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Europas Handlungsfähigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik stärken

Eine Versicherheitlichung des Außenhandelns ist kein Weg zur Überwindung der strukturellen Blockaden der EU

SWP-Aktuell 2025/A 11, 10.03.2025, 8 Seiten

doi:10.18449/2025A11

Forschungsgebiete

Seit der russischen Vollinvasion der Ukraine am 24. Februar 2022 lässt sich eine Ver­sicherheitlichung des auswärtigen Handelns der Europäischen Union (EU) beobachten. Institutionell betrachtet wird die Gemeinsame Außen- und Sicherheits­politik (GASP) zunehmend von der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) überlagert. Damit wird aber nicht das Problem der defizi­tären außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit gelöst. Im Gegenteil: Der Trend zur Ver­sicherheitlichung der EU-Außenpolitik lenkt von der längst überfälligen Reform zur Stärkung ebendieser außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit Europas ab. Um diese endlich zu verbessern, bieten sich zwei Optionen an: a) eine Europäi­sie­rung des europäischen Pfeilers in der Nato und b) eine Vergemeinschaftung der GASP und der GSVP.

Seit der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2025 und der öffentlichen Bloß­stellung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj durch Donald Trump und J.D. Vance besteht kein Zweifel da­ran, dass die USA nicht länger Sicherheitsgarant Europas sein wollen. Weder wollen sie die Ukraine in die Nato aufnehmen noch einen möglichen Waffenstillstand an der russisch-ukrainischen Grenze mit eigenen Soldaten oder durch Sicherheitsgarantien für die ein­gesetzten Soldat:innen absichern. Diese Aufgabe sollen die Europäer:innen über­neh­men – ohne Rückgriff auf die Nato und ohne Sicherheitsgarantien der USA, sollten sie in einen Konflikt mit Moskau geraten.

Diese neue Realität trifft die europäischen Staaten hart, weil sie sich selbst, wie auch die EU, alternativlos in eine militärische und sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA begeben haben. Mit den Nato-Bei­tritten Finnlands und Schwedens in den Jahren 2023 und 2024 hat sich die Zahl der bündnisfreien Mitgliedstaaten in der EU verringert. Die USA haben mit zahlreichen Nato-Staaten, etwa Schweden, Norwegen und jüngst Finnland, bilaterale Verteidigungsabkommen abgeschlossen mit dem Ziel, den Zugang amerikanischer Streit­kräfte zu Militärbasen in diesen Ländern zu ermöglichen oder zu erweitern. Zudem haben die EU und die Nato in den letzten Jahren ihre strate­gische Partnerschaft ver­stärkt. Im Januar 2023 unterzeichneten die beiden Organisationen ihre dritte gemeinsame Erklärung zur Zusammenarbeit.

Gleichzeitig sind die wirtschaftspolitischen Beziehungen zwischen Europa und den USA stark von Konkurrenz geprägt. Mit dem Inflation Reduction Act (IRA) hatte Washington 2022 den Grundstein für eine intensivierte Stand­ortpolitik gelegt, der die EU mit ihrem Green Deal Industrial Plan kein finanziell gleichwertig ausgestattetes Pro­jekt entgegenzusetzen vermochte. Hinzu kommt, dass US-Präsident Donald Trump nicht davor zurückschreckt, die Interessen der USA auch gegen die EU durchzusetzen, und dabei in Kauf nimmt, die regulative Macht der EU zu neutralisieren. Es zeigt sich immer deutlicher, dass das Ziel der USA augenscheinlich darin besteht, die EU-Mit­gliedstaaten gegeneinander auszuspielen und die Union politisch zu spalten.

