Die moderne Diplomatie ist mit fundamentalen Veränderungen konfrontiert, die in beispielloser Geschwindigkeit auf sie einstürmen: Technische Entwicklungen, insbesondere die Digitalisierung, wirken sich darauf aus, wie sie agiert. Es treten auf nationaler wie internationaler Bühne immer mehr Akteure auf, deren Tätigkeit die Diplomatie berührt; dabei geraten zunehmend auch innenpolitische Politikfelder auf die außenpolitische Agenda. Die Öffentlichkeit sensibilisiert sich für solche Fragen und strebt über soziale Medien oder andere Plattformen nach Einfluss auf die Diplomatie. Zwischenstaatlicher Austausch nimmt ebenso zu wie die innerstaatliche Interdependenz von Regierungshandeln. Inwieweit kann Diplomatie dann noch als legitime Repräsentantin einer in sich schlüssigen Außenpolitik wahrgenommen und entsprechend effektiv tätig werden? Nicht zuletzt ändern sich als Erstes die Ansprüche an Qualifikation und Persönlichkeitsprofil des diplomatischen Korps. Diese Tendenzen, allesamt Ausdruck allgemeiner gesellschaftlicher Entwicklungen, wird die Diplomatie verarbeiten und in Regierungshandeln übersetzen müssen.
Vier Bereiche sind dafür ausschlaggebend:
1. das Spannungsverhältnis zwischen individuellen Befindlichkeiten und staatlichen Erfordernissen, das ohne Nachteil für den Staat zu nutzen ist;
2. ein Einsatz der Digitalisierung, der so erfolgt, dass die Gewinne an Effizienz nicht zu Lasten der Effektivität gehen;
3. neue Formate des Interessenausgleichs, die es Regierungen erlauben, unter Einbindung von Einfluss und Potenzial anderer Akteure immer noch als souveräne Staaten tätig zu werden;
4. neue Formen offener staatlicher Tätigkeit, die dem emotionalisierten Ausdruck von Teilhabewünschen gerecht werden, ohne die Prinzipien repräsentativer Demokratie preiszugeben.
Inhaltsverzeichnis
1 Problemstellung und Empfehlungen
2 Einleitung: Auf Holzwegen oder Trittsteinen – Wohin geht die Diplomatie?
2.2 Instrumentelle Ebene: Digitalisierung
3 Diplomaten und der Einsatz von Wirtschaftssanktionen
3.1 Eine sich rasant entwickelnde Praxis
3.2 Eine hinterherhinkende Theorie
4 Populismus und die innenpolitische Herausforderung für die Diplomatie
5 Diplomatische Repräsentation: Staaten und andere Akteure
5.1.1 Von der Immunität zur Angreifbarkeit
5.1.2 Spiegel der Gesellschaft
5.1.3 Demokratisch versus autoritär regierte Staaten als Auftraggeber
5.1.4 Die Repräsentation gespaltener Gesellschaften
5.1.5 Die Repräsentation populistischer Regime
5.2 Nicht-staatliche Repräsentation
5.2.1 Supranationale Repräsentation
5.2.2 Subnationale Repräsentation
5.2.3 Transnationale Repräsentation
6 Trends und Gegentrends in der digitalen Diplomatie
6.1 Kontext: Von institutionell basierten hin zu ökosystemischen Ansätzen
6.2 Ablauf: Von Re-Aktion zu Pro-Aktion
6.3 Struktur: Von der Zentralisierung zum »Netzwerk der Netzwerke«
6.4 Post-Wahrheit: Von faktenbasiertem Denken zur Kommodifizierung von Gefühlen
6.5 Automatisierung: Vom Beziehungsaufbau zum Robotrolling
6.6 Strategische Entropie: Vom digitalen Output zu politischen Resultaten
7 Kritische digitale Diplomatie und der Einfluss der Theorie auf die Praxis
7.1 Technologie und diplomatische Praxis
7.2 Digitale Kompetenz und Wahrnehmung in der Diplomatie
7.3 Die »Softwarisierung« der diplomatischen Praxis
7.4 Mehr als das Streben nach Aufmerksamkeit im Internet
8 Ständiger Wandel: Anmerkungen zur Entwicklung der Diplomatie in der Europäischen Union
8.1 Neue Formen von Kommunikation
8.2 Neue Kompetenzen der Chefebene
8.3 Interministerieller Austausch in der Europäischen Union
8.4 Der Einfluss europäischer »Parteifamilien«
8.5 Die »Nebenaußenpolitik« von Parteien
8.6 Der Einfluss nationaler Parlamente
9 Innenpolitische Herausforderungen für die geoökonomische Diplomatie in Europa
9.1 Von Sanktionen zu Freihandelsabkommen: Geoökonomie im Aufwind
9.3 Trugschlüsse: Der Strukturalismus und die geoökonomische Diplomatie
9.4 Perspektivenwechsel: Von »diplomatischen Systemen« zu »diplomatischen Netzwerken«
10 Autismus in der Außenpolitik
10.1 Was Diplomatie leisten muss: Anforderungen an supranationale Steuerung im Wandel
10.2 Was Diplomatie leisten kann: Die Hürde nationaler Souveränitätskonzepte
10.3 Das Konzept des außenpolitischen Autismus
10.4 APA und die Europäische Union
11 Digitale Diplomatie als diplomatischer Ort: Emotion, Identität und Do-it-Yourself-Politik
11.1 Staatszentrierte digitale Diplomatie: Digitale Medien als diplomatische Instrumente
11.3 Öffentlichkeitszentrierte digitale Diplomatie: Digitale Medien und diplomatische Orte
11.3.1 Emotion als entscheidende Dynamik
11.3.2 Personalisierte Do-it-Yourself-Politik
11.3.3 Auf Geschichten basierende Narrative mit Resonanz
11.3.5 Emotion und Gemeinschaft
11.4 Implikationen und Empfehlungen
11.4.1 Die Tretmühle der staatszentrierten strategischen Kommunikation vermeiden
11.4.2 Ein Auge für öffentlichkeitszentrierte Bedürfnisse haben
11.4.3 Einfluss auf die menschliche Dimension nehmen
Problemstellung und Empfehlungen
Die moderne Diplomatie dehnt einerseits ihren Wirkungskreis aus, andererseits sieht sie sich in ihrer Tätigkeit Einflüssen und Beschränkungen unterworfen, die früher kaum bestanden oder weniger wirkmächtig waren. So haben sich Rahmen und Themenbereiche der traditionellen multilateralen Diplomatie erweitert: Die Klimakonferenz der Vereinten Nationen (UN) 2017 in Bonn ist ein Beispiel; Themen wie Klima oder Gesundheit werden heute mit Selbstverständlichkeit diplomatisch bearbeitet. Zugleich findet in Teilbereichen der internationalen Beziehungen eine Abkehr vom Multilateralismus statt. Schließlich wendet sich die Öffentlichkeit ihrerseits direkter und unmittelbarer – oft vermittelt durch die sozialen Medien – mit Forderungen an die Diplomatie, ob zur Einstellung des Walfangs oder zur Beendigung des Flüchtlingsstroms.
Solcher Wandel hat sich erst in den Jahrzehnten seit Ende des Kalten Kriegs vermehrt bemerkbar gemacht. Er verdient genauere Betrachtung, schon wegen seines Einflusses auf die Politik moderner Staaten. Es ist daher angebracht, die moderne Diplomatie einer umfassenderen Prüfung zu unterziehen. Dieser Aufgabe hat sich in den Jahren 2016 bis 2018 die Arbeitsgruppe »Diplomatie im 21. Jahrhundert« mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amts und der ZEIT-Stiftung an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) angenommen. Ihre Ergebnisse werden mit dieser Studie vorgelegt.
Die moderne Diplomatie befindet sich in einem Wandlungsprozess; dessen Geschwindigkeit dürfte jener der Veränderungen der modernen Industriegesellschaften insgesamt entsprechen. Dennoch werden die Antworten der Diplomatie darauf von Regierungen und Öffentlichkeit oft nicht wahrgenommen, weil sie sich nicht mit dem decken, was traditionell als typisch diplomatisch verstanden wird. Gleichzeitig sind sie jedoch von einschneidender Wirkung – auf das Handeln und das Selbstverständnis von Regierungen ebenso wie auf das öffentliche Verständnis von Außenpolitik.
Wer im diplomatischen Betrieb aktiv, davon betroffen ist oder ihn beobachtet, der bemerkt die raschen Veränderungen sehr wohl. Und die Tatsache, dass Diplomatinnen und Diplomaten die Folgen dieses Wandels zu steuern versuchen, zeigt sich an verschiedenen Entwicklungen aus jüngerer Zeit. Es gibt inzwischen unterschiedliche Reformanstrengungen – nach der umfassenden »Review« des Auswärtigen Amts im Jahr 2014 auch in Deutschland –, die den Austausch zwischen den Außenministerien der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) über Reformbedarf und in der Umsetzung befindliche Reformen betreffen. Bezeichnend für die Bedeutung der sich abzeichnenden Wesensveränderung der Diplomatie ist auch, dass sich selbst China damit auseinandersetzt.
Welche dieser Veränderungen werden längerfristige Wirkung haben? Wie sollten Regierungen sich darauf einstellen? Bei der Beantwortung dieser Fragen sind vier Aspekte von zentraler Bedeutung: (1) die Persönlichkeit von Diplomatinnen und Diplomaten, (2) fundamentale Wandlungsprozesse durch technische Entwicklungen, insbesondere aufgrund der Digitalisierung, (3) eine größere Zahl diplomatischer Akteure und (4) neue Befindlichkeiten verschiedener Öffentlichkeiten.
Die Heterogenität und der Pluralismus im Denken über moderne Gesellschaften kennzeichnen und beeinflussen wie alles andere auch die Diplomatie. Deren Einsatz sozialer Medien beispielsweise sendet eine »Botschaft« der von ihnen vertretenen Gesellschaft an die Außenwelt, die jenseits dessen liegen kann, was eine Regierung offiziell kommunizieren möchte. Dadurch verändern sich das Erscheinungsbild und vermutlich auch die Orientierung von Diplomatie. Das muss bei Rekrutierung, Ausbildung und Verwendung von Diplomatinnen und Diplomaten mitberücksichtigt werden.
Regierungen haben sich schon immer neuer technischer Instrumente bedient. Die Digitalisierung etwa greift in die Funktionsweise administrativen Handelns ein. Auf die Diplomatie wirkt sie hinderlich oder beschleunigend, beispielsweise bei der Erfassung und Verarbeitung von Informationen. Zudem beeinflusst die Digitalisierung über die sozialen Medien die Wahrung, den Gewinn und den Verlust von Vertrauen in den Öffentlichkeiten eines Landes und seiner internationalen Partner.
Neue Akteure mischen sich aus eigenem Antrieb in das diplomatische Geschehen ein und/oder werden bewusst zur Erledigung der neuen Aufgaben der Diplomatie einbezogen. Dabei handelt es sich zum einen um innerstaatliche Einrichtungen wie Ministerien, deren Aufgaben in die Außenpolitik hineinreichen, um internationale Organisationen oder, für Europäer wichtig, Einrichtungen der EU. Zum anderen beteiligen sich transnational tätige Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen (NGO). Während also die Personen, die im diplomatischen Dienst stehen, dank der digitalen Revolution als Individuen in der Öffentlichkeit sichtbarer auftreten, werden sie zugleich von anderen, neuen außenpolitischen Akteuren überschattet. Das Gleiche gilt, zumindest partiell, für die Diplomatie als solche.
Nicht zuletzt bilden sich unablässig neue, oft hoch emotionalisierte Befindlichkeiten von Öffentlichkeiten, die – ebenfalls vermittelt über die sozialen Medien – mit Forderungen an Regierungen herantreten. Versuchen Letztere, diesen entgegenzukommen, wird damit unmittelbar das Problem der demokratischen Legitimation solcher Öffentlichkeiten und ihrer Forderungen aufgeworfen.
Alle diese Faktoren gewinnen durch fortschreitenden interstaatlichen Austausch und innerstaatliche Verknüpfung von staatlichem Handeln und individueller Befindlichkeit zunehmend an Wucht – und schwächen den Einfluss der traditionellen Diplomatie. Diese Tendenz muss, da sie gesamtgesellschaftliche Entwicklungen spiegelt, von der Diplomatie aufgenommen und so gesteuert werden, dass sie dem künftigen Handeln von Regierungen und den Gesellschaften, die sie repräsentieren, dienlich ist. Daher:
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sind diplomatische Dienste gefordert, das Spannungsverhältnis zwischen individueller Befindlichkeit und staatlichen Erfordernissen ohne Nachteil für den Staat zu nutzen;
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ist die Digitalisierung so einzusetzen, dass der Zugewinn an Effizienz nicht zulasten der Effektivität geht;
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gilt es ferner, Formen des Interessenausgleichs und der -abstimmung zu entwickeln, die Regierungen ein Vorgehen als souveräne Staaten erlauben und zugleich den Einfluss und das Potenzial anderer Akteure nutzen;
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wirft der Umgang mit den neuen Öffentlichkeiten vermutlich die schwerwiegendsten Probleme auf und bedarf der Entwicklung neuer und offenerer Formen staatlicher Tätigkeit als bisher, die der Art und Weise gerecht werden, wie emotionalisierte Teilhabewünsche zum Ausdruck kommen.
Die Prinzipien der repräsentativen Demokratie gilt es bei all dem unbedingt zu wahren; anderenfalls wird die Legitimität staatlichen Handelns Schaden nehmen. Das ist die entscheidende Frage: Wie lassen sich Effektivität, Effizienz und damit Legitimität von Regierungsseite so gewährleisten, dass sie in der Lage ist, den staatlichen Bedürfnissen zu genügen?
Volker Stanzel
Einleitung: Auf Holzwegen oder Trittsteinen – Wohin geht die Diplomatie?
Die Diplomatie ist wie alle anderen Bereiche der öffentlichen Verwaltung auch von den großen Umbrüchen des 21. Jahrhunderts betroffen. Die Erschütterungen im Gefüge der internationalen Ordnung, die Revolution der über das Internet vermittelten und davon befeuerten globalen Kommunikation, die Legitimationsprobleme der liberalen Regierungsformen – all das scheint eine grundlegend neue Ausrichtung der Instrumente der Außenpolitik notwendig zu machen. Otto von Bismarck beschrieb die Diplomatie als nie endende Aushandlung wechselseitiger Zugeständnisse zwischen Staaten. Welchen Sinn aber hat eine so zeitraubende Kunst der Gestaltung internationaler Beziehungen heute noch?
Anfang des Jahres 2016 wurde an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) die Arbeitsgruppe »Diplomatie im 21. Jahrhundert« mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amts und der ZEIT-Stiftung eingerichtet. Diplomaten, Beobachter und Forscher aus Australien, China, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Kanada, den Niederlanden, Norwegen, Russland, Schweden und den Vereinigten Staaten (USA) arbeiten darin mit. Anders als bei der »Review«1 des Auswärtigen Amts aus dem Jahr 2014, die der Überprüfung der deutschen Außenpolitik und der Strukturen des Auswärtigen Amts diente, ist der Forschungsansatz der SWP-Arbeitsgruppe thematisch enger gefasst, aber nicht auf Erkenntnisse zur modernen Diplomatie in Deutschland begrenzt. Die zentrale Frage an Praktiker wie Akademiker in der Arbeitsgruppe lautet, ob die weltweiten Umbrüche des 21. Jahrhunderts einen grundlegenden Wandel der Diplomatie erfordern, damit sie als Werkzeug außenpolitischen Regierungshandelns mit Effektivität und Effizienz funktionsfähig bleibt und ihre Legitimität bewahrt. Die mit diesem Band vorgelegten Aufsätze spiegeln das weite Themenspektrum der Arbeitsgruppe wider. Wir haben sie nach vier Aspekten geordnet: (1) persönlichkeitsbezogenen, (2) instrumentellen, (3) institutionellen und (4) globalen.
Jenseits von Bismarcks einfacher Beschreibung wird es allerdings kompliziert. Die SWP-Arbeitsgruppe beschränkte sich deshalb als Ausgangspunkt für ihre Erörterungen auf eine nur grobe Definition von Diplomatie (die also nicht die Sicht jedes Gruppenmitglieds vollständig wiedergibt). Wir verstehen sie als pragmatischen Ansatz zur Handhabung der Beziehungen zwischen Staaten und anderen Einrichtungen im zwischenstaatlichen Raum mit dem Ziel, friedliche Konfliktlösungen zu finden. Sascha Lohmann geht in seinem Beitrag in diesem Band näher auf die Problematik der Definition ein, wenn er die Entwicklung des Einsatzes von wirtschaftlichen Maßnahmen auf den »Schlachtfeldern« der Märkte durch die moderne Diplomatie darlegt. Veränderungen in der Struktur der internationalen Staatenwelt haben in der Vergangenheit immer wieder Anpassungen des diplomatischen Handelns erfordert. Ein Beispiel ist der Wechsel von nur auf Zeit durch eine Regierung entsandten Botschaftern zur Institution dauerhaft residierender Botschafter im 15. Jahrhundert. Ähnlich weitreichende Anpassungen können heute erneut erforderlich sein, da nicht nur die öffentliche Aufmerksamkeit für das diplomatische Geschehen wächst, sondern auch der Wunsch von Öffentlichkeiten nach Teilhabe an Bereichen, die traditionell dem diplomatischen Personal und Regierungen vorbehalten waren. Neue Kommunikationsmittel sind ebenso hinzugekommen wie eine stetig zunehmende Zahl von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren. Sie alle nehmen Einfluss auf die Außenpolitik.
