Seit der russischen Vollinvasion der Ukraine am 24. Februar 2022 lässt sich eine Versicherheitlichung des auswärtigen Handelns der Europäischen Union (EU) beobachten. Institutionell betrachtet wird die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zunehmend von der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) überlagert. Damit wird aber nicht das Problem der defizitären außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit gelöst. Im Gegenteil: Der Trend zur Versicherheitlichung der EU-Außenpolitik lenkt von der längst überfälligen Reform zur Stärkung ebendieser außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit Europas ab. Um diese endlich zu verbessern, bieten sich zwei Optionen an: a) eine Europäisierung des europäischen Pfeilers in der Nato und b) eine Vergemeinschaftung der GASP und der GSVP.
Seit der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2025 und der öffentlichen Bloßstellung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj durch Donald Trump und J.D. Vance besteht kein Zweifel daran, dass die USA nicht länger Sicherheitsgarant Europas sein wollen. Weder wollen sie die Ukraine in die Nato aufnehmen noch einen möglichen Waffenstillstand an der russisch-ukrainischen Grenze mit eigenen Soldaten oder durch Sicherheitsgarantien für die eingesetzten Soldat:innen absichern. Diese Aufgabe sollen die Europäer:innen übernehmen – ohne Rückgriff auf die Nato und ohne Sicherheitsgarantien der USA, sollten sie in einen Konflikt mit Moskau geraten.
Diese neue Realität trifft die europäischen Staaten hart, weil sie sich selbst, wie auch die EU, alternativlos in eine militärische und sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA begeben haben. Mit den Nato-Beitritten Finnlands und Schwedens in den Jahren 2023 und 2024 hat sich die Zahl der bündnisfreien Mitgliedstaaten in der EU verringert. Die USA haben mit zahlreichen Nato-Staaten, etwa Schweden, Norwegen und jüngst Finnland, bilaterale Verteidigungsabkommen abgeschlossen mit dem Ziel, den Zugang amerikanischer Streitkräfte zu Militärbasen in diesen Ländern zu ermöglichen oder zu erweitern. Zudem haben die EU und die Nato in den letzten Jahren ihre strategische Partnerschaft verstärkt. Im Januar 2023 unterzeichneten die beiden Organisationen ihre dritte gemeinsame Erklärung zur Zusammenarbeit.
Gleichzeitig sind die wirtschaftspolitischen Beziehungen zwischen Europa und den USA stark von Konkurrenz geprägt. Mit dem Inflation Reduction Act (IRA) hatte Washington 2022 den Grundstein für eine intensivierte Standortpolitik gelegt, der die EU mit ihrem Green Deal Industrial Plan kein finanziell gleichwertig ausgestattetes Projekt entgegenzusetzen vermochte. Hinzu kommt, dass US-Präsident Donald Trump nicht davor zurückschreckt, die Interessen der USA auch gegen die EU durchzusetzen, und dabei in Kauf nimmt, die regulative Macht der EU zu neutralisieren. Es zeigt sich immer deutlicher, dass das Ziel der USA augenscheinlich darin besteht, die EU-Mitgliedstaaten gegeneinander auszuspielen und die Union politisch zu spalten.
Vor dem Hintergrund der Abwendung der USA von Europa konnte auf dem Sondergipfel des Europäischen Rates am 6. März 2025 durchaus Einigkeit darüber erzielt werden, dass künftig massiv in die Verteidigung der nationalen Streitkräfte investiert werden muss. Ebenso zeichnet sich die Bereitschaft ab, in der Frage der Absicherung eines möglichen »Friedens« in der Ukraine, etwa durch europäische Sicherheitsgarantien, verstärkt Koalitionen der Willigen zu bilden, um Vetospielern wie dem ungarischen Ministerpräsidenten die Blockadeoption zu entziehen. Uneinigkeit gab es über das »ReArm Europe«-Programm und mögliche Ausnahmen bei den Schuldenregeln. Es gibt bisher auch keinen Fortschritt bei der notwendigen institutionellen Reform der GASP und GSVP, etwa in Form der verstärkten Nutzung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen, der Einführung eines Europäischen Sicherheitsrats oder der Vergemeinschaftung der GASP/GSVP (siehe SWP Comment 19/2024, SWP-Aktuell 24/2024). Vielmehr ist zu erwarten, dass die widerstreitenden Interessen der Mitgliedstaaten diese weiterhin verunmöglichen. Bereits vor Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine liefen Versuche ins Leere, qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der GASP einzuführen oder einen Europäischen Sicherheitsrat einzurichten. Nationale Souveränitätsvorbehalte oder divergierende wirtschaftliche Interessen sind darüber hinaus mitverantwortlich dafür, dass die Erweiterung der EU zum Erliegen kam und die EU-Sanktionen gegen Russland nicht effektiv umgesetzt wurden.