Vor dem Hintergrund der Abwendung der USA von Europa konnte auf dem Sonder­gipfel des Europäischen Rates am 6. März 2025 durchaus Einigkeit darüber erzielt werden, dass künftig massiv in die Vertei­digung der nationalen Streitkräfte investiert werden muss. Ebenso zeichnet sich die Bereitschaft ab, in der Frage der Absicherung eines möglichen »Friedens« in der Ukraine, etwa durch europäische Sicherheitsgarantien, verstärkt Koalitionen der Willigen zu bilden, um Vetospielern wie dem ungarischen Ministerpräsidenten die Blockadeoption zu entziehen. Uneinigkeit gab es über das »ReArm Europe«-Programm und mögliche Ausnahmen bei den Schulden­regeln. Es gibt bisher auch keinen Fortschritt bei der notwendigen institutionellen Reform der GASP und GSVP, etwa in Form der verstärkten Nutzung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen, der Einführung eines Europäischen Sicherheitsrats oder der Vergemeinschaftung der GASP/GSVP (siehe SWP Comment 19/2024, SWP-Aktuell 24/2024). Vielmehr ist zu erwarten, dass die widerstreitenden Interessen der Mitgliedstaaten diese weiterhin verunmöglichen. Bereits vor Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine liefen Versuche ins Leere, qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der GASP einzuführen oder einen Europäischen Sicherheitsrat einzurichten. Nationale Souveränitätsvorbehalte oder divergierende wirtschaftliche Interessen sind darüber hinaus mitverantwortlich dafür, dass die Erweiterung der EU zum Erliegen kam und die EU-Sanktionen gegen Russland nicht effektiv umgesetzt wurden.

Versicherheitlichung des EU-Außenhandelns

Um das Problem der unvereinbaren mit­gliedstaatlichen Interessen einzuhegen, hat sich seit Beginn des Ukraine-Krieges im aus­wärtigen Handeln der EU (Titel V EUV) ein Prozess der Versicherheitlichung heraus­gebildet, bei dem die Lösung struk­tureller Probleme dieses Politikfelds aber gleich­zeitig ausgeklammert wird.

Der Begriff der »Versicherheitlichung« (engl. »securitization«) wurde in den 1990er Jahren von Wissenschaftler:innen der so­genannten Kopenhagener Schule geprägt. Danach besteht das Ziel staatlichen Han­delns darin, militärpolitische Maßnahmen zu legitimieren, die unter normalen Um­ständen nicht durchsetzbar wären. Dieses Vorhaben gelingt, so die These, wenn The­men so dargestellt bzw. »geframt« werden, dass mit ihnen eine Bedrohung für die eigene Bevölkerung verknüpft wird.

Überträgt man diesen Ansatz auf die gegenwärtige Politik der EU, fällt auf, dass die GASP wie auch die anderen Bereiche des auswärtigen Handelns – Handels-, Assozi­ierungs- und Entwicklungspolitik –, die in ausschließlicher bzw. geteilter Kompetenz zwischen der EU und den Mitgliedstaaten liegen, durch neue Finanzinstrumente auf die Rüstungs- und Verteidigungspolitik aus­gerichtet werden. So wird die GASP gewisser­maßen von ihrem sicherheits- und ver­teidigungspolitischen Teil, der GSVP, durch­drungen. Darüber hinaus werden Themen wie Partnerschafts- und Sektoralabkommen, die früher als eher technokratisch und un­politisch galten, zum Gegenstand der sicher­heits- und verteidigungs­politischen Selbst­behauptung Europas. Über diesen Prozess der Versicherheitlichung der Außen­politik gelingt es den EU-Institu­tionen, allen voran der Europäischen Kommission, Zugriff auf neue Politikbereiche (Rüstungsindustrie) zu erlangen und andere Politikbereiche (Erwei­terung, Sanktionen) zu dynamisieren. In wieder anderen Politikfeldern (Migration) passen die EU-Institutionen durch das so­genannte Policy-Framing ihre Politiken an die der Mitgliedstaaten an und richten be­reits getroffene Regeln auf den Schutz des EU-Territoriums aus. Schließlich wird die außenwirtschaftspolitische Dimension des auswärtigen Handelns der EU neu justiert auf die Ziele De-Risking, Friend-Shoring und De-Coupling. Machtpolitisch scheint die EU-Kommission am stärksten von diesen Tendenzen zu profitieren, weil die Binnenmarktregeln auf die Beschaffung von Rüstungs­gütern ausgeweitet wurden. Wenn die EU-Kommission ihre Rolle in der Rüstungs­politik ausbaut, indem sie (private) Unter­nehmen und Sicherheitsakteure in den politischen Prozess auf EU-Ebene ein­bringt, verstärkt sie damit auch ihre Ver­handlungs­macht gegenüber den Mitgliedstaaten in der gemeinsamen Rüstungs­kooperation.

Gleichzeitig stößt der übergeordnete Integrationstrend der Versicherheitlichung dort an seine Grenzen, wo die EU-27 poli­tisch uneins und strategisch und außen­wirtschaftlich nicht in der Lage ist, ko­härent gegenüber Drittstaaten auf­zutreten.

