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Die Ukraine im russischen Angriffskrieg

Binnenentwicklungen im Zusammenhang mit dem EU‑Beitrittsverfahren

SWP-Studie 2024/S 16, 05.06.2024, 37 Seiten

doi:10.18449/2024S16

Forschungsgebiete

Dr. Susan Stewart ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien.

  • Der russische Angriffskrieg hat bewirkt, dass sich die Beziehungen zwischen EU und Ukraine vertieften. Abzulesen ist das vor allem am Status der Ukraine als EU-Beitrittskandidat.

  • Trotz des Krieges setzt die Ukraine Reformen in vielen Bereichen fort, auch wenn das Reformtempo seit Februar 2022 nachgelassen hat.

  • Die starke Konzentration der Macht im Präsidialamt beeinträchtigt die Gewaltenteilung. Sie erschwert eine effektive Reform des Justizsektors und eine vollständige Ausübung parlamentarischer Funktionen.

  • Der Krieg hat die Macht der Oligarchen in der Ukraine in vielerlei Hin­sicht geschwächt. Was die Form des Regierens anbelangt, bildete er aber noch keine klare Zäsur.

  • Auch während der Invasion führen die Behörden ihren Kampf gegen Korruption unter den Eliten weiter. Die Bevölkerung registriert Fortschritte dabei, aber Korruption auf höchster Ebene bleibt nach wie vor eine tief verwurzelte Herausforderung.

  • Zivilgesellschaftliche Aktivitäten haben sich durch den Krieg qualitativ wie quantitativ verändert. Ein solches Engagement ist seit der Invasion wichtiger geworden. Es kann unter anderem durch die Rückkehr ukrainischer Migrant:innen sowie durch die Einbindung von Ukrainer:innen im Ausland gefördert werden.

  • Die Kommunen werden eine Schlüsselrolle beim Wiederaufbau spielen oder tun dies bereits. Sie sollten kontinuierlich in sich derzeit heraus­bildende Mechanismen und Prozesse einbezogen werden, damit der Wiederaufbau in all seinen Dimensionen gelingt.

  • Um die Beziehungen zwischen Ukraine und EU sinnvoll zu intensivieren, ist es unerlässlich, Rechtsstaatlichkeit auszubauen und zu festigen. Dies betrifft nicht nur die Ukraine, sondern auch die Binnenentwicklung der EU und ihrer Mitgliedstaaten.

Problemstellung und Schlussfolgerungen

Im Juni 2022 beschloss der Europäische Rat, der Ukra­ine den Status eines Kandidatenlandes zu verleihen. Mit diesem Schritt kam Kyjiw politisch gesehen einem EU-Beitritt sehr viel näher als in vielen Jahren zuvor.

Ohne die mutige und entschlossene ukrainische Reaktion auf die russische Aggression seit dem 24. Februar 2022 wäre eine solche Entwicklung nicht denkbar gewesen. Es war die nachdrückliche Ver­teidigung von Werten wie Freiheit, Souveränität und territorialer Integrität, die auch Skeptiker:innen in den EU-Mitgliedstaaten überzeugt hat, diesen Schritt zu gehen.

Im Dezember 2023 erging zudem der Beschluss des Europäischen Rates, Beitrittsverhandlungen mit Kyjiw aufzunehmen. Bereits Ende Januar 2024 begann das sogenannte Screening. In diesem Verfah­ren wird ein Überblick über die Gesetze erstellt, die für den Beitritt mit der bestehenden Gesetzgebung und dem Regel­werk der EU harmonisiert werden müssen. Im März schlug die Europäische Kommission einen Verhandlungsrahmen vor.

Im Lichte des fortschreitenden Beitrittsprozesses einerseits und des sich fortsetzenden Krieges anderer­seits drängt sich die Frage auf, welche Voraussetzungen in der Ukraine für den EU-Beitritt gegeben sind und wie sich diese im Laufe der mehr als zwei Kriegs­jahre entwickelt haben. Dieser Frage wird in der fol­genden Analyse nachgegangen. Erstens werden die Reformkapazität des Landes zu Kriegszeiten unter die Lupe genommen und die Reformfortschritte untersucht, die in den letzten zwei Jahren erzielt werden konnten.

Zweitens hat sich die Ukraine während des Krieges erheblich verändert. Die politische Sphäre sowie die (Zivil-)Gesellschaft mussten sich den Bedürfnissen in­folge einer großangelegten Invasion anpassen. Nicht nur sind Ressourcen in den Krieg statt in Reformen geflossen. Vielmehr hat der Krieg eine Reihe qualita­tiver Änderungen nach sich gezogen. Diese gilt es bei einem möglichen EU-Beitritt ebenso zu berücksichtigen wie im Hinblick auf die EU-Ukraine-Beziehungen insgesamt.

Drittens ist aus Sicht von EU und Ukraine der Wiederaufbau des Landes eng mit dem Prozess des EU-Beitritts verknüpft. Von daher wird die Sicht ukrainischer Akteur:innen auf den Wiederaufbau maßgeblich für die Schritte auf dem Weg zum Beitritt sein. Wie sie ihn institutionell und operativ gestalten, wird den Nexus zwischen EU-Beitritt und Rekon­struktion prägen sowie Charakter und Tempo beider Pro­zesse mitbestimmen. Deshalb wird beleuchtet, wie sich die Ukraine für den Wiederaufbau aufstellt, welche praktischen Aktivitäten bereits laufen und welche Folgen sie für den Beitrittsprozess haben und haben werden. Hierbei liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der kommunalen Ebene.

Die Antworten auf diese Fragen hängen miteinander zusammen und ergeben ein komplexes Bild. Fest­zustellen ist erstens, dass Reformen auch in Kriegs­zeiten erfolgreich fortgeführt werden. Das Tempo ist langsamer geworden, aber Fortschritte sind möglich, und es lohnt sich, die Ukraine auch künftig auf dem Reformweg zu unterstützen und das Beitrittsverfahren weiterzuverfolgen. Hilfe wird allerdings unabdingbar sein, und zwar bei administrativen Kapazi­täten und Verhandlungsexpertise für den Beitrittsprozess, wie ukrainische Akteur:innen selbst bereit­willig zugeben. Dies ist umso mehr der Fall, weil gewisse Unsicherheit über die Umsetzung der neuen Methode der EU-Erweiterung besteht.

Zweitens hat der Krieg keine Zäsur im Regierungsstil der ukrainischen Eliten bewirkt. Freilich ist in Kriegssituationen eine stärkere Zentralisierung von Aufgaben üblich und notwendig, doch im ukrainischen Kontext nimmt sie problematische Ausmaße an. So werden Netzwerke und Strukturen geschaffen oder modifiziert, welche die Grundlage für eine neue Nachkriegsoligarchie bilden könnten. Notwendige Trendwenden (tipping points) bei Schlüsselreformen könnten so vor allem im Bereich Rechtsstaatlichkeit verhindert werden.

Drittens findet aufgrund des Angriffskrieges eine Ausdifferenzierung (zivil)gesellschaftlicher Akteur:in­nen statt. Selbst im Vergleich zur Situation nach 2014 stieg die Anzahl der an zivilgesellschaftlichen Akti­vitäten unterschiedlicher Art beteiligten Personen sowie der Bereiche, in denen sie aktiv sind. Dennoch haben sich zivilgesellschaftliche Ressourcen für die Unterstützung von Reformen und die Kontrolle über deren Umsetzung verringert, weil andere, kriegs­relevantere Sphären abgedeckt werden müssen. Bruch­linien, die in der Gesellschaft entstehen, erfor­dern zudem mehr Arbeit in puncto gesellschaftlicher Zusammenhalt. Diese dynamische Situation bietet der EU neue Möglichkeiten für Kooperation mit der ukrainischen Zivilgesellschaft, erzeugt aber gleich­zeitig neue Herausforderungen.

Was den Wiederaufbau betrifft, ist über die be­stehende institutionelle Architektur auf internationaler wie nationaler Ebene hinaus vor allem die kom­mu­nale Ebene stärker in den Blick zu nehmen. Hier wird offenbar, dass sich je nach Gemeinde verschiedene Modelle des Wiederaufbaus entwickeln. Manche setzen stärker auf vertikale, andere auf horizontale Verbin­dungen. Auch die Mischung von Kooperation mit ukrainischen und internationalen Unterstützer:innen fällt unterschiedlich aus. Es wird zu den ständigen Aufgaben des Wiederaufbaus gehören, eine sinnvolle Einbindung kommunaler Akteur:innen (Behörden sowie Zivilgesellschaft und Unternehmertum) immer wieder zu sichern und zu vertiefen. Parallel dazu sollten kommunale Strukturen gestärkt werden, zum Beispiel durch die Fortsetzung der bis­lang sehr erfolg­reichen, aber noch nicht abgeschlossenen Dezentralisierung. An dieser Stelle schließt sich der Kreis und kehrt zurück zu Fragen von Reformen und politischer Entwicklung, indem sowohl Reformpotential als auch das Fehlen entscheidender Wende­punkte für den Wiederaufbau relevant werden. Die Hindernisse auf dem Weg zu einer vollständigen Dezentralisierung müssen ausgeräumt werden, damit die kommunale Ebene eine möglichst effektive Rolle beim Wiederaufbau spielen kann.

Die Beziehungen zwischen EU und Ukraine im Vorfeld der russischen Invasion

Vor der Annexion der Halbinsel Krim und der ver­deckten Invasion des Donbas durch Russland im Frühjahr 2014 lag der Schwerpunkt des Verhältnisses zwischen Ukraine und EU auf Reformfragen.1 Bereits seit den 2000er Jahren wurden die Beziehungen durch Aktionspläne unterstützt, die eine Zusammenarbeit in zahlreichen Sphären vorsahen, um ukrainische Reformen voranzubringen. Während der Präsi­dentschaft von Wiktor Juschtschenko (2005–2010) wurden die Aktionspläne in den Rahmen eines Asso­ziierungsabkommens gestellt, das allerdings über viele Jahre ausgehandelt wurde und erst 2017 voll­ständig in Kraft trat.2

Selbst nach 2014 blieb dieser Fokus trotz des von Russland ausgelösten Krieges bestehen. Zwar wurden im Rahmen des sogenannten Normandie-Formats erhebliche Anstrengungen unternommen, auf die Wiederherstellung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine hinzuarbeiten.3 An diesem Format waren aber nur Deutschland und Frankreich als EU-Mitgliedstaaten beteiligt (zusammen mit der Ukraine und Russland). Wohl nahm die EU als regio­nale Organisation für kurze Zeit an Gesprächen in einem anderen Format in Genf teil, bei denen sie, die USA und Russland versuchten, den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland beizulegen. Im April 2014 trafen die drei beteiligten Akteure sogar eine Verein­barung, der aber keine konkreten Schritte der Kon­fliktlösung folgten.4 Seitdem gab es keine formale EU-Beteiligung an solchen Bemühungen.

Durch die Einbindung der Ukraine in die Östliche Partnerschaft (ÖP) kamen bereits seit 2009 einige zu­sätzliche Aspekte der Kooperation hinzu, beispielsweise die Förderung regionaler Projekte und der Zivil­gesellschaft. Allerdings schätzte die Ukraine, wie die meisten an der ÖP teilnehmenden Staaten, die bilate­rale Dimension der Zusammenarbeit mit der EU mehr als die regionale Dimension. Im ukrainischen Fall kam hinzu, dass Kyjiw die Teilnahme an der ÖP eher als Rückstufung ihres Verhältnisses zur EU betrachtete. Ukrainische Politiker:innen argumentierten, ihr Land habe bereits vor der Entstehung der ÖP über die Instrumente verfügt, die das Programm anbot. Zum Beispiel habe sie schon davor begonnen, über ein Assoziierungsabkommen zu verhandeln. Für Teile der ukrainischen Zivilgesellschaft war die ÖP dennoch eine willkommene Gelegenheit, ihre Netzwerke mit Vertreter:innen der EU-Institutionen zu erweitern und einen vertieften Austausch mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in anderen Ländern der ÖP zu führen.

Vor der russischen Invasion hat die EU die Sicherheitsdimension ihrer Beziehungen zur Ukraine weitgehend vernachlässigt.

Weder in den Aktionsplänen noch im Rahmen des Assoziierungsabkommens oder in der ÖP spielten Sicherheitsfragen eine prominente Rolle. Obwohl sich die Sicherheitslage in der Region immer weiter zu­spitzte, vernachlässigte die EU konsequent die Sicher­heitsdimension.5 Die Bearbeitung der sich in die Länge ziehenden Konflikte (protracted conflicts) in der Republik Moldau, in Georgien, über Bergkarabach sowie später in der Ukraine kam kaum vom Fleck und wurde in der Regel nicht von der EU, sondern der OSZE oder den Vereinten Nationen angeschoben.

Deswegen ist es für die EU schwierig, der jetzigen Situation gerecht zu werden. Auch ihre Bemühungen im Südkaukasus in den letzten Jahren haben gezeigt, dass sie zwar den Willen, nicht aber die Macht besitzt, die Entwicklung in den von Konflikten und Kriegen betroffenen Ländern entscheidend zu beein­flussen.6 Brüssels bisherige Erfahrung mit Reform­prozessen in der Ukraine und anderen Erweiterungsverfahren ist dennoch äußerst wichtig und nützlich. In diesem Sinne ist die EU gut auf den Beitrittsprozess vorbereitet. Durch das Assoziierungsabkommen haben sich in den letzten Jahren bestimmte Formen der Zusammenarbeit zwischen EU und Ukraine gefestigt, etwa im Rahmen der Support Group for Ukraine (SGUA), die in den Jahren 2014–2022 ein breites Spektrum an Reformen eng begleitet und unterstützt hat.7

Auf der anderen Seite rächt sich jetzt die weit­gehende Abwesenheit von Zusammenarbeit in der Sicherheitssphäre.8 Das betrifft nicht nur die Ukraine, sondern die ganze Region. Der russische Ein­marsch hat viele EU-Mitgliedstaaten aufgeschreckt. Ein Ergeb­nis war der Ausbau der Europäischen Friedensfazilität (EFF), von deren Ressourcen die aller­meisten bislang der Ukraine zugutegekommen sind.9 Es ist unbestritten, dass zahlreiche EU-Mitgliedstaaten Kyjiw bedeu­tende militärische Unterstützung geleistet haben.10 Dies offenbart die Kapazität der EU (und ihrer Mit­gliedstaaten), in Krisensituationen wesentlich schnel­ler als zuvor üblich zu reagieren und Instrumente kreativ zu nutzen.11 Eine solche Form der Zusammen­arbeit ist allerdings weder etabliert noch in ein größe­res sicherheitspolitisches Engagement eingebettet.

Die Diskussion innerhalb der EU über eine neue Erweiterungsrunde läuft auf Hochtouren. Dabei wird heiß darüber debattiert, welche internen Reformen notwendig sind, um die EU unter anderem auf eine Reihe neuer Mitgliedstaaten vorzubereiten.12 Aus verschiedenen (sicherheits)politischen sowie (land)wirtschaftlichen Gründen wird die Aufnahme der Ukraine wohl die schwierigsten Herausforderungen an die EU stellen. Zugleich birgt die Ukraine das größte Potential für einen positiven Beitrag als künftiger Mitgliedstaat.13

Offensichtlich schwebt über dieser Studie die Frage, wie der Krieg zwischen Russland und der Ukra­ine ausgehen mag. Aus drei Gründen wurde die Analyse indes nicht bis dahin aufgeschoben. Erstens entwickeln sich die Beziehungen zwischen EU und Ukraine auch während des Krieges weiter, wie vor allem an der Verleihung des Kandidatenstatus im Juni 2022 sichtbar wurde. Zweitens kann ein besseres Verständnis der neueren Entwicklungen dazu bei­tragen, das Verhältnis zwischen Ukraine und EU sinnvoller zu gestalten, was wiederum Einfluss auf das Kriegsgeschehen haben kann. Drittens macht die EU den Beitritt wahrscheinlicher, indem sie zu ihrer Überzeugung steht, dass die Ukraine der Union beitreten wird, und gemäß dieser Annahme handelt. Das dürfte nämlich dazu führen, dass das beiderseitige Verhältnis sich mit der Zeit weiter vertiefen wird, was sich wiederum günstig auf die Beitrittsverhandlungen auswirken dürfte.

Reformen zu Kriegszeiten

Um der EU beitreten zu können, muss die Ukraine die sogenannten Kopenhagener Kriterien erfüllen.14 Ihnen gemäß muss sie nicht nur über stabile demo­kratische Institutionen und eine funktionierende Rechtsstaatlichkeit verfügen, sondern auch über eine etablierte Marktwirtschaft. Außerdem muss sie alle Teile des Acquis communautaire übernehmen, die bis zum Moment des Beitritts bestehen. Dies zu sichern ist Aufgabe des Beitrittsverfahrens. In dessen Fortgang wird unter anderem überprüft, ob das Kandidatenland in allen Bereichen des Acquis, der in Kapiteln wie Transport, Gesundheit, Agrarfragen und anderes aufgeteilt ist, die entsprechenden Forderungen erfüllt hat. Seit 2020 werden die Kapitel gebündelt, um den Prozess weniger fragmentiert zu gestalten und die Anzahl der notwendigen Ratsentscheidungen zu reduzieren.15

Der sogenannte Ukraine-Plan wird ein wichtiger Rahmen sein, um die Reformfortschritte voranzutreiben.

In Zukunft wird der sogenannte Ukraine-Plan ein wichtiger Rahmen sein, um die Reformfortschritte voranzutreiben. Der Plan wurde von der ukrainischen Regierung ausgearbeitet und beinhaltet eine Strategie für Reformen, die nicht nur mit dem EU-Beitritt, son­dern auch mit den Herausforderungen des Wieder­aufbaus zusammenhängen. Am 15. April 2024 hat die Europäische Kommission den Plan gutgeheißen. Das bedeutet, dass die vorgesehenen monatlichen Aus­zahlungen aus der Ukraine Facility an Kyjiw fließen können.16

Einschätzungen der Europäischen Kommission

Das Assoziierungsabkommen zwischen EU und Ukraine, seit September 2017 vollständig in Kraft, ist auf die Übernahme großer Teile des Acquis angelegt. Maßgeblich ist, wie weit die Umsetzung dieses Ab­kommens bislang vorangetrieben wurde. Die Antwort auf diese Frage liefert Indizien, wie lange das Beitritts­verfahren dauern wird,17 sowie über die Bereiche, in denen die Ukraine zuerst eine Teilintegration im Sinne einer staged accession18 erreichen könnte.

Über die inhaltlichen Aspekte des Assoziierungsabkommens bzw. des vertieften und umfassenden Freihandelsabkommens (Deep and Comprehensive Free Trade Agreement, DCFTA) hinaus bildet das Abkommen einen umfänglichen institutionellen Rahmen für den Dialog zwischen den beiden Seiten.19 Außerdem wurde ein Monitoring-Verfahren ein­gerichtet, um die Annäherung der Ukraine an den Acquis zu verfolgen. Das heißt, dass die EU seit 2016 jedes Jahr die Umsetzung des Assoziierungsabkommens beurteilt. So kann Brüssel nicht nur den jeweils aktuellen Grad der Umsetzung einschätzen, sondern auch Veränderungen in ihrem Tempo über die voran­gegangenen Jahre feststellen. Deshalb ist es auch mög­lich zu sagen, in welchem Maß sich die Geschwin­dig­keit seit Beginn der Invasion vom 24. Februar 2022 verringert hat.

Bis zur russischen Invasion hat die Europäische Kommission die ukrainischen Fortschritte im Rahmen des Assoziierungsabkommens evaluiert. Die letzte Einschätzung erfolgte am 22. Juli 2022.20 Hierbei ging es der Kommission wohl darum, den Stand der Um­setzung des Abkommens bis zum Februar 2022 fest­zuhalten und zu betonen, dass der russische Groß­angriff nichts an der europäischen Orientierung der Ukraine geändert hat.

