallen. Beachtliche Fortschritte gibt es vor allem bei der Forschung über Forecasts. Dabei handelt es sich um nachprüfbare Vorhersagen darüber, ob in der näheren Zukunft liegende Ereignisse eintreten werden. Kognitive Merkmale wie Neugier, Unvoreingenommenheit und Vorurteilsfreiheit tragen dazu bei, die Qualität dieser Vorhersagen zu erhöhen. Auch die strategische Voraus­schau (Foresight) kann ausgebaut werden.

Zwei Implikationen besserer Früherkennung sind allerdings problematisch. So können methodische Innovationen, optimiertes Management und aufgeschlossene Entscheidungsträger das Überraschungsrisiko zwar ver­ringern, aber nicht ausschalten. Und mit besserer Früherkennung steigt der Druck auf die Politik, präventiv zu handeln. Je genauer Früherkennung wird, desto mehr verringern sich politische Handlungsspielräume. Doch präventive Interventionen, die durch Früherkennung ausgelöst werden, können unerwünschte Folgen haben – das zeigen Erfahrungen der Vergan­genheit.

Problemstellung und Empfehlungen

Die Annexion der Krim durch Russland im März 2014, die signifikante Zunahme der Zahl von Flücht­lingen und Migranten, die im Frühjahr und Sommer 2015 den Weg nach Europa suchten, Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten im November 2016 – dies sind nur einige markante Beispiele für Überraschungen, welche die Politik in Berlin und Brüssel vor große, anhaltende Herausforderungen gestellt haben. Besonders unangenehm sind aus politischer Sicht »böse Überraschungen«, also unerwartete Ereig­nisse, die potentiell negative Konsequenzen für deut­sche und europäische Interessen haben. Böse Über­raschun­gen führen dazu, dass Entscheidungen unter hoher Unsicherheit gefällt werden müssen. Während die Folgen solcher Entscheidungen nur begrenzt kalku­lierbar sind, ist die politische Verantwortung meist klar zu verorten.

Da sich mit steigender Komplexität der internationalen Beziehungen die Überraschungen zu häufen scheinen, verwundert es nicht, dass auf Seiten der Politik das Inter­esse an Früherkennung zu­nimmt. Früherkennung soll dabei helfen, insbeson­dere böse Überraschungen so rechtzeitig zu antizipieren, dass deren Eintritt im Idealfall durch entschie­denes Handeln vermieden werden kann. Wenn das nicht möglich ist, soll die Politik zumindest besser darauf vorbereitet sein, dass Unerwartetes geschehen könnte.

Gefordert wird in diesem Zusammenhang, der Früherkennung besseren Zugang zur Entscheidungsebene der Politik zu verschaffen. Nicht der Mangel an früherkennungsrelevanten Informationen sei das Problem, so kritische Stimmen, sondern die fehlende politische Aufmerksamkeit dafür. Tatsächlich liegen im Regelfall Hinweise auf vermeintliche Überraschungen vor, bevor sie eintreten. Ebenso trifft zu, dass die Entscheidungsebene oft damit ausgelastet ist, auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren, so dass die Befassung mit Unerwartetem vernachlässigt wird.

Richtig ist aber auch, dass es etliche Beispiele für »falschen Alarm« und unzutreffende Warnungen gibt – Früherkennung kann irren. Insofern greift die Forderung nach verbessertem Zugang zu den Ent­scheide­rinnen und Entscheidern zu kurz. Vielmehr sollte der gesamte Früherkennungsprozess in den Blick genommen werden – von (1) der Erarbeitung der Analysen über (2) deren Management an der Schnitt­stelle zwischen Wissensproduktion und Politik bis zu (3) der Ebene, auf der Entscheidungen fallen.

Die Analysten stehen vor der Herausforderung, künftige Entwicklungen besser zu antizipieren und Wissen zu produzieren, das relevant ist für die Politik. Maß­geblich dafür, dass Letzteres gelingt, ist die Schnittstelle zwischen Analyse und Politik. Gutes Informa­tionsmanagement kann dazu beitragen, dass die Ent­scheidungsebene zielgerichteter über politik­relevante Ein­schätzungen der Früherkennung unter­richtet wird. Angesichts notorischer Zeitknappheit und be­grenzter Aufmerksamkeit der Entscheidungsebene bedarf es dafür einerseits intimer Kennt­nisse des Politik­prozesses. Andererseits muss die Un­abhän­gigkeit der Ebenen gewährleistet sein, damit das Risiko politischer Manipulation von oben nach unten – sowie von unten nach oben – mini­mal bleibt. Sind diese Voraussetzungen gegeben, kann Früherkennung größere Entscheidungsrelevanz bean­spruchen.

Vorschläge für die Verbesserung von Früherkennung müssen sich daher mit drei Problemen gleich­zeitig auseinandersetzen:

  • Erkenntnisproblem: Wie lassen sich außenpolitisch relevante Entwicklungen und Ereignisse früh­zeitig erkennen?

  • Vermittlungsproblem: Wie erzielen außenpolitisch relevante Erkenntnisse der Früherkennung die not­wendige politische Aufmerksamkeit?

  • Entscheidungs- und Handlungsproblem: Wie kommt die Politik mithilfe von Früherkennung zu gutem, sachgerechtem Entscheiden und Handeln?

Um außenpolitisch relevante Ereignisse frühzeitiger zu erkennen und die Trefferquote zu steigern, kön­nen Erkenntnisse der Forschung genutzt wer­den. Vor allem im Bereich sogenannter Forecasts hat es beachtliche Fortschritte gegeben. Bei Forecasts han­delt es sich um nachprüfbare Vorhersagen dar­über, ob bestimmte in der Zukunft liegende Ereignisse tat­sächlich eintreten. Zu den Erfolgsfaktoren zählt die Fähigkeit, einmal getroffene Annahmen im Lichte neuer Informationen zu revidieren, statt an der vorgefassten Einschätzung festzuhalten. Kognitive Merk­male wie Neugier, Unvoreingenommenheit und Vor­urteilsfreiheit tragen dazu bei, die Güte von Vorhersagen zu erhöhen. Institutionell sollte dies bei der Organisation von Früherkennungsprozessen berück­sichtigt werden.

Auch das Management von Früherkennungs­produkten lässt sich verbessern. Die Schnittstelle zwischen Angebots- und Nachfrageseite soll früh­erken­nungsrelevantes Wissen verdichten und an die Politik vermitteln. Hier geht es vor allem darum, die Er­war­tungen wie auch die Handlungsmöglich­keiten und ‑grenzen beider Seiten transparent zu machen. Gutes Management zwischen Angebots- und Nachfrageseite zeichnet sich durch Verständnis für die Organisationslogik der Politik aus, ohne die Wissensproduktion ausschließlich auf operative Nützlichkeit zu verengen. Transparente Beziehungen zwischen Produzenten und Konsumenten von Früh­erkennung bewirken zudem, dass das wechselseitige Misstrauen bezüglich Manipulation und Politisierung nicht überhandnimmt.

Auf der Entscheidungsebene wäre es sinnvoll, mehr Raum für die Auseinandersetzung mit vorge­stellten Situationen und Entwicklungen zu schaffen, die erhebliche Bedeutung für deutsche und europäische Interessen hätten. Hier geht es darum, die Ent­scheiderinnen und Entscheider dahingehend zu ertüchtigen, dass sie sich mit zwar hypothetischen, aber denkbaren Überraschungen befassen können. Dafür brauchbare Instrumente sind etwa Planspiele, Szenarien sowie Übungen in strategischer Vorausschau (Foresight).

Zwei Implikationen besserer Früherkennung sind allerdings problematisch. Zum einen können metho­dische Innovationen, optimiertes Management und aufgeschlossene Entscheidungsträger das Überraschungsrisiko zwar verringern, aber nicht ausschalten. Zum anderen erhöht sich mit besserer Früh­erkennung der Druck auf die Politik, quasi automatisch zu handeln. Je genauer Früherkennung wird, desto mehr verringern sich politische Handlungsspielräume. Präventive Interventionen aufgrund von Erkenntnissen der Früherkennung gehen jedoch mit nichtintendierten Folgen einher. So kann, wie im Fall Libyen 2011, frühzeitiges Eingreifen zu Verhinderung von Massengewalttaten zu langfristiger Destabilisierung beitragen. Umgekehrt eröffnete der nicht anti­zipierte Jom-Kippur-Krieg 1973 die Möglichkeit für Friedensgespräche zwischen Ägypten und Israel. In diesem Fall hatte eine politische Initiative, die erst infolge einer bösen Überraschung möglich wurde, unerwartet positive Folgen, die bei frühzeitiger und erfolgreicher Konfliktprävention womöglich aus­geblieben wären. Solche paradoxen Effekte lassen es geraten erscheinen, eine gesunde Skepsis gegenüber einer gleichsam automatisierten Politik beizubehalten und das abwägende Prinzip des »Fahrens auf Sicht« nicht vorschnell aufzugeben.

Dimensionen der Früh­erkennung

Ebenso legendär wie Legion sind die Berichte über fehlgeschlagene Früherkennung. Zu den bekanntesten Episoden gehört, wie der damalige US-Außen­minister Henry Kissinger am 6. Oktober 1973 die Einschätzung der amerikanischen Geheimdienste erhielt, es gebe keine Hinweise auf eine bevorstehende militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und Ägypten – wenige Stunden zuvor hatte Kissinger aus anderen Quellen bereits vom Beginn des Jom-Kippur-Kriegs erfahren. Ebenso skurril muss die Szene vom 9. November 1989 im Oval Office gewesen sein: Bei einer Unterrichtung des damaligen US-Präsi­den­ten George H.W. Bush durch die CIA ging plötz­lich die Tür auf, und ein Mitarbeiter des National Security Council bat ihn, den Fernseher einzuschalten, damit er live die Öffnung der Berliner Mauer verfolgen könne. Die CIA-Experten, zuständig für die Sowjetunion und die DDR, hatten dem Präsidenten gerade erklärt, dass der Fall der Mauer auf absehbare Zeit äußerst unwahrscheinlich sei.1

Die Beispiele verdeutlichen, dass Fehleinschätzungen selbst hervorragend ausgestatteten Nachrichtendiensten und bestens ausgebildeten Analysten unter­laufen. Zwar dürften die meisten Irrtümer nicht so dramatisch ausfallen. Unangenehm sind sie aber alle­mal, vor allem für die mit Früherkennung betrauten staatlichen Einrichtungen und die beteiligten Analys­ten. Von daher verwundert es nicht, dass stetig darauf hingearbeitet wird, die Fähigkeiten zur Früherkennung und Antizipation zu verbessern. Schließlich zählt es zu den wichtigsten Aufgaben der zuständigen Akteure, der Politik die bestmögliche Einschätzung über künftige Entwicklungen so zeitgerecht zu liefern, dass entschieden und gehandelt werden kann, um Chancen zu ergreifen und Risiken zu minimieren.2

Echte oder vermeintliche Überraschun­gen: Schwarze und graue Schwäne

Die Liste von Fällen fehlgeschlagener Früherkennung ließe sich verlängern.3 Allerdings zeigt der Blick auf einige der markantesten Ereignisse der letzten Jahr­zehnte, wie selten echte Überraschungen (die soge­nannten »schwarze Schwäne«4) in der internationalen Politik tatsächlich sind. Zwar trafen der Zerfall der Sowjetunion 1990/1991, die Anschläge in New York und Washington vom 11. September 2001 und die Volksaufstände in Nordafrika und Nahost 2010/2011 viele Politiker, Analysten und Wissenschaftler unvor­bereitet. Das Gleiche gilt für die globale Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008. Doch in der Rückschau wird deutlich, dass es bei jedem dieser Fälle im Vor­feld Hinweise auf die späteren Überraschungen gab, und zwar in wissenschaftlichen Analysen ebenso wie in politischen Dokumenten. Die sich verschärfende Nationalitätenkrise in der UdSSR, die Planungen al‑Qaidas für einen großen Anschlag in den USA und die anhaltende gesellschaftliche Unzufriedenheit in vielen arabischen Staaten waren wohlbekannt. Es mangelte auch nicht an Warnungen, dass der Immo­bilienmarkt in den USA zunehmend spekulative Züge aufwies. In den Regierungsapparaten befassten sich aber nur vergleichsweise wenige Personen und Ein­heiten mit diesen Entwicklungen. Andere Themen, die einen tagesaktuellen Bezug hatten und rasche Reaktionen erforderlich machten, dominierten die politische Agenda. Auch deshalb fehlte es auf der Ent­scheidungsebene an Aufmerksamkeit für die epocha­len Veränderungen, die sich anbahnten.

Mehr Früherkennung bewirkt nicht automatisch, dass die Politik weniger oft überrascht wird.

Bei einer solchen Konstellation handelt es sich um einen »grauen Schwan«.5 Damit sind krisenhafte Ent­wicklungen gemeint, die sich über einen längeren Zeitraum abzeichnen, ohne dass sie politisch mit an­gemessener Priorität bearbeitet werden. Eine tiefer­gehende Analyse der vermeintlichen Überraschungen vergangener Jahrzehnte zeigt, dass die schwarzen Schwäne in den meisten Fällen eben nicht tiefschwarz waren, sondern meist mannigfache Grauschattierungen aufwiesen.6 Daher begann nach jedem dieser Er­eignisse eine intensive Diskussion, wie es dazu kom­men konnte, dass die entscheidenden Ent­wicklungen von Wissenschaft und Politik zwar durch­aus wahr­genommen wurden, aber keine Reaktionen auslösten, mit denen die Überraschungen entweder hätten ver­mieden oder aber besser genutzt werden können.

Teil der Antwort sind die unmittelbaren Handlungsprioritäten, die die politische Agenda dominieren. Mitunter jedoch gehen Früherkennungsprodukte auch an den Bedürfnissen der Konsumenten vorbei.7 Dies lässt daran zweifeln, dass mehr Früherkennung automatisch bewirkt, dass die Politik weniger oft überrascht wird. Zwar ist die Forderung nach besserer Früherkennung absolut nachvollziehbar, bedenkt man die frustrierenden Erfahrungen von Entscheidungsträgern, die den Ereignissen im Krisenmodus hinterherhasten. Aber wenn nicht mangelnde Infor­mation das Problem ist, sondern unzureichende poli­tische Aufmerksamkeit, dann wird mehr Früherkennung allein nicht dazu beitragen, weniger oft über­rascht zu werden. Die unzureichend ausgeprägte Fähigkeit politischer Apparate, gegebenenfalls früh­zeitig und wirksam zu reagieren, lässt sich auf deren Organisationslogik und Verfahrensroutinen zurückführen. An diesen Faktoren ändert sich nichts durch eine bloße Zunahme von Informationen.