Sanktionen neuer Qualität

Seit dem Beginn der russischen Vollinvasion der Ukraine hat die EU ein bisher beispielloses Sanktionsregime gegen Moskau eta­bliert. Aufbauend auf den Restrik­tionen, die sie 2014 im Rahmen der Krim-Annexion initiiert hatte, verabschiedete die EU bis heute 16 Sanktionspakete. Damit sind über 1.800 Einzel­personen und mehr als 500 Einrichtungen von den Sanktionen betrof­fen. Die Maßnahmen um­fassen unter ande­rem Reiseverbote, das Einfrieren von Ver­mögen und das Ver­wehren des Zugangs zu finanziellen und wirtschaftlichen Ressourcen. Als Reak­tion auf den Tod von Aleksei Navalnyi sind da­von auch Leiter:innen russischer Straf­kolonien und hochrangige Beamte des Justizministeriums betroffen.

Die Erweiterung des europäischen Sanktionsregimes blieb nicht auf Russland be­schränkt. Im Januar 2024 verabschiedete der Rat der EU (Rat) einen Beschluss zur Ver­hängung von Sanktionen gegen alle Unter­stützer:innen der Hamas und des Palästinensischen Isla­mischen Dschihad, der die direkten Maß­nahmen gegen beide Terror­organisationen aus dem Vorjahr ergänzt. Nach monate­langen Verhandlungen, bei denen zunächst unter anderem Deutschland blockiert hatte, einigten sich die EU-Außenminister:innen im März 2024 auch auf Sanktionen gegen radikale israelische Siedler:innen im Westjordanland. Weitere Sanktionen richteten sich gegen Iran, ins­besondere vor dem Hintergrund des An­griffs auf Israel im April 2024 und der an­haltenden Waffenlieferungen an Russland, sowie gegen Syrien. Gegenüber Venezuela, der DR Kongo, Belarus und Myanmar wurden bestehende Restriktionen ver­längert und ausgeweitet.

Parallel zur Erhöhung der Anzahl verschärfte die EU ihre Sanktionsmaßnahmen auch qualitativ. Gegenüber Russland zeigte sich dies vor allem im Beschluss des Rates vom Mai 2024, Zinserträge aus dem ein­gefrorenen Vermögen der russischen Zen­tralbank für militärische Ausrüstung und den Wiederaufbau der Ukraine zu verwen­den. Im selben Monat erweiterte die EU den Anwendungs­bereich ihrer Sanktionen. Er­fasst wird nun auch die militärische Unter­stützung des russischen Angriffskriegs durch Drohnen und Flugkörper und die Ausfuhr dafür not­wendiger Komponenten. Diese Beschlüsse zielen primär auf Iran, der zeit­gleich mit weiteren Restriktionen belegt wurde. Da­rüber hinaus einigten sich Rat und Parla­ment im April 2024 vor dem Hintergrund anhaltender Umgehungen von Sanktionen, die gegen Russland verhängt worden waren, auf die Einführung von Straftatbeständen bei entsprechenden Ver­stößen. Zukünftig können neben Einzel­personen auch ganze Unternehmen wegen Sanktionsumgehung bestraft werden. In der Gesamtschau ver­festigt sich damit der Ein­druck eines Trends hin zu einer sicherheits­poli­tischen Vertiefung der europäischen Sanktionsinstrumente. Kennzeichnend dafür ist insbesondere die Ablösung klassi­scher Sanktionen gegen Menschenrechtsverletzungen durch Zwangsmaßnahmen gegen staatliche Akteure.

Versicherheitlichung von Drittstaatsabkommen

Seit mehreren Jahren nutzt die EU Dritt­staats­abkommen nicht nur zur Migrationssteuerung und zur Gefahrenabwehr, son­dern auch zur Erhöhung ihrer Ressourcen­sicherheit.