In ihrem Fortschrittsbericht vom 8. November 2023 ist die Europäische Kommission von einer Evaluierung der Umsetzung des Assoziierungsabkommens zu einer globaleren Einschätzung übergegangen.21 Da die Ukraine nun Beitrittskandidat ist, werden ihre Leistungen im Hinblick auf den gesamten EU-Acquis evaluiert, statt lediglich auf das Assoziierungsabkom­men und das DCFTA Bezug zu nehmen. Die Kommission sieht Fortschritte im Schlüsselbereich Rechtsstaatlichkeit und betont, dass diese seit der russischen Invasion anhalten oder gar zugenommen haben. Das betrifft unter anderem die Justizreform sowie die Korruptionsbekämpfung, bei denen sich die Ukraine im Stadium »some preparation« befinde.22 Im wirt­schaftlichen Bereich konnten Reformen allerdings kaum durchgeführt werden, vor allem aufgrund der russischen Aggression. Hier sei die Ukraine zwischen einem frühen Stadium und dem Niveau von »some preparation« auf dem Weg zu einer Marktwirtschaft zu verorten. Noch in einem frühen Stadium sei ihre Fähigkeit angesiedelt, dem Wettbewerbsdruck und marktwirtschaftlichen Kräften in der EU standzuhalten. Bereits diese Einschätzung weist darauf hin, dass der Weg der Ukraine bis zur Erfüllung der Kopen­hagener Kriterien noch weit ist.

Da die Zeit drängte, über das Beitrittsgesuch der Ukraine zu entscheiden, veröffentlichte die Europäische Kommission bereits im Juni 2022 einen Bericht mit einigen allgemeineren Schlussfolgerungen zum Stand der Vorbereitungen der Ukraine auf eine EU-Mitgliedschaft. Damit reagierte die Kommission auf den ukrainischen Antrag auf EU-Mitgliedschaft vom 28. Februar 2022, wenige Tage nach Beginn der Invasion. In diesem Zusammenhang wurden sieben Schritte genannt, welche die Ukraine unternehmen muss, um aus Sicht der EU die notwendigen Voraussetzungen für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen zu erfüllen. Insgesamt kam die Kommission zu folgendem Schluss:

»Die Ukraine hat sich dem EU-Acquis, den das Assoziierungsabkommen und das DCFTA beinhalten, allmählich angenähert und weist im Allgemeinen eine zufriedenstellende Erfolgsbilanz bei der Umsetzung auf, auch wenn die Fortschritte uneinheitlich sind und Verzögerungen in Bezug auf die ambitionierten Zeitpläne des Assoziierungsabkommens und des DCFTA sich häufen. In der Erwartung einer voll­ständigen Analyse aller Kapitel, die zu einem späteren Stadium durchgeführt wird, liefert die vorliegende Analyse Beispiele für Kapitel in den Clustern, in denen die Ukraine besonders gute Leistungen erbracht hat, und unterstreicht Bereiche, in denen es lediglich zu einer begrenzten Annäherung an den Acquis gekommen ist.«23

Damit fasst die Kommission den Stand der ukra­inischen Reformbemühungen, sofern sie für den EU-Beitritt relevant sind, gut zusammen. Erstens bewer­tet sie die Anstrengungen der Ukraine insgesamt als zufriedenstellend, was für die Entscheidung, den Kandidatenstatus zu verleihen, nicht unerheblich ist. Zweitens konstatiert die Kommission, dass die Fort­schritte uneinheitlich sind und die ursprünglich an­visierten Zeiträume für die Umsetzung der Maßnahmen meist nicht eingehalten werden können. Dies ist wichtig, um künftige Erwartungen zu dämpfen, und deutet darauf hin, dass es Bereiche gibt, in denen die erforderlichen Reformen blockiert werden. Das wiederum verdeutlicht, dass es notwendig ist zu ver­stehen, woher diese Blockaden stammen und wie sie überwunden werden können. Drittens räumt die Kommission ein, dass eine vollständige Analyse der ukrainischen Leistungen noch nicht erfolgt ist. Mit ihrer Beurteilung vom Februar 202324 und ihrem Jahresbericht vom November 2023 hat die Kommis­sion die Analyse der fehlenden Bereiche nachgeholt. Diese Dokumente geben aber keinen Anlass, vom obigen allgemeinen Fazit der Kommission abzuweichen. Die Ukraine hat eine erstaunliche Reformbilanz zu verzeichnen, wenn man bedenkt, dass sie sich in einem heißen Krieg befindet. Dennoch ist sie von der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien und von der Übernahme des Gesamt-Acquis noch relativ weit ent­fernt.

Die Berichterstattung ist insofern eingeschränkt, als jene Teile des ukrainischen Territoriums, die nicht von der Ukraine kontrolliert werden, bei der Beurtei­lung außen vor blieben. Die Implementierung des Abkommens in den besetzten Territorien dürfte weit hinter derjenigen in den anderen Gebieten zurückbleiben. Berücksichtigt man den Grad der Zerstörung durch den Krieg in diesen Gebieten ebenso wie Russlands Bemühungen, dort seine Bürokratie und seine eigenen Werte durchzusetzen, wird man kaum umhin­kommen, mit der Umsetzung in jenen Territo­rien bei null anzufangen. Genauso plausibel aber erscheint die Annahme, dass die Erfahrungen mit der Implementierung des Abkommens in den kontrollierten Teilen des Landes die Ukraine darauf vorbereiten, in den anderen Gebie­ten relativ zügig aufzuholen, nachdem sie zurück­erobert wurden.25 Allerdings setzt dies weitgehendes Einverständnis der Bevölkerung voraus, das unter anderem aufgrund der russischen Propaganda der letz­ten Jahre nicht ohne Weiteres gegeben sein wird.26

Einschätzungen der ukrainischen Regierung

Die Europäische Kommission greift auf eine Vielfalt von Quellen zurück, um den Fortschrittsbericht zusammenzustellen.27 Es ist dennoch nützlich, auf weitere Einschätzungen der ukrainischen Reformbemühungen zu blicken, erstens weil sie einiges über die Sicht innerhalb der Ukraine auf die Reformen ver­raten und zweitens weil sie den Beitrag ukrainischer zivilgesellschaftlicher Akteur:innen zu den Reformen (und deren Evaluierung) sichtbar machen. Auch die ukrainische Regierung veröffentlicht einen jährlichen Bericht über die Umsetzung des Assoziierungsabkom­mens.28 Er wird vom Büro der Vizepremierministerin für die euroatlantische Integration erstellt. Anhand einer quantitativen Evaluierung der Dokumente, die zu den verschiedenen Bereichen des Abkommens verabschiedet oder beschlossen wurden, wird in dem Bericht eine Prozentzahl ermittelt, die den umgesetzten Anteil des Abkommens darstellen soll.

Dieser Prozentsatz steigt von Jahr zu Jahr, was logisch erscheint, da die ukrainische Regierung jedes Jahr weitere Anstrengungen unternimmt, um die Implementierung voranzutreiben. Selbst im Kriegsjahr 2022 sei es gelungen, den Prozentsatz um weitere neun Punkte auf 72 Prozent zu erhöhen. Im neuesten Bericht, der das Jahr 2023 abdeckt, werden 77 Prozent genannt.29 Auch wenn man diese Ein­schätzung akzeptiert, wird durch einen Vergleich mit dem Bericht der Europäischen Kommission klar, dass die Ukraine noch einen weiten Weg bis zur Übernahme des gesamten EU-Acquis zurücklegen muss, selbst wenn sie das Assoziierungsabkommen voll­ständig umgesetzt hat. Obwohl die EU-Berichte nach einem anderen System aufgebaut sind und keine Gesamtprozentzahl wiedergeben, wird der Grad der Umsetzung dort dennoch de facto nach einem Fünf-Punkte-System bewertet, bei dem die Beurteilung »early stage« der niedrigsten Kategorie (1 Punkt) und die Bezeichnung »well advanced« der höchsten (5 Punkte) entspricht. Da die Ukraine im Durchschnitt bei etwa zwei Punkten (»some level of preparation«) landet, entspricht dies grob gesagt einem Implementierungsgrad von ungefähr 40 Prozent.30 Im EU-Bericht werden allerdings die ukrainischen Leistungen in Bezug auf den Gesamt-Acquis evaluiert, nicht nur hinsichtlich Assoziierungsabkommen und DCFTA.

Es gilt, überhöhte Erwartungen in der Ukraine an das Tempo des EU‑Beitrittsverfahrens einzudämmen.

Insgesamt fallen die (mündlichen wie schriftlichen) Einschätzungen der Ukraine tendenziell positiver aus als die der Kommission. Ein Grund dafür mag sein, dass Kyjiw seine Reformen in möglichst gutem Licht präsentieren möchte. Es kann aber auch daran liegen, dass die ukrainische Regierung direkt an der Quelle sitzt und schneller über Fortschritte Bescheid weiß. Falls die Unterschiede in der Beurteilung sich jedoch über Jahre fortsetzen und nicht beseitigt werden, könnte dies Probleme bereiten. Erstens wird die ukra­inische Bevölkerung wohl eher die ukrainische Berichterstattung wahrnehmen als die der Kommis­sion. Sie wird deswegen möglicherweise überhöhte Erwartungen hegen, was die Annäherung an die EU und den Zeitraum für den Beitritt betrifft. Dass die Regierung unrealistische Erwartungen im Hinblick auf den Beitritt schürt, wurde an einer Aussage des Premierministers deutlich. Im Jahr 2022 verkündete er, dass die Ukraine binnen zwei Jahren alle für den Beitritt notwendigen Verpflichtungen erfüllen könne.31 Zweitens wird auch die ukrainische Regie­rung viel eher als die Europäische Kommission davon überzeugt sein, dass die Ukraine »beitrittsreif« sei, zumindest was die Umsetzung des Abkommens angeht. Dies kann in Zukunft Spannungen zwischen den beiden Seiten erzeugen. Fest steht, dass aus Sicht der EU und ihrer Mitgliedstaaten die Berichte der Kommission wesentlich mehr Gewicht haben als jene der ukrainischen Regierung. Für die ukrainische Seite könnte es deswegen ratsam sein, über die Gründe für etwaige Abweichungen zwischen den Einschätzungen nachzudenken und die eigene Vorgehensweise gegebe­nenfalls anzupassen, um unangenehme Überraschun­gen zu vermeiden. Der Übergang weg vom Fokus auf das Abkommen und hin zur Betonung der Leistungen im Rahmen des Gesamt-Acquis bietet eine Gelegenheit für einheitlichere Botschaften.

Die Berichte machen deutlich, dass die Ukraine über die Jahre nicht nur sehr viel im Sinne einer inhaltlichen Annäherung an die EU geleistet hat, sondern auch die Umsetzung des Abkommens mitt­lerweile systematischer untersucht und bewertet. Es ist gelungen, über mehrere Präsidenten und Regierungen hinweg eine kontinuierliche Bericht­erstattung zu Reformfortschritten zu gewährleisten. Außerdem wurde offenbar erfolgreich ein Mecha­nismus entwickelt, bei dem die zuständigen Ministerien regelmäßig vergleichbare Informationen zum Stand der jeweiligen Reformbereiche an die Stelle geliefert haben, welche für die Berichterstattung ver­ant­wortlich ist. Beides ist im ukrainischen politischen Kontext nicht selbstverständlich. Die Berichte began­nen bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem das Assoziierungs­abkommen noch gar nicht in Kraft getreten war, das heißt, die ukrainische Seite ging hier in Vorleistung. Ähnliches gilt für das Beitrittsverfahren, denn die ukrainische Regierung hat schon vor der Entschei­dung des Europäischen Rates, Beitrittsverhandlungen zu eröffnen, eine Art Selbstüberprüfung (self-screening) durchgeführt. Dabei wurden die ukrainischen Fort­schritte in allen Bereichen des Acquis communautaire evaluiert und die noch zu erledigende Arbeit präzi­siert.32 Dies bietet eine hilfreiche Grundlage für den Einstieg in die Verhandlungen mit der EU, die bereits im Sommer 2024 beginnen könnten.

Bei den Berichten zur Umsetzung des Assoziierungsabkommens der letzten Jahre fällt auf, dass die Ukraine ihre Leistungen im Bereich »Justiz, Freiheit, Sicherheit und Menschenrechte« besonders hoch einschätzt (92 Prozent umgesetzt im Jahr 2023). In diese Kategorien fallen viele der unverzichtbaren Aufgaben zur Etablierung von Rechtsstaatlichkeit (fundamentals), welche seit 2020 zum ersten Cluster jener Themen gehören, die während der Beitritts­verhandlungen angegangen werden: Justizreform, funktionierende demokratische Institutionen, Reform der öffentlichen Verwaltung und der Sicherheitsstrukturen, Einhaltung der Menschenrechte und anderes. Gerade in diesen und verwandten Bereichen hat die EU immer wieder festgestellt, dass die Ukraine erhebliche Defizite aufweist und diese aufgrund der Existenz mächtiger Interessengruppen (vested interests) nur sehr langsam behebt. Diese Bereiche sind nicht nur an sich wichtig. Ihre erfolgreiche Bearbeitung legt auch das Fundament für entscheidende Reformschritte in zahlreichen anderen Sphären. Deswegen wird in den Beitrittsverhandlungen zu klären sein, ob die Selbsteinschätzung der ukrainischen Seite wesentlich von der Bewertung seitens der EU abweicht oder ob andere Faktoren die augenscheinliche Differenz erklären.

Über die Berichte hinaus hat die ukrainische Regie­rung versucht, ihr Vorgehen und die erreichten Fort­schritte für die ukrainische Bevölkerung transparent zu machen, und zwar auf einer Webseite unter dem Titel »Der Puls des Abkommens« [Pul’s uhody].33 Hier kann man die Fortschritte in den verschiedenen Bereichen auf einen Blick verfolgen. Auch wenn Teile der Webseite in den letzten Jahren nicht gepflegt wurden, bleibt sie eine nützliche Informations­quelle.34 Bevor russische Truppen im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierten, hatte es Pläne gegeben, in mehreren ukrainischen Regionen Büros zum Thema europäische Integration einzurichten. Das spricht auch für das Bestreben der ukrainischen Regierung, breitere Teile der Bevölkerung über die Beziehungen zur EU allgemein und das Assoziierungsabkommen zu informieren.35

Einschätzungen aus der ukrainischen Zivilgesellschaft

Aufmerksamkeit verdienen auch die Bemühungen zivilgesellschaftlicher Akteure in der Ukraine, die Umsetzung des Assoziierungsabkommens zu evalu­ieren. Ihre Arbeiten setzen einen Kontrapunkt zu denen der ukrainischen Regierung und können helfen, auf problematische Bereiche hinzuweisen oder zu bestätigen, dass bestimmte Sphären nicht nur aus offizieller Perspektive, sondern auch aus Expert:innensicht ausreichend behandelt wurden. Sichtbar und seriös sind vor allem zwei Arten der Beurteilung, die in den letzten Monaten bzw. Jahren stattgefunden haben. Das sind die Arbeiten unter der Leitung des New Europe Center (NEC) zu den sieben Empfehlungen der Europäischen Kommission sowie die des Ukrainian Center for European Policy (UCEP) zur Implementierung des Abkommens insgesamt.36

Das New Europe Center ist ein ukrainischer Think-Tank, der zahlreiche Arbeiten zum Thema EU-Inte­gration sowie zum Verhältnis Nato-Ukraine publiziert hat. Es ist gut mit Regierungskreisen sowie im west­lichen Ausland vernetzt und sehr präsent mit Ver­anstaltungen und Vorträgen. Für unsere Zwecke ist besonders der sogenannte Kandidatencheck von Interesse, eine Einschätzung der Umsetzung jener Schritte, welche die EU im Juni 2022 empfohlen hat. Seit diesem Zeitpunkt hat das NEC die ukrainische Implementierung der Maßnahmen bereits fünfmal evaluiert.

Festzustellen ist, dass die Ukraine über die Zeit deutliche Fortschritte erzielt hat. Beim ersten Kandi­datencheck im August 2022 wurden von zehn mög­lichen Punkten lediglich 4,4 gegeben, während beim fünften Check im September 2023 der Score bei 8,1 Punkten lag.37 Selbst die geforderte Reform des Verfassungsgerichts, die das NEC zuvor als gescheitert bezeichnet hatte, bekam sechs Punkte. Unter den anderen Reformen waren die meisten fortgeschritten: In den Bereichen Justiz, Korruptionsbekämpfung, Medien und nationale Minderheiten wurden acht bis zehn Punkte erreicht. Lediglich die Reform­schritte beim Kampf gegen Geldwäsche sind bei sechs Punk­ten steckengeblieben. Das NEC-Team stützt sich auf die Meinungen von Expert:innen, um zu seiner Beurteilung zu kommen.

Die Deoligarchisierung, die in einer der sieben Empfehlungen der EU thematisiert wird, berücksichtigt das NEC-Team allerdings nicht. Grund ist die For­derung der EU, die Empfehlungen der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission), einer Einrichtung des Europarates, bei der Überarbeitung des sogenannten Antioligarchengesetzes in Betracht zu ziehen. Diese Empfehlungen sind erst im Juni 2023 erschienen. Darin wird ver­langt, auf das Antioligarchengesetz in seiner jetzi­gen Form zugunsten eines systematischen Ansatzes zu verzichten, der eine Reihe von Änderungen im Bereich des Wettbewerbs notwendig erscheinen lässt. Da diese Maßnahmen weit über die ursprüngliche Forderung hinausgehen und nicht kurzfristig ein­geführt werden können, hat das NEC entschieden, diesen Punkt bei seiner Beurteilung außer Acht zu lassen, und fordert die Europäische Kommission auf, in gleicher Weise zu handeln.38

Über eine Analyse der sieben Schritte hinaus geht das Ukrainische Zentrum für Europäische Politik (Ukrainian Center for European Policy, UCEP). Es wurde 2015 gegründet, »um Reformen für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum in der Ukraine zu för­dern sowie eine offene Gesellschaft in Partnerschaft mit Institutionen auf allen Ebenen zu schaffen«.39 Das UCEP arbeitet kontinuierlich zur Umsetzung des Assoziierungsabkommens. Im Mai 2023 hat ein Team von UCEP-Autor:innen eine längere Analyse zur Integration der Ukraine in die EU unter den Umständen des Krieges veröffentlicht.40

Die Analyse fokussiert auf bestimmte Sektoren, die von kritischer Bedeutung zu Kriegszeiten und von erheblicher Relevanz für die Integration der Ukraine in die EU sind. Das sind erstens die Rechtsstaatlichkeit, vor allem die Reform des Justizsystems, und zweitens der Handel. Wegen des Krieges ist insbesondere der Handel mit den Nachbarländern innerhalb der EU (inklusive Rumänien und Bulgarien) wichtiger geworden. Das große Verdienst des Berichtes ist zum einen, dass er realistische Prioritäten innerhalb des fast unüberschaubaren Acquis communautaire setzt, die sofort angegangen werden können. Zum anderen kombiniert er zwei Ziele, nämlich die Bedürfnisse infolge des Krieges und die Annäherung an die EU. So bildet die Analyse (sowie die Arbeit des UCEP ins­gesamt) eine wesentliche Ergänzung zu den Beurteilungen der Europäischen Kommission und der ukra­inischen Regierung.

Außerdem hat das UCEP mit Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung eine längere Analyse publiziert, in der unter anderem auch seine Unter­suchungsmethoden erläutert werden.41 Hierbei wird nicht nur die formale Übernahme des Acquis in die ukrainische Gesetzgebung (Transposition) berücksichtigt, sondern auch die tatsächliche Umsetzung in die Praxis. Erstens geht es darum, ob die entsprechenden Behörden institutionell, finanziell und personell in der Lage sind, die neuen Regelungen durchzusetzen. Zweitens wird über Möglichkeiten für Monitoring, Sanktionen und Flexibilität nachgedacht, um die Poli­tik gegebenenfalls anzupassen. Da in der Ukraine gerade die Implementierung von Gesetzen oft mangel­haft ausfällt, ist diese Trennung zwischen den beiden Schritten von großer Bedeutung und verleiht den Schlussfolgerungen der Analyse Gewicht. Das kann auch eine Erklärung für den Unterschied in der Beurteilung des UCEP und jener der ukrainischen Regierung liefern, da Letztere diese Unterscheidung in dieser expliziten Form nicht vornimmt.