Versicherheitlichung des EU-Außenhandelns
Um das Problem der unvereinbaren mitgliedstaatlichen Interessen einzuhegen, hat sich seit Beginn des Ukraine-Krieges im auswärtigen Handeln der EU (Titel V EUV) ein Prozess der Versicherheitlichung herausgebildet, bei dem die Lösung struktureller Probleme dieses Politikfelds aber gleichzeitig ausgeklammert wird.
Der Begriff der »Versicherheitlichung« (engl. »securitization«) wurde in den 1990er Jahren von Wissenschaftler:innen der sogenannten Kopenhagener Schule geprägt. Danach besteht das Ziel staatlichen Handelns darin, militärpolitische Maßnahmen zu legitimieren, die unter normalen Umständen nicht durchsetzbar wären. Dieses Vorhaben gelingt, so die These, wenn Themen so dargestellt bzw. »geframt« werden, dass mit ihnen eine Bedrohung für die eigene Bevölkerung verknüpft wird.
Überträgt man diesen Ansatz auf die gegenwärtige Politik der EU, fällt auf, dass die GASP wie auch die anderen Bereiche des auswärtigen Handelns – Handels-, Assoziierungs- und Entwicklungspolitik –, die in ausschließlicher bzw. geteilter Kompetenz zwischen der EU und den Mitgliedstaaten liegen, durch neue Finanzinstrumente auf die Rüstungs- und Verteidigungspolitik ausgerichtet werden. So wird die GASP gewissermaßen von ihrem sicherheits- und verteidigungspolitischen Teil, der GSVP, durchdrungen. Darüber hinaus werden Themen wie Partnerschafts- und Sektoralabkommen, die früher als eher technokratisch und unpolitisch galten, zum Gegenstand der sicherheits- und verteidigungspolitischen Selbstbehauptung Europas. Über diesen Prozess der Versicherheitlichung der Außenpolitik gelingt es den EU-Institutionen, allen voran der Europäischen Kommission, Zugriff auf neue Politikbereiche (Rüstungsindustrie) zu erlangen und andere Politikbereiche (Erweiterung, Sanktionen) zu dynamisieren. In wieder anderen Politikfeldern (Migration) passen die EU-Institutionen durch das sogenannte Policy-Framing ihre Politiken an die der Mitgliedstaaten an und richten bereits getroffene Regeln auf den Schutz des EU-Territoriums aus. Schließlich wird die außenwirtschaftspolitische Dimension des auswärtigen Handelns der EU neu justiert auf die Ziele De-Risking, Friend-Shoring und De-Coupling. Machtpolitisch scheint die EU-Kommission am stärksten von diesen Tendenzen zu profitieren, weil die Binnenmarktregeln auf die Beschaffung von Rüstungsgütern ausgeweitet wurden. Wenn die EU-Kommission ihre Rolle in der Rüstungspolitik ausbaut, indem sie (private) Unternehmen und Sicherheitsakteure in den politischen Prozess auf EU-Ebene einbringt, verstärkt sie damit auch ihre Verhandlungsmacht gegenüber den Mitgliedstaaten in der gemeinsamen Rüstungskooperation.
Gleichzeitig stößt der übergeordnete Integrationstrend der Versicherheitlichung dort an seine Grenzen, wo die EU-27 politisch uneins und strategisch und außenwirtschaftlich nicht in der Lage ist, kohärent gegenüber Drittstaaten aufzutreten.