Im Bereich Migration und Sicherheit unter­zeichnete die EU im September 2023 ein Partnerschaftsabkommen mit Albanien, das eine Verstärkung der operativen Zu­sammenarbeit im Kampf gegen grenzüber­schreitende Kriminalität und gegen irregu­läre Migration vorsieht. Ähnliche Abkom­men waren zuvor mit Serbien (Neu­auflage im Juni 2024), der Republik Moldau, Monte­negro und Nordmazedonien vereinbart wor­den. Die siebte und die achte Geber­konferenz zur Zukunft Syriens und der Region im Juni 2023 und Mai 2024 waren stark von migrationspolitischen Zielsetzun­gen geprägt, mit dem Ergebnis, dass die Türkei, der Libanon, Jordanien und Irak finan­zielle Unterstützung erhielten für ihre Bereitschaft, Geflüchtete aufzunehmen.

Neben dem Nahen Osten stand Afrika im Fokus der migrations- und sicher­heitspoli­tischen Bemühungen Europas. Im Juli 2023 unterzeich­nete die EU ein Wirtschafts- und Migra­tions­abkommen mit Tunesien. Im März 2024 folgten ähnliche Abkommen mit Ägyp­ten und Mauretanien. Die Migrationssteuerung findet auch Eingang in die Man­date der EU-Missionen und -Operationen. Mit den jeweiligen Partnerstaaten wurden zu diesem Zweck entsprechende Abkommen geschlossen. Für die militärische Ertüchtigung Benins, Ghanas, Kameruns, Somalias, der Côte d’Ivoire und der Afrikanischen Union stellte die EU mehrere Millionen Euro aus der Europäischen Friedensfazilität (EFF) bereit. Gleich­zeitig verlängerte der Rat die Mandate verschiedener EU-Trainings- und Ausbildungsmissionen, unter anderem in Mosambik und Libyen. Zur Durch­führung dieser Mandate werden mit den ent­sprechen­den Drittstaaten sogenannte Memorandums of Understanding (MoUs) abgeschlossen, die allesamt ihren Schwerpunkt auf die Sicher­heit legen. Die Sicherheits- und Verteidigungsinitiative der EU im Golf von Guinea zielt vor allem darauf, Soldaten und Poli­zis­ten der vier Anrainerstaaten für den Kampf gegen terroristische Bedrohungen auszubilden. Der Erstbeschluss vom August 2023 be­zog sich zunächst nur auf Ghana und Benin. Im September 2023 wurde die Mission je­doch um Côte d’Ivoire und Togo erweitert.

Ressourcensicherheit priorisiert

Ein weiterer Beleg für die Versicherheit­lichung des EU-Außen­handelns ist die Auf­wertung, die das Thema Ressourcensicherheit erfährt. Im Mai 2024 trat eine Ver­ord­nung zu kritischen Rohstoffen in Kraft, die Parameter zur Gewinnung, Verarbeitung und zum Recyclen von kritischen Rohstoffen in der EU festlegt. Flankiert wurde die Roh­stoff­initiative durch bilaterale Vereinbarun­gen. Im Juli 2023 autorisierte der Rat die Kommission zur Aufnahme von Verhand­lungen mit den USA über ein Abkom­men zu Lieferketten für kritische Mineralien. Im Februar 2024 unterzeichneten die EU und Ruanda eine Vereinbarung über die Ab­siche­rung von Wertschöpfungsketten für kritische Rohstoffe. Einen Monat später folgte ein Abkommen über nachhaltige Investitionsförderung mit Angola. Ebenfalls im März 2024 billigte der Rat ein bilaterales Handelsabkommen mit Chile, das der EU einen besseren Zugang zu Rohstoffen wie Lithium, Kupfer und Wasserstoff ermög­lichen soll. Im Mai 2024 schließlich unter­schrieben die EU und Australien eine Ab­sichtserklärung zur Zusammenarbeit bei kritischen und strategischen Materialien. Eine ähnliche Partnerschaft wurde wenig später mit Usbe­kistan unterzeichnet. Ein­gerahmt wurden diese länderspezifischen Vereinbarungen von einer Verordnung vom November 2023 zum Schutz der EU vor wirtschaftlichem Zwang durch Drittländer. Die zahlreichen Partnerschafts-, Handels- und Rohstoffabkommen, die Bemühungen um ein De-Risking und Friend-Shoring zeigen, dass der kleinste gemeinsame Nen­ner einer primär normenbasierten euro­päischen Außen­politik in der Wahrung eigener wirtschafts- und sicherheitspolitischer Inter­essen der EU besteht.

De-Risking gegenüber China?

