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Die Welt der PiS

Weltanschauliche Basis und programmatische Leitlinien der polnischen Partei »Recht und Gerechtigkeit«

SWP-Studie 2023/S 12, 11.10.2023, 39 Seiten

doi:10.18449/2023S12

Forschungsgebiete

Dr. Kai-Olaf Lang ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU / Europa der SWP.

  • Die in Polen seit 2015 regierende Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) hat einen tiefgreifenden und vielschichtigen Umbau des Landes angestoßen. Dieser Prozess hat nicht nur mit Machterhalt als Selbstzweck und opportunistischer Mobilisierung zu tun. Er ist auch in ein inhaltlich-ideo­logi­sches Konstrukt eingebettet, das als konservativ-patriotischer Sozial­etatis­mus mit spürbarer Liberalismusaversion bezeichnet werden kann.

  • Neben zentralen Dimensionen innerer Umgestaltung – also der Werte-, Geschichts- und Identitätspolitik, dem Staatsumbau oder der Wirtschafts- und Wohlfahrtspolitik – spielt die Außendimension ihrer Reformpolitik für die PiS eine wichtige Rolle. Polen soll seine Sicherheit, seine Souveränität und sein politisches Gewicht steigern. In der EU gilt es Hoheitsrechte des Nationalstaats zu verteidigen.

  • Deutschland ist in der Welt der PiS zwar Partner, aber immer auch unzuverlässiger Nachbar und zunehmend Rivale. Zu den Prioritäten der Außen- und Europapolitik der Partei gehört, angebliche deutsche Hegemonie einzudämmen und polnische Abhängigkeiten von Deutschland zu überwinden. Angesichts einer ausgeprägten Ideologisierung und in Teilen Radikalisierung der Partei ist der Umgang mit einem von der PiS regierten Polen tendenziell schwieriger geworden.

  • Sollte die PiS weiterhin regieren, wird das Anspruchsniveau deutsch-polnischer Kooperation realistisch angepasst werden müssen. Gleichwohl sollte nach Anknüpfungspunkten etwa im wirtschaftlichen Bereich gesucht werden. Auch wenn die PiS in eine Oppositionsrolle geriete, bliebe sie bis auf Weiteres eine prägende Kraft der polnischen Politik mit Folgen auch für das Außenhandeln des Landes.

Problemstellung und Schlussfolgerungen

Seit 2015 regiert in Polen die Partei »Recht und Gerechtigkeit« (Prawo i Sprawiedliwość, PiS). Sie stellt mit Andrzej Duda den Staatspräsidenten und verfügte zunächst gemeinsam mit ihren kleinen Bündnispartnern über eine solide parlamentarische Basis. Nach den Wahlen von 2019 wurde das Regieren für die Partei schwieriger, denn sie hatte ihre Mehrheit im Senat, einer der beiden Legislativkammern, verloren, und die Koalitionspartner wurden widerspenstiger. Geführt vom mächtigen Parteichef Jarosław Kaczyński, hielt die PiS jedoch unbeirrt an ihren Zielen fest. Mit ihrer entschlossenen Umbaupolitik im Inneren und ihrem Bemühen, Polens Position in der Europäischen Union im Sinne einer souveränistischen Selbstbehaup­tung zu stärken, hat die PiS im Land und in Europa tiefe Zerwürfnisse herbeigeführt. Denn die PiS ist eine Anti-Status-quo-Partei: Sie möchte grundsätzliche Ver­änderungen im Inneren und im Äußeren und setzt diese, sofern möglich, auch gegen heftigen Widerstand durch. In der Innenpolitik hat die PiS die libera­len, proeuropäischen Kräfte als Hauptgegner identi­fiziert, verkörpert vor allem vom nach Polen zurück­gekehrten ehemaligen Premier Donald Tusk. In der Europa-, Außen- und Sicherheitspolitik wendet sich die Partei besonders gegen ein aggressives Russland im Osten, ein vermeintlich übelwollendes, nach Vor­herrschaft in Europa strebendes Deutschland sowie eine ihre Kompetenzen sukzessiv ausbauende EU.

Die PiS ist daher mehr als nur ein antagonisierender Gestaltungsfaktor der polnischen Innenpolitik. Mit ihrem ambitionierten und zugleich robusten Außenhandeln bildet die Partei auch eine veritable Herausforderung für die EU und für Deutschland.

Europapolitisch ist die PiS dabei nicht nur des­wegen von Belang, weil sie offensiv für eine stärker nationalstaatlich verfasste EU eintritt und als Regie­rungspartei in einem großen Mitgliedsland bei der Organisation souveränitätsbedachter Koalitionen eine wichtige Rolle spielt. Aufgrund des Vorrangs ihrer Reformprojekte im Inneren (besonders der Justiz­reform) und ihrer traditionalistischen Wertepolitik liegt sie zudem mit liberalen und integrationsfördernden Strömungen in der Gemeinschaft im Clinch. Bedeut­sam ist ferner, dass die PiS ihre manichäische Form des Politikaustrags in der Innenpolitik auf die euro­päische Ebene hievt. Das erschwert häufig Kom­promissfindung und gemeinschaftliches Handeln.

Gerade Deutschland bekommt dies zu spüren. Der westliche Nachbar ist für die PiS zwar Partner, aber zusehends Konkurrent, wenn nicht Bedrohung. Deutschland nimmt in der strategischen Lageeinschätzung der Partei einen zentralen Platz ein. Immer wieder wird die Emanzipation von vermeintlicher deutscher Dominanz als Conditio sine qua non für ein Wiedererstarken Polens beschworen. Russlands Krieg gegen die Ukraine hat diese Einschätzung ver­stärkt, da die PiS Polen als entschlossenen Frontstaat gegenüber russischer Aggression, Deutschland hin­gegen als zaudernden Nachbarn wahrnimmt. Die Akzentuierung historischer Fragen als konstitutiver Faktor in den bilateralen Beziehungen, konkret der Ruf nach Reparationen für die von NS-Deutschland verursachten Kriegsschäden, wirkt sich zusätzlich auf die bilateralen Beziehungen aus.

Es wäre indes zu einfach, die PiS als bloßen Problemfall abzutun. Ihre Popularität kommt nicht von ungefähr. Bei wichtigen Themen, etwa in der Sozial­politik, hat sie den Finger in die Wunde gelegt. Bei anderen Fragen, so in der Migrations- oder Wertepolitik, hat sie Stimmungen aufgespürt und verstärkt. In beinahe allen die Ukrainepolitik betref­fenden Aspek­ten ist Polen, auch und gerade wenn es von der PiS regiert wird, ein Partner, der nicht einfach ignoriert werden kann. Gleiches gilt für die Nato-Ost­flanke und Europas künftige Sicherheitsordnung, für die Polen ein unabdingbarer Sicherheitsproduzent sein wird.

Für Deutschland und die deutsch-polnischen Bezie­hungen ergibt sich somit eine paradoxe Situation: In einer Zeit neuer deutsch-polnischer Kooperationschancen und -notwendigkeiten, in einer Phase kriti­scher deutscher Selbstreflexion in Sachen Russland und Deutschlands sicherheitspolitischer Neuaufstellung unter der Überschrift »Zeitenwende« schrumpfen die Kooperationsmöglichkeiten der beiden Länder. Die PiS setzt auf andere Partner und tritt Deutschland mit großem Selbstbewusstsein sowie einer Attitüde moralischer Überlegenheit entgegen.

Sollte die PiS die anstehenden Parlamentswahlen abermals für sich entscheiden, muss Deutschland damit rechnen, dass die Politik der Stärke, des Miss­trauens und der Unnachgiebigkeit gegenüber Berlin fortgesetzt wird. Deutschland wird dann darü­ber nachdenken müssen, wie es seine Polenpolitik orga­nisiert. Dabei könnte es drei Ansätze verfolgen:

  • Im Zuge einer neuen »Sonnenscheinpolitik« könnte Deutschland Provokationen seitens der PiS von sich abperlen lassen und unverdrossen Kooperations­offerten unterbreiten, um weitere Entfremdung zu vermeiden. Maxime wäre dabei, sich um Einbindung Polens zu bemühen, Deutschland als Faktor des Zusammenhalts in der EU hervorzuheben und Gemeinsamkeit trotz Differenzen nach außen (allen voran gegenüber Russland) zu demonstrieren.

  • Ein anderer Ansatz bestünde darin, das politische Anspruchsniveau zu senken, einen europa- und sicherheitspolitischen Minimaldialog aufrechtzuerhalten und zugleich die wirtschaftliche, zivil­gesellschaftliche und regionale Zusammenarbeit zu festigen. Diese könnte durch Symbole und Gesten im Sinne einer an Polen und die polnische Gesellschaft adressierten Erinnerungspolitik ein­gerahmt werden.

  • Vorstellbar wäre auch eine Strategie selektiver Ko­operation. Je nach Relevanz Polens könnte diese sich auf einzelne Schwerpunktfelder konzentrieren. Zu denken wäre hier in erster Linie an Energie- und Klimapolitik, ausgewählte Dimensionen der Sicherheitspolitik, den Wiederaufbau der Ukra­ine und deren Heranführung an die EU sowie Fra­gen europäischer Außenbeziehungen, etwa zu China und im Indopazifik. Hierbei könnte Deutsch­­land seine guten Beziehungen zu anderen Partnern in Nato und EU nutzen, um Polen in minilaterale For­mate einzubinden. Vermutlich wäre es ratsam, zu­nächst diesem dritten, realpolitischen Ansatz nach­zugehen. Nicht nur haben »Umarmungsversuche« durch Deutschland bisher wenig gefruchtet. In Anbetracht der angespannten geopolitischen Situ­ation erscheint es zudem dringlicher denn je, die bilateralen Beziehungen weiter zu konsolidieren.

Doch auch wenn die Wahl für die PiS ungünstig ausgehen sollte, gilt es der Partei Beachtung zu schenken. Sollte sie keine Mehrheit erhalten, könnte sie Neuwahlen anstreben oder eine Minderheitsregierung bilden. Letzteres hieße, es mit einer angeschlagenen und unter dem Druck der radikalen Nationa­listen stehende Partei zu tun zu haben. Käme es zu einem Regierungswechsel, würde die PiS keineswegs verschwinden, sondern den proeuropäischen Kräften als sperrige Opposition, eventuell mit Schützenhilfe des Staatspräsidenten, das Leben schwer machen. Solange die Gruppierung von Jarosław Kaczyński geführt und zusammengehalten wird, wäre sie weiter­hin Prägekraft und Machtalternative in der polnischen Politik.

Die PiS: Wie sie wurde, was sie ist

Auf den ersten Blick wundert es wenig, dass in Polen eine starke Partei mit konservativer Wertebasis und »patriotischem« Appell existiert. Die Gesellschaft ist (noch) katholisch geprägt, und die bodenständigen ländlichen Regionen spielen eine erhebliche Rolle in der Politik. Ein großer Teil der Öffentlichkeit erwar­tet, dass die Politik Souveränität und Staat verteidigt, gerade weil beides in langen Phasen der Geschichte nicht existierte und hart erkämpft werden musste. Angesichts solcher Rahmenbedingungen scheinen die Erfolge der PiS in der polnischen Politik geradezu programmiert zu sein.

Blickt man auf die politischen Dynamiken und die Entwicklung des polnischen Parteiensystems nach 1989, ergibt sich indes ein anderes Bild. Über längere Perioden hinweg darbte das politische Spektrum von der konservativen Mitte bis zum nationalen und nationalistischen Rand. Ideologische Zersplitterung, organisatorische Verzettelung und persönliche Fehden führten immer wieder dazu, dass sowohl das gemäßigt konservative Spektrum als auch die dezi­dierte polnische Rechte sich selbst ins Abseits beför­derten und das Strukturproblem der inneren Auf­spaltung geraume Zeit mit sich herumschleppten. Neben den hohen Ambitionen des Führungspersonals und weltanschaulichen Konflikten trugen hierzu auch gesellschaftlich-politische Faktoren bei. So gibt es bis heute in Polen eine Bauernpartei. Diese und andere im ländlichen Raum verankerte Gruppierungen banden Teile der Wählerschaft, die für konservative Parteien wichtig waren. Die Gewerkschaft Soli­darność, aus deren politischem Flügel nach 1989 die meisten Gruppierungen der polnischen prawica (also der Rechten) hervorgegangen waren, hatte ebenfalls über eine große Zeitspanne parteipolitische Allüren und kandidierte auch bei Parlamentswahlen. Trotz prima facie günstiger Voraussetzungen entstand so in Polen nach dem Systemwechsel lange Zeit weder eine konsolidierte Christdemokratie noch eine andere stabile und integrierende Partei, in der sich die relevanten Strömungen zu einer großen Volkspartei der rechten Mitte amalgamiert hätten. Es gehört daher zweifellos zu den Leistungen des PiS-Vorsitzen­den Jarosław Kaczyński und seines bei der Kata­strophe von Smolensk 2010 zu Tode gekommenen Zwillingsbruders Lech Kaczyński, trotz zahlreicher Rückschläge eine Partei etabliert zu haben, in der die polnische Rechte zusammengeführt wurde und die für zahlreiche Wählerinnen und Wähler so attraktiv ist, dass sie bei Abstimmungen obsiegen kann.

Dass es dazu kam, brauchte aber seine Zeit und mehrere Anläufe, denn die PiS wurde erst im Jahr 2001 gegründet. Zu ihren Vorläufern in der Periode des Systemwechsels gehörte zuvorderst die Zentrums­allianz (Porozumienie Centrum, PC). Diese formierte sich auf dem Boden der Solidarność bzw. ihrer Parla­mentsfraktion, dem Parlamentarischen Bürgerklub. Im Grunde war sie eine konservative – und damals noch mit dem Gewerkschaftsführer und späteren Präsidenten Lech Wałęsa verbundene – Proto-Partei, die als Gegenstück zur liberalen Sammlungspartei (Ruch Obywatelski – Akcja Demokratyzha, ROAD) fungierte. Wie der Name zum Ausdruck brachte, ver­stand sich die PC anfangs als Partei der Mitte, in der auch der Anspruch formuliert wurde, zu einer polni­schen CDU zu werden. Lech und Jarosław Ka­czyński waren zwar nicht die einzigen markanten, aber doch die herausragenden Persönlichkeiten in der PC. Im Gefolge der ersten völlig freien Parlamentswahlen vom Herbst 1991, also in einer Phase, in der sich die Kaczyński-Zwillinge schon mit Wałęsa über­worfen hatten, stellte die Partei mit Jan Olszewski den Pre­mierminister. Obwohl die PC nur 8,7% der Stimmen erhalten hatte, nahm sie in einem mit etwa 30 Par­teien extrem zergliederten Sejm (einer der beiden Kammern der polnischen Legislative) eine Schlüsselposition ein. Doch die Minderheitsregierung Olszewski war kurzlebig. Als eine Liste angeblicher informeller Mitarbeiter des einstigen kommunistischen Geheimdienstes in Parlament, Regierung und höchster Verwaltungsebene veröffentlicht worden war, wurde die Regierung mittels eines Misstrauensvotums in der Nacht vom 5. auf den 6. Juni 1992 zu Fall gebracht. Dieses Erlebnis war für die Kaczyński-Brüder und ihre Mitstreiter traumatisch und konsti­tutiv zugleich. Es bestärkte sie in ihrer Überzeugung, dass die exkommunistischen Strukturen im Zusammenspiel mit liberalen Kräften nicht nur die Auf­arbeitung der kommunistischen Vergangenheit ver­hindern wollen, sondern ihren Einfluss in den neuen Verhältnissen mit aller Kraft verteidigen würden.

Nach dem Ende der Regierung Olszewski durchschritten Jarosław und Lech Kaczyński Jahre der poli­tischen Bedeutungslosigkeit. Erst als 1997 die vier Jahre zuvor gewählte exkommunistische und sozial­demokratisierte Linksallianz die Wahlen verlor und ein Bündnis um die Solidarność (Akcja Wyborcza Solidarność, AWS) obsiegte, waren die Kaczyńskis wieder im Spiel. Innerhalb der AWS kam es aber bald zu Spannungen. Zwar überdauerte die Regierung unter Premier Jerzy Buzek die Legislaturperiode, doch die zuletzt zu einer Föderation aus Gewerkschaft und mehreren Parteien umgestaltete AWS fiel noch vor den Wahlen 2001 auseinander. Dieser Prozess markiert eine Zäsur für die polnische Parteienlandschaft, weil in ihm das Fundament für die bis heute dominante Konstellation gelegt wurde: In jenem Jahr wurde nicht nur die PiS gegründet, sondern auch die Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO), eine weitere genealogisch anverwandte, also aus dem Bereich der antikommunistischen Bewegung von vor 1989 hervorgegangene Partei der rechten Mitte. Fortan sollten diese beiden Parteien den Basiskonflikt in der polnischen Politik austragen. Es bedurfte aber vier weiterer Jahre, bis ihr Verhältnis untereinander sich zu permanenter Gegnerschaft entwickelt hatte. Zunächst nämlich waren Recht und Gerechtigkeit und die Bürgerplattform vereint in ihrem Streben, die nach 2001 abermals regierende Linke abzulösen. Noch nach den Parlamentswahlen von 2005 verhandelten PO und PiS über eine Koalitions­regierung.

Zu dieser kam es allerdings nicht. Denn die Wahlen jenes Jahres, bei denen Legislative und Staats­präsident neu bestimmt wurden, waren letztlich ein Duell zwischen PiS und PO bzw. deren Präsidentschaftsanwärtern. Nach publik gewordenen Korrup­tionsaffären und personellem Verschleiß hatte näm­lich die Linke abgewirtschaftet.

Im Nachhinein wird man behaupten können, dass die persönlichen und inhaltlichen Differenzen zwischen PiS und PO im Doppelwahlkampf des Herbstes 2005 so stark hervorgetreten waren, dass eine gemeinsame Regierung eigentlich kaum vor­stellbar gewesen wäre. Erstmals kollidierte die Idee eines »solidarischen Polens«, repräsentiert durch die PiS und ihren Präsidentschaftskandidaten Lech Kaczyński, mit der Idee eines »liberalen Polens«, verkörpert durch Donald Tusk. Angesichts der Un­berechenbarkeit dieser Partner kam es unerwartet, dass die PiS den Sieg in den Präsidentschaftswahlen davontrug und mit einem Wahlergebnis von rund 27% in der Lage war, zunächst eine Minderheits­regierung zu bilden und dann unter Führung von Jarosław Kaczyński eine Regierungskoalition mit der agrarpopulistischen Samoobrona und der national­katholischen Liga der Polnischen Familien (Liga Polskich Rodzin, LPR) zu schmieden. Das teils chaoti­sche Zusammenwirken mit den schwierigen Koali­tionspartnern hielt nicht lange. Bereits Ende 2007 w­ar die erste Regierungsphase Geschichte. Bei den vor­gezogenen Neuwahlen konnte die PiS zwar über fünf Prozentpunkte zulegen. Doch die Sehnsucht nach Eintracht und Stabilität, für die die Bürgerplattform in der damaligen Situation stand, brachten der nun eindeutig als liberalkonservativ und zentristisch ausgeflaggten PO mehr als 41% der Stimmen ein. Das ermöglichte ihr, mit der ebenfalls in der Europäischen Volkspartei verankerten Bauernpartei eine Koalition zu bilden. Diese konnte 2011 nochmals reüssieren und vier weitere Jahre regieren.

Die PiS schien in dieser Phase kein Rezept gegen die Vormacht der Bürgerplattform zu finden. Deren nüchterne Modernisierungspolitik, ihr harmonisches Verhältnis zu Deutschland und ihre proeuropäische Grundausrichtung schienen den Erwartungen der großen Mehrheit der Wählerschaft zu entsprechen. Hinzu kam, dass man durchaus auch Erfolge vor­weisen konnte und zum Beispiel im EU-Maßstab sehr gut durch die Finanz- und Verschuldungskrise kam. Überdies war die PiS und vor allem Jarosław Kaczyński durch die Tragödie von Smolensk im April 2010 schockiert, bei der unter anderem sein Zwillings­bruder ums Leben gekommen war. Unmittelbar nach dem Unglück kandidierte Jarosław Kaczyński bei den Präsidentschaftswahlen von 2010. Trotz eines guten Abschneidens, das auch auf seine gemäßigte Wahl­kampfstrategie zurückzuführen war, unterlag er aber Bronisław Komorowski von der Bürgerplattform. Konsterniert durch den Verlust Lech Kaczyńskis und ohne neue Konzepte gegen Donald Tusks Pragma­tismus mit freundlichem Antlitz schien die PiS schweren Zeiten entgegenzugehen.

Dass die PiS 2015 abermals einen Doppelsieg einfuhr, war die Folge einer Fehleinschätzung der rechten Mitte, die sich sicher im Sattel wähnte. Schließlich waren die makroökonomischen Kenn­zahlen weiterhin günstig, und man konnte europa­politische Erfolge erzielen, wie die Wahl Donald Tusks zum Präsidenten des Europäischen Rats im Dezember 2014. Dies wertete die PO fälschlich als Garantie für weitere Wahlsiege. Dass man dabei überheblich wirkte und Stimmungen nicht wahrnahm, wurde in der Partei nicht registriert. Die pro­grammatisch entkernte und vor allem durch die Person Tusks profilierte PO erschien nach dem Weg­gang ihrer Leitfigur als uninspirierte Partei der Macht.

Nachdem Andrzej Duda im Mai 2015 zum Staatspräsidenten gewählt worden war, setzte sich die PiS auch bei den Wahlen zur Legislative im Oktober desselben Jahres durch. Ein offensiver Wahlkampf, die Betonung sozialer Themen und glückliche Fügungen – zahlreiche Gruppierungen scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde, was der relativ größten Partei mehr Parlamentsmandate einbrachte – bescherten der PiS mit einem Stimmenanteil von gut 37% die absolute Mehrheit in beiden Parlamentskammern. Damit hatte die PiS die Kommandohöhen der polnischen Politik erobert und konnte sich daran begeben, ihre tiefgreifenden Umgestaltungspläne zu verwirklichen. Für Jarosław Kaczyński, der spätestens seit dem Ableben seines Bruders die Zügel der Partei allein in der Hand hält, bot sich im dritten Anlauf nach 1991 und 2005 die Chance, Polen umzubauen und zu neuer Stärke zu führen.