Die Untersuchungsmethode des UCEP beeindruckt auch durch den Ansatz, nicht nur neue Gesetze, Verordnungen oder anderes zu fordern, sondern auch die Annullierung alter Dokumente, die noch in Kraft sind und dem Acquis widersprechen. Bei anderen Einschätzungen der Umsetzung des Assoziierungs­abkommens wird auf diese Notwendigkeit nicht ein­gegangen. Deswegen ist unklar, inwiefern sie in der Evaluierung berücksichtigt wird. Ohne eine solche Berücksichtigung läuft man Gefahr, ein Dickicht sich widersprechender Gesetzestexte zu fabrizieren, das mit der Zeit immer unüberschaubarer wird. Außerdem werden dadurch Gelegenheiten für Akteure geschaffen, die gegen die Umsetzung eines Teils des Acquis klagen möchten, da sie sich auf ältere Gesetze stützen können, die mit dem Acquis nicht in Ein­klang stehen und noch in Kraft sind.

Der Bericht behandelt die Umsetzung des Assoziierungsabkommens einschließlich des DCFTA während der zweiten Hälfte des Jahres 2021 und des ganzen Jahres 2022. So lässt sich ein Teil der Phase nach der russischen Invasion seit Februar 2022 mit der Phase direkt davor vergleichen. Die Autor:innen stellen fest, dass die Ukraine die entsprechenden Teile des Abkom­mens zu 55 Prozent umgesetzt hat, sechs Prozentpunkte mehr als vor dem Beginn des evaluierten Zeitraumes. Dabei wurden 30,4 Prozent vollständig implementiert; 26,2 Prozent der Aufgaben waren in einem fortgeschrittenen Stadium. Über 40 Prozent befanden sich in einem frühen Stadium oder wurden noch überhaupt nicht angegangen.

Der Krieg hat die Reformen gebremst, aber nicht zum Stillstand gebracht. Kyjiw treibt sie weiter voran.

Laut dem Bericht hatte der Krieg zweierlei Aus­wirkungen auf die Reformen im Zusammenhang mit dem Abkommen. Zum einen wurden diese verlangsamt, weil die meisten Ressourcen in Aufgaben fließen mussten, die aus dem Krieg erwuchsen. Zum anderen konnte wegen der Zerstörungen infolge des Krieges das Niveau der erreichten für das Abkommen relevan­ten Änderungen (zum Beispiel in der Infrastruktur) bestenfalls aufrechterhalten werden. Eine Verbesserung war im ersten Kriegsjahr kaum möglich, auch aufgrund des Verlusts von Personal, das zum Teil ins Ausland, zum Teil in die Streitkräfte gegangen ist. Außerdem wurden wesentliche Kontrollfunktionen (zum Beispiel bezüglich öffentlicher Beschaffungen und staatlicher Subventionen) ausgeschaltet, und insgesamt hat in vielen Bereichen die Transparenz nachgelassen. Hinzu kommt, dass laut der Autorenschaft schon vor dem Krieg der politische Wille fehlte, Schlüsselreformen in wichtigen Bereichen wie Dezentralisierung, Korruptionsbekämpfung, Justiz, Strafverfolgung und im öffentlichen Dienst abzuschließen. Dennoch wurden 2022 etliche Gesetze verabschiedet, die maßgeblich für die Umsetzung des Abkommens sind. Dies heißt allerdings, dass die Liste der Dokumente des Sekundärrechts, welche für die praktische Implementierung notwendig sind, erheblich länger geworden ist.

Die ukrainische Nichtregierungsorganisation Vox Ukraine bestätigt die Reformschwierigkeiten, die zu Kriegszeiten existieren. Sie veröffentlicht regelmäßig einen Reformindex, mit dessen Hilfe Schwankungen im Reformtempo deutlich erkennbar sind. Seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 ist es im Durchschnitt stark zurückgegangen. Es übersteigt nicht den Wert von plus 1,5 (auf einer Skala von minus 5,0 bis plus 5,0), obwohl Vox Ukraine erst ein Niveau von über plus 2,0 als akzeptable Reform­geschwindigkeit einstuft.42 In der Situation eines heißen Krieges ist es allerdings eher erstaunlich, dass die Arbeit an der Implementierung des Abkommens nicht aus­gesetzt wurde, sondern im Gegenteil in vielen Berei­chen spürbar fortgeführt wird. Das spricht für die Funktionsfähigkeit der ukrainischen Büro­kratie auch in Zeiten eines großen Krieges sowie für die Priorität, die Kyjiw den Beziehungen mit der EU einräumt.

Zusammengenommen weisen die unterschied­lichen Berichte auf eine Reihe von Entwicklungen hin. Erstens schreiten die Reformanstrengungen in der Ukraine trotz des heißen Krieges voran, zweitens aber haben sich die Reformen im Krieg gezwungenermaßen verlangsamt. Drittens werden Fortschritte in erster Linie dann erreicht, wenn eine begrenzte Liste präziser und kurzfristig erfüllbarer Erwartungen vorliegt. Viertens gehört der Bereich Rechtsstaatlichkeit weiterhin zu den schwierigsten, wenn es darum geht, erfolgreiche und vollständige Reformen zu bewerkstelligen. Am wichtigsten ist fünftens die Erkenntnis, dass es der EU und der Ukraine selbst in der gegenwärtigen Lage möglich ist, mit den bisheri­gen Komponenten ihrer Beziehungen voranzukommen, das heißt Reformen in Angriff zu nehmen und dabei auf den EU-Beitritt der Ukraine hinzuarbeiten.

Aus dieser Warte erscheint die Entscheidung des Europäischen Rates, Beitrittsverhandlungen zu eröffnen, nicht nur aus geostrategischer Perspektive gerechtfertigt. Schnelle Reformfortschritte in den kommenden Monaten zu erwarten wäre allerdings unrealistisch. Eine direkte Verbindung zwischen Reformmöglichkeiten und westlicher Rückendeckung drängt sich in diesem Zusammenhang auf. Je ent­schlossener westliche Staaten und Organisationen der Ukraine militärisch unter die Arme greifen, desto rascher kann eine Situation eintreten, in der zügige Reformen machbar sind. Fehlende militärische Unterstützung wird, wie die ersten Monate des Jahres 2024 eindeutig gezeigt haben, zur Folge haben, dass die russischen Streitkräfte auf ukrainischem Terri­torium vorrücken. Durch die instabile und sich für die Ukraine ungünstig entwickelnde Frontlinie wird es notwendig sein, sich fast ausschließlich auf Verteidigungsmaßnahmen zu konzentrieren. Außerdem wird die Moral in Streitkräften und Gesellschaft sinken. Beide Entwicklungen schaffen denkbar schwierige Voraussetzungen für weitere Reformen. Falls die russische Seite zusätzliche Gebietsgewinne erzielt, wird auch das die Umsetzung der Reformagenda auf mehreren Ebenen erschweren, nicht zuletzt im geografischen Sinne. Von daher ist weiter gewährte Militärhilfe auch ein Beitrag zum Erfolg der Reformen.

Die Entwicklung des Regierungssystems seit 2022

Vor der russischen Invasion im Februar 2022 nahm die ukrainische Elite eine ambivalente Haltung zur Annäherung ihres Landes zur Europäischen Union ein. Auf der einen Seite waren viele Mitglieder der politischen und wirtschaftlichen Elite aus geopolitischen und ökonomischen Gründen an einer weiteren Annäherung an die EU interessiert. Auf der anderen Seite waren zum Teil dieselben Personen oft nicht bereit, bestimmte Reformschritte zu unternehmen, die eventuell für einen Durchbruch in den Beziehungen gesorgt hätten, weil diese Schritte ihre Partiku­larinteressen gefährden würden. Dies trifft besonders auf den Bereich Rechtsstaatlichkeit zu und weist auf Strukturmerkmale der ukrainischen Politik hin. Das wohl gravierendste ist eine Form oligarchischen Regierens, bei dem sich Vetternwirtschaft, system­relevante Korruption auf vielen Ebenen, eine proble­matische Vermischung politischer und wirtschaft­licher Interessen sowie die Abwesenheit eingebauter Bremsen für fehlerhaftes Verhalten bemerkbar machen.43

Deswegen machte die damalige Beziehung zwischen EU und Ukraine zwar stetig Fortschritte. Zum Beispiel wurde ein visafreies Regime für kurze tou­ristische Aufenthalte in der EU geschaffen. Zugleich aber stieß man immer wieder auf Hindernisse, sodass kein Durchbruch erzielt wurde.44 Stattdessen lag die Betonung oft auf den Entwicklungen im Rahmen der Minsker Vereinbarungen und auf den Versuchen, dem damaligen Krieg im Donbas ein Ende zu setzen.45

Seit Beginn der großangelegten Invasion herrscht offensichtlich eine völlig neue Situation. Die Eliten in der Ukraine haben sich den Bedingungen des Krieges angepasst, aber es gibt kaum Anzeichen dafür, dass der Krieg einen systemischen Wandel in der ukrainischen Politik und Wirtschaft eingeleitet hat. Insgesamt bietet sich ein gemischtes Bild. Auf der einen Seite existieren Fehlentwicklungen, die infolge der Kriegs­situation vorangetrieben werden. Auf der anderen Seite sind Bemühungen zu verzeichnen, weitere Reformen ins Werk zu setzen und die Schlüsselprobleme trotz der Kriegssituation anzugehen. Und durch alles hindurch schimmert der problematische Regierungsstil, der schon vor dem Krieg (nicht nur unter Selenskyj) Schwierigkeiten bereitet und systemi­sche Änderungen verhindert hat.

Gewaltenteilung

Wie in etlichen anderen Staaten, die sich im Krieg befinden, hat sich auch in der Ukraine die Macht weiter zentralisiert. Die Rolle des Präsidenten und seiner engsten Mitarbeiter:innen ist zu einer fast übermächtigen Größe geworden. Es ist typisch für die Ukraine, dass ihre Präsidenten nach immer mehr Macht und Befugnissen streben. Selbst wenn das Land laut Verfassung eine »parlamentarisch-präsidentielle Republik« ist und der Stellenwert des Parlaments nicht zu vernachlässigen ist, lag die Betonung stets stärker auf »präsidentiell« als auf »parlamentarisch«. Und weil Kriegszeiten generell ungewöhnliche und besonders rasche Entscheidungen erfordern, kann eine solche Zentralisierung derzeit als unvermeidbar angesehen werden.

Dennoch ist offensichtlich, dass sich der Präsident und sein Team an ihre gewachsene Machtfülle gewöhnt haben und dass dies (selbst bei einem Wech­sel im Präsidentenamt) über den Krieg hinaus Folgen haben wird. Denn es geht nicht nur um das übliche Streben ukrainischer Präsidenten nach mehr Macht, sondern auch um eine Verschiebung der Macht­verhältnisse in Politik und Gesellschaft. Die Rolle der anderen Institutionen staatlicher Macht hat sich kriegsbedingt gewandelt. Das Parlament, die Wer­chowna Rada, ist im Krieg schwächer und weniger sichtbar geworden. Es ist eindrucksvoll und lobenswert, dass die Rada weiterhin funktioniert und viele für den Krieg wie für die EU-Integration notwendige Gesetzesvorhaben auf den Weg bringt. Nicht zu übersehen ist freilich, dass eine Reihe von Entwicklungen ihre Rolle beeinträchtigt.

So dürfen die Parlamentssitzungen aus Sicherheits­gründen nicht mehr öffentlich übertragen werden.46 Auf diese Weise geht die Transparenz in der Legis­lative teilweise verloren. Überdies hat sich die Zusam­mensetzung der Rada verändert.47 Einige Parteien, die als prorussisch eingestuft worden waren, wurden verboten.48 Das gestattete es zwar nicht, ihren gewähl­ten Vertreter:innen im Parlament die Mandate zu ent­ziehen. Sie mussten sich aber umorientieren. Einige verließen die Rada von sich aus oder unter Druck. Sie können oft nicht ersetzt werden, da es nicht möglich ist, unter dem Kriegsrecht Wahlen abzuhalten.49 Die Opposition ist deswegen in einem völlig anderen Zustand als vor dem Krieg, ganz davon zu schweigen, dass große Teile der Opposition aufgrund des Krieges in den meisten Angelegenheiten die Regierung unter­stützen oder sie zumindest nicht offen kritisieren, auch wenn sich dies nach mehr als zwei Kriegsjahren zu ändern begonnen hat.

Nicht nur die Rada, auch die Justiz hat wegen des Kriegszustandes wesentliche Änderungen durch­laufen. Allerdings handelte der Justizsektor schon vor Februar 2022 in vielerlei Hinsicht nicht unabhängig. Wichtige Teile standen de facto unter der (informellen) Kontrolle des Präsidenten. Diese Dominanz der Exekutive über die Judikative hat eine lange Tradition in der Ukraine, ist also nicht nur ein Problem der Präsidentschaft von Wolodymyr Selenskyj.50 Durch die Kriegssituation hat diese Abhängigkeit eher zu- als abgenommen, auch wenn die Justizreform in einigen Bereichen fortgesetzt wurde. Die starke Rolle des Präsidialamtes erstreckt sich auch auf dessen Beziehungen zu den Gerichten und sichert dort dessen Einfluss.

Weil es der Judikative an Unabhängigkeit mangelt, gehört die Justizreform zu den für die EU prioritären Sektoren. Deutlich wird dies unter anderem in den sieben Empfehlungen der Europäischen Kommission vom Juni 2022, welche die Ukraine für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen berücksichtigen musste (siehe oben). Diese fortwährende Aufmerksamkeit für die Justizreform, zusammen mit der Reformbereitschaft mancher ukrainischer Akteur:innen, hat dazu geführt, dass verschiedene Schritte unternommen wurden, um die Funktionsfähigkeit des Justizsektors zu stärken oder wiederherzustellen. Das heißt unter anderem, dass der Justizbereich sich in einer Über­gangsphase befindet und deswegen nicht voll funk­tionstüchtig ist.51 Die Abhängigkeit von der Exekutive bei gleichzeitig laufender Reform bewirkt, dass vor allem die höchsten Gerichte und Instanzen sich schwertun, ihre Aufgaben hinreichend zu erledigen.

Dies betrifft sowohl das Verfassungsgericht als auch das Oberste Gericht. Das Verfassungsgericht hatte 2020 einige Gesetze zur Korruptionsbekämpfung für verfassungswidrig erklärt, allen voran das Gesetz zu den Erklärungen über Vermögenswerte, die bis dahin von vielen Beamt:innen eingefordert wurden.52 Der damalige Präsident des Verfassungs­gerichts, Oleksandr Tupyzkyj, der ein persönliches Interesse an dieser Entscheidung hatte, wurde von Selenskyj abgesetzt. Das löste eine Verfassungskrise aus, in deren Folge eine heftige Debatte über das Auswahlverfahren für Richter:innen des Gerichts entbrannte. Dabei befürwortete das Präsidialamt eine Lösung, die dem Staatspräsidenten laut Vertreter:innen der Zivilgesellschaft zu viel Kontrolle über das Verfahren gegeben hätte. Nachdem sich die Venedig-Kommission und die Europäische Kommis­sion eingeschaltet hatten, wurde eine Kompromiss­lösung im Rahmen der sieben Empfehlungen gefun­den, welche die EU-Kommission ausgesprochen hatte.53

Beim Obersten Gerichtshof wird der Vorsitzende, Wsewolod Knjasjew, beschuldigt, etwa 2,7 Millionen Euro für ein Urteil zugunsten eines ukrainischen Geschäftsmannes erhalten zu haben. Knjasjew wartet derzeit auf sein Gerichtsverfahren. Zwar wurde er im Mai 2023 durch einen anderen Richter, Stanislaw Krawtschenko, ersetzt. Doch hat der Fall auch offen­gelegt, dass unter anderem ein weiterer Mitarbeiter am Obersten Gericht sowie ein ukrainischer Anwaltsverein in den Fall verwickelt waren.54

Die brisantesten Korruptionsfälle (auch außerhalb des Justizsektors, zum Beispiel im Verteidigungsministerium) werden zwar angegangen, doch in der Regel nicht ohne starken Druck seitens der Gesellschaft oder investigativer Journalist:innen. So kam es, dass im Dezember 2022 das skandalträchtige Kyjiwer Bezirksverwaltungsgericht durch ein vom Präsidialamt ins Parlament eingebrachtes Gesetz aufgelöst wurde. Das Gericht war dafür zuständig, Fälle hoch­rangiger nationaler Politiker:innen zu behandeln, und war für grassierende Korruption bekannt. Allen voran der Hauptrichter an diesem Gericht, Pawlo Wowk, war für seine unlauteren Methoden und Zer­rüttung des Justizsystems berüchtigt. Die Auflösung des Gerichts zeigt, dass das Gerichtssystem dysfunktional ist, aber auch, dass die im Präsidialamt dafür gefundene Lösung aus einem einfachen Ausschalten besteht, nicht aus einer systematischen Strategie, um die Gerichte unabhängig, funktional und integer zu gestalten. Ein anderes, fast gleichnamiges Gericht wurde geschaffen, um das andere abzulösen. Es bleibt also abzuwarten, ob das Problem durch die Auflösung des Gerichts ausgeräumt oder lediglich auf die neue Struktur übertragen wird.55

Die Zentralisierung der Macht im Präsidialamt während des Krieges schwächt die Gewaltenteilung.

Die Zentralisierung der Macht im Präsidialamt während des Krieges ist daher als allgemeine Schwächung der Gewaltenteilung zu sehen, die hauptsächlich auf Defiziten beruht, welche bereits vor dem Krieg bestanden. Die Erfordernisse des Krieges machen es noch schwieriger, diese Defizite zu beseitigen. Dennoch haben die von der Europäischen Kommis­sion empfohlenen Schritte einige Verbesserungen vor allem im Justizbereich bewirkt. Dies belegt die Wirksamkeit von EU-Forderungen, wenn sie mit einem glaubhaften Versprechen einhergehen – in diesem Fall der Zusage, Beitrittsverhandlungen zu eröffnen. Im ukrainischen Kontext kann es also durchaus zu weiteren, auch schmerzhaften Reformen kommen, wenn die Glaubwürdigkeit der EU aufrechterhalten bleibt und in regelmäßigen Abständen attraktive Belohnungen für Reformerfolge zu erwar­ten sind.

Deoligarchisierung

Während die russische Invasion die eingewurzelte Tendenz in der Ukraine zur Zentralisierung der Macht um die Exekutive gefördert hat, ist in einem anderen Bereich eine bedeutsame Änderung eingetreten: Beobachter:innen stimmen überein, dass der Krieg den Einfluss der sogenannten Oligarchen auf die ukrainische Politik und Wirtschaft aus mehreren Gründen erheblich geschwächt hat.56 Erstens haben viele Oligarchen durch die von Russland verursachte Zerstörung von Infrastruktur wichtige Teile ihrer Industrieanlagen verloren, während andere solche Anlagen im Zuge des Krieges verstaatlicht wurden. Zweitens ist der Import und mehr noch der Export zahlreicher Güter erschwert. Deswegen haben die meisten Oligarchen auf beträchtliche Einnahmen verzichten müssen. Drittens wurde die Berichterstattung im Fernsehen aufgrund des Krieges vereinheitlicht, sodass der einstmals bedeutende Einfluss der Oligarchen stark abgenommen hat. Im heutigen Format des sogenannten TV-Marathons ist es kaum möglich, gezielte Botschaften zu senden, die der Agenda des einen oder anderen Oligarchen entsprechen. Viertens hat die oben beschriebene Zentrali­sierung der Macht die Möglichkeiten für die Olig­archen reduziert, auf die Rada oder die Gerichte ein­zuwirken. Fünftens schließlich hat die Kriegssituation insgesamt ein Umfeld mit einer schwachen Wirtschaft erzeugt und es notwendig gemacht, stärker auf die Bedürfnisse des Staates sowie der Bevölkerung einzugehen als in Friedenszeiten.

