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Weltweit Gesundheitssysteme stärken

Eine neue Rolle für das ECDC in globaler Gesundheitspolitik

SWP-Aktuell 2020/A 102, 17.12.2020, 4 Seiten

doi:10.18449/2020A102

Forschungsgebiete

Im Rat der EU wird derzeit der Vorschlag einer Europäischen Gesundheitsunion dis­kutiert. Dabei ist vorgesehen, das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) zu stärken und sein Mandat auszuweiten. Vor diesem Hintergrund können sich das ECDC und die EU-Mitgliedstaaten für eine neue Rolle des ECDC stark­machen. Während das politische Gewicht der Mitgliedstaaten nötig ist, kann das ECDC seine regionalen und bilateralen Partnerschaften ausbauen, um über entwicklungspolitische Projekte Gesundheitssystemstärkung zu fördern. Dadurch böte sich dem ECDC die Möglichkeit, einen entscheidenden Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung und zur Agenda 2030 zu leisten.

Mitte November kündigte EU-Gesundheits­kommissarin Stella Kyriakides den Aufbau einer Europäischen Gesundheitsunion an. Dafür unterbreitete die Kommission Vor­schläge, die neben einem Beschluss zur Begegnung grenzüberschreitender Gesund­heitsgefahren legislative Neuerungen für die Europäische Agentur für Arzneimittel als auch für das ECDC vorsehen.

Das ECDC als ein Kernstück der geplanten Gesundheitsunion hat bislang nur ein be­grenztes Mandat, Mitgliedstaaten bei der Überwachung, Früherkennung und Analyse von Gesundheitskrisen zu unterstützen. Dabei ist es primär auf Europa ausgerichtet und spielte international eine eher un­bedeutende Rolle.

Laut Kommissionvorschlag soll sich dies ändern: Das ECDC soll global eine Führungsrolle einnehmen, indem es internationale Netzwerke sowie eine EU Health Taskforce aufbaut. Letztere soll in der EU und in Dritt­staaten bei Infektionsausbrüchen eingesetzt werden. Das Potential des ECDC, weltweit Gesundheitssysteme zu stärken, wird zwar erkannt, aber nicht ausgeschöpft. Der Vor­schlag lässt überdies entwicklungspolitische Perspektiven vermissen.

In den kommenden Monaten werden die Details in den Vorbereitungsgremien des Rates der EU und im Europäischen Par­lament diskutiert. Der deutsche Gesund­heits­minister hat als Verfechter einer globalen Rolle des ECDC unter den euro­päischen Partnern noch Überzeugungs­arbeit zu leisten, denn Akteure wie Frank­reich stehen noch nicht hinter dem Vor­haben. Gleichzeitig fehlen entwicklungs­politische Stimmen in der Debatte.

Warum das ECDC eine globale Ausrichtung braucht

Die Covid-19-Pandemie verdeutlicht die gemeinsame Verwundbarkeit von Ländern und ihren Gesundheitssystemen. Trotz eigener Betroffenheit ist Europa verantwortlich und in der Lage, andere Staaten und Organisa­tionen bei der Eindämmung der Pandemie zu unterstützen. Das Motto der EU Global Strategy von 2016 lautet denn auch: »My neighbour’s and my part­ner’s weaknesses are my own weaknesses«. So ließe sich das ECDC mit einem Mandat ausstatten, das nicht nur auf internationalen Infektionsschutz beschränkt ist. Die Agentur kann durch Stärkung von Gesund­heitssystemen dazu beitragen, dass das für die Gesundheit und das Wohlbefinden aller Menschen weltweit geltende Ziel nachhaltiger Ent­wicklung (SDG3) erreicht wird.

Ein verstärktes Engagement in globaler Gesundheit würde das ECDC und die EU als Partner für multilaterale Zusammen­arbeit anschlussfähiger machen. Die USA, lange Hauptakteur in globaler Gesundheit, verabschiedeten sich inmitten der Pan­demie von der internationalen Bühne. Auch wenn der designierte Präsident Joe Biden ankündigte, die USA würden ihre Führungsrolle in globaler Gesundheit wie­der aufnehmen, werden sie zunächst damit beschäftigt sein, die Pandemie im eigenen Land zu bewältigen und internationales Vertrauen zurückzugewinnen. Damit wachsen Erwartungen an die EU, globale Gesundheit proaktiv zu gestalten.