Sanktionen neuer Qualität
Seit dem Beginn der russischen Vollinvasion der Ukraine hat die EU ein bisher beispielloses Sanktionsregime gegen Moskau etabliert. Aufbauend auf den Restriktionen, die sie 2014 im Rahmen der Krim-Annexion initiiert hatte, verabschiedete die EU bis heute 16 Sanktionspakete. Damit sind über 1.800 Einzelpersonen und mehr als 500 Einrichtungen von den Sanktionen betroffen. Die Maßnahmen umfassen unter anderem Reiseverbote, das Einfrieren von Vermögen und das Verwehren des Zugangs zu finanziellen und wirtschaftlichen Ressourcen. Als Reaktion auf den Tod von Aleksei Navalnyi sind davon auch Leiter:innen russischer Strafkolonien und hochrangige Beamte des Justizministeriums betroffen.
Die Erweiterung des europäischen Sanktionsregimes blieb nicht auf Russland beschränkt. Im Januar 2024 verabschiedete der Rat der EU (Rat) einen Beschluss zur Verhängung von Sanktionen gegen alle Unterstützer:innen der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihad, der die direkten Maßnahmen gegen beide Terrororganisationen aus dem Vorjahr ergänzt. Nach monatelangen Verhandlungen, bei denen zunächst unter anderem Deutschland blockiert hatte, einigten sich die EU-Außenminister:innen im März 2024 auch auf Sanktionen gegen radikale israelische Siedler:innen im Westjordanland. Weitere Sanktionen richteten sich gegen Iran, insbesondere vor dem Hintergrund des Angriffs auf Israel im April 2024 und der anhaltenden Waffenlieferungen an Russland, sowie gegen Syrien. Gegenüber Venezuela, der DR Kongo, Belarus und Myanmar wurden bestehende Restriktionen verlängert und ausgeweitet.
Parallel zur Erhöhung der Anzahl verschärfte die EU ihre Sanktionsmaßnahmen auch qualitativ. Gegenüber Russland zeigte sich dies vor allem im Beschluss des Rates vom Mai 2024, Zinserträge aus dem eingefrorenen Vermögen der russischen Zentralbank für militärische Ausrüstung und den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden. Im selben Monat erweiterte die EU den Anwendungsbereich ihrer Sanktionen. Erfasst wird nun auch die militärische Unterstützung des russischen Angriffskriegs durch Drohnen und Flugkörper und die Ausfuhr dafür notwendiger Komponenten. Diese Beschlüsse zielen primär auf Iran, der zeitgleich mit weiteren Restriktionen belegt wurde. Darüber hinaus einigten sich Rat und Parlament im April 2024 vor dem Hintergrund anhaltender Umgehungen von Sanktionen, die gegen Russland verhängt worden waren, auf die Einführung von Straftatbeständen bei entsprechenden Verstößen. Zukünftig können neben Einzelpersonen auch ganze Unternehmen wegen Sanktionsumgehung bestraft werden. In der Gesamtschau verfestigt sich damit der Eindruck eines Trends hin zu einer sicherheitspolitischen Vertiefung der europäischen Sanktionsinstrumente. Kennzeichnend dafür ist insbesondere die Ablösung klassischer Sanktionen gegen Menschenrechtsverletzungen durch Zwangsmaßnahmen gegen staatliche Akteure.
Versicherheitlichung von Drittstaatsabkommen
Seit mehreren Jahren nutzt die EU Drittstaatsabkommen nicht nur zur Migrationssteuerung und zur Gefahrenabwehr, sondern auch zur Erhöhung ihrer Ressourcensicherheit.
Im Bereich Migration und Sicherheit unterzeichnete die EU im September 2023 ein Partnerschaftsabkommen mit Albanien, das eine Verstärkung der operativen Zusammenarbeit im Kampf gegen grenzüberschreitende Kriminalität und gegen irreguläre Migration vorsieht. Ähnliche Abkommen waren zuvor mit Serbien (Neuauflage im Juni 2024), der Republik Moldau, Montenegro und Nordmazedonien vereinbart worden. Die siebte und die achte Geberkonferenz zur Zukunft Syriens und der Region im Juni 2023 und Mai 2024 waren stark von migrationspolitischen Zielsetzungen geprägt, mit dem Ergebnis, dass die Türkei, der Libanon, Jordanien und Irak finanzielle Unterstützung erhielten für ihre Bereitschaft, Geflüchtete aufzunehmen.