Auch wenn das sogenannte Antioligarchengesetz, das im November 2021 verabschiedet wurde, häufig kritisiert57 und nur zum Teil umgesetzt wird, hat es einige Änderungen nach sich gezogen. All­gemein wird angenommen, dass besonders dieses Gesetz Rinat Achmetow, den reichsten Mann der Ukraine, dazu bewegt hat, seine Medienunternehmen auf­zugeben. Der ehemalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko handelte ähnlich. Das Gesetz defi­niert einen Oligarchen nämlich über vier Kriterien: Reichtum, Einfluss auf Politik, Medieneigentum und eine Monopolstellung in der einen oder anderen Branche. Wer laut Einschätzung des Nationalen Sicherheitsrats drei dieser vier Kriterien erfüllt, wird als Oligarch eingestuft. Das heißt, er darf keine Parteien finanzieren, muss seine Einkommensquellen offenlegen und darf nicht an der Privatisierung von Schlüsselunternehmen teilnehmen. Außerdem sind Vertreter:innen des Staates verpflichtet, über ihre Interaktionen mit diesen Personen und ihren Mit­arbeiter:innen zu berichten.58

Ukrainische und ausländische Analyst:innen erwarten, dass die Oligarchen versuchen werden, die alten Strukturen nach dem Krieg wiederherzustellen. Diese Auffassung geht allerdings mit der Hoffnung einher, dass eine weitere Annäherung an die EU mehr Beteiligung von Investor:innen aus EU-Mitglied­staaten mit sich bringen wird, welche die Oligarchen zum Teil verdrängen werden.59 Sicher ist, dass das Antioligarchengesetz allein nicht ausreichen wird, um des Problems Herr zu werden. Vielmehr werden weitere systemische Änderungen dazukommen müssen, damit das Umfeld, das die Oligarchen bislang begünstigte, beseitigt wird.60 Der Krieg bietet die Möglichkeit, eine Zäsur in dieser Hinsicht einzuleiten. Ohne entsprechenden politischen Willen in Kyjiw, vor allem im Präsidialamt, wird das aber nicht geschehen.

Einiges spricht dafür, dass unter Selenskyj sowohl einzelne Oligarchen als auch die Oligarchen als Gruppe weniger komfortable Bedingungen für ihre Aktivitäten vorfanden als zuvor. Es war allerdings hauptsächlich die russische Invasion, die ihr Leben und ihre Geschäfte wesentlich erschwert hat. Jetzt liegt das Problem womöglich im Präsidialamt selbst. Manche Stimmen warnten früh, dass nach dem Krieg das oligarchenbasierte Modell in einer modifizierten Form oder mit neuen Akteuren zurückkehren könn­te, vor allem im Zusammenhang mit dem bevor­stehenden Wiederaufbau, der enorme Summen frei­setzen wird (siehe Abschnitt zum Wiederaufbau unten).61 Journalist:innen und andere Beobachter:in­nen argwöhnen, dass eine neue Gruppe von Olig­archen im Umfeld von Andrij Jermak, dem Leiter des Präsidialamts, entstehen könnte.62

Schon vor der russischen Invasion am 24. Februar 2022 wurde Jermaks Führungsstil kritisiert. Es gab zudem Hinweise, sein Bruder Denys habe mehreren Personen lukrative Posten versprochen, die er ihnen mit Hilfe des Einflusses seines Bruders Andrij besor­gen könne.63 Später gewann Denys Jermak einen Prozess gegen den Parlamentarier Geo Leros, der das belastende Material veröffentlicht hatte. Im Zusammenhang mit dem Prozess ereigneten sich einige Vorfälle, zum Beispiel wurden die Fahrzeuge zweier Zeugen angegriffen.64 Sie brachten dies mit ihren Äußerungen über Denys Jermak in den Medien in Verbindung. Selenskyj gab sich von der Unschuld des Klägers überzeugt.65 Es bleiben aber berechtigte Zweifel an dem Umgang mit dem Fall.66

Hinzu kommt, dass einige Mitarbeiter Jermaks schon seit längerem der Korruption verdächtigt werden. Dies trifft vor allem auf Oleh Tatarow zu, der im Präsidialamt für die Verbindung zu den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden sowie für die Korruptionsbekämpfung zuständig ist. Tatarow arbeitete im Innenministerium während der Präsi­dentschaft von Wiktor Janukowytsch und befürwortete die Gewalt gegen die Protestierenden des Euro­maidans. 2020 wurden wegen Korruptionsverdachts zwei Verfahren gegen ihn eingeleitet, die aber infolge seines Einflusses im Präsidialamt eingestellt wurden.67 Auch in Bezug auf Rostyslaw Schurma, der im Präsidialamt für Wirtschaftsfragen verantwortlich ist, sind unter anderem Fragen aufgrund eines Inter­essenkonflikts im Bereich Solarenergie aufgetaucht.68 Die Vorwürfe gegen Tatarow wiegen allerdings wesentlich schwerer und sind älteren Datums.69

Auch wenn Selenskyj nach dem Krieg oder in einer anderen Phase des Krieges nicht mehr Präsident sein sollte, werden die Netzwerke, die sich derzeit bilden, vermutlich eine wichtige Rolle in der Nachkriegs­ukraine spielen. Jermaks Verhalten könnte mit ent­scheidend dafür sein, welche Ukraine entsteht und wie sie mit der westlichen Staatengemeinschaft zusammenarbeitet. Vermutlich wird das auch dann zutreffen, wenn es – wie viele erwarten – einen Wechsel hin zu einer Elite gibt, die unmittelbar am Kriegseinsatz teilgenommen hat.

Korruptionsbekämpfung

Eng mit dem Problem der Oligarchenherrschaft verbunden ist, wie oben schon anklang, die Frage der Korruption. Seit 2014 hat die Ukraine eine neue institutionelle Struktur zur Korruptionsbekämpfung geschaffen. Sie besteht vor allem aus dem Nationalen Antikorruptionsbüro der Ukraine (National Anti-Corruption Bureau of Ukraine, NABU), dem Büro des spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwalts (Special­ized Anti-Corruption Prosecutor’s Office, SAPO), dem Obersten Antikorruptionsgericht (High Anti-Corruption Court, HACC) und der Nationalen Agentur für Korruptionsprävention (National Agency of Cor­ruption Prevention, NACP). Auch wenn Justizreform und Korruptionsbekämpfung verknüpft sind, ist es wohl einfacher, neue Institutionen zielgerecht zu gestalten, als einen bestehenden Sektor (die Justiz) auf einem völlig neuen Fundament auf- und umzubauen. Die neuen Institutionen zur Korruptionsbekämpfung litten unter mehreren Problemen, vor allem mangelhaften Auswahlverfahren. Dennoch gehen sie ihren Aufgaben nach, wenn auch nicht immer auf über­zeugende Weise.

Im Kontext des Krieges seit Februar 2022 hieß es in den ersten Monaten aus offiziellen und Expertenkreisen, Korruptionsfälle zu Kriegszeiten seien un­denkbar, weil niemand es wagen werde, Ressourcen abzuzweigen, die für die Verteidigung des Landes dringend notwendig sind. Ein solches Verhalten ver­höhne die vielen Kriegstoten und koste weitere Menschenleben. Es ist durchaus möglich, dass der Krieg aus diesen und anderen Gründen einen Dämp­fer für vorherige Korruptionsstrukturen bedeutet hat. Messen lässt sich das allerdings kaum. Tatsache ist, dass in den vergangenen Monaten eine Reihe von Korruptionsskandalen ans Licht gekommen sind, die vermuten lassen, dass alte Verhaltensmuster nicht nur weiterexistieren, sondern in der Intransparenz der Kriegssituation gedeihen. Beispiele hierfür sind die Lebensmittel­versorgung der Streitkräfte oder die Mobilisierung von Männern für den Armeedienst.

Der Präsident und andere Vertreter:innen des Staates haben schnell und entschieden auf diese Miss­stände reagiert. So wurde die Botschaft vermittelt, Korruption solle gerade in der gegenwärtigen Bedrängnis unter keinen Umständen toleriert werden. Im Fall der Korruption in den Rekrutierungszentren, in denen gegen höhere Geldsummen Männer für wehr­dienstuntauglich erklärt oder über die Staatsgrenze gebracht wurden, hat Selenskyj auf einen Schlag alle Leiter dieser Zentren entlassen und bekundet, dass sie durch Personen ersetzt werden sollen, die ihre Loyalität bereits durch Teilnahme an den Kampfhandlungen bewiesen hätten. Wie beim Antioligarchen­gesetz offenbart sich auch hier der Ansatz, gegen konkrete Personen vorzugehen, aber nicht unbedingt Bedingungen zu schaffen, dass sich solche Fälle nicht wiederholen können.70 Hinzu kommt, dass loyale Personen eventuell mit entlassen und dadurch ent­mutigt werden oder sich gar gegen den Staat wenden. Die Herausforderung systemischer Reformen wäh­rend eines heißen Krieges wird an diesem Beispiel besonders deutlich.

Im Hinblick auf die Lebensmittelversorgung für die Streitkräfte haben investigative Journalist:innen von Radio Free Europe/Radio Liberty aufgedeckt, dass die ukrainischen Streitkräfte teilweise exorbitante Preise für Lebensmittel zahlten. Anscheinend handel­te es sich um Missbrauch des Beschaffungssystems.71 Die Versuche des damaligen Verteidigungsministers Oleksij Resnikow, die Zahlungen zu rechtfertigen, überzeugten nicht. Die unzureichende Aufklärung des Falls führte zu Resnikows Rücktritt, obwohl er gute Beziehungen sowohl zum Präsidenten als auch zu vielen westlichen Partnern aufgebaut hatte. Auch in diesem Fall hatte also die Enthüllung von Korruption durchaus Folgen, und zwar auf der höchsten staatlichen Ebene. Resnikows Nachfolger als Verteidigungsminister, Rustem Umerow, wurde vom Präsi­denten unter anderem damit beauftragt, die Beschaffungsfragen zu klären und die dahinterstehenden Probleme anzugehen.72

Der Krieg erzeugt enorme wirtschaftliche Herausforderungen, setzt aber auch große Geldsummen frei, die zu Korruption animieren.

Diese Beispiele sind nur zwei unter vielen, die in den vergangenen Monaten an die Öffentlichkeit gelangt sind. Der Krieg erzeugt enorme wirtschaft­liche Herausforderungen, setzt aber auch an einigen Stellen große Geldsummen frei, die dazu animieren, neue korrupte Netzwerke zu entwickeln und alte zu reaktivieren. In den Augen von Korruptionsbekämpfer:innen sind die Skandale aber nicht nur negativ zu sehen: »Für Personen außerhalb der Ukraine ist es wichtig zu verstehen, dass die Tatsache, dass wir öffentliche Korruptionsskandale in der Ukraine haben, sogar im Verteidigungsministerium während eines großen Krieges, ein positives Zeichen einer gesunden, demokratischen Gesellschaft ist«, sagte Daria Kaleniuk vom Anti-Corruption Action Centre (ANTAC) im Herbst 2023.73 Es scheint, dass viele Ukrainer:in­nen diese positive Einschätzung teilen: Im Corruption Perception Index von Transparency International fürs Jahr 2023 ist die Ukraine von Platz 116 auf Platz 104 vorgerückt und hat mit die größten Fortschritte der letzten Jahre erreicht.74 Wichtig ist dies auch im Zu­sammenhang mit der Rückkehr von Flüchtlingen aus dem Ausland, weil viele von ihnen die Zurückdrängung der Korruption im Land als wichtige Voraussetzung für ihre Heimkehr bezeichnen.75

Die ukrainische politische Elite hat in den ersten beiden Kriegsjahren weitgehend zusammengehalten und dafür gesorgt, dass die politischen Institutionen funktionieren. Der Präsident ist in der Ukraine geblieben und hat, zusammen mit seinem höchst aktiven Team, durch sein Beispiel die gesamte Bevölkerung ermuntert, ihre ganzen Kräfte gegen die russische Invasion einzubringen. Außerdem ist es dem Parlament gelungen, während des Krieges weiter zu tagen und notwendige Gesetze zu verabschieden. Auch wenn das Justizsystem nach wie vor gravierende Probleme hat, war es dennoch möglich, einige wich­tige Reformschritte in diesem Bereich zu tun. So funktionieren jetzt wieder der Oberste Justizrat und die Hohe Kommission für die Qualifizierung von Richter:innen, die seit einigen Jahren unterbesetzt geblieben waren und dadurch die Arbeit der Gerichte erschwert hatten.76

Auf der anderen Seite hat der Krieg etliche Nachteile für das Regieren mitgebracht. An erster Stelle wäre ein Zuwachs an Zentralisierung zu nennen, der die Gewaltenteilung weiter beeinträchtigt hat. Zweitens wurden viele Verfahren erheblich intransparenter, was unter anderem neue Möglichkeiten für Korruption schafft. Drittens hat sich herausgestellt, dass viele Formen von Korruption sich zu Kriegszeiten fort­setzen oder gar verschärfen, anders als in den ersten Kriegsmonaten oft behauptet wurde. Das betrifft unmittelbare Akteure im Kriegsgeschehen wie das Verteidigungsministerium und die Rekrutierungs­zentren, aber auch andere Ministerien sowie Gerichte und wirtschaftliche Akteure. Dies bringt uns viertens zu den sogenannten Oligarchen, die im Krieg vieles verloren haben. Ihre Netzwerke und Systeme aber bestehen häufig fort oder regenerieren sich unter neuen Vorzeichen und mit neuen Gesichtern, sodass viele die Hoffnung hegen, vom Wiederaufbau der Ukraine profitieren zu können. Diese und andere Ent­wicklungen in den letzten zwei Jahren zeigen, dass die Ukraine es bislang nicht geschafft hat, den Krieg als Zäsur für ihr Regierungssystem zu nutzen und systemische Änderungen vorzunehmen, die für einen Beitritt zur EU, aber auch zur Nato notwendig sein werden.

Zivilgesellschaftliche Entwicklung im Krieg

Vor der Invasion vom Februar 2022 war die ukrainische Zivilgesellschaft oder zumindest Teile davon eine wichtige Partnerin für EU-Institutionen. Verstärkt seit 2014 haben einige Organisationen und Netzwerke in der Ukraine bedeutende Funktionen in den Bezie­hungen zwischen EU und Ukraine erfüllt. Zusammen mit internationalen Partnern der Ukraine inklusive der EU trieben sie erstens eine substantielle Reform­agenda im Land voran. Dabei hatten sie die Forderungen und Standards der EU in aller Regel im Blick und berücksichtigten sie in ihrer Unterstützung für Reformen. Zweitens warnten sie Partner:innen in den Brüsseler Institutionen, wenn Reformen im Verzug waren oder gar zu scheitern drohten. Vor allem wiesen sie auf Gefahren bei der Reformumsetzung hin, die Außenstehende kaum wahrnehmen konnten. Drittens bauten sie zivilgesellschaftliche Netzwerke innerhalb der Ukraine aus und informierten inter­essierte Teile der Bevölkerung über die Ziele und For­derungen der EU, auch in den ukrainischen Medien.77

Klar ist, dass Rolle und Möglichkeiten der ukra­inischen Zivilgesellschaft sich zu Zeiten der russischen Invasion seit 2022 stark verändert haben. In diesem Zusammenhang ergibt es Sinn zu fragen, welche Veränderungen stattgefunden haben und was sie für die Beziehungen zwischen Ukraine und EU bedeuten. Die aktive Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen und Netzwerke besonders seit 2014 erlaubt die Schlussfolgerung, dass die ukrainische Zivil­gesellschaft darauf vorbereitet war, nach dem Ausbruch des großen Krieges wesentliche Funktionen zu übernehmen. Dennoch waren Vielzahl und Band­breite dieser Funktionen selbst für langjährige Beob­achter:innen zivilgesellschaftlicher Aktivitäten über­raschend und beeindruckend.

Nach dem 24. Februar 2022 begannen die meisten zivilgesellschaftlichen Akteure, die ukrainischen Streitkräfte zu unterstützen.

Erstens hat sich der Schwerpunkt der Aktivitäten stark verschoben. Nach dem 24. Februar 2022 began­nen die meisten zivilgesellschaftlichen Akteure, die ukrainischen Streitkräfte auf vielfältige Weise zu unterstützen. Sie sammelten Geld- und Material­spenden, besorgten wichtige Ausrüstungsgegenstände, spendeten Blut und kümmerten sich um vieles mehr. Hinzu kamen mannigfache Arten von Hilfe für die zahlreichen Binnenflüchtlinge, die vor allem wäh­rend der ersten Monate des Krieges unterwegs waren und sowohl materielle als auch moralische und emo­tionale Hilfe benötigten.78

Zweitens ist die Zahl jener Personen, die sich diesen Aktivitäten widmeten, beträchtlich gestiegen. Auch wenn zahlreiche Ukrainer:innen sich entweder der territorialen Verteidigung oder der Armee an­geschlossen haben und viele andere (überwiegend Frauen und Kinder) das Land verlassen haben, nah­men knapp 70 Prozent der restlichen Bevölkerung an den beschriebenen Aktivitäten teil.79 So verschwamm selbst der Begriff »Zivilgesellschaft«, die zum Teil in der Gesamtgesellschaft aufging.

Drittens entstanden in der Situation existentieller Gefahr für Staat und Nation der Ukraine ein starkes Gefühl der Gemeinschaft sowie der Eindruck, für die »richtige Sache« zu kämpfen. Damit ging das Bedürf­nis einher, an der Verteidigung dessen teilzuhaben, was die Ukraine ausmacht und was Ukrainer:innen als hohen Wert ansehen – nämlich die Möglichkeit, ihr Leben in Freiheit und Würde zu gestalten. Diese Gefühle trieben sie an, im zivilgesellschaftlichen Sinne aktiv zu sein und Verantwortung fürs Gemeinwohl mit zu übernehmen.80

Viertens ist die Zivilgesellschaft auf mehreren Ebenen aktiv. Gerade während des Krieges seit 2022 hat sich erwiesen, dass die kommunale Ebene eine äußerst wichtige Rolle bei der Verteidigung des Lan­des spielt. Das betrifft die kommunalen Selbstverwaltungsorgane, aber auch die zivilgesellschaftlichen Strukturen auf dieser Ebene. Vor allem Akteure der lokalen Ebene müssen oft konkrete Unterstützung für die Streitkräfte leisten, Hilfe für ankommende Binnenflüchtlinge organisieren oder zerstörte und beschädigte Gebäude und Einrichtungen wieder instandsetzen. Bei all diesen Aktivitäten und zahl­reichen anderen sind freiwillige Kräfte eine unverzichtbare Stütze. Auf der kommunalen Ebene zeigt sich immer wieder, wie wichtig die bisherigen Schritte der 2014 begonnenen und von Deutschland und der EU stark unterstützten Dezentralisierung für die Entwicklung des Landes sowie für die Resili­enz von Gemeinden während des Krieges sind.81

Die Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und staatlichen Akteuren auf der kommunalen Ebene ist während des Krieges vielerorts noch enger gewor­den. Auf der regionalen und der nationalen Ebene sieht es anders aus. Vornehmlich auf Letzterer ist die Kooperation zwischen Staat und Zivilgesellschaft eher punktuell. Auf der einen Seite gibt es positive Bei­spiele dafür – etwa die Entwicklung einer digitalen Plattform für den Wiederaufbau der Ukraine (Digital Restoration Ecosystem for Accountable Management, DREAM) –, dass staatliche Behörden mit zivilgesellschaftlichen Gruppen eng zusammenarbeiten, um ein bestimmtes Projekt zu verwirklichen (mehr zu DREAM unten im Abschnitt über den Wiederaufbau). Auf der anderen Seite haben viele staatliche Akteure wegen kriegsbedingter Turbulenzen und Erschwernisse kaum Zeit oder Interesse, sich von zivilgesellschaft­lichen Expert:innen beraten zu lassen oder sich mit ihnen auszutauschen. Das Bild ist also gemischt.

Hinzu kommt, dass die Gewohnheiten und Netzwerke, die sich während der Präsidentschaft Poroschenkos herausgebildet haben und der Kooperation zwischen Zivilgesellschaft und Exekutive bzw. Legis­lative dienten, zum großen Teil verschwunden sind und oft nicht durch neue Formen der Zusammen­arbeit ersetzt wurden. Ein Grund dafür ist, dass Selenskyj und sein Team ein anderes Konzept hatten. Sie wollten direkt mit der Bevölkerung kommunizieren, nicht über intermediäre zivilgesellschaftliche Akteure. Das betraf auch etliche Vertreter:innen der Partei »Diener des Volkes«, die ins Parlament gewählt wurden. Die Rolle, die Teile der Zivilgesellschaft unter Poroschenko gespielt hatten, lehnte der damals neue Präsident Selenskyj ab. Selenskyj wiederum wurde von etlichen zivilgesellschaftlichen Vertreter:innen ebenso skeptisch betrachtet, gerade in Kreisen, die sich mit EU-relevanten Reformen beschäftigt hatten.