Das ECDC kann auch die Umsetzung der wertorientierten Außenpolitik der EU un­ter­stützen. Ein zentraler Wert der globalen Gesundheitspolitik der EU ist dabei das Recht auf Gesundheit. Ihm kann das ECDC in der internationalen Zusammenarbeit Geltung verschaffen, indem es sich für resiliente Ge­sundheitssysteme engagiert. Sein originärer Fokus auf Krankheitsprävention und Über­wachung schafft außerdem die Basis für Be­mühungen, außereuropäische Gesundheits­systeme bei Krisenprävention und Gesundheitsschutz zu unterstützen und Erfahrun­gen auszutauschen. Beispielhaft ist das Cen­ters for Disease Control and Prevention (CDC) der USA, das sich als Entwicklungsakteur un­ter anderem für globalen Gesundheitsschutz und die Eindämmung von HIV und Tuber­kulose einsetzt. Das ECDC kann auf eigene Stärken aufbauen und einen europäischen Ansatz für die Stärkung von Gesundheits­systemen und Infektionsschutz beisteuern.

Ein globales Mandat

Die Gründungsverordnung verleiht der Agentur das Mandat, global zu agieren, wenn Ausbrüche von Infektionskrankheiten die Gesundheit von EU-Bürgerinnen und ‑Bürgern bedrohen. Dafür soll das ECDC mit Drittstaaten und ihren Behörden (Artikel 3) sowie mit internationalen Orga­nisationen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammenarbeiten (Artikel 9).

Die globale Handlungsfähigkeit lässt sich aus zwei Prinzipien ableiten, die für das En­gagement der EU in diesem Feld gelten: dem Menschenrecht auf Gesundheit und dem Gesundheitsschutz. Zurzeit werden welt­weite Aktivitäten des Zentrums vorrangig mit dem Infektionsschutz der europäischen Bevölkerung begründet und beschränken sich mehrheitlich auf Projekte in Europas Nachbarschaft; der Kommissionsvorschlag und die International Relations Policy des ECDC von 2018 gehen in dieselbe Richtung.

Künftig könnte das ECDC verstärkt mit dem Menschenrecht auf Gesundheit und dessen Durchsetzung als Beitrag zum SDG3 argumentieren und Projekte über die Nach­barschaft hinaus anvisieren.

Bisheriges internationales Engagement

In Anlehnung an die International Relations Policy 2014–2020 ist das ECDC global da­rum bemüht, Krankheitsausbrüchen vor­zubeugen, auf sie zu reagieren und die Ge­sundheitssysteme von Partnerländern an EU-Standards anzugleichen, bis hin zu deren Integration in EU-Systeme zum Infektions­schutz (siehe Grafik).

Trotz internationalen Engagements fehlt aber der globale Blick. So wurden Beziehungen zu den afrikanischen Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention (Africa CDC) erst kürzlich und zu WHO-Regional­büros außerhalb Europas noch gar nicht formalisiert.

Projekte des ECDC fokussieren sich bis­lang auf die Nachbarschaft, nicht aber auf Länder mit niedrigen und mittleren Ein­kommen, deren gesundheitliche Situation bedeutsam ist für die globale Gesundheit. Dabei bezeichnete die EU-Kommission Afrika ausdrücklich als einen »natürlichen Partner und Nachbarn der EU«.

Grafik 1

Gesundheitssystemstärkung als Aktionsfeld

Laut WHO EURO bestehen Gesundheits­systeme aus zehn Kernbereichen, den Essen­tial Public Health Operations (EPHO). Dieses Rahmenwerk lässt sich nutzen, um Ver­halten zu motivieren und/oder die Ressour­cennutzung im Gesundheitssystem zu opti­mieren. Ziel ist, dadurch dessen Leistungsfähigkeit und Dienstleistungen zu ver­bessern. Die Arbeit des ECDC kann in vier EPHOs verortet werden:

  • Überwachung der Gesundheit und des Wohlbefindens von Menschen (EPHO 1);

  • Monitoring und Reaktion bei Gesundheits­risiken und Notfällen (EPHO 2);

  • Krankheitsprävention inklusive Früh­warnsysteme (EPHO 5);

  • Sicherstellung von kompetentem Gesund­heitspersonal (EPHO 7).

So kann das ECDC seine Arbeit als Teil von Gesundheitssystemstärkung begreifen, ausbauen und als handlungsweisenden Überbau für externe Politiken nutzen. Zen­tral ist es, Bezüge zu entwicklungspolitischen Projekten anderer EU-Institutionen und -Staaten herzustellen oder sie als Ge­meinschaftsprojekte aufzusetzen, um Dop­pelungen zu vermeiden und Expertise zu bündeln. Ferner gilt es zu prüfen, welche weiteren Bereiche von Gesundheitssystemen das ECDC stützen könnte: So kann es etwa als Informationskanal, technischer Kooperationspartner und Umsetzer eine gesundheitssystemstärkende Rolle spielen.