Neben dem Nahen Osten stand Afrika im Fokus der migrations- und sicherheitspolitischen Bemühungen Europas. Im Juli 2023 unterzeichnete die EU ein Wirtschafts- und Migrationsabkommen mit Tunesien. Im März 2024 folgten ähnliche Abkommen mit Ägypten und Mauretanien. Die Migrationssteuerung findet auch Eingang in die Mandate der EU-Missionen und -Operationen. Mit den jeweiligen Partnerstaaten wurden zu diesem Zweck entsprechende Abkommen geschlossen. Für die militärische Ertüchtigung Benins, Ghanas, Kameruns, Somalias, der Côte d’Ivoire und der Afrikanischen Union stellte die EU mehrere Millionen Euro aus der Europäischen Friedensfazilität (EFF) bereit. Gleichzeitig verlängerte der Rat die Mandate verschiedener EU-Trainings- und Ausbildungsmissionen, unter anderem in Mosambik und Libyen. Zur Durchführung dieser Mandate werden mit den entsprechenden Drittstaaten sogenannte Memorandums of Understanding (MoUs) abgeschlossen, die allesamt ihren Schwerpunkt auf die Sicherheit legen. Die Sicherheits- und Verteidigungsinitiative der EU im Golf von Guinea zielt vor allem darauf, Soldaten und Polizisten der vier Anrainerstaaten für den Kampf gegen terroristische Bedrohungen auszubilden. Der Erstbeschluss vom August 2023 bezog sich zunächst nur auf Ghana und Benin. Im September 2023 wurde die Mission jedoch um Côte d’Ivoire und Togo erweitert.
Ressourcensicherheit priorisiert
Ein weiterer Beleg für die Versicherheitlichung des EU-Außenhandelns ist die Aufwertung, die das Thema Ressourcensicherheit erfährt. Im Mai 2024 trat eine Verordnung zu kritischen Rohstoffen in Kraft, die Parameter zur Gewinnung, Verarbeitung und zum Recyclen von kritischen Rohstoffen in der EU festlegt. Flankiert wurde die Rohstoffinitiative durch bilaterale Vereinbarungen. Im Juli 2023 autorisierte der Rat die Kommission zur Aufnahme von Verhandlungen mit den USA über ein Abkommen zu Lieferketten für kritische Mineralien. Im Februar 2024 unterzeichneten die EU und Ruanda eine Vereinbarung über die Absicherung von Wertschöpfungsketten für kritische Rohstoffe. Einen Monat später folgte ein Abkommen über nachhaltige Investitionsförderung mit Angola. Ebenfalls im März 2024 billigte der Rat ein bilaterales Handelsabkommen mit Chile, das der EU einen besseren Zugang zu Rohstoffen wie Lithium, Kupfer und Wasserstoff ermöglichen soll. Im Mai 2024 schließlich unterschrieben die EU und Australien eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit bei kritischen und strategischen Materialien. Eine ähnliche Partnerschaft wurde wenig später mit Usbekistan unterzeichnet. Eingerahmt wurden diese länderspezifischen Vereinbarungen von einer Verordnung vom November 2023 zum Schutz der EU vor wirtschaftlichem Zwang durch Drittländer. Die zahlreichen Partnerschafts-, Handels- und Rohstoffabkommen, die Bemühungen um ein De-Risking und Friend-Shoring zeigen, dass der kleinste gemeinsame Nenner einer primär normenbasierten europäischen Außenpolitik in der Wahrung eigener wirtschafts- und sicherheitspolitischer Interessen der EU besteht.
De-Risking gegenüber China?