Auch die wachsende Intransparenz in vielen Berei­chen hat die Arbeit von Akteuren aus der Zivilgesellschaft erschwert, ob es Medienschaffende, Monitoring-Organisationen oder Korruptionsbekämpfer:in­nen sind. Da sie zum Teil den Zugang zu wichtigen Informationsquellen verloren haben (aus Sicherheitsgründen, die mal überzeugender, mal dubioser sind), können sie ihrer Arbeit nicht immer nachgehen und haben Schwierigkeiten, auf Augenhöhe mit staat­lichen Akteuren in Austausch zu treten, die über eine wesentlich breitere Informationsbasis verfügen.82 Aus diesen und anderen Gründen haben sich die Arbeit der Zivilgesellschaft und ihre Beziehungen zum ukrainischen Staat unter dem Einfluss des Krieges transformiert. Aspekte einer Partnerschaft wurden durch zunehmende Dominanz der staatlichen Seite ersetzt. Verschärft wurde dies durch die starke Zen­tralisierung, also die Konzentration der Macht im Präsidialamt (siehe oben).

Die beschriebenen Entwicklungen haben eine Reihe von Folgen für die Beziehungen zwischen Ukra­ine und EU. Es gibt zwar Organisationen, die sich mit Reformen in verschiedenen Sektoren sowie mit dem Gesamtbild der Reformagenda befassen, wie die oben erwähnten Arbeiten des UCEP und des NEC zeigen. Dennoch haben sich die Schwerpunkte zahlreicher Personen und Gruppen im Kontext der Invasion seit 2022 verschoben, und diejenigen Akteure, die neu hinzugekommen sind, beschäftigen sich in aller Regel nicht mit Reformfragen. Auch wenn die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen bewirken wird, dass reformbezogene Projekte zivilgesellschaftlicher Ak­teure mehr gefördert werden, dürften die Entwicklungen in der (Zivil-)Gesellschaft, kombiniert mit den oben beschriebenen Tendenzen in der Elite, eine Verringerung der Reformintensität begünstigen.

Zivilgesellschaftliche Kräfte werden immer mehr gefragt sein, um zu den Voraussetzungen für ein tragfähiges Zusammenleben beizutragen.

Hinzu kommt, dass sich einige andere gesellschaftliche Probleme durch den Krieg verschärfen, zum Beispiel die verbreitete Traumatisierung in der Bevöl­kerung oder Spannungen zwischen zurückkehrenden Geflüchteten und Personen, die im Krieg an ihrem Heimatort geblieben sind. Die heißen Debatten über das Mobilisierungsgesetz haben gezeigt, wie sehr dieses Thema Politik und Gesellschaft beschäftigt. Dass viele versuchen, dem Militärdienst zu entgehen, erzeugt neue Bruchlinien in der Gesellschaft. Es wird wichtig sein, dass sich Teile der (Zivil-)Gesellschaft diesen Problemen intensiver widmen. Stattfinden kann das auch in Kooperation mit Akteuren aus EU-Mitgliedstaaten oder mit Unterstützung aus Brüssel. Dies ist nur ein Beispiel dafür, dass die Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU vor dem Hintergrund der russischen Invasion an Vielfalt gewonnen haben und dies vermutlich weiterhin tun werden. Genauso bedeutend ist, dass gesellschaftliche Bruch­linien mit dem Fortschreiten des Krieges zunehmen und auf Probleme hindeuten, die auch nach dem Krieg den sozialen Zusammenhalt beeinträchtigen werden. Gerade auf der kommunalen Ebene werden zivilgesellschaftliche Kräfte immer mehr gefragt sein, um zu den Voraussetzungen für ein tragfähiges Zusammenleben beizutragen.

Vorrangig im ersten Kriegsjahr haben etliche zivilgesellschaftliche Akteure gezögert, auf Defizite bei Reformen oder der Governance ihres Landes hinzuweisen. Eine starke Tendenz, »sich um die Flagge zu scharen« (rally around the flag), erschwerte es, mit solchen Akteuren gemeinsam an Problemen zu arbeiten oder verhinderte, dass diese Akteure ihre gewöhnliche konstruktiv-kritische Rolle spielen. Diese Tendenz nahm mit der Zeit allerdings spürbar ab. Durchaus lassen sich kritische Stimmen finden, auch und gerade im Hinblick auf die Reformmaßnah­men, die für den EU-Beitritt notwendig sind. Auch die in einigen Bereichen aus Sicherheitsgründen schwin­dende Transparenz wird von zivilgesellschaftlichen Akteuren beklagt, teilweise mit Erfolg.83

Die Zivilgesellschaft ist also auch weiterhin in der Lage, gegenüber der EU eine Frühwarnfunktion in puncto Verhalten der politischen und wirtschaft­lichen Elite zu erfüllen. Die Frage ist allerdings, wie viel Raum dies auf der Agenda wird einnehmen können, wenn die militärische und die Sicherheits­lage sich weiter verschlechtern und der EU-Beitritt in weite Ferne rücken sollte. Deswegen muss die EU flexibel bleiben, was Art und Ausmaß ihrer Förderung sowie ihrer Zusammenarbeit mit der ukrainischen Zivilgesellschaft anbelangt. Das trifft natürlich auch auf die EU-Mitgliedstaaten und ihre Zivilgesellschaften zu. Außerdem ändern die vielen Kriegsflüchtlinge in einigen Mitgliedstaaten – vor allem Deutschland und Polen – das Bild. Durch ihre Netz­werke in der Ukraine eröffnen sich vielfältige Chancen für zivilgesellschaftliche Kooperation über Grenzen hinweg. Es gilt, verschiedene Formen von Pendelmigration zu nutzen, um Kontakte (nicht nur) auf zivilgesellschaftlicher Ebene zu intensivieren, besonders mit Blick auf den Wiederaufbau.

Der ukrainische Umgang mit dem Wiederaufbau84

84Die Ukraine begann früh, sich auf den Wiederaufbau vorzubereiten und dafür internationale Unterstützung einzuwerben. Zu dem Thema hat bereits eine Reihe von Konferenzen stattgefunden, die erste davon im Juli 2022 im schweizerischen Lugano.85 Hierfür präsentierte die ukrainische Führung einen umfangreichen Wiederaufbauplan, der seitdem aber keine bedeutende Rolle in der Diskussion über Wiederaufbaumaßnahmen zu spielen scheint.86 Stattdessen haben andere Lagebeurteilungen seinen Platz ein­genommen, vor allem solche, die mit Unterstützung der Weltbank verfasst werden.87 Seither wurden weitere Veranstaltungen dieser oder ähnlicher Art in Berlin, Paris und London abgehalten.88 Die nächste Recovery Conference steht im Juni 2024 in Berlin an.

Es war von Anfang an klar, dass eine institutionelle Struktur nötig sein würde, um Gelder für den Wieder­aufbau zu beschaffen und in die richtigen Kanäle zu lenken.89 Zu diesem Zweck wurde im Januar 2023 die Multi-agency Donor Coordination Platform (MADCP) ins Leben gerufen.90 Den Vorsitz des Steuerungsausschusses dieser Plattform teilen sich die USA, die EU und die Ukraine. Sie arbeiten in enger Koordination mit dem jeweiligen Land, das die Präsidentschaft der G7-Staaten ausübt. Wichtig ist, dass internationale Finanzorganisationen in die Arbeit der MADCP inte­griert sind, da ihre Kooperation unverzichtbar für den ukrainischen Wiederaufbau ist. Die Plattform dient auch als Ort, um die Anstrengungen im Zuge des Wiederaufbaus und diejenigen in verschiedenen Reformbereichen zusammenzubringen und wo mög­lich zu harmonisieren.

Auf der ukrainischen Seite gibt es eine Reihe von Institutionen, die sich mit dem Wiederaufbau be­schäftigen. Hierzu gehört vor allem das Ministerium für Gemeinden, Territorien und infrastrukturelle Entwicklung der Ukraine (oft Ministerium für Wieder­aufbau genannt). Oleksandr Kubrakow, der bis Mai 2024 dieses Ministerium leitete, war gleichzeitig Vize­premierminister für den Wiederaufbau.91 Diesem Ministerium untergeordnet ist die Staatliche Agentur für Wiederaufbau und Entwicklung der Infrastruktur unter der Leitung von Mustafa Najjem.92 Sie entstand aus der Zusammenlegung der Agentur für den Bau und die Wartung von Straßen (Ukravtodor) und der Agentur für Infrastrukturprojekte. Die Agentur für Wiederaufbau ist dafür zuständig, in allen Teilen der Ukraine einschlägige Projekte zu verwirklichen. Von daher spielt sie eine Schlüsselrolle sowohl für die internen ukrainischen Bemühungen um den Wieder­aufbau als auch für die Beziehungen zu internatio­nalen Geber:innen.

Dem Ministerium ist auch die Online-Plattform DREAM untergeordnet.93 Dort sollen möglichst alle Wiederaufbauprojekte eingetragen werden. Das soll sicherstellen, dass Informationen zu Ausschreibungen, abgeschlossenen Verträgen und ausgeführten Arbeiten zur Verfügung stehen, und einen trans­parenten Verlauf der Projekte gewährleisten. DREAM zeugt von der Fähigkeit der ukrainischen Behörden, komplexe Prozesse zu digitalisieren, und von ihrer Überzeugung, dass dies eine effektive Maßnahme zur Vorbeugung von Korruption darstellt. Noch befindet sich DREAM im Anfangsstadium der Umsetzung. Die Plattform kann sich als wichtiger Beitrag zum Wieder­aufbauprozess für größere und mittlere Projekte erweisen. Bei kleineren Projekten auf der kommunalen Ebene wird das allerdings vermutlich weniger zutreffen (siehe unten).

Die sichtbarsten Wiederaufbauaktivitäten in der Ukraine sind also bei der nationalen Regierung angesiedelt und an die internationale Plattform geknüpft. Kürzlich hinzugekommen ist auch der so­genannte Ukraine-Plan. Zwar ist er hauptsächlich an die EU gerichtet und steht mit der Ukraine Facility in Verbindung. Mit dem Plan werden aber auch Aspekte des Wiederaufbaus behandelt, weshalb er als wichtiges Bindeglied zwischen dem EU-Beitritt und dem Wiederaufbau fungiert (siehe auch oben, S. 10). Auf der regionalen Ebene gibt es zwar Filialen des Präsidialamts, die sich mit dem Wiederaufbau beschäf­tigen, aber diese scheinen bislang eine untergeordnete Rolle zu spielen. Zwangsläufig finden viele Wieder­aufbauprojekte auf der kommunalen Ebene statt (siehe Box, folgende Seite). Die Gemeinden haben sich als unentbehrliches Glied in der Kette für eine erfolg­reiche Vertei­digung der Ukraine herausgestellt.94 Gemeinden, die vor der großangelegten Invasion ein höheres Effizienz­niveau aufwiesen, waren eher in der Lage, im Krieg resilient zu bleiben – und das wird vermutlich auch für den Wiederaufbau gelten. Aller­dings werden den Kommunen seit September 2023 Ressourcen entzogen und auf die nationale Ebene ver­schoben, um den Krieg zu finanzieren.95 Einerseits ist das verständlich, andererseits schwächt es die Wider­­standskraft der Gemeinden. Das kann sich im weite­ren Kriegsverlauf, aber auch beim Wiederaufbau rächen. Außerdem bedeutet es, dass die Kommunen mehr Unterstützung von außerhalb benötigen. Für den Wiederaufbau kann diese Hilfe sowohl von der natio­nalen Ebene innerhalb der Ukraine als auch von ausländischen Quellen stammen.

Auf der kommunalen Ebene entsteht häufig Zusammenarbeit zwischen lokalen Behörden und zivil­gesellschaftlichen Akteuren vor Ort. Für darüber hinausgehende Kooperation sind drei Formen von Interaktion interessant: erstens vertikale Beziehungen zwischen der kommunalen und der regionalen bzw. nationalen Ebene innerhalb der Ukraine, zweitens horizontale Kooperation zwischen Akteur:innen aus unterschiedlichen Kommunen und drittens direkte Zusammenarbeit zwischen Kommunen und inter­nationalen Partner:innen.

Box: Kommunen und Dezentralisierung

Seit 2014 hat sich die kommunale Ebene in der Ukraine erheb­lich verändert und ist für die vorliegende Analyse daher in mehrerlei Hinsicht relevant. Erstens bildet sie den Kern der bis­herigen Dezentralisierung. Zweitens ist sie wichtig für die politische und administrative Struktur des Landes und deshalb auch für zentrale Governance-Fragen. Drittens werden die Kommunen eine Schlüsselrolle beim Wiederaufbau spielen.

Aspekte kommunaler Selbstverwaltung haben eine lange Geschichte in der unabhängigen Ukraine. Erst 2014 aber wurde eine ernsthafte Reform in diesem Bereich eingeleitet. Auch wenn im Prinzip mehrere Verwaltungsebenen betroffen sind, ist es vor allem die kommunale Ebene, die Veränderungen erfährt. Zuerst werden kleinere Einheiten zu größeren (amal­gamated territorial communities, ATCs) zusammengeschlossen. Das geschieht auf freiwilliger Basis, nämlich durch finanzielle Anreize. Denn die neuen Entitäten erhalten durch die Reform Anspruch auf einen beträchtlichen Teil bestimmter Steuer­einnahmen und dürfen frei entscheiden, für welche Zwecke

sie diese verwenden. Auf diese Weise gewinnen sie stetig an Fachwissen über Budgetfragen sowie Projektentwicklung und ‑durchführung. Außerdem tragen die gewählten Vertre­ter:innen der ATCs von nun an mehr Verantwortung und werden nach­drücklicher zur Rechenschaft gezogen, wenn sie die Erwartungen der Einwohner:innen enttäuschen.

Vor der Reform waren die Kommunen weitaus abhängiger von den darüber liegenden Ebenen Rayon und Oblast. Mit den Dezentralisierungsmaßnahmen wurden die Kompetenzen dieser beiden Ebenen reduziert und ihre Bedeutung (besonders die der Rayons) stärker in Frage gestellt. Auch wenn die Reform bislang nicht abgeschlossen werden konnte, haben die neuen Befugnisse der kommunalen Ebene die ATCs gestärkt und ihnen ermöglicht, eine wesentliche Rolle während des Krieges und erst recht seit der Invasion ab dem 24. Februar 2022 zu spielen. Die hierbei gesammelten Erfahrungen und Sachkenntnisse werden auch dem Wiederaufbau zugutekommen.

Die Vertikale zwischen Gemeinden und der Agentur für Wiederaufbau unter der Leitung von Mustafa Najjem funktioniert bereits. Kommunen können für Wiederaufbauprojekte An­träge stellen, die anhand einer Reihe von Kriterien geprüft und gegebenenfalls bewilligt werden. Allerdings sollte das aus mehreren Gründen nicht der einzige Finanzierungskanal sein. Erstens sind die Kapazitäten dieser Agentur und ihrer regionalen Büros begrenzt, sowohl finanziell als auch personell. Zuvor hatte sie sich in erster Linie mit Straßenbau und anderen Infrastrukturbereichen be­schäftigt. Die Bedürfnisse der Kommunen im Rahmen des Wiederaufbaus gehen aber weit darüber hinaus. Zweitens sehen sich die Gemeinden mit bürokratischen und finanziellen Hürden konfrontiert. Oft be­steht zu wenig Anreiz, kleinere Projekte zu beantragen, weil der Aufwand dafür zu hoch ist. Mehrere Fälle zeigen, dass Mitarbeiter:innen kleiner und klein­ster Projekte zum Beispiel die DREAM-Plattform (siehe oben) meiden, weil das Verfahren relativ kom­pliziert ist. Manche befürchten zudem, dass die Trans­parenz möglicherweise ihre Projekte gefährdet, weil der Feind auf diese Weise leichter von Wiederaufbau­maßnahmen erfahren und diese vereiteln könnte. Auch wurden Beschwerden darüber laut, dass die Gemeinden im Voraus spezielle Firmen für die Doku­mentation der Schäden bezahlen müssen, bevor sie Geld bei der Agentur für Wiederaufbau beantragen können. Für so manche Gemeinden ist das zu teuer. Sie können nicht in Vorleistung gehen, zumal sie nicht wissen, ob ihr Antrag bewilligt wird.96 Trotz dieser Probleme bleibt die Agentur ein wichtiges Ele­ment in der Wiederaufbauarchitektur.

Informelle Beziehungen zwischen Kommunen spielen nicht nur zu Kriegszeiten eine bedeutende Rolle. Auf der formelleren Ebene existieren Strukturen, welche die Interessen von Gemeinden verteidigen und für horizontalen Austausch sorgen. Eine der bekanntesten davon ist die Assoziation ukrainischer Städte (AUC), deren Vorsitzender Witalij Klitschko, der Bürgermeister von Kyjiw, ist.97 Sie bringt Argu­mente in den Gesetzgebungsprozess ein, die für Gemeinden (auch beim Wiederaufbau) von Belang sind. Außerdem hat sie eine Reihe erfolgreicher Methoden (best practices) von Kommunen für Kriegs­zeiten zusammengestellt.98 Diese Art horizontaler Zusammenarbeit ist hilfreich für Wiederaufbau­projekte, denn sie dient Kommunen als Ressource, die Rat, Expertise oder einen Erfahrungsaustausch suchen. Strukturen wie der AUC genießen mehr Vertrauen als jene, die sich in der Hierarchie ober­halb der Kommunen befinden und ihnen womöglich eine bestimmte Agenda aufzwingen wollen.

Auch wenn zahlreiche internationale Akteur:innen des Wiederaufbaus es vorziehen, mit Hilfe der natio­nalen Ebene Kontakte mit Kommunen zu knüpfen, arbeiten manche davon unmittelbar mit kommunalen Strukturen zusammen. Estland zum Beispiel leistet dem Gebiet Schytomyr Beistand und fördert zahlreiche direkte Kontakte zwischen estnischen und ukrainischen Gemeinden, um den Wiederaufbau in verschiedenen Bereichen voranzutreiben.99 Die Kooperation zwischen Dänemark und dem Gebiet Mykolajiw zeigt, dass sich eine produktive Mischform von Zusammenarbeit der nationalen, regionalen und kommunalen Ebene entfalten kann.100 Bereits vor der Invasion 2022 unterzeichneten Dänemark und Mykolajiw ein Memorandum of Understanding mit dem Ziel, gemeinsam den Schiffbau in der Ukraine weiterzuentwickeln.101 Zudem unterstützt Dänemark die Stadt Mykolajiw und andere Orte in dem Gebiet beispielsweise mit Wasserpumpen oder Generatoren. Unter anderem aufgrund der Korruptionsgefahr bei dieser Zusammenarbeit wurde ein Programm mit der Stadt Mykolajiw auf den Weg gebracht, um dem Miss­brauch von Ressourcen vorzubeugen.102 Eine neue Filiale der Botschaft und ein Büro des Danish Refugee Council in Mykolajiw sorgen für engen Kontakt zu Bürger:innen und ein erhöhtes Bewusstsein für das, was sich vor Ort abspielt.103 Diese Art von Zusammen­arbeit macht es Akteuren aus EU-Mitgliedstaaten leichter, auf mögliche Synergien zwischen dem Wieder­aufbauprozess und dem EU-Beitrittsverfahren hinzuweisen und sie zu fördern.

Jede Gemeinde wird eine etwas andere Mischung aus Kooperationen zusammenstellen, um den Wiederaufbau zu meistern.

Auch andere externe Akteure, zum Beispiel im Rahmen bestehender oder sich neu etablierender Städtepartnerschaften, werden für den Wiederaufbau in einigen ukrainischen Gemeinden wichtig sein. Im Herbst 2023 hatten 356 ukrainische Gemeinden 1.464 Partnerschaften geschlossen, überwiegend mit polnischen Städten und Gemeinden (501), aber auch mit ungarischen (122), deutschen (86), rumänischen (83) und mit Kommunen aus anderen Ländern.104 Ferner existieren viele informelle Verbindungen unterhalb dieser Schwelle. Geschäftsleute aus dem Ausland, die in einer bestimmten ukrainischen Stadt Fuß fassen möchten oder das bereits getan haben, können sich über ihre wirtschaftlichen Aktivitäten hinaus für den Wiederaufbau einsetzen. Religiöse Einrichtungen können ebenfalls Projekte für den Wiederaufbau fördern. Jede Gemeinde wird wohl eine etwas andere Mischung aus Kooperationen zu­sammenstellen, um den Wiederaufbau zu meistern.