Die handelspolitische Abhängigkeit der EU von China ist vor allem im Bereich grüner Technologien stark ausgeprägt. Das EU-Zentralasien-Ministertreffen im Oktober 2023 und der Abschluss einer strategischen Partnerschaft mit Japan im April 2024 sind Ausdruck eines Diversifizierungsbemühens, das jedoch von der geopolitischen Bedeutung der China-Politik der EU überlagert wird. Die im Juni 2023 beschlossene Stra­tegie des De-Riskings gegenüber China blieb weitestgehend substanzlos. Dies zeigte sich auch an einer im Oktober 2023 veröffentlichten Liste kritischer Technologien, deren Transfer nach Peking vermieden werden soll: Die Kürze der Liste lässt darauf schlie­ßen, dass es sich um einen kleinsten ge­meinsamen Nenner handelt, von dem aus die EU keine strategische Risikominimierung wird vorantreiben kön­nen. Das gänz­liche Fehlen transformationsrelevanter Technologien in der Liste ist Beleg dafür, dass Europa seine Importabhängigkeit in diesem Sektor realistischerweise nicht wird abbauen können.

Die Konsequenzen dieser Einengung des EU-Außenhandelns zwischen einen Ver­einigten Staaten, die im Bereich der grünen Transformation zuneh­mend auf Eigen­ständigkeit pochen, einerseits und einem China, von dem man im hohen Maße öko­nomisch ab­hängig ist, andererseits spitzen sich zu. Während Washington massive Strafzölle auf chine­sische Elektrofahrzeuge, aber auch auf Solarzellen und Halbleiter ver­hängte, beschloss die EU-Kommission vorläufige und moderate Zollerhöhungen, obwohl eine Untersuchung eine deutliche Marktverzerrung durch chinesische Sub­ventionen festgestellt hatte. Das De-Risking stößt dort an seine Grenzen, wo der Dissens zwischen den Mitgliedstaaten beginnt: Wäh­rend Frankreich Strafzölle befür­wortete, waren aus Deutschland vermehrt kritische Stim­men zu vernehmen, aus denen die Angst vor einem Handelskrieg sprach. In Bezug auf die strategische Ausrichtung gegenüber China (Partner, Wettbewerber, Rivale) herrscht in der EU Unstimmigkeit.

Global Gateway und Mercosur

Über bilaterale Initiativen hinaus vertieft die EU regionale Wirtschaftskooperationen. Angesichts des anhaltenden Krieges in der Ukraine, insbesondere aber des Konflikts zwischen den USA und China betont der Rat immer wieder die Notwendigkeit einer Stärkung internationaler Partnerschaften, zuvorderst mit Hilfe der Global-Gateway-Strategie (GGS) und des »Team Europe«-An­satzes. Die GGS wird gemeinhin als euro­päische Antwort auf das chinesische Seiden­straßenprojekt verstanden. Im Zeitraum 2021–2027 sollen unter dem Dach der Ini­tiative in Partnerländern Infrastruktur- und Nachhaltigkeitsprojekte in einem Gesamtvolumen von bis zu 300 Milliarden Euro finanziert werden. Im Oktober 2023 fand das erste Global-Gateway-Forum statt. Dort wurden Finanzierungszusagen von über 3 Milliarden Euro getroffen. Gleichzeitig unterzeichnete die EU sogenannte Rohstoff­abkommen mit der Demokratischen Repu­blik Kongo (DR Kongo) und Sambia, und eine Vereinbarung mit den USA, Angola, der DR Kongo und Sambia zur Wieder­belebung des Lobito-Korridors, über den kritische Roh­stoffe aus der DR Kongo an die afrikanische Westküste gelangen sollen. Ebenfalls im Rahmen der GGS unterzeich­neten die EU und die Afrikanische Entwick­lungsbank im Januar 2024 ein Koopera­tions­abkommen.

Zusammenfassend lassen sich aus den von der EU geschlossenen Partnerschafts-, Handels- und Rohstoffabkommen also zweierlei Schlüsse ziehen: Zum einen wird deutlich, dass mit Blick auf Afrika, den Nahen Osten, aber auch die Ukraine eine Versicherheitlichung der Vereinbarungen zu beobachten ist und zahlreiche Aspekte der Vereinbarungen unter den Agendapunkt Sicherheit der EU und ihrer Mitglied­staaten fallen. Andererseits wird ersichtlich, dass der De‑Risking-Ansatz der EU-Kom­mission in Bezug auf China von den diver­gierenden Interessen der Mitgliedstaaten unterminiert wird.