Die handelspolitische Abhängigkeit der EU von China ist vor allem im Bereich grüner Technologien stark ausgeprägt. Das EU-Zentralasien-Ministertreffen im Oktober 2023 und der Abschluss einer strategischen Partnerschaft mit Japan im April 2024 sind Ausdruck eines Diversifizierungsbemühens, das jedoch von der geopolitischen Bedeutung der China-Politik der EU überlagert wird. Die im Juni 2023 beschlossene Strategie des De-Riskings gegenüber China blieb weitestgehend substanzlos. Dies zeigte sich auch an einer im Oktober 2023 veröffentlichten Liste kritischer Technologien, deren Transfer nach Peking vermieden werden soll: Die Kürze der Liste lässt darauf schließen, dass es sich um einen kleinsten gemeinsamen Nenner handelt, von dem aus die EU keine strategische Risikominimierung wird vorantreiben können. Das gänzliche Fehlen transformationsrelevanter Technologien in der Liste ist Beleg dafür, dass Europa seine Importabhängigkeit in diesem Sektor realistischerweise nicht wird abbauen können.
Die Konsequenzen dieser Einengung des EU-Außenhandelns zwischen einen Vereinigten Staaten, die im Bereich der grünen Transformation zunehmend auf Eigenständigkeit pochen, einerseits und einem China, von dem man im hohen Maße ökonomisch abhängig ist, andererseits spitzen sich zu. Während Washington massive Strafzölle auf chinesische Elektrofahrzeuge, aber auch auf Solarzellen und Halbleiter verhängte, beschloss die EU-Kommission vorläufige und moderate Zollerhöhungen, obwohl eine Untersuchung eine deutliche Marktverzerrung durch chinesische Subventionen festgestellt hatte. Das De-Risking stößt dort an seine Grenzen, wo der Dissens zwischen den Mitgliedstaaten beginnt: Während Frankreich Strafzölle befürwortete, waren aus Deutschland vermehrt kritische Stimmen zu vernehmen, aus denen die Angst vor einem Handelskrieg sprach. In Bezug auf die strategische Ausrichtung gegenüber China (Partner, Wettbewerber, Rivale) herrscht in der EU Unstimmigkeit.
Global Gateway und Mercosur
Über bilaterale Initiativen hinaus vertieft die EU regionale Wirtschaftskooperationen. Angesichts des anhaltenden Krieges in der Ukraine, insbesondere aber des Konflikts zwischen den USA und China betont der Rat immer wieder die Notwendigkeit einer Stärkung internationaler Partnerschaften, zuvorderst mit Hilfe der Global-Gateway-Strategie (GGS) und des »Team Europe«-Ansatzes. Die GGS wird gemeinhin als europäische Antwort auf das chinesische Seidenstraßenprojekt verstanden. Im Zeitraum 2021–2027 sollen unter dem Dach der Initiative in Partnerländern Infrastruktur- und Nachhaltigkeitsprojekte in einem Gesamtvolumen von bis zu 300 Milliarden Euro finanziert werden. Im Oktober 2023 fand das erste Global-Gateway-Forum statt. Dort wurden Finanzierungszusagen von über 3 Milliarden Euro getroffen. Gleichzeitig unterzeichnete die EU sogenannte Rohstoffabkommen mit der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) und Sambia, und eine Vereinbarung mit den USA, Angola, der DR Kongo und Sambia zur Wiederbelebung des Lobito-Korridors, über den kritische Rohstoffe aus der DR Kongo an die afrikanische Westküste gelangen sollen. Ebenfalls im Rahmen der GGS unterzeichneten die EU und die Afrikanische Entwicklungsbank im Januar 2024 ein Kooperationsabkommen.
Zusammenfassend lassen sich aus den von der EU geschlossenen Partnerschafts-, Handels- und Rohstoffabkommen also zweierlei Schlüsse ziehen: Zum einen wird deutlich, dass mit Blick auf Afrika, den Nahen Osten, aber auch die Ukraine eine Versicherheitlichung der Vereinbarungen zu beobachten ist und zahlreiche Aspekte der Vereinbarungen unter den Agendapunkt Sicherheit der EU und ihrer Mitgliedstaaten fallen. Andererseits wird ersichtlich, dass der De‑Risking-Ansatz der EU-Kommission in Bezug auf China von den divergierenden Interessen der Mitgliedstaaten unterminiert wird.
