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Die syrische Interimsregierung vor dem Aus

Die von syrischen Oppositionskräften getragene Interimsregierung steht vor dem finanziellen Kollaps. Muriel Asseburg und Heiko Wimmen halten ihre Weiterfinanzierung nur dann für sinnvoll, wenn sie Teil einer Gesamtstrategie für Syrien ist, die auch die Stärkung der Opposition vorsieht.

Kurz gesagt, 25.03.2015 Forschungsgebiete

Die von syrischen Oppositionskräften getragene Interimsregierung steht vor dem finanziellen Kollaps. Muriel Asseburg und Heiko Wimmen halten ihre Weiterfinanzierung nur dann für sinnvoll, wenn sie Teil einer Gesamtstrategie für Syrien ist, die auch die Stärkung der Opposition vorsieht.

Die von der Nationalen Koalition der syrischen Oppositionskräfte getragene Interimsregierung steht vor dem finanziellen Kollaps. Die 2013 von Katar bereitgestellten Mittel von 50 Millionen US-Dollar sind aufgebraucht. Schon seit Jahresbeginn kann die Regierung ihre Angestellten im türkischen Exil sowie in den von den sogenannten moderaten Rebellen kontrollierten Gebieten Syriens nur noch unregelmäßig bezahlen. Damit droht der Zusammenbruch einer Struktur, die mit internationaler Unterstützung staatliche Dienstleistungen im Bereich der Gesundheitsversorgung, Nahrungsmittelsicherheit und Bildung bereitstellen sollte. So wollten die syrische Opposition und ihre internationalen Unterstützer den Syrerinnen und Syrern eine glaubwürdige und konkrete Alternative zum Assad-Regime und zu militanten Islamisten bieten.

Die praktische Umsetzung dieses Ziels ist jedoch weitgehend gescheitert. Die Interimsregierung ist eine Exilorganisation im türkischen Gaziantep geblieben, die keine effektive Kontrolle in den befreiten Gebieten ausübt. Weder konnte sie die internationale Gemeinschaft dazu bewegen, die fortgesetzten Angriffe des Regimes in diesen Gebieten zu unterbinden – etwa durch Einrichtung einer Flugverbotszone –, noch ist es ihr gelungen, den stetigen Vormarsch dschihadistischer Extremisten zu verhindern. Vielmehr hat die mit Al-Qaida verbundene Nusra-Front erst kürzlich die Auflösung einer der größten moderaten Rebellenformationen – der sogenannten Hazm-Bewegung – erzwungen. Die faktische Bedeutung derjenigen Kampfverbände, die zumindest nominell die Autorität der Interimsregierung anerkennen, hat sich damit weiter drastisch reduziert. Permanente Querelen um Mittelverwendung und Ämtervergabe haben überdies nicht nur die Effektivität der Interimsregierung beeinträchtigt, sondern diese für viele Syrer zu einem Inbegriff aller negativen Tendenzen der Opposition gemacht.

Internationale Gemeinschaft hat Opposition aus dem Fokus verloren

Gleichzeitig hat sich der Ansatz der »Freundesgruppe des syrischen Volkes«, deren Kern die »Londoner Elf« (Ägypten, Deutschland, Frankreich, Italien, Jordanien, Katar, Saudi-Arabien, Türkei, USA, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Arabische Emirate) bilden, gegenüber Syrien seit der rapiden Expansion des selbsterklärten »Islamischen Staates« (IS) Mitte 2014 grundlegend gewandelt. Standen vorher die Stärkung der Opposition und der Aufbau von repräsentativen und effektiven Strukturen im Vordergrund der Bemühungen, konzentrieren sich die Anstrengungen nun in erster Linie auf die militärische Bekämpfung des IS durch eine internationale Koalition unter Führung der USA. Das Interesse an syrischen Kräften, für die weiterhin der Kampf gegen das Assad-Regime Priorität hat, ist dagegen besonders in den USA und Europa deutlich in den Hintergrund getreten.

Stellungnahmen, nach denen eine »politische Lösung« des Syrienkonflikts zu einer grundlegenden Umgestaltung der politischen Ordnung und dem Abtritt des Assad-Regimes führen müsse, erscheinen so zunehmend als bloße Lippenbekenntnisse. Denn westliche Akteure sind kaum bereit, dafür materielle Ressourcen oder politisches Kapital aufzuwenden. Jüngste Vermittlungsversuche zwischen Regierung und Opposition – durch den UN-Sonderbeauftragten Steffan de Mistura und die russische Regierung – verheißen ebenfalls wenig Fortschritt.

Die Krise der Interimsregierung sollte daher Anlass sein, nicht nur deren bisheriges Wirken, sondern vor allem auch den Ansatz der internationalen Gemeinschaft gegenüber Syrien insgesamt auf den Prüfstand zu stellen.

Rolle der Interimsregierung nicht geklärt

Die Notwendigkeit, die Effizienz der Interimsregierung durch Professionalisierung, klare Kompetenzabgrenzungen und mehr Transparenz zu steigern, ist der derzeitigen Führung der Nationalen Koalition unter Khaled Khoja durchaus bewusst. Jedoch ist unklar, welche Rolle eine (reformierte) syrische Interimsregierung in der Strategie der »Freunde des syrischen Volkes« und der internationalen Koalition gegen den IS einnehmen soll. Denn die Verengung des Fokus auf eine bloße Eindämmung des IS und anderer dschihadistischer Gruppierungen ohne eine parallele, substantielle Unterstützung moderater Rebellen wird es nicht zulassen, dass die Interimsregierung effektiv Gebiete kontrollieren kann, aus denen der IS hinausgedrängt wird. Außerdem ist völlig offen, ob und wenn ja, wie die Londoner Elf ausreichend Druck auf das syrische Regime ausüben wollen (wie von US-Außenminister John Kerry gefordert) bzw. dessen wichtigsten Sponsor Iran zur Zusammenarbeit bewegen können. Dies aber wäre nötig, um ein Mindestmaß an Zugeständnissen von Seiten des Regimes zu erreichen, das eine Beteiligung der syrischen Opposition an einem Friedens- und Reformprozess überhaupt erst möglich und sinnvoll machen würde.

Wenig sinnvoll dagegen wäre es, wenn die »Freunde des syrischen Volkes« eine Weiterfinanzierung der Interimsregierung vor allem beschließen würden, um sich um das Eingeständnis zu drücken, dass ihre bisherige Syrienpolitik gescheitert ist. Denn die Regierung kann zwar ihren Angestellten im Exil und in Syrien ein Auskommen verschaffen und durch Projektarbeit in den befreiten Gebieten staatliche Dienstleistungen anbieten. Ohne effektiven militärischen Schutz kann sie aber keine nachhaltigen Strukturen aufbauen. Und ohne Aussicht auf eine verhandelte Konfliktregelung hat sie keine politische Funktion. Die fortgesetzte Finanzierung einer reformierten Interimsregierung ergibt daher nur dann Sinn, wenn sie im Rahmen einer entsprechend ausgerichteten Gesamtstrategie erfolgt, für deren Umsetzung die Unterstützer der syrischen Opposition dann auch tatsächlich politisch einstehen.

Dieser Text ist auch bei EurActiv.de und in inamo (Heft-Nr. 81, Jahrgang 21, S. 55) erschienen.