Seither schreitet in Polen die dobra zmiana, der von der PiS verkündete Reformprozess des »guten Wandels«, voran. Und dieser heißt Umgestaltung und Polarisierung im Inneren, assertive Interessensdurchsetzung und Festigung nationalstaatlicher Spielräume nach außen. Die Bestätigung der PiS bei den Parlamentswahlen von 2019 sowie Andrzej Dudas neuer­licher Sieg bei den Präsidentschaftswahlen von 2020 brachten keine pragmatische Mäßigung, sondern eher eine Intensivierung, in Teilen sogar Radikalisierung der Partei. Wasser auf die Mühlen der PiS waren die trotz Pandemie und Krieg alles in allem positive wirt­schaftliche Entwicklung sowie die von Russland ausgehende Gefahr. Die Partei präsentierte sich als Garantin wirtschaftlicher und militärischer Sicherheit, als Kraft, die Polen zu einer europäischen Führungsmacht mit Sonderbeziehungen zu den USA gemacht hat.

Vor diesem Hintergrund muss die aus deutscher Sicht entscheidende Frage gestellt werden, wie mit einem von der PiS regierten Polen umzugehen ist. Ähnlich bedeutsam ist aber auch die Frage nach dem Umgang mit einem Polen, in dem die PiS möglicherweise nicht mehr in Exekutivverantwortung stünde, aber die tonangebende Oppositionspartei wäre. Deutschland muss daher über die tagespolitischen Wirrungen und Empörungen hinausblicken und sich auch mit den grundlegenden Elementen beschäf­tigen, die das Handeln der Partei anleiten: mit ihrer ideologischen Selbstverortung, also mit ihrer politi­schen Vorstellungswelt, mit ihrem Innenleben und ihrem Umfeld sowie mit ihrer Funktionsweise, kurz, mit der Welt der PiS.

Ideologische Grundlagen und Prioritäten

Ausgangspunkt für das Regierungshandeln der PiS und ihrer dominanten Führungsfigur Jarosław Kaczyński ist eine ebenso eindeutige wie negative Diagnose der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realitäten, die in Polen seit 1989 entstanden sind. Vereinfacht ausgedrückt sieht diese etwa wie folgt aus: Die Verhandlungen am »Runden Tisch«, die Polens politischen Übergang herbei­führten, und die danach verkündete Philosophie des »dicken Schlussstrichs« unter die kommunistische Ära hätten es einem Dickicht aus Nomenklatura-Netzwerken, Geheimdienststrukturen und aus der Staatspartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza, PZPR) hervorgegangenen Seilschaften ermöglicht, das Land im Verein mit liberalen Eliten weiterhin zu beherrschen. Dieses Machtgefüge (układ) wird ver­antwortlich gemacht für schwere Fehlentwicklungen und »Pathologien« im Inneren und die Marginalisierung Polens im internationalen Kontext. Angesichts dessen bedürfe es grundlegender Veränderungen, eines – in den Worten Jarosław Kaczyńskis – »großen Umbaus«,1 um Polen von innen zu gesunden und im internationalen Wettbewerb zu stärken. Dieses strategische Ziel wurde mit unterschiedlichen Schlag­worten zu griffigen Formeln verdichtet. Dominierte in der ersten Regierungsphase der PiS und den Jahren danach der Begriff »Aufbau einer IV. Republik« – in Abgrenzung zur III. Republik, die 1989 entstanden ist –, so lautete die Überschrift des Reformwerks nach 2015 »guter Wandel« (dobra zmiana). In der Sache geht es dabei um nachholende Transformation, also die verspätete Zerschlagung postkommunistischer Strukturen, um so einen echten Neubeginn und die Schaffung eines unabhängigen und starken Polens zu ermöglichen. Da in den Augen der PiS die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Polen auf einer Art negativem Gründungsmythos basieren, muss nun korrigiert und neuformiert wer­den. Hinzu treten aber neue, existentielle Heraus­forderungen. Aus Sicht der Partei muss sich das Land in Europa und im internationalen Wettbewerb be­haupten, das heißt seine Identität und Souveränität in Zeiten von Kulturkämpfen, liberaler Vormacht und homogenisierenden Europäisierungstendenzen bewahren.

Aus Sicht der PiS sind Identität und Souveränität Polens in Gefahr.

Während diese Kardinalziele die strategische Ausrichtung der Partei definieren, basiert die Politik der PiS auf einer Reihe inhaltlicher Prämissen und konkreter politischer Prioritäten, die immer wieder in der Regierungspraxis der Gruppierung auftauchen oder diese anleiten. Soll die PiS und ihr Handeln ver­standen werden, gilt es daher gerade auch ihre pro­grammatischen Schwerpunkte und in der Gesamtschau ihr Selbstverständnis und ihr ideologisches Fundament zu durchdringen. Besondere Beachtung verdienen dabei vier große Themenbereiche: Identitäts- und Wertefragen, der Staatsumbau, die Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie die außen- und europapolitischen Intentionen.

Geschichte, Werte, Kultur – Identitäts­politik und Gemeinschaft als Voraus­setzung für Entwicklung und Sicherheit

Für die PiS ist die Stärkung der nationalen Identität Polens ein Schlüsselelement ihrer Politik. Im Zentrum der identitätspolitischen Bestrebungen der PiS steht das Bekenntnis zu einem konservativen Wertekanon, die positive Bezugnahme auf das kulturelle Erbe der Nation und vor allem eine aktive Geschichtspolitik. Dabei versteht sich die Identitätspolitik der PiS zum einen als Gegenbewegung zu einem Werterelativismus und -indifferentismus, der angeblich in der Zeit des Systemwechsels und der Strukturreformen der 1990er Jahre vorherrschte, zum anderen als Alter­native zum liberalen Universalismus, durch den auch die polnische Gesellschaft ihrer normativen Eigen­heiten beraubt werden solle. Daher will die PiS Polens »nationale Identität, seine Tradition und Kultur sowie die polnische Lebensart vor den Tendenzen schüt­zen, die darauf abzielen, riskante kulturelle Elemente einzuführen, die nicht von der Mehrheit der Gesell­schaft akzeptiert werden. Jede Nation und jeder Staat müssen im Rahmen der europäischen Gemeinschaft ihr souveränes Recht beibehalten, ihre eigene gesell­schaftliche Ordnung zu gestalten und nicht einer ›kulturellen Umerziehung‹ von außen unterworfen zu sein«.2 Hierbei geht es vor allem um die Festigung dreier grundlegender Gemeinschaften:

  • der »natürlichen Familie«, die vor der Gender-Ideologie geschützt und vor allem aktiv unterstützt werden müsse,3 da sie eine essentielle »Bastion Polens« sei,4

  • der polnischen Nation, denn »Ohne das Gefühl der nationalen Verbundenheit gibt es keinen starken Staat und … auch Demokratie ist nicht möglich.«5 und

  • der katholischen Kirche.

Immer wieder wird daher die Bedeutung christ­licher Werte und der katholischen Kirche für Polens Identität unterstrichen. »Die Kirche ist heute der Besitzer und Verkünder der in Polen allgemein be­kannten Morallehre. Diese hat keine Konkurrenz im weiteren Kreis der Gesellschaft. Daher ist die Behaup­tung vollauf berechtigt, dass man in Polen der Moral­lehre der Kirche nur Nihilismus entgegenstellen kann. […] wir sind der Auffassung, dass Versuche der Zerstörung und der ungerechtfertigten Angriffe auf die Kirche für das gesellschaftliche Leben bedrohlich sind.«6 Eine solche weitgehende Ineinssetzung von Katholizismus, Kirche und Nation oder sogar Staat wird aus der besonderen Rolle der Kirche in der Geschichte abgeleitet, in der diese auch eine nations­bildende, zivilisatorische und schützende Funktion gehabt habe.7 Die Idee einer Schutz- und Trutzgemein­schaft findet sich auch in einem anschaulichen Satz des Parteichefs Kaczyński: »Wer die Hand gegen die Kirche erhebt, sie vernichten will, der erhebt die Hand gegen Polen.«8 Die Basis für das enge, gleichsam symbiotische Verhältnis von Partei und Kirche bilden das plakative Eintreten für christliche Werte und die Übereinstimmung zahlreicher programmatischer Ziele der PiS mit wichtigen Positionen der katholischen Kirche. Inhaltlich sind sich die beiden Akteure in einer Reihe zentraler Punkte einig. Hierzu zählen das Bekenntnis zur traditionellen Familie, die Ableh­nung angeblich progressiver Gender-Politik und die Opposition gegen eine Ausweitung rechtlich abge­sicherter Formen gleichgeschlechtlicher Beziehungen und gegen Forderungen der LGBT-Bewegung sowie die Zurückweisung liberaler Abtreibungsregelungen. All dies sind zugleich Kernelemente des identitäts­politischen Selbstverständnisses der Partei. Die elekto­ralen Funktionen und Auswirkungen dieser Fragen sind allerdings recht unterschiedlich: So ist die Abwehr von LGBT-Forderungen für die PiS in Wahlkämpfen ein Mobilisierungsthema, das zum Erfolg der Partei beigetragen hat. Dagegen riskiert sie durch die Befür­wortung einer restriktiven Abtreibungsregelung, Teile der gemäßigten Mitte in der Wählerschaft zu verprellen.

Die PiS gibt sich in gesellschaftspolitischen Fragen als Hüterin des Bestehenden und Bewährten.

Die PiS gibt sich in gesellschaftspolitischen Fragen als Hüterin des Bestehenden und Bewährten, die »ge­sellschaftliche Experimente und ideologische Revo­lutionen« ablehnt und keinen Kulturkrieg möchte, aber sicher ist, diesen im Sinne traditioneller Werte zu gewinnen, wenn er Polen aufgezwungen werden würde.9 Einer der führenden Intellektuellen der PiS, der Philosoph, frühere Bildungsminister und jetzige Europaabgeordnete Ryszard Legutko, weist in seinen Publikationen immer wieder darauf hin, welche sozialkulturellen Implikationen von den normativen Prämissen liberaler Demokratie ausgehen. Seiner Diagnose zufolge erlangte »positive Toleranz« eine dominierende Stellung in den westlichen Gesellschaften. Gemeint ist damit die Vormacht eines ethischen Egalitarismus, bei dem der immer mächtiger werden­de Typus eines alle Hierarchien ablehnenden homo liberalis den Ton angibt und im Namen von Diversität und »sympathischer Offenheit« gegenüber allem die gewachsene soziale Ordnung einebnet.10 Legutko betrachtet diese liberale Variante der Demokratie mit Skepsis und setzt daher unter anderem auf »starke nichtdemokratische Traditionen«: In Polen seien dies der Katholizismus oder das Vermächtnis von Repub­likanismus und Romantik, die der »liberalen Anti­kultur« noch im Wege stünden.11

Wenn die Festigung von Polentum und nationaler Gemeinschaft zum Kern der Identitätspolitik der PiS gehört, verwundert es wenig, dass Fragen der Migra­tion eine herausragende Stellung in ihrem Programm­portfolio einnehmen. Dem war nicht immer so. Noch während ihrer ersten Regierungszeit widmete die PiS dem Thema wenig Aufmerksamkeit. Im Wahl­programm aus dem Jahr 2005 wurde die Problematik nur gestreift, und zwar im Zusammenhang mit einer negativen Wanderungsbilanz sowie mit Blick auf Polens Interessen bei der EU-Kooperation im Bereich innere Sicherheit. Hier wolle Polen »unkontrollierte Migration« eindämmen.12 Den eigentlichen Schub in diesem Kontext brachte die Migrationskrise vom Sommer 2015, die zu einem der wichtigsten Wahlkampfthemen wurde und nach dem Regierungs­antritt der PiS hochrelevant blieb, weil von da an in der EU über die Einführung obligatorischer Ver­teilquoten für Flüchtlinge gestritten wurde – ein Ansinnen, dem sich die PiS mit aller Kraft entgegenstemmte. Seit 2015 verwandelte sich in Polen Zu­wan­derung von einem technischen und administrativen Randthema in ein zunehmend politisiertes Kern­thema der öffentlichen Auseinandersetzung.13 Einen mächtigen Impuls für die polnische Debatte sowie für die inhaltliche Aufstellung der PiS lieferte eine Rede, die Jarosław Kaczyński am 16. September 2015 im Sejm hielt. Dort zeichnete der Präses der Partei ein düsteres Bild der Folgen von Migration in vielen Ländern Westeuropas. Kaczyński äußerte seine Ab­lehnung des »Radikalismus« einer »totalen Öffnung« für Zuwanderung auch aus humanitären Gründen und verwies auf den christlichen Grundsatz der Ordo Caritatis, also das von Kaczyński so interpretierte Prinzip, sich bei Hilfsbedürftigkeit zunächst der un­mittelbaren Umgebung wie etwa der Familie oder der Nation zu widmen und erst danach anderen. Auch kritisierte Kaczyński in dieser Rede Deutschland dafür, einen »großen Magneten« für Zuwanderung geschaffen zu haben.14 Schnell wurde deutlich, dass Migration auch für die PiS ein multidimensionaler Problemkomplex ist. So präsentierte sich die PiS als Partei der Abwehr massenhaften Zuzugs vor allem aus islamischen Ländern und machte sich damit zur Ordnungspartei, die Gefahren wie Kriminalität, Terro­rismus, aber auch kulturelle Erosion abwendet. Die Diskussion über Verteilquoten in der EU wiederum ist für die PiS ein Argument für ein Europa souveräner Mitgliedstaaten. Überdies ist die Partei angesichts der ungünstigen demographischen Entwicklung Polens davon überzeugt, dass eingeschränkte Zuwanderung ihre Familien- und Sozialpolitik zusätzlich untermauert.

Ab dem Sommer 2021 löste das Lukaschenko-Regime in Minsk Migrationsströme aus, um durch illegale Grenzübertritte nach Polen (sowie Litauen und Lettland) Instabilität und gesellschaftlich-politische Spannungen zu erzeugen. Das ermöglichte es der PiS, unter großer gesellschaftlicher Zustimmung ihre restriktive und auf Abschreckung aus­gerichtete Grenzsicherungspolitik als wirksames Instrument des Schutzes und der Risikoabwehr zu präsentieren. Verfechter einer humanitären Politik wurden als naiv oder als indirekte Förderer der Nutzung von Migration als Waffe (weaponization of migration) dargestellt. Mit der harten Abriegelungs­politik an der polnischen Grenze zu Belarus schärfte die PiS abermals ihr Profil als Gruppierung, die nicht nur als Hüterin der ontologischen Sicherheit der polnischen Gesellschaft agiert, also eine Bekräftigung von Tradition und Identität als Vorbedingung für kollektive Sicherheit postuliert, sondern die immer auch Law-and-order-Partei ist. Dass die Abschirmung und der Bau von Sicherungsanlagen offenbar keines­wegs sämtliche Wanderungsbewegungen unterbanden, tat dem Erfolg der PiS bislang keinen Abbruch.

Schwieriger wurde es für die Partei hingegen, ihre faktisch durchaus liberale Politik der Migration in den polnischen Arbeitsmarkt weiterzubetreiben, die im Gegensatz zur immer wieder vorgebrachten Ab­lehnung von Zuwanderung steht. Die PiS verfolgte in ihrer Regierungszeit eine in der Praxis recht offene Migrationspolitik, die für eine stille oder unsichtbare Migration sorgte. Vor allem durch den Zuzug von vermutlich bis zu 1,5 Millionen Menschen aus der Ukraine wurde Polen schon vor dem Überfall Russ­lands auf seinen Nachbarn zum Zuwanderungsland. In der Regierungszeit der PiS wurden aber auch Rekordzahlen bei der Erteilung von Aufenthalts­genehmigungen an Menschen erreicht, die nicht aus der östlichen Nachbarschaft Polens stammen, sondern aus Asien und Afrika, darunter teils aus muslimisch geprägten Ländern wie etwa Pakistan. Aus dieser »migrationspolitischen Schizophrenie«15 der PiS ver­sucht die Opposition politisches Kapital zu schlagen: Einerseits fahre die PiS eine gegen Zuwanderung gerichtete Kampagne, indem zum Beispiel ein Refe­rendum abgehalten werden soll, das sich gegen die von der EU 2023 beschlossene Migrations- und Asylpolitik richtet. Andererseits werbe die Partei in großem Maßstab Arbeitskräfte auch aus islamischen Ländern an.

Dass sowohl die Regierung der PiS als auch die polnische Gesellschaft infolge des russischen Angriffs­kriegs gegen die Ukraine weitreichende und bedingungslose Unterstützung für Flüchtlinge aus dem östlichen Nachbarland leisteten,16 versuchte die PiS besonders in der Europapolitik für sich zu nutzen. Polen sah sich dadurch auch in seiner Ablehnung verpflichtender Umverteilungsschemata in der EU bestärkt, hatte das Land doch zahlreiche Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen, ohne eine Entlastung durch die Übersendung von Menschen in andere EU-Staaten gefordert zu haben.

Trotz der auf den ersten Blick inkonsistent an­mutenden Haltung der PiS in der Migrationspolitik – einer Mixtur aus Schließungsrhetorik bei Verteil­quoten, stillschweigend toleriertem Arbeitskräfte­zuzug und Willkommenspolitik für ukrainische Flüchtlinge – zieht sich ein roter Faden durch die Zuwanderungspolitik der Partei: Polen soll souverän über die Aufnahme von Menschen bestimmen dürfen, denn nur so können die mit Zuwanderung einhergehenden Risiken im Zaum gehalten sowie Sicherheit und Identität Polens gewahrt werden. Im Kontext des Wahlkampfs 2023 stellte die PiS nicht zuletzt die Migrationspolitik der EU in den Mittelpunkt ihrer Kampagne. Die polnische Regierung fasste angesichts der sich zuspitzenden Situation im Mittelmeer bzw. in Italien im September einen Beschluss, der die entstandene Lage als Konsequenz einer verfehlten Migrations- und Asylpolitik der EU brandmarkte.17

Doch nicht nur die »harten« Fragen der Gegenwart wie Migration oder Werte- und Kulturkämpfe sind für die PiS unabdingbare Elemente zur Festigung der polnischen Identität. In einem Land, das in der Vergangenheit gepeinigt wurde und von nationalen Traumata geprägt ist, ist es nur folgerichtig, wenn eine konservativ-patriotische Partei wie die PiS ein positives Bekenntnis zur polnischen Geschichte sowie deren Vermächtnis ablegt und damit eine aktive Geschichtspolitik als wichtiges Fundament des kollek­tiven Selbstverständnisses betrachtet.

Schon in der Mitte des vergangenen Jahrzehnts verlangten konservative Historiker und Philosophen ein Umdenken in diese Richtung. Sie warfen den Eliten und den Regierungen der Nachwendezeit vor, ein vergangenheitsvergessenes Selbstbild zu prägen. Die von der Regierung Mazowiecki, der ersten freien Exekutive nach 1989, verfolgte Politik des »Schlussstrichs« wurde als Flucht vor der Aufarbeitung der kommunistischen Ära gewertet, durch die exkommu­nistischen Akteuren die Tür in die Gegenwart geöff­net werden solle. Doch die Kritik reichte immer weiter und beinhaltete den Vorwurf, die Propagierung eines neuen Werterelativismus habe zum Ziel, die polnische Gesellschaft ihres kulturellen Vermächtnisses zu berauben, um auch in Polen einem liberalen Universalismus zum Siegeszug zu verhelfen. So meldete der Philosoph Dariusz Karłowicz »Widerspruch gegen die Amnesie« an.18 Sein Kollege Dariusz Gawin wiederum beklagte einen »axiologischen Laissezfairismus«. In den Sphären der Identität und der historischen Erinnerung, der Kultur und der Werte sei das freie Spiel der Kräfte eingeführt worden. »Doch so wie im Falle der Ökonomie führte der dogmatische axiologische Laissezfairismus zu mora­lischer Korruption und Chaos und wurde oft ein bequemes Alibi für die diejenigen, die in schlechter Absicht das Gedenken an ihre Taten und historischen Wurzeln auslöschen wollten.«19 Da man Erinnerung als unnötigen Ballast betrachtet habe, sei die polni­sche Gesellschaft gemeinsamer Symbole und öffent­licher Rituale beraubt worden. Der konservative Philosoph Marek Cichocki monierte, dass nach 1989 kollektive Identität und Erinnerung als irrationale und nationalistische Konstrukte gebrandmarkt wor­den seien.20

Seit 2015 betreibt die PiS konsequent eine neue, offensive Geschichtspolitik.

Die kurze Regierungsphase der PiS von 2005 bis 2007 reichte nicht aus, um entscheidende Akzente zu setzen. Seit 2015 aber betreibt die Partei konsequent eine neue, offensive Geschichtspolitik.21 Diese ist für die PiS nicht bloß Reflexion und Vergegenwärtigung der Vergangenheit um ihrer selbst willen, sondern dient »dem Ausbau des Potentials des Staates«.22 Der erinnerungspolitische Feldzug der PiS manifestiert sich zum einen darin, spezifische Themen hervor­zuheben und dazu passende Narrative zu entwickeln, zum anderen in der praktischen Umsetzung der Geschichtspolitik im öffentlichen Raum.

Inhaltlich liegt der Schwerpunkt der Erinnerungspolitik im 20. Jahrhundert, wobei das Schicksal Polens im Zweiten Weltkrieg sowie der antikommunistische Widerstand seit Kriegsende bis 1989 (und danach) im Vordergrund stehen. Während der Über­fall des nationalsozialistischen Deutschlands auf Polen und der Widerstand gegen die deutsche Besat­zung auch in der (zwar weniger profilierten, aber gleichwohl praktizierten) Erinnerung der Vorgängerregierungen präsent waren, akzentuiert die PiS über das Leiden der polnischen Gesellschaft hinaus gerade auch das Heldenhafte und Kämpferische. Kontrovers diskutiert wird dabei, dass jetzt nicht nur Fanale wie der Warschauer Aufstand, der mittlerweile zum Konsens des kollektiven Gedenkens geworden ist, mit großem Aufwand erinnerungspolitisch begleitet werden,23 sondern auch umstrittene Widerstandsgruppen und ‑kämpfer. Scharfe Debatten löste vor allem die Ehrung der Nationalen Streitkräfte (Naro­dowe Siły Zbrojne, NSZ) oder mancher der »verfemten Soldaten« aus, die bis in die späten 1950er Jahre einen Guerillakrieg gegen das kommunistische System führten und denen Kritiker vereinzelt Übergriffe gegen nationale Minderheiten und in Teilen Anti­semitismus vorwerfen.