Neue Finanzinstrumente zur militärischen Ausrüstung der Mitgliedstaaten
Auch in der EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik nimmt seit der ersten Amtszeit Donald Trumps die Anzahl von Finanzinstrumenten zu. Der wohl bedeutendste bisherige Pfeiler dieser Entwicklung ist der 2021 eingeführte Europäische Verteidigungsfonds (European Defence Fund, EDF), aus dessen Mitteln in Höhe von rund 8 Milliarden Euro (die Kommission schlug zunächst 13 Mrd. Euro vor) gemeinschaftliche Forschung an Rüstungsgütern finanziert und Entwicklung kofinanziert werden soll. Vorher schon hatte die EU vorbereitende Maßnahmen im Bereich Verteidigungsforschung (Preparatory Action on Defence Research, PADR) und das Europäische Programm zur industriellen Entwicklung im Verteidigungsbereich (European Defence Industrial Development Programme, EDIDP) auf den Weg gebracht. Dabei war die PADR bereits für die Jahre 2017–2019 angesetzt, während das EDIDP für den Zeitraum 2019–2020 aufgelegt wurde. Wurden mit dem EDF und seinen Vorgängerprogrammen nur Maßnahmen gefördert, welche die Forschungs- und Entwicklungsphase von Verteidigungsgütern betrafen, änderte sich mit Russlands Vollinvasion umgehend die Ausrichtung der verteidigungspolitischen EU-Finanzinstrumente. Das 2023 geschaffene Instrument zur Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie durch gemeinsame Beschaffung (European Defence Industry Reinforcement through common Procurement Act, EDIRPA) etwa soll die gemeinsame Akquise von Rüstungsgütern der Mitgliedstaaten durch gezielte Anreize fördern. Es versteht sich damit als eine Ergänzung zum EDF. Für seine Aufgaben steht EDIRPA eine Mittelausstattung von 310 Millionen Euro zur Verfügung, die aus Haushaltsreserven für die Jahre 2023 und 2024 entnommen werden. Dabei bewegt sich das Finanzvolumen deutlich unter den von der Kommission anvisierten 500 Millionen Euro. Grund dafür ist der erhöhte Mittelbedarf für das Instrument zur Förderung der Munitionsproduktion (Act in Support of Ammunition Production, ASAP), das die Kapazitäten der EU‑27 im Hinblick auf die Munitionsherstellung erhöhen soll. Bei ASAP liegt der Fokus auf der Wiederaufstockung der Bestände der Mitgliedstaaten, die angesichts der Lieferungen von hochkalibriger Munition und Raketen an die Ukraine zunehmend geschrumpft sind. Hierzu stehen ASAP aktuell 500 Millionen Euro aus ebenjenen Haushaltsüberschüssen zur Verfügung.
Schließlich wurde auf dem Sondergipfel des Europäischen Rates im März 2025 eine Einigung über die Anpassung der Kreditvergaberichtlinien der Europäischen Investitionsbank (EIB) für bisher ausgeschlossene Aktivitäten im Verteidigungsbereich und eine Erhöhung des verfügbaren Finanzierungsvolumens erzielt. Dies vereinfacht die angekündigte enge Zusammenarbeit der Bank mit der Europäischen Verteidigungsagentur (European Defence Agency, EDA). Die Verordnung zu EDIRPA vom Oktober 2023 und die Erweiterung der Kompetenzen der EDA in Sachen Rüstungsbeschaffung im Mai 2024 flankieren die Finanzzusagen. Im März 2024 legte die Kommission darüber hinaus den Vorschlag für eine Verordnung für die europäische Verteidigungsindustrie (EDIP) vor. Mit der Initiative ist für den Rest der Laufzeit des aktuellen Mehrjährigen Finanzrahmens ein Fonds im Umfang von 1,5 Milliarden Euro verknüpft, der dazu beitragen soll, die kurzfristigen Instrumente EDIRPA und ASAP bis 2027 zu verstetigen. EDIP befindet sich gegenwärtig noch im Abstimmungsprozess zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten und es ist offen, inwiefern die aktuellen fundamentalen Verschiebungen der europäischen Sicherheitsordnung auch diesen Prozess beschleunigen können.