1. Das persönliche Element
Diplomaten – gleich welchen Geschlechts, welchen sozialen Hintergrunds oder welchen Alters – sind Bürokraten, deren persönliche Eigenschaften bei der Ausübung ihrer Tätigkeit eine außergewöhnlich große Rolle spielen. Verhandlungen erhalten ihren Charakter auch durch ihren offiziellen Gestus; die informelle Kommunikation zwischen Personen selbst aber erhält das Maß ihrer Wirksamkeit aus Verhaltensformen, welche die Komplexität von Verhandlungen, die Notwendigkeit von Vertraulichkeit und Diskretion, von Formlosigkeit ebenso wie von Formbewusstsein reflektieren. Charme, Überzeugungskraft oder Zurückhaltung klingen nach Klischees, sind aber als Bestandteile kommunikativen Verhaltens unverzichtbar und hängen eher mit dem Charakter einer Person als mit ihrer Ausbildung zusammen. Auch die moralischen Standards hängen in den säkularen und pluralistischen Gesellschaften der heutigen Zeit eher von Charakter und Erziehung ab als von gezieltem Training. Aufgrund moderner Migrationsbewegungen und Globalisierung verflechten sich diverse Kulturen, die zuvor durch Ozeane und Kontinente getrennt waren, stärker als in der Vergangenheit. Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen finden sich heute im gleichen öffentlichen Raum, und es gibt schlicht mehr Stimuli, Probleme wie die Ungleichbehandlung von Personen aufgrund von Geschlecht, Alter, Herkunft oder anderen Unterschieden persönlich zu beobachten und darüber nachzudenken. Durch die zunehmende soziale Diversifizierung können moralische Konflikte leichter als in den homogenen Gesellschaften der Vergangenheit zu Gewissensfragen werden, und der individuelle Beamte mag die Pflicht zum Widerstand empfinden – im Falle Deutschlands gemäß Artikel 20 des Grundgesetzes2 – und zum Whistleblower werden.
Heute reicht diese soziale Diversifikation, in mancher Hinsicht auch Fragmentierung, weit. Sprachkenntnisse sind heute verbreiteter, digital natives handhaben die neuen Technologien mit Selbstverständlichkeit, während Funktionsträger aus vergangenen Tagen damit kämpfen, die neuen Kommunikationswege zu verstehen und zu benutzen. Das Verständnis von Geschlechtergerechtigkeit und der Werte des Familienlebens prägt die Kommunikation eines Individuums mit seiner Umgebung und spiegelt zugleich die Werte seiner Gesellschaft wider. Und dies sind nur einige wenige Beispiele. Alles in allem sind persönliche Werte eine »Botschaft« des diplomatischen Individuums, die das Bild seines Landes ebenso wie die Reaktionen des Gastlands beeinflussen. So wichtig präzise aufgestellte Kriterien heute für die Rekrutierung künftiger Diplomatinnen und Diplomaten auch sind, fragt sich doch – und dies führt Christer Jönsson in seinem Aufsatz aus –, inwieweit diese als Persönlichkeit ihre mittlerweile vielfach auseinanderfallenden Gesellschaften noch vollständig repräsentieren können.
In einer Gesellschaft, die fragt, inwieweit bürokratische Apparate ihrer Aufgabe mithilfe rationaler Auswahl von Information und Wissen noch gerecht werden, um politische Entscheidungen sinnvoll zu befördern, ist die Versuchung für die politische Ebene groß, die traditionelle Beamtenschaft als unzeitgemäß und inhärent fehleranfällig zu stigmatisieren. Damit beschäftigt sich Andrew Cooper in seinem Aufsatz. Aber werden Entscheidungen, die Personen an der Spitze der Hierarchie treffen, von den Beamten auf der operativen Ebene nicht erst kompatibel mit den Bedürfnissen der Gesellschaft gemacht? Hierarchisierung und Bürokratisierung sind immer schon Mittel gewesen, um Machtakkumulation zu beschränken. Das hohe Maß an externen Einflüssen neben der Regierung oder sogar von außerhalb des Staates mindert aber die Einflussmöglichkeiten des individuellen Diplomaten und bedroht daher unter Umständen das demokratische Prinzip der Verantwortlichkeit von Regierungshandeln.
2. Instrumentelle Ebene: Digitalisierung
Die Fortschritte bei den modernen Kommunikationstechnologien wirken sich folgenreich auf diplomatisches Handeln aus; Corneliu Bjola spricht in seinem Aufsatz davon, dass die Digitalisierung »in den Kern der diplomatischen DNA« vordringe und damit Kreativität fördern, aber auch bestehende Staturen zerstören könne. Emillie V. de Keulenaar und Jan Melissen argumentieren, dass bestehende, gleichsam analoge Diplomatie nicht nur von Technologien überlagert wird, die ein Umfeld schaffen, das Praktiken der digital natives fördert. Ihre Analyse bietet auch Empfehlungen für Diplomaten, die neue Technologien, einschließlich sozialer Medien, immer noch als lediglich offene und frei verfügbare »Dienste« ansehen. Wegen der Bedeutung dieser Aspekte werden wir hier von allen Instrumenten der Diplomatie ausschließlich die Digitalisierung betrachten, und zwar in dreierlei Hinsicht: mit Blick auf die Beschränkung verfügbarer Zeit für Entscheidungsfindung, auf die Notwendigkeit, eingehende Information verantwortlich zu destillieren, und auf die Integration sozialer Medien.
(1) Die steigende Geschwindigkeit der Informationsübermittlung zwischen Botschaften im Ausland und dem Außenministerium sowie zwischen anderen außenpolitischen Akteuren verkürzt den Zeitraum für eine Reaktion auf ein Ereignis. Daraus resultiert eine zunehmende Belastung für die handelnden Personen sowohl an der Spitze der Hierarchien als auch dort, wo die Entscheidungsvorschläge erarbeitet werden. Quantifizieren ließe sich diese Belastung als Zeitspanne, die für das Lesen oder Hören einer Information sowie die Beratung darüber zur Verfügung steht: Je weniger Zeit es dafür gibt, desto größer ist der Druck auf die Entscheidungsträger. Geschwindigkeitsbedingt erreicht nur noch ein begrenztes Spektrum von Themen die Ebene der Verantwortungsträger. So entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen der Erwartung, dass rasch, aber umfassend informiert, dass gehandelt wird, und der Notwendigkeit, verantwortungsbewusst auf der Basis durchdachter Information zu agieren. Durch physisch relevante Faktoren wie langandauernde nächtliche Konferenzen, Reisen über mehrere Zeitzonen und überladene Terminkalender wird diese Spannung noch verschärft. Außer der Aufstockung des Personenkreises, der mit der Destillation der Informationen befasst ist, und der Verknappung der zur Kenntnis zu nehmenden Informationen ist bisher keine Lösung für diese Belastung der Entscheidungsfindung gefunden. Damit steigt das Risiko, dass falsche Entscheidungen getroffen werden, nicht durch fehlerhaftes Verständnis der bekannten Fakten (ein Risiko, das, da menschlich, immer besteht), sondern durch ein unzureichendes Zeitbudget für die Reflexion von Fakten und Handlungsoptionen.
(2) Informationen bewegen sich heute häufig auf nicht-diplomatischen Wegen – wie in den sozialen Medien –, was Kräften wie zum Beispiel Unternehmen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen, die mit Regierungen konkurrieren, die Möglichkeit eröffnet, eigenständig und womöglich früher als eine Regierung zu handeln. Diplomatie muss daher Informationen mit hoher Kompetenz brauchbar destillieren, statt sie nur zu sammeln. Diplomatie umfasst – unter anderem – die »Bereitstellung von Wissen«.3 Doch heute muss sie noch mehr sein: Wissensdestillation – und das in Echtzeit. Nur so können Informationen im Rahmen vernünftig argumentativ unterfütterter Handlungsvorschläge für die politischen Entscheider aufbereitet werden. Es droht die Gefahr, dass Entscheidungsprozeduren dem technologischen Fortschritt unterworfen werden, ohne dass ausreichend geprüft wird, wie sich Informationen schneller verfügbar machen ließen – was lebenswichtig sein kann –, ohne das Risiko von Oberflächlichkeit einzugehen. Die moderne digitalisierte diplomatische Kommunikation zielt darauf, die Reaktion auf Geschehnisse in Echtzeit zu ermöglichen; tatsächlich aber muss zwischen der Effizienzsteigerung durch größere Geschwindigkeit und der Effektivitätssteigerung durch Berechenbarkeit eine Balance gefunden werden. Sofern das gelingt – und der Versuch mag scheitern –, setzt diese Balance sich in Vertrauensgewinn aufseiten der »Endverbraucher« von Außenpolitik um. Mit »Herstellung von Vertrauen« ist deshalb moderne diplomatische Tätigkeit ebenfalls adäquat umschrieben.
(3) Regierungshandeln unterliegt heute der fortdauernden Beobachtung und Kommentierung durch die Öffentlichkeit. Die sozialen Medien lösen diese Beobachtung nicht aus, aber sie transportieren sie und die daraus folgende Konversation. Damit sind die sozialen Medien selbst als Instrumente diplomatischer Arbeit zu betrachten. Diese Arbeit ist nicht mehr wie in der Vergangenheit monologisierende Öffentlichkeitsarbeit, sondern sie strebt einen Dialog mit Öffentlichkeiten im In- und Ausland an. Unvermeidlich sehen moderne Diplomaten sich daher dem Druck ausgesetzt, soziale Medien zu nutzen, ansprechbar und damit angreifbar durch die Öffentlichkeiten zu sein. Dieser Austausch mit offiziellen Gesprächspartnern wie mit interessierten Öffentlichkeiten schafft ein weitreichendes Netzwerk von Verbindungen mit bekannten und unbekannten, einflussreichen und machtlosen Akteuren, Zuschauern und Beteiligten, unterliegt gleichzeitig aber den sprachlichen und formalen Bedingungen der neuen Medien. Unabhängig von den Kriterien ihres tatsächlichen Mehrwerts für den diplomatischen Betrieb beeinflussen soziale Medien jene, die sie konsumieren, ganz allgemein – wenn sich darin etwa nur mehr Häme über einige Politiker ergießt – und spezifisch, wenn die Nutzer beispielsweise diplomatische Maßnahmen infrage stellen. Durch kommerziell oder anders motivierten Sensationalismus, durch verzerrte Berichterstattung oder Falschmeldungen (hierin nicht viel anders als traditionelle Medien) können soziale Medien sogar Pseudokrisen schaffen, die erhebliche Ressourcen verzehren.
Ein gravierenderes Risiko, das mit dem Einsatz sozialer Medien in der Diplomatie verbunden ist, liegt in den Veränderungen, die sie im öffentlichen Denken über Außenpolitik nach sich ziehen. Politik muss heute für viele Öffentlichkeiten präsentabel und verständlich sein. Außenpolitik droht damit zum Nachteil ihrer Komplexität formuliert zu werden. Damit werden möglicherweise Entscheidungen so getroffen, dass sie leichter konsumierbar sind. Im Krisenmanagement dürfte diese Gefahr die weitreichendsten Folgen haben, schließlich wirken sich außenpolitische Maßnahmen hier unmittelbar auf das Leben von Menschen aus. Dennoch: Die Effekte der sozialen Medien sind dort am schwerwiegendsten, wo Diplomatie und Außenpolitik formuliert und entworfen werden. Denn hier lauern die größten Risiken in Gestalt von Fehlinformation, Missverständnissen und Verlust an Vertrauen in die Entscheider.
3. Institutionelle Aspekte
Diplomatie agiert grundsätzlich im Rahmen einer Gemeinschaft souveräner Nationalstaaten. Doch in der Realität zerfasert Souveränität, und globale Probleme müssen auch global gelöst werden. Vor diesem Hintergrund sind neue Foren für (Konferenz-)Diplomatie entstanden und werden immer neue internationale und supranationale Organisationen geschaffen. Die Europäische Union (EU) ist dafür ein herausragendes Beispiel. Sie besitzt Instrumente, die gewöhnlich nur Nationalstaaten zur Verfügung stehen, doch wird sie in allen Angelegenheiten, denen die Mitgliedstaaten wesentliche Bedeutung beimessen, durch die intergouvernemental arbeitenden Institutionen gelenkt. Das hat Auswirkungen auf die Diplomatie zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) illustriert dies vorzüglich. Er arbeitet Seite an Seite mit den nationalen auswärtigen Diensten und stellt insbesondere für kleinere Mitgliedstaaten kollektive Wissensressourcen bereit. So hat die Notwendigkeit globaler Steuerung eine Diplomatie hervorgebracht, die sowohl nationalstaatliche Interessen vertritt als auch supranationale Ziele verfolgt.
Diplomatie kann auch als Vermittlung zwischen Gesellschaften im Zuge eines weit gefassten Diskurses4 verstanden werden – das meint nicht notwendig eine freundschaftliche Konversation, sondern manchmal genau das Gegenteil. Ob es um den Einsatz von hard power – der Ausübung von Zwang –, soft power – gesellschaftlichem Einfluss – oder um symbolische Macht geht, Regierungen und andere international interagierende Akteure sehen sich heute gezwungen, ihr Tun nicht nur ihren offiziellen Gesprächspartnern zu erklären, sondern oft auch ihren eigenen Öffentlichkeiten sowie nicht-staatlichen Beobachtern und Akteuren jenseits der eigenen Grenzen. Die Gefahren, die vor diesem Hintergrund durch den technologischen Fortschritt und zusehends höhere Erwartungen entstehen und bis zu »außenpolitischem Autismus« führen können, beschreibt Hanns W. Maull in seinem Beitrag.
Entgegen der Hoffnung national-populistischer Bewegungen, dass Nationalstaaten ihren früheren Status als souveräne Akteure zurückgewinnen, setzt sich in der Realität der Prozess der Auflösung von physischen und nicht-physischen Grenzen mit großer Geschwindigkeit fort. Während Staaten ihren formalen Status als letzte Quelle der Legitimität nationaler und internationaler Regierungsführung zu bewahren suchen, öffnen sich für nicht-diplomatische international aktive Regierungseinrichtungen, Parlamente, international tätige Unternehmen, Medien, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) oder auch das organisierte Verbrechen Wege der Einwirkung auf eine Gesellschaft und die Staatengemeinschaft. Karsten D. Voigt beschreibt das in seinem Aufsatz für die EU. Das Interesse, das Unternehmen daran haben, die Bedingungen anderswo mitzugestalten, verleiht ihnen Einfluss auf Regierungen, die Investitionen einwerben und Arbeitsplätze schaffen wollen. Die Politik dem Namen nach souveräner Staaten hängt vom Fluss von Aktivitäten ab, die kaum noch der Regierungskontrolle unterliegen und traditionelle Grenzen überschreiten. Die offizielle Politik ist reduziert auf Versuche, Situationen zu verwalten, die aus Ereignissen außerhalb ihrer Einflusssphäre resultieren. Politische Teilhabe findet über Grenzen hinweg statt, und zwar nicht nur in Zeiten von Krisen und Kriegen. Der Diskurs über Außenpolitik in Eliten und Öffentlichkeiten entgrenzt sich ebenfalls. Dadurch entstehen Grauzonen, die in unterschiedlichem Maße mit Außenpolitik zu tun haben und sich der Verhandlungsmoderation durch Außenministerien weitgehend entziehen. Daher sind diplomatische Institutionen eher das der Außenwelt zugewandte »Gesicht« der Diplomatie als den Weltenlauf beeinflussende Entscheider. In den auswärtigen Ämtern und den Botschaften entsteht durch diese Vielfalt ein Problem der Kohärenz diplomatischer Arbeit. Dies wird noch verschärft durch die zunehmende Zahl von Vertretern anderer Regierungseinrichtungen oder Institutionen mit jeweils eigenen Agenden und Prioritäten, die den Botschaften »attachiert« sind. Diplomatische Einrichtungen, die mit derartig schwer kontrollierbaren Aufgaben konfrontiert sind, mögen in Versuchung geraten, sich in technokratische Verfahrensmodi zu flüchten und sich mit Arbeitsergebnissen zufriedenzugeben, die gerade noch »gut genug« sind. Das Risiko, Verantwortung unter dem Stress der neuen Entwicklungen zu vermeiden, kann dazu führen, dass die Quellen diplomatischer Stärke und diplomatischen Einflusses austrocknen, wie Andrew Cooper ausführt.