Neben den wichtigen antikommunistischen Protestwellen wie dem Posener Aufstand 1956 sowie Unruhen in den großen Küstenstädten 1970 ist die Geschichte der Gewerkschaft Solidarność ein elementarer Bezugspunkt für die PiS. Hierbei wird die Bedeutung liberaler Strömungen und Persönlichkeiten in der Protestbewegung jedoch zugunsten »patriotischer« und radikaler Tendenzen relativiert. Vor allem der ehemalige Gewerkschaftsführer Lech Wałęsa, dem als Agent »Bolek« die Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Geheimdienst vorgehalten wird, ist zur dunklen Antifigur geworden.

Auf praktischer Ebene ergaben sich nicht zuletzt folgende Entwicklungen. Die PiS engagiert sich in der polnischen Museumslandschaft. Dabei versuchte sie, vereinzelt Museen mit missliebiger Führung zu über­nehmen. So wurde das Museum des Zweiten Welt­kriegs in Danzig, eines der wenigen musealen Flagg­schiffprojekte der PO, mit dem zunächst nur formell existierenden Westerplatte-Museum unter anderer Leitung fusioniert. Überdies setzte die PiS nicht geneh­me Institutionen finanziell unter Druck, so das Euro­päische Solidarność-Zentrum. Bedeutsam ist aber vor allem der Aufbau neuer Gedenkorte. In Warschau entstehen ein großes Museum der polnischen Ge­schichte sowie ein Museum der polnischen Streitkräfte. Die PiS will indes nicht bloß in der Hauptstadt, son­dern im ganzen Land weitere Gedenkorte schaffen. Beispiele dafür sind das Józef-Piłsudski-Museum in Sulejówek, das Museum der Verfemten Soldaten in Ostrołęka sowie Pläne für Museen für die nach dem Zweiten Weltkrieg zu Polen gelangten Westterritorien oder die ehemaligen östlichen Gebiete der früheren Rzeczpospolita, also historischen Ausprägungen Polens.

Über Museen hinaus soll eine bessere Breiten­wirkung historischer Themen erreicht werden. Als Mittel dazu soll beispielsweise eine entsprechende Programmgestaltung in den öffentlichen Medien dienen: In der ersten Regierungsperiode der PiS wurde der Fernsehsender TVP Historia eingerichtet. Zudem gibt es Pläne, staatlich mitfinanzierte Block­buster im Hollywood-Stil produzieren zu lassen. Schließlich trachtet die PiS sowohl mit Blick auf das historische Bewusstsein als auch auf die Festigung traditioneller Werte und des kulturellen Erbes danach, sich die Unterstützung der konservativen Zivilgesellschaft zu sichern. Diese ist im letzten Jahrzehnt ohnedies deutlich gewachsen, doch sieht die PiS sie immer noch im Hintertreffen gegenüber liberalen Formen bürgerschaftlichen Engagements.

Ein weiteres bedeutendes Element in der PiS-Geschichtspolitik ist die Arbeit des Instituts für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej, IPN). Betraut ist es mit der Aufarbeitung der Ver­brechen, die von deutscher und sowjetischer Seite an Polen im Zweiten Weltkrieg und später vom kom­munistischen Regime begangen wurden. Durch die Kontrolle über umfangreiche Archivbestände und die Funktion als Ermittlungsbehörde kann das IPN eine wesentliche Rolle spielen. In einer Rede an die Historiker eines regionalen Ablegers des IPN bezeichnete Jarosław Kaczyński dessen Archive als bedeutsamen Faktor beim Aufbau einer »neuen, besseren Ordnung des öffentlichen Lebens, dessen, was wir die IV. Republik nennen«. Die Mitarbeiter des IPN stünden an der »ersten Front des Kampfes«.24 Wichtig für die Nachhaltigkeit der Geschichtspolitik ist aus Sicht der PiS auch eine Neuausrichtung der Bildungspolitik bzw. des Schulunterrichts, etwa indem mehr Geschichte unterrichtet wird und Lehrpläne angepasst werden. Geschichtspolitik, so Präsident Duda, habe eine »bildungspolitische Mission« mit »staatsbildnerischer« Funktion. »Man baut keine jungen Generationen auf, die mit ihrem Vaterland verbunden sind, wenn sie nicht stolz auf ihre Tradition sind, wenn sie diese Tradition nicht kennen, weil sie ihnen niemand vermittelt. Dies ist eine große Mission der Schule und der Bildung.«25

Kritiker der PiS werfen ihr vor, historischen Revisionismus zu betreiben und unter Rückgriff auf die staatliche Geschichtspolitik in der polnischen Gesell­schaft zu verankern.26 Die PiS selbst behauptet mit umgekehrten Vorzeichen dasselbe von ihren Geg­nern: Diese verfolgten ihr Paradigma einer kritischen Rückschau oder einer Negierung der eigenen Ge­schichte und somit der eigenen kollektiven Identität. Was die liberalen oder linken Teile des politischen Gefüges als Ausleuchtung eigenen Versagens in bestimmten historischen Situationen betrachten, etwa im Umgang mit jüdischen Mitbürgern, bedeutet für die PiS eine »Pädagogik der Schande«.27 Dem setzt die PiS ein Verständnis der polnischen Geschichte entgegen, das sich gerade in der Bildungspolitik auf »Würde und Stolz«28 stützt. Dieser Ansatz ist gleich­zeitig viktimistisch und heroisch. Seine Befürworter gedenken des Leidens, der Tragik und der polnischen Opfer, stellen aber ebenso Mut, Kampfbereitschaft und moralische Exzellenz heraus.

Jenseits davon, die kollektive Identität als gemeinschafts- und staatsbildnerischen Faktor zu kultivieren, hat Geschichtspolitik für die PiS aber auch wich­tige andere, vor allem legitimitätsstiftende Funktionen. Innenpolitisch konstruiert die PiS Kontinuitäts­linien,29 die bis in die Gegenwart führen – vom »Wunder an der Weichsel« (also dem Sieg des wieder­erstandenen Polens in der Schlacht bei Warschau 1920 gegen das bolschewistische Russland) oder zu­mindest vom Widerstand gegen die deutsche Besat­zung, gegen die Sowjets und den Kommunismus über die Ablehnung der 1989 entstandenen III. Republik und die Tragödie von Smolensk von 2010 (bei der Lech Kaczyński und andere bedeutende Persönlichkeiten den Tod fanden) bis zu den jetzigen Bemühungen der PiS gegen innere und äußere Gegner polni­scher Interessen. Jarosław Kaczyński verglich sich und seine Mitstreiter mit den »verfemten Soldaten«: Ähnlich wie diese seien er und seine Gefährten in den Jahren nach 1989 eine kleine Gruppe gewesen, die für Polens Souveränität und Identität gekämpft habe.30 Stellenweise wird die derzeitige Politik der PiS explizit in einen historischen Kontext gesetzt, zum Beispiel wenn die Sozialpolitik der PiS-Regierungen als Erfül­lung der Ziele der historischen Solidarność dargestellt wird.31

Auch die Polarisierung der innenpolitischen Verhältnisse resultiert vor diesem Hintergrund aus Konstellationen, die aus der Vergangenheit in die Gegenwart reichen. Emblematisch steht hierfür der berüchtigte Satz von Jarosław Kaczyński in der Danzi­ger Werft, der Wiege der Solidarność, aus dem Jahr 2006. Kaczyński, damals Regierungschef, reagierte auf heftige Kritik seitens der oppositionellen Medien, indem er diese und die Opposition mit der damaligen kommunistischen Seite in eine Reihe stellte: »Wir sind hier, wo wir auch damals waren, sie sind da, wo die ZOMO [motorisierte Bereitschaftspolizei des kom­munistischen Regimes] stand.«32 Wer auf welcher Seite der politischen Barrikade in Sachen Antikommunismus steht, ist allerdings relativ: So können anerkannte Vertreter der historischen Solidarność aus Sicht der PiS 1989 oder danach ihre Ideale verraten haben, weil sie mit Exkommunisten zusammenarbeiten. Demgegenüber kann ein ehemaliges Mitglied der Kommunistischen Partei und Staatsanwalt aus Zeiten des Kriegsrechts Abgeordneter der PiS und von der Partei vorgeschlagener Verfassungsrichter werden. Insofern geht es in der Geschichtspolitik der PiS innen­politisch auch darum, wer der Interpretation der Partei zustimmt und sich loyal verhält.

Geschichtspolitik hat aber für die PiS auch eine explizit außenpolitische Dimension. Sie ist ein Element zum Ausbau der Position »im internationalen Raum«.33 Hierbei geht es zum einen darum, Fehlinformationen entgegenzutreten, zum anderen, die historische Wahrheit im Sinne der Politik des Stolzes und der Würde nach außen zu tragen und »Antipolonismus«34 in die Schranken zu weisen. Entschlossen geht man daher (wie auch schon die Vorgängerregierungen) gegen die falsche Bezeichnung »polnische Konzentrationslager« vor, die immer wieder in Medien weltweit verwendet wird. Forsch wurde auch reagiert, als Polen von russischer Seite Anfang 2020 Mitverantwortung für den Beginn des Zweiten Weltkriegs unterstellt wurde. Die PiS ist jeder­zeit bereit, den guten Namen Polens in den laufenden und künftigen »Erinnerungskriegen« (memory wars) offensiv zu verteidigen, denn Geschichts- und Identi­tätspolitik ist auch Sicherheitspolitik. Es ist daher nur folgerichtig, dass in der aktuellen Nationalen Sicher­heitsstrategie vom Mai 2020 die »Festigung der natio­nalen Identität« sowie der »Schutz des nationalen Erbes« als einer von vier sicherheitspolitischen Schwer­punkten genannt und ebenfalls auf die staatliche Ge­schichtspolitik verwiesen wird.35 Parteichef Kaczyński sieht nicht näher spezifizierte äußere Faktoren am Werk, die Polens Renommee gezielt untergraben, denn »seit fast 300 Jahren waren wir das Objekt einer organisierten Diffamierungsaktion seitens benach­barter Mächte, die unsere Reputation vernichten«.36

Dass die PiS in ihrer »Geschichtsaußenpolitik« den Bogen auch schnell überspannt, zeigte sich bei der Novelle des Gesetzes zum IPN Anfang 2018. Die Partei wollte all diejenigen strafrechtlich belangen, die dem polnischen Staat oder der polnischen Nation Mit­verantwortung an Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland zuschreiben wollten. Dieser Schritt löste eine Welle der Empörung unter anderem in den USA und in Israel aus, da befürchtet wurde, damit werde jegliche Debatte über Fälle von polnischem Fehlverhalten oder Antisemitismus während der deutschen Besatzungszeit in Polen unmöglich gemacht. Die Regierung änderte daraufhin nach Gesprächen mit Vertretern Israels das Gesetz.37

Für das außenpolitische Gebaren der PiS bringen ihr kulturelles Narrativ und ihre geschichtspolitischen Deutungen zumindest vier Konsequenzen mit sich.

  • Die nach innen versprochene Politik der Würde und des Stolzes muss auch nach außen vertreten werden und bedarf immer wieder symbolischer Erfolge: Eine heroische Geschichtspolitik erfordert erkämpfte Resultate in der Außenpolitik.

  • Die erinnerungspolitischen Interpretationen der PiS gründen in erlittenem Unrecht (krzywda) eines multiplen Opfers. Aus dem zugefügten Leid wird nun aber durch eine offensive Politik des Gedenkens »moralisches Kapital« akkumuliert.38 Dieses spielt gerade auch im Umgang mit Deutschland eine wichtige Rolle, dem aufgrund der Vergangenheit das Recht auf Werturteile zum Beispiel über die polnische Innenpolitik abgesprochen wird.

  • Der Geschichtspolitik der PiS wohnt eine Tendenz zur Renationalisierung der kollektiven Erinnerung inne. Gemeinsames Gedenken oder eine europäisierte Rückschau werden leicht als Ausdruck einer unpatriotischen Haltung desavouiert.

  • Die Aufrechterhaltung traditioneller und christ­licher Werte und einer spezifischen polnischen Identität wird als Voraussetzung für nationale Souveränität und letztlich auch nationale Sicherheit betrachtet. Die PiS setzt sich daher in der EU dafür ein, dass kulturelle und identitätspolitische Spielräume auf nationalstaatlicher Ebene erhalten bleiben, aber auch dafür, dass ihr Verständnis von dem, was einen europäischen Wertefundus ausmacht, akzeptiert wird.39

Die PiS und der Staat: Gesundung durch Reformen

In der Logik der PiS krankt das polnische Gemein­wesen vornehmlich daran, dass in der Übergangssituation von 1989 ein dysfunktionales institutionelles Design entworfen worden sei und dass sich exkommunistische Seilschaften in Politik und Verwaltung eingenistet hätten. Ungeachtet von Zeitablauf, Gene­rationswandel und Regierungswechseln in den Jahren und Jahrzehnten nach dem Ende des Kommunismus wird daraus die Notwendigkeit weitreichender Ver­änderungen abgeleitet: »In der Kette von Ursachen und Wirkungen steht die Wiederinstandsetzung (naprawa, wörtlich Reparatur) des Staates im Grunde an erster Stelle.«40 Im Mai 2005, wenige Monate bevor die PiS erstmals Regierungsverantwortung übernahm, machte Parteichef Kaczyński deutlich, worum es da­bei gehen soll: »Es bedarf einer tiefgreifenden Reform sowohl der Legislative – denn wir wissen alle, dass diese schlecht funktioniert – als auch der Judikative und der Exekutive.« Polen brauche eine »große Reini­gung […], da der Postkommunismus seine Geheimnisse hart verteidigt.«41 Daher bildeten sowohl zwischen 2005 und 2007 und erst echt nach 2015, als die PiS mit absoluter Mehrheit regierten konnte, die Rekon­struktion des Staatsapparates und besonders der Justiz einen Schwerpunkt bei den Reparaturmaßnahmen der PiS.42

Gerade die Justizreform ist ein Herzstück der Sanierungspolitik à la PiS.

Gerade die Justizreform ist denn auch ein Herzstück der Sanierungspolitik à la PiS. Nach 2015 hat man rasch und zielstrebig den Versuch unternommen, sich der Schaltstellen der Gerichtsbarkeit, aber auch der Staatsanwaltschaft zu bemächtigen. Die PiS hat durch Personalpolitik und eine extensive Regel­auslegung oder gar Regelübertretung sowie Gesetzesänderungen den Verfassungsgerichtshof faktisch mit ergebenen Richtern besetzt. Durch mehrere Gesetzes­novellen wurde die Gerichtsbarkeit nicht zuletzt für personalpolitische Einflussnahme zugänglicher gemacht: So wurde der Landesjustizrat – ein Organ zur Sicherung der richterlichen Unab­hängigkeit, das beim Auswahl- bzw. Vorschlags­prozess von Richtern eine entscheidende Rolle spielt – stärker politisiert: Die 15 Richter (von seinen insgesamt 25 Mitgliedern) werden nicht mehr von der Richterschaft, sondern vom Sejm gewählt. Auch das Disziplinarwesen wurde umstrukturiert und gibt nach Ansicht von Kritikern dem Justizminister erhebliche Möglichkeiten, unlieb­same Richter in die Schranken zu weisen oder zu sanktionieren. Im Ver­hältnis zur EU führten diese Schritte zu ernst­haften Zerwürfnissen und unter anderem zu mehreren Ver­tragsverletzungsverfahren, Maßnahmen des Europäischen Gerichtshofs, der Initiierung eines Verfah­rens nach Artikel 7 des EU-Vertrags und zur vorläufigen Nichtauszahlung von Mitteln aus dem Wiederaufbaufonds Next Gene­ration EU, der nach der Covid-19-Pandemie aufgelegt worden war.

Die Entschlossenheit, mit der die PiS den Umbau der Justiz vorantreibt, kommt nicht von ungefähr. Sie ist aus Sicht der Partei die Voraussetzung der Staats­reform, und diese wiederum bildet die Conditio sine qua non eines Wiedererstarkens Polens insgesamt. Dass gerade Parteichef Kaczyński ein Motor für die Justizreform ist, hat einen bestimmten Grund. Kaczyński ist Jurist, und die seiner Einschätzung nach zu behebenden generellen Mankos in Staat und Gemeinwesen rühren zu einem Großteil aus von ihm wahrgenommenen Defiziten in der Justiz, im Rechts­system und in der Rechtspraxis. Kaczyńskis Auffassung wiederum ist offensichtlich stark von Stanisław Ehrlich beeinflusst, einem Professor der Jurisprudenz aus volkspolnischen Zeiten. Der marxistische Hoch­schullehrer Ehrlich betreute Kaczyńskis Magister- und Doktorarbeit und gilt – neben Józef Piłsudski – als eines der beiden großen Vorbilder des PiS-Chefs. Ehrlich kritisierte aus marxistischer Perspektive das Funktionieren des Rechtsstaates (in westlichen Län­dern, vor allem den USA). Dieser sei durch informelle Einflussgruppen und korporative Interessen limitiert und bleibe ein legalistisches Konstrukt. Jarosław Kaczyński greift derlei Betrachtungen auf und wendet sie auf die Situation in Polen seit 1989 an.

Der frühere Leiter des konservativen Jagiellonen-Klubs Krzysztof Mazur beschäftigte sich ausführlich mit der Rezeption Ehrlichs bei Kaczyński. Mazur zufolge ist ein zentrales Element in Kaczyńskis Sicht folgende Überlegung: Ein rein legalistisches Verständnis von Rechtsstaatlichkeit habe nach 1989 die Demontage des kommunistischen Staates vereitelt, den reformorientierten Kräften die Hände gebunden und eine »Nomenklatur-Rente« für die Vertreter des alten Systems ermöglicht. Letztlich habe dieses Rechts­staatsverständnis den Einfluss der früher Herrschenden »petrifiziert«, da eine echte Dekommunisierung oder die Durchleuchtung von Staats­bediensteten auf ihre Zusammenarbeit mit kommunistischen Geheim­diensten verhindert wurde. Daher sei die »rechtliche Weltanschauung« des PiS-Vorsitzenden bis heute vom »Primat des politischen Faktors über den rechtlichen« geprägt, vom »Primat der Praxis der Rechtsanwendung über eine theoretische Rechtsauffassung«, vom »Primat eines realistischen über ein idealistisches Rechtsverständnis«.43

Ausgehend von dieser Diagnose stellt Jarosław Kaczyński dem »rechtlichen Impossibilismus«,44 der durch die Errichtung künstlicher legalistischer Hürden angeblich die Interessen exkommunistischer und liberaler Gruppen45 schützt, das Politische, vor allem also die Legitimation durch das Mandat des Souveräns gegenüber. Eine zentrale Rolle spielt hierbei die Gerichtsbarkeit, denn die Gerichte sind, so Kaczyński, die »letzte Barrikade« des Staates. Wenn diese gegen den Staat oder die Interessen des Bürgers gerichtet seien, werde die Wiederinstandsetzung des Gemeinwesens erfolglos bleiben. Mit genau dieser Situation habe es die PiS zu tun.46 Der Verfassungs­gerichtshof sei vor 2015 ein politisches, ja parteipolitisches Organ gewesen. Die zuvor regierende Bürger­plattform habe den Gerichtshof zu einer Art dritten Parlamentskammer umbauen wollen.47 Die Notwendigkeit zu einem forcierten Wandel ergebe sich daraus von selbst, denn ohne tiefgreifende Reform der Gerichte sei die Gesundung des Staates nicht mög­lich. Diese wiederum sei die notwendige Voraus­setzung für den Aufbau eines erfolgreichen Polens.48

In dieser Denkweise spiegelt sich ein spezifisches Rechtsstaatlichkeits- und Demokratieverständnis wider, bei dem erhebliche Zweifel an der Rechtsstaatswirklichkeit und das Prinzip der Dominanz von Mehrheitslegitimität zusammenfließen. Jarosław Kaczyński hat daher die Legitimität des aus direkter Wahl hervorgegangenen Parlaments über die des Verfassungsgerichts gestellt.49 Diese Einschätzung gilt umso mehr, als er davon ausgeht, dass in der polni­schen Realität nach 1989 kein demokratischer Rechts­staat existiert habe.50 Nimmt man diese Gedanken zusammen, ergibt sich hieraus unter anderem eine Schlussfolgerung: Wenn grundsätzlich parlamentarische Mehrheiten Beschlüsse der (verfassungs)richter­lichen Gewalt aushebeln dürfen, so muss dies erst recht in einem dysfunktionalen Rechtsstaat möglich sein.

All diese Argumente fügen sich in einen neuen Kontext, seit die PiS durch ihre Justizreformen Fakten geschaffen hat. Nachdem die PiS im Verfassungsgerichtshof und in weiten Teilen der ordentlichen Gerichtsbarkeit, aber auch zum Beispiel in der Staats­anwaltschaft Veränderungen in ihrem Sinne herbei­geführt hatte, wurde das Narrativ der Partei fortentwickelt. Nun geht es darum, eine Rücknahme der Reformen gegen den Druck seitens der EU, gegen die Kritik der Opposition und gegen widerständige Rich­ter zu verhindern. Die Interventionen der Europäischen Kommission und Maßnahmen bzw. Urteile des Europäischen Gerichtshofs, vor allem aber die Etablie­rung neuer monetärer Sanktionsmechanismen im Falle einer Verletzung von Rechtsstaatlichkeit haben der Reformoffensive der PiS in Justiz und Gerichtsbarkeit Einhalt geboten. Zudem haben sie zu einem Stellungskrieg zwischen PiS-Regierung und PiS-loyalen Teilen der Justiz einerseits und EU-Organen sowie kritischen Teilen der Richterschaft andererseits geführt. Die PiS sah sich genötigt, Elemente ihrer Justizreform zurückzunehmen, machte aber nur die für einen Kompromiss für den Zugang zu EU-Mitteln absolut nötigen Schritte. In der Praxis wurde deutlich, dass die PiS-Führung diesen Prozess nicht mehr steuern kann, denn im eigenen Lager traten Interessen- und Machtkonflikte auf, die selbst Jarosław Kaczyński nicht mehr ausgleichen konnte. So torpedierte Justiz­minister Zbigniew Ziobro mit seiner harten Linie mehrfach den auf einen Kompromiss mit Brüssel abzielenden Kurs von Premier Mateusz Morawiecki. Die Novellierung des Gesetzes über das Oberste Gericht und die damit verbundene Auflösung der von der PiS geschaffenen umstrittenen Disziplinar­kammer im Obersten Gericht hätten den Weg dafür geebnet, Polen wieder Gelder aus dem Wiederaufbaufonds Next Generation EU zu zahlen. Doch der Staatspräsident machte der eigenen Regierung einen Strich durch die Rechnung: Er legte das Gesetz dem Verfassungsgerichtshof zur Vorabkontrolle vor, wodurch es bis auf Weiteres nicht in Kraft treten konnte. Da dort zwischenzeitlich Querelen zwischen Richtern aufgekommen waren, die an sich als regierungsnah galten, konnte bis mindestens Herbst 2023 mangels Beschlussfähigkeit kein Urteil gefällt werden. Die PiS hält prinzipiell an der Notwendigkeit der Justizreformen und weiterer Änderungen fest und stemmt sich einer Rückabwicklung ihres Umbau­werks entgegen.