Neue Finanzinstrumente zur militäri­schen Ausrüstung der Mitglied­staaten

Auch in der EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik nimmt seit der ersten Amtszeit Donald Trumps die Anzahl von Finanz­instru­menten zu. Der wohl bedeutendste bisherige Pfeiler dieser Entwicklung ist der 2021 eingeführte Europäische Verteidigungsfonds (European Defence Fund, EDF), aus dessen Mitteln in Höhe von rund 8 Mil­liarden Euro (die Kommission schlug zu­nächst 13 Mrd. Euro vor) gemeinschaftliche Forschung an Rüstungsgütern finanziert und Entwicklung ko­finanziert werden soll. Vorher schon hatte die EU vorbereitende Maßnahmen im Bereich Verteidigungs­forschung (Preparatory Action on Defence Research, PADR) und das Europäische Pro­gramm zur industriellen Entwicklung im Verteidigungsbereich (Euro­pean Defence Industrial Development Programme, EDIDP) auf den Weg gebracht. Dabei war die PADR bereits für die Jahre 2017–2019 angesetzt, während das EDIDP für den Zeitraum 2019–2020 aufgelegt wurde. Wurden mit dem EDF und seinen Vorgängerprogrammen nur Maß­nahmen gefördert, welche die Forschungs- und Entwicklungsphase von Verteidigungsgütern betrafen, änderte sich mit Russlands Vollinvasion umgehend die Ausrichtung der verteidigungspolitischen EU-Finanzinstrumente. Das 2023 geschaffene Instrument zur Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie durch gemein­same Beschaffung (European Defence Indus­try Reinforcement through common Pro­curement Act, EDIRPA) etwa soll die ge­meinsame Akquise von Rüstungs­gütern der Mitgliedstaaten durch gezielte Anreize för­dern. Es versteht sich damit als eine Ergän­zung zum EDF. Für seine Aufgaben steht EDIRPA eine Mittelausstattung von 310 Mil­lionen Euro zur Verfügung, die aus Haus­haltsreserven für die Jahre 2023 und 2024 entnommen werden. Dabei bewegt sich das Finanzvolumen deutlich unter den von der Kommission anvisierten 500 Millio­nen Euro. Grund dafür ist der erhöhte Mittel­bedarf für das Instrument zur Förderung der Munitionsproduktion (Act in Support of Ammunition Production, ASAP), das die Kapazitäten der EU‑27 im Hinblick auf die Munitionsherstellung erhöhen soll. Bei ASAP liegt der Fokus auf der Wiederaufstockung der Bestände der Mitglied­staaten, die angesichts der Lieferungen von hoch­kalibriger Munition und Raketen an die Ukraine zunehmend geschrumpft sind. Hierzu stehen ASAP aktuell 500 Millionen Euro aus ebenjenen Haushaltsüberschüssen zur Verfügung.

Schließlich wurde auf dem Sondergipfel des Europäischen Rates im März 2025 eine Einigung über die Anpassung der Kreditvergaberichtlinien der Europäischen Inves­ti­tionsbank (EIB) für bisher ausgeschlossene Aktivitäten im Verteidigungsbereich und eine Erhöhung des verfügbaren Finanzierungsvolumens erzielt. Dies vereinfacht die angekündigte enge Zusammenarbeit der Bank mit der Europäischen Verteidigungsagentur (European Defence Agency, EDA). Die Ver­ordnung zu EDIRPA vom Oktober 2023 und die Erweiterung der Kompetenzen der EDA in Sachen Rüstungsbeschaf­fung im Mai 2024 flankieren die Finanz­zusagen. Im März 2024 legte die Kommis­sion darüber hinaus den Vorschlag für eine Verordnung für die europäische Verteidigungsindustrie (EDIP) vor. Mit der Initiative ist für den Rest der Laufzeit des aktu­ellen Mehrjährigen Finanzrahmens ein Fonds im Umfang von 1,5 Milliarden Euro verknüpft, der dazu beitragen soll, die kurzfristigen Instrumente EDIRPA und ASAP bis 2027 zu verstetigen. EDIP befin­det sich gegenwärtig noch im Abstimmungsprozess zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten und es ist offen, inwiefern die aktuellen funda­mentalen Verschiebungen der europäischen Sicherheitsordnung auch diesen Pro­zess be­schleunigen können.