Die Formen und Ebenen der Zusammenarbeit beim Wiederaufbau sind also komplex und dynamisch. Auf der kommunalen Ebene befinden sich die Gemeinden in unterschiedlichen Phasen der Entwicklung und verdienen ungebrochene Aufmerksamkeit. Man kann aber schon heute drei Schlussfolgerungen ziehen.

Erstens sollten die Verbindungen zwischen den Akteur:innen und Institutionen des Wiederaufbaus stetig beobachtet und verstärkt werden. Hierbei sollte die Rolle lokaler Akteur:innen ständig Thema sein. Der Wiederaufbau ist ein langer Prozess mit vielen Phasen, die nicht überall zeitgleich ablaufen und derzeit schwer vorauszusehen sind. Es gilt deshalb, immer wieder danach zu fragen, inwiefern kom­munale Akteur:innen auf den verschiedenen Ebenen eingebunden sind und ob das sinnvoll und aus­reichend geschieht. Auch die MADCP sollte nicht ausschließlich mit der nationalen Ebene in der Ukra­ine kommunizieren. Das Ministerium für Wieder­aufbau und die Agentur für Wiederaufbau sollten das Gespräch mit der lokalen Ebene konti­nuierlich ver­tiefen. Das könnte eine Aufstockung der Ressourcen auf der regionalen Ebene notwendig machen. Ein Austausch zwischen Akteur:innen aus unterschied­lichen Kommunen innerhalb eines Gebiets oder aus mehreren Gebieten kann helfen, erfolgreiche Metho­den (best practices) horizontal zu verbreiten und Netz­werke auf- und auszubauen. Hierzu kann unter ande­rem die Assoziation ukrainischer Städte weiterhin einen Beitrag leisten.

Es wird allerdings nicht ausreichen, kommunale Akteur:innen auf mehrerlei Art und Weise einzubinden. Daher sollten sie zweitens in ihren Kompetenzen und Kapazitäten gestärkt werden, um ihre zum Teil neuen Rollen ausfüllen zu können. Dies bedeutet vor allem, die Dezentralisierung sowie Maßnahmen zur regionalen Entwicklung fortzusetzen.105 Solche Vor­haben können auch im EU-Beitrittsverfahren voran­getrieben werden. Es wird wichtig sein, sowohl die Finanzen der Gemeinden (und ihre Kapazitäten für den Umgang damit) aufzustocken als auch die ukra­inische Gesetzgebung so zu ändern, dass kommunale Einrichtungen künftig internationale Zuschüsse erhalten und Kredite aufnehmen dürfen.106 Eine Umfrage vom Herbst 2023 hat gezeigt, dass die meisten Gemeinden keinen direkten Zugang zu nationalen oder internationalen Geldern hatten.107 Statt darauf zu insistieren, dass jedes Projekt in jeder Gemeinde das gleiche Verfahren absolvieren muss, scheint es sinnvoller, günstige Bedingungen zu schaffen, damit Gemeinden die Aufgaben zum großen Teil selbst übernehmen können. Das hieße unter anderem, zivilgesellschaftliche Strukturen zu fördern, die Ideen und Know-how in den Wiederaufbauprozess einspeisen, ihn aber auch mit Hilfe von Monitoring-Mechanismen kontrollieren können, um Korruption zu reduzieren.108 Für die Verteilung der Gelder hat der renommierte Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Roger Myerson vor­geschlagen, mindestens ein Drittel der Finanzierung für den Wiederaufbau zu dezentralisieren und an die kommunale Ebene zu leiten.109

Drittens zeigt die bisherige Entwicklung, dass es kaum möglich, geschweige denn zweckmäßig sein wird, alle Wiederaufbauaktivitäten in eine einzige Form zu pressen. Dennoch ergibt es Sinn, dass die großen Geldgeber sich im Rahmen der MADCP koordinieren. Genauso wichtig ist es, dass in der Ukraine eine institutionelle Architektur entstanden ist, um den Wiederaufbau zu gestalten, vor allem große Infrastrukturprojekte und übergreifende Maß­nahmen, die mehr als ein Gebiet betreffen. Auf der kommunalen Ebene indes wird sich alles etwas komplexer und gemischter abspielen, zumal dort ein außerordentlich breites Spektrum von Bereichen und Aktivitäten abgedeckt werden muss. Zum phy­sischen Wiederaufbau von Wohnungen, Schulen, Krankenhäusern und anderem kommen weitere Auf­gaben hinzu, etwa wie mit Geflüchteten und Rück­kehrer:innen umzugehen ist, wie sich die psychische Gesundheit traumatisierter Menschen wiederherstellen lässt oder wie Kriegsveteran:innen wieder einen Platz im zivilen Leben finden. Auch diese Themenvielfalt lässt bereits die Schwierigkeit erahnen, beim Wiederaufbau alles unter einem Dach, also in einer einzigen institutionellen Struktur unterzubringen. Voraussichtlich wäre es ratsamer, unterschiedliche Wiederaufbauaktivitäten zu akzeptieren, die sich voneinander weitgehend getrennt entwickeln, aber dennoch ergänzen. Eine Duplizierung von Maßnahmen oder ein (sich in Grenzen haltender) Mangel an Information und Transparenz wären vermutlich weniger schädlich, als kleinere Aktivitäten durch zu viel Bürokratie und Regulierung im Keim zu ersticken oder in den Untergrund zu treiben.

Fazit und Empfehlungen

Die Ukraine hat seit 2022 einen erstaunlichen Grad an Resilienz an den Tag gelegt. Das gilt nicht nur für den militärischen, sondern auch für den politischen und gesellschaftlichen Bereich.110

Überraschend war, dass die Ukraine sich dafür entschieden hat, das EU-Beitrittsverfahren proaktiv voranzutreiben, obwohl durch die Kriegssituation militärische Herausforderungen im Vordergrund standen und stehen. Das Land hat gezeigt, dass sub­stantielle Reformschritte auch in der Situation eines intensiven heißen Krieges möglich sind. Wie in früheren Jahren hat sich bestätigt, dass Fortschritte vor allem dann erfolgen, wenn konkrete, begrenzte Maßnahmen verlangt werden, um die nächste Stufe des Beitrittsprozesses zu erreichen. Es sollte Verständ­nis dafür aufgebracht werden, dass das Reformtempo in den letzten zwei Jahren nachgelassen hat. Die Ukraine wird auch Hilfe benötigen, um sich auf die Beitrittsverhandlungen und die damit verbundenen Erwartungen vorzubereiten. Der Krieg sollte dennoch kein Grund sein, das Beitrittsverfahren zu verschieben, zumal die EU mit ihren Forderungen in diesem Verfahren das politische und wirtschaftliche Umfeld mitgestalten kann, das die Ukraine nach dem Krieg prägen wird.

Diese Mitgestaltung ist besonders wichtig, weil der Krieg bislang keine Zäsur im Hinblick auf die Form der Governance in der Ukraine mit sich gebracht hat. Auch wenn die Kriegssituation eine stärkere Zentralisierung der Entscheidungsfindung nötig macht, wie ähnliche Fälle gezeigt haben, ist das Ausmaß dieser Entwicklung in der heutigen Ukraine dennoch pro­blematisch. Das ist umso bedenklicher, weil es seit Jahrzehnten eine Tendenz in Kyjiw gibt, die Befugnisse des Präsidenten auszudehnen. Diese stellt die Effektivität der Gewaltenteilung zunehmend in Frage, zumal der Justizsektor weiterhin zum großen Teil unreformiert bleibt und seine Rolle als unabhängige Instanz nicht ausfüllen kann. Von daher wird es notwendig sein, im Zuge des EU-Beitrittsverfahrens immer wieder auf die Reformelemente hinzuweisen, die systemische Änderungen nach sich ziehen und die bisherige unheilvolle Symbiose von Politik und Wirtschaft in Form oligarchischen Regierens auf­brechen können.

Eine Fortsetzung der derzeitigen Politik, kombiniert mit großen Geldsummen für den Wiederaufbau des Landes, wird wahrscheinlich das oligarchische System unter neuen Vorzeichen wiederbeleben. Deswegen sollten die sogenannten fundamentals, das heißt die Bereiche, die am engsten mit der Etablierung von Rechtsstaatlichkeit zu tun haben, in den Mittelpunkt des Beitrittsprozesses gestellt werden, wie es die neue Methode der EU-Erweiterung vorsieht. Diese Betonung der Rechtsstaatlichkeit kann aller­dings nur dann glaubwürdig bleiben, wenn es der EU gelingt, Rückschritten in diesem Bereich unter den derzeitigen Mitgliedstaaten Einhalt zu gebieten. Schon jetzt ist von Seiten ukrainischer Akteur:innen zu vernehmen, dass die EU nicht etwas von Kyjiw verlangen kann, das heutige Mitgliedstaaten nicht leisten müssen. Die EU muss auf verschiedenen Ebenen kontinuierlich beweisen, dass sie willens und in der Lage ist, das Beitrittsverfahren mit der Ukraine fortzusetzen und das Land zum geeigneten Zeitpunkt aufzunehmen. Das betrifft Fragen des Tempos, aber auch der internen Reform der EU.111

Die Zivilgesellschaft spielt nach wie vor eine wich­tige Rolle in Bezug auf Reformen und die Vorbereitungen auf den EU-Beitritt. Allerdings hat diese Rolle in Zeiten des Krieges an Bedeutung verloren, und die Lage bleibt dynamisch. Zwar haben sich wesentlich mehr Bürger:innen gesellschaftlich engagiert, doch die meisten von ihnen sind mit Tätigkeiten beschäftigt, die unmittelbar mit dem Krieg zusammen­hängen. Weil viele Personen zum Militär eingezogen wurden oder das Land verlassen haben, sind weniger Ressourcen für die Beobachtung und Unterstützung von Reformprozessen verfügbar.

Bei den Reformen sollte die EU weiterhin eng mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Gerade Personen, die im Land geblieben sind und Erfahrung in Reformbereichen besitzen, können ausländische Akteur:innen auf Gefahren für Reformprozesse aufmerksam machen und Wege aus Reformblockaden weisen. Eine ständige Rekalibrierung und gegebenenfalls Ausweitung von Formen der Koope­ration mit unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Akteur:innen innerhalb der Ukraine wird dabei helfen, die Situation in den Landesteilen zu verfolgen und Unterstützungsleistungen sinnvoll anzupassen. Zivilgesellschaftliche Akteure haben zudem eine wichtige Funktion als Vermittler zwischen der EU und der ukrainischen Gesellschaft, wenn es um das Beitrittsverfahren geht. Auch deshalb erscheint es ratsam, zusammen mit der ukrainischen Regierung Anreize für eine Rückkehr möglichst vieler Mi­grant:innen zu schaffen. Das wird nicht nur die Anzahl der Personen erhöhen, die sich für die Reform­agenda einsetzen können. Rückkehrer:innen werden auch Kenntnisse über das Leben in einem EU-Kontext mitbringen und verbreiten.

Eine übergreifende Architektur für den Wiederaufbau ist jetzt zumindest in Teilen vorhanden. Auf internationaler Ebene ist die Multi-agency Donor Coordination Platform aktiv, die ausländische Geld­geber:innen zusammenbringt. Durch den Ko-Vorsitz der Ukraine ist die Plattform eng mit den Wieder­aufbauanstrengungen im Land verbunden. Verwaltet und durchgeführt werden diese vom Ministerium für Gemeinden, Territorien und infrastrukturelle Entwicklung und der ihm untergeordneten Agentur für Wiederaufbau. Eine Schlüsselrolle für den Erfolg des Wiederaufbaus werden allerdings Akteure auf der kommunalen Ebene spielen, seien es lokale Behörden, Unternehmen oder die Zivilgesellschaft. Auf dieser Ebene entsteht eine Vielfalt an Kooperationen und Maßnahmen, die nicht unbedingt mit den oberen Ebenen verzahnt, aber dennoch mit den Bezie­hungen zur EU auf mannigfache Weise ver­knüpft sind.

Die Einbindung kommunaler Akteure in die zahl­reichen Aspekte des Wiederaufbaus sollte als Prozess gesehen werden, der je nach den Bedürfnissen der Gemeinden immer wieder angepasst werden muss. Die Ukraine Recovery Conferences können unter anderem dazu genutzt werden, ein Schlaglicht auf die Herausforderungen auf der kommunalen Ebene zu werfen und danach zu fragen, inwieweit eine Neujustierung dieser Einbindung notwendig ist. Durch intensive Beteiligung kommunaler Akteure lassen diese sich auch stärker für die Verknüpfungen zwischen dem Wiederaufbau und dem EU-Beitritt sensibilisieren.

Gleichzeitig muss akzeptiert werden, dass eine teilweise chaotische Vielfalt auf der Ebene der Gemeinden fortbestehen wird und kreative Lösungen für Herausforderungen des Wiederaufbaus fördert. Schließlich wird es nicht nur darauf ankommen, kommunale Akteure effektiv an Prozessen des Wiederaufbaus zu beteiligen, sondern auch an dem Umfeld zu arbeiten, in dem solche Akteure handeln. In diesem Zusammenhang erscheint es unerlässlich, dass die Dezentralisierung im Kontext der Annäherung an die EU fortgesetzt wird. Vor der Invasion hatte dieser Prozess dazu beigetragen, die Rolle der Gemeinden zu stärken, im Sinne einer Erweiterung ihrer Kompetenzen und Ressourcen. Diese Reform voranzutreiben kann gleichzeitig dabei helfen, die übermäßige Zentralisierung auf der nationalen Ebene abzubauen, indem die Kommunen mehr Befugnisse und besseren Zugang zu Finanzquellen erhalten. Auf diese Weise sind Herausforderungen des Wieder­aufbaus mit denen der Reformagenda sowie der innen­politischen Fortentwicklung in Governance-Fragen verflochten. Unter anderem in diesem Zusammenhang ergeben sich also Wechselwirkungen zwischen den in dieser Studie analysierten Bereichen.

Schwerpunkt dieser Analyse waren die Implikationen politischer und (zivil)gesellschaftlicher Entwicklungen in der Ukraine für ihre weitere Annäherung an die EU und besonders das Beitrittsverfahren. Offensichtlich ist, dass die hier beschriebenen Ent­wicklungen und die Beziehungen zwischen EU und Ukraine eng mit dem Verlauf des russischen Angriffskrieges zusammenhängen. Politische und (zivil)gesellschaftliche Akteur:innen in der Ukraine müssen ihr Handeln weiterhin den Bedürfnissen des Krieges anpassen, und der Krieg bringt Einschränkungen für die Art und Weise, wie das Beitritts­verfahren voranschreiten kann. Ein beschleunigtes Verfahren (fast track) hin zur Mitgliedschaft der Ukraine, das manchmal von beteiligten Akteur:innen verlangt wird, erscheint weder realistisch noch vorteilhaft für die EU. Stattdessen empfiehlt es sich, das Beitrittsverfahren mit den notwendigen Sicherheitsmaßnahmen zu flankieren, damit die Ukraine in der Lage ist, sich wirksam zu verteidigen und zugleich ihre Reformen zu forcieren.

Andererseits hat der Krieg den Weg für eine schlagartige Vertiefung der Beziehungen zwischen Ukraine und EU geebnet. Mit dieser Vertiefung ging eine Erweiterung der Beziehungen einher, die derzeit in vielfältigen Bereichen existieren und immer mehr ausgebaut werden. Auch wenn die EU sich nicht über Nacht in einen effektiven Sicherheitsakteur verwandeln konnte, hat sie zahlreiche über­raschende Schritte unternommen, um die Ukraine auch im Sicherheitsbereich zu unterstützen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten werden in den kommen­den Monaten mehr denn je gefordert sein, sich für die Sicherheit der Ukraine und des gesamten Europas einzusetzen. Zu hoffen ist, dass sie wesentlich zur Entstehung einer Situation beitragen werden, in der sowohl eine systemische Transformation in der Ukraine als auch ein erfolgreicher Wiederaufbau stattfinden können. Beides wird für das künftige EU-Mitglied Ukraine vonnöten sein.

Abkürzungsverzeichnis

ANTAC

Anti-Corruption Action Centre

ATC

Amalgamated Territorial Community

AUC

Association of Ukrainian Cities

DCFTA

Deep and Comprehensive Free Trade Agreement

DGAP

Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (Berlin)

DREAM

Digital Restoration Ecosystem for Accountable Management

ECFR

European Council on Foreign Relations

EFF

Europäische Friedensfazilität

ESI

European Stability Initiative

EU

Europäische Union

EUACI

European Union Anti-Corruption Initiative (Kyjiw)

EUAM

EU Advisory Mission Ukraine

HACC

High Anti-Corruption Court

IFSH

Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg

MADCP

Multi-agency Donor Coordination Platform

NABU

National Anti-Corruption Bureau of Ukraine

NACP

National Agency of Corruption Prevention

Nato

North Atlantic Treaty Organization

NEC

New Europe Center

ÖP

Östliche Partnerschaft

OSW

Ośrodek Studiów Wschodnich (Centre for Eastern Studies; Warschau)

OSZE

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

PONARS

Program on New Approaches to Russian Security (CSIS, Washington)

SAPO

Specialized Anti-Corruption Prosecutor’s Office

SGUA

Support Group for Ukraine

UCEP

Ukrainian Center for European Policy

USA

United States of America

Literaturhinweise

Claudia Major / Margarete Klein

75 Jahre NATO: Warum die dauerhafte Sicherheit der Ukraine im Interesse Europas ist

SWP-Podcast 13/2024, 31.5.2024

Sabine Fischer / Margarete Klein / Marco Overhaus / Johannes Thimm

»Macht ohne Legitimität. Wie ein amerikanischer Tech-Oligarch die westliche Ukraine-Politik entgleisen lässt«

In: Miranda Böttcher / Lars Brozus (Hg.), Weltpolitische Unwägbarkeiten: Erkundungen der Zukunft. Foresight-Beiträge 2024

SWP-Studie 14/2024, Mai 2024, S. 32–37, doi: 10.18449/2024S14

Sabine Fischer

Diplomatie im Kontext des russischen Überfalls auf die Ukraine. Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln

SWP-Aktuell 56/2023, Oktober 2023, doi: 10.18449/2023A56v02

Endnoten

1

 Für eine Analyse der Entwicklung der Beziehungen zwischen EU und Ukraine seit 1991 siehe Susan Stewart, »Die Ukraine und die Europäische Union: Langsam aber sicher in Richtung Mitgliedschaft«, in: Susann Worschech (Hg.), Ukraine – Portrait einer europäischen Gesellschaft, Baden-Baden: Nomos-Verlagsgesellschaft, 2024 (im Erscheinen).

2

 Auch wenn das Assoziierungsabkommen erst 2017 vollständig in Kraft getreten ist, waren Teile davon bereits früher provisorisch wirksam.

3

 Siehe zum Beispiel Sabine Fischer, Der Donbas-Konflikt. Widerstreitende Narrative und Interessen, schwieriger Friedens­prozess, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Februar 2019 (SWP-Studie 3/2019), doi: 10.18449/2019S03.

4

 Wojciech Konończuk/Agata Wierzbowska-Miazga, The Geneva (Dis)Agreement on Ukraine, Warschau: Ośrodek Studiów Wschodnich/Centre for Eastern Studies (OSW), 24.4.2014, <https://www.osw.waw.pl/en/publikacje/analyses/2014-04-24/geneva-dis-agreement-ukraine>.

5

 Siehe zum Beispiel Gustav C. Gressel, The Eastern Partner­ship’s Missing Security Dimension, Berlin: Zentrum Liberale Moderne, Juni 2020, <https://libmod.de/wp-content/uploads/ LibMod_PolicyPaper_EasternPartnership3.pdf>.

