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Europas Sicherheit ohne die USA

Kurz gesagt, 20.02.2025 Forschungsgebiete

Mit der zweiten Amtszeit von Donald Trump endet die transatlantische Garantie. Europa muss sich militärisch selbst behaupten. Um unabhängig und handlungsfähig zu sein, sollte es nun rasch konkrete Reformen umsetzen, meint Ronja Kempin.

Europa muss seine Sicherheit und Verteidigung künftig eigenständig organisieren und gewährleisten. Dieser Satz mag noch ungewohnt klingen, doch er beschreibt eine neue strategische Realität, an die sich die Regierungen, Institutionen und Bürger Europas rasch gewöhnen müssen. Mehr als 75 Jahre lang war die Sicherheit des Kontinents eine transatlantische Aufgabe. Die Vereinigten Staaten galten als Schutzmacht, von der sich keine Regierung in Europa trennen wollte. Doch mit dem Beginn der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump, drängen die USA ihre europäischen Verbündeten, eigenständig militärische Verantwortung zu übernehmen – ohne die gewohnte Rückendeckung aus Washington und der Nato. Besonders drastisch zeigt sich dieser Kurs in der Ukraine-Frage: Trump fordert, dass Europa Truppen entsendet, um einen möglichen Waffenstillstand abzusichern – auch wenn es von den Verhandlungen ausgeschlossen bleibt. 

Für Europa beginnt eine sicherheitspolitische Ära, die schnelles und entschlossenes Handeln erfordert. Denn in der neuen politischen Realität der »Trump Time« werden Entscheidungen innerhalb von Tagen und Wochen getroffen. 

Druck kommt auch aus Russland. Dass Präsident Wladimir Putin seine imperiale Agenda ungeachtet einer Vereinbarung mit den USA fortsetzen wird, gilt unter europäischen Geheimdiensten als ausgemacht. Bereits ein halbes Jahr nach dem Ende des Krieges gegen die Ukraine könnte er einen neuen Krieg gegen ein Nachbarland aufnehmen, in fünf Jahren könnte Russland einen groß angelegten Krieg auf dem europäischen Kontinent ohne Nato-Beteiligung beginnen.

Der Weg zu einer europäischen Sicherheitsunion

Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, dass europäische Regierungen über erhebliche Erhöhungen ihrer Verteidigungsausgaben diskutieren. Ein Blick auf die vergangenen Jahrzehnte zeigt: Europa hinkt bei der militärischen Aufrüstung weit hinterher. In den zwei Jahrzehnten vor Beginn des russischen Angriffskrieges stiegen die Verteidigungsausgaben der EU nur um 19,7 Prozent, während die USA ihren Etat im selben Zeitraum um 65,7 Prozent, Russland um 292 Prozent und China um 592 Prozent steigerten. Die Folgen sind bekannt: Europäische Munitionslager sind spärlich gefüllt, militärisches Gerät ist veraltet und bisweilen unbrauchbar. Den Europäern fehlen strategische Kernfähigkeiten - etwa beim Lufttransport, der Luftbetankung, der Aufklärungs- und Geheimdienstarbeit. Auch die militärische Forschung und Entwicklung ist unterfinanziert, was die langfristige Verteidigungsfähigkeit gefährdet.

Auch eine intensivere Unterstützung der Ukraine ist richtig. Die Trump-Administration setzt dem Land zu, indem sie das russische Narrativ der Ukraine als Kriegstreiberin übernimmt und eine Nato-Mitgliedschaft Kiews ausschließt. Doch nur aus einer Position der Stärke heraus kann die Ukraine in möglichen Verhandlungsrunden ihre Forderungen durchsetzen, insbesondere mit Blick auf die Wahrung des völkerrechtlichen Prinzips der territorialen Integrität.

Die in den vergangenen Tagen bekräftigten Schritte werden indes nur fruchten, wenn Europa seine gesamte Verteidigungsarchitektur überdenkt. Jedes Land agiert weitgehend unabhängig, mit eigenen Beschaffungssystemen und Streitkräften, die kaum interoperabel sind. Noch immer geben die Europäer über 80 Prozent ihrer Verteidigungsausgaben auf nationaler Ebene aus. Damit verzichten sie auf Skaleneffekte. Für ihr Geld bekommen sie weniger Fähigkeiten. Nationale Souveränitätsvorbehalte stehen einer Interoperabilität der Streitkräfte im Weg. Bis heute verhindern sie auch, dass die EU über ein militärisches Hauptquartier verfügt, das umfangreiche Militäroperationen leiten könnte.

Die Chance zur militärischen Integration und damit zur Schaffung interoperabler Streitkräfte, zur strategischen Beschaffung und zur Konsolidierung der rüstungsindustriellen Basis bietet die anstehende »Friedenssicherung«. Für diese Aufgabe benötigen die Europäer Streitkräfte, die mobil und interoperabel sind. Nicht zuletzt wegen der Länge der potentiellen Verteidigungslinie, werden die Kräfte rotieren müssen. Zudem sollten diese Streitkräfte mit den bestmöglichen militärischen Fähigkeiten ausgestattet sein. Nur so wirken sie abschreckend auf Russland. Diese Ausrüstung sollten die Europäer gemeinsam entwickeln, kurzfristig auf dem Weltmarkt, mittelfristig in Europa. 

Der Schock, den die US-Administration ausgelöst hat, sollte als Anreiz verstanden werden, die notwenigen Integrationsschritte zu gehen und Europa über die EU zu einer echten Sicherheitsunion auszubauen.

Dr. phil Ronja Kempin ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU/Europa.