Im Gegenteil: Mehr Früherkennung könnte die politischen Apparate wie auch die Entscheidungs­ebene übermäßig irritieren und zu Abwehrreaktionen führen. Solche Folgen hatte etwa der Versuch von 2010, ein regelmäßiges »Horizon-scanning« (eine Variante der strategischen Früherkennung) im Sicher­heitsrat der UN zu institutionalisieren – das Projekt wurde nach wenigen Jahren beendet.8 Ein anderes Beispiel ist die 2002 vom damaligen britischen Pre­mier Blair begründete Prime Minister’s Strategy Unit, deren Aufgabe es war, künftige Herausforderungen für Großbritannien zu identifizieren. Aufgrund kurz­fristiger Budgetkürzungen wurde diese langfristig vorausschauende Einheit 2010 wieder aufgelöst.9

Dass Früherkennung in der Politik keinen leichten Stand hat, liegt in der Natur ihres Gegenstands be­gründet. Viel spricht dafür, dass sich die Zukunft auch künftig nur begrenzt antizipieren lassen wird, insbesondere dann, wenn es um soziale Phänomene wie Revolten oder Wahlen geht.10 Früherkennung wird daher in manchen Fällen weiterhin falschen Alarm auslösen und in anderen Fällen, in denen es notwendig wäre, gar keinen Alarm schlagen. Deshalb dürften politische Maßnahmen, die auf Informationen der Früherkennung zurückzuführen sind, die gewünschten Effekte mitunter verfehlen, gelegentlich sogar zu teuren Fehlschlägen führen. Die damit ver­bundenen politischen Kosten trägt allerdings weiter­hin die Entscheidungsebene.

Abbildung 1 Komplexitätssteigernde Faktoren in der internationalen Politik

mehr Akteure

größere Komplexität internationaler Politik steigende Wahrschein­lichkeit von Überraschungen

mehr Interaktion

mehr Interdependenz

Zwar zeigen wissenschaftliche Studien, dass die Genauigkeit von Vorhersagen gesteigert werden kann. Bestimmte kognitive Dispositionen befähigen manche Personen und aus ihnen zusammengesetzte Teams zu akkurateren Forecasts.11 Datengestützte Analysen kommen sukzessive ebenfalls zu präziseren Aussagen. So wünschenswert und sinnvoll es auch ist, diese Fähigkeiten und Methoden systematisch zu fördern und zu nutzen, wird es bestenfalls bei einer graduellen Annäherung an das Ziel einer »perfekten Voraussicht« bleiben.12 Neben einer gewissen Leidens­fähigkeit sind für die Politik deshalb Kriterien wich­tig, die ihr dabei helfen, die Qualität verschiedener Früherkennungsprodukte zu bewerten.

Steigende Nachfrage nach Früherkennung

Die Annahme, dass unerwartete Entwicklungen die internationale Politik auf absehbare Zeit prägen werden, ist einer der Gründe für die steigende Nach­frage nach Früherkennung. Schon rein statistisch wächst mit einer größeren Komplexität der interna­tionalen Politik die Wahrscheinlichkeit, dass es ver­mehrt zu überraschenden Situationen und unerwarteten Entwicklungen kommt. Die deutliche Zunahme der politischen, sozialen und ökonomischen Inter­aktionen auf globaler Ebene schlägt sich in steigender Interdependenz nieder. Parallel dazu ist die Anzahl der Akteure, die in der globalen Politik mitmischen, während der letzten Jahrzehnte massiv gewachsen. Neben Staaten sind Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Unternehmen und internationale Organisa­tionen (IGOs) aktiv, ebenso eine Vielzahl privater Akteure, von philanthropischen Entrepreneuren bis zu militanten und terroristischen Gruppen (siehe Abbildung 1).

In politischer Hinsicht übersetzt sich die größere Komplexität in Forderungen nach mehr Strategie­fähigkeit der nationalen und der europäischen Ebene. Dazu beitragen soll der Ausbau von Früherkennungskapazitäten.13 Dies wird als umso dringlicher wahr­genommen, je stärker die globalen Steuerungs- und Verregelungsbemühungen der steigenden Verdichtung der Interaktionen und Austauschprozesse hin­terherhinken. Die Kluft zwischen dem Regelungs­bedarf und der Regelungsrealität – die sogenannte Global Governance Gap – scheint eher größer als kleiner zu werden.14

Es gibt mithin gute Gründe für die steigende Nach­frage nach Früherkennung. Zwar ist nicht zu erwar­ten, dass die globalen Steuerungs- und Verregelungsbemühungen unmittelbar davon profitieren würden. Aber bessere Früherkennung würde strategisches Denken und Planen der Politik zumindest indirekt befördern, wenn weniger oft reagiert werden müsste (etwa auf Überraschungen) und mehr gestaltet wer­den könnte. Offen bleibt allerdings, unter welchen Bedingungen bessere Früherkennung das gewünschte Ziel, Überraschungen zu antizipieren, tatsächlich erreichen kann. Hierfür sollte der gesamte Früh­erkennungsprozess in den Blick genommen werden. Zu fragen ist daher, wie dieser Prozess aussehen müsste, damit früherkennungsrelevante Informationen, Einschätzungen und Bewertungen eine größere Chance darauf haben, politisch aufgegriffen und wirksam zu werden.

Abbildung 2 Varianten der Früherkennung

Bezeichnung

taktische /
situative Früherkennung

strategische /
strukturelle Früherkennung

Methode

Vorhersage (Forecast)

Vorausschau (Foresight)

Zielgröße

konkrete Ereignisse

relevante Entwicklungen

Ausgangsannahmen und Grundlagen

Ziel von Früherkennung ist die Antizipation zukünftiger Ereignisse und Entwicklungen mit hoher außen- und sicherheitspolitischer Relevanz, die – sofern sie eintreten würden – von großer Bedeutung für Deutschland und die EU wären und daher mehr politische Aufmerksamkeit verdienen, als sie gegen­wärtig bekommen. Graue Schwäne bewusster zu machen erscheint vor diesem Hintergrund wichtiger als der Versuch, schwarze Schwäne öfter vorher­zusehen – die ohnehin qua Definition nicht zu anti­zipieren sind.

Früherkennung wird zwar andauernd praktiziert, aber nicht immer als solche ausgewiesen und oftmals auch ohne die nötige Sorgfalt betrieben. Schließlich sind die politischen Entscheidungen, die heute gefällt werden, darauf ausgerichtet, die Zukunft auf die eine oder andere Art und Weise zu gestalten. Die Annahmen über künftige Entwicklungen prägen daher unweigerlich heutige Entscheidungen. Und policy-orientierte Studien und Berichte kommen selten ohne zukunftsorientierte Handlungsempfehlungen aus. Es ist also weniger die Frage, ob Früherkennung betrieben wird, sondern vielmehr wie.

Bessere Früherkennung bezeichnet die Steigerung der Fähigkeiten, überraschende und unerwartete Situatio­nen und Entwicklungen frühzeitig wahrzunehmen. Damit ist eine höhere Aussage-Güte gemeint, die sich beispielsweise darin zeigen kann, dass sich die An­zahl der vorhergesagten und tatsächlich eintretenden Ereignisse erhöht. Die Verbesserung individueller wie auch kollektiver Fähigkeiten zur Früherkennung lässt sich trainieren.

Effektive Früherkennung erweitert den Begriff um die politische Dimension. Gemeint ist, dass durch Früh­erkennung gewonnene Einschätzungen in Abwägungsprozesse auf der Entscheidungsebene einfließen. Das kann – muss aber nicht – dazu führen, dass sich die operative Praxis verändert. Ein sicht­barer Ausdruck dessen wären Handlungen, die eine Regierung auf Basis von Früherkennung vornimmt, um den erwarteten Eintritt von Ereignissen zu ver­hindern (Prävention) oder im Gegenteil zu befördern. Wenn etwa ein militärischer Konflikt zwischen zwei Staaten zu drohen scheint, ließe sich, um ihn zu verhindern, eine diplomatische Initiative ergreifen. Selbstverständlich kann eine solche Initiative schei­tern und es dennoch zum Krieg kommen. Ebenso ist möglich, dass sich die Spannungen ohne externe Intervention auflösen. Schließlich können sich Regie­rungen auch dagegen entscheiden, den vorliegenden Informationen gemäß zu handeln, etwa wegen man­gelnder Erfolgsaussichten oder bei politischen Ziel­konflikten. Effektivität bezieht sich hier nur darauf, dass politische Entscheidungen durch Früherkennung mitgeprägt werden.15

Früherkennung kann in zwei Dimensionen untergliedert werden, die jeweils eigener Instrumente und Methoden bedürfen (siehe Abbildung 2). Taktische oder situative Früh­erkennung (Forecast) bezieht sich auf die Vorhersage konkreter Ereignisse in der un­mit­telbaren oder nähe­ren Zukunft. Im Unterschied dazu bezieht sich Fore­sight (Vorausschau) auf die Antizipation von Entwick­lungen in mittlerer bis langfristiger Zukunft. Hier handelt es sich um die strategische oder auch strukturelle Dimension der Früherkennung.

Abbildung 3 Ebenen und Funktionen im Früherkennungsprozess

Arbeitsebene

Analysten (Administration, Wissenschaft usw.)

Informationssammlung und ‑aufbereitung / Wissensakkumulation

Schnittstelle

Informations- und Policy­manager

Selektion und Priorisierung

Politische Ebene

Entscheidungsträger

Kenntnisnahme, Entscheidung und ggf. Beschluss von Maßnahmen

Der Früherkennungsprozess

Früherkennung soll die Administration dabei unter­stützen, auf Grundlage der bestmöglichen Informa­tionen und Einschätzungen zu entscheiden, welche unter den vielen bekannten oder vermuteten takti­schen und strategischen Herausforderungen diejenigen sind, der die politische Aufmerksamkeit prioritär gelten sollte. In konzeptioneller Hinsicht umfasst dies einen dreistufigen Prozess. Auf der ersten Prozess­stufe, der Arbeitsebene, werden relevante Informa­tio­nen gesammelt, ausgewertet und interpretiert. So ent­stehen Analysen, Berichte und Einschätzungen, die an die zweite Prozessstufe, die Managementebene, weitergeleitet werden. Letztere bildet die Schnittstelle zwischen der Bereitstellung von Informationen und deren Verarbeitung im politischen Raum. Die dritte Prozessstufe schließlich ist die Entscheidungsebene, auf der darüber befunden wird, ob und gegebenenfalls wie mit politischen Maßnahmen (policies) zu reagieren ist. In hierarchisch aufgebauten Organisa­tionen wie einer Regierung haben typischerweise nur wenige Personen größere Entscheidungsbefugnis. Die meisten Staatsbediensteten bereiten Entscheidungen vor und beraten die eigentlichen Entscheidungsträger. Die drei Ebenen lassen sich wie in Abbildung 3 darstellen.

Die Sammlung von Informationen und deren Aufbereitung sind die genuine Aufgabe von Analysten, die in der Administration – etwa in Nachrichtendiensten – beschäftigt sind oder auch regierungsunabhängig arbeiten (in Wissenschaft, NGOs, IGOs usw.). Die Vermittlung zwischen Analyse und Politik wird von der zwischengeschalteten Management­ebene vorgenommen. Dabei lässt sich unterschei­den zwischen Informationsmanagern und Policy­managern. Beide selektieren und priorisieren Berich­te, Einschätzungen und Bewertungen, legen dabei aber unterschiedliche Maßstäbe an.16 Mit Blick auf Früherkennung handelt es sich um eine zentrale Funktion, die ausschlaggebend dafür ist, welche Informationen überhaupt in der Politik ankommen. Die Prärogative der politischen Ebene ist es schließlich, entsprechende Entscheidungen zu treffen und gegebenenfalls Maßnahmen zu beschließen.

Die Darstellung in Abbildung 3 ist idealtypisch vereinfacht. In der Praxis kommt es auf allen drei Ebenen zu immer wiederkehrenden, mithin typischen oder systemischen Problemen. Zusätzliche Friktionen ent­stehen an den Schnittstellen zwischen den Ebenen. Die operative Realität in Politik und Administration ist zudem erheblich komplexer, oftmals – gerade unter Zeitdruck – auch ungeordneter und chaotischer, als die Darstellung suggeriert. In der Praxis verschwimmen die Grenzen zwischen den Ebenen gelegentlich, und Abläufe geraten durcheinander.

Die idealtypische Darstellung ist allerdings hilfreich, um verschiedene Stufen im Früherkennungsprozess unterscheiden zu können. Die Analyse der einzelnen Stufen offenbart spezifische Problemlagen, die eine bessere und effektivere Früherkennung nach­haltig behindern. Aufbauend auf der Analyse dieser »Teilsysteme« lassen sich gezielte Maßnahmen ent­wickeln, die den jeweiligen Problemen gelten. Ein solches Vorgehen ist einer holistischen Gesamt­betrachtung auf Systemebene vorzuziehen. Denn bei Letzterer wäre es nahezu unmöglich, einzelne Defi­zite zu bestimmen und praktikable Reform­maßnahmen vorzuschlagen, ohne nach einer Um­gestaltung des Systems rufen zu müssen.

Verbesserungsmöglichkeiten

Die Forschung über Früherkennung konzentriert sich auf zwei Aspekte. Zum einen wird untersucht, welche Personen wie gut darin sind, künftige Ereignisse und Entwicklungen zu antizipieren. Zum anderen geht es um die Analyse der Faktoren, die dazu beitragen, die Vorhersage-Güte zu verbessern. Betrachtet werden beide Aspekte anhand von Aussagen über die Zu­kunft, die von verschiedenen Personengruppen, dar­unter Experten wie auch Laien, abgegeben werden.