6

 Der schwache Einfluss der EU im Südkaukasus hat eine längere Geschichte. Siehe zum Beispiel Tracey C. German, »Visibly Invisible: EU Engagement in Conflict Resolution in the South Caucasus«, in: European Security, 16 (2007) 3–4, S. 357–374, doi: 10.1080/09662830701751141; Laure Delcour/Katharina Hoffmann, »The EU’s Policy in the South Caucasus«, in: L’Europe en formation, 385 (2018) 1, S. 7–25, <https://www.cairn.info/revue-l-europe-en-formation-2018-1-page-7.htm>; Stefan Meister, Restoring EU Influence in the South Caucasus, Berlin: Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), 31.1.2022 (DGAP Online Commentary), <https://dgap.org/en/research/publications/restoring-eu-influence-south-caucasus>.

7

 Ab dem 1. Februar 2023 wurde die SGUA in den Ukraine Service umgewandelt, um der komplexen Lage der Ukraine als Beitrittskandidat im Rahmen des Krieges und des gleichzeitigen Wiederaufbaus Rechnung zu tragen.

8

 Es gibt zwar seit Dezember 2014 die EU Advisory Mission Ukraine (EUAM), aber sie beschäftigt sich lediglich mit der zivilen Komponente des Sicherheitsbereichs. Selbst wenn diese Komponente auch in Zeiten des Krieges durchaus rele­vant ist, hat die bisherige Erfahrung gezeigt, dass es schwierig für Externe ist, die Kernprobleme der Sicherheitssphäre anzugehen. Siehe zum Beispiel Henrik Larsen, GSVP-Missionen: Begrenzte Wirkung auf Reformen, Zürich: Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich, März 2021 (CSS Analysen zur Sicherheitspolitik, Nr. 279), doi: 10.3929/ethz-b-000471671.

9

 Siehe Europäischer Rat/Rat der Europäischen Union, European Peace Facility, <https://www.consilium.europa.eu/de/ policies/european-peace-facility/>.

10

 Siehe hierzu den regelmäßig aktualisierten Ukraine Support Tracker des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel: <https://www.ifw-kiel.de/de/themendossiers/krieg-gegen-die-ukraine/ukraine-support-tracker/>.

11

 Für eine Zusammenfassung der EU-Unterstützung für die Ukraine während des ersten Kriegsjahres siehe Jan Joel Andersson/Clara Sophie Cramer, EUISS Yearbook of European Security 2023, Paris 2023, S. 16–25, <https://www.iss.europa. eu/content/yearbook-european-security-2023>.

12

 In Deutschland und Frankreich kreist ein großer Teil dieser Debatte um das von den beiden Regierungen in Auf­trag gegebene Expertenpapier Sailing on High Seas: Reforming and Enlarging the EU for the 21st Century, Paris/Berlin, 18.9.2023, <https://www.europeansources.info/record/sailing-on-high-seas-reforming-and-enlarging-the-eu-for-the-21st-century/>, das kontrovers diskutiert wird. Siehe zum Beispiel Roderick Parkes, »A Different Way of Thinking about EU Enlargement and Reform«, in: Internationale Politik Quarterly, 28.9.2023, <https://ip-quarterly.com/en/different-way-thinking-about-eu-enlargement-and-reform>. Außerhalb dieser beiden Staaten ist die Bereitschaft für weitreichende Reformen der EU oft wesentlich geringer. Siehe zum Beispiel Piotr Buras/Engjellu­she Morina, Catch-27: The Contradictory Thinking about Enlargement in the EU, European Council on Foreign Relations (ECFR), 23.11.2023 (ECFR Policy Brief), <https://ecfr.eu/publication/ catch-27-the-contradictory-thinking-about-enlargement-in-the-eu/>.

13

 Zu den Folgen eines Beitritts der Ukraine zur EU siehe zum Beispiel Raphael Bossong et al., Der mögliche EU-Beitritt der Ukraine und seine Konsequenzen, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 6.7.2022 (»360 Grad«), <https://www.swp-berlin.org/publikation/der-moegliche-eu-beitritt-der-ukraine-und-seine-konsequenzen>. Zu den wirtschaftlichen Folgen siehe Miriam Kosmehl/Stefani Weiss, Outlier or Not? The Ukrainian Economy’s Preparedness for EU Accession, Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung, 15.11.2023, <https://www.bertels mann-stiftung.de/en/our-projects/sovereign-europe/project-news/outlier-or-not-the-ukrainian-economys-preparedness-for-eu-accession>.

14

 Siehe Beitrittskriterien (Kopenhagener Kriterien), <https://eur-lex.europa.eu/DE/legal-content/glossary/accession-criteria-copenhagen-criteria.html>.

15

 European Commission, Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions. Enhancing the Accession Process – A Credible EU Perspective for the Western Balkans, COM(2020) 57 final, Brüssel, 5.2.2020, <https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:520 20DC0057>.

16

 Siehe Directorate-General for Neighbourhood and Enlargement Negotiations (DG NEAR), »Commission Endorses Ukraine Plan, Paving the Way for Regular Payments under the Ukraine Facility«, 15.4.2024, <https://neighbourhood-enlargement.ec.europa.eu/news/commission-endorses-ukraine-plan-paving-way-regular-payments-under-ukraine-facility-2024-04-15_en>. Für den Text des Ukraine-Plans siehe Ukraine Plan 2024–2027, <http://www.ukrainefacility. me.gov.ua/wp-content/uploads/2024/03/ukraine-facility-plan.pdf>.

17

 Zu den ukrainischen Leistungen, verglichen mit frühe­ren EU-Kandidatenländern (jetzigen Mitgliedstaaten), siehe Miriam Kosmehl et al., Ukraine and the EU: How to Keep Up the Accession Momentum, Berlin: Zentrum Liberale Moderne, Oktober 2023, Kapitel 3, <https://libmod.de/en/ukraine-and-the-eu-how-to-keep-up-the-accession-momentum/>.

18

 Mit »staged accession« ist ein Beitrittsmodell gemeint, in dem Kandidatenstaaten sich in Phasen an die EU annähern und dabei sowohl institutionelle Teilhabe als auch finanzielle Förderung im Gegenzug für zunehmende Reformschritte erhalten. Siehe zum Beispiel Milena Mihajlović et al., Template 2.0 for Staged Accession to the EU, Brüssel: Centre for European Policy Studies, 28.8.2023, <https://www.ceps.eu/ ceps-publications/template-2-0-for-staged-accession-to-the-eu/>.

19

 Hierbei geht es in erster Linie um den Assoziierungsrat, der für das Monitoring der Umsetzung des Assoziierungs­abkommens zuständig ist. In diesem Rahmen gibt es auch einen Ausschuss, der die Treffen des Rates organisiert, sowie einen weiteren Ausschuss, der Mitglieder des Europäischen Parlaments und des Parlaments der Ukraine (Werchowna Rada) in Fragen der Assoziierung zusammenbringt. Siehe hierzu »Bilateral Institutions of the Association Agreement between Ukraine and the EU«, Government Portal (Ukraine), <https://www.kmu.gov.ua/en/yevropejska-integraciya/ugoda-pro-asociacyu/dvostoronni-ustanovi-ugodi-pro-asociaciyu-mizh-ukrayinoyu-ta-yes>.

20

 European Commission, Joint Staff Working Document, Association Implementation Report on Ukraine, SWD(2022) 202 final, Brüssel, 22.7.2022, <https://www.eeas.europa.eu/sites/ default/files/documents/Association%20Implementation %20Report%20on%20Ukraine%20-%20Joint%20staff%20 working%20document.pdf>.

21

 DG NEAR, Ukraine Report 2023, Brüssel, 8.11.2023, <https://neighbourhood-enlargement.ec.europa.eu/ukraine-report-2023_en>.

22

 Bei dieser Beurteilung werden fünf Stadien der Vor­bereitung unterschieden: 1) Early stage; 2) Some level of preparation; 3) Moderately prepared; 4) Good level of preparation; 5) Well advanced. Siehe European Stability Initiative (ESI), Scoreboard. The True State of Accession. What the  Commission Assessments Reveal, Berlin/Brüssel/Istanbul, 17.3.2023 (ESI Background Paper), <https://www.esiweb.org/ publications/scoreboard-true-state-accession-what-com mission-assessments-reveal>.

23

 DG NEAR, Opinion on Ukraine’s Application for Membership of the European Union, Brüssel, 16.6.2023, S. 17 (Übersetzung des Zitats durch die Autorin dieser Studie), <https://neigh bourhood-enlargement.ec.europa.eu/opinion-ukraines-application-membership-european-union_en>.

24

 In einem analytischen Bericht, der kurz vor dem EU-Ukraine-Gipfel im Februar 2023 datiert, wird die Kapazität der Ukraine beurteilt, den Verpflichtungen eines EU-Mit­gliedstaats zu genügen. Dieses Dokument wird explizit als komplementär zur Meinung der Kommission vom 17. Juni 2022 verstanden. European Commission, Commission Staff Working Document. Analytical Report Following the Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council and the Council. Commission Opinion on Ukraine’s Application for Membership of the European Union, SWD(2023) 30 final, Brüssel, 1.2.2023, <https://neighbourhood-enlargement.ec. europa.eu/commission-analytical-report-ukraines-alignment-eu-acquis_en>.

25

 Es kommt allerdings auf den Bereich an. In allen Berei­chen, wo es um fundamentale Einstellungen geht (etwa zur Rechtsstaatlichkeit oder zu den Grundfreiheiten) kann es infolge russischer Desinformation in den besetzten Gebieten wesentlich länger dauern, Reformen effektiv durchzuführen.

26

 Die Probleme, die hierdurch entstehen, sind schwer ein­zuschätzen und hängen unter anderem davon ab, wie viele Personen in diesem Fall nach Russland auswandern und wie viele aus anderen Teilen der Ukraine oder dem Ausland in diese Gebiete zurückkehren.

27

 Unter diesen Quellen befinden sich unter anderem Informationen der ukrainischen Regierung, der EU-Mitglied­staaten, des Europäischen Parlaments sowie internationaler Organisationen und Nichtregierungsorganisationen.

28

 Die Berichte (auf Ukrainisch und Englisch) sind hier zu finden: »Reports on the Implementation of the Association Agreement between Ukraine and the EU«, Government Portal (Ukraine), <https://www.kmu.gov.ua/diyalnist/yevropejska-integraciya/vikonannya-ugodi-pro-asociaciyu/zviti-pro-vikonannya-ugodi-pro-asociaciyu>.

29

Report on Implementation of the Association Agreement between Ukraine and the European Union for 2023, <https://eu-ua.kmu. gov.ua/wp-content/uploads/Report-on-implementation-of-the-Association-Agreement-between-Ukraine-and-the-European-Union-for-2023.pdf>.

30

 Siehe DG NEAR, Ukraine Report 2023 [wie Fn. 21].

31

 Suzanne Lynch, »Ukraine Wants to Join EU within Two Years, PM Says«, Politico, 30.1.2023, <https://www.politico.eu/ article/ukraine-eu-membership-two-years-prime-minister-denys-shmyhal/>. Dies wiederholte später die Vizepremierministerin für die euroatlantische Integration. Lisa O’Carroll, »Ukraine Doesn’t Want Sympathy Vote on Joining EU, Says Deputy PM«, in: The Guardian, 6.11.2023, <https://www.the guardian.com/world/2023/nov/06/ukraine-joining-eu-reforms>.

32

 Report on the Initial Assessment of the Progress in the Implementation of the European Union Legal Acts (EU Acquis), <https://www. kmu.gov.ua/storage/app/sites/1/55-GOEEI/zvit_EN.pdf>.

33

 Siehe <https://pulse.kmu.gov.ua/>.

34

 Stand Anfang Juni 2024 wurden die Dokumente auf der Webseite nicht mehr aktualisiert, die Informationen zur Umsetzung nach Akteur (Ministerkabinett, Parla­ment, andere Instanzen) nach 2020 auch nicht mehr. Die anderen Bereiche waren jedoch aktuell.

35

 Report on Implementation of the Association Agreement between Ukraine and the European Union in 2019. Results and Plans, S. 5, <https://www.kmu.gov.ua/storage/app/sites/1/zviti-pro-vikonannya/aa-implementation-2019-4-eng.pdf>.

36

 Mein besonderer Dank geht an Ljubow Akulenko, die Direktorin des UCEP, für die Einblicke, die sie mir in die Fortschritte der Ukraine hinsichtlich Assoziierungsabkommen und DCFTA sowie in die Kriterien für deren Beurteilung gewährt hat.

37

 Candidate Check-5: Where Ukraine Is in the Implementation of 7 EU Recommendations, Kyjiw: New Europe Center, 27.9.2023, <http://neweurope.org.ua/en/analytics/kandydat-check-5-de-ukrayina-perebuvaye-u-vykonanni-7-rekomendatsij-yes/>.

38

 Die Europäische Kommission kam in ihrem Bericht vom November 2023 [siehe Fn. 21] ebenfalls zu einer positiven Beurteilung der Fortschritte im Rahmen der sieben Schritte. Vier zusätzliche Schritte, die anschließend benannt wurden, werden auch als weitgehend umgesetzt eingeschätzt.

39

 Siehe die Webseite des UCEP, <https://ucep.org.ua/en>.

40

 A Realistic Path towards Ukraine’s Accession to the EU, Kyjiw: Ukrainian Center for European Policy (UCEP), Juni 2023, <https://ucep.org.ua/en/doslidzhennya/a-realistic-path-towards-ukraines-accession-to-the-eu.html>.

41

 Ukraine and the Association Agreement. Implementation Monitoring 2014–2022, Kyjiw: UCEP, 2023, <https://ucep.org. ua/en/doslidzhennya/ukraine-and-the-association-agreement-implementation-monitoring-2014-2022.html>.

42

 Siehe Vox Ukraine, Reform Index: Path of Reforms, <https:// voxukraine.org/en/category/imore-en>. Es handelt sich hier um das Tempo aller Reformbereiche zusammengenommen.

43

 Siehe hierzu zum Beispiel John Lough, Ukraine’s System of Crony Capitalism. The Challenge of Dismantling »Systema«, London: Chatham House, Juli 2021 (Chatham House Research Paper), <https://www.chathamhouse.org/2021/07/ukraines-system-crony-capitalism>.

44

 Hinzu kamen Hindernisse sowie Desinteresse auf Seiten der EU, aber dies wird hier nicht behandelt. Hierzu siehe unter anderem Andrew Wilson, »Has Europe For­gotten about Ukraine?«, Eurozine, 11.1.2016, <https://www.euro zine.com/has-europe-forgotten-about-ukraine/>.

45

 Siehe Fischer, Der Donbas-Konflikt [wie Fn. 3]. Allerdings bestand das sogenannte Normandie-Format, in dem Verhandlungen über die Situation im Donbas immer wieder stattfanden, aus Deutschland, Frankreich, der Ukraine und Russland. Die EU als solche war nicht beteiligt.

46

 Eine Mehrheit der Ukrainer:innen spricht sich inzwischen dafür aus, die öffentliche Übertragung der Parlamentssitzungen wieder einzuführen. Stanislav Pohorilov, »Majority of Ukrainians Want Parliamentary Session Broadcasts to Return«, in: Ukrainska Pravda, 8.1.2024, <https://www.pravda.com.ua/eng/news/2024/01/8/7436299/>.

47

 Von 450 Mitgliedern der Rada sind heute nur noch 401 offiziell im Amt. Siehe »Statystychni dani« [Statistische Daten], 1.2.2024, <https://vrkadry.rada.gov.ua/news/dijalnist/ kadr_zab_dep/72929.html>. Die anderen konn­ten entweder schon 2019 nicht gewählt werden, weil Russland die be­treffenden Gebiete besetzt hatte, oder schieden aus diversen Gründen während des Krieges seit 2022 ohne Ersatz aus. Siehe hierzu »Decline of MPs during the War: Why is the Number of MPs Decreasing?«, Agency for Legislative Initiatives, 23.10.2023, <https://parlament.org.ua/en/analytics/decline-of-mps-during-the-war-why-is-the-number-of-mps-decreasing/>.

48

 »Zelenskiy Signs Law Banning Pro-Russian Political Parties in Ukraine«, Radio Free Europe/Radio Liberty, 14.5.2022, <https://www.rferl.org/a/ukraine-law-bans-pro-russia-parties-zelenskiy-signs/31849737.html>.

49

 Die Ukraine hat ein gemischtes Wahlsystem, nach dem die Hälfte des Parlaments nach Parteilisten und die andere Hälfte in einzelnen Wahlkreisen gewählt wird. Abgeordnete, die nach einer Liste gewählt wurden, können auch zu Kriegs­zeiten von einem anderen Kandidaten oder einer anderen Kandidatin auf der Liste ersetzt werden. Direkt gewählte Ab­geordnete jedoch dürfen nicht ersetzt werden, da dies eine neue Wahl erfordern würde.

50

 Siehe Maria Popova/Daniel J. Beers, »No Revolution of Dignity for Ukraine’s Judges: Judicial Reform after the Euro­maidan«, in: Demokratizatsiya: The Journal of Post-Soviet Democratization, 28 (2020) 1, S. 113–142, <https://muse.jhu.edu/ article/747827>.

51

 Oleg Sukhov, »Judicial Reform in Limbo as only Few Tainted Judges Are Fired or Convicted«, in: The Kyiv Independent, 27.11.2023, <https://kyivindependent.com/judicial-reform-in-limbo-as-only-few-tainted-judges-are-fired-or-convicted/>.

52

 Andrii Nekoliak, »Analyse: Das ukrainische Verfassungsgericht kippt Teile der Antikorrup­tionsreform in der Ukraine«, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 1.12.2020, <https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/322114/analyse-das-ukrainische-verfassungsgericht-kippt-teile-der-antikorruptionsreform-in-der-ukraine/>.

53

 Dinara Khalilova et al., »Zelensky Signs Law Changing Constitutional Court Selection Procedure«, in: The Kyiv Independent, 18.8.2023, <https://kyivindependent.com/ zelensky-signs-law-on-changing-constitutional-court-selection-procedure/>.

54

 Anastasia Shepeleva/Lilia Rzheutska, »What Ukraine's Supreme Court Bribery Scandal Means«, Deutsche Welle, 20.5.2023, <https://www.dw.com/en/what-ukraines-supreme-court-bribery-scandal-means/a-65682855>.

55

 Yelizaveta Dorontseva, »In the Focus of the Reform Index: Liquidation of the District Administrative Court of Kyiv. How to Carry the Reform through and Not Just ›Change the Sign‹«, Vox Ukraine, 23.1.2023, <https://voxukraine.org/ en/in-the-focus-of-the-reform-index-liquidation-of-the-district-administrative-court-of-kyiv-how-to-carry-the-reform-through-and-not-just-change-the-sign>.

56

 Zur Entwicklung der Oligarchenvermögen im ersten Kriegsjahr siehe Dmytro Goriunov et al., Oligarchic Ukrainian Capital, Kyjiw: Centre for Economic Strategy, Februar 2023 (Policy Paper), <https://ces.org.ua/en/oligarchic-ukrainian-capital-the-research-ces/>. Zur neueren Entwicklung siehe auch Constant Méheut, »The War Has Reined In Ukraine’s Oligarchs, at Least for Now«, in: The New York Times, 15.1.2024, <https://www.nytimes.com/2024/01/15/world/ europe/ukraine-oligarchs-crackdown.html>.

57

 Siehe zum Beispiel Kira Rudik, »Ukraine’s Anti-Oligarch Law: President Zelenskyy’s Populist Power Grab?«, Ukraine Alert (Blog), Atlantic Council, 15.11.2021, <https://www.atlantic council.org/blogs/ukrainealert/ukraines-anti-oligarch-law-president-zelenskyys-populist-power-grab/>.

58

 Zum Gesetz sowie zu seiner Wirkung siehe »President Immediately Signed the Anti-oligarchic Law Passed by the Verkhovna Rada«, President of Ukraine. Official Website, 5.11.2021, <https://www.president.gov.ua/en/news/prezident-nevidkladno-pidpisav-uhvalenij-verhovnoyu-radoyu-a-71445>; Eugen Theise, »Has Ukraine’s Anti-oligarch Law Had an Impact?«, Deutsche Welle, 26.2.2023, <https://www.dw.com/ en/has-ukraines-anti-oligarch-law-had-an-impact/a-64810387>.