Empfehlungen für eine strategische Neuausrichtung

Eine Stärkung des ECDC scheiterte bisher an Souveränitätsvorbehalten der Mitgliedstaaten im Gesundheitssektor. Eine globale Ausrichtung hat das Potential, mehr Rück­halt bei EU-Staaten zu finden, wenn klar wird, dass damit Aufgaben international ge­teilt werden, was europäische Staaten nicht verdrängt, sondern ihre Politiken ergänzt.

Frankreich und Deutschland haben Rats­schlussfolgerungen zur WHO durch ein Non-Paper initiiert und mit einer bilateralen Initiative für Corona-Wiederaufbau die Idee aufgebracht, im ECDC eine Health Task Force zu bilden. Doch das Duo wird bei einem globalen Ausbau des ECDC nicht leicht zusammenkommen, da Frankreich mit weiteren EU-Staaten eigene Ziele in globaler Gesundheit bekundet. Gleichzeitig wurde im Zuge des Brexits und der Pan­demie ein Quartett aus Italien, Spanien, Deutschland und Frankreich möglich, das sich mit der nötigen Überzeugungsarbeit auch dafür nutzen lässt, dass das ECDC eine globale Rolle spielen kann. So könnten sich über derzeit gute deutsche Beziehungen zu Italien weitere Verbündete finden, um in Schlüsselbereichen Impulse zu geben:

  • Nachhaltige Ausrichtung: Ein erweitertes Mandat und eine neue Strategie des ECDC für internationale Politik sollten globale Aktivitäten verstärkt mit dem Menschenrecht auf Gesundheit begründen und in der Agenda 2030 verorten.

  • Entwicklungspolitische Akteure: Die fehlende entwicklungspolitische Sicht in Kommissionsvorschlägen zur Gesundheitsunion ist insofern nicht verwunderlich, als sie von der Gesundheitskommissarin konzipiert wurden und unter EU-Gesundheits­ministerinnen und ‑minister diskutiert werden. Nötig ist das Engagement der Entwicklungsakteure; die Gruppe Entwicklungszusammenarbeit im Rat könn­te sich mit dem Anliegen befassen.

  • Intensivierung und Aufnahme internationaler Partnerschaften: Für das ECDC ist es ratsam, stärker mit WHO-Regional- und Länderbüros sowie Public Health-Institu­ten zu kooperieren. Der Anstoß zu einer Partnerschaft mit dem Africa CDC ist ein wichtiger Schritt, der unter der Entwicklungszusammenarbeit der EU läuft. Nun geht es um die Aus­gestaltung durch gesundheitssystemstärkende Initiativen, die sich nicht nur auf Gesundheitsschutz konzentrieren.

  • Entwicklungspolitische Projekte: Von zentra­ler Bedeutung ist, für die Langfristigkeit, Nachhaltigkeit und finanzielle Absiche­rung von Projekten zur Stärkung von Ge­sundheitssystemen einzutreten. Ein Fonds zur Finanzierung des globalen ECDC-Engagements wäre ein möglicher Weg.

  • Robuste Rahmenbedingungen: Politisch braucht es Initiativen von Entwicklungsakteuren, das ECDC prominenter in glo­baler Gesundheit zu platzieren. Finan­ziell ist nicht nur eine Erhöhung der Gel­der notwendig, sondern auch die Mög­lichkeit, sie flexibel einzusetzen, damit Projekte nachhaltiger werden. Nicht zu­letzt sind mehr Personalstellen im ECDC und Kontaktstellen in internationalen Partnerorganisationen zu schaffen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat für 2021 einen Global Health Summit angekündigt. Globale Gesundheit dürfte also weiterhin auf der europäischen Agenda bleiben. Will die EU sich langfristig in einer diversifizierten Landschaft von Akteuren behaupten, die sich für globale Gesundheit engagieren – gegenüber China, der Afrikanischen Union und Indien, die an Gewicht gewin­nen, und gegenüber den USA, die wieder eine Rolle spielen werden –, ist das ECDC stärker global einzubinden. EU-Staaten können über das ECDC eigene Prio­ritäten bei der Stärkung von Gesundheitssystemen setzen. Das ECDC würde damit auch zu einem Pfeiler der externen Dimen­sion einer künftigen Europäischen Gesund­heitsunion.

Susan Bergner ist Wissenschaftlerin und Isabell Kump ist Forschungsassistentin in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Sie arbeiten im Projekt »Globale Gesundheit«, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert wird.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2020

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ISSN 1611-6364