… und zur militärischen Ertüchtigung von Drittstaaten

Zu einem weiteren Eckpfeiler der Finan­zie­rung europäischer Sicherheit hat sich die haushaltsexterne Europäische Friedens­fazilität (European Peace Facility, EPF) ent­wickelt. Angelegt wurde die EPF einer­seits zur Finanzierung der gemeinsamen Kosten von EU-Militäropera­tionen (als Er­satz für den Athena Mechanismus), anderer­seits zur Unterstützung der Streitkräftekapazitäten von Drittländern oder internationalen und regionalen Organisationen bzw. zur Über­nahme der Kosten für die ausdrücklich militärischen Aspekte von Friedensunterstützungseinsätzen, die von einem Dritt­land oder einer regionalen oder internationalen Organisation durch­geführt werden.

Die Mittel, die der EPF für den Zeitraum 2021–2027 zur Verfügung stehen, waren ursprünglich auf 5,69 Milliarden Euro be­grenzt, wurden aber infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in meh­reren Schritten auf 17 Milliarden Euro er­höht. Im März 2024 beschloss der Rat eine weitere Aufstockung der EPF um ins­gesamt 5 Milliarden Euro zugunsten Kiews.

Jenseits militärischer Unterstützung rich­tete die EU im Rahmen der EFF eine eigene Ukraine-Fazilität ein, die im März 2024 in Kraft trat und aus der dem Land am Dnepr für die nächsten vier Jahre bis zu 50 Mil­liarden Euro für Wiederaufbau und Moder­nisierung zur Verfügung stehen sollen. Bereits im November 2023 hatten sich die Mitgliedstaaten auf die Bereitstellung von 194 Millionen Euro für die Mission zur Unter­stützung der Ukraine (EUMAM) ge­einigt. Schließlich verlängerte die EU auch ihre Mission zur Reform des ukrainischen Sicherheitssektors bis 2027. Damit baut Brüssel zunehmend deutlich an einer zwei­ten Säule der Unterstützung der Ukraine, die über direkte militärische Hilfe hinausgeht und die EU-Perspektive des Landes nach einem möglichen Kriegsende stützt. Im Juni 2024 haben die Mit­gliedstaaten die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und der Republik Moldau eröffnet.

An diesen vielfältigen Aktivitäten wird deutlich, dass die Mitgliedstaaten und die Kommis­sion durchaus bereit sind, Instrumente zur mittel- und unmittelbaren Finan­zierung von Rüstungs- und Verteidigungsprojekten zu schaffen.

Ungeachtet jener Fortschritte fehlt es weiterhin an ernsthaften und wirksamen Initiativen, die den Abbau der strukturellen Defizite der europäischen Außen-, Sicher­heits- und Verteidigungspolitik adressieren. Der europäische Verteidigungsmarkt ist un­verändert stark fragmentiert, militärische Fähigkeiten größerer Mitgliedstaaten wer­den also nach wie vor mehrfach und ohne effektive zentrale Koordinierung vorgehalten. Auch der »ReArm-Europe«-Vorschlag der Kommission vom März 2025, der unter anderem 150 Milliarden Euro an Krediten zur Mobilisierung zusätzlicher Verteidigungsausgaben vorsieht, wird kaum dazu beitragen können, die Fragmentierung des Rüstungsmarkts zu überwinden. Inwieweit die angekündigte Anpassung der natio­nalen Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts bzw. dessen grundsätz­liche Überarbeitung die avisierten 650 Mil­liarden Euro an zusätzlichen nationalen Verteidigungsausgaben mobilisieren kann, bleibt abzuwarten.

Ergebnisse und Optionen der Europäisierung

Eine genauere Betrachtung des Prozesses der Versicherheitlichung des auswärtigen Handelns der EU erbringt mehrere Erkennt­nisse in Bezug auf die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Euro­pas: Erstens handelt es sich bei der Ver­sicher­heitlichung um eine gezielte »policy« von EU-Institu­tionen, die Bereiche identifizieren, in denen sie ihr auswärtiges Handeln zuneh­mend nach strategischen sicherheitspolitischen Interessen neu ausrichten bzw. nach­justieren. Ein Beispiel hierfür ist die Global-Gateway-Strategie, die als eine infra­strukturpolitische Gegenoffensive der EU zur Belt and Road Initiative der Chinesen zu betrachten ist.