Dabei besteht ein prinzipieller Unterschied zwischen Vorhersage im Sinne von Forecast (taktische Früherkennung) und Vorausschau im Sinne von Foresight (strategische Früherkennung). Aus wissenschaftlicher Perspektive liegt der große Vorzug von Vorhersagen darin, dass sie getestet werden können. Ob ein konkret vorhergesagtes Ereignis eintritt oder ausbleibt, lässt sich vergleichsweise leicht überprüfen. Vorausschau hingegen konzentriert sich auf län­gerfristige Entwicklungen. Ihre Güte lässt sich nur unzureichend anhand von Trefferquoten bewerten, da hier mehr Variablen das tatsächliche Geschehen beeinflussen. Allerdings können – und sollten – die »Vorausschauenden« regelmäßig im Rückblick über die Qualität ihrer Analysen reflektieren.17

Experten und Laien

Repräsentative Studien zeigen, dass es zwischen Experten und Laien keinen signifikanten Unterschied gibt, was die Akkuratheit ihrer Vorhersagen angeht. Beide Gruppen schneiden nicht besser ab, als auf­grund einer bloßen Zufallsverteilung zu erwarten ist. Etwa die Hälfte der getätigten Aussagen trifft jeweils ein. Die professionelle Beschäftigung mit einer The­matik oder Region übersetzt sich also nicht zwangsläufig in genauere Vorhersagen. Ebenso wenig führt der Zugang zu vertraulichen Informationen, etwa klassifizierten Akten, zu besseren Forecasts. Aus Angehörigen von Nachrichtendiensten zusammen­gestellte Teams, die sich an Forecast-Wettbewerben beteiligen, geben im Durchschnitt keine genaueren Vorhersagen ab.18 Selbstverständlich existieren auch Extremfälle wie die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, die von kaum jemandem antizipiert wurde.

Im Unterschied zu Laien finden Experten allerdings öffentlich Gehör, etwa durch Medienauftritte. Nun ließe sich erwarten, dass vor allem solche Exper­ten ge­fragt sind, die bei Vorhersagen über künftige Ereig­nisse überdurchschnittlich gut abschneiden. Ein kontraintuitiver Nebenbefund der Forschung zeigt jedoch, dass Medienpräsenz negativ mit Vorhersage-Güte korreliert. Je öfter ein Experte in Presse, Radio und Fernsehen auftaucht, desto wahrscheinlicher liegt er oder sie mit Aussagen darüber, was passieren wird, falsch.19

Notorisch falsche Vorhersagen schließen eine Karriere weder in den Medien noch in der Politik aus, wie das Beispiel des amerikanischen Wirtschafts­beraters Larry Kudlow verdeutlicht. Für Philip Tetlock und Dan Gardner ist er ein prototypischer »Igel« (zu die­sem Bild später ausführlich), der realweltliche Ereig­nisse aus einer singulären Perspektive wahrnimmt und so deutet, dass sie mit dieser »großen Idee« – im Fall Kudlows ist dies eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik – übereinstimmen.20 Wäh­rend der Wirtschafts- und Finanzkrise, die sich in den USA ab 2007 rasant entfaltete, hielt Kudlow hart­näckig daran fest, dass es eine Rezession weder gebe noch geben werde. Die Selbstsicherheit, mit der er entgegen aller Evidenz zu seiner Überzeugung stand, brachte ihm eine Wirtschafts-Talkshow beim Sender CNBC ein. Seit April 2018 ist Kudlow als Direktor des National Economic Council ökonomischer Chef­berater des Weißen Hauses.

Dabei lässt sich die Vorhersage-Güte durchaus verbessern. Langzeitstudien mit mehreren tausend Teilnehmern zeigen, dass die Personen, die besonders erfolgreich Vorhersagen abgeben, sich durch be­stimmte kognitive Dispositionen auszeichnen. Dazu gehört vor allem die Fähigkeit, die eigenen Annahmen und Überzeugungen zu ändern, wenn zusätzlich verfügbare Informationen dies nahelegen. Sogenannte »Superforecaster« beobachten die Faktoren, die maßgeblich für den Eintritt einer ihrer Vorhersagen sind, kontinuierlich und systematisch. Gleichzeitig halten sie aktiv Ausschau nach weiteren Einflüssen, die im Zusammenhang ihres Forecasts relevant werden könnten. Dementsprechend passen sie die Wahrscheinlichkeit, dass das prognostizierte Ereignis eintritt, immer wieder an.21

Igel und Füchse

Um die Unterschiede zwischen den kognitiven Dispo­sitionen zu verdeutlichen, wird oft ein Bild aus der Tierwelt verwendet, nämlich das von »Igeln« und »Füchsen«.22 Demnach ist unter Experten die soge­nannte »Igelmentalität« weit verbreitet. »Igel« zeich­nen sich dadurch aus, dass sie standhaft an ihren Überzeugungen festhalten, auch wenn die Evidenz darauf hindeutet, dass sie falsch liegen. Sie inter­pretieren das Weltgeschehen aus dem Blickwinkel einer Idee, die grundlegend für ihre Überzeugungen ist. Entsprechend nehmen »Igel« Informationen be­vorzugt dann zur Kenntnis, wenn diese ihre Über­zeugungen bestätigen. Abweichendes hingegen wird vorzugsweise ignoriert.

»Füchse« sind die besseren Forecaster.

Den Gegenpart bilden die »Füchse«. Sie haben ebenfalls Überzeugungen, sind aber bereit, diese einer sich ändernden Informations- und Datenlage anzupassen. Die besten »Füchse« sind jene, die gera­dezu neugierig auf Informationen sind, die ihre bis­herigen Annahmen widerlegen könnten, und aktiv danach suchen. Unter den Superforecastern dominieren »Füchse« eindeutig. Wichtig ist der Befund, dass »Fuchs«-Fähigkeiten trainiert werden können. Mit­hilfe einer vorausschauenden Personalpolitik ließen sich »Füchse« systematisch auf Positionen befördern, an denen ihre spezifischen Fähigkeiten besonders nützlich wären. Das eröffnet der politischen Adminis­tration die Perspektive, die Vorhersage-Güte auf in­sti­tutioneller Ebene kontinuierlich zu verbessern. Im Idealfall könnte die Förderung der »Fuchsmentalität« dazu beitragen, dass Entscheiderinnen und Entscheider weniger häufig mit unerwarteten Ereignissen konfrontiert sind, als dies gegenwärtig der Fall ist.

Methodische Aspekte

In methodischer Hinsicht sollten sowohl bei Forecasts wie auch bei Foresight die Ausgangsannahmen und Wirkungszusammenhänge der analysierten Ereig­nisse und Entwicklungen nicht implizit bleiben, son­dern explizit offengelegt werden. Diese Transparenz ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Aus­gangs- und Wirkungsannahmen nachgeprüft und problematisiert werden können – ein zentrales Kriterium von methodischer Sorgfalt. Transparentes Arbei­ten bildet einen wichtigen Prüfstein, um sorg­fältiges Vorausschauen von spekulativem »guesswork« (Rätselraten), von dem beide Varianten der Früh­erkennung befallen sind, zu unterscheiden.

Transparenz ist auch aus einem anderen Grund wichtig. Jede Früherkennungsanalyse ist ein Beitrag dazu, das »Universum denkbarer Möglichkeiten« für politisches Handeln auszuleuchten.23 Dabei ist es unvermeidlich, dass sie dieses Universum gleichzeitig formt, denn die Analysierenden treffen eine Auswahl unter allen denkbaren Faktoren, Variablen, Trends und Einflüssen. Dabei konzentrieren sie sich auf die aus ihrer Sicht relevanten Schlüsselelemente und ver­nachlässigen andere. Früherkennungsabnehmer in der Politik werden daher mit einem gleichsam vor­strukturierten Bild der Zukunft konfrontiert, das ihre Sicht auf künftige Entwicklungen womöglich beein­flusst. Umso wichtiger ist das methodisch reflektierte Vorgehen bei der Früherkennung, damit nachvollziehbar bleibt, welche Aspekte aus welchen Gründen berücksichtigt wurden.

Grenzen der Früherkennung

Zwar zeigen die Forschungsergebnisse, dass es mög­lich ist, die Fähigkeiten zur besseren Vorhersage künftiger Ereignisse zu trainieren. Dennoch sind zwei Vorbehalte angebracht. Zum einen erreichen selbst die besten Forecaster nur ein Maß an Präzision, das viel Raum für Unerwartetes und Überraschendes lässt. So lagen 2016 die Superforecaster mit ihren Vorhersagen zum Ergebnis des Brexit-Referendums ebenso falsch wie beim Ausgang der Präsidentschafts­wahl in den USA.24 Zum anderen bedeutet mehr und bessere Früherkennung nicht automatisch, dass auch ein politisches Handeln erfolgt, um sich abzeichnende Chancen zu ergreifen oder drohende Risiken ab­zuwenden. Der Lücke zwischen »early warning« und »early action« haben sich bereits viele Studien gewidmet, in denen auf verpasste Gelegenheiten hingewiesen wurde.25

Solange jedoch selbst Vorhersagen von Superforecastern fehlgehen, ist ein Handlungsautomatismus tatsächlich schwer begründbar. Angesichts der un­erwarteten Folgen, die durch Früherkennung ange­stoßene politische Maßnahmen haben können, wäre er auch nicht wünschenswert.26 Dennoch bleibt die Frage, wie die Kluft zwischen Früherkennung und angemessener Reaktion der Politik geschlossen wer­den kann, ebenso legitim wie notwendig. Sie dürfte überdies in dem Maße drängender werden, in dem Früherkennung dauerhaft eher richtig als falsch liegt. Mittelfristig würde die Politik dann um eine Positionierung nicht herumkommen.

»In der Theorie eine gute Idee, in der Praxis enttäuschend«: Horizon-scanning im UN‑Sicherheitsrat

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UNSR) trägt »die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit« (UN-Charta Art. 24 Ziff. 1). Dazu beizutragen, dass Konflikte nicht gewaltförmig eskalieren (Konflikt­prävention), ist eine der wichtigsten Aufgaben dieses Gremiums. Naheliegend wäre es, befasste sich der Sicherheitsrat regelmäßig mit potentiellen Bedrohungen des Friedens, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. Schließlich setzt die Fähigkeit zur Konflikt­prävention voraus, sich frühzeitig mit vorstellbaren Bedrohungen zu beschäftigen, um sachgemäß und rechtzeitig handeln zu können.

In der Realität stellt sich dies indes anders dar. Zwar hat es immer wieder Versuche gegeben, Früh­erkennung im Sicherheitsrat zu etablieren.27 Eine systematische Praxis hat sich daraus jedoch nicht entwickelt. Die Bemühungen um Konfliktprävention erinnern so mitunter an Glücksspiel: teuer und von (politischen) Zufällen getrieben. Verantwortlich dafür sind Faktoren wie Interessensunterschiede, politische Rücksichtnahme sowie Rivalitäten insbesondere unter den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats. Da es sich hierbei um symptomatische Schwierigkeiten handelt, die häufig auftreten, wenn Früherkennung im politischen Raum institutionalisiert werden soll, ist ein genauerer Blick instruktiv.

Der letzte größere Versuch, Früherkennung im Sicherheitsrat zu etablieren, fand zwischen 2010 und 2012 statt. Anlass war die ebenso unerwartete wie blutige Eskalation des Bürgerkriegs in Sri Lanka.28 Regierungstruppen begannen dort im Frühjahr 2009 mit massiven Militäroperationen. Zwar litt Sri Lanka seit Jahrzehnten unter dem Bürgerkrieg zwischen der tamilischen Minderheit und dem singhalesisch domi­nierten Staat. Doch schien sich die Lage in den 2000er Jahren durch die De‑facto-Teilung des Landes stabi­lisiert zu haben. Von der Offensive der Regierung wurde die Staatengemeinschaft daher überrascht. Die Militäraktion führte zu Tausenden von Toten unter der Zivilbevölkerung sowie mehreren Hunderttausend Binnenflüchtlingen. Ein humanitärer Not­stand war die Folge. Der UNSR reagierte mit der Auf­forde­rung an alle Konfliktparteien, die Sicherheit der Zivil­bevölkerung zu gewährleisten.

Alarmiert durch diese »böse Überraschung« riefen einige Sicherheitsratsmitglieder nach mehr und bes­serer Früherkennung im UN-System – nicht zum ersten Mal. Seit Ende des Ost-West-Konflikts musste sich der UNSR mehrfach mit unerwartet ausbrechenden oder eskalierenden Konflikten auseinandersetzen, die zu massivem Blutvergießen führten. In den 1990er Jahren galt dies beispielsweise für Somalia, Ruanda und das zerfallende Jugoslawien. Dass es dem Sicherheitsrat während des Ost-West-Konflikts nur unzulänglich gelang, seiner Verantwortung für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens gerecht zu wer­den, konnte mit der politisch bedingten Blockade des Gremiums erklärt werden. Doch nach 1991 entfiel diese Begründung. Der öffentliche Druck auf die Ver­einten Nationen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, nahm zu. Entsprechend stiegen die konzeptionellen wie operativen Anstrengungen um Konflikt- und Krisenprävention, präventive Diplomatie, Peace­building und die Verhinderung von Massengewalt­taten.29

Dem UN-Generalsekretär kommt bei der Früh­erkennung eine besondere Rolle zu. Er kann den Sicherheitsrat eigeninitiativ über Entwicklungen unterrichten, die aus seiner Sicht potentiell friedensbedrohend sind. In der Praxis wurde diese Funktion von den bisherigen Amtsinhabern sehr unterschiedlich wahrgenommen, so dass sich keine Ge­wohn­heits­routine etabliert hat.30 Umgekehrt kann der Sicherheitsrat auf die Ressourcen des UN-Systems zurückgreifen, um sich über mögliche künftige Ge­fahren­herde zu informieren. Da die UN in praktisch allen Ländern der Erde vertreten sind, verfügen sie über umfassende Kenntnis der Verhältnisse vor Ort.

Konzeption und Umsetzung

Im Juli 2010 richtete die nigerianische UNSR-Präsi­dentschaft eine Diskussion über präventive Diplomatie aus, in deren Verlauf einige Debattenteilnehmer (darunter Vertreter Australiens, Japans und Groß­britanniens) anregten, der Sicherheitsrat möge sich regelmäßig durch das UN-Generalsekretariat über potentielle Bedrohungen unterrichten lassen.31 London ließ den Worten Taten folgen: Unter briti­scher UNSR-Präsidentschaft fand im November 2010 ein sogenanntes Horizon-scanning-Briefing statt, durchgeführt vom Department of Political Affairs (DPA). Dass die Unterrichtung aus dem UN-System heraus erfolgte und nicht etwa durch die Mitgliedstaaten, sollte politische Unabhängigkeit und Sach­orientierung befördern.

Im Nachhinein erwiesen sich die Diskussionen beim UN-Horizon-scanning als gelungene Vorausschau.