Die Zivilgesellschaft ist sich vermutlich nur selten der vollen Auswirkungen der Globalisierung auf das internationale Geschehen bewusst. Wenn sie sie allerdings bemerkt, formuliert sie oft Forderungen an die Außenpolitik und übt Handlungsdruck auf Politiker aus, die deren politische Möglichkeiten überschreiten. Dadurch sehen sich nicht nur Politiker, sondern auch Diplomaten gezwungen, Maßnahmen vorzuschlagen, die der Zivilgesellschaft befriedigende Lösungen versprechen. Der modernen Konferenzdiplomatie gelingt es immerhin noch, der alten bismarckschen Strategie zu folgen, um einen Konflikt so lange wie möglich zu vermeiden. Oft versuchen aber Zivilgesellschaft und andere Akteure, die Dinge in die eigene Hand zu nehmen, heute zumeist durch Institutionalisierung und Organisierung der Öffentlichkeiten. Dadurch gelingt es manchmal, Ziele zu erreichen, bei denen die traditionelle Diplomatie aufgeben muss. Der Erfolg der Pariser Klimakonferenz im Jahr 2015 hätte, wie R. S. Zaharna darlegt, ohne die Lobbyarbeit überaus aktiver NGOs, die über lange Zeiträume mit Politikern und Diplomaten zusammenarbeiteten, nicht erzielt werden können (womöglich hätte die Konferenz nicht einmal stattgefunden). Viele der UN-Nachhaltigkeitsziele wiederum lassen sich ohne den Einsatz transnational tätiger Unternehmen nicht erreichen.
Die Zivilgesellschaft ist aber auch Ursache von Bewegungen, die globalen Problemen nicht zur Lösung verhelfen, sondern sie im Gegenteil verschärfen. Die antiislamische Pegida-Bewegung in Deutschland ist dafür ein Beispiel. In den meisten Fällen aber ist die Frage, ob eine zivilgesellschaftliche Bewegung positiven oder negativen Einfluss hat, von der politischen Einstellung des Betrachters abhängig, wie sich etwa beim Konflikt über die Tätigkeit von ausländischen NGOs in China zeigt. Diplomatie, die sich dieser neuen Realität anpasst, muss zwischen ihren eigenen Zielen als demokratisch legitimierte Vertretung der gesamten Bevölkerung eines Landes und zugleich den Partikularinteressen zivilgesellschaftlicher Organisationen einen Ausgleich finden. Durch solche Anstrengungen und konfrontiert mit komplexeren operativen Aufgaben und höheren öffentlichen Erwartungen als je zuvor, wird aus Diplomatie weniger Verwaltungstätigkeit und zunehmend »Politik«. Das bedeutet, dass die Öffentlichkeiten Diplomatie dann auch wie Politik behandeln – was in Vertrauensverlust münden kann.
4. Globale Aspekte
Wie jede Form von Regierungsführung will Diplomatie erfolgreich sein. Ihr Erfolg misst sich an einer vorab festgelegten Orientierungslinie und an der Bedeutung der erreichten und nicht erreichten Ziele. Es ist vorstellbar, dass eine Außenpolitik trotz diplomatischer Fehlschläge erfolgreich ist. Die Definition von diplomatischem Erfolg muss daher auch die globalen Umstände und Zukunftsaussichten sowie die von internationalen Erfordernissen verursachten Erwartungen berücksichtigen. Zumindest Teile der nationalen Öffentlichkeiten identifizieren sich mit den Nationalstaaten der Vergangenheit. Sie erwarten erfolgreiche Außenpolitik von ihren nationalen Regierungen, sie erwarten, dass diese sie repräsentieren, und akzeptieren, dass diese Vertretung ihrer Interessen womöglich zu erheblichen Konflikten mit anderen Nationalstaaten führt. Das kann eine starke emotionaler Wirkung auf die staatliche Handhabung von diplomatischen Instrumenten entfalten; R. S. Zaharna befasst sich in ihrem Beitrag für diese Studie mit Emotion als einem (mit-)bestimmenden dynamischen Element von Außenpolitik. Es geht um das Problem der öffentlichen Erwartungen, die sich an einen Nationalstaat richten, und gleichzeitig um die Notwendigkeit, die Interessen einer Nation in einer Welt der Interdependenzen zu vertreten.
Die Frage, ob die gesellschaftlichen und globalen Veränderungen Katalysator von Homogenisierung oder Heterogenisierung der Diplomatie sind, bleibt auch in den vorliegenden Texten unbeantwortet. Staaten lernen voneinander, heute auch von den neuen internationalen Einrichtungen. Zusätzlich spielen ihre eigenen Traditionen eine Rolle. Die USA etwa werden beeinflusst durch ihre Stellung als Supermacht, in Russland und China hat die von der Kommunistischen Partei geführte Regierung durch den Primat der Ideologie über den Pragmatismus der Diplomatie Akzente gesetzt. Wie Kim B. Olsen vor dem Hintergrund solcher unterschiedlichen politisch-ökonomischen Hinterlassenschaften erklärt, fehlt es Staaten, die sich des Einflusses regierungsfremder Akteure auf die Transformation ökonomischer Macht in diplomatischen Einfluss nicht bewusst sind, grundlegend an Verständnis für die heute herrschende geoökonomische Unterfütterung diplomatischer Arbeit.
Die Rolle der Diplomatie hat in der Welt des 21. Jahrhunderts an Profil verloren; der Einfluss des diplomatischen Betriebs auf die Gestaltung der internationalen Ordnung geht zurück. Die Diplomatie befindet sich in ständiger Auseinandersetzung mit den neuen technischen Erfordernissen und Chancen, mit den Erwartungen neuer Akteure und Öffentlichkeiten und mit innergesellschaftlichen Veränderungen. Zugleich muss die Diplomatie eines Nationalstaats immer noch mit ihrem überkommenen außenpolitischen pragmatischen Rationalismus5 effektive, effiziente und (rechtlich sowie moralisch) legitime Strategien im internationalen Umfeld verfolgen. Die Fragen nach einem neuen normativen Rahmen für eine dergestalt signifikant veränderte Diplomatie und danach, ob eine solche überhaupt möglich ist, bleiben auch für die SWP-Arbeitsgruppe vorläufig offen. Eine Antwort wird wesentlich davon abhängen, ob und wie das für demokratische Regierungsarbeit unabdingbare Vertrauen der Bürger in die repräsentativen Institutionen der Außenpolitik gewonnen oder neu begründet werden kann.
Sascha Lohmann
Diplomaten und der Einsatz von Wirtschaftssanktionen
Die Diplomatie ist unmittelbar an der Androhung und schließlich Verhängung von Wirtschaftssanktionen beteiligt – einer Maßnahme, mit der die »Fähigkeit zur Unterbrechung des Handelsverkehrs«6 zum Ausdruck gebracht wird. Bisher wurde die Rolle von Diplomaten bei der Anwendung dieses spezifischen Instruments wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen aber noch nie systematisch untersucht. Ehemals im diplomatischen Dienst Stehende beschäftigen sich in ihren autobiografischen Berichten eher mit der gravierenderen Problematik von Krieg und Frieden. Und wenn sie doch einmal einzelne Fälle erörtern, in denen zur Erwirkung von Zugeständnissen auf Wirtschaftssanktionen zurückgegriffen wurde, tun sie das in der Regel auf eher anekdotenhafte Weise. Wissenschaftler wiederum bedienen sich verschiedener theoretischer Perspektiven und empirischer Nachweise, um das Thema kontextübergreifend zu generalisieren, womit sie wenig praktische Einblicke liefern, wie in konkreten Fällen zu verfahren ist.
Diplomaten aus den Vereinigten Staaten (USA) und den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) verfügen über nur recht unpräzise praktische Kenntnisse von der Anwendung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen; daher haben sie Mühe, mit dem Rückgriff auf zusehends komplexere Wirtschaftssanktionen Schritt zu halten, die immer häufiger zur Verfolgung außen- und sicherheitspolitischer Ziele verhängt werden. Bis heute existiert keine einzige offizielle US-amerikanische oder europäische Doktrin, die bei der Anwendung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen Orientierung bieten könnte. Dieser Mangel an systematischem Denken steht in krassem Gegensatz zu den ausgefeilten Militärdoktrinen, mit denen die Grundsätze für den Einsatz militärischer Gewalt festgelegt werden, in denen sowohl die auslösenden Bedingungen als auch das zweckmäßige Vorgehen und die für die Durchführung verantwortlichen Akteure detailliert aufgeführt werden. Angesichts der Tatsache, dass militärische und wirtschaftliche Macht zwei Seiten derselben Medaille sind,7 ist dieses gedankliche Ungleichgewicht kaum zu rechtfertigen. In einer Zeit, in der die Verhängung selektiver oder umfassender Handels- und Finanzsanktionen zu einer gängigen Option für Entscheidungsträger auf beiden Seiten des Atlantiks geworden ist, um der von staatlichen wie nicht-staatlichen Akteuren ausgehenden, ständig steigenden Zahl an vermeintlichen außenpolitischen Bedrohungen und Gefährdungen für die nationale Sicherheit entgegenzuwirken, könnte sich das, was bislang lediglich als beklagenswerte Lücke gilt, bald als strategischer Nachteil erweisen.
Vor diesem Hintergrund untersuche ich die sich wandelnde Rolle von Diplomaten bei der Verhängung von Wirtschaftssanktionen, wobei ich mich auf empirische Belege aus der Außen- und Sicherheitspolitik der USA und der EU stütze. Im ersten Abschnitt dieses Aufsatzes gehe ich kurz auf die Ursachen für die gestiegene Bedeutung von Wirtschaftssanktionen nach dem Zweiten Weltkrieg ein und weise auf die nachteiligen Folgen hin, dass Diplomaten hier in der heutigen Diplomatie an den Rand gedrängt werden. Im zweiten Abschnitt befasse ich mich kursorisch mit der vorliegenden politikwissenschaftlichen Literatur, die nur unzulänglich auf die Beziehung zwischen Diplomaten und dem Einsatz von Wirtschaftssanktionen eingeht. Schließlich erläutere ich im dritten Abschnitt, warum die Rolle von Diplomaten bei der Verhängung von Wirtschaftssanktionen gestärkt werden sollte, und schlage einige praktische Schritte in diese Richtung vor.
Eine sich rasant entwickelnde Praxis
Die Herrschenden haben sich in ihren grenzübergreifenden politischen Beziehungen Wirtschaftssanktionen zur Einschränkung von Handels- und Finanzinteraktionen bedient, lange bevor der Begriff »Diplomatie« im späten 18. Jahrhundert erstmals Eingang in die französischen und englischen Wörterbücher fand.8 Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts kamen derartige Sanktionen im Kreis der sich als Nationen im modernen Sinn konsolidierenden Staaten Nordamerikas und Europas zumeist nur als ergänzende Maßnahmen bei militärischen Einsätzen zur Anwendung, entweder in Form von Belagerungen zu Land oder von Seeblockaden.9 Die Überwachung und Durchsetzung der entsprechenden Einschränkungen erforderten physische Kontrollen wie das Verbot von Gütertransporten per Zug oder Schiff – eine Aufgabe, die von Angehörigen der Streitkräfte übernommen wurde.10 Erst als die neu geschaffenen internationalen Institutionen, zuerst der Völkerbund und später die Vereinten Nationen (UN), aber auch allein oder gemeinsam handelnde Nationalstaaten den Einsatz von bewaffneter Macht seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts allmählich durch Wirtschaftssanktionen ersetzten, lösten Diplomaten die Soldaten als Vermittler für die Anwendung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen ab.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind die Märkte zu einem der wichtigsten Schlachtfelder geworden.
Diese Abkehr von militärischer Gewalt und Hinwendung zu wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen ist vor allem auf drei technologische und gesellschaftliche Entwicklungen zurückzuführen: Erstens stellte das Aufkommen von Atomwaffen schnell die Zweckmäßigkeit von militärischer Gewalt infrage, da ihr Einsatz zwischen den Großmächten mit Sicherheit deren gegenseitige Zerstörung bedeutet hätte. Die Streitkräfte sollten sich später ohnehin als ein eher stumpfes und damit ineffektives Instrument erweisen, wenn es galt, mit unkonventionellen Bedrohungen fertig zu werden, die von begrenzter oder kollabierender Staatlichkeit, transnationalem gewalttätigem Extremismus und organisiertem Verbrechen ausgehen. Das heißt nicht, dass überhaupt keine militärische Gewalt mehr angewendet wird, wie die Fortsetzung verdeckter Operationen und anderer Formen eines eingeschränkten Einsatzes von Streitkräften wie Drohnen oder Cyber-Kriegsführung bis zum heutigen Tag mehr als deutlich veranschaulicht. Zweitens wird die einseitige Androhung und tatsächliche Anwendung von militärischer Gewalt moralisch geächtet und rechtlich nur noch als Ultima Ratio gebilligt, wenn sie im Rahmen der UN-Charta als Selbstverteidigung gilt oder von der Staatengemeinschaft im Sicherheitsrat abgesegnet wird. Und drittens fanden Wirtschaftssanktionen auch deshalb verstärkt Anwendung, weil sich in allen westlichen Ländern postheroische Gesellschaften herausbildeten, in denen die damit verbundenen postmateriellen Werte seither fast allergische Reaktionen auf Kriegsopfer auslösen.11 Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen ermöglicht es den Entscheidungsträgern in den USA und Europa, ihren Gegnern genauso hohe politische und wirtschaftliche Kosten wie mit einem Kriegseinsatz aufzuerlegen, um deren Entscheidungsfindung zu beeinflussen – ohne Soldaten ins Unglück schicken zu müssen. Aufgrund ihrer hohen Zweckmäßigkeit im Vergleich zu anderen politischen Instrumenten machten auch die chinesischen und russischen Regierungen Gebrauch von wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen.12 Die Veränderung im Muster der Druckausübung führte dazu, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Märkte zu einem der wichtigsten Schlachtfelder geworden sind.13
Diese Verlagerung in der Staatskunst ist in den USA besonders ausgeprägt; hier spielt das Finanzministerium jetzt eine entscheidende Rolle in der Außen- und Sicherheitspolitik und überwacht ein riesiges Regime an einseitigen Wirtschaftssanktionen, die gegen staatliche und nicht-staatliche Akteure in aller Welt verhängt wurden. Während das Außenministerium wesentlich am Aufbau enger Finanz- und Handelsbeziehungen zu anderen Nationen und – nach dem Zweiten Weltkrieg – durch internationale Institutionen beteiligt war, manipulierte das Finanzministerium diese Beziehungen zunehmend, um darüber Druck auf Gegner und Verbündete auszuüben. Innerhalb des Finanzministeriums ist das Amt für die Kontrolle von Auslandsvermögen (Office of Foreign Assets Control, OFAC) die leitende Behörde, die Finanz- und Handelssanktionen einführt und durchsetzt. Möglich ist das aufgrund von Handlungsbefugnissen in Dringlichkeitsfällen, die der Kongress dem Präsidenten in Übereinstimmung mit zwei wichtigen Gesetzen gewährte: dem Gesetz über den Handel mit dem Feind (Trading with the Enemy Act) von 1917 und dem Gesetz über wirtschaftliche Befugnisse bei einer internationalen Notlage (International Emergency Economic Powers Act) von 1977. Jeder US-Präsident seit Franklin D. Roosevelt hat in seiner Außen- und Sicherheitspolitik Wirtschaftssanktionen eingesetzt. In der Regierung von George W. Bush waren Finanzsanktionen das vorrangige Mittel im »globalen Krieg gegen den Terrorismus«. Gleichzeitig griffen die Kongressmitglieder wieder verstärkt in die Außenpolitik ein, indem sie Wirtschaftssanktionen als Mittel der Legislative nutzten, die Regierung durch die Ausweitung der Anwendungskriterien zum Handeln zwangen und die Exekutive in ihrer Macht beschränkten, Wirtschaftssanktionen aufzuheben – wie im Fall von Russland und dem Iran geschehen.