Während sie grundsätzlich weitere Reformen für nötig hält, wird es ihr zunächst darum gehen, Erreichtes zu bewahren und darauf zu bauen, dass ihre Delegitimationskampagne gegen die »alte Justiz« und die »Kaste« der Richterschaft in Teilen der Gesellschaft verfängt. Eine weitere Eskalation in der »Außendimension« des Staatsumbaus und der Justiz­reform, also eine weitere Verschärfung des Streits mit der EU ist für die PiS durchaus riskant. Einerseits handelt es sich dabei um ein Mobilisierungsthema, mit dem die Partei vor allem ihre Kernanhängerschaft aktivieren kann. Andererseits birgt eine Zuspitzung die Gefahr, dass die PiS ihre europapolitische Posi­tionierung als »europarealistische« Partei der Inter­essensdurchsetzung zwischen der »naiven« oder von Deutschland »ferngesteuerten« EU-freundlichen Opposition und den antieuropäischen Nationalisten verliert. Dann nämlich kann die integrations­befürwortende liberalkonservative und linke Mitte argumentieren, die PiS gefährde die Mitgliedschaft Polens in der EU, weil der Rechtsrahmen der Gemeinschaft nicht mehr anerkannt werden würde. Angesichts weiterhin hoher Zustimmungsraten zur Mitgliedschaft in der EU möchte die PiS ein solches Image (einstweilen) vermeiden. Sobald es aber einen »Link« zwischen Justizreform und dem Ausbleiben von EU-Geldern gibt, erhalten die Auseinander­setzungen um die Rechtsstaatlichkeit, die ansonsten für viele Menschen ein eher abstraktes Thema ist, innenpolitische Relevanz.

Wirtschafts- und Sozialpolitik – ökonomische Souveränität und polnischer Wohlfahrtsstaat

Ein weiteres Kernelement im Denken und Handeln der PiS ist die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Hierbei geht es der Partei um die Abkehr von einem wirtschaftsliberalen, deregulierten und offenen Markt­paradigma – welchem angeblich die Regierungen der Bürgerplattform bzw. der exkommunistischen Linken anhingen – und um die Hinwendung zu einer soli­darischen Marktwirtschaft mit Gemeinwohlorientierung und einer aktiven Rolle des Staates. Parallel hierzu definiert die PiS die Überwindung der Falle des mittleren Einkommens (middle income trap) als eine ihrer Prioritäten. Gemeint ist damit eine Situation, bei der Länder in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung steckenbleiben, nachdem sie ihre Vorteile als Billig­lohnökonomien verloren haben, jedoch nicht in der Lage waren, durch Investitionen in Humankapital sowie Forschung und Entwicklung international konkurrenzfähig zu bleiben.

Die PiS will heimisches Kapital stärken sowie übermäßige wirtschaftliche Abhängigkeit von außen überwinden.

In der Wirtschaftspolitik will die PiS nicht zuletzt heimisches Kapital stärken und generell übermäßige wirtschaftliche und finanzielle Abhängigkeit von außen überwinden, all dies neben klassischen Zielen wie der Hebung von Wettbewerbsfähigkeit, der Verbesserung des unternehmerischen Umfelds durch Entbürokratisierung oder dem Ausbau von Innova­tionsfähigkeiten. So wurden einige Unternehmen im Energie- und Finanzsektor, die zuvor »in ausländischer Hand« waren, von Firmen mit staatlicher Betei­ligung zurückgekauft.51 Eine »Repolonisierung« erlebten auch Teile des Mediensektors. Anfang 2021 übernahm der staatlich dominierte Energiekonzern PKN Orlen die Polska Press von der Passauer Verlagsgruppe. Zu Polska Press gehörten zum damaligen Zeitpunkt 20 regionale Tageszeitungen, 150 Wochenzeitungen auf lokaler Ebene sowie 500 Internet-Portale.52 Der PiS war offenkundig die dominante Stellung deutschen Kapitals im regionalen Pressemarkt ein Dorn im Auge.

Gleichzeitig wird versucht, »nationale Champions« in strategisch sensiblen Bereichen zu konsolidieren oder aufzubauen. Das Flaggschiffprojekt liegt im Energiesektor. Dort, wo ohnedies Firmen mit staat­licher Beteiligung eine starke Stellung einnahmen, wurde in Gestalt von PKN Orlen ein großer polnischer Staatskonzern geschaffen. Orlen erwarb Anteile an der Elektrizitätsfirma ENERGA, übernahm (unter Auf­lagen) den Danziger Erdölkonzern Lotos und fusio­nierte mit dem großen, ebenfalls staatlich kontrollierten Gasunternehmen PGNiG. Damit rückte Orlen nach Angaben seines Vorstandsvorsitzenden Daniel Obajtek auf Platz 155 der weltgrößten Konzerne.53

Auch im Finanzwesen präferiert die PiS die Ver­ringerung der Abhängigkeit von externen Akteuren. Noch als Wirtschaftsminister erklärte der spätere Ministerpräsident Morawiecki, dass er mit Blick auf die Staatsverschuldung die Situation Japans derjenigen Polens vorziehe, obwohl die Relation in Bezug auf die Wirtschaftskraft in Japan deutlich schlechter ist (in Japan liegt diese bei etwa 250% Schulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, in Polen bei grob 50%). Der Grund: Der japanische Staat sei bei den eigenen Bürgern verschuldet, während Polen der siebtgrößte Auslandsschuldner der Welt sei.54 Da ausländische Investoren nach 1989 große Teile der polnischen Industrie und des Handels aufgekauft hätten, so erklärte Morawiecki später als Minister­präsident, komme es seit Jahren zum massiven Ab­fluss von Profiten aus Polen. Damit sei das Land faktisch ein Nettozahler in der EU, da den 25 Milliar­den Zloty jährlicher Nettotransfers aus EU-Mitteln ein Abgang von Gewinnen in Höhe von 100 Milliarden Zloty entgegengehalten werden müsse.55 Daher solle nun ein Vierteljahrhundert folgen, in dem »polnisches Eigentum und polnisches Kapital« unterstützt werden.56

Ungeachtet dieser Rhetorik ist aber festzuhalten, dass unter Morawiecki weiterhin um ausländisches Kapital geworben wurde und Investitionen wie die Eröffnung einer großen Zweigstelle der amerikanischen JP Morgan Bank in Warschau (wobei die Umset­zung aber schleppend verläuft) oder einer Mercedes-Benz-Motorenfabrik im niederschlesischen Jawor als großer Erfolg dargestellt wurden. Der Zufluss von ausländischem Investitionskapital hat sich in der Regierungszeit der PiS verstärkt. Die staatliche Investitionsagentur PAIH wies für 2022 einen neuen Rekordzustrom aus, wobei Deutschland das Land war, von wo aus am meisten Gelder mit Hilfe dieser Einrichtung in Polen angelegt wurden.57

Es wäre unzutreffend, in diesem Zusammenhang von bloßem Staatsinterventionismus oder gar Dirigis­mus zu sprechen. Auch die PiS sieht eine funktionierende Marktwirtschaft als Basis des ökonomischen Geschehens. Allerdings sind etatistische Züge in wirtschaftspolitischem Denken und Praxis unverkennbar. Ohne einen aktiven Staat lassen sich weder Reindustrialisierung noch Repolonisierung voranbringen – und der Weg aus vermeintlicher externer wirtschaftlicher Dominanz kann nur mit forcierten staatlichen Maßnahmen beschritten werden. Die erwähnten »nationalen Champions« fallen ebenso unter diesen Ansatz wie eine Vorliebe für umfang­reiche wirtschaftliche Planungsprogramme. Beispiele für Letztere sind der 2016 initiierte »Plan für verant­wortungsvolle Entwicklung«, nach seinem Initiator auch Morawiecki-Plan genannt, und der im Zusammenhang mit der Pandemie angeschobene polnische Wiederaufbauplan Polski Ład. In diesen Kontext gehören auch große, öffentlichkeitswirksame Infra­strukturprojekte. Hier zu nennen sind etwa der Durchstich durch die Frische Nehrung, der Bau der Gaspipeline Baltic Pipe durch die Ostsee nach Däne­mark und die – allerdings holprig verlaufende – Planung für einen neuen Zentralflughafen (Centralny Port Komunikacyjny, CPK) zwischen Warschau und Lodz. Für Mateusz Morawiecki beruht denn auch der Erfolg von Ländern wie Südkorea, Japan, Frankreich oder Deutschland nicht auf einem »spontanen neo­liberalen Wirtschaftswachstum«. Vielmehr sei er Resultat staatlicher Unterstützung – durch Regulierung, Gesetzgebung, Kapital und Finanzpolitik.58

Morawieckis Wirtschaftspolitik ist inspiriert vom chinesischen Ökonomen und früheren Weltbank-Chefökonomen Justin Yifu Lin, der die wirtschaftswissenschaftliche Schule der New Structural Eco­nomics (NSE) begründete. Diese propagiert eine fördernde Rolle des Staates für den Modernisierungsprozess von Ökonomien, die sich im Prozess der Entwicklung und des Aufholens befinden. Damit distanziert sich diese Schule vom alten strukturökonomischen Ansatz, der interventionistische Maßnahmen wie Protektionismus und staatliches Eigen­tum zentraler Firmen forderte. Im Unterschied dazu möchte die NSE keine schützende Abkapselung von außen, sondern die Aufrechterhaltung außenwirtschaftlicher Offenheit und eine gestaltende, aber eher indirekt unterstützende Rolle des Staates vornehmlich für Wirtschaftszweige, bei denen ein komparativer Vorteil besteht. Gleichzeitig grenzt sich die NSE aber auch von neoliberalem Denken und Laissez­fairismus ab. Konzeptionell lehnt sich die Wirtschaftspolitik der PiS in Teilen an die NSE an, sei es, dass die polnische Regierung den Washingtoner Konsens (also stabilitäts- und angebotsorientierter wirtschaftspolitischer Maßnahmen) als Leitmodell für die polni­sche Transformation ablehnt oder dass sie versucht, wettbewerbsfähige und innovative Branchen zu iden­tifizieren und zu unterstützen, etwa E-Automobilität oder den Bau von Drohnen.59 Oppositionsnahe Kriti­ker wenden ein, dass die von den PiS-Regierungen realisierte Wirtschaftspolitik die NSE nicht konsequent umsetze und die erhofften Effekte daher nicht einträten60 oder dass es sich um eine Neuauflage des klassischen Staatsinterventionismus handle.61

Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der PiS sind eng mit deren sozialpolitischem Profil verwoben.

Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der PiS sind eng mit dem sozialpolitischen Profil der Partei verwoben. Bereits in der ersten Regierungsphase zwischen 2005 und 2007 hatte die PiS versucht, mit der Parole eines solidarischen und sozialen Polens sich von der Ausrichtung der Bürgerplattform abzu­setzen. Und auch nach 2015 wurde eine Vielzahl sozialpolitischer Programme aufgelegt. Zum Flaggschiffprojekt wurde das Programm Rodzina 500+, also die Einführung eines monatlichen Kindergeldes in Höhe von 500 Zloty (etwa 110 Euro) pro Kind – zunächst ab dem zweiten, seit 2019 auch ab dem ersten Kind. Im Rahmen des Programms Mama 4+ erhalten Mütter und Väter, die vier oder mehr Kinder großgezogen haben, eine spezielle Rente. Rentner kommen seit 2019 in den Genuss einer 13. Monatsrente in Höhe der Mindestrente. Seit 2021 wurde Empfängern geringer Altersbezüge zunächst als Einmalleistung eine 14. Rente ausbezahlt. Nachdem die Vorgängerregierungen das Renteneintrittsalter erhöht hatten, wurde dieses wieder auf optional 60 Jahre für Frauen und 65 Jahre für Männer herab­gesetzt. Die PiS machte das Rentenalter auch zu einem zentralen Thema ihres Wahlkampfes für die Parlamentswahlen 2023. So schlug sie vor, statt einer festen Altersgrenze einen Renteneintritt abhängig von der Anzahl der geleisteten Arbeitsjahre einzu­führen. Überdies bezog sich eine Frage des zeitgleich mit den Wahlen angesetzten Referendums auf das Renteneintrittsalter: Wahlberechtigte können sich dafür oder dagegen aussprechen, dass künftig die Altersgrenze wieder auf 67 Jahre angehoben wird. In einem Werbespot der PiS wurde Oppositionschef Tusk als Befehlsempfänger aus Berlin dargestellt, der die Erhöhung des Rentenalters auf Vorschlag der deutschen Bundeskanzlerin eingeführt habe. Weitere Akzente setzte die PiS auf Felder wie Lohnpolitik oder prekäre Dienstleistungserbringung. Kräftige Erhöhungen des Mindestlohns von 2250 Zloty zu Beginn der laufenden Legislaturperiode im Jahr 2019 auf 4000 Zloty bis 2024 sowie die Festlegung eines Mindeststundensatzes für Werkverträge sollen sozial Schwache stützen und mehr Kaufkraft schaffen.

Ebenfalls mit Blick auf die Parlamentswahlen am 15. Oktober 2023 präsentierte die PiS neue sozialpolitische Initiativen. Das Kindergeld wurde auf 800 Zloty angehoben, die 14. Monatsrente auf Dauer gestellt, und Arzneimittel für Kinder und Jugendliche sowie für Menschen ab dem 65. Lebensjahr wurden von Gebühren befreit. Mit diesen und anderen Maßnahmen konnte die PiS sich beachtlichen Rückhalt in der Gesellschaft sichern: Die Sozialprogramme sind für viele Wähler ein spürbarer und positiver Effekt der PiS-Politik, wohingegen Themen wie Rechtsstaat und Demokratie für sie sekundär sind.

Doch hinter der Sozialpolitik der PiS steht mehr als lediglich wahltaktische Überlegungen. Die Partei hat die von ihr lancierten sozialpolitischen Neuerungen bald in einen breiteren Rahmen gesetzt, nämlich den Aufbau eines »polnischen Wohlfahrtsstaates«. Damit proklamiert die Partei nicht nur ein Gegenkonzept zum liberalen Ansatz der Bürgerplattform, sondern auch das Ende der sozialökonomischen Transforma­tionsperiode, also einer Phase der Entbehrungen und des Verzichts,62 sowie eine konservative Sozialstaatskonzeption, die sich von linken oder sozialdemokratischen Vorstellungen abgrenzt. Der polnische Wohl­fahrtsstaat fügt sich dabei in die breiteren ideologischen Ziele der PiS ein. Ministerpräsident Morawiecki machte in seiner zweiten Regierungserklärung im November 2019 deutlich, was er unter einem solchen Wohlfahrtsstaat versteht, nämlich »einen Staat der Familien und einen Staat der Unternehmer« und einen »Staat, der die Werte der Polen schätzt«.63 Sozialpolitik (ebenso wie Wirtschaftspolitik) ist immer auch Gesellschaftspolitik. Der PiS geht es daher bei ihrer Wohlfahrtsstaatskonzeption besonders darum, die traditionelle Familie als Fundament der Gesellschaft zu stärken und für größeren Zusammenhalt zu sorgen, der im Sinne von mehr Gemeinschaftlichkeit sowie ausgewogener sozialstruktureller, sektoraler und regionaler Entwicklung zu verstehen ist. Sozial­politik ist für die PiS aber auch ein Mittel, um der Gesellschaft und jeder einzelnen Familie Wertschätzung und Respekt zurückzugeben, denn die Regierungspartei betreibe nicht weniger als eine »Revolu­tion der Würde«.64

In ihrem Wahlprogramm aus dem Jahr 2019 hat die Partei zusammengefasst, worauf sie mit ihrer Sozial- und Wirtschaftspolitik hinarbeitet. Leitbild beim Aufbau der polnischen Version des Wohlfahrtsstaates sei es, »die ambitionierte Modernisierung Polens mit einer raschen Anhebung von Lebensstandard und Lebensqualität der Gesellschaft zu verbinden und dabei die polnische Identität und Tradition aufrechtzuerhalten«.65 Werden Wohlfahrtsstaat und Wirtschaftspolitik in den breiteren außenpolitischen Kontext gestellt, betreibt die PiS Modernisierung auch als Selbstbehauptungspolitik. Voraussetzung für die Durchsetzung nationaler Interessen im internationalen Wettbewerb ist, patriotisches Kapital und heimi­sche Innovationskraft zu schaffen. Das heißt, das Modell »abhängiger« oder »neokolonialer« Entwicklung – Begriffe, die in Dokumenten, von PiS-Politi­kern oder im intellektuellen Umfeld der Partei oft benutzt werden – zu überwinden und auf diese Weise wirtschaftliche Souveränität zu erlangen.66 Verharre Polen in einer langen Phase der Stagnation, werde es nicht zu den stärksten Staaten aufschließen können, hatte Parteichef Kaczyński noch vor den Wahlen von 2015 erklärt – und mahnend hinzu­gefügt: »In diesem Teil Europas gibt es keinen Platz für schwache Staaten.«67

Von den Knien aufstehen: Außen- und Europapolitik und das Verhältnis zu Deutschland

Die außen- und europapolitischen Leitlinien der PiS korrespondieren in vielerlei Hinsicht mit den breite­ren weltanschaulichen und politischen Globalzielen der Partei. Sie sind staatszentriert, drücken das Streben nach Stärke, Prestige und Wertschätzung aus, ent­halten eine normative Komponente und bauen auf einer in sich schlüssigen Interpretation historischer Erfahrungen auf. Nach eigenen Angaben stehen für die Partei drei Kategorien im Zentrum ihrer Aktivi­täten auf internationaler Ebene: »Staatsräson, polni­sche nationale Interessen und die Subjekthaftigkeit (podmiotowość) Polens«.68 Mit ihrer selbstbewussten Außenpolitik grenzt sich die PiS von den Vorgängerregierungen ab, denen sie unter anderem ein an­gepasstes Mitschwimmen im europäischen »Main­stream« ebenso vorwirft wie eine »zweitrangige und periphere Politik, eine Politik der Selbstdegradierung und der Harmonisierung unserer Ansichten mit den Standpunkten derer, die man für die Stärke­ren hält«.69 Ähnlich wie in der Wirtschaftspolitik diagnostiziert die PiS auch in außenpolitischer Hin­sicht eine nach 1989 entstandene Situation der Abhängigkeit, ja des Klientelismus und der Servilität insbesondere gegenüber Ländern wie Deutschland.70 In der Außen- und Europapolitik gehe es folglich darum, Polen aus einer post- oder neokolonialen Posi­tion in EU und internationalem Gefüge heraus­zuführen.71

In der Außenpolitik will die PiS angeblichen Klientelismus und Servilität vor allem gegenüber Ländern wie Deutschland beenden.

Der Blick der PiS nach außen scheint von Lehr­büchern des Realismus angeleitet. Doch diese Inter­pretation des Weltgeschehens, die von staatlichen Interessenlagen und Machtgegensätzen, von Nullsummenlogik und Dominanzabwehr beherrscht ist, wird durch die Bedeutung der kollektiven Erinnerung ergänzt. Zutreffend konstatierte ein mit der Partei verbundener Politologe, die Schöpfer und die mit der Umsetzung der außenpolitischen Konzeption der PiS Befassten gingen davon aus, dass die internationalen Beziehungen »von zwischenstaatlichen Konflikten dominiert werden«, während das Handeln der Staaten im internationalen Geschehen wiederum »stark durch historische Prozesse, historische Erinnerung und Staatsräson bedingt« sei.72 Sprach Ministerpräsident Morawiecki sogar einmal von seinem Traum, Europa zu »rechristianisieren«,73 lautet das heute vorherrschende Motiv der PiS, die europäische Integration wieder deutlicher an den Werten ihrer Gründungsphase auszurichten, in denen christlich inspirierte und christdemokratische Politiker eine wichtige Rolle gespielt hätten.74 Weit verbreitet ist in der Partei nicht nur die Einschätzung, die EU habe sich von ihren christlichen Wurzeln entfernt, sondern auch die Meinung, in vielen europäischen Staaten seien Christen einer wachsenden Diskriminierung aus­gesetzt, die sich auch in repressiven rechtlichen Rege­lungen wie der Aufhebung von Gewissens­klauseln in vielen Mitgliedstaaten der EU niederschlage.75 Laut Parteichef Kaczyński wollen die »gegen­wärtigen ›Seeleningenieure‹ das Christentum aus dem euro­päischen kulturellen Gedächtnis verdrängen«.76

In der Diskussion über die Zukunft der EU lehnt die PiS daher folgerichtig Vertiefungsprojekte im Sinne einer politischen Union, einer engeren Union (ever closer union) oder der Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen ab. Im Wahlprogramm der PiS von 2023 finden sich Fachbegriffe wie competence creep und spillover effects, mit denen die PiS aus ihrer Sicht in der EU ablaufende Zentralisierungs­prozesse anprangert und aus denen sie die Notwendigkeit einer aktiven Einhegung von EU-Organen und des Schutzes nationaler Hoheitsbereiche ableitet. Vorgeschlagen werden unter anderem eine Institu­tion, die Kompetenzstreitigkeiten in der EU regelt (zum Beispiel eine spezielle Kammer des Europäischen Gerichtshofes), die Ablehnung neuer Felder für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen oder die Etablierung eines Verfahrens, mit dem sich die Rechtsstaatlichkeit von EU-Organen überprüfen lässt.77 Die Idee einer polyzentrischen Union wird auch deswegen betont, weil man den Druck der EU bei Fragen der Rechtsstaatlichkeit als Anmaßung und Übergriffigkeit von EU-Organen versteht. Jarosław Kaczyński sprach von einer »ideologischen Radikalisierung« des EU-Mainstreams, die sich für Polen darin äußere, dass auf einen Regierungswechsel hingearbeitet werde und das Land »irrationale« Vorgaben der Klimapolitik zu erfüllen habe.78 Der Europaabgeordnete Jacek Saryusz-Wolski attestierte einigen EU-Institutionen, sie führten einen »hybriden Krieg« gegen Polen.79

Gleichwohl wird aber weder die Dekonstruktion der EU noch ihr Umbau zu einem lockeren Konglomerat angestrebt, bei dem Solidarität und finanzielle Transfers zurückgefahren würden. Die PiS ist sich bewusst, dass die nationalen Interessen, die sie vertei­digen will, eben auch starke Gemeinschaftsinstitutionen, effektive Regeln und integrierte Politikfelder erfordern. Als »eurorealistische« Partei möchte die PiS im Grunde weniger Delors und mehr de Gaulle,80 also eine Reform der EU, die den Einfluss besonders der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofs als politische Akteure eindämmt, diesen aber weiter in bestimmten Bereichen Durchsetzungskraft gibt: nicht bei der Migrationspolitik oder in Sachen Rechtsstaatspolitik, sehr wohl aber bei Fragen der Sicherung des Binnenmarkts oder einer solidarischen Energiepolitik. Überdies wird die Struktur- und Kohäsionspolitik der EU als »Modernisierungsvehikel«81 für Europa anerkannt, und die Partei hat sich immer die Schlüsselbedeutung der Brüsseler Transfers für Polen vergegenwärtigt. Gerade wenn es ums Geld geht, wird auch eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit der PiS-Europapolitik deutlich. Einerseits hat die Partei in ihrem europapolitischen Leitbild klar souveränistische Positionen eingenommen.82 Sie wirft der EU durch die Verträge nicht gedeckte Versuche der Einschränkung mitgliedstaat­licher Hoheitsrechte, eine »stille Revolution« etwa durch die »schleichende Kompetenzerweiterung von Institutionen wie dem Europäischen Gerichtshof« vor, denen sich Polen entgegenstellen werde.83 Un­geachtet des Widerstands gegen eine sich vertiefende EU wurde indes das Next-Generation-Instrument, das in gewisser Weise auch eine Form der Integrations­intensivierung darstellt, zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt. Das finanzielle Interesse dominiert die ordnungspolitischen Vorstellungen.