59

 Siehe Goriunov et al., Oligarchic Ukrainian Capital [wie Fn. 56]; Slawomir Matuszak, Ukrainian Oligarchs and Their Businesses: Their Fading Importance, Warschau: OSW, 13.6.2023 (OSW Commentary), <https://www.osw.waw.pl/en/publikacje/ osw-commentary/2023-06-13/ukrainian-oligarchs-and-their-businesses-their-fading>.

60

 In diesem Sinne argumentiert auch die Venedig-Kommission des Europarates. In einer Stellungnahme zum Antioligarchengesetz in der Ukraine unterscheidet sie zwischen einem »systemischen« und einem »personalisierten« Ansatz und kommt zu dem Schluss, dass Ersterer zu bevorzugen sei. In diesem Zusammenhang empfiehlt sie, die Umsetzung des Antioligarchengesetzes zugunsten eines komplexeren Ansatzes aufzuschieben, der auf Änderungen des politischen und wirtschaftlichen Umfeldes hinwirkt. Siehe European Commission on Democracy through Law (Venice Commission), Ukraine. Opinion on the Law »on the Pre­vention of Threats to National Security Related to the Excessive Influence of Persons with Significant Economic and Political Weight in Public Life (Oligarchs)«, Adopted by the Venice Commission at its 135th Plenary Session (Venice, 9–10 June 2023), Straßburg, 12.6.2023, <https://www.venice.coe.int/webforms/ documents/default.aspx?pdffile=CDL-AD(2023)018-e>.

61

 Siehe zum Beispiel Marc Champion/Daryna Krasno­lutska, »Ukraine Has Decimated Its Oligarchs but Now Fears New Ones«, Bloomberg, 6.4.2023, <https://www.bloomberg. com/news/articles/2023-04-06/how-to-rebuild-ukraine-root-out-corruption-oligarchs>; Andriana Velianyk, »What Is Happening to Oligarchs in Ukraine?«, Svidomi, 11.4.2023, <https://svidomi.in.ua/en/page/what-is-happening-to-oligarchs-in-ukraine>.

62

 Paul Starobin, »Ukraine’s Real Power Broker. Is Andriy Yermak, Zelensky’s Right-hand Man, Handing War-torn Ukraine over to the Oligarchs?«, Business Insider, 18.12.2023, <https://www.businessinsider.com/ukraines-real-power-broker-yermak-zelensky-russia-war-biden-2023-12>.

63

 Anna Myroniuk, »Leaked Videos Implicate Zelensky Administration Chief’s Brother in ›Selling‹ High-level Positions«, in: Kyiv Post, 30.3.2020, <https://www.kyivpost. com/post/7116>.

64

 Oleg Sukhov, »Attackers Target Vehicles of Witnesses in ›YermakGate‹ Corruption Scandal«, in: Kyiv Post, 12.5.2020, <https://archive.kyivpost.com/ukraine-politics/attackers-target-vehicles-of-witnesses-in-yermakgate-corruption-scandal.html>.

65

 »Selens’kyj: brat Jermaka tochno ne vsjal deneg, on ›prosto boltun‹ i sdelal oshibku, a Leros – ›aferist‹« [Selenskyj: Jermaks Bruder hat kein Geld genommen, er ist »einfach ein Plappermaul« und hat einen Fehler gemacht, und Leros ist »ein Schwindler«], Interfax-Ukraina, 11.6.2020, <https://ru.interfax.com.ua/news/political/668045.html>.

66

 Oleg Sukhov, »Case against Brother of Zelensky’s Chief of Staff Closed, Says Anti-corruption Agency«, in: The Kyiv Independent, 1.4.2024, <https://kyivindependent.com/nabu-says-it-closed-corruption-case-against-brother-of-zelenskys-chief-of-staff/>.

67

 Zu den problematischen Aspekten von Tatarows Laufbahn siehe das ANTAC-Dossier »Tatarov«, <https://antac. org.ua/en/special-projects/visaban/tatarov/>.

68

 »Derzhava platyla sonjachnym stantsijam brata zastup­nyka Jermaka za elektroenerhiju v okupatsiji« [Der Staat hat die Solarstationen des Bruders des Stellvertreters von Jermak für Strom in der Okkupation bezahlt], bihus.info, 17.8.2023, <https://bihus.info/derzhava-platyla-sonyachnym-stancziyam-brata-zastupnyka-yermaka-za-elektroenergiyu-v-okupacziyi/>.

69

 Im Präsidialamt wurde zwar im März 2024 eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit Korruptionsrisiken innerhalb des Büros beschäftigen soll. An den tatsächlichen Mög­lichkeiten und der Effektivität dieser Gruppe herrschen aller­dings begründete Zweifel. Siehe Anastasija Proz, »V ›Česno‹ usnali, kak OP provodit otsenku korruptsionnych riskov v svoej dejatel’nosti« [Die Organisation ›Česno‹ hat heraus­gefunden, wie das Präsidialamt eine Evaluierung von Korrup­tionsrisiken in seiner Tätigkeit durchführt], in: Ukrains’ka Pravda, 30.4.2024, <https://www.pravda.com.ua/rus/news/ 2024/04/30/7453636/>.

70

 Lilia Rzheutska, »Ukraine Struggles to Curb Corruption in Its Military«, Deutsche Welle, 17.8.2023, <https://www.dw. com/en/ukraine-military-recruiters-dismissed-after-bribery-scandals/a-66561801>. Außerdem führte diese Entscheidung zeitweilig zu Chaos und mehr Ineffizienz in den Rekrutierungsbüros sowie zu großen Problemen, die entlassenen Mitarbeiter zu ersetzen, da niemand diese Arbeit, die von vornherein unter Korruptionsverdacht stand, ausführen wollte.

71

 Heorhiy Shabaev et al., »Prices for Ukrainian Army Food Supplies Inflated, Investigation Finds«, Radio Free Europe/Radio Liberty, 8.4.2023, <https://www.rferl.org/a/ukraine-army-food-prices-inflated/32352747.html>.

72

 Martin Fornusek, »Zelensky Introduces New Defense Minister Umerov, Names Key Tasks«, in: The Kyiv Independent, 7.9.2023, <https://kyivindependent.com/zelensky-introduces-new-defense-minister-umerov-names-his-key-tasks/>.

73

 Shaun Walker, »›Ukrainians Understand Corruption Can Kill‹: Kyiv Takes on an Old Enemy«, in: The Guardian, 19.9.2023 (Übersetzung des Zitats durch die Autorin dieser Studie), <https://www.theguardian.com/world/2023/sep/19/ corruption-kyiv-takes-on-an-old-foe-wartime>.

74

 Transparency International, Corruption Perceptions Index: Ukraine, <https://www.transparency.org/en/cpi/2023/index/ ukr>. Seit 2013 ist die Ukraine lediglich ein einziges Mal in der Rangfolge ähnlich weit aufgestiegen, nämlich auf Platz 117 im Jahr 2020.

75

 Ilona Sologoub, »Return or Stay? What Factors Impact the Decisions of Ukrainian Refugees«, Vox Ukraine, 16.1.2024, <https://voxukraine.org/en/return-or-stay-what-factors-impact-the-decisions-of-ukrainian-refugees>.

76

 Veronika Movchan, Ukraine: Preparation for the EU Accession Process, Stockholm: Stockholm Centre for Eastern European Studies (SCEEUS), 25.4.2023 (SCEEUS Report Series on Ukrainian Domestic Affairs, Nr. 6), <https://sceeus.se/en/ publications/ukraine-preparation-for-the-eu-accession-process/>; Roman Ihnatov, »The Chairman of the HQCJ Roman Ihnatov on Work Priorities and Fake News about Russian Citizenship, First Interview«, High Qualification Commission of Judges of Ukraine, 16.6.2023, <https://vkksu. gov.ua/en/news/chairman-hqcj-roman-ihnatov-work-priorities-and-fake-news-about-russian-citizenship-first>.

77

 Für eine Analyse zahlreicher Aspekte zivilgesellschaft­licher Entwicklung in der Ukraine nach 2014 siehe »Special Issue: Civil Society in Post-Euromaidan Ukraine«, Kyiv-Mohyla Law and Politics Journal, (2017) 3, <https://ekmair.ukma.edu.ua/ collections/a8ce177c-4ba1-46d3-a7f3-7b32d999f447>. Für die Phase vor dem Euromaidan siehe Iryna Solonenko, »Ukrainian Civil Society from the Orange Revolution to Euro­maidan: Striving for a New Social Contract«, in: Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) (Hg.), OSCE Yearbook 2014, Baden-Baden 2015, S. 219–235, <https://ifsh.de/file-CORE/documents/year book/english/14/Solonenko-en_S.pdf>.

78

 Siehe zum Beispiel USAID/ENGAGE, Civic Engagement Poll 2022, 21.11.2022, <https://engage.org.ua/eng/cep-2022-surge-in-civic-activism-overwhelming-support-to-resisting-the-enemy-and-fundamental-shift-in-perceiving-corruption/>.

79

 Citizens’ Involvement in Volunteering after a Year and a Half of War, Kyjiw: Ilko Kucheriv Democratic Initiatives Foundation, 22.9.2023, <https://dif.org.ua/en/article/citizens-involvement-in-volunteering-after-a-year-and-a-half-of-war>.

80

Kateryna Zarembo/Eric Martin, »Civil Society and Sense of Community in Ukraine: From Dormancy to Action«, in: Euro­pean Societies (online), 19.3.2023, S. 1–27, doi: 10.1080/14616 696.2023.2185652. In der Ukraine werden die Euromaidan-Proteste von 2013 und 2014 »Revolution der Würde« genannt.

81

 Oksana Huss/Oleksandra Keudel, National Security in Local Hands? How Local Authorities Contribute to Ukraine’s Resilience, Washington, D.C.: Institute for European, Russian and Eurasian Studies (IERES) at the George Washington Univer­sity’s Elliott School of International Affairs, 25.1.2023 (PONARS Eurasia Policy Memo, Nr. 825), <https://www.ponars eurasia.org/national-security-in-local-hands-how-local-authorities-contribute-to-ukraines-resilience/>.

82

 Aleksandra Klitina, »Wartime Parliamentary Trends: More EU Focus, Less Transparency«, in: Kyiv Post, 12.12.2022, <https://www.kyivpost.com/post/5677?utm_source=Kyiv+Post%27s+Ukraine+Digest&utm_campaign=20bd4524fb-EMAIL _CAMPAIGN_2022_12_13_11_24&utm_medium=email&utm_term=0_-20bd4524fb-%5BLIST_EMAIL_ID%5D>.

83

 Ein Beispiel für solchen Einfluss ist das Gesetz zur Wiederaufnahme öffentlich einsehbarer Vermögenserklärungen von Vertreter:innen der Politik und des öffentlichen Dienstes: Elsa Court et al., »Parliament Approves Public Access to Asset Declarations, Amends Controversial Law«, in: The Kyiv Independent, 20.9.2023, <https://kyivindependent.com/ parliament-approves-amended-law-on-asset-declaration/>.

84

 Ich danke Roman Beliavski herzlich für seine gründ­lichen Recherchen zu diesem Thema.

85

 Das wäre die fünfte in einer Reihe von Reformkonferenzen gewesen, um die Rolle der internationalen Gemeinschaft in den laufenden ukrainischen Reformprozessen zu besprechen und zu intensivieren. Aufgrund des Krieges wurde entschieden, sich auf Fragen des Wiederaufbaus zu konzentrieren und die Veranstaltung »Recovery Conference« zu nennen. Siehe die Webseiten der Konferenz in Lugano (4./5.7.2022), <https://www.urc-international.com/urc-2022>, und der anstehenden Konferenz in Berlin (11./12.6.2024), <https://urc-international.com/>.

86

 Siehe Ukraine Recovery Plan (offizielle Webseite der ukrainischen Regierung), <https://recovery.gov.ua/en>.

87

 Siehe zum Beispiel die Rapid Damage and Needs Assess­ments, die gemeinsam von der Weltbank, der ukrainischen Regierung, der Europäischen Kommission und den Vereinten Nationen zusammengestellt wurden. Die letzte erschien im Februar 2024: European Commission, »Updated Ukraine Recovery and Reconstruction Needs Assessment Released«, Pressemitteilung, 15.2.2024, <https://ec.europa.eu/commis sion/presscorner/detail/en/ip_24_801>.

88

 Als »Ukraine Recovery Conference« wurden lediglich die Veranstaltungen in Lugano und London bezeichnet. Die anderen beiden hatten einen etwas anderen Charakter, zielten aber auch auf die Vorbereitungen auf den Wiederaufbau.

89

 Zur Entstehung dieser Struktur siehe unter anderem Andrij Holub, »Ne plan Marshalla. Shcho vidomo pro systemu z vidbudovy Ukrajiny« [Kein Marshallplan. Was über das System des Wiederaufbaus der Ukraine bekannt ist], Ukrajins’kyj tyzhden’, 14.4.2023, <https://tyzhden.ua/ne-plan-marshalla-shcho-vidomo-pro-systemu-z-vidbudovy-ukrainy/>.

90

 Siehe die Webseite der Multi-agency Donor Coordina­tion Platform for Ukraine, <https://coordinationplatform ukraine.com/>.

91

 Siehe die Webseite des Ministeriums, <https://mtu.gov. ua/en/>. Am 9. Mai stimmte das Parlament für Kubrakows Absetzung. Sein Ministerium soll in zwei Ministerien (für Infrastruktur und für regionale Entwicklung) geteilt werden. Die Gründe für die Absetzung waren zunächst unklar, wie auch die Implikationen für die Wiederaufbauarchitektur. Kubrakow berichtete, dass der Premierminister ihn über die Entscheidung nicht informiert habe. Siehe Elsa Court, »Parlament Dismisses Infrastructure Minister Oleksandr Kubrakov«, in: The Kyiv Independent, 9.5.2024, <https://kyiv independent.com/parliament-dismisses-infrastructure-minster/>.

92

 Siehe die Webseite der Behörde, <https://restoration. gov.ua/>. Najjem ist vor allem wegen seines Aufrufs in den sozialen Medien am 21. November 2013 bekannt, auf den Unabhängigkeitsplatz in Kyjiw zu gehen, um gegen die Weigerung des damaligen Präsidenten Janukowytsch zu protestieren, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Dieser Aufruf wird von vielen als der Beginn des Euromaidans verstanden. Später saß Najjem als Abgeord­neter in der Rada. Anschließend war er für den Rüstungskonzern Ukroboronprom und als stellvertretender Infrastrukturminister tätig.

93

 Siehe die Webseite von DREAM, <https://dream.gov. ua/en>.

94

 Huss/Keudel, National Security in Local Hands? [wie Fn. 81]; Maryna Rabinovych et al., »Explaining Ukraine’s Resilience to Russia’s Invasion: The Role of Local Governance«, in: Governance: An International Journal of Policy, Administration, and Institutions (online), 6.10.2023, doi: 10.1111/gove.12827.

95

 »Ukrainian Lawmakers Back Use of Military Taxes to Fund Arms Purchases«, Reuters, 8.11.2023, <https://www. reuters.com/world/europe/ukrainian-lawmakers-back-use-military-taxes-fund-arms-purchases-2023-11-08/>. Für den Gesetzestext siehe die Webseite des ukrainischen Parlaments, <https://zakon.rada.gov.ua/laws/show/3428-IX?lang =en#Text>.

96

 Ich danke Sabine Fischer für die Information über die Probleme mit dem Antragsverfahren.

97

 Siehe die Webseite der AUC, <https://auc.org.ua/>.

98

 Oleksandr Slobozhan (Hg.), Zbirnik krashchykh praktyk hromad u vijs’kovyj chas [Eine Sammlung erfolgreicher Methoden der Gemeinden zu Kriegszeiten], Kyjiw 2023, <https:// auc.org.ua/novyna/zbirnyk-krashchyh-praktyk-gromad-u-viyskovyy-chas>.

99

 Die Zusammenarbeit zwischen Estland und dem Gebiet Schytomyr beschrieb die Botschafterin Estlands in der Ukraine, Annely Kolk, auf einer Konferenz von Vox Ukraine am 10. November 2023, <https://2023conference.vox ukraine.org/>.

100

 Vladyslav Faraponov, »Denmark’s Support in Restoring Mykolaiv Is a Model for Ukraine’s Postwar Recovery«, Focus Ukraine (Blog, Kennan Institute, Wilson Center), 2.11.2023, <https://www.wilsoncenter.org/blog-post/denmarks-support-restoring-mykolaiv-model-ukraines-postwar-recovery>.

101

 »Ukraine, Denmark Sign Memorandum on Joint Ship Construction«, Ukrinform, 20.12.2021, <https://www.ukr inform.net/rubric-economy/3372283-ukraine-denmark-sign-memorandum-on-joint-ship-con struction.html>.

102

 »Mykolaiv to Become a Model Case for a Transparent Reconstruction Process«, EUACI News, August 2022, <https:// euaci.eu/news/mykolaiv-to-become-a-model-case-for-a-transparent-reconstruction-process>.

103

 »DRC Presence in Southern Ukraine to Reach Newly Accessible Areas«, DRC Professional, 21.2.2023, <https://pro. drc.ngo/resources/news/drc-presence-in-southern-ukraine-to-reach-newly-accessible-areas/>; Ministry of Foreign Affairs of Denmark, »Denmark Opens New Embassy Office in Mykolaiv«, 2.10.2023, <https://ukraine.um.dk/en/news/denmark-opens-new-embassy-office-in-mykolaiv>.

104

 Mariia Lukyanova/Vladlena Martsynkevych, Local Budgets and the Reconstruction of Ukraine, CEE Bankwatch Network/Ekodija, November 2023, S. 15, <https://bankwatch. org/publication/local-budgets-and-the-reconstruction-of-ukraine>.

105

 Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit diesen Fragen siehe OECD, Rebuilding Ukraine by Reinforcing Regional and Municipal Governance, Paris: OECD Publishing, 2022 (OECD Multi-level Governance Studies), doi: 10.1787/63a6b479-en (vor allem S. 15–17).

106

 Lukyanova/Martsynkevch, Local Budgets and the Recon­struction of Ukraine [wie Fn. 104], vor allem S. 9–11.

107

 Ebd., S. 15.

108

 Hierfür können Hubs, die Vertreter:innen von Zivil­gesellschaft und kommunaler Ver­waltung zusammen­bringen, eine wichtige Rolle spielen. Als Beispiel für einen bereits funktionierenden Hub in der Stadt Winnyzja siehe <https:// mistozmistiv.vn.ua/en/hub-misto-zmistiv/>.

109

 Roger Myerson, »Postwar Reconstruction Assistance and local Governments in Ukraine«, VoxEU Column, Centre for Economic Policy Research, 9.3.2023, <https://cepr.org/ voxeu/columns/postwar-reconstruction-assistance-and-local-governments-ukraine>.

110

 Im wirtschaftlichen Bereich ist eine ähnliche Entwicklung zu verzeichnen, die aber in der Studie nicht behandelt wird. Siehe zum Beispiel Anders Åslund, »Ukraine’s Wartime Economy Is Performing Surprisingly Well«, Ukraine Alert (Blog), Atlantic Council, 2.1.2024, <https://www.atlanticcouncil. org/blogs/ukrainealert/ukraines-wartime-economy-is-perfor ming-surprisingly-well/>; Iikka Korhonen, »Ukraine’s Eco­nomy Grows amidst the Rising Toll of War«, Bank of Finland Bulletin, 23.2.2024, <https://www.bofbulletin.fi/en/blogs/2024/ ukraines-economy-grows-amidst-the-rising-toll-of-war/>.

111

 Zum Nexus zwischen Reform und Erweiterung der EU siehe zum Beispiel Carlos Bastasin, Want Ukraine in the EU? You’ll Have to Reform the EU, Too, Washington, D.C.: Brookings Institution, Juli 2023, <https://www.brookings.edu/articles/ want-ukraine-in-the-eu-youll-have-to-reform-the-eu-too/>; Daniel Göler, Widening and Deepening? Preparing the EU for the Integration of New Member States, Genshagen: Stiftung Gens­hagen, Oktober 2023, <https://www.stiftung-genshagen.de/ publikationen/widening-and-deepening-preparing-the-eu-for-the-integration-of-new-member-states/>.

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