Der verstärkte Rückgriff auf Handels- und Finanzsanktionen wertete die Position leitender Beamter des Finanzministeriums auf, da sie jetzt diplomatische Aufgaben übernahmen, um sich Unterstützung für einseitig von den USA verhängte Wirtschaftssanktionen zu sichern und um Hauptstädte und Konzernhauptsitze im Ausland vor der Nichteinhaltung dieser Sanktionen zu warnen.14 Diese immer häufiger übernommenen Aufgaben unterminieren die Führungsposition von Diplomaten bei der Ausführung der US-Außen- und Sicherheitspolitik. Zwar befürchteten Diplomaten auch schon in der Vergangenheit, von anderen bürokratischen und nicht-staatlichen Akteuren in ihrer diplomatischen Tätigkeit an den Rand gedrängt zu werden, aber die aktuelle Ausgrenzung des Außenministeriums ist wahrlich beispiellos.15 Wenn auch nicht ganz so ausgeprägt, so wird doch auch innerhalb der EU deutlich, dass die Diplomaten in den Hintergrund getreten sind. In der EU beschließen ebenfalls die Regierungschefs im Europäischen Rat immer häufiger Wirtschaftssanktionen, die dann von den Bürokraten in der Europäischen Kommission und den nationalen Regierungen umgesetzt werden, wobei Diplomaten in beiden Phasen dieses politischen Prozesses lediglich eine unterstützende Rolle spielen. Tatsächlich entspricht die Zahl der Personen, die in der für Sanktionen zuständigen Abteilung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) tätig sind, in keiner Weise der stetig zunehmenden Bedeutung »restriktiver Maßnahmen«, die von der EU in den letzten beiden Jahrzehnten zur Durchsetzung ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) beschlossen wurden. Angesichts der Eingriffe anderer bürokratischer Akteure in das traditionell dem diplomatischen Korps vorbehaltene Recht, sich um ausländische Angelegenheiten zu kümmern, war es kein Zufall, dass vorwiegend Wirtschafts- und Finanzminister zugegen waren, als der UN-Sicherheitsrat am 17. Dezember 2015 die Resolution 2253 verabschiedete, mit der das bestehende multilaterale Sanktionsregime gegen Al-Qaida auf den »Islamischen Staat in Irak und der Levante« (ISIL) ausgeweitet wurde.
Eine hinterherhinkende Theorie
Der rasant zunehmende Einsatz von Wirtschaftssanktionen durch Entscheidungsträger in den USA und der EU zur Verfolgung einer wachsenden Zahl an außen- und sicherheitspolitischen Zielen erfordert entsprechende Kenntnisse darüber, wie Finanzmärkte und das globale Handelssystem funktionieren. Dieses Wissen war vor allem in den Finanz- oder Handelsministerien, den Zentralbanken und im privatwirtschaftlichen Sektor vorhanden. In den USA wurde ein neuer bürokratischer Stab gebildet, um die Nachfrage nach diesen spezifischen Kenntnissen zu bedienen. Dessen Mitarbeiter sind weder Diplomaten noch Soldaten und übernehmen dennoch Aufgaben, die zuvor ausschließlich Diplomaten übertragen wurden: zum Beispiel Verhandlungen mit ausländischen Regierungen und mit in den jeweiligen Ländern ansässigen Unternehmen über eine Zusammenarbeit bei der Gestaltung, Verhängung und Durchsetzung von Wirtschaftssanktionen. Seit den 1990er Jahren sind die Stabsmitarbeiter auch immer wieder direkt gegen staatliche und nicht-staatliche Widersacher und deren jeweilige Unterstützer vorgegangen. Diese Aktivitäten kann man als Wirtschaftskrieg ohne offizielle Kriegserklärung bezeichnen,16 die Mitarbeiter des neuen bürokratischen Stabs entsprechend als Finanzkrieger.
Dokumentiert ist das Aufkommen dieser Finanzkrieger bisher ausschließlich in autobiografischen Berichten ehemaliger Protagonisten.17 Ansonsten blieb diese Entwicklung in den vorliegenden Schriften über Diplomatie und Wirtschaftssanktionen weitgehend unerwähnt. Ein Grund dafür könnte sein, dass sich unter denjenigen, die sich praktisch und theoretisch mit internationalen Beziehungen beschäftigen, hartnäckig die irrige Meinung hält, dass Wirtschaftspolitik zur low politics zähle, während das Betreiben von Außen- und Sicherheitspolitik den Thron der high politics einnehme, wobei Letztere immer noch fest in den Händen von Diplomaten vermutet wird. Diese fragwürdige analytische Unterscheidung zwischen low politics und high politics könnte darauf zurückzuführen sein, dass im diplomatischen Korps des 19. Jahrhunderts eine beachtliche Geringschätzung für Wirtschaftsfragen gang und gäbe war. Traditionell waren die Angehörigen dieses Korps vorwiegend Aristokraten, die für die Emanzipation der mittelständischen Kaufleute nichts als tiefe Verachtung übrighatten.18 Diese analytische Unterscheidung könnte indes auch auf die Vorherrschaft der liberalen Lehrmeinung in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Wirtschaft und Politik zurückgehen sowie auf den durch den Einsatz von Wirtschaftssanktionen zutage tretenden offensichtlichen Widerspruch zu gleich zwei ihrer Grundannahmen: erstens derjenigen, dass Märkte unabhängig von staatlichen Eingriffen arbeiten, und zweitens jener, dass wirtschaftliche Verflechtungen Konflikte reduzieren. Nachdem der Merkantilismus als vorherrschendes Paradigma der internationalen politischen Ökonomie entthront worden war, übten liberale Ideen einen nachhaltigen Einfluss auf Entscheidungsträger aus, wie aus den Worten des ehemaligen US‑Außenministers Cordell Hull deutlich wird, der erklärte: »Wenn Güter die Grenzen überschreiten, werden Soldaten dies nicht tun müssen.« Aber ungeachtet ihrer Ursache wird die in der Forschung zu internationalen Beziehungen und Diplomatie getroffene analytische Unterscheidung zwischen high und low politics durch die empirische Evidenz konterkariert. Insbesondere die Verhängung von Wirtschaftssanktionen reicht schon bis zu den Stadtstaaten des antiken Griechenlands zurück. Später entwickelten sich Wirtschaft und Diplomatie Hand in Hand als Aufgaben des Außenhandels. Diese waren sowohl Ursache als auch Folge der Etablierung offizieller diplomatischer Beziehungen zwischen den Regierungen im 18. und 19. Jahrhundert.
In der Vergangenheit vernachlässigten Wissenschaftler weitgehend die den Diplomaten zur Verfügung stehenden wirtschaftlichen Instrumente. Stattdessen untersuchten sie eingehend die enge Einbeziehung von Diplomaten bei der Planung militärischer Gewaltanwendung (»andere Mittel« in der Diktion Carl von Clausewitz’ und »Diplomatie des Zwangs« bei ihren heutigen akademischen Anhängern).19 Einige Wissenschaftler aus der Unterdisziplin Diplomatische Studien haben kürzlich begonnen, Theorien über die wirtschaftlichen Ziele der Außen- und Sicherheitspolitik aufzustellen, und dafür den Oberbegriff »Wirtschaftsdiplomatie« gewählt.20 Dieser recht unscharfe Terminus umfasst eine Vielzahl an manchmal auch als Industrie- oder Handelsdiplomatie bezeichneten Bemühungen im Zusammenhang mit der Förderung und Unterstützung von Wirtschaftsinteressen im Ausland, der Aushandlung von Handelsabkommen und internationalen Instituten einer Wirtschaftsordnung21 sowie mit Entwicklungszusammenarbeit und anderen Arten von Finanzhilfen.22 Aber auch diese Literatur beschäftigt sich kaum mit den wirtschaftlichen Mitteln, die Diplomatinnen und Diplomaten bei der Verfolgung außen- und sicherheitspolitischer Ziele zur Verfügung stehen.23
Die Diplomatie muss sich mit der Abkehr von militärischer Gewaltanwendung und der Hinwendung zu wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen auseinandersetzen.
Während die Machttheorie unter der Bedingung wirtschaftlicher Verflechtungen ein zentrales Thema der realistischen Denkschule war und ist,24 fehlt es immer noch an systematischen Untersuchungen über die Anwendung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen durch die Diplomatie. David A. Baldwin kam einer solchen Untersuchung ziemlich nahe, aber letztlich scheute er sich doch davor, seine bahnbrechende Analyse wirtschaftlicher Staatskunst mit der besonderen Rolle von Diplomaten in Zusammenhang zu bringen. Er argumentierte, dass ein solcher Schritt, »den Begriff ›Diplomatie‹ so sehr erweitern würde, dass es schwerfiele, Unterschiede zwischen ›diplomatischen‹ und ›wirtschaftlichen‹ Methoden festzumachen«.25 Das ist äußerst bedauerlich, denn sein Buch hat unser Denken über die Möglichkeiten und Fallstricke des Einsatzes von Wirtschaftssanktionen erheblich geschärft.
Die Lücke schließen
Um ihre Relevanz auch für die Diplomatie im 21. Jahrhundert unter Beweis zu stellen, muss sich die Diplomatie mit der grundlegenden Abkehr von militärischer Gewaltanwendung und Hinwendung zu wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen auseinandersetzen – eine Verschiebung, die für sie die Gefahr birgt, bei der Umsetzung von Außen- und Sicherheitspolitik in den USA und EU-Mitgliedstaaten von anderen bürokratischen Akteuren weiter an den Rand gedrängt zu werden. Aufgrund ihres umfangreichen Spezial- und Allgemeinwissens als Ergebnis ihrer systematischen Aus- und Weiterbildung muss dem diplomatischen Korps weiterhin eine maßgebliche Rolle bei der Gestaltung, Verhängung und Durchsetzung von Wirtschaftssanktionen zukommen. Auch wenn im Bereich der staatlichen Politik weder ein allgemein akzeptierter erkenntnistheoretischer Kanon vorgibt, was wirtschaftliche Staatskunst ausmacht, noch in den meisten westlichen Ländern eine institutionalisierte Struktur besteht, die darauf ausgerichtet wäre, diese Staatskunst möglichst wirkungsvoll zur Anwendung zu bringen, sind Diplomaten und Diplomatinnen anerkanntermaßen besonders geeignet, beim Einsatz von Wirtschaftssanktionen als wichtigste Vermittler zu fungieren. Und das ist ihrer Fähigkeit geschuldet, miteinander konkurrierende politische Ziele im Streben nach diplomatischen Lösungen in Bezug auf ihre kurz- und langfristigen Auswirkungen zu gewichten. Ihre umfassende Sichtweise, die auf fundierten Kenntnissen der Zusammenhänge beruht – erworben durch ihren kontinuierlichen Umgang mit verschiedenen kulturellen Bedingungen –, zeichnet sie gegenüber ihren Kollegen in den Finanz- und Handelsministerien aus, die häufig auf kurzsichtige Weise begrenztere politische Ziele verfolgen. Im Hinblick auf die Verhängung von Wirtschaftssanktionen könnte Letzteres bedeuten, dass ein höherer wirtschaftlicher Druck ausgeübt und mit rigorosen Mitteln eine weltweite Einhaltung von Sanktionen durchgesetzt wird, ohne überhaupt zu überlegen, was die andere Seite eigentlich will und warum. Sir Robert F. Cooper äußerte einmal: »Diplomatie ist zum Teil Newtonsche Physik – Kraft, Druck und Hebelwirkung –, aber sie dreht sich auch darum, was die Menschen wollen.«26 So besteht der Vorteil der Diplomatie vielleicht manchmal darin, Zeit zu gewinnen – für Verhandlungen, aber auch für notwendige gesellschaftliche Veränderungen.
Eine sinnvolle Lösung könnte eine zweite Laufbahn sein, mit dem Fokus auf der Gestaltung und Umsetzung von Handels- und Finanzsanktionen.
Um die Funktion des diplomatischen Personals beim Einsatz von Wirtschaftssanktionen vor allem seitens der Regierungen von EU-Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland, auszubauen, sollte die diplomatische Laufbahn nicht nur zur Ausbildung von Generalisten führen, die sich jeder Aufgabe anpassen können. Statt das gesamte diplomatische Korps dazu zu verpflichten, für festgelegte Zeiträume an immer wieder neuen Einsatzorten zu arbeiten (eine gängige Praxis, die im Hinblick auf die Verhängung von Wirtschaftssanktionen mit ungeheuren, aber unnötigen Opportunitätskosten einhergeht), könnte eine zweite Laufbahn mit dem Fokus auf einer speziellen Ausbildung für spezifische Aufgaben wie etwa die Gestaltung und Umsetzung von Handels- und Finanzsanktionen eine sinnvolle Lösung sein. In den USA leitete die damalige Außenministerin Hillary Rodham Clinton Ende 2011 und im Jahr 2012 im Rahmen ihrer Economic Statecraft Initiative Schritte in diese Richtung ein. Auch wenn ihrer Initiative seinerzeit kaum Aufmerksamkeit zuteilwurde, führte sie doch zu dauerhaften organisatorischen Veränderungen im Außenministerium, die auf einer Würdigung der entscheidenden Rolle beruht, die Wirtschaftskraft für die US-Diplomatie spielt.27 Als Experten bei der Anwendung von Wirtschaftssanktionen könnten Diplomatinnen und Diplomaten die Regie übernehmen und andere bürokratische Akteure in der eigenen Regierung anleiten und mit den nötigen Spezialkenntnissen vertraut machen, statt sich von diesen in der diplomatischen Arbeit kaltstellen zu lassen.
Andrew Cooper
Populismus und die innenpolitische Herausforderung für die Diplomatie
In zahlreichen westlichen Ländern steht die Diplomatie inzwischen im Wesentlichen vor innenpolitischen Herausforderungen. Zwar bestehen hinsichtlich der globalen institutionellen Architektur noch immer ernsthafte Spannungen, aber sie stellen keine so existenzielle Bedrohung dar wie in den 1930er Jahren. Anders als in der damaligen Zeit kommt es heute nicht zu einer vollständigen Abkehr von internationalen Organisationen, wofür seinerzeit vor allem das Scheitern des Völkerbundes ein deutliches Zeichen war. Heute verschwinden die internationalen Organisationen nicht, sondern sie vermehren sich, wenn auch mit einer Tendenz zu informellen, sich selbst organisierenden Foren wie der G20 und dem Finanzstabilitätsrat. Im heutigen geopolitischen Umfeld gibt es auch keine Häufung totalitärer Staaten, die erpicht darauf wären, ihre Territorien mit militärischen Mitteln zu vergrößern. In vielerlei Hinsicht herrscht weiterhin ein liberaler Internationalismus, zumindest nach dem Ausmaß an komplexen Wechselbeziehungen zu urteilen. Das 21. Jahrhundert zeichnet sich nicht durch Autarkie aus (mit nationalistisch geprägten Staaten, die in ihren Einflussbereichen die alleinige Kontrolle ausüben), sondern ist von einer Hyper-Globalisierung geprägt. Davon profitieren nicht nur die gigantischen Konzerne, sondern auch große Nichtregierungsorganisationen (Oxfam, Ärzte ohne Grenzen) und philanthropische Körperschaften (Gates-Stiftung). Diese Art von Pluralismus belegt, dass wir nicht länger in einem Zeitalter der Hegemonie oder Unipolarität leben. Stattdessen haben jetzt vor allem die großen nicht-westlichen staatlichen Akteure (allen voran die BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) viele Einflussmöglichkeiten außerhalb des seit langem etablierten Rahmens der G7/8 hinzugewonnen. 2018 positionierten sich die BRICS-Staaten auf ihrem Treffen in Johannesburg eindeutig als Befürworter einer multilateralen Wirtschaftsordnung.
Ein Dilemma besteht darin, dass populistische Kräfte die Diplomatie anfechten und stigmatisieren.
Das aktuelle Dilemma dreht sich im Kern also nicht darum, dass die Diplomatie (und das diplomatische Personal in den Außenministerien) auf der Weltbühne im Verschwinden begriffen wäre, sondern darum, dass solche staatlichen Institutionen und Mechanismen innenpolitisch von populistischen Kräften angefochten und stigmatisiert werden. Ähnlich wie andere, ebenso infrage gestellte Institutionen wird die Diplomatie als restriktives Instrument angesehen, als Teil des eigennützigen herrschenden Establishments. In Anlehnung an die Theorie von Ernesto Laclau28 könnte sich die populistische Logik in einem wesentlichen Aspekt von der nationalistischen abheben. Während die Nationalisten horizontal zwischen denjenigen inner- und außerhalb des Nationalstaats (den anderen) unterscheiden, verläuft die Trennlinie für Populisten zwischen unten und oben, wobei sich Elite und »das Volk« als Underdog feindselig gegenüberstehen.