Wie im Falle der meisten anderen parteipolitischen Akteure in Polen spielen Sicherheitspolitik und die Suche nach Schutz auch für die PiS eine zentrale Rolle bei ihrem Blick auf das internationale Geschehen. In diesem Kontext unterscheidet sich die PiS nicht grundsätzlich von den meisten anderen Kräften des Landes, in deren Bedrohungswahrnehmung Russland und dessen unberechenbares Verhalten an oberster Stelle stehen und für die ein enges Bündnis mit den USA sowie eine funktionierende Nato die Garanten für die Sicherheit Polens sind. Die PiS be­fürwortet in ihrer Programmatik und im Regierungshandeln eine euroatlantische Ausrichtung der polni­schen Sicherheitspolitik, die sowohl eine transatlan­tische als auch eine europäische Komponente enthält. Faktisch wird aber eine klare Politik des Nato first oder sogar des USA first betrieben. Der Unterschied etwa zur Vorgängerregierung besteht weniger darin, dass die bilaterale sicherheitspolitische, militärische und rüstungswirtschaftliche Kooperation mit den USA vertieft wird. Neu ist vielmehr, dass das Miss­fallen gegenüber der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU und vor allem gegenüber Frankreichs Rolle hierbei offen ausgedrückt wird. Obschon auch die PiS-Regierungen nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten zunächst Zweifel an der amerikanischen Zuverlässigkeit im Hinblick auf Russland und am Verhältnis des neuen US-Staatsoberhaupts zur Nato hatten, blieb die PiS von der sicherheitspolitischen Kontinuität der Administration überzeugt. Nicht nur aufgrund von Sachthemen wie dem gemeinsamen Widerstand gegen die Nord-Stream-2-Pipeline oder Washingtons Containment-Politik gegenüber Russland (und China) im östlichen Europa ergab sich bald eine Festigung der beiderseitigen Beziehungen, die sich etwa in der Aufstockung der US-Militärpräsenz in Polen manifestierte.84 Russlands Krieg gegen die Ukraine hatte zur Folge, dass sich die Beziehungen zu den USA deutlich vertieften.

Für die PiS hat die Nähe zu Washington indes nicht allein einen sicherheitspolitischen und mili­tärischen Aspekt in Sachen Russland. Das Sonder­verhältnis zu den USA soll auch dazu genutzt werden, Polens Bedeutung in Europa zu steigern und ein Gegengewicht zu Deutschland bzw. »Brüssel« in der EU zu schaffen. Während die Biden-Administration kein Interesse hat, einen solchen Ansatz direkt zu unterstützen, dürfte eine Rückkehr Donald Trumps oder der Sieg eines anderen Kandidaten mit ähn­lichen weltanschaulichen Koordinaten bei den näch­sten US-Präsidentschaftswahlen der PiS neue Spiel­räume eröffnen – wie es schon zwischen 2016 und 2020 der Fall war. Damals wurde nicht nur eine gewisse ideologische Nähe sichtbar. Auch die Trump­sche Sicht auf die Welt (gekennzeichnet durch ein Konkurrenz- und Nullsummenparadigma), auf Euro­pa (Kritik an der EU) und auf Deutschland (Skepsis gegenüber der Rolle Deutschlands in Europa) deckte sich mit dem Blickwinkel der PiS und ließ das Un­behagen bezüglich der Haltung des US-Präsidenten gegenüber der Nato oder Russland in den Hintergrund treten.

In den Augen der PiS sind die USA der Anker für Polens Sicherheit. Deutschland dagegen fungiert eher als negativer Bezugspunkt.

Während für die PiS die USA den Anker für die Sicherheit des Landes bilden, ist Deutschland nicht minder relevant, fungiert aber als eine Art negativer Bezugspunkt. Denn das Verhältnis zum Nachbarn im Westen ist zumindest ambivalent. Zwar ist sich die PiS im Klaren darüber, dass Deutschland für Polen ein unabdingbarer, ja prioritärer Partner ist – in wirtschaftlicher, aber letztlich auch in politischer Hinsicht. Dennoch scheint immer wieder Argwohn und ein regelrechtes Rivalitätsdenken im Diskurs der Partei über die Beziehungen zu Deutschland durch, das sich im Lauf der Regierungsphase der PiS spürbar verstärkt hat. Das Misstrauen gegenüber Deutschland speist sich vornehmlich aus drei Quellen.

Erstens prägen tragische Erfahrungen aus der Ver­gangenheit, allen voran der Zweite Weltkrieg, sowie eine spezifische Wahrnehmung der deutschen Ge­schichtspolitik das Deutschlandbild. Im Zusammenhang mit Deutschlands Verhältnis zur eigenen Ver­gangenheit wird offensichtlich eine Abkehr von den Prinzipien der kritischen Vergangenheitsbewältigung insinuiert. Nach 1989, so wird behauptet, wolle sich Deutschland von der Last seiner Geschichte befreien, Verantwortung für die Verbrechen des National­sozialismus relativieren und sich aus der Täterrolle herausstehlen, um sich zum Opfer zu machen. Für letzteren Prozess werden beispielsweise die Debatte über deutsche Vertreibungsschicksale oder Darstellungen in der Populärkultur (wie der Film »Unsere Mütter, unsere Väter«)85 als Beleg herangezogen. Deutschlands »effektive Geschichtspolitik« führe daher zu Verzerrungen zu Lasten Polens, wie etwa der Äußerung eines FBI-Direktors, der Polen für den Holocaust mitverantwortlich machte.86

Zweitens wird Deutschland explizit oder implizit nach wie vor ein Sonderverhältnis zu Russland vorgehalten. Auch mit diesem Vorwurf steht die PiS in Polen keineswegs allein da. Ebenso wie im Falle der Geschichtspolitik fügt sich die Sicht der PiS auf die deutsche Politik in eine breitere Deutschland­skepsis ein und wird überdies von der Sorge über die Zuverlässigkeit Deutschlands genährt. Spitzenpolitiker der PIS verwendeten in diesem Zusammenhang immer wieder den Topos eines deutsch-russischen »Kondominiums«.87 Zwar wird die entschlossene deutsche Haltung etwa in der Frage der Russland-Sanktionen nach der Annexion der Krim und dem Konflikt in der Ostukraine durchaus wertgeschätzt. Aber insbesondere das Nord-Stream-2-Vorhaben wird als Bestätigung für deutsche Illoyalität gegenüber Partnern in EU und Nato sowie gegenüber der Ukraine gewertet. Die »Zeitenwende« wurde auch von der PiS im Prinzip goutiert, doch Deutschlands angeb­liches Zögern bei Waffenlieferungen an die Ukraine oder ein aus polnischer Sicht weiterhin furchtsamer Ansatz gegenüber Russland ließen alte Zweifel fort­bestehen.

Drittens wird bemängelt, Deutschland versuche zusammen mit Frankreich auch in der erweiterten Europäischen Union Dominanz auszuüben. Das deutsch-französische Tandem strebe nach Hegemonie und schnüre damit auch die Bemühungen der ostmitteleuropäischen Länder um mehr Selbständigkeit ein. Die Kritik deutscher und französischer Politiker etwa in puncto Rechtsstaatlichkeit in Polen sei eine Manifestation »alter kolonialer Gewohn­heiten«.88

Als Antwort auf ihre Einschätzung Deutschlands und deutscher Europapolitik verfolgte die PiS zumin­dest in den ersten zwei Jahren nach ihrer Regierungs­übernahme 2015 einen Paradigmenwechsel in der Deutschlandpolitik. Dieser beruhte darauf, vermeintliche deutsche Suprematie in der EU und mögliche Ungewissheiten in der Ost- und Sicherheitspolitik nicht mehr im Rahmen einer gegenseitig gewinnbringenden deutsch-polnischen »Interessengemeinschaft« aufzulösen. Stattdessen verlegte die PiS sich darauf, Einhegungspolitik und Gegenmachtbildung zu betreiben – freilich nicht ohne dabei auch Ko­operationsmöglichkeiten und -erfordernisse etwa auf wirtschaftlichem Gebiet zu akzeptieren. Diese Idee brachte der damalige Außenminister Witold Waszczykowski auf den Punkt, indem er in seiner ersten außenpolitischen Grundsatzrede entgegen langjährigen Usancen demonstrativ Großbritannien als zentralen Partner Polens in Europa auflistete.89 Da das Brexit-Votum Großbritanniens Funktion als Gegengewicht zu Deutschland (und Frankreich) ausschaltete, stieg im Ansatz der PiS die Bedeutung der Kooperation mit Partnern in Mitteleuropa, allen voran mit den Ländern der Visegrád-Gruppe. Als externe Komponente der polnischen Ausbalancierungspolitik fungieren die USA.

In ihrer Deutschlandpolitik hat sich die PiS zusehends radikalisiert.

Auch wenn sich mit der Regierung Morawiecki zunächst ein pragmatischerer Kurs in der Deutschlandpolitik andeutete und man sich wieder stärker zur Zusammenarbeit mit Deutschland bekannte, hält die PiS nicht nur an einer Politik des Kurswechsels im Sinne eines selbstbewussten und interessenorientierten Auftretens gegenüber Deutschland fest, son­dern hat sich in ihrer Deutschlandpolitik zusehends radikalisiert. Der Wahlkampf zu den Parlaments­wahlen 2023 mit seinen teils grotesken Wahlreklamen und explizit deutschlandkritischen Parolen ist nicht Ursache, sondern Kulmination dieser Entwicklung.

In ihrem Programm »Sicheres Polen«, das die Partei Anfang September 2023 im Zusammenhang mit den nahenden Parlamentswahlen veröffentlichte, ist denn auch von einem »strategischen Imperativ des begrenz­ten Vertrauens« gegenüber Deutschland die Rede. Das Dokument postuliert eine (nach dem Zwillingsbruder des PiS-Vorsitzenden und tragisch ums Leben gekom­menen früheren Staatspräsidenten benannte) »Lech-Kaczyński-Doktrin« als »intellektuelles Fundament« der PiS. Aus dieser folge unter anderem, dass Polen sowohl die russische Konzeption der »russischen Welt« (russkij mir) als auch die deutsche Vorstellung von »Mitteleuropa« zurückweisen müsse. Diese Doktrin gehe davon aus, dass Polens Politik nicht darauf gegründet sein könne, »den Stärkeren nachzugeben und insbesondere sich in den Mainstream der deut­schen Politik einzufügen«.90

Charakteristisch sind vor diesem Hintergrund die Akzentuierung bilateraler und geschichtspolitischer Themen, das Ziel, ein bislang angeblich praktiziertes Vasallentum gegenüber Deutschland zu überwinden, und generell der Versuch, Politik auf Augenhöhe zu betreiben. Vorstöße wie die aus den Reihen der PiS angeschobene Diskussion über Reparationszahlungen aus Deutschland sind über den engen geschichts­politischen Kontext hinaus auch ein Ausdruck des Willens, sich von einer Deutschlandpolitik abzuwenden, die um Vergebung für angebliches eigenes Fehl­verhalten ersucht und gleichzeitig bittstellerisch ist.91 Mit den Reparationsforderungen will die PiS die Ver­söhnung mit Deutschland neu definieren. In ihrer Lesart kann ohne materielle Kompensation für Polen und für polnische Opfer sowie für die durch Deutschland verursachten Verluste im Zweiten Weltkrieg keine wirkliche Versöhnung wachsen, denn »ohne Wahrheit, ohne Wiedergutmachung, ohne Entschädigung gibt es keine echten Beziehungen zwischen Staaten, Menschen und Nationen«.92

Sowohl im Verhältnis zu Deutschland als auch in der Europapolitik der PiS und ihres Umfelds scheint also der auch aus anderen Bereichen bekannte Leit­gedanke der defensiven Selbstbehauptung auf. Polen, so die Überlegung, werde etwa bei der Justizreform oder der Migrationspolitik ins Visier genommen, weil man den angeblich letzten Endes von Deutschland gesetzten Kurs nicht mittragen wolle. Ein Europa­abgeordneter der mit der PiS verbündeten Partei Suwerenna Polska (vormals Solidarna Polska) drückte dies so aus: »Polen stört euch, weil es sich nicht ans deutsche Hosenbein klammert. Polen steht von den Knien auf.«93

Gerade in der Europapolitik lassen sich Analogien zu den Zielen und Denkmustern der PiS in der Innen­politik beobachten. Etatistische Elemente in der Wirtschaftspolitik und die Betonung der Großaufgabe, den Staat zu »reparieren« und effektiver zu machen, entsprechen gleichsam dem Souveränismus und der Präferenz für intergouvernementale Strukturen in der EU. Die Politik der Würde und des Respekts nach innen korrespondiert mit einem Streben nach Status und Prestige. Und ebenso drückt sich der Versuch, konservative Werte zu stärken und die traditionelle Identität des Landes zu wahren, in der Ablehnung eines angeblichen Strebens in der EU aus, bei dem die »europäische Integration fälschlich als Aufbau einer neuen europäischen Identität verstanden wird, die die nationalen Identitäten ersetzen soll«.94

Das ideologische Profil: Sozialetatismus und neotraditionalistische Modernisie­rung

Fügt man die ideologischen Planken, das Selbst­verständnis und die großen Prioritäten der Partei zusammen, tut sich das Bild einer Partei auf, die programmatisch markant profiliert ist, dabei jedoch mehrere weltanschauliche Komponenten vereint. Möchte man die PiS inhaltlich-ideologisch charakterisieren, so könnte man sie vielleicht am ehesten als Vertreterin eines konservativ-patriotischen Sozialetatismus mit spürbarer Liberalismusaversion bezeichnen. Unverkennbar ist die immer wieder vorgetragene Notwendigkeit, den polnischen Staat zu einer leistungsfähigen, bestandskräftigen und gestalterischen Instanz zu machen. Damit hebt die Partei nicht zu Unrecht eine historisch ererbte Dauerherausforderung ihres Landes hervor: Während die polnische Nation auch unter Extrembedingungen stets existierte, gab es lange Phasen ganz ohne oder zumindest ohne souveränen oder gut regierten Staat. Dass die PiS in ihrem revolu­tionären Fervor im Namen der Reparatur den Staats­apparat eher in Besitz nimmt als reformiert, steht auf einem anderen Blatt.

Insofern steht die PiS sowohl staats- als auch wirt­schaftspolitisch, oder zumindest eine starke Strömung in der Partei, in der Tradition Józef Piłsudskis und seiner sanacja aus der Zwischenkriegszeit: Deren Konzept einer multiethnischen und multikonfessionellen polnischen Republik (Rzeczpospolita) war vorrangig etatistisch und vernachlässigte lange Zeit die Nation. Dies hat sich zwischenzeitlich geändert, doch auch die PiS hat das Nationale erst später ent­deckt bzw. akzentuiert. Heute bildet die Nation einen Pfeiler ihrer auf der Stärkung traditioneller Gemeinschaftlichkeit ruhenden Ideologie – neben der Familie und dem Katholizismus. Dennoch kritisiert man vom rechten Rand des Parteienspektrums aus die PiS: Sie sei weder national noch rechts, sondern aufgrund ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik im Grunde eine Partei der patriotischen Linken (lewica niepodległościowa). Gerade die libertären Strömungen in und um das nationalistische Bündnis Konfederacja, das sich nicht zuletzt an jüngere und wirt­schaftlich erfolgreiche Segmente der polnischen Gesellschaft wendet, zeichnet die PiS als Gruppierung, die umverteilt, reguliert und durch ihre Steuerpolitik das Unternehmertum und die Wirtschaft einschnürt.

Dass in der und um die PiS Werte- und Identitätspolitik immer bedeutsamer werden, hat auch mit wahl­taktischen Erwägungen zu tun: Zur in der innenpolitischen Auseinandersetzung so wichtigen Sozialpolitik bieten Wertefragen Aktivierungschancen mit Blick auf die Anhängerschaft. Ungeachtet dessen gibt es aber eine authentische, nicht nur von Mobilisierungs­kalkülen getragene Einschätzung, dass Polens Werte­fundament und damit Gesellschaft und Staat durch die offensiven, von außen nach Polen hineingetragenen liberalen Muster in Gefahr seien. Der bereits erwähnte Ryszard Legutko geht in seiner General­abrechnung mit der liberalen Demokratie sogar so weit, die Auswirkungen von Liberalismus und Kom­munismus gleichzusetzen, denn beide seien in der Aufklärung verwurzelt und wiesen eingebaute totali­täre Tendenzen auf: Beide Ideologien führten zu Konformismus und einem egalitaristischen Niederwalzen gewachsener Gemeinschaften, insbesondere der Religion.95

Möchte man die PiS in den gängigen Koordinatensystemen des politischen Felds einordnen, so liegt sie in Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik in einem Bereich, den man in angelsächsischen Ländern mit dem Begriff compassionate conservatism, also eines sozial empathischen, sich von einer harten Markt­orientierung abgrenzenden Konservatismus, beschrei­ben würde – obschon der Konservatismus hier wenig mit dessen britischer Variante zu tun hat.96 Die PiS vermochte es dadurch, einen von der progressiven Linken und der marktorientierten Rechten gleichermaßen vernachlässigten Bereich in der polnischen Gesellschaft anzusprechen – nämlich Menschen, die mehr soziale Empathie bei gleichzeitiger Ablehnung eines fortschrittlichen Wertedispositivs erwarten. Gleichzeitig sind das der Partei eigene Streben nach Umbau und ihr radikaler Fervor alles andere als Symbole eines evolutionären und bewahrenden Kon­servatismus im britischen Sinne. Die PiS scheint in diesem Zusammenhang eher das Erbe von Joseph de Maistre als das von Edmund Burke angetreten zu haben.

Wichtig ist bei alldem, dass die PiS konsequent die Modernisierung Polens fordert, ungeachtet ihrer unablässigen Betonung von Geschichte, Kultur und auf hergebrachten Werten basierender Identität. Diese Kombination von Rückbesinnung und Nach-vorne-Streben, durch die »wir gleichzeitig modern sein und unsere Identität bekräftigen können«,97 diese neotraditionalistische Modernisierungsstrategie hebt die PiS von einer bloß »reaktionären« Grup­pierung ab und macht sie auch für Teile der Mittelschichten anschlussfähig.

Dichotomie, permanente Disruption und die harte Hand von Jarosław Kaczyński: Zur Funktionsweise der PiS

Für sich genommen erklären weder die ideologische Ausrichtung noch die innerparteilichen und partei­nahen Strukturen die großen Wellen, die das Regie­ren der Partei geschlagen hat. Was die PiS ausmacht, ist nicht zuletzt ihre besondere Funktionsweise, also wie sie den politischen Konfliktaustrag definiert und gestaltet. Das vielleicht wichtigste Merkmal ist hierbei wohl die vehemente Dichotomisierung des politischen Wettbewerbs. Sofern die PiS als »populistisch« bezeichnet wird, rührt dies insbesondere aus der Freund-Feind-Kennung, die in der Weltsicht der Partei und vieler ihrer Anhänger verankert ist. Der oft mora­lisch aufgeladene Manichäismus zieht sich durch die politische Sprache Jarosław Kaczyńskis und zahl­reicher anderer Vertreter der Partei. So bezeichnete der Parteichef kritische Stimmen zur Politik der PiS-Regierungen als »fatale Tradition des nationalen Ver­rats« und als Vertreter der »schlechtesten Sorte der Polen«.98

Zu diesem Narrativ gehört auch, exkommunistische und liberale Eliten anzuprangern. Die Kritik an »Lügen-Eliten« (łże-elity) und »großspurigen Intellektuellen« (wykształciuchy) ist nicht nur die sprachliche Abbildung99 der vertikalen Wir-ihr-Unterscheidung, welche die meisten konkurrierenden Parteien kenn­zeichnet. Sie signalisiert auch, wie entschlossen die PiS ist, für die Erneuerung Polens einen Wechsel der Machteliten herbeizuführen. Nicht zuletzt knüpft sie an eine in der polnischen Gesellschaft tiefsitzende Aversion gegen und Enttäuschung über ihr politisches Führungspersonal an. Der Politologe Rafał Matyja erklärt den Aufstieg der PiS unter anderem damit, dass die Partei den lange in Polens Rechter und rechter Mitte vorherrschenden »konservativen Elita­rismus« hinter sich ließ. Stattdessen habe, so Matyja, die PiS mit einem antielitären Feldzug im Namen des »guten Volkes« neue Wählerschichten an sich gebunden und neue Allianzen wie etwa mit dem Milieu um den nationalkonservativen, katholisch geprägten Sender Radio Maryja geschmiedet.100 Man wird behaupten können, dass der PiS damit auch ein plebejischer Zug eignet.