In konzeptioneller Hinsicht stellte dieses Horizon-scanning eine Variante der strategischen Früherkennung dar (Foresight). Die Briefings dienten dazu, sich mit Entwicklungen auseinanderzusetzen, die mittel- bis langfristig den Weltfrieden bedrohen könnten. Dabei wurden auch Themen und Länder angesprochen, mit denen sich der Sicherheitsrat aktuell nicht befasste. Im Zentrum stand die offene Erörterung latenter Gefahrenlagen, die noch hinreichend Zeit und Raum ließen, um in präventiver Absicht poli­tisch intervenieren zu können. Ganz im Sinne einer Präventionsagenda ging es um strukturelle und nicht um situative Früherkennung.32

Bis März 2012 fanden die Briefings monatlich statt.33 Thematisiert wurden dabei unter anderem die Piraterie im Golf von Guinea, mögliche Entwicklungen in Mali und die zunehmende Instabilität von Guinea-Bissau.34 Im Nachhinein erwiesen sich die Dis­kussionen als gelungene Vorausschau, denn während der folgenden Jahre gerieten diese Länder und The­men aufgrund krisenhafter Entwicklungen auf die regu­läre Agenda des SR. Insofern können die Brie­fings von der Sache her durchaus als erfolgreich gelten.

Kampf um Kontrolle: Kritik am Horizon‑scanning

Im Laufe des Jahres 2011 wurde jedoch Unzufriedenheit mit den Briefings deutlich. Dies galt sowohl der Form, in der sie abgehalten wurden, als auch dem Inhalt. Formal wurde bemängelt, dass die Sicherheitsratsmitglieder sehr kurzfristig über die Themen der nächsten Sitzung informiert würden.35 Weil eine Ab­stimmung mit der eigenen Regierung damit praktisch unmöglich sei, so die Kritiker, könnten die UN-Missio­nen der Ratsmitglieder gerade bei politisch heiklen Fragen nur allgemeine Statements abgeben. Zwar sei es durchaus erfrischend, eine offene Diskussion zu führen und nicht wie sonst vorab gescriptete Stel­lung­­nahmen auszutauschen. Aufgrund der mangelnden Koordination hätten diese Diskussionen aber nur begrenzte Wirkung auf Beschlüsse und Maßnahmen des Sicherheitsrats. Fraglich sei daher, ob angesichts der vielen realen Krisen auf der Agenda die knappe Zeit der Mitgliedstaaten optimal genutzt werde, wenn sie sich zudem noch mit hypothetischen Entwicklungen befassen müssten.

Ein weiterer Kritikpunkt, der formale wie inhalt­liche Aspekte berührt, entzündete sich an der Aus­wahl der in den Briefings angesprochenen Länder. Als vergleichsweise unproblematisch galten Staaten, die bereits auf der UNSR-Agenda stehen. Da zudem aber auch bislang nicht einschlägige Staaten wie Madagaskar oder Mexiko thematisiert würden, so der Einwand, könne der Eindruck entstehen, der Sicher­heitsrat befasse sich nunmehr mit ihnen. Sie würden somit als krisenanfällig stigmatisiert, ohne dass es dafür einen konkreten Anlass gebe.

Dieser Punkt verdeutlicht ein grundsätzliches Dilemma. Früherkennung kann ihrer Aufgabe nur gerecht werden, wenn sie unabhängig von politischen Bedenken die Aufmerksamkeit auf Themen und Staa­ten lenkt, die anzusprechen aus unabhängiger, sach­orientierter Perspektive geboten scheint. Sieht Früh­erkennung davon ab, etwa aus politischer Rücksichtnahme, verfehlt sie ihren Zweck. Die Befassung er­zeugt aber unweigerlich Aufmerksamkeit und Reso­nanz, insbesondere dann, wenn dies auf Ebene des mächtigsten Gremiums im UN-System erfolgt. Be­troffene Regierungen beklagen häufig, sie würden unfairerweise an den Pranger gestellt, und verweisen darauf, dass in anderen Staaten ebenso bedrohliche Entwicklungen abliefen, ohne dass dies zu ähnlicher Aufmerksamkeit führe. Daher forderten einige Sicherheitsratsmitglieder mehr Kontrolle über den Prozess.36

Während Großbritannien zusammen mit einigen nichtständigen UNSR-Mitgliedern das Format aktiv förderte, kam von den USA kaum Unterstützung. Auch China und Russland verhielten sich abwartend.37 In der Summe trug dieser mangelnde Rück­halt zusammen mit gewissen Schwächen der Brie­fings dazu bei, dass die Befürworter einer stärker vor­ausschauenden Arbeit des Sicherheitsrats zuse­hends frustriert waren.38 Im Frühjahr 2012 wurden die Horizon-scanning-Briefings schließlich ausgesetzt. Seither sind sie nicht wieder aufgegriffen worden. Wie es in einer Analyse heißt: »Eine Beschwerde lautete, dass die Briefings in der Theorie zwar eine gute Idee seien, in der Praxis aber enttäuscht hätten.«39

Mehr-Ebenen-Probleme: Analysten, Manager und Entscheidungsträger

Dass es zwischen Theorie und Praxis der Früherkennung erhebliche Diskrepanzen gibt, gilt selbstverständlich nicht nur für die UN. Auch andere Organi­sationen haben die Erfahrung gemacht, dass es leich­ter fällt, bessere Früherkennung zu fordern, als ein solches Ziel auch umzusetzen. Vor diesem Hintergrund verdeutlicht das Schicksal des Horizon-scanning-Briefings im UNSR typische Schwierigkeiten, mit denen Früherkennung im politischen Raum konfrontiert ist. Einerseits stellen sich strukturelle Probleme, und zwar auf allen am Früherkennungsprozess betei­ligten Ebenen wie auch zwischen ihnen. Andererseits entstehen Herausforderungen durch das Verhalten der jeweiligen Akteure (siehe Abbildung 4).

Jede Ebene in diesem Prozess unterliegt eigenen Logiken und folgt spezifischen Interessen. Verschärfend kommt hinzu, dass die Akteure auf den verschie­denen Ebenen nicht zwangsläufig verstehen, welche Logiken, Interessen und Handlungsroutinen auf den jeweils anderen Ebenen im Vordergrund stehen. Der Analyst ist nicht zwingend Experte für Policymaking – insbesondere dann, wenn es sich um Personen handelt, die nicht der Administration angehören –, und der Entscheidungsträger setzt andere Prioritäten als der Manager. Daher wird in Untersuchungen von Früherkennungsprozessen immer wieder darauf hin­gewiesen, dass zwei Voraussetzungen wichtig sind, um relevante Produkte erstellen zu können. Zum einen sollten Analysten mehr und bessere Kenntnisse des politischen Prozesses haben (»analysts have to know politics«), zum anderen Entscheidungsträger regelmäßig ihre Früherkennungsbedarfe kommunizieren.

In struktureller Hinsicht geht es um die Vermittlungsprobleme zwischen den einzelnen Ebenen im Früherkennungsprozess. Nur selten gelangen Infor­mationen ungefiltert auf den Schreibtisch von Ent­scheidungsträgern. Das gilt vor allem für Berichte und Einschätzungen, die von Einheiten angefertigt werden, die in einem hierarchischen Verhältnis zur Organisationsspitze stehen, also etwa aus dem Staats­apparat selbst stammen. Im Regelfall durchlaufen solche Berichte verschiedene Stufen der Bearbeitung, bis sie reif sind für die politische Ebene. Eine erste Sichtung und Bewertung findet bei der informationssammelnden und -verarbeitenden Stelle statt. Hier sind es die Informationsmanager, die Berichte lesen, bewerten und sie gelegentlich mit der Bitte um Über­arbeitung (Präzisierung, Änderung, Kürzung oder Erweiterung) zurückgeben.40

Die Informationsmanager haben dabei ihr Ziel­publikum im Blick und versuchen zu antizipieren, welche Produkte die politischen Adressaten besonders interessant und relevant finden könnten. Je nach Zu­sammensetzung der Administration kann dies variie­ren; Regierungen haben unterschiedliche politische Präferenzen. Während die eine gutnachbarliche Be­ziehungen mit Russland anstrebt, interessiert eine andere der Ausbau der Beziehungen zu China. Solche Präferenzen variieren einerseits synchron zwischen verschiedenen Einheiten derselben Regierung. Das Außenministerium mag andere Interessen verfolgen als das Verteidigungsministerium, was vor allem für Koalitionsregierungen gilt, in denen die Ressorts von unterschiedlichen Parteien besetzt sind. Andererseits können aufeinanderfolgende Regierungen eines Staates verschiedene politische Präferenzen haben.

Ein guter Informationsmanager wird versuchen, über Kontakte in die politische Administration ein Gespür dafür zu entwickeln, welche außenpoliti­schen Präferenzen bestehen und welche Themen nach­gefragt werden. Auf Basis dieser Einschätzung werden die von Analysten bereitgestellten Informationen und Berichte selektiert und gewichtet. Priorität haben da­bei jene Berichte, von denen angenommen wird, dass ihr Inhalt in der Politik auf größeres Interesse stoßen dürfte. In gewisser Weise betreibt diese Ebene daher selbst so etwas wie eine Vorausschau.

Abbildung 4 Akkumulation der Probleme im Früherkennungsprozess: Akteure und Struktur

Akteursmerkmale

Strukturprobleme

Analyst
(Angebotsseite)

interpretative Kompetenz (kognitiver Mindset)

Hierarchie
(»group« bzw. »boss think«)

Manager
(Schnittstelle)

Info-Manager

+ Selbstbild als
»besserer Analyst«; Karriereorientierung

+ Organisationsinteressen
(Ressourcen, Reputation)

Policy-Manager

+ Erfordernis der
Policy‑Konsistenz

Entscheidungsträger
(Nachfrageseite)

+ Selbstbild als
»analyst of last resort«

+ Entscheidungsdruck

Neben der Politik als Abnehmer ihrer Produkte haben Informationsmanager noch eine weitere Dimension im Blick: die Interessen ihrer Organisation und nicht zuletzt oft auch die eigene Karriere. Wird beim Zielpublikum die Nachfrage nach Informationsprodukten stimuliert, kann dies dazu beitragen, die Ausstattung der Organisation mit Ressourcen zu ver­bessern. Zutreffende Einschätzungen künftiger Ent­wicklungen in der internationalen Politik sind sehr gut geeignet, das Interesse der Politik zu wecken. Organisationen können in solchen Fällen belohnt werden, indem sie etwa zusätzliche Mittel oder Plan­stellen zugewiesen bekommen.41 Im innerorganisa­torischen Wettbewerb mit anderen Informations­managern stellt ein enger Draht zur Politik eine wich­tige Ressource dar, um die eigene Reputation und damit die Beförderungschancen zu erhöhen.

Policymanagern kommt die Aufgabe zu, den poli­tischen Prozess so zu organisieren, dass er möglichst reibungslos abläuft. Daneben versuchen sie, die Interessen wichtiger nationaler und internationaler Akteure im Blick zu behalten, die für die Wirksamkeit politischer Maßnahmen relevant sein können. Dabei kommt es immer wieder zu Konflikten, etwa zwischen der grundsätzlichen Loyalität zu einem Verbündeten und einer kritischen Haltung zu spezi­fischen Zielsetzungen und Handlungen – wie sich aktuell etwa im deutschen Verhältnis zu den USA und der Türkei beobachten lässt. Policymanager müssen daher auch darauf achten, dass die »policies« einer Regierung möglichst widerspruchsfrei erscheinen. Dies ist gerade in komplexen Politikfeldern wie den internationalen Angelegenheiten mühselig, da die Vielzahl der nationalen und internationalen Akteure und Interessen eine widerspruchsfreie Politik erheblich erschwert.

»Analysis to please« oder »Policy Prescription«: Das Problem der Politisierung

Weil Annahmen über künftige Ereignisse und Ent­wicklungen sich auf gegenwärtige politische Entschei­dungen auswirken, ist die Versuchung groß, Einfluss sowohl auf die Struktur als auch auf die Inhalte des Früherkennungsprozesses zu nehmen. Den Verdacht, dass Früherkennung manipuliert und politisch in­strumentalisiert wird, hegen sowohl Produzenten als auch Konsumenten. Je autoritativer die Quelle der Früherkennung wahrgenommen wird, desto größer ist das entsprechende Misstrauen.42

Politisierung lässt sich definieren als eine »Analyse­verzerrung, die dadurch entsteht, dass Standards der Objektivität beiseitegeschoben oder aus anderem Grund nicht erfüllt werden, um eine Weltanschauung oder eine politische Präferenz zu unterstützen«.43 Zentraler Aspekt hierbei ist, dass die Manipulation in der Absicht erfolgt, bestimmte politische Positionen und damit verbundene Maßnahmen zu unterstützen oder gegenteilige Positionen sowie Policypräferenzen unattraktiver erscheinen zu lassen. Dies kann bei­spielsweise dadurch geschehen, dass je nach Präferenz die mit den jeweiligen Maßnahmen verbundenen Handlungsrisiken abgeschwächt dargestellt oder aber übermäßig betont werden.

Aus der Gefahr politischer Instrumentalisierung folgt jedoch nicht, dass jede Form der Interaktion zwischen Produzenten und Konsumenten von Früh­erkennung problematisch wäre – im Gegenteil, ein partnerschaftlicher, problem- und erkenntnisorientierter Dialog zwischen Politik und Analyse kann Früherkennungsprodukte erheblich verbessern.44 Zu unterscheiden ist zwischen politischer »Guidance« und politischer Instrumentalisierung. Erstere ver­deut­licht den Produzenten die legitimen Informa­tions­bedürfnisse der Politik und kann zu größerer Rele­vanz von Früherkennung beitragen. Darüber hinaus lassen sich unrealistische Erwartungen der Politik an die Fähigkeit zu Vorhersagen bzw. Vorausschau früh­zeitig korrigieren und Sachverhalte ansprechen, die nicht auf der politischen Agenda stehen. Maßgeblich für illegitime Politisierung hingegen ist die Absicht, den Prozess der Früherkennung oder aber dessen Produkte zugunsten einer bestimmten politischen Auffassung zu beeinflussen, kurz »Berichte zu verän­dern, um sie der Politik anzupassen«.45

Illegitime Politisierung kann von oben nach unten, aber auch von unten nach oben erfolgen. Im Gegen­satz dazu steht eine gute Praxis der Beziehungen zwi­schen Produzenten und Konsumenten von Früh­erken­nung (Best Practice), die ebenfalls in beide Rich­tungen wirkt. Politisierungsvariationen und Best Practices lassen sich wie in Abbildung 5 darstellen.