Besonders deutlich wurde die sich gegen die Diplomatie und das Außenministerium richtende Stimmung in der Brexit-Kampagne mit ihrer Abneigung gegen Insider und Gefühlsgemeinschaften sowie gegen Interessen, die über die nationalen hinausgehen. Kontroversen wie diese sind jedoch auch anderenorts zu finden. Vor allem im Zusammenhang mit Fragen der Migration wettern in verschiedenen Teilen Europas populistische Bewegungen gegen die Abwägungen diplomatischer Solidarität. Zu all dem kommt natürlich die ungeheure Herausforderung, die US-Präsident Donald Trump für die gegenwärtige diplomatische Kultur darstellt. In gewisser Hinsicht kann Trump wohl als Rückkehrer zu einer älteren Form der Diplomatie bezeichnet werden. Er zieht Ad-hoc-Prozesse vor, um damit jegliche Institutionalisierung zu umgehen, sei sie formeller (Vereinte Nationen, internationale Finanzinstitute, WTO, Nato) oder informeller Art (G20, Kontaktgruppen usw.). Gleichzeitig pflegt Trump einen personalistischen Politikstil, distanziert sich von jeglicher starren Ideologie, verfolgt in Verhandlungen einen Alles-oder-Nichts-Ansatz, bevorzugt Zweiergespräche in bilateralen Beziehungen, sorgt immer wieder für Überraschungen und ist für die direkte Kommunikation mit »seinen« Anhängern in Kombination mit seinen unberechenbaren Tweets berühmt.
Diese geballte Herausforderung für die Diplomatie und die Außenministerien im Besonderen kommt also nicht von der Peripherie des globalen Systems, wie man es eigentlich erwarten könnte. Denn schließlich gehören die kleinen Staaten zu denen, die in der globalen Finanzkrise die schwerwiegendsten diplomatischen Verluste erlitten. Zudem bleiben viele kleine Staaten bei den neuen Institutionen außen vor, nicht nur bei der G20, sondern auch bei Partnerschaften wie BRICS oder MIKTA.29 Und nicht zuletzt wurde der Raum für diplomatische Initiativen normativen Inhalts beschnitten, die zu einem beträchtlichen Teil kleine Staaten beispielsweise am Internationalen Gerichtshof in die Wege geleitet haben.
Dass die Diplomatie und das diplomatische Korps stattdessen gerade in Ländern besonders umstritten sind, die den Kern des internationalen Systems ausmachen, schafft eine Dynamik, die nur im Zusammenhang mit einer Gegenreaktion auf ein breiteres Segment einer etablierten institutionellen Kultur zu verstehen ist – was sich zu einem gewissen Grad im Aufkommen einer Prominentenkultur widerspiegelt, die eher einem personalistischen Spektakel als einer Leistungskultur verpflichtet ist. Neu und anders ist allerdings, dass sich nun Prominenz mit Populismus statt mit einer Institution verbündet. Während man Prominente wie George Clooney, Angelina Jolie und vielleicht auch Bill Gates oder Ted Turner mit den Vereinten Nationen und/oder globalen Initiativen assoziiert, die sich für die Bereitstellung globaler öffentlicher Güter einsetzen,30 sind prominente Politiker wie insbesondere Donald Trump, aber auch Boris Johnson und Beppe Grillo (der ehemalige Vorsitzende der Fünf-Sterne-Bewegung, der sich auf Innenpolitik konzentrierte, um bei einer großen Wählerschaft gut anzukommen) eher mit Populismus verknüpft.
In einer Reihe von Ländern bröckelt das Ansehen der Außenministerien. Die Ansicht, dass Diplomaten und/oder Beamte des Auswärtigen Dienstes eine einzigartige Befähigung zur Auslegung des nationalen Interesses hätten, ist zwar fest verankert und wird – als Vermächtnis einer kulturellen Abgrenzung – durch deren Sonderstellung nicht nur gegenüber anderen Teilen der staatlichen Verwaltung, sondern auch gegenüber den Bürgern allgemein noch unterstrichen. Diplomatie entwickelte sich, »um [als Vermittlerin] zwischen Staaten und Gesellschaften zu fungieren, die sich durch Institutionen, Recht, Kultur, Wirtschaft und die Sprache voneinander unterscheiden.«31 Solange die Außenministerien diesen Sonderstatus hatten (verbunden mit der Kompetenz, weitgehend als oberste Instanz für Außenbeziehungen zu agieren), verlieh dieser Umstand auch der ihnen angegliederten »Zunft« der Diplomatie beachtliche Stärken. Nun aber drängen zunehmend erregte und mobilisierte Bürgerinnen und Bürger darauf, diese Komponente des Establishments zu umgehen, wie sie es auch in der Auseinandersetzung zwischen repräsentativer und partizipatorischer Demokratie tun.
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Diplomatie und das diplomatische Korps nicht-westlicher Länder vor noch viel gewaltigeren Herausforderungen stehen, wenn ein ganzer Staat durch eine Kombination aus Prominenz und Populismus gekapert wird. Venezuela unter Präsident Hugo Chávez (1999–2013) ist dafür ein gutes Beispiel: Hier wurde charismatische Führung mit einer sogenannten Diplomatie der Völker (diplomacia de los pueblos) vermengt. Cardozo zufolge hängt der Verfall der professionellen Diplomatie zugunsten persönlicher Beziehungen und der »Diplomatie der Mikrophone« mit der »Definition von Diplomatie im Sinne von Unterstützung für das Regime«32 zusammen und ist nicht auf den Beruf des Diplomaten an sich zurückzuführen. Serbin und Serbin Pont erklären:
»Der diplomatische Dienst wurde in den Jahren 2000 und 2005 umstrukturiert. Dazu gehörten auch veränderte Anforderungen an der Diplomatischen Akademie Pedro Gual: Anwärter für den diplomatischen Dienst müssen auch einen sozialen Dienst leisten und die Strukturen der sozialen Aufgaben in Bolivien persönlich erleben sowie deren Auswirkungen auf die Revolution anerkennen.«33
Die populistische Herausforderung unterstreicht die Kluft zwischen einer als festgefahren wahrgenommenen Elite und »dem Volk«, das übermächtige Einzelpersonen als Fürsprecher annimmt. Der Personenkult ist nicht länger auf die Spitze bestimmter politischer Parteien beschränkt. Stattdessen ist der Prominentenkult frei von Loyalität gegenüber bestimmten Verhaltensmustern. Selbst die zynischsten Bürgerinnen und Bürger sind von der Ausstrahlung eigenständiger Individuen angezogen, die für das genaue Gegenteil dessen stehen, was die diplomatische Kultur repräsentiert.
Was die Herausforderung noch vergrößert, ist die Fähigkeit dieser übermächtigen Einzelpersonen, sich als Fahnenträger für die Frustrationen der einfachen Bürgerinnen und Bürger darzustellen. Sie operieren als Außenseiter durch die Benutzung loser Netzwerke anstatt der geschlossenen von Insidern. All das soll nicht heißen, dass die durch den Bedeutungsverlust der Vermittler gestärkte Gegenbewegung die gesamte Diplomatie und alle Diplomaten als unzweckmäßig abtäte. Ganz im Gegenteil: Es besteht ein auffälliger Gegensatz zwischen der allgemeinen Infragestellung der Diplomatie und der Hochachtung für bestimmte Diplomaten, wie die vielen Ehrenbezeugungen für Botschafter Chris Stevens und andere Diplomaten belegen, die 2012 bei dem Anschlag auf die amerikanische Botschaft in Bengasi ums Leben kamen. Im britischen Fall ist nicht klar, ob Angriffe auf die Diplomatie seitens populistischer Politiker wie Nigel Farage ernst gemeint sind oder einfach nur eine Reaktion auf die Bereitschaft einiger Diplomaten wie Sir Ivan Rogers, bezüglich des Brexit »den Mächtigen die Wahrheit zu sagen«. Schließlich genoss der Brexit-Befürworter sein inoffizielles Treffen mit Trump, vor allem als dieser äußerte, er, Farage, würde einen »großartigen« britischen Botschafter in den USA abgeben.
Aber trotz dieser Widersprüche ist die Herausforderung für die Diplomatie und die Außenministerien nach wie vor ernst. Angesichts des großen Verlusts an Bedeutung der Diplomaten ist es für einige Opportunisten unter den aufstrebenden führenden Politikern – selbst denen, die sich im internationalen System betätigen – offenbar reizvoll, im Rahmen einer weitergehenden Kampagne zur Stigmatisierung des traditionellen Establishments »ihre« eigenen Diplomaten noch weiter herabzuwürdigen.
Unter diesem intensiven Druck ist es nur konsequent für die Angehörigen diplomatischer Dienste, ihren Wert zu demonstrieren. In diesem Prozess könnten einige Arbeitsweisen in den Hintergrund rücken, etwa die öffentlichkeitswirksamen Bemühungen von Botschaftern und Delegationen, sich an öffentlichen Kampagnen zu beteiligen, um autokratische Regime zu kritisieren oder gar zu destabilisieren. In diese Kategorie fallen beispielsweise die Twitter-Nachrichten Michael McFauls, des damaligen US-Botschafters in Russland (2012–2014), der 60 000 Follower hat. Ein weiteres Beispiel dieser Art ist der US-Botschafter in Syrien, Robert Ford, der schon 2011 (zu Beginn der Syrienkrise) Kontakt zu Oppositionskräften aufnahm und Städte besuchte, die von den Sicherheitskräften der Assad-Regierung belagert wurden.
Angesichts der Anfechtungen durch populistische Kräfte müssen Diplomatie und Diplomaten wesentlich mehr Reaktion zeigen.
Angesichts der Anfechtungen durch populistische Kräfte müssen Diplomatie und Diplomaten wesentlich mehr Reaktion zeigen. In diesen destabilisierenden Zeiten scheint es für die Erhaltung der Organisation am besten zu sein, wenn sich die Institutionen und der Apparat der Diplomatie auf den Dienst an den Bürgerinnen und Bürgern ausrichten. Das ist mitnichten eine völlig neue Strategie, aber eine, die dem Mantra einer »öffentlichen« Diplomatie mit innenpolitischer Ausrichtung eingepflanzt werden muss. Die Diplomatie und das diplomatische Personal sollten bei jeder Gelegenheit dem Bild der »Entnationalisierung« entgegenwirken – was in den Zwischenkriegsjahren ursprünglich Sir Harold Nicolson als Sorge geäußert hatte,34 ist unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts ein Konzept, das wieder in den Vordergrund des Denkens und Handelns gerückt werden muss.
Christer Jönsson
Diplomatische Repräsentation: Staaten und andere Akteure
Repräsentation, verstanden als Vertretung anderer und Handeln in ihrem Auftrag, ist eine Kernfunktion der Diplomatie. Früher vertraten Diplomaten einzelne Herrscher, heute repräsentieren sie Staaten. Ihre repräsentative Rolle hängt von der Vormachtstellung des Staates in internationalen Beziehungen ab.
»Wenn Staaten schwächer werden, so gilt das auch für diejenigen, die sie repräsentieren und von ihnen ihre Autorität ableiten. Da sich einerseits der Trend fortsetzt, die großen globalen Fragen auch auf globaler Ebene zu entscheiden, und andererseits ein höheres Maß an Regionalisierung und Individualisierung Einzug hält, wo ist da noch Platz für einen Repräsentanten des Staates?«35
Die Repräsentation eines Staates ist im 21. Jahrhundert keineswegs unproblematisch. Im ersten Teil dieses Beitrags werde ich mich mit den wichtigsten gegenwärtigen und zukünftigen Fragen zur staatlichen Repräsentation durch Diplomatinnen und Diplomaten beschäftigen. Da allerdings im 21. Jahrhundert auch andere Akteure Anspruch auf diplomatische Vertretung erheben, die jener von Staaten entspricht, werde ich im zweiten Teil des Beitrags die Auswirkungen und Herausforderungen dieser weitergefassten diplomatischen Repräsentation erörtern.
Staatliche Repräsentation
Von der Antike bis ins Mittelalter repräsentierten Diplomaten souveräne Herrscher, wobei sie als Verkörperung dieser Herrscher galten, wenn sie an ausländischen Höfen vorstellig wurden. Auch wenn diese Sichtweise heute fremd erscheint, so ist das nach wie vor geltende Prinzip der diplomatischen Immunität tief in dieser Idee persönlicher Repräsentation verwurzelt. Die frühen Gesandten waren unantastbar, weil mit ihnen umgegangen werden musste, »als seien sie der Souverän höchstpersönlich«.36 Heute hat die diplomatische Repräsentation, die Vertretung von jemandem oder etwas, einen symbolischen Status. Der Diplomat ist daher in dem gleichen Sinne für einen Staat repräsentativ wie die Nationalflagge.
Repräsentation beinhaltet nicht nur Status (Vertretung anderer), sondern auch Verhalten (Handeln im Auftrag anderer). Wirtschafts- und Politikwissenschaftler untersuchen die Beziehungen zwischen Repräsentierten und Repräsentanten als jene zwischen Prinzipal (Auftraggeber) und Agent (Beauftragtem). Prinzipal-Agenten-Verhältnisse kommen immer dann zustande, wenn eine Partei (Prinzipal) bestimmte Aufgaben an eine andere Partei (Agent) delegiert. Diplomaten und gewählte Politiker sind offenkundige Beispiele für Agenten, die von ihren Prinzipalen (Regierungen/ Wählerschaft) mit bestimmten Aufgaben betraut wurden. Aufgrund gegensätzlicher Präferenzen oder einer Informationsasymmetrie könnten die Beauftragten andere Interessen als die ihrer Auftraggeber verfolgen. Darum geht die Aufgabenübertragung in der Regel mit Mechanismen der Kontrolle und Überprüfung einher.
Das angemessene Verhalten von Repräsentanten ist immer wieder Gegenstand intensiver Debatten, vor allem in der Literatur über die repräsentative Demokratie. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, ob die Agenten ein »imperatives Mandat« haben, also streng an die Weisungen ihrer Prinzipale gebunden sind, oder über ein »freies Mandat« verfügen, das ihnen das Recht einräumt, im Namen ihrer Auftraggeber zu handeln.37 Sie zieht die Bewertung nach sich, ob Rechenschaftspflicht oder Bevollmächtigung der Schlüssel zur Charakterisierung der Beziehung zwischen Beauftragtem und Auftraggeber ist.
Auf den ersten Blick scheint es, als hätten Diplomaten als Staatsdiener im Vergleich zum freieren Mandat gewählter Politiker ein eingeschränktes oder »imperatives« Mandat. Das wäre jedoch eine zu starke Vereinfachung. Wenn auch mit unterschiedlichen Einschränkungen versehen, lassen die Anweisungen und das Verhandlungsmandat von Diplomatinnen und Diplomaten diesen häufig innerhalb eines gewissen Rahmens durchaus Spielraum für Eigeninitiative. Die diplomatische Repräsentation fußt auf einer Zwei-Wege-Kommunikation und wechselseitiger Beeinflussung. Unter Anwendung ihres diplomatischen Talents in der Interaktion mit ihrem eigenen Außenministerium nehmen Diplomaten Einfluss auf die Anweisungen, die ihnen erteilt werden, was ihnen eine beträchtliche Handlungsfreiheit verschafft.
Kurz gesagt gehen die Vertretung anderer und das Handeln im Auftrag anderer konstant mit Dilemmata und Problemen in Bezug auf die symbolische Rolle von Diplomaten und dem Balanceakt zwischen den Extremen des imperativen und freien Mandats einher. Aber gibt es auch spezifische Probleme, die sich konkret auf die diplomatische Repräsentation im 21. Jahrhundert beziehen? Im Folgenden werde ich einige Veränderungen und Tendenzen herausarbeiten und Fragen über die damit einhergehenden Auswirkungen aufwerfen. Hinsichtlich der symbolischen Repräsentation werde ich zum einen den Wandel von Immunität zu Angreifbarkeit erörtern und zum anderen der Frage nachgehen, ob Diplomaten die Gesellschaft widerspiegeln sollten, die sie repräsentieren. Des Weiteren werde ich drei miteinander zusammenhängende Fragen zur Prinzipal-Agenten-Beziehung und zum diplomatischen Verhalten diskutieren: Welche wichtigen Unterschiede gibt es zwischen der Repräsentation eines demokratischen und der eines autoritär regierten Staates? Wie können Diplomaten gespaltene Gesellschaften repräsentieren? Und welche Probleme werden mit der Repräsentation eines populistischen Regimes assoziiert?
Von der Immunität zur Angreifbarkeit
Der Umstand, dass sie ehrwürdige Prinzipale repräsentierten – von mächtigen Monarchen zu etablierten Staaten –, garantierte den Diplomaten jahrhundertelang einen geschützten und privilegierten Status. Während die traditionellen Regeln der diplomatischen Immunität und die Privilegien in den zwischenstaatlichen Beziehungen im Großen und Ganzen weiterhin aufrechterhalten werden, hat sich die öffentliche Wahrnehmung von Diplomaten in den letzten Jahrzehnten verändert. In dem Maße, in dem sie als Symbole missliebiger Länder, Religionen oder »-ismen« gesehen werden, gilt für sie nicht länger das Grundprinzip der diplomatischen Immunität; ihre repräsentative Funktion ist vielmehr zu einer Begründung für politische Gewalt geworden. Statt unantastbar zu sein, sind Diplomaten immer mehr zu hochgradig gefährdeten Symbolen geworden.