Ohne Zweifel gehört es zur Funktionsweise der PiS, ihre Ziele nicht nur in einem Setting der Polarisierung zu thematisieren, sondern gerade als Partei mit Regierungsverantwortung auch durch permanente Aktion ihre politischen Widersacher zu überraschen. Bei Jarosław Kaczyńskis Methode »ständiger Erschütterungen und fortdauernder Kampagnen«, so der PiS-Kritiker und Politologe Mirosław Karwat, gehe es darum, »dass pausenlos etwas geschieht, durch das die Menschen in einen Zustand der Unruhe, des Aufruhrs und der Mobilisierung versetzt werden. Daher wird mal dieser, mal jener Feind gesucht.«101 Die PiS nutzt die Aufwallungen ihrer Gegner zum einen, um die eigenen Reihen zu schließen und zu aktivieren. Zum anderen ist sie bestrebt, mit immer neuen kontroversen Initiativen die Opposition häufig als uninspiriert und reaktiv, als bloße Anti-PiS ohne eigenes Programm wirken zu lassen. Besonders augenfällig wird dies durch den revolutionären Eifer, der bei der Umsetzung ihrer transformativen Agenda durchscheint und auch im Umfeld der Partei gern als »jakobinisch« bezeichnet wird. Während die PiS mit ihrer disruptiven Politik sicherlich die Opposition immer wieder verblüfft, muss sie allerdings darauf achten, nicht mit ihrem eigenen langfristigen Wunsch, Ordnung zu etablieren, in Konflikt zu kommen.

Gebremst wird das kämpferische und geradezu revolutionäre Element freilich durch die Erfordernisse und Limitationen des Regierens sowie durch den Pragmatismus der Technokraten und Fachleute, die ja auch in der PiS mitwirken. Dennoch übersetzt sich die mentale Dauerpolarisierung in eine defensive Attitüde, in eine Wagenburgmentalität, der zufolge die Polen oder das Polentum ständig verteidigt wer­den müssen. Man kann darin eine lange historisch-kulturelle Linie einer Bollwerk-Nation102 erblicken, die in einer Partei, für die die polnischen Tragödien sowohl Mahnung als auch radikaler Handlungs­auftrag sind, fast schon zwangsläufig fortgeführt werden. Gerade deswegen muss stets damit gerechnet werden, dass die PiS diese Haltung auch in europa- und außenpolitischen Fragen vertritt.

Eines gilt mit Sicherheit: Die PiS wäre nicht die PiS ohne Jarosław Kaczyński.

Über all dem schwebt die Person des Parteichefs, des vielfach als allmächtig dargestellten »Präses«. Eines gilt mit Sicherheit: Die PiS wäre nicht die PiS ohne Jarosław Kaczyński. Er hat (zunächst mit seinem Zwillingsbruder Lech) die Partei und ihre Vorgänger etabliert und geformt. Er hält die Zügel in der Hand, gegen ihn wird kaum eine wichtige Entscheidung ge­troffen – wenn doch, dann nicht ohne Konsequenzen (für die Übeltäter). Gerade auf Seiten der Opposi­tion und der PiS-kritischen Publizistik wird daher gerne Persönlichkeitsdeutung betrieben. Biographien und psychologisierende Interpretationen kommen dabei leicht zu dem Schluss, dass es letztlich allein die komplexe Persönlichkeit von Jarosław Kaczyński sei, die den Kurs und das Gebaren der Partei bestimmen.103 Derlei Einschätzungen greifen zu kurz. Aber gewiss haben Charakterzüge, Prägungen und Schick­salsschläge Kaczyńskis einen nicht zu unterschätzenden Einfluss darauf, wie die Politik der PiS sich gestaltet.

Aus der Vielzahl der anekdotisch aus seinem Umfeld oder auch durch eigene Angaben freigelegten Charakteristika ragen einige heraus. So ist der alleinstehende Präses offenkundig ein introvertierter Mensch, für den seine Mutter und sein Zwillings­bruder die wohl einzigen Beziehungsanker in seinem Leben waren. Gerade deswegen nehmen das Unglück von Smolensk, bei dem sein Bruder und dessen Frau umkamen und das er angeblich indirekt auch für den Tod seiner Mutter mitverantwortlich macht, und die Suche nach den Verantwortlichen einen so hohen Stellenwert in seinem Leben ein. Trotz seiner Zurück­haltung und seines bisweilen hölzernen Kommunikationsstils strahlt er ein eigentümliches Charisma aus. Jarosław Kaczyński ist, so die einhellige Meinung fast aller, die sich mit seiner Person näher beschäftigt haben, belesen und bei all seiner Kritik an den Intel­lektuellen in gewisser Weise selbst ein solcher. Er lebt in und mit der Geschichte Polens und führt ein recht frugales, ja asketisches Leben für die Politik.

Dies alles macht aus dem PiS-Chef einen Politiker, der zwar auch Machtpragmatiker sein muss, in erster Linie aber prinzipientreu und wertegebunden, oft von seiner Mission getrieben und kategorisch handelt. Jarosław Kaczyńskis Führungsstil wurde als »Geflecht aus Autoritarismus und Machiavellismus« beschrieben.104 Dass er im Wahlkampf den kommunistischen Parteiführer während des Kalten Krieges, Edward Gierek, lobte, darf aber nicht als bloßer Ausdruck zynischen Machtstrebens, sondern kann eher als taktischer Schwenk verstanden werden, um an die Wählerschaft der Linken heranzukommen. Denn letztlich ist der PiS-Chef ein policy seeker, kein office seeker. Moralischer Rigorismus ist sein Markenzeichen, ebenso wie hohe Loyalitätserwartungen im Umgang mit seinem Umfeld. Offenbar denkt und handelt der Lenker der PiS stark in Kategorien persönlicher Zu­verlässigkeit und Gefolgschaft. Daraus resultiert, dass bei allen institutionellen und sonstigen Umwälzungen, die von der Partei angeschoben wurden, häufig die Installation loyaler Kader im Zentrum steht. Welche Eigenschaften man Jarosław Kaczyński auch immer zuschreiben mag, vieles davon ist Teil der Politik der PiS und determiniert ihr Funktionieren.

Die PiS: Zum Umgang mit einer assertiven Partei

Sowohl in Polen als auch im europäischen Ausland hat man die PiS lange unterschätzt. Nach der ersten kurzen Regierungszeit der Jahre 2005 bis 2007 wurde die Partei von vielen ihrer politischen Wettbewerber weitgehend abgeschrieben, und das, obwohl sich die politische Konkurrenz auch in der Folgezeit gewisser­maßen ex negativo zu ihr definierte und die Furcht vor einer Rückkehr der PiS immer ein wichtiger Wahlkampffaktor war. Auch nach 2015 schätzte man die Durchhaltefähigkeit der Partei relativ gering ein – bis deutlich wurde, dass Polarisierung und Dauer­konflikt ihr eher zum Vor- als zum Nachteil gereichten. Wenngleich das Regierungslager nach den aber­mals gewonnenen Wahlen von 2019 und 2020 nicht richtig in Tritt kam und die »Vereinigte Rechte« durch Kontroversen der PiS mit den kleineren Koalitionspartnern bröckelte, konnte sich die PiS an der Regie­rung halten und blieb darüber hinaus stets Themensetzerin und Taktgeberin in der polnischen Politik. Die Opposition, vor allem die EU-freundlichen Kräfte der liberalen und linken Mitte, wirkte meist reaktiv und hatte es schwer, jenseits ihres Profils als Anti-PiS aktiv eigene Offerten ins Spiel zu bringen.

Der Erfolg der PiS basiert auf dem Zusammenspiel dreier Faktoren. Erstens ist Jarosław Kaczyński ein Lenker und Entscheider, der die Machtfraktionen in seinem Lager zu einem gewissen Grad akzeptiert, sie aber meist zusammenhalten kann. Zweitens betreibt die Partei gerade im Vorfeld von Wahlen eine pola­risierende und konfliktgetriebene Mobilisierung. Die teils von der Partei bewusst geschürte Eskalation innen- und außenpolitischer Kontroversen wirkte sich in der Regel günstig für die PiS aus, da sie in der Lage war, ihre Wählerschaft unter dem Eindruck von Zuspitzungen und Bedrohungen besser an die Urnen zu bringen. Die Partei verfügt über einen kam­pagnenfähigen Apparat, der im Zusammenwirken mit regierungs- bzw. PiS-nahen Medien in Wahlkämpfen, aber auch in der Zeit dazwischen Themen setzt und für einen mobilisierenden Dauerstress sorgt. Und drittens erzielt die PiS materielle und emo­tionale Resultate, die bei einem Großteil der Bevölke­rung verfangen. Das prominenteste Beispiel hierfür ist die Sozialpolitik. Hier lieferte die PiS zum einen finanzielle Wohlfahrtsleistungen, zum anderen aber auch Status und Respekt. Durch die »Revolution der Würde« kann sich die PiS als Produzentin von mone­tären Transfers und Anerkennung inszenieren. All diese Erfolgsdeterminanten können natürlich auch umschlagen: Die Zentralisierung der Partei führte vereinzelt zu Abgängen. Die Überpolarisierung kann Gegenmobilisierung auslösen. Und eine Partei der Resultate gerät dann in Schwierigkeiten, wenn ver­sprochene Programme wie etwa im Wohnungsbau nicht verwirklicht werden. Bislang hat aber die PiS das Heft des Handelns in der Hand. Selbst die mit dem Ziel einer Gesundung von Staat und Politik kaum vereinbare und weithin sichtbare Vettern­wirtschaft in Verwaltung und öffentlichen Unternehmen schadete der Partei nur wenig.

Das weltanschauliche Fundament der PiS scheint auf den ersten Blick weder für die konkrete Politik noch für eine wirksame Mobilisierung ihrer Wählerschaft ausschlaggebend zu sein. Als große Gruppierung mit Dominanzanspruch möchte die PiS Volks­partei sein und muss daher gelegentlich auch Volten schlagen und die Richtung ändern. Dennoch ist die PiS eine Partei mit festen Zielen. Und in der Regierungsphase stellte sich keinerlei pragmatisches Ab­schleifen, sondern eher eine wachsende Prinzipientreue, wenn nicht Radikalisierung ein. Die ideologischen Leitplanken und die programmatische Basis, das Weltbild der PiS und nicht zuletzt ihres Anführers Jarosław Kaczyński bilden denn auch keineswegs nur ein Hintergrundrauschen, sondern einen hand­lungsleitenden Kanon für die Politik der PiS. Kompakt formuliert könnte die PiS als etatistische und sozial­konservative Partei mit antagonisierendem Betriebsmodus sowie einem souveränistisch geprägten und defensiven Blick auf die Außenwelt bezeichnet werden.

Deshalb muss mit einer Reihe von Konstanten in der Politik der PiS, ihrer inhaltlichen Ausrichtung und der Form des Politikaustrags gerechnet werden. Allesamt haben sie Konsequenzen für den Umgang mit der PiS bzw. dem von ihr regierten Polen. Zu diesen Konstanten gehören:

  • eine Präferenz für die Sicherung möglichst vieler nationalstaatlicher Hoheitsrechte gerade auch in der Europäischen Union;

  • ein ambivalentes Verhältnis zu Deutschland – einerseits wird die Notwendigkeit wirtschaftlicher Kooperation akzeptiert, andererseits sind die Beziehungen stets von Misstrauen durchtränkt und folgen letztlich einem Paradigma der Rivalität zwischen den beiden Ländern;

  • ein konservatives Wertefundament und die ent­schlossene Haltung in laufenden »Kulturkriegen«, zur Sicherung der polnischen nationalen Identität liberale Paradigmen abzuwehren;

  • die Akzentuierung der Rolle des Staates: nach außen in Form der Stärkung von Nationalstaatlich­keit, nach innen etwa in der Wirtschaft oder in Gestalt zentralisierten Regierens gegenüber den Selbstverwaltungen;

  • die hohe Bedeutung der polnischen Geschichte und ihrer im Sinne der PiS »korrekten« Rezeption für die kollektive Identität, für eine damit ver­bundene patriotisch-viktimistische Erinnerungs­politik im Inneren sowie für eine konsequente »Geschichtsaußenpolitik« in der Lesart der PiS, vor allem im Verhältnis zu Deutschland;

  • das Streben nach »Anerkennung«, also der Wunsch nach gebührender Würdigung des polnischen Beitrags zu Europa und des polnischen Leidens in der europäischen und deutschen kollektiven Erinnerung;

  • eine stark in Nullsummendenken und Macht­politik verankerte Auffassung internationaler Politik.

Vielen dieser Konstanten wohnt das Potential für Konflikte gerade mit Deutschland inne. Daran wird sich nur schwerlich etwas ändern lassen, denn diese weltanschaulichen und politikstilbezogenen Elemen­te gehören zum Selbstverständnis der Partei. Aus deutscher Sicht geht es also stets darum, sich auf diese Fixpunkte einzustellen, mit ihnen umzugehen und die trotz aller Unbill bestehenden Kooperationsfelder in einem gewissen Maße zu nutzen. Wo es nötig ist, sollten aber auch Kooperationen heruntergefahren und die Kosten für konfrontatives außen- oder europapolitisches Verhalten erhöht werden. Hieraus ergeben sich unter anderem folgende Anhaltspunkte für den Umgang mit der Partei bzw. den von ihr dominierten Regierungen:

Die wirtschaftliche und infrastrukturorientierte Modernisierungspolitik der PiS ist ein natürliches Kooperationsthema für und mit Deutschland. Trotz zahlreicher Vorbehalte in der Außen- und Europa­politik und trotz des auch gen Berlin gerichteten Narrativs der Repolonisierung und Überwindung ökonomischer Abhängigkeiten betrachtet die PiS Deutschland als Schlüsselpartner in wirtschaftlichen Fragen. Bei diesem Themenkomplex wird sich die Transformation zu einem ökologischen, digitalisierten und klimafreundlichen Wirtschaftsmodell stärker in den Vordergrund schieben. Ungeachtet einiger Vorbehalte in Teilen der PiS und des konser­vativen Lagers gegenüber einer ambitionierten Dekarboni­sierungspolitik wird diese Transformation zu einer Priorität der polnischen Wirtschafts-, Finanz und Europapolitik avancieren.

Ambivalent bleiben klassische Themen wie die Beziehungen zu Russland oder die Politik gegenüber den östlichen Nachbarn der EU und der »harten Sicherheitspolitik«. Obgleich die PiS Deutschlands Zeitenwende wertschätzt, sieht sie sich letztlich in ihrem Misstrauen gegenüber Berlin bestätigt. Seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine agiert Polen gegenüber Deutschland mit einem Gefühl der mora­lischen Überlegenheit und der neuen Stärke aufgrund seiner Rolle in der Region und seiner engen Beziehungen zu den USA. Obschon sich ein von der PiS regiertes Polen auf einzelne Kooperationsprojekte in Sachen Sicherheitspolitik oder Ukraine-Hilfe ein­lassen kann, wird Warschau tendenziell darauf bedacht sein, Führung zu demonstrieren und die Bedingungen von Zusammenarbeit zu definieren.

Durch den Abgang von Donald Trump hatten sich für die PiS zunächst die Rahmenbedingungen im Ver­hältnis zu den USA geändert. Die Biden-Admini­stra­tion betont Rechtsstaats- und Grundrechtefragen, was zu einer Abkühlung in den Beziehungen zu Warschau führte, das unter der PiS eindeutig auf Trump gesetzt hatte. Dennoch hielt Washington mit Blick auf seine globale Interessenlage weiterhin an einer engen sicherheitspolitischen und militärischen Zusammenarbeit mit Warschau fest. Der russische Krieg gegen die Ukraine schob geostrategische Aspek­te dann definitiv in den Mittelpunkt der Beziehungen. Die Aussicht auf die Rückkehr von Donald Trump oder eines ähnlich ausgerichteten Kandidaten in das Amt das US-Präsidenten würde das neue Selbstbewusstsein der PiS in der EU und gegenüber Deutschland zusätzlich erhöhen und die Kompromissfindung auf europäischer Ebene erschweren.

Die Parlamentswahlen vom Oktober 2023 werden eine neuerliche Weichenstellung bedeuten. Wird die PiS wieder in der Lage sein, eine Regierung zu bilden, würde die Partei nach innen wie nach außen noch forscher als bisher auftreten. Mit ihrem dritten Man­dat in Folge und neuer Legitimität hätte die Partei keinen Grund, sich gegenüber Deutschland oder der EU konziliant zu gebärden. Die Partner Polens und vor allem Deutschland hätten es weiterhin mit einer machtbewussten, aus einer Position der Stärke heraus agierenden Regierung zu tun. Sollte der Macht­anspruch der PiS auf wackeligem Grund stehen, sie also ohne eigene Mehrheit und mit einem schwierigen Koalitionspartner (in Form der nationalistisch-libertären Gruppierung Konfederacja) oder als Min­derheitsregierung handeln müssen, könnte das Syndrom des angeschlagenen Boxers zum Tragen kommen: Die Angriffslust könnte ebenso zunehmen wie die Unberechenbarkeit.

Käme es zu einem Regierungswechsel, würde die PiS keineswegs von der Bildfläche verschwinden. Der ihr nahestehende Staatspräsident würde sie wohl teilweise weiter unterstützen. Außerdem besäße sie nach wie vor große Bedeutung in wichtigen Institu­tionen. So würde sie weiterhin den Notenbankpräsidenten stellen und den Rat für Geldpolitik beherrschen sowie in den Gerichten und in den öffentlichen Medien eine starke Position einnehmen. All dies würde es ihr ermöglichen, der neuen Exekutive das Leben schwer zu machen, zumal das geopolitische Umfeld außerordentlich herausfordernd und die wirtschaftliche Lage alles andere als einfach ist. Und die PiS wäre jederzeit bereit für eine Rückkehr zur Macht. Zumindest solange Jarosław Kaczyński willens und in der Lage ist, die PiS zu führen, wird sie ein konstitutiver Faktor der polnischen Politik sein.

Im Falle einer neuerlichen Regierungsbildung durch die PiS muss sich die deutsche Polenpolitik daher fragen, welcher konzeptionelle Rahmen für den Umgang mit der PiS sachgerecht ist. Einerseits wäre eine neue Sonnenscheinpolitik denkbar, die davon ausgeht, dass gegenüber einem sperrigen Partner erst recht die Hand ausgestreckt werden muss. Dieser Ansatz würde bedeuten, unverdrossen eine angebotsorientierte Politik fortzusetzen, harte und übermäßige Politik aus Warschau abtropfen zu lassen und im Sinne der Festigung und Einbindung auch auf politischer und diplomatischer Ebene sicht­bare Zeichen zu setzen sowie den Versuch zu unter­nehmen, etwa gemeinsame Initiativen und Projekte in der EU oder der Nato voranzubringen. Demgegenüber wäre auch ein Szenario des Absenkens möglich, bei dem faktisch vor allem in low politics investiert würde, also zwischen- und zivilgesellschaftliche Kon­takte, regionale Zusammenarbeit und kultureller Austausch betont würden. Flankiert würde dieses Minimalprogramm durch eine Politik der Gesten in historischen Fragen. Ein Zwischenansatz bestünde in der selektiven Kooperation mit Polen. Hierbei wür­den strittige bilaterale Fragen (wie etwa die Repara­tionsforderungen) weiterhin von der europa- und sicherheitspolitischen Sphäre entkoppelt. Gleichzeitig würden wenige Bereiche paralleler Interessen identi­fiziert, etwa in der Ukrainepolitik, in der europäischen Wirtschaftspolitik oder in Teilen von Energie- und Klimapolitik, die dann auch politisch sichtbar gemacht werden müssten. Ein solches Konzept würde auch Regierungskonsultationen und die Verein­barung neuer deutsch-polnischer Arbeitsprogramme beinhalten.

Ungeachtet des konzeptionellen Ansatzes wird in Zukunft zu berücksichtigen sein, dass der Umgang mit der PiS transaktional sein wird, dass der technokratische Modernisierungsflügel in der PiS präsent bleibt, aber ideologisch eingehegt wird und dass Deutschland in Polen über lange Jahre ein innenpolitisch sensibles Thema mit beachtlicher Relevanz bleiben wird. Die deutsch-polnischen Beziehungen brauchen daher auch in den nächsten Jahren strategische Geduld.

Abkürzungsverzeichnis

AWS Akcja Wyborcza Solidarność (Wahlaktion Solidarność)

CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands

CPK Centralny Port Komunikacyjny (geplanter Zentralflughafen)

EU Europäische Union

IPN Instytut Pamięci Narodowej (Institut für Nationales Gedenken)

LGBT Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual/Transgender

LPR Liga Polskich Rodzin (Liga der Polnischen Familien)

Nato North Atlantic Treaty Organization

NSE New Structural Economics

NSZ Narodowe Siły Zbrojne (Nationale Streitkräfte)

PAIH Polska Agencja Inwestycji i Handlu (Polnische Agentur für Investitionen und Handel)

PC Porozumienie Centrum (Zentrumsallianz)

PiS Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit; Partei)

PO Platforma Obywatelska (Bürgerplattform)

PZPR Polska Zjednoczona Partia Robotnicza (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei)

ROAD Ruch Obywatelski – Akcja Demokratyzha (Bürgerbewegung für Demokratische Aktion)

TVP Telewizja Polska (Polnisches Fernsehen)

ZDF Zweites Deutsches Fernsehen

ZOMO Zmotoryzowane Odwody Milicji Obywatelskiej (motorisierte Bereitschaftspolizei des kommunistischen Regimes)

Endnoten

1

 »… to musi być wielka przebudowa na miarę naszej historii« [… das muss ein großer Umbau sein, der unserer Geschichte angemessen ist], zitiert nach »Potrzebna jest wielka przebudowa Polski« [Notwendig ist ein großer Umbau Polens], in: Nasz Dziennik (online), 13.12.2015, <http://www.naszdziennik. pl/polska-kraj/148925,potrzebna-jest-wielka-przebudowa-polski.html> (Zugriff am 18.7.2023).

2

 Prawo i Sprawiedliwość (PiS), Program Prawa i Sprawiedliwości [Programm der Partei Recht und Gerechtigkeit] 2014, S. 157f, <https://pis.org.pl/media/download/528ca7b35234fd7dba8c1e567fe729741baaaf33.pdf>.