Politisierung von oben nach unten: Policy‑based Evidence Making46

Politische Instrumentalisierung von oben nach unten bezeichnet eine ungerechtfertigte Einflussnahme der politischen Ebene auf hierarchisch nachgeordnete Ebenen. Wie häufig Top-down-Politisierung in der Früherkennungspraxis tatsächlich vorkommt, ist umstritten, da es kaum Daten und Statistiken zu ver­suchter Einflussnahme aus dem politischen Raum gibt. Dass es sich im nachrichtendienstlichen Milieu um ein relevantes Problem handelt, belegt die Exis­tenz einer Vertrauensstelle bei der CIA, die den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit gibt, unzulässige Einflussnahme zu melden.47 Dort hilft ein Ombudsmann für Politisierung dabei, die Integrität der Arbeit der Organisation zu wahren.48

Abbildung 5 

top-down

Gute Praxis oder Manipulation im Früherkennungsprozess

Entscheidungsebene

Gute Praxis:
Guidance

Manipulation:
Policy-based Evidence Making

Gute Praxis:
Kontext & Handlungspriorisierung

Manipulation:
Policy Prescription

Managementebene

Arbeitsebene

bottom-up

Eine intensive Debatte über illegitime Politisierung löste der Befund aus, den die US-Geheimdienste im Vorfeld des amerikanischen Angriffs auf den Irak 2003 zur Frage lieferten, ob das Land über Massenvernichtungswaffen verfüge. Die Regierung von George W. Bush wurde beschuldigt, in ungebühr­licher Weise auf die Arbeit der Nachrichtendienste eingewirkt zu haben. Skandalisiert wurde die unter­stellte Beeinflussung von den oppositionellen Demo­kraten und von Teilen der Medien, aber auch im nachrichtendienstlichen Milieu selbst. Verschiedene Untersuchungen kommen indes zum Schluss, dass keine unzulässige Einflussnahme der politischen Ebene vorlag. Bemängelt wurde jedoch, dass Druck von der Managementebene auf die Analyseebene ausgeübt wurde. So gab man wiederholt Berichte zurück und drängte darauf, weitere Informationen einzuholen und zu analysieren, bevor das jeweilige Papier an die politische Ebene weitergegeben wurde. Die Einschätzungen sollten damit an die vermuteten Erwartungen der Politik angepasst werden.49

Während direkte politische Intervention vergleichsweise selten vorkommt, gehört es zur Praxis einer hierarchisch strukturierten Organisation, dass Einschätzungen der Arbeitsebene mehrfach geprüft, bewertet und verändert werden, bevor sie der Ent­scheidungsebene zugehen.50 Wie im Fall Irak dient das dazu, eine möglichst hohe politische Relevanz der eigenen Tätigkeit sicherzustellen. Wird den Analysten ein solches Ziel vermittelt, wächst die Versuchung, der Entscheidungsebene eine »analysis to please« (Jack Davis) zu liefern – also die Interpretation und Bewertung eines Sachverhalts an vermutete oder bekannte politische Vorstellungen anzupassen.

Im Extremfall kann dies zu offenem Policy-based Evidence Making führen. Gemeint ist damit, dass die zu interpretierende und bewertende Evidenz nach ihrer Passfähigkeit gegenüber einer präferierten Poli­tik ausgewählt wird. Eine Äußerung des amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Peter Navarro, der gegenwärtig den Nationalen Handelsrat im Weißen Haus leitet, verdeutlicht diese Vorgehensweise. Seine Funktion als Ökonom bestehe darin, so bekannte Navarro freimütig, Analysen zur Verfügung zu stel­len, mit denen sich die Intuition von US-Präsident Trump – die »immer richtig« sei – bestätigen lasse.51 Fraglich ist allerdings, welche politische Relevanz diese Form der Zuarbeit tatsächlich hat. So wird be­zweifelt, dass die Einschätzungen der amerikanischen Nachrichtendienste zur Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak besonderen Einfluss auf den Kurs des Weißen Hauses während der entscheidenden Monate 2002/2003 hatten. Denn diese Bewertungen seien weitgehend redundant gewesen.52

Politisierung von unten nach oben: Policy Prescription

Die umgekehrte Politisierungsrichtung verläuft von unten nach oben, also »bottom-up«. Diese Variante liegt vor, wenn die Arbeitsebene Informationen dahingehend selektiert und interpretiert, dass sie der Führung bestimmte politische Optionen gewisser­maßen vorschreibt (prescribed policy). Zwei Formen dominieren dieses »bottom-up nudging«. Zum einen lassen sich Informationen so auswählen, dass sie die Erfolgsaussichten politischer Maßnahmen positiver erscheinen lassen, als es eine ausgewogene Darstellung der Risiken und Chancen erlaubt. Ein solches überoptimistisches Bild kann die Entscheidung zu­gunsten einer Policy beeinflussen, die in Kenntnis des umfassenden Lagebildes womöglich anders ausfallen würde. Zum anderen kann es der Entscheidungs­ebene massiv erschwert werden, eine von ihr favori­sierte Policy zu ergreifen, wenn deren Erfolgs­aussich­ten in ungerechtfertigt pessimistischer Weise beur­teilt werden. Die Arbeitsebene kann ihre Beden­ken etwa durch »leaks« an Medien öffentlich machen, wie es im Fall Irak geschah. Allerdings ist auch diese Art der Politisierung bislang kaum empirisch erforscht worden.

Entscheidungsträger missbilligen naturgemäß Analysen, die den Erfolg ihres Kurses bezweifeln.

Entscheidungsträger vermuten mitunter, dass nachgeordnete Ebenen über diese Form politischer Manipulation versuchen, die Spitze an der Umsetzung ihrer politischen Präferenzen zu hindern. Meh­rere US-Präsidenten, von Lyndon B. Johnson über Richard Nixon bis zu Donald Trump, äußerten einen solchen Verdacht. Insbesondere Nachrichtendiensten wird unterstellt, bestimmte »policies« sabotieren zu wollen bzw. sabotiert zu haben. Dass gerade hoch­rangige Entscheiderinnen und Entscheider ein ent­sprechendes Misstrauen hegen, lässt sich mit den unterschiedlichen Perspektiven von analytischer und politischer Ebene erklären. Policymaker, die mühsam eine Koalition zur Unterstützung eines bestimmten Kurses zusammengebracht und politisches Kapital dafür investiert haben, missbilligen naturgemäß Analysen und Berichte, die den Erfolg dieser Policy bezweifeln. Es ist daher ebenso nachvollziehbar wie unzulässig, dass skeptische Einschätzungen, sei es aus der Wissenschaft oder der Administration selbst, die Schwierigkeiten bei der Politik-Implementierung voraussehen, von der politischen Ebene gewisser­maßen als Sabotage wahrgenommen werden.53

Unliebsame Einschätzungen der Früherkennung können von der Politik aber auch schlicht ignoriert werden. So warnte ein CIA-Bericht, der im Vorfeld des Angriffs auf den Irak 2003 entstand, dass zwar mit einem militärischen Erfolg der USA gerechnet werden könne, die Herstellung einer stabilen und demokratischen Nachkriegsordnung in dem Land jedoch sehr viel unwahrscheinlicher sei. Dabei wurde auf die ethnische, religiöse und politische Zersplitterung des Irak verwiesen, ebenso auf das Störpotential der Regionalmächte. Im Wesentlichen erwiesen sich die Annahmen des Berichts als zutreffend. Doch wurde er von der Bush-Administration, die zum Militär­einsatz entschlossen war, weitgehend mit Nicht­beachtung gestraft.54

Best Practice von oben nach unten: Guidance

Allerdings tragen nicht nur politische Erwägungen dazu bei, dass Früherkennung von der Politik gelegentlich ignoriert wird. Im Regelfall sind Analys­ten Experten für bestimmte Themen bzw. Regionen und verfügen über vertieftes Spezialwissen in ihrem Sachgebiet. Vom politischen Prozess, an den sich ihre Produkte richten, verstehen sie nicht unbedingt viel, sofern sie keine entsprechende Hintergrunderfahrung haben. Doch Politics-Kenntnisse, die Verfahrens­weisen, Abläufe und Zwänge bei Regierung, Oppo­sition, Ministerien und Parlament betreffen, sind elementar für eine zeit- und sachgerechte Produktion von Einschätzungen und Berichten, die den Adressaten tatsächlich helfen können. Für die Arbeitsebene sind Kenntnisse der »politics of policymaking« eine wichtige Voraussetzung, um in der Politik beachtet zu werden.55

Politisierung wird daher nicht nur negativ gesehen. Vielmehr ist eine gewisse Nähe zum politischen Raum essentiell, um die Bedürfnisse und Nachfragen aus der Politik frühzeitig erkennen zu können – quasi als Bestandteil einer nachfrageorientierten Vor­ausschau. Vor diesem Hintergrund sollte die Arbeits­ebene durchaus selbstbewusst Guidance einfordern.56 Die Entscheidungsebene wiederum sollte ein enges Verhältnis zu Analysten und Managern pflegen, da­mit diese ein besseres Verständnis dafür entwickeln können, welche Bedürfnisse in der Politik bestehen. Gleichzeitig muss die Entscheidungsebene der Ver­suchung widerstehen, Unabhängigkeit und Integrität der Analysten zu kompromittieren. Denn deren Infor­mationen und Bewertungen sind nur dann wirklich nützlich, wenn sie ein möglichst objektives Lagebild wiedergeben, das nicht durch politisch gefärbte Vor­annahmen beeinflusst ist.

Wenn solche Guidance fehlt, laufen die früh­erkennungsrelevanten Berichte der Arbeitsebene Gefahr, von der Politik als irrelevant oder redundant wahrgenommen zu werden. Gerade fachlich ausge­wiesene Themen- und Regionalexperten unterliegen häufig der Fehleinschätzung, ihre Bewertungen seien allein schon dank inhaltlicher Qualität politisch rele­vant.57 Diese Haltung verkennt, dass im politischen Raum Evidenz, Fakten und Argumente zwar nicht bedeutungslos sind, auf den realen Policymaking-Prozess aber auch andere Faktoren erheblichen Ein­fluss ausüben – wie ideologische Überzeugungen, die Konkurrenz um knappe Ressourcen und schlichter Lobbyismus.58 Analysten kommen nicht umhin, sich mit diesen Faktoren ebenso auseinanderzusetzen wie mit ihren eigentlichen Erkenntnisgegenständen. Das ist in der Alltagspraxis ohnehin oft der Fall, wird allerdings selten methodisch und normativ reflektiert.

Best Practice von unten nach oben: Kontextinformationen und Handlungs­priorisierung

Primäre Aufgabe der Arbeitsebene ist es, der Politik Informationen und Analysen zukommen zu lassen, die dort zu besseren Entscheidungen beitragen kön­nen. Dabei konkurriert die Arbeitsebene mit dem Selbstbild von Entscheidungsträgern, die sich mit­unter als hervorragende Analysten wahrnehmen. Das ist nicht ganz falsch, denn oft verfügen sie über andere und teils exklusivere Informationszugänge als Analysten, etwa durch regelmäßigen Kontakt zu hochrangigen Gesprächspartnern. Da sie mit ihren Gegenübern auf internationaler Ebene einen routi­nierten Umgang pflegen, meinen sie zudem, diese Personen besser einschätzen zu können als der Ana­lyst, der bestenfalls sporadisch persönlichen Kontakt zu Entscheiderinnen und Entscheidern hat. Die poli­tische Ebene tendiert deshalb dazu, von außen kom­mende Informationen über ihre Counterparts als weniger relevant zu bewerten als die eigene Einschätzung »aus erster Hand«.59

Manche Entscheider halten sich selbst für ultimative Analysten – ständige Verfügbarkeit von Infor­ma­tionen könnte sie darin bestärken.

Im digitalen Zeitalter sind Informationen aller Art zudem sehr viel leichter zugänglich, als es sich frü­here Generationen von Analysten und Policymakern wohl vorstellen konnten. Das kann die Tendenz von Entscheidungsträgern verstärken, sich selbst für einen »analyst of last resort« – den gleichsam ultimativen Analysten – zu halten. Zwar rühmten sich Personen auf den höchsten politischen Entscheidungsebenen, von Winston Churchill bis Richard Nixon, bereits in der Vergangenheit für ihre herausragende Analyse­begabung. Mit der Proliferation und ständigen Ver­fügbarkeit von Informationen scheint diese Selbst­einschätzung jedoch auch auf nachgeordnete Ebenen der politischen Administration zu diffundieren. Policymaker können so darin bestärkt werden, solche Analysten-Einschätzungen zu relativieren, die nicht ihre eigenen Positionen und Präferenzen abbilden.

Anders sieht es aus bei Kontextinformationen und Argumenten, mit denen die Informationsflut geord­net werden kann. Die Interpretation von Fakten, Ereignissen und Entwicklungen im Sinne einer kohä­renten Deutung dessen, was in einem anderen Land oder bei einem bestimmten Thema künftig relevant werden könnte, interessiert Entscheiderinnen und Entscheider im Zweifel mehr als die Analysten-Einschätzung zur Persönlichkeit eines Amtsinhabers, den der Entscheidungsträger womöglich selbst besser kennt.60 Daher sind umfassende Landes-, Sach- und Sprachkenntnisse für die Glaubwürdigkeit der Ana­lysten gegenüber der Entscheidungsebene von er­heb­lichem Vorteil, gerade wenn es darum geht, Vor­schläge zur Priorisierung von Handlungsoptionen zu machen.61

Fazit

Es ist zwar schwierig, aber nicht unmöglich, produktive Arbeitsbeziehungen zwischen den verschiedenen Ebenen herzustellen, die in den Früherkennungs­prozess involviert sind. Einerseits bedarf es der Kenntnis von Policypräferenzen der Entscheidungsträger sowie der Kenntnis des politischen Prozesses, der »politics of policymaking«. Das ist vor allem für die Angebotsseite wichtig. Andererseits dürfen diese Kenntnisse die Arbeit von Analysten wie auch von Managern nicht so weit beeinflussen, dass diese dazu übergehen, »analysis to please« zu produzieren. Die Entscheidungsebene muss darauf vertrauen können, dass die Informationen, die ihr zur Verfügung gestellt werden, weder darauf ausgerichtet sind, eine be­stimmte Policy zu favorisieren, noch Policypräferenzen aus anderen als rein sachlichen Gründen in Zwei­fel ziehen sollen. Das ist die ständige Herausforderung, vor der eine seriös und wissenschaftlich arbei­tende Früherkennung steht, die sich ihrer Einbettung in politische Kontexte wohlbewusst ist.