In einer polarisierten Welt dienen Diplomaten und diplomatische Einrichtungen heute als soft targets für Terroranschläge. Von allen zwischen 1969 und 2009 gegen die Vereinigten Staaten (USA) verübten Terroranschlägen richteten sich 28 Prozent direkt gegen diplomatisches Personal. Allein im Jahr 2012 gab es 95 Angriffe auf diplomatische Einrichtungen, davon über ein Drittel auf UN-Personal.38 Infolgedessen ist die Sicherheit von Botschaften zu einem vordringlichen Anliegen avanciert. Einige der heutigen Botschaften wirken mit Stacheldrahtzaun und hohen fensterlosen Mauern wie Festungen oder Gefängnisse. Videoüberwachung, Personenschleusen, Metalldetektoren und aufprallsichere Barrieren sind nur einige Beispiele für Sicherheitsvorkehrungen für Botschaften und Konsulate. Ein altgedienter US-Diplomat spricht von einer »schleichenden Militarisierung«, da die Sicherheit von Botschaften heute von militärischen Prioritäten und Anforderungen bestimmt werde.39 Die Verbindung zum Militär spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass Botschaften und Diplomaten von Staaten und Regierungen, die gerade in militärische Operationen verwickelt sind, besonders gefährdet sind.
Das wirft die Frage auf, ob Schutz und Sicherheit von Diplomaten – beides über Jahrhunderte Markenzeichen der Diplomatie – nicht auch durch nicht-militarisierte Herangehensweisen wiederhergestellt werden könnten. Die Tendenz in Richtung zunehmender Unsicherheit und Gefährdung beeinträchtigt nicht nur die diplomatische Arbeit, sondern erschwert auch die Rekrutierung von qualifiziertem Personal.
Spiegel der Gesellschaft
Repräsentation lässt sich auch in einem anderen, wörtlicheren Sinn verstehen. Inwieweit sollten Diplomaten die soziale und ethnische Zusammensetzung der Gesellschaft widerspiegeln, die sie repräsentieren? Seit Beginn der schriftlichen Überlieferung haben diplomatische Gesandte eher einzelne Herrscher als ganze Gemeinwesen repräsentiert und kamen nicht einmal notwendigerweise aus demselben Land wie ihre Prinzipale. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein waren Diplomaten in der Regel Aristokraten, die problemlos von einem monarchischen Arbeitgeber zum anderen wechseln konnten. Die Idee, dass Diplomaten ein genaues Abbild oder typisch für die Gesellschaft sein sollten, die sie repräsentieren, ist relativ neu. Mit zunehmender Migration werden viele – wenn nicht gar die meisten – Staaten im Laufe des 21. Jahrhunderts multiethnisch und multikulturell geprägt sein. In Ländern mit erheblicher Zuwanderung, wie beispielsweise Schweden, haben Regierungen kürzlich Anstrengungen unternommen, die Einstellungsstrategien zu verändern, damit das diplomatische Korps den multiethnischen Charakter dieser Gesellschaften besser wiedergibt.
Der übliche Einwand gegen Maßnahmen, die diesen Aspekt der Repräsentation garantieren sollen, lautet, dass Diplomaten die Politik und Werte eines Staates repräsentieren sollen und nicht die soziale oder ethnische Zusammensetzung der Gesellschaft, aus der sie kommen. Es muss jedoch die Frage gestellt werden, wie wichtig der symbolische Wert einer genauen Spiegelung ihrer Gesellschaft in der Wahrnehmung relevanter Zielgruppen ist. Eine andere Überlegung ist, inwieweit es in diplomatischen Verhandlungen von Nutzen sein kann, wenn Individuen mit multikulturellem Hintergrund und Verständnis diese Verhandlungen mit dem entsprechenden Gegenüber führen. Könnten beispielsweise Diplomaten, die aus der muslimischen Bevölkerungsgruppe in Deutschland oder Schweden angeworben wurden, eine konstruktive Rolle in Verhandlungen mit arabischen Ländern spielen?
Ein weiterer Aspekt in der Repräsentationsdebatte ist die Geschlechterfrage. In vielen diplomatischen Einrichtungen in aller Welt gibt es Bestrebungen, die offiziellen und inoffiziellen Barrieren zu beseitigen und für eine Geschlechterparität zu sorgen – ein Bestreben, das sicherlich noch das gesamte 21. Jahrhundert durchziehen wird. Trotz positiver Entwicklungen in den letzten Jahren zeichnen sich diplomatische Einrichtungen immer noch durch männliche Dominanz, ein homogenes soziales Umfeld und eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung aus.40
Demokratisch versus autoritär regierte Staaten als Auftraggeber
In Abhängigkeit vom Prinzipal ändert sich auch die Art und Weise der Repräsentation. Es macht insbesondere einen Unterschied, ob der diplomatische Vertreter von einem einzelnen Prinzipal Anweisungen erhält oder von einem Gemeinwesen. Die Prinzipal-Agenten-Theorie richtet ihre Aufmerksamkeit auf die Probleme im Zusammenhang mit einem Auftraggeber-Kollektiv oder mehreren Prinzipalen, vor allem mit Blick auf die zunehmende Autonomie, die Agenten möglicherweise aufgrund rivalisierender Präferenzen unter den Prinzipalen genießen könnten. Die eindeutigen Anweisungen eines einzelnen Souveräns in früheren Zeiten ließen den Diplomaten weniger Handlungsspielraum als die häufig vagen Instruktionen, die sich in heutigen Demokratien aus Verhandlungen zwischen verschiedenen Akteuren und Behörden ergeben. In demokratischen Staaten stehen die Diplomaten also am Ende vieler Ketten von Prinzipalen und Agenten, während Diplomaten, die gegenwärtig autoritär regierte Staaten mit einem eindeutig erkennbaren Prinzipal repräsentieren, restriktivere Mandate erhalten.
Die unterschiedlichen Parameter diplomatischer Repräsentation von Demokratien und Autokratien und deren Konsequenzen sollten genauer untersucht werden.
Die zahlenmäßige Verschiebung zwischen demokratischen und autoritär regierten Staaten im 21. Jahrhundert steht im Widerspruch zu den optimistischen Vorhersagen eines endgültigen Siegs liberaler Demokratien, die nach dem Ende des Kalten Kriegs getroffen wurden. Das sollte uns veranlassen, die unterschiedlichen Parameter diplomatischer Repräsentation von Demokratien und Autokratien und die sich daraus möglicherweise ergebenden Konsequenzen genauer zu untersuchen. Ob beispielsweise Vereinbarungen demokratisch durch zivilisierte Diskussion zustande gekommen oder durch Diktat erzwungen worden sind, hat auch Auswirkungen auf die Diplomatie. Eine neue Facette in der Diplomatie des 21. Jahrhunderts ist die Nutzung digitaler Plattformen zur Informationskriegsführung durch Autokratien. Gleichzeit bietet die digitale Diplomatie demokratischen Staaten ein effektives Instrument, um die kontrollierten Medien in autoritär regierten Staaten zu umgehen.41
Die Repräsentation gespaltener Gesellschaften
Ein Sonderfall von Repräsentationsdilemmata im 21. Jahrhundert tritt in gespaltenen Gesellschaften auf. Zwei hervorstechende Beispiele sind Großbritannien nach dem Brexit-Referendum und die USA nach der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten. Diese Länder sind politisch in zwei etwa gleich große Hälften geteilt, die gegensätzliche Sichtweisen zu Fragen vertreten, mit denen Diplomaten zu tun haben. Auf der einen Seite scheint dies die Handlungsfreiheit von Diplomaten zu vergrößern. Aber auf der anderen Seite erschwert das Fehlen von entschiedenen und konsequenten politischen Linien, Standpunkten und Anweisungen den Diplomaten das Leben ganz erheblich.
Das Fehlen eines verbindlichen Konsenses kann in internationalen Verhandlungen eine ernsthafte Belastung sein, da die andere Seite versuchen mag, die internen Auseinandersetzungen und gegensätzlichen Standpunkte auszunutzen. Eine häufige und aus dem Kalten Krieg wohlbekannte Dynamik läuft darauf hinaus, dass Hardliner auf beiden Seiten dazu neigen, sich gegenseitig in ihren Positionen zu bestärken. Die Brexit-Verhandlungen werden einen bedeutenden Testfall dafür darstellen, ob die alten Muster sich auch unter den neuen Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts noch halten. Hier trifft eine zutiefst gespaltene Gesellschaft auf ein Bündnis aus vielen ungleichen Staaten – eine einzigartige Situation, die uns interessante Beobachtungen über die Repräsentation in der gegenwärtigen Welt erlauben wird.
Die Repräsentation populistischer Regime
Eine andere Schwierigkeit betrifft das Aufkommen populistischer Regime. Populismus stellt für die demokratische Repräsentation ein Problem dar. Die Populisten beanspruchen für sich, »das wahre Volk« bzw. »die schweigende Mehrheit« zu vertreten. Im Umkehrschluss würde das bedeuten, dass diejenigen, die nicht die von den Populisten verkündeten Ansichten und Ideen »des Volkes« teilen, keine legitimen Mitglieder der Gesellschaft sind. Populismus ist seinem Wesen nach antipluralistisch, was im Widerspruch zur Formel des Zusammenlebens steht, auf der Demokratie und Diplomatie beruhen: »Leben und leben lassen.«
Eine kontroverse Vorstellung von demokratischer Repräsentation auf innenpolitischer Ebene mündet in ein externes Problem diplomatischer Repräsentation. Unter Ausnutzung eines zunehmenden Misstrauens und wachsenden Argwohns in der Wählerschaft richten sich führende Populisten gegen unbestimmte und undefinierte Kräfte wie »das Establishment« oder »Experten«, die angeblich das demokratische System unterminiert haben. Neben Journalisten gehören in der Regel auch Diplomaten in diese Kategorie. Dass Fremdenfeindlichkeit häufig eine Komponente des Populismus ist, macht die Situation für Diplomaten nicht leichter. Das wirft die Frage auf, wie man einen Prinzipal repräsentieren kann, der einem misstraut. Ein typisches Beispiel dafür ist die USA unter Trump. Der Präsident hat öffentlich sein mangelndes Vertrauen ins Außenministerium erklärt und will die Ausgaben für dieses Ministerium erheblich kürzen. Zudem wurden zahlreiche Ernennungen von Botschaftern verschoben, darunter in Ländern wie Mexiko, Saudi-Arabien und der Türkei. Unter den US‑Diplomaten breitet sich eine gewisse Verzweiflung aus, und viele haben sich entschlossen, den diplomatischen Dienst zu verlassen.
Wie das aktuelle Beispiel veranschaulicht, hängt das Problem der Repräsentation populistischer Regime eng mit dem Thema unterschiedlicher Interessen von Prinzipal und Agent sowie mit der Schwierigkeit zusammen, gespaltene Gesellschaften zu repräsentieren.
Nicht-staatliche Repräsentation
Diplomatische Anerkennung ist das »Ticket für eine generelle Zulassung auf die internationale Bühne«,42 die Staaten oder staatenähnlichen Einheiten gewährt wird, nicht aber anderen einflussreichen Organisationen wie multinationalen Konzernen oder Finanzakteuren. Wird sich das staatenzentrierte Muster der diplomatischen Anerkennung und Repräsentation im 21. Jahrhundert erhalten, oder gibt es Anzeichen für mögliche Veränderungen?
Eine neuere bemerkenswerte Ausnahme vom staatszentrierten Muster ist die Anerkennung der Europäischen Union (EU) als diplomatische persona. Das wirft die Frage auf, ob diese »supranationale Herausforderung« Vorbote für den Auftritt weiterer regionaler Organisationen auf der diplomatischen Bühne ist. Da immer mehr Städte den Anspruch erheben, auf der internationalen Bühne vertreten zu sein, könnte man auch von einer »subnationalen Herausforderung« sprechen. Am wichtigsten ist allerdings die »transnationale Herausforderung« durch Organisationen und Gruppierungen, die grenzübergreifend arbeiten, aber nicht von Regierungen kontrolliert werden.
Supranationale Repräsentation
Die EU ist in der heutigen Welt das Paradebeispiel für einen supranationalen Akteur. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Dezember 2009 erhielt die EU als Ganze, und nicht nur die Kommission, den Status einer diplomatischen persona. Die »Außenministerin« der EU, die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, wird vom Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) unterstützt. Der Rekrutierungsprozess war nicht ganz unproblematisch. Im Januar 2011 wurden rund 1600 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus der Kommission und dem Ratssekretariat zum EAD versetzt. Weiteres Personal wurde unter den Diplomaten der Mitgliedstaaten rekrutiert. Die Repräsentationsfunktion der EU-Delegationen ist bereits etabliert, und die Diplomatinnen und Diplomaten der EU übernehmen eine aktive Rolle im corps diplomatique vor Ort. Dennoch bleiben einige organisatorische Fragen zu klären.43
Einige davon betreffen die Doppelfunktion, die der Dienst mit seiner Außenministerin teilt. Skeptiker fragen sich, wie die beiden Laufbahnen in der Kommission und im Ratssekretariat verschmolzen werden können. Zudem trägt die Rekrutierung von Diplomaten aus den Mitgliedstaaten zur Heterogenität und damit zu möglichen Spannungen bei. Ein anderer problematischer Aspekt der supranationalen europäischen Diplomatie hängt mit dem Fortbestehen der traditionellen, nationalen diplomatischen Repräsentation in den Mitgliedstaaten zusammen. Die EU als diplomatische persona hat die traditionelle Diplomatie in Europa nicht ersetzt, sondern ihr lediglich eine neue Ebene hinzugefügt. Einen Zusammenschluss aus verschiedenen Staaten zu vertreten, die alle ihre jeweils eigene diplomatische Repräsentation haben, ist keine einfache Angelegenheit. Und es deutet auch nichts darauf hin, dass neben der EU in absehbarer Zukunft anderen supranationalen Einheiten ein ähnlicher diplomatischer Status verliehen und eine gemeinsame Vertretung gewährt wird.
Subnationale Repräsentation
Traditionelle Diplomatie setzt eine zentralisierte Kontrolle der Interaktion über Staatsgrenzen hinweg voraus. Regionen und Städte sind daher nicht als diplomatische personae mit eigener Repräsentation anerkannt. Und das gilt auch für Bundesländer oder Bundesstaaten in föderativen Staaten. Allerdings werden subnationale Einheiten immer aktiver. Für deren grenzübergreifende Aktivitäten werden gelegentlich die Begriffe »Mikrodiplomatie« und »Paradiplomatie« verwendet.
Heute sprechen einige Autoren von einer Wiedergeburt der Städte als internationale Akteure.44 Die »Regierungen großer Städte und Ballungszentren beteiligen sich immer häufiger direkt an diplomatischen Aktivitäten, eröffnen Repräsentanzen in ausländischen Hauptstädten oder anderen großen Weltstädten und schicken ihre Bürgermeister immer häufiger auf ›Staatsbesuch‹ zu ihren ausländischen Amtskollegen.«45 Stadtregierungen betätigen sich immer öfter auf der internationalen Bühne und erhalten auch immer häufiger Anerkennung für ihre Rolle. Besondere Aufmerksamkeit wurde dem zunehmenden Engagement von Lokalregierungen in friedlichen Gegenden oder Ländern zur Unterstützung ihrer Pendants in Problemregionen auf der ersten weltweiten Konferenz über Städtediplomatie 2008 in Den Haag zuteil.46 Die Stadtregierungen haben sich in der NGO United Cities and Local Governments zusammengeschlossen, die Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen (UN) hat.
Einen Sonderfall bildet die subnationale Ebene föderativer Staaten. US-Bundesstaaten von Kalifornien über Florida und New York bis hin zu Massachusetts haben Repräsentanzen in verschiedenen ausländischen Hauptstädten. Gleiches gilt für kanadische Provinzen wie British Columbia, Quebec und Ontario. Schottland, Wales, Katalonien und Bayern sind weitere Beispiele regionaler Repräsentanzen. Öffentliche Diplomatie, das Aushandeln von Verträgen, transnationale Partnerschaften und Beteiligung an multilateralen Organisationen und Netzwerken veranschaulichen, wie sich föderale politische Einheiten diplomatisch betätigen.47
Die diplomatische Repräsentation subnationaler Akteure ist zwar noch eher eine Randerscheinung, aber aufgrund ihrer wichtigen Rolle in der Weltwirtschaft ist die Annahme nicht weit hergeholt, dass sie auch in der Diplomatie des 21. Jahrhunderts an Bedeutung gewinnen wird.