3

 PiS, Program Prawa i Sprawiedliwości 2019. Polski model państwa dobrobytu [Programm der Partei Recht und Gerechtigkeit 2019. Das polnische Modell des Wohlfahrtsstaats], S. 11, <https://pis.org.pl/files/Program_PIS_2019.pdf>.

4

 So Premier Morawiecki unter Rekurs auf Polens früheren Primas Stefan Wyszyński. I posiedzenie Sejmu IX kadencji. Exposé Premiera Mateusza Morawieckiego [I. Sitzung des Sejms der IX. Legislaturperiode, Exposé des Premierministers Morawiecki], 19.11.2019 r., Stenogram, <https://www.gov.pl/attachment/ d9979dbd-45e9-4919-8fea-406b306c14a2>.

5

 PiS, Program 2019 [wie Fn. 3], S. 12.

6

 Ebd., S. 15.

7

 PiS, Program 2014 [wie Fn. 2], S. 10.

8

 »Kaczyński: Kto podnosi rękę na Kościół, podnosi rękę na Polskę« [Kaczyński: Wer die Hand gegen die Kirche erhebt, erhebt die Hand gegen Polen], in: Rzeczpospolita (online), 4.5.2019, <https://www.rp.pl/Prawo-i-Sprawiedliwosc/190509 804-Kaczyński-Kto-podnosi-reke-na-Kosciol-podnosi-reke-na-Polske.html> (Zugriff am 18.7.2023).

9

 I posiedzenie Sejmu IX kadencji [wie Fn. 4].

10

 Vgl. Ryszard Legutko, Society as a Department Store. Critical Reflections on the Liberal State, Lanham/Boulder/New York/Oxford 2002.

11

 Ryszard Legutko, Can Democracy Save Us?, Review Essay des Buches Why Liberalism Failed von Patrick J. Deneen, in: American Affairs, o.D., <https://americanaffairsjournal.org/ 2018/02/can-democracy-save-us/> (Zugriff am 18.7.2023).

12

 PiS, Program 2005. IV Rzezczpospolita. Sprawiedliwość dla Wszystkich [Die IV. Republik. Gerechtigkeit für alle], <http://www.wybory2005.pis.org.pl/program.php>.

13

 Monika Trojanowska-Strzęboszewska, »Polityzacja imigracji w Polsce – wyzwania koncepcyjne« [Die Politi­sierung der Immigration in Polen – konzeptionelle Herausforderungen], in: Anita Adamczyk/Andrzej Sakson/Cezary Trosiak (Hg.), Migranci i mniejszości jako obcy i swoi w przestrzeni polityczno-społecznej [Migranten und Minderheiten als Fremde und Einheimische im politisch-gesellschaftlichen Raum], Posen 2019, S. 23–36, <https://migranci-mniejszosci.amu. edu.pl/wp-content/uploads/2020/02/Adamczyk-Sakson-Trosiak-2019-Migranci-i-mniejszo%C5%9Bci-jako-obcy-i-swoi-w-przestrzeni-polityczno-spo%C5%82ecznej.pdf> (Zugriff am 18.7.2023).

14

 Sejm Rzeczypospolitej Polskiej, Kadencja VII, Sprawozdanie Stenograficzne z 100. posiedzenia Sejmu Rzeczypospolitej Polskiej [Sejm der Republik Polen, VII. Legislaturperiode, Stenographischer Bericht der 100. Sitzung des Sejms der Republik Polen], Warschau, 16.9.2015, S. 13ff, <https://orka2.sejm.gov. pl/StenoInter7.nsf/0/A8CA0F4060DE3B1CC1257EC200722812/%24File/100_a_ksiazka.pdf> (Zugriff am 19.7.2023).

15

 »Migracyjna schizofrenia rządu. PiS szeroko otworzył drzwi dla przybyszy z innych państw« [Die Migrations­schizophrenie der Regierung. Die PiS hat die Türen für Neu­ankömmlinge aus anderen Ländern weit geöffnet], in: Rzeczpospolita, 13.6.2023.

16

 Schätzungen gehen von Zahlen zwischen einer Million und 1,7 Millionen Personen in der Hochphase um die Jahreswende 2022/23 bzw. im Frühjahr 2023 aus. Im Lauf des Frühlings 2023 sollen die Zahlen auf etwa eine Million gesunken sein. Eurostat, Temporary Protection for Persons Fleeing Ukraine – Monthly Statistics, <https://ec.europa.eu/eurostat/ statistics-explained/index.php?title=Temporary_protection _for_persons_fleeing_Ukraine_-_monthly_statistics#Where _in_the_EU_did_people_fleeing_Ukraine_go.3F> (Zugriff am 18.7.2023); Raport Mobilności Transgranicznej. Obywatele Ukrainy na polskim rynku pracy [Bericht über die grenzüberschreitende Mobilität. Bürger der Ukraine auf dem polnischen Arbeitsmarkt], Raport EWL, 2023, <https://ewl.com.pl/wp-content/ uploads/2023/05/RAPORT_MOBILNOSCI_2023.pdf> (Zugriff am 18.7.2023); »Ilu uchodźców z Ukrainy naprawdę przebywa w Polsce? Ustalamy« [Wie viele Flüchtlinge aus der Ukra­ine sind wirklich in Polen?], OKO.press, 27.4.2022, <https:// oko.press/ ilu-uchodzcow-z-ukrainy-naprawde-przebywa-w-polsce-ustalamy> (Zugriff am 18.7.2023).

17

 »Uchwała w sprawie kryzysu migracyjnego na włoskiej Lampedusie i propozycji dotyczących polityki migracyjnej zgłaszanych przez instytucje UE wobec masowego napływu nielegalnych migrantów« [Beschluss bezüglich der Migrationskrise auf der italienischen Insel Lampedusa und bezüglich von Vorschlägen hinsichtlich der Migrationspolitik, wie sie seitens der EU-Institutionen mit Blick auf den massen­haften Zustrom illegaler Migranten unterbreitet wurden], 19.9.2023, <https://www.gov.pl/web/premier/uchwala-w-sprawie-kryzysu-migracyjnego-na-wloskiej-lampedusie-i-propozycji-dotyczacych-polityki-migracyjnej-zglaszanych-przez-instytucje-ue-wobec-masowego-naplywu-nielegalnych-migrantow>.

18

 Dariusz Karłowicz, »Niezgoda na amnezję« [Keine Zustimmung für Amnesie], in: Rzeczpospolita, 7.8.2004.

19

 Dariusz Gawin, »Wspólnota przeszłości« [Eine Gemeinschaft der Vergangenheit], in: Rzeczpospolita, 7.10.2006.

20

 Marek Cichocki, »Historia powraca« [Die Geschichte kehrt zurück], in: Rzeczpospolita, 14.12.2004.

21

 Das Jahr 2015 markiert somit einen Übergang von der Dominanz sogenannter mnemonic abnegators (für die Erinnerungspolitik keine hohe Priorität besitzt) zur Vorherrschaft von mnemonic warriors (die dem Thema hohe Bedeu­tung zuweisen und ihre eigene Geschichtsinterpretation als alleinig gültige Variante durchsetzen). Vgl. Jan Kubik/ Michael H. Bernhard, »A Theory of the Politics of Memory«, in: Michael H. Bernhard/Jan Kubik (Hg.), Twenty Years after Communism. The Politics of Memory and Commemoration, New York: Oxford University Press, 2014, S. 7–33.

22

 »Prezydent: polityka historyczna służy budowaniu potencjału państwa« [Präsident: Die Geschichtspolitik dient dazu, das Potential des Staates auszubauen], in: Onet (online), 17.11.2015, <https://wiadomosci.onet.pl/kraj/prezydent-polityka-histo ryczna-sluzy-budowaniu-potencjalu-panstwa/5mng9w> (Zugriff am 18.7.2023).

23

 2004 wurde in Polens Hauptstadt das Museum des Warschauer Aufstands eröffnet. Seine Errichtung geht vor allem auf das Engagement des damaligen Bürgermeisters Lech Kaczyński (nach vorher langer Stagnation) zurück. Die PiS schreibt sich die Existenz des Museums insofern auf ihre Fahnen, als dieses zu einem Katalysator für die landesweite und generationenübergreifende Vitalisierung der Erinnerung an diesen Aufstand wurde.

24

 Instytut Pamięci Narodowej, Przegląd Mediów – 19 stycznia 2007 r. [Institut für Nationale Erinnerung, Medienschau vom 19. Januar 2007], <https://ipn.gov.pl/pl/dla-mediow/media-o-ipn/14606,PRZEGLAD-MEDIOW-19-stycznia-2007-r.html>.

25

 »Wystąpienie prezydenta na debacie NRR dot. polityki historycznej« [Rede des Präsidenten während der Debatte des Nationalen Entwicklungsrates zur Geschichtspolitik], 6.2.2016, <https://www.prezydent.pl/aktualnosci/wypowiedzi-prezydenta-rp/wystapienia/art,29,wystapienie-prezydenta-na-debacie-nrr-dot-polityki-historycznej.html> (Zugriff am 18.7.2023).

26

 Z.B. »PiS-u polityka pamięci: albo podpisujecie się pod naszą wersją historii, albo won« [Die Erinnerungspolitik der PiS: Entweder unterschreibt ihr unsere Version der Geschichte oder raus hier], in: Gazeta Wyborcza, 29.8.2017.

27

 Parteichef Kaczyński definierte den von anderen PiS-Politikern und PiS-nahen Medien oft gebrauchten Begriff als »Zustimmung zur Beleidigung [Polens]«, »Prezes PiS: Pedagogika wstydu, zgoda na obrażanie wynika także z tego, że polskie pseudoelity się na to zgadzały i w tym uczestniczyły« [Präses der PiS: Die Pädagogik der Schande, die Zustimmung zur Beleidigung resultiert auch daraus, dass die polnischen Pseudoeliten dem zustimmten und daran teilnahmen], in: wPolityce (online), 22.9.2019, <https://wpolityce.pl/polityka/ 464946-prezes-pis-pedagogika-wstydu-wynika-ze-zgody-pseudoelit> (Zugriff am 18.7.2023).

28

 »Kaczyński zapowiada aktywną politykę historyczną« [Kaczyński kündigt eine aktive Geschichtspolitik an], in: Dzieje (online), 29.6.2013, <https://dzieje.pl/aktualnosci/ Kaczyński-zapowiada-aktywna-polityke-historyczna> (Zugriff am 18.7.2023).

29

 Wiesław Władyka, »Cztery lata rządów PiS: Polityka historyczna w służbie polityki« [Vier Jahre PiS-Regierung: Geschichtspolitik im Dienste der Politik], in: Polityka, 13.9.2019.

30

 Cezary Michalski, »Kombatanci we własnej wyobraźni (o polityce historycznej PiS)« [Kombattanten in der eigenen Vorstellungswelt (über die Geschichtspolitik der PiS)], in: Wiadomo.co, 14.8.2019, <https://wiadomo.co/kombatanci-we-wlasnej-wyobrazni-o-polityce-historycznej-pis/> (Zugriff am 18.7.2023).

31

 »›Jakaś nowa funkcja w eurokratycznym grajdołku‹. Premier o wyborze Tuska na szefa EPL« [»Irgendeine neue Funktion im eurokratischen Kaff«. Der Premier über die Wahl Tusks zum Chef der EVP], in: PolsatNews (online), 20.11.2019, <https://www.polsatnews.pl/wiadomosc/2019-11-20/jakas-nowa-funkcja-w-eurokratycznym-grajdolku-premier-o-wyborze-tuska-na-szefa-epl/> (Zugriff am 18.7.2023).

32

 »Kogo miał na myśli premier? My tu – wy tam, gdzie ZOMO« [An wen dachte der Premier? Wir stehen hier – ihr dort, wo die ZOMO stand], in: Gdańsk Nasze Miasto (online), 6.10.2006, https://gdansk.naszemiasto.pl/kogo-mial-na-mysli-premier-my-tu-wy-tam-gdzie-zomo/ar/c1-6507715> (Zugriff am 18.7.2023).

33

 »Wystąpienie prezydenta na debacie NRR dot. polityki historycznej« [wie Fn. 25].

34

 Auf dem Kongress der PiS vom Februar 2014 bezeich­nete Jarosław Kaczyński den Kampf gegen den Antipolonismus als »heilige Pflicht«, »Pełne przemówienie Jarosława Kaczyńskiego na kongresie PiS: ›Polacy mają dość systemu Tuska! Trzeba zadać pytanie: czy po sześciu latach rządów PO żyje się wam lepiej?‹« [Komplette Rede Jarosław Ka­czyńskis auf dem Kongress der PiS: »Die Polen haben genug vom System Tusk! Man muss die Frage stellen: Lebt ihr nach sechs Jahren der PO-Regierung besser?«], in: wPolityce (online), 15.2.2014, <http://wpolityce.pl/polityka/185711-tylko-u-nas-pelne-przemowienie-jaroslawa-Kaczyńskiego-na-kongresie-pis-polacy-maja-dosc-systemu-tuska-trzeba-zadac-pytanie-czy-po-szesciu-latach-rzadow-po-zyje-sie-wam-lepiej> (Zugriff am 19.7.2023).

35

 Strategia Bezpieczeństwa Narodowego Rzeczypospolitej Polskiej [Nationale Sicherheitsstrategie der Republik Polen], Warschau 2020, <https://www.bbn.gov.pl/ftp/dokumenty/Strategia _Bezpieczenstwa_Narodowego_RP_2020.pdf (Zugriff am 19.7.2023).

36

 »›Elity popierane przez poprzednią władzę pokazywały Polaków jako współpracowników Hitlera‹« [»Die Eliten, die von der vorherigen Regierung unterstützt wurden, zeigten die Polen als Mitarbeiter Hitlers«], in: TVPInfo, 8.10.2019, <https://www.tvp.info/44752868/elity-popierane-przez-poprzednia-wladze-pokazywaly-polakow-jako-wspolpra­cownikow-hitlera> (Zugriff am 18.7.2023).

37

 Ein ähnlicher Passus, in dem die Leugnung von Verbrechen »ukrainischer Nationalisten« in Wolhynien und im »östlichen Kleinpolen« (also in den ehemals polnischen Ostgebieten) zwischen 1920 und 1950 unter Strafe gestellt werden sollte, wurde Anfang 2019 vom polnischen Verfassungsgericht verworfen.

38

 Die unterschiedlichen Arten historischen Kapitals in der Geschichtspolitik werden ausführlich diskutiert in Michał Łuczewski, Kapitał moralny. Polityki historyczne w późnej nowoczesności [Moralisches Kapital. Geschichtspolitiken in der späten Neuzeit], Krakau 2017. Der stellvertretende Kulturminister Jarosław Sellin verwendete diesen Begriff anlässlich der Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des Beginns des Zwei­ten Weltkriegs; Er erklärte: »Die Feierlichkeiten zum 1. Sep­tember tragen zur Schaffung moralischen Kapitals Polens und der Polen bei.« Jacek Gądek, »Donald Trump zbuduje ›kapitał moralny‹ Polski? Wielkie obchody 1 września to też spore ryzyko dla PiS« [Schafft Donald Trump das »moralische Kapital« Polens? Die großen Feierlichkeiten zum 1. September sind auch ein großes Risiko für die PiS], in: Wiadomosci Gazeta (online), 7.8.2019, <https://wiadomosci.gazeta.pl/ wiadomosci/7,114884,25063847,donald-trump-zbuduje-kapital-moralny-polski-wielkie-obchody.html> (Zugriff am 19.7.2023).

39

 Exemplarisch der Satz aus dem Parteiprogramm von 2019: »Die Polen sind weiterhin in einem christlichen Sinne europäisch«, PiS, Program 2019 [wie Fn. 3], S. 19.

40

 PiS, Program 2014 [wie Fn. 2], S. 13.

41

 »Sanacja według Kaczyńskiego« [Die sanacja laut Kaczyńskis Ansicht], in: Wprost (online), 29.5.2005, <https:// www.wprost.pl/kraj/77154/Sanacja-wedlug-Kaczyńskiego. html> (Zugriff am 18.7.2023).

42

 Im Diskurs der PiS wird gern auf Bilder und Topoi aus der Zwischenkriegszeit zurückgegriffen, als die Bewegung um Marschall Piłsudski und dessen Zöglinge mit Begriffen wie naprawa oder sanacja (Heilung, Gesundung, Sanierung) die Zügel in der Hand hatten und den jungen Staat in einem schwierigen inneren und außenpolitischen Umfeld mit auto­ritären Methoden stabilisieren wollte.

43

 Krzysztof Mazur, Jarosław Kaczyński – ostatni rewolucjonista III RP [Jarosław Kaczyński – der letzte Revolutionär der III. Republik], Klub Jagielloński, 18.1.2016, <https://klub jagiellonski.pl/2016/01/18/jaroslaw-kaczynski-ostatni-rewolucjonista-iii-rp/> (Zugriff am 18.7.2023).

44

 Vgl. zum Begriff des rechtlichen Impossibilismus Jerzy Zajadło, »Pojęcie ›imposybilizm prawny‹ a polityczność prawa i prawoznawstwa« [Der Begriff des »rechtlichen Im­possibilismus« und die Politizität des Rechts und der Rechts­wissenschaft], in: Państwo i Prawo, 72 (2017) 3, S. 17–30.

45

 In diesem Zusammenhang geht die PiS davon aus, dass die reformierten Exkommunisten und die liberalen Strömungen der früheren Opposition sowie neue liberale Grup­pierungen eine Symbiose eingegangen sind. Diese resultiere unter anderem aus Geschäftsinteressen der Nomenklatur, die ihr soziales und finanzielles Kapital in die neue Zeit gerettet habe und dann mit marktorientierten und korrupten Business-Kreisen liberaler Couleur gemeinsame Sache mache.

46

 »Jarosław Kaczyński: sądy wymagają głębokiej reformy, są ›ostatnią barykadą‹« [Jarosław Kaczyński: Die Gerichte bedürfen einer tiefen Reform, sie sind die »letzte Barrikade«], in: PolskieRadio24 (online), 7.11.2022, <https://polskieradio 24.pl/5/1222/artykul/3066479,jaroslaw-Kaczyński-sady-wymagaja-glebokiej-reformy-sa-ostatnia-barykada> (Zugriff am 18.7.2023).

47

 »Jarosław Kaczyński: W dzisiejszych realiach TK to organ partyjny« [Jarosław Kaczyński: In den heutigen Gegebenheiten ist das Verfassungsgericht ein Parteiorgan], in: Interia (online), 25.11.2015, <https://wydarzenia.interia.pl/ kraj/news-jaroslaw-Kaczyński-w-dzisiejszych-realiach-tk-to-organ-party,nId,1928192> (Zugriff am 18.7.2023); »Kaczyński: PO chciała zrobić z Trybunału Konstytucyjnego trzecią izbę parlamentu« [Kaczyński: Die PO wollte aus dem Verfassungsgericht eine dritte Parlamentskammer machen], in: Gazeta Wyborcza (online), 25.11.2015, <https://wyborcza.pl/7,75 398,19247242,Kaczyński-po-chciala-zrobic-z-trybunalu-konstytucyjnego-trzecia.html> (Zugriff am 18.7.2023).

48

 »Lider Zjednoczonej Prawicy: Bez głębokiej reformy sądów naprawienie państwa jest bardzo trudne. My do tego wrócimy« [Der Anführer der Vereinigten Rechten: Ohne tiefgreifende Reform der Gerichte ist die Reparatur des Staates sehr schwierig. Wir werden darauf zurückkommen], in: wPolityce (online), 7.10.2017, <https://wpolityce.pl/polityka/ 467218-lider-pis-bez-reformy-sadow-naprawa-panstwa-jest-trudna> (Zugriff am 18.7.2023); »Kaczyński: musimy wygrać kolejne wybory« [Kaczyński: Wir müssen die nächsten Wahlen gewinnen], in: Onet (online), 4.11.2017, <https://wia domosci.onet.pl/kraj/Kaczyński-musimy-wygrac-kolejne-wybory/p4c3q7e> (Zugriff am 18.7.2023).

49

 »Ich denke, dass die Stellung des Verfassungsgerichtshofs sich ändern muss. Es kann nicht sein, dass eine Entscheidung, die vom Parlament demokratisch getroffen wurde, durch eine einfache Mehrheit unter fünf Verfassungsrichtern aufgehoben werden kann. Damit entscheidet ein Richter, ob die Entscheidung eines Organs, das von Millionen Staatsbürgern gewählt wurde, in den Papierkorb wandert. Das darf nicht sein.« »Kaczyński: Biznes często to przystań ludzi PRL« [Kaczyński: Das Business ist oft eine Anlegestelle für Menschen aus der Volksrepublik], Interview mit Jarosław Kaczyński, in: Rzeczpospolita (online), 4.9.2013, <https://www.rp.pl/wydarzenia/art12879901-Kaczyński-biznes-czesto-to-przystan-ludzi-prl> (Zugriff am 18.7.2023).

50

 Kaczyński verweist darauf auf, dass Rechtsstaatlichkeit nicht immer mit Demokratie einhergehen müsse, und führt das zweite deutsche Kaiserreich als Beispiel an. Damit vergleicht er offenbar die Situation in Polen nach 1989. »Kaczyński: Państwo prawa nie musi być państwem demokratycznym« [Kaczyński: Ein Rechtsstaat muss kein demo­kratischer Staat sein], in: Dziennik Gazeta Prawna (online), 4.6.2016, <https://www.gazetaprawna.pl/artykuly/949242, Kaczyński-panstwo-prawa-nie-musi-byc-panstwem-demo kratycznym.html> (Zugriff am 18.7.2023).

51

 Enea Polaniec, PGE Rybnik, PZU, PFR Pekao.

52

 »Orlen kupił Polska Press za 210 mln zł« [Orlen kaufte Polska Press für 210 Millionen Złoty], in: Wirtualnemedia (online), 19.4.2021, <https://www.wirtualnemedia.pl/arty kul/orlen-za-ile-kupil-polska-press-131-mln-zl-jakie-zadluzenie-79-mln-zl-jakie-koszt-dzialalnosci> (Zugriff am 18.7.2023).

53

 »Nowy wspaniały Orlen. ›Zbudowaliśmy 155. koncern na świecie‹« [Schönes neues Orlen. »Wir haben den 155-größten Konzern der Welt geschaffen«], in: Rzeczpospolita (online), 2.11.2022, <https://energia.rp.pl/paliwa/art37344821-nowy-wspanialy-orlen-zbudowalismy-155-koncern-na-swiecie> (Zugriff am 18.7.2023).