Paradoxien der Früherkennung

Die Rückschau auf politische Maßnahmen, die in der Vergangenheit (auch) mit Informationen der Früh­erkennung begründet wurden, verdeutlicht, dass nichtintendierte Konsequenzen kaum zu vermeiden sind. Angesichts der Komplexität internationaler Poli­tik ist das kein überraschender Befund. Die Befürworter besserer und zugleich politisch handlungsanleitender Früh­erkennung müssen sich daher mit den Implikationen auseinandersetzen, die die Umsetzung ihrer Forderungen nach sich zöge. Denn es gibt ein gewisses Risiko, dass genauer werdende Früherkennung mit einem Verlust von Entscheidungsfreiheit und Hand­lungsautonomie im politischen Raum ein­hergehen könnte. Angesichts der gemischten Bilanz sowohl von durchgeführten als auch von unterlassenen poli­tischen Interventionen mit Früherkennungshintergrund bleibt fraglich, ob dies eine wünschenswerte Entwicklung wäre.

Grenzen der Antizipation von Handlungsfolgen

Zwar ist nachvollziehbar, dass angesichts der »ge­fühlt« zunehmenden Zahl an Überraschungen in der internationalen Politik ein Wunsch besteht, vor allem die strategische Früherkennung auszubauen. Die da­mit verbundene Hoffnung auf weniger Überraschungen und bessere Steuerbarkeit internationaler Ange­legenheiten könnte jedoch trügen. Denn ein empiri­scher Blick auf die Folgen politischer Interventionen, die aufgrund warnender Hinweise erfolgten, zeigt widersprüchliche Ergebnisse. Gleiches gilt für Fälle, in denen auf präventives Handeln verzichtet wurde, obgleich Früherkennungsinformationen ein Eingreifen nahelegten. Schließlich können »böse Überraschungen« – also nicht rechtzeitig erkannte negative Ereignisse – unter Umständen positiv bewertete Folgen haben. Abbildung 6 illustriert diese Varianten anhand historischer Beispiele.

1) Für Libyen lagen im Frühjahr 2011 Hinweise darauf vor, dass es zu massiver Gewaltanwendung gegen Regimegegner in der Rebellenhochburg Ben­gasi kommen könnte. Der UNSR verabschiedete am 17. März die Resolution 1973, die den Einsatz aller notwendigen Maßnahmen erlaubte, um die Zivil­bevölkerung zu schützen. Kurz darauf führten Frank­reich und Großbritannien mit Unterstützung der USA Luftschläge gegen Truppen des langjährigen Machthabers Gaddafi durch. Auf diese Weise ließ sich die Einnahme Bengasis verhindern. Die befürchteten Gräueltaten blieben aus; das Land kam aber auch nach dem gewaltsamen Tod Gaddafis im Oktober 2011 nicht zur Ruhe. Libyen ist seither ein zersplittertes Land, in dem sich eine Vielzahl bewaffneter Grup­pen Auseinandersetzungen liefern. Zudem dient es als Drehscheibe für die Schleusung von Flüchtlingen und Migranten über das Mittelmeer nach Europa.

2) Angesichts der Pläne der amerikanischen Regierung, einen Feldzug gegen den von Saddam Hussein diktatorisch regierten Irak zu beginnen, erstellte die CIA 2003 einen Bericht, in dem die Schwierigkeiten, eine stabile Nachkriegsordnung herzustellen, detail­liert erläutert wurden. Die Warnung wurde von der US-Administration ignoriert. Nach dem Sturz Hus­seins stellte sich heraus, dass die Annahmen über die abträglichen Folgen der konfessionellen, ethnischen und politischen Heterogenität für die Einheit des Lan­des weitgehend zutrafen. Bis heute ist im Irak kein stabiler Staat entstanden. Stattdessen bildeten sich dort radikale und militante Gruppen wie der Islami­sche Staat, die dazu beitragen, die ganze Region zu destabilisieren.

3) Im Juni 1967 griff das israelische Militär die feindlichen Nachbarn Ägypten und Jordanien an. Dem Weißen Haus lagen konkrete Hinweise darauf vor, dass es zu einem Angriff Israels kommen könnte. US-Präsident Johnson unternahm jedoch keinen Ver­such, dies zu verhindern. Im sogenannten Sechstagekrieg besetzten israelische Truppen unter anderem Ost-Jerusalem und das Westjordanland. Die anhaltende Besatzung hat dazu beigetragen, dass bis heute kein nachhaltiger Friedensprozess zwischen Israel und Palästina zustande gekommen ist. Zudem wird die Besatzung von verschiedensten terroristischen Gruppen als Begründung für Anschläge und Gewalttaten in der Region und darüber hinaus genannt.

Abbildung 6 Zusammenhang Früherkennung – politische Reaktion – Folgen

Politik handelt

Politik handelt nicht

Früherkennung wird
politisch wahrgenommen

1) Libyen 2011

3) Sechstagekrieg 1967

Früherkennung wird
politisch ignoriert

2) Irak 2003

4) 11. September 2001

Früherkennung liegt nicht vor
(ist also nicht handlungsrelevant)

5) Jom-Kippur-Krieg 1973

4) Vor den Terrorangriffen auf New York und Washington 2001 lagen verschiedenen US-Behörden Hinweise darauf vor, dass al-Qaida beabsichtigte, einen großen Anschlag im Land zu verüben. Bekannt war, dass New York als mögliches Ziel genannt wur­de; dasselbe gilt für Überlegungen der Terrorgruppe, Flugzeuge als Waffen einzusetzen. Jedoch wurden die Hinweise von den Behörden nicht zusammenhängend ausgewertet und keine Maßnahmen zur Abwehr getroffen. Am 11. September gelang es den Attentätern, mit drei entführten Passagiermaschinen ihre Ziele zu erreichen; eine vierte stürzte nach einem Kampf an Bord ab, bevor das mutmaßliche Ziel, das Weiße Haus, erreicht wurde. Der daraufhin von den USA begonnene »Krieg gegen den Terror« prägt die internationale Politik bis heute.

5) Sowohl die amerikanischen wie auch die israe­lischen Geheimdienste waren 1973 überrascht, als Israel von Ägypten und Syrien militärisch angegriffen wurde und so der Jom-Kippur-Krieg begann. Der da­malige US-Präsident Richard Nixon zeigte sich ent­täuscht angesichts der ausgebliebenen Warnungen. Doch ohne die Überquerung des Suez-Kanals durch die ägyptische Armee wäre es Präsident Anwar el‑Sadat kaum möglich gewesen, den Friedensprozess mit Israel einzuleiten. Wäre die US-Regierung nicht vom Kriegsbeginn überrascht worden, hätte sie even­tuell versucht, Sadat davon abzuhalten, Israels Trup­pen auf dem Sinai zu attackieren. Womöglich hätten dann die diplomatischen Bemühungen, mit denen sich ein Verständigungsprozess zwischen Ägypten und Israel starten ließ, nicht erfolgen können.

Automatisierte Politik durch Früherkennung?

Früherkennung stellt Policymaker mithin vor schwie­rige Abwägungsfragen und moralische Dilemmata. Ein Gedankenexperiment anhand der obigen Beispie­le verdeutlicht dies. Hätten Nixon und der damalige US-Außenminister Henry Kissinger 1973 gewusst, dass Ägypten Israel angreift und die ägyptische Nie­derlage dazu genutzt wird, um Gespräche ein­zu­leiten, die zu einem Friedensvertrag führen, wäre es dann dennoch vertretbar gewesen, nicht prä­ventiv einzugreifen, obwohl die Militäraktionen schwere Verluste an Menschenleben mit sich brach­ten? Sowohl 1967 als auch 1973 kam es zu Kriegshand­lungen, dabei lagen im einen Fall entsprechende Erkenntnisse vor, im anderen Fall jedoch nicht. Früh­erkennung impliziert mithin keinen Handlungs­automatismus, obwohl sie den Beginn der militä­ri­schen Auseinandersetzungen 1967 korrekt anti­zipierte.

Solange die Entscheidung über die Reaktion auf Früherkennungsinformationen politisch determiniert bleibt, dürfte sich dies kaum ändern. Und die Fehler­quote von Früherkennung erleichtert es der Politik bislang, ihre Entscheidungsfreiheit zu verteidigen. Doch ist sie zunehmendem Druck ausgesetzt, mehr Ressourcen in bessere Früherkennung zu investieren. Denn nicht nur, dass die Zahl der Überraschungen im internationalen Umfeld zunimmt. Auch gibt es Fortschritte bei der datengestützten Modellierung potentieller Risiken und Gefahren; ebenso verbessern sich die Leistungen in Forecast-Wettbewerben.

Dadurch könnte sich das oben beschriebene Dilem­ma verschärfen. Wird die Früherkennung akkurater, dürfte es der Politik zusehends schwerer fallen, bei einer Warnung nicht zu handeln – selbst wenn die Handlungsfolgen unkalkulierbar sind.62 Je höher beispielsweise die Vorhersage-Genauigkeit quantitativer Modelle zur Krisenfrüherkennung wird, etwa mit Blick auf unmittelbar drohende Massengewalttaten, desto größer dürfte der Druck auf die Politik sein, entsprechend ihrer eingegangenen Selbstverpflichtungen – in diesem Fall wäre das die Schutzverantwortung (R2P) – präventiv zu handeln.63 Mithin kann bessere Früherkennung dazu beitragen, politi­sche Handlungsspielräume zu verkleinern.

Über diese Frage wird kontrovers diskutiert. Die eine Seite argumentiert, es sollte nicht allein der Politik überlassen sein, Früherkennungsinformationen zu bewerten; denn man könne nicht ausschließen, dass Entscheidungen dort von sachfremden Interessen und Überlegungen beeinflusst werden. Entscheidungsträger seien zudem womöglich über­fordert mit der Durchdringung komplexer Risiko- und Gefahrenlagen. Die andere Seite meint, dass es der Politik vorbehalten bleiben müsse, Einschätzungen aus der Früherkennung zu bewerten. Dies gelte ins­besondere für die Entscheidung, ob und gegebenenfalls wie gehandelt wird. Es sei nicht Aufgabe der Früherkennung oder gar der Analysten selbst, diese Bewertung zu übernehmen. Letztere seien dazu nicht legitimiert und in aller Regel ebenfalls nicht frei von ideologischen und politischen Präferenzen.64

Empfehlungen für die Praxis

Die Früherkennung könnte sowohl in taktischer Hin­sicht (Forecasts) als auch in der strategischen Dimen­sion (Foresight) verbessert werden. Zu beachten sind dabei einige inhaltliche und methodische Mindest­anforderungen:

  • Konzentration auf unwahrscheinlich anmutende Ereignisse und Entwicklungen, die im Eintrittsfall erhebliche Auswirkungen hätten (high impact – low probability)

  • Transparenz von Ausgangs- und Wirkungs­annahmen

  • Plausibilität und Konsistenz der Analysen (Qualitätskontrolle)

  • Prüfung und Bewertung von abgegebenen Vor­hersagen (Trefferquote)

  • systematische Reflexion über Foresight-Produkte (Rückschau)

Auf der Angebotsseite gehört das gründliche Training von Foresight-Kompetenz wie Forecast-Fähigkeiten zu den Bereichen, die optimiert werden können. Wichtig ist dabei, eigene Annahmen und Vorurteile hinter­fragen zu können. Die entsprechenden kognitiven Dispositionen sollten gefördert werden; zugleich gilt es auf ein ausgewogenes Verhältnis von »Igeln« und »Füchsen« zu achten. Ausgebaut und verbessert werden können auch der Einsatz sogenannter »Red Teams«, die auf alternative Interpretationen vorliegender Informationen spezialisiert sind, und der Ge­brauch kontrafaktischer Analyseansätze, die systema­tisch »Was wäre wenn«-Szenarien durchspielen.65

Ziel sollte sein, die politische Rezeptionsbereitschaft für Früherkennung zu erhöhen. Helfen könnte dabei eine engere Arbeitsbeziehung zwischen der Entscheidungs- und der Arbeitsebene, etwa ein direk­ter Kanal zwischen Analysten und Entscheidungs­trägern.66 Entscheiderinnen und Entscheider könnten dann ihre Interessen und Bedarfe sehr viel direkter mit den Analysten abstimmen. Umgekehrt könnte die Arbeitsebene unrealistische Erwartungen der Ent­scheidungsebene frühzeitig einhegen. Zu achten ist allerdings darauf, dass die Analyse sich nicht dem Policymaking unterordnet. Es wäre fatal, wenn sich die Analysetätigkeit in »analysis to please« erschöpfen würde.

Von zentraler Bedeutung ist auch, wie der Austausch zwischen Policymanagern und Analysten organisiert wird. Beide Arbeitsbereiche unterliegen verschiedenen Logiken. Analysten spezialisieren sich meist über einen längeren Zeitraum auf ein Thema oder eine Region und häufen dabei Spezialwissen an. Policymanager hingegen wechseln immer wieder ihre inhaltlichen Zuständigkeitsbereiche, etwa aufgrund von Personalrotationen, wie sie im Auswärtigen Amt üblich sind. Um Wissensverluste zu minimieren, sollte daher ein Wissensmanagement-System ein­ge­richtet werden, das eine kontinuierliche Kooperation zwischen Analysten und den von Rotation betroffenen Managementpositionen erleichtert. In besonderem Maße gilt dies für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die außerhalb von Regierungsinstitutionen, etwa an Universitäten oder Thinktanks, über Früherkennung forschen. Sonst droht Wissensverlust mit jedem Wechsel in der politischen Admi­nistration.

Schließlich ist zu fragen, wie zeitgemäß die Ausbildungs- und Arbeitsmethoden der mit internationalen Angelegenheiten betrauten Organisationen – vor allem jener in Berlin und Brüssel – noch sind und wo Reformbedarf gerade hinsichtlich der Förderung von Vorausschau-Kompetenz besteht.67 Dabei sollten insbesondere die Arbeitsroutinen bei der Aufnahme und Interpretation von Informationen auf den Prüf­stand gestellt werden. Das muss nicht zwanghaft geschehen, sondern kann durchaus spielerische Züge haben. So ließe sich etwa durch Vorhersage-Wett­be­werbe ermitteln, wer im Auswärtigen Amt über aus­geprägte Forecast-Fähigkeiten verfügt. Dies könnte im Rahmen der Attaché-Ausbildung geschehen, wie auch die Einübung gemeinsamer Arbeit an methodisch reflektierten Foresight-Szenarien.