Transnationale Repräsentation
Angesichts der immer gewichtigeren Rolle von transnationalen Akteuren (TNAs) aller Art – NGOs oder zivilgesellschaftlichen Organisationen, Unterstützernetzwerken, Parteiverbänden, gemeinnützigen Stiftungen sowie multinationalen Konzernen – beanspruchen diese Akteure die Vertretung in verschiedenen diplomatischen Foren, was ihnen auch immer häufiger gewährt wird. Beispielsweise haben heute rund 3000 NGOs einen Beraterstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat der UN (ECOSOC) – gegenüber gerade mal 41 im Jahr 1948. Die Offenheit gegenüber NGOs hat sich inzwischen auch auf andere Teile des UN-Systems übertragen. Nach und nach entsteht ein Muster, wonach nur noch wenige oder gar keine UN-Organe für TNAs völlig verschlossen sind.48
Staaten und internationale Institutionen beschäftigen TNAs als Politikexperten, Dienstleister, Kontrollorgane und Aktionärsvertreter. Eine Datensammlung mit Informationen über den offiziellen Zugang von TNAs zu 298 Gremien fünfzig internationaler Organisationen im Zeitraum 1950 bis 2010 zeigt, dass 1950 kaum eine dieser Organisationen offen für TNAs war, 2010 lag die Zahl bereits bei über 75 Prozent.49
Neben dem Zugang zu diplomatischen Foren können TNAs auch über informelle Netzwerke diplomatisch tätig werden. Zu den berühmtesten Beispielen von Netzwerkarbeit zwischen Staaten, NGOs und internationalen Organisationen gehören die Prozesse, die zum Abkommen über das Landminen-Verbot (Ottawa-Vertrag) von 1997 und zur Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs im Jahr 2002 führten. Im Bereich einer globalen Gesundheitsordnung ist die Stiftung von Bill und Melinda Gates als wichtige Akteurin in Erscheinung getreten. Und die hinter populären digitalen Plattformen steckenden Akteure wie Google und Facebook haben über die Art und Weise, wie sie unseren Zugang zu Informationen organisieren, einen beträchtlichen politischen Einfluss. Sie sind zwar bisher noch nicht aktiv an diplomatischen Prozessen beteiligt, aber ihre zentrale Position in der heutigen Welt wird sie zwangsläufig noch in diesem Jahrhundert auch in den Bereich der Diplomatie locken. Auf passive Weise wirken sich diese Plattformen ohnehin schon auf diplomatisches Handeln und das internationale Ansehen von Diplomaten aus.
Insgesamt lässt sich von einer transnationalen Wende in der Diplomatie sprechen.
Insgesamt könnte man von einer transnationalen Wende in der Diplomatie sprechen. Erfahrene Diplomaten räumen ein, dass die traditionelle bilaterale und multilaterale Diplomatie »nach und nach durch transnationale Fragen ergänzt wurde, die mal zwischen einzelnen Regierungen ausgehandelt werden und mal nicht«.50 Eine Repräsentation durch TNAs ist jedoch problematisch. Auch wenn sie in der Regel behaupten, eine »globale Zivilgesellschaft« zu vertreten, so kommt doch ein überproportionaler Anteil von ihnen aus Nordamerika oder Europa. »Mit Stand 2007 stammten 66 Prozent der damals 3050 NGOs mit Beraterstatus beim ECOSOC aus Nordamerika und Europa.«51 Dieses Ungleichgewicht mindert ganz erheblich die Legitimität ihres Anspruchs, die Unterprivilegierten zu vertreten und den Stimmlosen eine Stimme zu geben. Die entscheidende Frage ist, ob TNAs aus der ärmeren Hälfte der Welt die Ressourcen aufbringen werden, um im 21. Jahrhundert in internationalen Foren vertreten zu sein.
Schlussbemerkung
Repräsentation ist kein einfaches und statisches, sondern ein komplexes und dynamisches Konzept. Veränderungen bei den Parametern der diplomatischen Repräsentation im 21. Jahrhundert erfordern von Praktikern wie Theoretikern Reflexion. In diesem Beitrag habe ich auf einige, aber keineswegs alle aktuellen Probleme der Repräsentation hingewiesen. Dabei habe ich Fragen aufgeworfen, aber keine Antworten geliefert. Mir lag vor allem daran, dass in einer Diskussion über die Entwicklung der Diplomatie im 21. Jahrhundert neben den dramatischeren Veränderungen durch die Informationstechnologie auch die subtileren Verschiebungen angesprochen werden.
Als symbolische Repräsentanten von Staaten sind die diplomatischen Vertreterinnen und Vertreter vor allem mit zwei Herausforderungen konfrontiert: Einerseits sind sie zunehmend gefährdet, andererseits wird gefordert, dass sie ihre multiethnischen Gesellschaften widerspiegeln. Die hier diskutierte Schwierigkeit, im Auftrag anderer zu handeln, hängt mit der veränderten Eigenart der Prinzipale zusammen: dem Unterschied zwischen demokratischen und autoritär regierten Staaten sowie den spezifischen Komplikationen, die mit der Repräsentation gespaltener Staaten und populistischer Regime einhergehen.
Was die nicht-staatliche Repräsentation betrifft, wird es von der ungewissen Entwicklung der EU abhängen, welche Bedeutung der supranationalen Herausforderung in Zukunft zukommen wird. Weitere regionale diplomatische Akteure sind derzeit nicht in Sicht. Subnationale Repräsentation wird aller Wahrscheinlichkeit nach weiterhin eine untergeordnete Rolle spielen, es sei denn, die Staaten nehmen ihre diplomatischen Aufgaben nicht mehr wahr. Beispielsweise hat der Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen einzelne US-Bundesstaaten dazu veranlasst, eine aktivere Rolle beim internationalen Klimaschutz zu spielen. Die transnationale Herausforderung hat dagegen transformatives Potenzial, weil sie die exklusive grenzübergreifende Autorität von Staaten unterminiert.
Repräsentation ist kurz gesagt am ehesten als Prozess und nicht als statische Beziehung zu verstehen. Es ist ein Prozess wechselseitiger Interaktion zwischen Prinzipalen und Agenten.52 Der Begriff »plastische Kontrolle«, den Karl Popper zur Beschreibung der Beziehung zwischen zwei interagierenden und indeterminierten Systemen einführte, könnte nach Ansicht einiger Autoren dazu beitragen, diese wechselseitige Beziehung zu verstehen – ein Vorschlag, der gleichzeitig auf die Schwierigkeiten hinweist, Repräsentation mit präziseren Begriffen zu definieren.53
Corneliu Bjola
Trends und Gegentrends in der digitalen Diplomatie*
Der faszinierendste und bemerkenswerteste Aspekt technologischer Umwälzungen ist ihre gleichermaßen zerstörerische wie kreative Kraft. Durch die Marginalisierung oder sogar Abschaffung bestimmter Arbeitsweisen in spezifischen Tätigkeitsfeldern rufen neue Technologien einerseits ein weitverbreitetes Abwehrverhalten hervor, einen gegen diese Technologien gerichteten aktiven und andauernden Widerstand. Andererseits bilden sie die Grundlage für neue wirtschaftliche und gesellschaftliche Chancen und stimulieren dadurch neues Denken und innovative Praktiken, die diese Technologien auf lange Sicht stärken und erhalten. Inwieweit umwälzende Technologien in der Gesellschaft verankert werden, hängt daher davon ab, wie sich die Balance zwischen den von ihnen ausgelösten Trends und Gegentrends letztlich entwickelt. Diese Beobachtung könnte sich als besonders nützlich erweisen, wenn es darum geht, die Entwicklung digitaler Diplomatie und die Auswirkungen der unlängst erfolgten Einführung digitaler Technologien in Außenministerien zu verstehen: Werden sich Gepflogenheiten und Arbeitsweisen der Diplomatie substanziell oder nur unwesentlich verändern?
Die Organisationskultur des Außenministeriums kann maßgeblich beeinflussen, ob das diplomatische Personal digitale Technologien als Bedrohung oder Bereicherung wahrnimmt.
Bei der Erkundung, welche Veränderungen digitale Technologien für diplomatische Beziehungen mit sich bringen können, sind zwei gegensätzliche Megatrends von besonderer Bedeutung. Der erste Megatrend fördert die Digitalisierung und wird von zwei Prozessen angetrieben: zum einen vom schnellen Voranschreiten des technologischen Umbruchs und zum anderen von dem entschlossenen Willen der Außenministerien, in einem zunehmend von Wettbewerb geprägten Umfeld erfolgreich zu arbeiten. Während das Telefon 75 Jahre brauchte, bevor es weltweit auf 100 Millionen Nutzer kam, benötigten Handys und deren populärste App Facebook nur 16 bzw. viereinhalb Jahre, um diese Marke zu überschreiten.54 Der technologische Fortschritt setzt daher die Außenministerien erheblich unter Druck, ihre Kompetenzen zu verbessern, um das Potenzial digitaler Technologien für ihre Arbeit zu verstehen und Strategien zu entwickeln, diese Technologien zu etablieren und auf die kurz- und langfristigen Ziele der Außenpolitik zuzuschneiden. Sollten die Außenministerien diesen Schritt nicht vollziehen, liefen sie möglicherweise Gefahr, die Ergebnisse internationaler politischer Prozesse nicht länger nennenswert beeinflussen zu können. Angesichts der immer schneller voranschreitenden technologischen Umwälzungen sollten die Außenministerien vor allem drei Bereiche genauer analysieren: den Kontext, den Ablauf und die Struktur der digitalen Umgestaltung in der Diplomatie.
Kontext: Von institutionell basierten hin zu ökosystemischen Ansätzen
Aus institutioneller Sicht bildet die Organisationskultur des Außenministeriums eine kritische Schnittstelle für die Digitalisierung und kann maßgeblich beeinflussen, ob das diplomatische Personal digitale Technologien als Bedrohung oder Bereicherung seiner Arbeit wahrnimmt.55 Da jedoch Erfolg oder Misserfolg technischer Neuerungen auch von der Beschaffenheit des sie stützenden weitergefassten Ökosystems abhängig sind, müssten Außenministerien auch den technologischen Kontext, in dem sie operieren, besser verstehen, um zu erkennen, welchen digitalen Trends sie folgen und welche sie ignorieren sollten. Die 3G-Mobiltechnologie ermöglichte beispielsweise die Entwicklung und Verbreitung der Social-Media-Netzwerke. Die 5G-Technologie, die in nur wenigen Jahren verfügbar sein soll, wird den technologischen Umbruch höchstwahrscheinlich auf eine ganz neue Ebene heben, was zur massenhaften Einführung einer breiten Palette technischer Hilfsmittel führen mag, die für die Diplomatie von großer Relevanz wären: Virtuelle (VR) und Erweiterte Realität (ER) beispielsweise könnten in der öffentlichen Diplomatie eine wichtige Rolle spielen oder die künstliche Intelligenz bei Konsulatsdienstleistungen.
Worin besteht der Unterschied zwischen AR, VR und MR? Die erweiterte Realität (ER) fügt einem realen Livebild digitale Elemente hinzu, häufig mittels einer Smartphone-Kamera. Beispiele für die erweiterte Realität sind die Snapchat-Brille und das Pokémon-Go-Spiel. Virtuelle Realität (VR) bedeutet ein komplettes Eintauchen in eine andere Realität unter Aussperrung der physischen Welt. Mit VR-Geräten wie HTC Vive, Oculus Rift oder Google Cardboard kann sich der Nutzer in eine Reihe realistischer und phantastischer Umgebungen versetzen lassen, beispielsweise mitten in eine piepsende Pinguinkolonie oder sogar auf den Rücken eines Drachens. Bei der Gemischten Realität (GR), in der ER- und VR-Elemente kombiniert werden, interagieren die reale Welt und digitale Objekte miteinander. Diese Technologie steht noch ganz am Anfang; die HoloLens von Microsoft ist eines der bekannteren ersten GR-Geräte. Quelle: siehe https://www.fi.edu/difference-between-ar-vr-and-mr |
Wie Sandre feststellt, hat die Zukunft tatsächlich schon begonnen.56 So ließ das italienische Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und internationale Zusammenarbeit im Mai 2016 verlauten, dass es sich dem Google Art & Culture Project angeschlossen habe – einer von Google entwickelten Online-Plattform zur Förderung und zum Schutz von Kulturgütern – und seine Kunstsammlung von 176 Werken virtuell ausstellen werde.57 Im Juli 2016 organisierte das zur Nato gehörende Euroatlantische Koordinierungszentrum für Katastrophenhilfe (EADRCC) in Zusammenarbeit mit Rumänien und mit Unterstützung von Nato-Strukturen, die für Gesundheit und Ernährung (JHAFG) und Zivilschutz (CPG) zuständig sind, eine Katastrophenschutzübung, bei der mithilfe von VR eine Notsituation größeren Ausmaßes mit vielen Opfern und der Evakuierung einer großen Zahl von Menschen simuliert wurde.58 Die erweiterte Realität setzt sich in der Öffentlichkeit etwas langsamer durch als die VR, aber diese Technologie entwickelt sich ebenfalls rasant59 und dürfte relativ schnell in der Lage sein, kontinuierlich neue Apps zu generieren, auch für den diplomatischen Bereich.
Ob die zweite Welle des technologischen Umbruchs Erfolg hat, wird entscheidend von der Verlässlichkeit des Ökosystems abhängen.
Immersive ER-Systeme könnten sich beispielsweise für ausgesprochen interaktive Kampagnen öffentlicher Diplomatie oder für individuell zugeschnittene Konsulatsdienstleistungen als nützlich erweisen, möglicherweise in Kombination mit der iBeacon-Technologie.60 Auch künstliche Intelligenz (KI) spielt in Konsulatsangelegenheiten eine immer größere Rolle. Am unteren Ende der Komplexitätsskala assistieren Chatbots inzwischen bei Visumanträgen, bei Rechtsbeistand für Flüchtlinge und bei konsularischen Meldeangelegenheiten.61 Ausgeklügelte Algorithmen werden von Außenministerien gegenwärtig für die Verbreitung positiver Narrative oder die Verhinderung von Online-Desinformation und ‑Propaganda entwickelt.62 Kurzum: Die zweite Welle des technologischen Umbruchs ist bereits im Gange, aber ihr Erfolg wird entscheidend von der Verlässlichkeit des Ökosystems abhängen, in dem die diplomatischen Vertretungen operieren. Dazu gehören die Verfügbarkeit superschneller Breitbandverbindungen, eine klare strategische Vision, eine hohe Nachfrage nach digitalen Diensten, Kosteneffektivität und qualifiziertes Personal.
Ablauf: Von Re-Aktion zu Pro-Aktion
Um mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten oder ihr sogar einen Schritt voraus zu sein, muss ein Umdenkungsprozess stattfinden: vom Anschluss an technische Neuerungen hin zu deren Antizipation und möglicherweise der Setzung neuer Trends. Durch ihr Reagieren auf den Aufstieg der sozialen Medien haben es die Außenministerien beispielsweise geschafft, sich den Einfluss dieser Werkzeuge zunutze zu machen, um ihre Rolle in der öffentlichen Diplomatie und der Krisenkommunikation sowie ihr Engagement für Diasporagruppen auszubauen. Durch die Vorwegnahme neuer Trends wären sie in einem zunehmend leistungsorientierten digitalen Umfeld indes noch handlungsfähiger und in der Lage, Regeln und Normen für die digitale Praxis aufzustellen, bevor andere dies tun. Auch das Setzen neuer Trends könnte sich als hilfreich erweisen, denn der Vorteil, »Erstanbieter« zu sein, vermag ihnen als Digitalpionieren zusätzliche Anerkennung und größeren Einfluss zu verschaffen und als Führenden und Neuerern im diplomatischen Bereich mehr Glaubwürdigkeit als soft power zu verleihen.
Der Weg zur Pro-Aktivität ließe sich horizontal entwickeln, indem erfolgreiche digitale Praktiken von einem diplomatischen Bereich auf andere übertragen werden (wenn beispielsweise das Krisenmanagement von der öffentlichen Diplomatie Techniken des digitalen Zuhörens übernähme), oder vertikal, indem der Eingabe-Ausgabe-Wert digitaler Technologien maximiert wird (etwa durch die effektivere Nutzung großer Datenmengen mittels prognostischer Analysen und Algorithmen). So konnte beispielsweise das von der Intelligence Advanced Research Projects Activity (IARPA) finanzierte Embers-Projekt durch die Gewinnung frei zugänglicher Daten aus sozialen Netzwerken, Satellitenbildern und Blogs seit 2012 sehr genaue Vorhersagen zu den Fallzahlen grippeähnlicher Erkrankungen, zu Ausbrüchen seltener Krankheiten, Bürgerunruhen, innenpolitischen Krisen und Wahlausgängen treffen.63 Die Analyse von Big Data könnte für diplomatische Vertretungen somit zum unverzichtbaren Hilfsmittel werden, in Echtzeit einen umfassenden, fundierten und verlässlichen Einblick in die lokalen Gegebenheiten ihres jeweiligen Einsatzortes zu erhalten, was sie wiederum in die Lage versetzen würde, ihren bilateralen diplomatischen Ansatz zu verfeinern und auf die aktuelle Situation abzustimmen.