… und zur militärischen Ertüchtigung von Drittstaaten
Zu einem weiteren Eckpfeiler der Finanzierung europäischer Sicherheit hat sich die haushaltsexterne Europäische Friedensfazilität (European Peace Facility, EPF) entwickelt. Angelegt wurde die EPF einerseits zur Finanzierung der gemeinsamen Kosten von EU-Militäroperationen (als Ersatz für den Athena Mechanismus), andererseits zur Unterstützung der Streitkräftekapazitäten von Drittländern oder internationalen und regionalen Organisationen bzw. zur Übernahme der Kosten für die ausdrücklich militärischen Aspekte von Friedensunterstützungseinsätzen, die von einem Drittland oder einer regionalen oder internationalen Organisation durchgeführt werden.
Die Mittel, die der EPF für den Zeitraum 2021–2027 zur Verfügung stehen, waren ursprünglich auf 5,69 Milliarden Euro begrenzt, wurden aber infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in mehreren Schritten auf 17 Milliarden Euro erhöht. Im März 2024 beschloss der Rat eine weitere Aufstockung der EPF um insgesamt 5 Milliarden Euro zugunsten Kiews.
Jenseits militärischer Unterstützung richtete die EU im Rahmen der EFF eine eigene Ukraine-Fazilität ein, die im März 2024 in Kraft trat und aus der dem Land am Dnepr für die nächsten vier Jahre bis zu 50 Milliarden Euro für Wiederaufbau und Modernisierung zur Verfügung stehen sollen. Bereits im November 2023 hatten sich die Mitgliedstaaten auf die Bereitstellung von 194 Millionen Euro für die Mission zur Unterstützung der Ukraine (EUMAM) geeinigt. Schließlich verlängerte die EU auch ihre Mission zur Reform des ukrainischen Sicherheitssektors bis 2027. Damit baut Brüssel zunehmend deutlich an einer zweiten Säule der Unterstützung der Ukraine, die über direkte militärische Hilfe hinausgeht und die EU-Perspektive des Landes nach einem möglichen Kriegsende stützt. Im Juni 2024 haben die Mitgliedstaaten die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und der Republik Moldau eröffnet.
An diesen vielfältigen Aktivitäten wird deutlich, dass die Mitgliedstaaten und die Kommission durchaus bereit sind, Instrumente zur mittel- und unmittelbaren Finanzierung von Rüstungs- und Verteidigungsprojekten zu schaffen.
Ungeachtet jener Fortschritte fehlt es weiterhin an ernsthaften und wirksamen Initiativen, die den Abbau der strukturellen Defizite der europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik adressieren. Der europäische Verteidigungsmarkt ist unverändert stark fragmentiert, militärische Fähigkeiten größerer Mitgliedstaaten werden also nach wie vor mehrfach und ohne effektive zentrale Koordinierung vorgehalten. Auch der »ReArm-Europe«-Vorschlag der Kommission vom März 2025, der unter anderem 150 Milliarden Euro an Krediten zur Mobilisierung zusätzlicher Verteidigungsausgaben vorsieht, wird kaum dazu beitragen können, die Fragmentierung des Rüstungsmarkts zu überwinden. Inwieweit die angekündigte Anpassung der nationalen Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts bzw. dessen grundsätzliche Überarbeitung die avisierten 650 Milliarden Euro an zusätzlichen nationalen Verteidigungsausgaben mobilisieren kann, bleibt abzuwarten.
Ergebnisse und Optionen der Europäisierung
Eine genauere Betrachtung des Prozesses der Versicherheitlichung des auswärtigen Handelns der EU erbringt mehrere Erkenntnisse in Bezug auf die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Europas: Erstens handelt es sich bei der Versicherheitlichung um eine gezielte »policy« von EU-Institutionen, die Bereiche identifizieren, in denen sie ihr auswärtiges Handeln zunehmend nach strategischen sicherheitspolitischen Interessen neu ausrichten bzw. nachjustieren. Ein Beispiel hierfür ist die Global-Gateway-Strategie, die als eine infrastrukturpolitische Gegenoffensive der EU zur Belt and Road Initiative der Chinesen zu betrachten ist.