Man muss auch nicht davor zurückschrecken, näher zu prüfen, wie sich die Arbeitsroutinen auf der Entscheidungsebene optimieren lassen. Mit Blick auf die Praxis bei den UN stellen etwa Micah Zenko und Rebecca R. Friedman fest, viele der Beamten dort würden gerne veraltete Agenden, Mandate und Mis­sionen auslaufen lassen, um auf diese Weise eine Arbeitsentlastung zu schaffen und mehr Aufmerksamkeit der Entscheidungsebene für Frühwarnung zu ermöglichen.68 Es wäre überraschend, wenn nicht auch die Terminkalender in Berlin und Brüssel ent­schlackt werden könnten. Entscheidungsträger von Routineaufgaben zu entlasten und ihnen mehr Zeit für die Beschäftigung mit Unerwartetem zu verschaffen sollte auf dieser Ebene hohe Priorität genießen. Denn gerade hier wird im Fall von Überraschungen gern mit Analogieschlüssen gearbeitet, die oft in die Irre führen. Annahmen über »normales Verhalten« anderer Personen, Regierungen oder Gesellschaften gelten im Fall exzeptioneller Umstände meist nicht.69 Wenn jedoch keine andere Technik bekannt und verfügbar ist, bleibt nur der Rückgriff auf vertrautes Instrumentarium. Auch hier lassen sich Alternativen entwickeln und trainieren.

Zu diskutieren wäre ebenfalls, an welchem Ort eine Gesamtvorausschau der politischen Administration in Deutschland stattfinden soll. Das könnte bei­spielsweise ein Staatssekretärsausschuss sein.70 Eine weitere Option ist ein außerhalb der Regierung an­gesiedelter, un­abhängiger Sachverständigenrat, der etwa für den Bereich internationaler Angelegenheiten ergänzende Funktionen übernehmen könnte.71

Die Einrichtung einer zentralen Institution, der die Früherkennung der gesamten Bundesregierung ob­liegt, könnte allerdings auch bedeuten, dass diese Aufgabe ausgelagert wird. Folge wäre ein weiteres isoliertes Silo in der politischen Landschaft. Im Fall eines unabhängigen Rates müsste zudem die politi­sche Anbindung geklärt werden. Darüber hinaus ver­läuft die Schaffung solcher Gremien selten ohne Mit­gliedschafts- und Kompetenzgerangel sowie Ausein­andersetzungen über die zu behandelnden Fragen. Erfahrungsgemäß duplizieren sich dabei regelmäßig (partei-) politische Konfliktlinien. Auch deshalb ist der reale Nutzen der neuen Formate – abgesehen von ihrer Legitimationsfunktion für die Politik – mitun­ter unklar, wie das Schicksal mancher Sach­verständigenräte verdeutlicht.

Die Alternative wäre das Mainstreaming von Früh­erkennung in allen Ressorts und den relevanten nach­geordneten Behörden. Hier entstünde dann allerdings eine massive Analyse-Konkurrenz, nicht zuletzt um politische Aufmerksamkeit. Deshalb müsste über ge­eignete Maßnahmen wie eine kontinuierliche wissen­schaftliche Begleitung sichergestellt werden, dass sich jene Beiträge durchsetzen, die eine hohe Qualität auszeichnet. Dabei könnten Gütekriterien, die die Wissenschaft selbst erarbeitet und fortentwickelt, eine wichtige Rolle spielen.72

Abkürzungen

CIA

Central Intelligence Agency

DPA

Department of Political Affairs

IASS

Institute for Advanced Sustainability Studies (Potsdam)

IGO

Internationale Organisation

NGO

Nichtregierungsorganisation

OECD

Organisation for Economic Co-operation and Development

R2P

Responsibility to Protect

RUSI

Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (London)

SR

Sicherheitsrat (der Vereinten Nationen)

UN

United Nations

UNSR

Sicherheitsrat der Vereinten Nationen

Literaturhinweise

Lars Brozus (Hg.)

Während wir planten. Unerwartete Entwicklungen in der internationalen Politik

Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Mai 2018 (SWP-Studie 5/2018)

Sabine Fischer/Margarete Klein (Hg.)

Denkbare Überraschungen. Elf Entwicklungen, die Russlands Außenpolitik nehmen könnte

Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juli 2016 (SWP-Studie 15/2016)

Lars Brozus (Hg.)

Unerwartet, überraschend, ungeplant. Zugespitzte Situationen in der internationalen Politik

Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, November 2015 (SWP-Studie 20/2015)

Volker Perthes/Barbara Lippert (Hg.)

Ungeplant bleibt der Normalfall. Acht Situatio­nen, die politische Aufmerksamkeit verdienen

Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, September 2013 (SWP-Studie 16/2013)

Volker Perthes/Barbara Lippert (Hg.)

Ungeplant ist der Normalfall. Zehn Situationen, die politische Aufmerksamkeit verdienen

Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, November 2011 (SWP-Studie 32/2011)

Endnoten

1

 Vgl. Jack Davis, »Why Bad Things Happen to Good Analysts«, in: Studies in Intelligence, 60 (2016) 3, S. 14−24 (17).

2

 Vgl. Jack Davis, »Intelligence Analysts and Policymakers: Benefits and Dangers of Tensions in the Relationship«, in: Intelligence and National Security, 21 (2006) 6, S. 999–1021; Robert Jervis, »Why Intelligence and Policymakers Clash«, in: Political Science Quarterly, 125 (2010) 2, S. 185–204.

3

 So befanden die amerikanischen Geheimdienste im August 1962, es sei unwahrscheinlich, dass die Sowjetunion Kampfeinheiten auf Kuba stationieren werde. Gut zwei Monate später entdeckte die US-Luftaufklärung sowjetische Mittelstreckenraketen, die mit Kernwaffen bestückt werden konnten, auf der Karibikinsel. Und noch im August 1978 kam der für Iran zuständige Länderexperte der CIA zum Schluss, das Land befinde sich weder in einem vorrevolutionären noch gar einem revolutionären Zustand. Ein halbes Jahr später musste der Schah überstürzt ins Exil fliehen. Eine der folgenreichsten Fehleinschätzungen jüngerer Zeit betrifft die Frage nach der Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak, die im Vorfeld des amerikanischen Angriffs auf das Land 2003 von US-Nachrichtendiensten bejaht wurde. Vgl. u.a. Davis, »Why Bad Things Happen to Good Analysts« [wie Fn. 1]; Robert Jervis, »Reports, Politics, and Intelligence Failures: The Case of Iraq«, in: The Journal of Strategic Studies, 29 (2006) 1, S. 3–52; Paul R. Pillar, »Predictive Intelligence: Policy Support or Spectator Sport?«, in: SAIS Review, 27 (2008) 1, S. 25–35; Robert Jervis, Why Intelligence Fails. Lessons from the Iranian Revolution and the Iraq War, Ithaca 2012.

4

 Vgl. Nassim Nicholas Taleb, The Black Swan: The Impact of the Highly Improbable, New York 2007; Robert Jervis, »Black Swans in Politics«, in: Critical Review, 21 (2009) 4, S. 475–489.

5

 Vgl. Michael J. Mazarr, »Hide in Plain Sight: The Strategic Challenge of ›Gray Swans‹«, in: World Politics Review, 24.2.2015, <http://www.worldpoliticsreview.com/articles/ 15153/hide-in-plain-sight-the-strategic-challenge-of-gray-swans> (Zugriff am 7.9.2018).

6

 Vgl. Nikolaus von Bomhard, »Schwarzer Schwan und Vogel Strauss«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.4.2016, <http://www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart/krisen vorbeugung-schwarzer-schwan-und-vogel-strauss-14148389.html> (Zugriff am 7.9.2018).

7

 Vgl. Stephen Marrin, »Why Strategic Intelligence Analysis Has Limited Influence on American Foreign Policy«, in: Intelligence and National Security, 32 (2017) 6, S. 725–742; Martin Petersen, »The Challenge for the Political Analyst«, in: Studies in Intelligence, 47 (2003) 1, S. 51–56.

8

 Zum Fall des Horizon-scanning im UN-Sicherheitsrat siehe näher S. 16ff.

9

 Vgl. »The Politics of Posterity: Expert Advice and Long-Term Decision Making«, Oxford Martin School, University of Oxford, 12.4.2013, <https://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/ opinion/view/208> (Zugriff am 3.9.2018).

10

 Maßgeblich für die Schwierigkeiten, soziale Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, ist die menschliche Tendenz zur Verschleierung eigener Präferenzen, insbesondere unter Bedingungen autoritärer Herrschaft. Vgl. Jeff Goodwin, »Why We Were Surprised (Again) by the Arab Spring«, in: Swiss Political Science Review, 17 (2011) 4, S. 452–456.

11

 Diese Untersuchungen werden im Kapitel »Verbesserungsmöglichkeiten« näher vorgestellt (S. 13ff).

12

 Vgl. Peter Rudolf, Bürgerkriege und Massenverbrechen verhindern – aber wie? Erträge der Forschung, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, September 2015 (SWP-Studie 16/2015), S. 23–27.

13

 Vgl. Oliver Gnad, »Wie strategiefähig ist deutsche Politik? Vorausschauende Regierungsführung als Grundlage zukunftsrobuster Entscheidungen«, in: James Bindenagel/ Matthias Herdegen/Karl Kaiser (Hg.), Internationale Sicherheit im 21. Jahrhundert: Deutschlands internationale Verantwortung, Göttingen 2016.

14

 Vgl. David Kennedy, A World of Struggle: How Power, Law, and Expertise Shape Global Political Economy, Princeton 2016.

15

 Dieses Verständnis unterscheidet sich von einem Be­griffsgebrauch, der Effektivität an erfolgreicher Prävention festmacht. Vgl. Richard Gowan, »So funktioniert präventive Diplomatie: Es werden dringend Fortschritte in der Früh­erkennung von Krisen gebraucht«, in: Internationale Politik, (2016) 6, S. 46–51.

16

 Im Kapitel »Mehr-Ebenen-Probleme: Analysten, Manager und Entscheidungsträger« (S. 19ff) werden die unterschiedlichen Perspektiven und Handlungslogiken von Informations- und Policymanagern näher beleuchtet.

17

 Ergänzende methodische Ausführungen zu einer wissenschaftlich angeleiteten Vorausschau und praktische Beispiele für eine Foresight-Rückschau finden sich in den SWP-Studien mit Foresight-Beiträgen, darunter Lars Brozus (Hg.), Während wir planten: Unerwartete Entwicklungen in der internationalen Politik, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Poli­tik, Mai 2018 (SWP-Studie 5/2018), und ders. (Hg.), Unerwartet, überraschend, ungeplant. Zugespitzte Situationen in der internatio­nalen Politik, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, November 2015 (SWP-Studie 20/2015).

18

 Vgl. Philip E. Tetlock/Dan Gardner, Superforecasting: The Art and Science of Prediction, New York 2015. Siehe auch Nate Silver, The Signal and the Noise: The Art and Science of Prediction, London 2013, und Michael D. Ward, »Can We Predict Politics? Toward What End?«, in: Journal of Global Security Studies, 1 (2016) 1, S. 80–91.

19

 Vgl. Philip E. Tetlock, Expert Political Judgement: How Good Is It? How Can We Know?, Princeton/Oxford 2005.

20

 Vgl. Tetlock/Gardner, Superforecasting [wie Fn. 18], S. 68–72.

21

 Vgl. Barbara Mellers/Eric Stone/Pavel Atanasov/Nick Rohrbaugh/S. Emlen Metz/Lyle Ungar/Michael M. Bishop/ Michael Horowitz/Ed Merkle/Philip E. Tetlock, »The Psycho­logy of Intelligence Analysis: Drivers of Prediction Accuracy in World Politics«, in: Journal of Experimental Psychology: Applied, 21 (2015) 1, S. 1–14; Tetlock/Gardner, Superforecasting [wie Fn. 18], S. 81–104.

22

 Vgl. Philip E. Tetlock/Richard Ned Lebow, »Poking Counterfactual Holes in Covering Laws: Cognitive Styles and Historical Reasoning«, in: American Political Science Review, 95 (2001) 4, S. 829–843; Tetlock, Expert Political Judgement [wie Fn. 19], S. 67–120; Philip E. Tetlock/Michael Oppenheimer, »The Boundaries of the Thinkable«, in: Daedalus, 137 (2008) 2, S. 59–70. Die Unterscheidung geht zurück auf einen 1953 erschienenen Essay des Philosophen Isaiah Berlin.

23

 »[C]urrent and future political choices can (and must) be made from a wide universe of possibilities and not from an overdetermined past that permits only one inevitable divisive response.« Philip E. Tetlock/Geoffrey Parker, »Counterfactual Thought Experiments: Why We Can’t Live without Them and How We Must Learn to Live with Them«, in: Philip E. Tetlock/Richard Ned Lebow/Geoffrey Parker (Hg.), Unmaking the West: »What If« Scenarios That Rewrite World History, Ann Arbor 2006, S. 14–44 (27).

24

 Vgl. Matthew Reitman, »The Science of Making Predictions in the Era of Trump and Brexit«, RealClearLife, 2016, <http://www.realclearlife.com/politics/the-science-of-making-predictions-in-the-era-of-trump-and-brexit/> (Zugriff am 7.10.2018); Peter Scoblic/Philip E. Tetlock, »We Didn’t See Donald Trump Coming. But We Could Have«, in: Washington Post, 12.2.2016, <http://wapo.st/20ZpjAP?tid=ss_mail&utm_ term=.3014e5b5a2b1> (Zugriff am 7.10.2018).

25

 Vgl. International Crisis Group, Seizing the Moment: From Early Warning to Early Action, 22.6.2016 (Special Report Nr. 2). Eine differenzierte Betrachtung der »politics of early warning« stammt von Christoph O. Meyer/Florian Otto/John Brante/Chiara De Franco, »Recasting the Warning-Response Problem: Persuasion and Preventive Policy«, in: International Studies Review, 12 (2010) 4, S. 556–578.

26

 Im Kapitel »Paradoxien der Früherkennung« (S. 26ff) werden einige historische Beispiele für unerwartete Folgen politischer Interventionen diskutiert.