54

 »Morawiecki: Potrzeba więcej polskiej gospodarki w gospodarce« [Morawiecki: Es braucht mehr polnische Wirtschaft in der Wirtschaft], in: Dziennik Gazeta Prawna (online), 15.7.2016, <https://www.gazetaprawna.pl/artykuly/ 960389,morawiecki-potrzeba-wiecej-polskiej-gospodarki-w-gospodarce.html> (Zugriff am 18.7.2023).

55

 »Premier Morawiecki: Jesteśmy płatnikiem netto. Polska dostaje z UE 25 mld zł, a zagraniczny kapitał czerpie od nas ok. 100 mld zł« [Premier Morawiecki: Wir sind Nettozahler. Polen erhält von der EU 25 Mrd. Złoty, aber ausländisches Kapital zieht von uns etwa 100 Mrd. Złoty ab], in: wPolityce (online), 15.5.2018, <https://wpolityce.pl/polityka/394389-premier-morawiecki-jestesmy-platnikiem-netto-polska-dostaje-z-ue-25-mld-zl-a-zagraniczny-kapital-czerpie-od-nas-ok-100-mld-zl> (Zugriff am 18.7.2023).

56

 Ebd.

57

 Polska Agencja Inwestycji i Handlu, »Kolejny rekordowy rok dla PAIH« [Polnische Agentur für Investitionen und Handel, »Ein weiteres Rekordjahr für die PAIH«], Warschau, 17.1.2023, <https://www.paih.gov.pl/20230117/kolejny _rekordowy_rok_dla_paih> (Zugriff am 18.7.2023).

58

 »Morawiecki: innowacyjność musi być wspierana przez państwo« [Morawiecki: Die Innovationskraft muss vom Staat unterstützt werden], in: Polska Agencja Prasowa (online), 28.3.2017, <https://www.pap.pl/aktualnosci/news%2C87788 5%2Cmorawiecki-innowacyjnosc-musi-byc-wspierana-przez-panstwo.html> (Zugriff am 18.7.2023).

59

 So nachzulesen im Plan für verantwortungsvolle Ent­wicklung, wo unter anderem entsprechend den Ideen der NSE zehn zukunftsfähige Sektoren aufgelistet werden. Im Dokument wird auch explizit auf ein Buch von Justin Yifu Lin verwiesen. Vgl. Strategia na rzecz Odpowiedzialnego Rozwoju. do roku 2020 (z perspektywą do 2030) [Strategie für verantwortungsvolle Entwicklung bis 2020], Dokument przyjęty uchwałą Rady Ministrów w dniu 14 lutego 2017 r. [Dokument angenommen durch einen Beschluss des Ministerrates vom 14.2.2017], 14.2.2017, <https://www.gov.pl/documents/ 33377/436740/SOR.pdf> (Zugriff am 18.7.2023).

60

 Witold Gadomski, »Guru premiera, człowiek z ChRL« [Der Guru des Premiers, ein Mensch aus China], in: Gazeta Wyborcza (online), 16.2.2018.

61

 Piotr Celiński, »Przypudrowany protekcjonizm Morawieckiego« [Der gepuderte Protektionismus Morawieckis], in: Nowa Konfederacja (online), 2.5.2017, <https://nowakonfede racja.pl/przypudrowany-protekcjonizm-morawieckiego/> (Zugriff am 18.7.2023); zu Lins Einfluss siehe auch Łukasz Sarek, »China’s Model Economist in Poland«, Echowall, 4.10.2019, <https://www.echo-wall.eu/china-through-euro pean-lens/off/chinas-model-economist-poland> (Zugriff am 18.7.2023).

62

 Paweł Musiałek, Koniec polskiej transformacji [Das Ende der polnischen Transformation], Klub Jagielloński, 28.5.2019, <https://klubjagiellonski.pl/2019/05/28/koniec-polskiej-transformacji/> (Zugriff am 18.7.2023).

63

 I posiedzenie Sejmu IX kadencji [wie Fn. 4].

64

 »Morawiecki: ostatnie 4 lata były latami walki« [Mora­wiecki: Die letzten vier Jahre waren Jahre des Kampfes], in: Polska Agencja Prasowa (online), 6.11.2019, <https://www.pap. pl/aktualnosci/news%2C538295%2Cmorawiecki-ostatnie-4-lata-byly-latami-walki.html> (Zugriff am 18.7.2023); Premier Mateusz Morawiecki: wyzwoliliśmy potencjał polskich rodzin [Premier Mateusz Morawiecki: Wir haben das Potential der polnischen Familien entfesselt], 20.5.2023, <https://www.gov. pl/web/premier/premier-mateusz-morawiecki-wyzwolilismy-potencjal-polskich-rodzin> (Zugriff am 18.7.2023).

65

 PiS, Program 2019 [wie Fn. 3], S. 44.

66

 Exemplarisch für die Kolonialisierungsthese und deren Rezeption im konservativen Milieu: Piotr Kaszczyszyn/ Bartłomiej Radziejewski/Paweł Grzegorczyk, Jesteśmy gospodarczą kolonią [Wir sind eine wirtschaftliche Kolonie], Klub Jagielloński, 7.5.2015, <https://klubjagiellonski.pl/2015/ 05/07/radziejewski-jestesmy-gospodarcza-kolonia/> (Zugriff am 18.7.2023); oder die Rezension eines Buches des Ökonomen Witold Kieżun zu den »Pathologien der Transformation«: Bartłomiej Radziejewski, III RP, czyli nowe kondominium Zachodu [Die III. Republik, das heißt ein neues Kondominium des Westens], Nowa Konfederacja, 10.10.2013, <https://nowa konfederacja.pl/iii-rp-czyli-nowe-kondominium-zachodu/> (Zugriff am 18.7.2023).

67

 »Nowy program PiS. ›Polacy mają dość deptania zasady: nic o nas bez nas‹« [Das neue Programm der PiS. »Die Polen haben genug davon, dass der Grundsatz ›nichts über uns ohne uns‹ mit Füßen getreten wird«], in: Money (online), 15.2.2014, <https://www.money.pl/gospodarka/wiadomosci/ artykul/nowy;program;pis;polacy;maja;dosc;deptania; zasady;nic;o;nas;bez;nas;,63,0,1478719.html> (Zugriff am 18.7.2023).

68

 PiS, Program 2019 [wie Fn. 3], S. 173.

69

 PiS, Program 2014 [wie Fn. 2], S. 149.

70

 Ebd., S. 41f.

71

 Exemplarisch: »Kaczyński: odrzucamy postkolonialną koncepcję Polski jako kraju taniej siły roboczej« [Kaczyński: Wir lehnen die postkoloniale Konzeption Polens als Land der billigen Arbeitskraft ab], in: Dziennik Gazeta Prawna (online), 12.9.2019, <https://www.gazetaprawna.pl/artykuly/14299 23,Kaczyński-odrzucamy-postkolonialna-koncepcje-polski-jako-kraju-taniej-sily-roboczej.html> (Zugriff am 19.7.2023); zur öko­nomischen Diskussion des Neokolonialismus siehe das Kapitel »Wirtschafts- und Sozialpolitik – ökonomische Souveränität und polnischer Wohlfahrtsstaat« in dieser Studie.

72

 Waldemar Paruch, »W obronie interesów narodowych i tożsamości politycznej Europy Środkowo-Wschodniej: Eurorealizm w myśli politycznej Prawa i Sprawiedliwości« [Die Verteidigung nationaler Interessen und der politischen Identität Ostmitteleuropas: Der Eurorealismus im politischen Denken von Recht und Gerechtigkeit], in: Paweł Fiktus/ Henryk Malewski/Maciej Marszał (Hg.), »Rodzinna Europa«. Europejska myśl polityczno-prawna u progu XXI wieku [»Europa als Familie«. Das politisch-rechtliche Denken Europas an der Schwelle des 21. Jahrhunderts], Wrocław 2015, S. 413–424 (415f), <https://www.bibliotekacyfrowa.pl/Content/65956/PDF/ Rodzinna_Europa_Europejska_mysl_politycznoprawna_u_progu_XXI_wieku.pdf> (Zugriff am 19.7.2023).

73

 Eine Äußerung, die aber wohl auch zur parteiinternen Profilierung beitragen sollte. »Mateusz Morawiecki ma ambitny cel. ›Chcemy rechrystianizować Europę. To moje marzenie‹« [Mateusz Morawiecki hat ein ambitioniertes Ziel. »Wir wollen Europa rechristianisieren. Das ist mein Traum«], in: Gazeta Wyborcza (online), 8.12.2017, <https://wiadomosci. gazeta.pl/wiadomosci/7,114884,22758869,mateusz-mora wiecki-ma-ambitny-cel-chcemy-rechrystianizowac.html> (Zugriff am 19.7.2023).

74

 In diesem Sinne formulierte die PiS auch den ersten Punkt ihrer »Europäischen Erklärung«, die den Rahmen ihres Europawahlkampfes von 2019 darstellte: »Wir werden auf die Rückkehr der EU zu den Werten hinwirken, die ihre Schöpfer verkündeten und die das Fundament ihrer weiteren Entwicklung werden sollten.« »›12 punktów, jak 12 gwiazd we fladze Unii Europejskiej‹. PiS zaprezentował Deklarację Europejską« [»Zwölf Punkte wie die zwölf Sterne in der Fahne der EU«. Die PiS stellte eine Europäische Erklärung vor], in: wPolityce (online), 9.3.2019, <https:// wpolityce.pl/polityka/437257-pis-zaprezentowal-deklaracje-europejska-sprawdz-szczegoly> (Zugriff am 19.7.2023).

75

 So der PiS-Europaabgeordnete Ryszard Legutko auf dem von ihm initiierten Europäischen Kongress zur Verteidigung der Christen, dessen vierte Ausgabe im November 2018 in Krakau stattfand. Hierbei geht es darum, dass in manchen Ländern medizinisches Personal sich etwa bei Schwangerschaftsabbrüchen auf sein Gewissen berufen kann, um damit bestimmte Eingriffe nicht vorzunehmen bzw. sich nicht daran zu beteiligen. Legutko kritisiert, dass derlei Regelungen angeblich in mehr und mehr Ländern abgeschafft würden, »Odbył się IV Europejski Kongres w Obronie Chrześcijan 30 listopada 2018« [Am 30. November 2018 fand der IV. Europäische Kongress zur Verteidigung der Christen statt], Meldung der katholischen Nachrichtenagentur KAI, 10.11.2018, <https://ekai.pl/odbyl-sie-iv-europejski-kongres-w-obronie-chrzescijan/> (Zugriff 19.7.2023).

76

 Artur Stelmasiak, »Jarosław Kaczyński: Europa bez Boga jest w kryzysie« [Jarosław Kaczyński: Europa ohne Gott ist in der Krise], in: Niedziela, 15.3.2017, <https://www.niedziela.pl/ artykul/27691/Jaroslaw-Kaczyński-Europa-bez-Boga-jest-w> (Zugriff am 19.7.2023).

77

 PiS, Bezpieczną przyszłość Polaków [Eine sichere Zukunft der Polen], Programm, September 2023, S. 165ff, <https:// pis.org.pl/dokumenty>.

78

 »Kaczyński: Unia Europejska zmierza w złą stronę« [Kaczyński: Die Europäische Union strebt in eine schlechte Richtung], in: Dziennik Gazeta Prawna (online), 15.5.2023, <https://www.gazetaprawna.pl/wiadomosci/kraj/artykuly/871 5752, Kaczyński-ue-unia-europejska-slaski-lad.html> (Zugriff am 19.7.2023).

79

 »›Wojna hybrydowa‹ instytucji UE z Polską. Saryusz-Wolski proponuje kontrofensywę m.in. ws. KPO« [»Hybrider Krieg« der EU-Institutionen gegen Polen. Saryusz-Wolski schlägt unter anderem eine Gegenoffensive in Sachen Natio­naler Wiederaufbauplan vor], in: PolskieRadio24 (online), 8.11.2022, <https://polskieradio24.pl/5/1223/artykul/306 7197,wojna-hybrydowa-instytucji-ue-z-polska-saryuszwolski-proponuje-kontrofensywe-min-ws-kpo> (Zugriff am 19.7.2023).

80

 In Abwandlung eines Satzes des früheren polnischen Außenministers Radosław Sikorski, der die Europapolitik der Visegrád-Länder mit der Devise »Mehr Delors, weniger de Gaulle!« beschrieben hatte: »Sikorski: Czas tchnąć ducha w Wyszehrad!« [Sikorski: Es ist an der Zeit, Visegrád Leben einzuhauchen!], in: Gazeta Wyborcza, 5.7.2012, <https:// wyborcza.pl/7,75399,12079554,sikorski-czas-tchnac-ducha-w-wyszehrad.html>.

81

 Mateusz Morawiecki, »Poland’s Vision for Europe«, in: Politico (online), 30.4.2019, <https://www.politico.eu/article/ poland-vision-for-europe-mateusz-morawiecki/> (Zugriff am 19.7.2023).

82

 Vgl. u.a. die Rede des Premierministers Mateusz Morawiecki zur Zukunft Europas, Heidelberg, 20.3.2023, <https://www.gov.pl/attachment/6c4e9716-5dfb-448a-bc4e-16eea633d270>.

83

 Wystąpienie premiera Mateusza Morawieckiego w Parlamencie Europejskim [Rede des Premierministers Mateusz Morawiecki im Europäischen Parlament], 19.10.2021, <https://www. gov.pl/web/premier/wystapienie-premiera-mateusza-mora wieckiego-w-parlamencie-europejskim> (Zugriff am 19.7.2023).

84

 Vgl. Kai-Olaf Lang, Polens unersetzbarer Partner. Warschau vertieft den sicherheitspolitischen Bilateralismus mit den USA, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juli 2019 (SWP-Aktuell 37/2019), doi: 10.18449/2019A37.

85

 Dieser Film dreht sich um die Geschichte fünf junger Deutscher im Zweiten Weltkrieg und wurde 2013 im ZDF gesendet. Stein des Anstoßes war, dass im Film polnische Widerstandskämpfer aus der Armia Krajowa (die Untergrundbewegung Heimatarmee, die während des Zweiten Weltkriegs gegen die deutsche Besatzung kämpfte) mit antisemitischen Verhaltensweisen auftraten. Nicht nur die PiS reagierte mit Ablehnung, doch aus ihren Reihen wurde besonders scharfe Kritik formuliert. Für den damaligen Fraktionschef der PiS war der Film Ausdruck der deutschen Geschichtspolitik. »Einer Politik, die seit vielen Jahren ver­folgt wird und in der die Täter der Tragödie vieler Millionen Menschen sich in der Rolle der Opfer des Zweiten Weltkriegs darstellen«, »PiS: Zdymisjonować prezesa TVP za niemiecki serial« [PiS: Der Chef von TVP muss wegen einer deutschen Serie entlassen werden], in: Newsweek Polska (online), 17.6.2013, <https://www.newsweek.pl/polska/pis-zada-dymisji-prezesa-tvp-juliusza-brauna-newsweekpl/xn9gwf9> (Zugriff am 19.7.2023).

86

 »Prof. Krasnodębski: Wypowiedź szefa FBI to efekt niemieckiej polityki historycznej« [Prof. Krasnodębski: Die Aussage des Chefs des FBI ist eine Folge der deutschen Geschichtspolitik], in: Dziennik (online), 27.4.2015, <https:// wiadomosci.dziennik.pl/opinie/artykuly/488941,prof-zdzislaw-krasnodebski-interesy-niemiec-wcale-nie-sa-nam- po-drodze.html>.

87

 »Kaczyński: ›kondominium rosyjsko-niemieckie w Polsce‹. PO, SLD i PSD [sic!] oburzone, zwołują konferencję. Wszyscy przeciw PiS« [Kaczyński: »Das russisch-deutsche Kondominium in Polen«. PO, SLD und PSL entrüstet, sie berufen eine Konferenz ein. Alle gegen die PiS], in: wPolityce (online), 8.9.2010, <https://wpolityce.pl/polityka/105419-Kaczyński-kondominium-rosyjsko-niemieckie-w-polsce-po-sld-i-psd-oburzone-zwoluja-konferencje-wszyscy-przeciw-pis> (Zugriff am 19.7.2023); ähnlich über die Energiepolitik der frühere Außenminister Waszczykowski, »›Niemcy ubolewają, że idea stworzenia z Rosją kondominium nad Europą Śr-Wsch się oddala‹« [Deutschland bedauert, dass die Idee der Bildung eines Kondominiums mit Russland über Ostmitteleuropa in die Ferne rückt], in: Tysol (online), 22.12.2019, <https://tysol.pl/a41358--Niemcy-ubolewaja-ze-idea-stworze nia-z-Rosja-kondominium-nad-Europa-Sr-Wsch-sie-oddala-> (Zugriff am 19.7.2023).

88

 So der PiS-Europaabgeordnete Ryszard Legutko, »Dzień kompromitacji europarlamentu« [Ein Tag der Kompromit­tierung des Europaparlaments], in: Nasz Dziennik (online), 15.11.2017, <https://naszdziennik.pl/polska-kraj/191451, dzien-kompromitacji-europarlamentu.html> (Zugriff am 19.7.2023).

89

 Die Autoren einer kritischen Analyse der PiS-Europa­politik sprachen davon, dass die PiS eine »Revolution der Bündnisse« betreibe, Adam Balcer u.a., W zwarciu. Polityka europejska rządu PiS [Im Nahkampf. Die Europapolitik der Regierung der PiS], Bericht der Batory-Stiftung, Warschau, September 2017, S. 3, <https://www.batory.org.pl/upload/ files/pdf/W%20zwarciu%20-%20polityka%20europejska%20 rzadu%20PiS_raport%20Fundacji%20Batorego.pdf> (Zugriff am 19.7.2023).

90

 PiS, Bezpieczną przyszłość Polaków [wie Fn. 77], S. 85f.

91

 »Polityka zagraniczna jest twardą grą [z Jarosławem Kaczyńskim rozmawiają Paweł Lisicki i Małgorzata Subotić]« [Außenpolitik ist ein hartes Spiel (Interview mit Jarosław Kaczyński)], in: Rzeczpospolita, 16.12.2006.

92

 »Premier: raport służy prawdziwemu pojednaniu polsko-niemieckiemu. Bez prawdy, odzskodowania, nie ma normalnych relacji« [Premier: Der Bericht dient der wahren deutsch-polnischen Versöhnung. Ohne Wahrheit, ohne Entschädigung gibt es keine normalen Beziehungen], in: Polska Agencja Prasowa (online), 1.9.2022, <https://www.pap.pl/ aktualnosci/news%2C1413382%2Cpremier-raport-sluzy-prawdziwemu-pojednaniu-polsko-niemieckiemu-bez-prawdy> (Zugriff am 19.7.2023).

93

 »Mocne wystąpienie Patryka Jakiego w PE: Polska wam przeszkadza, bo nie trzyma się już niemieckiej nogawki i wstaje z kolan« [Starke Rede von Patryk Jaki im EP: Polen stört euch, weil es sich nicht mehr am deutschen Hosenbein festhält und von den Knien aufsteht], in: wPolityce (online), 15.1.2020, <https://wpolityce.pl/polityka/482313-jaki-w-pe-polska-nie-trzyma-sie-juz-niemieckiej-nogawki> (Zugriff am 19.7.2023).

94

 PiS, Program 2019 [wie Fn. 3], S. 12.

95

 Ryszard Legutko, The Demon in Democracy. Totalitarian Temptations in Free Societies, New York 2016.

96

 Vgl. Pippa Norris, Varieties of Populism Worldwide, The Global Party Survey, 2019, <www.GlobalPartySurvey.org>, <https://www.dropbox.com/s/8mergw8bb5l9zbz/Global%20Party%20Survey2.pptx?dl=0> (Zugriff am 19.7.2023).

97

 So die Worte des konservativen Philosophen Dariusz Gawin. Vgl. »Republikanizm miał rozszerzyć wyobraźnię polityczną Polaków. W jakiejś mierze się to udało« [Der Republikanismus sollte die politische Vorstellungskraft der Polen erweitern. In einem gewissen Ausmaß ist das gelungen], Gespräch mit Dariusz Gawin, Klub Jagielloński, 11.1.2020, <https://klubjagiellonski.pl/2020/01/11/ republikanizm-mial-rozszerzyc-wyobraznie-polityczna-polakow-w-jakiejs-mierze-sie-to-udalo/> (Zugriff am 19.7.2023).

98

 Jacek Gądek, »Sortowanie Polaków, czyli prezes PiS o ›jakby genie zdrady‹« [Wie die Polen sortiert werden, oder: der Präses der PiS über eine »Art Gen des Verrats«], in: Onet (online), 25.12.2015, <https://wiadomosci.onet.pl/opinie/sorto wanie-polakow-czyli-prezes-pis-o-jakby-genie-zdrady/qb2x5z> (Zugriff am 19.7.2023).

99

 Andrea Huterer, »Kampf der Rechten und Gerechten, Die politische Rhetorik der Kaczyńskis«, in: Osteuropa, 56 (2006) 11–12, S. 53–67.

100

 Rafał Matyja, Wyjście awaryjne. O zmianie wyobraźni politycznej [Notausgang. Über den Wandel der politischen Vorstellungswelt], Krakau 2018, S. 58ff.

101

 »Dzielenie i jątrzenie« [Teilen und Aufwiegeln], Interview mit Mirosław Karwat, in: Newsweek Polska, 13.3.2016; zitiert nach Jakub Zamana, »Styl przywództwa Jarosława Kaczyńskiego. Analiza retrospektywna« [Der Führungsstil Jarosław Kaczyńskis. Eine retrospektive Analyse], in: Studia Krytyczne/Critical Studies, 2 (2016), S. 201–213 (205).

102

 So der Titel eines Sammelbandes über Bollwerk-Mythen in Osteuropa: Liliya Berezhnaya/Heidi Hein-Kircher (Hg.), Rampart Nations. Bulwark Myths of East European Multiconfessional Societies in the Age of Nationalism, New York/Oxford 2019.

103

 Differenzierend und ausgewogen porträtieren zwei Journalisten den PiS-Chef: Piotr Zaremba, O jednym takim ... (Biografia Jarosława Kaczyńskiego) [Von einem … Biografie Jarosław Kaczyńskis], Warschau 2010; Michał Krzymowski, Jarosław. Tajemnice Kaczyńskiego [Jarosław. Die Geheimnisse Kaczyńskis], Warschau 2015.

104

 Zamana, »Styl przywództwa Jarosława Kaczyńskiego« [wie Fn. 101], S. 204.

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