Zweitens wird im Hinblick auf ihre auswärtigen Beziehungen das bewusste Bemühen der EU sichtbar, die Integration in einem Bereich (z.B. Binnenmarkt) in andere Bereiche (z.B. Rohstoff- oder Umweltpolitik) zu übertragen. Beispielhaft hierfür steht das Abkommen vom Juli 2024 mit Serbien zur Lithiumförderung, das als Baustein der technologischen und ökologischen Transformation des Binnenmarkts dienen soll.
Drittens arbeiten private und staatliche Akteure eng mit der EU-Kommission zusammen, um die Projekte, Förder- oder Investitionsprogramme in Drittstaaten auf sichere Lieferketten und auf die Ressourcensicherheit der EU auszurichten (z. B. Global Gateway).
Der Prozess der Versicherheitlichung mag vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gerechtfertigt gewesen sein. Das Kernproblem der außen- und sicherheitspolitischen Handlungs(un)fähigkeit der EU hat er hingegen nicht gelöst. Im Gegenteil: Der außen- und sicherheitspolitische Spielraum gegenüber den USA hat sich weiter verengt. Unterm Strich wird die skizzierte Versicherheitlichung im transatlantischen Verhältnis dem Transaktionalismus in der Außen- und Sicherheitspolitik in die Hände spielen. Zu einer Stärkung der europäischen Handlungsfähigkeit, wie sie einst Emmanuel Macron mit dem Ansatz der »europäischen Souveränität« skizziert hat, wird die Versicherheitlichung und damit die Verengung des Aktionsrahmens der EU-Außenpolitik nicht beitragen können.
So verbleibt der EU allein über institutionelle Reformen die Möglichkeit, sich im neuen geopolitischen Zeitalter der Trump-Administration zu behaupten. Dafür stehen ihr zwei Optionen zur Verfügung (siehe SWP-Aktuell 65/2018): 1) Ein grundlegender struktureller Umbau der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, der die Einführung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen und die Bereitstellung massiver finanzieller Ressourcen aus diversifizierten Quellen umfasst (EU-Haushalt, Schuldenaufnahme, veränderte Rahmenbedingungen der EIB). Denn: Ein »strategisches Abhängigkeitsmanagement« in der Außen- und Sicherheitspolitik und eine größere Widerstandsfähigkeit der EU im Sinne eines De-Risking ließe sich allein durch eine vergemeinschaftete Außenpolitik einlösen. Will die EU auch der Anfechtung des Multilateralismus durch die USA etwas entgegensetzen, wäre anzuraten, dass die Europäer die Gangart einer Gegenmachtbildung (Hard Balancing) gegenüber den USA wählen. Die EU gilt selbst als ein multilaterales bzw. supranationales Projekt, was sich in Krisenzeiten bewähren muss, um als Vorbild für andere Regionen überhaupt dienen zu können. Gelingt dies nicht, muss 2) außerhalb der EU-Verträge ein Europäischer Sicherheitsrat geschaffen werden, der mindestens Deutschland, Frankreich, Polen und Großbritannien umfassen sollte und je nach regionalem und thematischem Schwerpunkt weitere Staaten ad hoc einlädt. Dessen Hauptaufgabe wird darin bestehen, internationale Koalitionen der Willigen zu schließen, die auf der Grundlage geteilter Werte bereit für multilaterale Lösungen sind.
Die EU wird die Europäisierung der GASP/GSVP nicht auf die lange Bank schieben können, wie sie es in den letzten Jahren getan hat (vgl. SWP Comment 19/2024). Denn eine Zerstrittenheit, die die EU intern kennzeichnet, dürfte sich auch weiterhin in einem fragmentierten Außenhandeln manifestieren, was sich Europa nicht mehr länger erlauben kann. Deshalb sind die Vergemeinschaftung und/oder die Einführung eines Europäischen Sicherheitsrats wichtige politische Lösungen.
Max Becker ist Forschungsassistent der Forschungsgruppe EU / Europa. Dr. Annegret Bendiek und Dr. Ronja Kempin sind Senior Fellows in der Forschungsgruppe EU / Europa.
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DOI: 10.18449/2025A11