27

 Vgl. Richard Gowan, Diplomacy in Action: Expanding the UN Security Council’s Role in Crisis and Conflict Prevention, New York: New York University, Center on International Cooperation, Mai 2017; Micah Zenko/Rebecca R. Friedman, »UN Early Warning for Preventing Conflict«, in: International Peacekeeping, 18 (2011) 1, S. 21−37. Grundsätzlich zur Rolle des UNSR vgl. Sebastian von Einsiedel/David M. Malone/Bruno Stagno Ugarte (Hg.), The UN Security Council in the 21st Century, Boulder 2015.

28

 Vgl. Bruno Stagno Ugarte, »High Alert. Does the United Nations Need an Early-Warning System?«, in: Foreign Affairs, Snapshot, 19.9.2016.

29

 So bekräftigte die Staatengemeinschaft im Rahmen des UN World Summit 2005 mit der Responsibility to Protect (R2P) die Verantwortung aller Staaten, ihre Bevölkerung vor Massengewalttaten wie Völkermord, Kriegsverbrechen, Ver­brechen gegen die Menschlichkeit und ethnischen Säuberungen zu schützen. Vgl. Alex Bellamy, Responsibility to Pro­tect: The Global Effort to End Mass Atrocities, Cambridge 2009.

30

 Vgl. Zenko/Friedman, »UN Early Warning for Preventing Conflict« [wie Fn. 27].

31

 Vgl. Horizon-Scanning Briefings: UN Security Council Working Methods, Security Council Report, 3.10.2017, <https:// www. securitycouncilreport.org/un-security-council-working-methods/horizon-scanning-briefings.php> (Zugriff am 13.11.2018); Paul Romita, The UN Security Council and Conflict Prevention: A Primer, International Peace Institute, New York, Oktober 2011.

32

 Zwar wurden die sich im Winter 2010/2011 rasch ent­wickelnden Herrschaftskrisen in Nordafrika und dem Nahen Osten (von Tunesien über Libyen und Ägypten bis Syrien und Jemen) ebenfalls angesprochen. Dies fand jedoch paral­lel zur reaktiven Behandlung der krisenhaft eskalierenden Situationen statt.

33

 Mit einer Ausnahme – im Dezember 2010 verzichtete der amerikanische UNSR-Vorsitz darauf, ein Horizon-scanning durchzuführen.

34

 Eine Übersicht der in den Horizon-scanning-Briefings behandelten Themen und Regionen findet sich hier: Horizon-Scanning Briefings: UN Security Council Working Methods [wie Fn. 31].

35

 Vgl. In Hindsight: Horizon-Scanning Briefings, May 2013 Monthly Forecast, Security Council Report, 1.5.2013, <https://www.securitycouncilreport.org/monthly-forecast/ 2013-05/in_hindsight_horizon-scanning_briefings.php> (Zugriff am 30.7.2018).

36

 »Although never spelt out, it seems that these members may have been uncomfortable with the lack of control by Council members over the issues covered, as it was DPA that was in the lead.« Horizon-Scanning Briefings: UN Security Council Working Methods [wie Fn. 31].

37

 Vgl. Stagno Ugarte, »High Alert« [wie Fn. 28].

38

 Teilweise wiederholten sich einzelne als eher irrelevant wahrgenommene Befassungspunkte in zu rascher Folge. Mitunter wurde auch zu viel Zeit darauf verwendet, über Besuchsreisen von DPA-Delegationen in potentiellen Krisenregionen zu berichten.

39

 »Among the complaints was that while in theory a good idea, in practice the briefings had been disappointing.« Horizon-Scanning Briefings: UN Security Council Working Methods [wie Fn. 31] (Übersetzung durch den Autor).

40

 Vgl. John A. Gentry, »Managers of Analysts: The Other Half of Intelligence Analysis«, in: Intelligence and National Security, 31 (2016) 2, S. 154–177.

41

 Ein Zusammenhang zwischen Güte der Analyse und der Zuwendung von Ressourcen besteht jedoch auch im umgekehrten Sinne. So führten diverse, teils spektakuläre Fälle nachrichtendienstlicher Fehleinschätzungen ebenfalls zur Aufstockung von Budgets und Personal – womöglich sogar in stärkerem Maße, als dies bei zutreffenden Einschätzungen der Fall gewesen wäre. Mithin können Fehlschläge unter Umständen als »erfolgreiches Scheitern« einer Organisation interpretiert werden.

42

 Vgl. Paul R. Pillar, »Intelligence, Policy, and the War in Iraq«, in: Foreign Affairs, 85 (2006) 2, S. 15–27; Amanda J. Gookins, »The Role of Intelligence in Policy Making«, in: SAIS Review, 28 (2008) 1, S. 65–73.

43

 »The distortion of analysis by setting aside or otherwise failing to meet the standards of objectivity in setting forth information and judgements – in order to support a world view or policy preference.« Jack Davis, »Facts, Findings, Forecasts, and Fortune-telling«, in: Studies in Intelligence, 39 (1995) 3, S. 25–30 (S. 26, Übersetzung durch den Autor).

44

 Vgl. Stephen Marrin, »Rethinking Analytic Politicization«, in: Intelligence and National Security, 28 (2013) 1, S. 32–54.

45

 Gookins, »The Role of Intelligence in Policy Making« [wie Fn. 42], S. 71 (»changing reports to conform to policy«).

46

 Grundsätzlich dazu Paul Cairney, The Politics of Evidence-Based Policy Making, London 2016; Mark E. Brown, Science in Democracy: Expertise, Institutions, and Representation, Cambridge/ London 2009; Holger Straßheim/Pekka Kettunen, »When Does Evidence-based Policy Turn into Policy-based Evidence? Configurations, Contexts and Mechanisms«, in: Evidence & Policy, 10 (2014) 2, S. 259–277.

47

 Vgl. die Bemerkungen, die der damalige CIA-Chef Robert Gates 1992 vor Mitarbeitern machte. Robert O. Gates, »Guarding against Politicization. Remarks by the Director of Central Intelligence«, in: Studies in Intelligence, 36 (1992) 5, S. 5–13. Siehe auch Dennis Gleeson, »The High Cost of Politicizing Intelligence«, in: The Atlantic, 25.2.2017, <https://www.theatlantic.com/politics/archive/2017/02/the-high-cost-of-politicizing-intelligence/517854/> (Zugriff am 10.9.2018); Paul R. Pillar/Roger George, »Why Intelligence Briefings Matter«, in: The National Interest, 15.12.2016, <https://nationalinterest.org/blog/paul-pillar/why-intelligence-briefings-matter-18755> (Zugriff am 10.9.2018).

48

 »The CIA created the position of Ombudsman for Politi­cization in 1992 to respond to alleged issues of politicization and analytic distortion. According to the Ombudsman’s Charter, the position serves as an ›independent, informal, and confidential counselor for those who have complaints about politicization, biased reporting, or lack of objective analysis.‹ The Ombudsman reports directly to the Director of Central Intelligence.« Report on the U.S. Intelligence Community’s Prewar Intelligence Assessments on Iraq, Senate Select Committee on Intelligence, 2004 (Senate Report Nr. 301), S. 359.

49

 Vgl. Jervis, »Reports, Politics, and Intelligence Failures« [wie Fn. 3], und Pillar, »Intelligence, Policy, and the War in Iraq« [wie Fn. 41], der jedoch darauf hinweist, dass es in anderen Fällen durchaus Versuche einer direkten Einflussnahme aus der Politik gegeben habe. Genannt wird John Bolton, gegenwärtig Nationaler Sicherheitsberater der USA (S. 21). Die öffentliche Kontroverse im Fall Irak bewirkte zudem eine Diskussion über Richtlinien für angemessene und unangemessene Verhaltensweisen im Spannungsfeld zwischen Analyse und Politik, vgl. Davis, »Intelligence Analysts and Policymakers« [wie Fn. 2].

50

 So auch Gentry, »Managers of Analysts« [wie Fn. 40].

51

 »My function, really, as an economist is to try to provide the underlying analytics that confirm his [= Trump’s, LB] intuition. And his intuition is always right in these matters.« Zitiert nach »Trump vs. the ›Deep State‹«, in: The New Yorker, 21.5.2008, <https://www.newyorker.com/magazine/2018/05/ 21/trump-vs-the-deep-state> (Zugriff am 30.5.2018).

52

 Vgl. Marrin, »Why Strategic Intelligence Analysis Has Limited Influence« [wie Fn. 7], S. 735.

53

 Vgl. Jervis, »Why Intelligence and Policymakers Clash« [wie Fn. 2].

54

 Vgl. Paul R. Pillar, »The Right Stuff«, in: The National Interest, 29.8.2007, <https://nationalinterest.org/article/the-right-stuff-1769> (Zugriff am 7.9.2018). Siehe auch Daniel Byman, »An Autopsy of the Iraq Debacle: Policy Failure or Bridge Too Far?«, in: Security Studies, 17 (2008) 4, S. 599–643.

55

 Davis, »Intelligence Analysts and Policymakers« [wie Fn. 2], S. 1008.

56

 Vgl. Marrin, »Rethinking Analytic Politicization« [wie Fn. 44].

57

 »[T]he absence of guidance was not viewed as an in­superable obstacle by analysts, who thought that the quality and integrity of their assessments would be sufficient to command the attention of the policy community.« Jack Davis, »The Kent-Kendall Debate of 1949«, in: Studies in Intelligence, 35 (1991) 2, S. 91–103 (98). Vgl. auch Lars Brozus/ Oliver Geden, »Experten, Politik und Populismus«, in: Wirtschaftsdienst, 97 (2017) 4, S. 239–242.

58

 Vgl. dazu John Kingdon, Agendas, Alternatives and Public Policies, New York 1984; Cairney, The Politics of Evidence-Based Policy Making [wie Fn. 46].

59

 Vgl. Petersen, »The Challenge for the Political Analyst« [wie Fn. 7].

60

 Vgl. Paul C. Avey/Michael C. Desch, »What Do Policymakers Want from Us? Results of a Survey of Current and Former Senior National Security Decision Makers«, in: International Studies Quarterly, 58 (2014) 2, S. 227–246.

61

 Umfassende Landes-, Sach- und Sprachkenntnisse sind jedoch keine Gewähr dafür, dass zutreffende Einschätzungen abgegeben werden. Expertentum schützt nicht davor, wichtige Entwicklungen zu übersehen, wie die vielen Beispiele fehlgeschlagener Früherkennung belegen. Aus Perspektive von Entscheidungsträgern kann es daher sinn­voll sein, mithilfe von geeigneten Maßnahmen und Methoden ergänzende Analysen anfertigen zu lassen. Dafür kön­nen etwa sogenannte »Red Teams« verwendet werden, die Informationen gezielt daraufhin prüfen, welche Anhalts­punkte sie für eine alternative Interpretation von Ereignissen und Entwicklungen liefern. Vgl. Micah Zenko, Red Team. How to Succeed by Thinking like the Enemy, New York 2015; Jervis, Why Intelligence Fails [wie Fn. 3].

62

Vgl. Pillar, »Predictive Intelligence« [wie Fn. 3].

63

 Eine bessere Integration von Forecasts über drohende Massengewalttaten in das Policymaking fordern, neben vielen anderen, Sascha Nanlohy/Charles Butcher/Benjamin E. Goldsmith, »The Policy Value of Quantitative Atrocity Forecasting Models«, in: RUSI Journal, 162 (2017) 2, S. 24–32. Vgl. auch Björn Müller, »Die Krisen von morgen erkennen«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.7.2018, der die Pläne der Bundeswehr zum Aufbau einer softwarebasierten Krisenfrüherkennung thematisiert, <http://www.faz.net/aktuell/ politik/inland/bundeswehr-die-krisen-von-morgen-erkennen-15670056.html> (Zugriff am 7.10.2018).

64

 Vgl. Davis, »Intelligence Analysts and Policymakers« [wie Fn. 2].

65

Vgl. Zenko, Red Team [wie Fn. 61]; Richard Ned Lebow, Counterfactuals and Foreign Policy Analysis, Oxford Research Encyclopedia, Oxford University Press, 2017, DOI: 10.1093/ acrefore/9780190228637.013.402 (Zugriff am 10.9.2018); Jack Davis, Improving CIA Analytic Performance: Strategic Warning, Reston: The Sherman Kent Center for Intelligence Analysis, September 2002 (Occasional Papers, Vol. 1, No. 1).

66

 Vgl. Derek Grossman, »Giving Intelligence Analysts Their Voices Back: The Case for Analyst Perspectives«, War on the Rocks, 20.10.2016, <https://warontherocks.com/2016/ 10/giving-intelligence-analysts-their-voices-back-the-case-for-analyst-perspectives/> (Zugriff am 10.9.2018).

67

 Vgl. David Nyheim, Preventing Violence, War and State Collapse: The Future of Conflict Early Warning and Response, OECD, Paris 2009; Sebastian Gräfe, »Rette sich, wer kann: Bessere Frühwarnung allein führt nicht zu besserer Krisenprävention«, in: Internationale Politik, (2016) 6, S. 52–57.

68

 »In order to create space for high-level attention to early warning, many UN officials believe that terminating out­dated agendas, mandates and missions would unclog the senior managers’ schedules, as well as the Security Council’s monthly programme of work.« Zenko/Friedman, »UN Early Warning for Preventing Conflict« [wie Fn. 27], S. 32.

69

 Vgl. Richard K. Betts, »Warning Dilemmas: Normal Theory vs. Exceptional Theory«, in: Orbis, 26 (1983) 4, S. 828–833.

70

 Vgl. Jörg Mayer-Ries, Government Innovation Lab: Ein Vor­schlag zur Stärkung der ministerienübergreifenden Erschließung von Zukunftsthemen, Potsdam: Institute for Advanced Sustaina­bility Studies (IASS), Mai 2018 (IASS Discussion Paper), DOI: http://doi.org/10.2312/iass.2018.007 (Zugriff am 10.9.2018).

71

 Vgl. von Bomhard, »Schwarzer Schwan und Vogel Strauss« [wie Fn. 6]; James D. Bindenagel/Philip A. Ackermann, »Deutschland strategiefähiger machen. Ein Sachverständigenrat für strategische Vorausschau ist nötig«, in: Sirius, 2 (2018) 3, S. 253–260.

72

 Vgl. Lars Gerhold u.a. (Hg.), Standards und Gütekriterien der Zukunftsforschung. Ein Handbuch für Wissenschaft und Praxis, Wiesbaden 2015.

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