Zweitens wird im Hinblick auf ihre aus­wärtigen Beziehungen das bewusste Be­mühen der EU sichtbar, die Integration in einem Bereich (z.B. Binnenmarkt) in andere Bereiche (z.B. Rohstoff- oder Umweltpolitik) zu übertragen. Bei­spielhaft hierfür steht das Abkommen vom Juli 2024 mit Serbien zur Lithiumförderung, das als Baustein der technologischen und ökologischen Trans­formation des Binnenmarkts dienen soll.

Drittens arbeiten private und staatliche Akteure eng mit der EU-Kommission zu­sam­men, um die Projekte, Förder- oder Investitionsprogramme in Dritt­staaten auf sichere Lieferketten und auf die Res­sour­censicherheit der EU auszurichten (z. B. Global Gateway).

Der Prozess der Versicherheitlichung mag vor dem Hintergrund des rus­sischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gerechtfertigt gewesen sein. Das Kernproblem der außen- und sicherheitspolitischen Handlungs(un)fähigkeit der EU hat er hingegen nicht gelöst. Im Gegenteil: Der außen- und sicherheitspolitische Spielraum gegenüber den USA hat sich weiter verengt. Unterm Strich wird die skizzierte Versicherheit­lichung im transatlantischen Verhältnis dem Transaktionalismus in der Außen- und Sicherheitspolitik in die Hände spielen. Zu einer Stärkung der europäischen Handlungsfähigkeit, wie sie einst Emmanuel Macron mit dem Ansatz der »europäischen Souveränität« skizziert hat, wird die Ver­sicherheitlichung und damit die Verengung des Aktionsrahmens der EU-Außenpolitik nicht beitragen können.

So verbleibt der EU allein über institutionelle Reformen die Möglichkeit, sich im neuen geopolitischen Zeitalter der Trump-Administration zu behaupten. Dafür stehen ihr zwei Optionen zur Verfügung (siehe SWP-Aktuell 65/2018): 1) Ein grundlegender struktureller Um­bau der europäischen Außen- und Sicher­heitspolitik, der die Einführung von quali­fizierten Mehrheitsentscheidungen und die Bereitstellung mas­siver finanzieller Res­sour­cen aus diversi­fizierten Quellen um­fasst (EU-Haushalt, Schul­denaufnahme, veränderte Rahmen­bedingungen der EIB). Denn: Ein »strategisches Abhängigkeitsmanagement« in der Außen- und Sicherheitspolitik und eine größere Widerstandsfähigkeit der EU im Sinne eines De-Risking ließe sich allein durch eine vergemeinschaftete Außenpolitik einlösen. Will die EU auch der Anfechtung des Multilateralismus durch die USA etwas entgegensetzen, wäre anzuraten, dass die Europäer die Gangart einer Gegenmacht­bildung (Hard Balancing) gegenüber den USA wählen. Die EU gilt selbst als ein multi­laterales bzw. supranationales Projekt, was sich in Krisen­zeiten bewähren muss, um als Vorbild für andere Regionen über­haupt dienen zu können. Gelingt dies nicht, muss 2) außerhalb der EU-Verträge ein Europäischer Sicherheitsrat geschaffen werden, der mindestens Deutschland, Frank­reich, Polen und Groß­britannien umfassen sollte und je nach regionalem und thema­tischem Schwerpunkt weitere Staaten ad hoc einlädt. Dessen Hauptaufgabe wird darin bestehen, internationale Koalitionen der Willigen zu schließen, die auf der Grund­lage geteilter Werte bereit für multilaterale Lösungen sind.

Die EU wird die Europäisierung der GASP/GSVP nicht auf die lange Bank schie­ben können, wie sie es in den letzten Jah­ren getan hat (vgl. SWP Comment 19/2024). Denn eine Zerstrittenheit, die die EU intern kenn­zeich­net, dürfte sich auch weiterhin in einem frag­mentierten Außenhandeln manifestieren, was sich Europa nicht mehr länger er­lauben kann. Deshalb sind die Vergemeinschaftung und/oder die Ein­führung eines Europäischen Sicherheitsrats wichtige politische Lösungen.

Max Becker ist Forschungsassistent der Forschungsgruppe EU / Europa. Dr. Annegret Bendiek und Dr. Ronja Kempin sind Senior Fellows in der Forschungsgruppe EU / Europa.

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