Struktur: Von der Zentralisierung zum »Netzwerk der Netzwerke«
Ein engmaschiges digitales Netz mit einem hohen Grad an technologischer Innovation bevorzugt und belohnt Kreativität und Experimentierfreudigkeit statt Hierarchien und festgelegte Verfahrensweisen. Um technologischen Herausforderungen wirkungsvoller begegnen zu können, müssten Außenministerien demzufolge die Beschränkungen der institutionellen Zentralisierung lockern und stattdessen Formen und Modi digitaler Interaktion fördern, die auf das spezifische Profil der sie konstituierenden diplomatischen Netzwerke zugeschnitten sind. Wie die Autoren des »Future of Diplomacy Report« feststellen, verändert sich das Wesen des nationalen diplomatischen Umfelds von einem System, in dem das Außenministerium eine Vorrangstellung hatte, zu einem System, in dem dieses Ministerium in ein größeres Gefüge eingebunden ist: das Nationale Diplomatiesystem (NDS). Dieses besteht aus einem komplexen Netz von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen (NGO), welche die internationalen politischen Ziele eines Landes prägen und beeinflussen.64 Auf diesem Verständnis aufbauend könnte man argumentieren, dass sich die digitale Architektur der Außenministerien am besten mit dem Konzept des Digitalen Diplomatiesystems (DDS) erfassen ließe. Damit ist das »Netzwerk der Netzwerke« gemeint, das Botschaften, Konsulate, Denkfabriken, privatwirtschaftliche Unternehmen, internationale Organisationen und zivilgesellschaftliche Gruppierungen umfasst, die das digitale diplomatische Profil eines Landes mitbestimmen und mitgestalten.
Das DDS besteht aus drei Hauptebenen. Die erste Ebene ist nachfrageorientiert und verbindet institutionelle Akteure, Gruppen und Stakeholder, die unmittelbar von digitalen Diplomatieprogrammen profitieren. Dazu können Diasporagruppen zählen, die gute digitale Konsulatsdienste benötigen, Botschaften, die an kritischen Orten vor diplomatischen Herausforderungen stehen, sowie Denkfabriken, die Außenministerien in digitalen Angelegenheiten beraten. Die zweite Ebene ist funktional und aufgabenorientiert. Diplomatische Vertretungen bei internationalen Organisationen würden beispielsweise von engen Kooperationen profitieren, die das Potenzial digitaler Technologien in multilateralen Zusammenhängen erkunden und erproben. Ebenso könnten sich Botschaften und Konsulate in konfliktträchtigen Regionen über Erfahrungen und bewährte Vorgehensweisen beim Einsatz digitaler Technologien in Krisensituationen austauschen. Die dritte Ebene ist technologie- und praxisorientiert und darum bemüht, die digitale Erneuerung und die Verbreitung bewährter digitaler diplomatischer Vorgehensweisen voranzutreiben. Digitale Wegbereiter, die in Botschaften tätig sind, Wissenschaftler, die digitale Praktiken der Diplomatie erforschen, und private IT-Firmen sind höchstwahrscheinlich die Knotenpunkte dieses Netzwerks. Die drei Ebenen des DDS sind flexibel strukturiert. Ihre Aufgabenbereiche kollidieren oder kreuzen sich vielleicht hier und da, aber sie können in den Außenministerien für einen dringend notwendigen Kreativitätsschub, vorwärtsgewandtes Denken und Ambitionen in Bezug auf Ziele und Strategien digitaler Diplomatie sorgen, und zwar auf eine Weise, die keine grundsätzliche Neuordnung der institutionellen Struktur erfordert.
Der zweite Megatrend weist in die entgegengesetzte Richtung und befördert den Widerstand gegen den Einsatz digitaler Technologien. Anders als im zuvor beschriebenen Fall, wo Außenministerien fürchten, Möglichkeiten zu verpassen, die sich durch technologische Durchbrüche eröffnen, wirft dieser Gegenentwurf die Frage auf, ob der Preis für die Digitalisierung nicht höher sei als ihr Nutzen. Paradoxerweise könnte der Erfolg der Digitalisierung einen starken Gegentrend zu den Bestrebungen von Außenministerien auslösen, digitale Technologien weiter in ihre Arbeit zu integrieren und zu institutionalisieren. Emotionale Ansteckung, algorithmischer Determinismus und strategische Entropie sind drei Formen, in denen sich dieser Gegentrend am ehesten manifestieren wird.
Post-Wahrheit: Von faktenbasiertem Denken zur Kommodifizierung von Gefühlen
Die diplomatische Tätigkeit erfordert ein Mindestmaß an gemeinsamem Verständnis und gegenseitiger Offenheit. Die Chancen darauf können sich verringern, wenn der meinungsbildende Online-Diskurs übermäßig mit Emotionen befrachtet ist und Fakten nur eine untergeordnete oder marginale Rolle spielen. Die Kommodifizierung von Gefühlen – die gezielte Verstärkung emotionaler Inhalte im Online-Diskurs – ist zu einer üblichen Form der Mitwirkung auf Social-Media-Plattformen geworden, da sie es digitalen Influencern erleichtert, Rahmen und Richtung der Online-Diskussion zu kontrollieren. Beiträge, die heftige Emotionen auslösen, ganz gleich, ob positive oder negative, haben ein größeres virales Potenzial als jene, die nur in geringen Umfang Emotionen bedienen.65 Gleichzeitig kann die emotionale Valenz – der Grad an Positivität oder Negativität einer Emotion – durch übermäßige Präsenz die gewünschten Reaktionen beim Publikum auslösen.66 Die Kommodifizierung von Gefühlen wirkt sich aus zwei Gründen negativ auf die digitale Diplomatie aus. Zum einen ermöglicht sie die Entstehung von Echokammern, wodurch die Außenministerien und Botschaften letztlich nur noch die ihnen wohlgesinnten Follower erreichen, aber niemanden außerhalb dieser sich selbst bestätigenden »digitalen Blase« von Gleichgesinnten.67 Zum anderen fördert sie eine Kultur der »Post-Wahrheit«, in der »Fake News« und Desinformation florieren, was es digital agierenden Diplomaten schwerer macht, ihren Anliegen Ausdruck zu verleihen und auf ihr Publikum einzugehen oder sich gegen diffamierende Äußerungen zur Wehr zu setzen.
Aber da die Verbindung zwischen Emotionen und sozialen Medien immer enger und komplexer wird, lässt sich die Frage nicht länger ignorieren, wie sich auf dem digitalen Parkett bewegende Diplomaten an eine emotional aufgeladene Form der sozialen Kommunikation anpassen können. Das Konzept der Digitalen Emotionalen Intelligenz (DEI) könnte hier eine Lösung bereithalten. Das von Salovey und Sluyter entwickelte Konzept deckt vier verschiedene Dimensionen ab, nämlich die Fähigkeiten:
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Emotionen akkurat wahrzunehmen und zu erleben,
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emotionale Informationen zu nutzen, um Gedanken und Handlungen zu erleichtern,
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Bedeutung und Relevanz von Emotionen zu verstehen,
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mit Emotionen bei sich selbst und anderen umzugehen.68
Die DEI kann die Bildung von Echokammern oder die Verbreitung digitaler Propaganda nicht verhindern, aber Nutzern sozialer Medien helfen, besser damit zurechtzukommen. So kann die DEI digitalen Nutzern beispielsweise beibringen, besser zwischen echten und falschen Emotionen zu unterscheiden, ihnen ein tieferes Verständnis dafür vermitteln, wie Emotionen ihr Denken beeinflussen, sie befähigen, die Ursprünge und Auswirkungen ihrer Emotionen zu erkennen und den Grad ihrer Distanz oder Nähe zu einem emotionalen Auslöser in einer bestimmten Situation zu steuern. Durch genaues Beobachten, wie echt und intensiv die Gefühle der Menschen in einer bestimmten Online-Kommunikationssituation sind, lassen sich peinliche Momente mit potenziell störenden Auswirkungen auf bilaterale Beziehungen vermeiden. Kurz gesagt könnte die DEI das sorgfältige digitale Navigieren durch emotionsgeladene Situationen erleichtern und die Konversation zurück auf einen Weg führen, der von faktenbasierten Argumenten bestimmt ist. Daher sollten Außenministerien und Regierungen in die Fortbildung ihres Personals investieren, um besser für die Navigation in diesem digitalen Umfeld gerüstet zu sein.
Automatisierung: Vom Beziehungsaufbau zum Robotrolling
Das Interesse der Außenministerien an digitalen Technologien gründet sich in erster Linie auf deren Potenzial, Online-Influencer zu erreichen und verschiedene Netzwerke aufzubauen, um mit den unterschiedlichsten Personenkreisen in Kontakt zu treten. Durch die Digitalisierung wurde die einst geheimnisvolle und exklusive Domäne der Elite zu einem Instrument für die Massen; Diplomaten sind gefordert, sich regelmäßig vor ihren einst verschlossenen Türen umzusehen, und, vielleicht wichtiger noch: Sie müssen sich von den Bürgerinnen und Bürgern zum ersten Mal über die Schulter schauen lassen.69 Die Möglichkeit, Millionen Menschen unmittelbar und in Echtzeit zu erreichen, stellt somit für die Außenministerien eine außergewöhnliche Gelegenheit dar, sich im digitalen Zeitalter neu zu definieren, auch durch den Aufbau stabiler Beziehungen zu ausländischen Öffentlichkeiten. Diese Fähigkeit könnte jedoch durch den zunehmenden Einsatz von Algorithmen als Werkzeug der Konversationsüberwachung, Themensetzung und Nachrichtenverbreitung auf eine harte Probe gestellt und beeinträchtigt werden. Neuere Studien belegen, dass bis zu 15 Prozent der Twitter-Konten nicht von Menschen, sondern von Bots betrieben werden, und dieser Anteil wird in Zukunft sicherlich noch steigen.70 Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass sich die Chancen von Außenministerien und Botschaften, sinnvolle Beziehungen mit Online-Öffentlichkeiten aufzubauen, drastisch verringern werden, sobald die Zahl der mit künstlicher Intelligenz betriebenen Accounts im Netz die der menschlichen Nutzer übersteigt.
Aber nicht nur die Präsenz von Algorithmen kann die digitale diplomatische Interaktion behindern, sondern auch der Zweck ihrer Verwendung. Interessanterweise zeigt sich die »dunkle Seite« der Digitaltechnik (wie Desinformation, Propaganda und Informationskrieg) als äußerst fruchtbarer Boden für die Verbreitung von Bots. So geht beispielsweise aus einem aktuellen Bericht des Nato-Exzellenzzentrums für strategische Kommunikation in Lettland hervor, dass bei der »Twitter-Konversation« über Nato-Themen hauptsächlich Bots mit anderen Bots diskutieren, dass Bots Inhalte von Drittparteien verbreiten und dass sie nach und nach immer glaubwürdigere Profile aufbauen.71 Es bestehen auch Befürchtungen, dass künstliche Intelligenz es Widersachern bald leichter machen könnte, Bündnisse zu spalten und zu demoralisieren, indem sie beispielsweise Misstrauen zwischen Staaten sät, die auf der gleichen Seite stehen, und deren Nachrichtendienste diskreditiert.72 Diese Entwicklungen beziehen sich zwar vorwiegend auf nachrichtendienstliche und militärische Angelegenheiten, haben jedoch auch bedeutende Auswirkungen auf die Diplomatie, denn dieser Einsatz von KI ist primär auf die Zerstörung und nicht den Aufbau politischer Institutionen und diplomatischer Beziehungen ausgerichtet.
Digitale Diplomatie ist kein Selbstzweck, sondern soll außenpolitischen Zielen dienen.
Robotrolling (also die Anwendung von Algorithmen zur Verbreitung und/oder Störung von Online-Inhalten) gehört inzwischen zur digitalen Landschaft, und solange keine Regeln für die Aufhebung der Anonymität von Nutzern sozialer Medien eingeführt werden, bleibt dies wohl auch so. Digital arbeitende Diplomaten können daher vielleicht nicht gänzlich verhindern, dass künstliche Intelligenz ihre Bemühungen um Beziehungsaufbau untergräbt, aber sie sind möglicherweise in der Lage, die negativen Auswirkungen zumindest teilweise einzudämmen. Beispielsweise sollten die »drei As« (Aktivität, Anonymität, Amplifikation) zur Entlarvung und Identifizierung von Bots und Bot-Netzen73 in der Diplomatie allgemein bekannt gemacht werden, um das Bewusstsein für und den Widerstand gegen mögliche Manipulationsquellen zu stärken. Gleichzeitig stünden Außenministerien ihrerseits KI-Hilfsmittel (wie der Google-Service »Perspective«) zur Verfügung, um ihre begrenzten Mittel für die Erkennung und Filterung beleidigender, ihre Online-Diskussion störender Kommentare zu erweitern.74 In gravierenderen Fällen, wenn das Robotrolling sich nicht auf Desinformation beschränkt, sondern in aggressive Propaganda und Informationskrieg ausartet, wären komplexere Maßnahmen der digitalen Eindämmung in Betracht zu ziehen. Diese müssten darauf zielen, die Medienkompetenz und kritische Beurteilung von Quellen zu verbessern, die institutionelle Widerstandsfähigkeit zu untermauern und ein klares, schlüssiges strategisches Narrativ zu fördern, das imstande ist, die Bedrohung durch widersprüchliche Gegennachrichten im Zaum zu halten.75
Strategische Entropie: Vom digitalen Output zu politischen Resultaten
Wir sollten uns außerdem darauf besinnen, dass digitale Diplomatie kein Selbstzweck ist, sondern außenpolitischen Zielen dienen soll. Die von technologischen Neuerungen verursachten Umbrüche können allerdings zumindest in der Anfangsphase dazu führen, dass sich die digitale Diplomatie von der Außenpolitik abkoppelt. Eine übereilte Einführung digitaler Hilfsmittel ohne eine übergreifende Strategie, wie sich damit konkrete außenpolitische Ziele erreichen lassen, würde voraussichtlich zu Problemen bei der Koordinierung und Umsetzung politischer Strategien führen. In Botschaften tätige Digitalenthusiasten bemühen sich möglicherweise besonders in der öffentlichen Diplomatie darum, Experimente und Neuerungen voranzutreiben – mal mehr und mal weniger erfolgreich. Gleichzeitig könnten die unter finanziellem und organisatorischem Erfolgsdruck stehenden »Bürokraten« der Außenministerien versuchen, den Prozess der Digitalisierung zu verlangsamen und ihn dem Tempo der außenpolitischen Entscheidungsfindung anzugleichen. Dieses »Tauziehen« zwischen Digitalenthusiasten und ‑skeptikern setzt Außenministerien dem Risiko aus, entweder unterfinanzierte Digitalisierungskampagnen ohne klare Richtung und strategischen Kompass zu initiieren oder sich unkritisch starre »diplometrische« Modelle anzueignen und den Erfolg digitaler Aktivitäten primär anhand von quantitativen Kriterien zu messen und zu bewerten. Das Ergebnis wird wohl in beiden Fällen das gleiche sein: ein mittelmäßiger Ansatz, der weder den von den Enthusiasten gewünschten innovativen digitalen Output erzeugt noch zuverlässig zu den außenpolitische Ergebnissen beiträgt, die die Skeptiker erzielen wollen.
Entschärfen ließe sich diese Spannung durch den Rückgriff auf die Unterscheidung zwischen Ergebnis und Wirkung in der politischen Analyse, um die Mittel (das, was digitale Diplomatie macht) von den Ergebnissen (dem, was digitale Diplomatie erreicht) zu trennen.76 Das Ergebnis spiegelt die fortwährenden Folgen digitaler Aktivitäten wider, während es bei der Wirkung um die weitergehenden Einflüsse des digitalen Outputs auf politische Ziele geht. Wie an anderer Stelle erläutert, ist es sinnvoll, den Auswirkungen des digitalen Outputs dann eine höhere Priorität einzuräumen als politischen Ergebnissen, wenn die digitalen Aktivitäten – wie es in der digitalen öffentlichen Diplomatie häufig der Fall ist – auf komplexe Operationen, eine große Zielgruppe und lange Umsetzungszeiträume ausgelegt sind.77 Wird in solchen Fällen konsequent ein umfangreicher Output (Inhalte, Reichweite, Engagement) generiert, ist zu erwarten, dass irgendwann auch positive politische Resultate folgen, etwa Wahrnehmungsveränderungen bei der Zielgruppe. Dagegen trägt das digitale Engagement effektiver zur Prägung ergebnisorientierter Strategien bei, wenn es auch konventionelle Kommunikationsformen einbezieht, die sich an ein kleines oder mittelgroßes Publikum richten und kurzfristig implementieren lassen. Diese Vorgehensweise eignet sich insbesondere für die konsularische Krisenkommunikation, denn die Versorgung der Bürger bei Terrorangriffen oder Naturkatastrophen mit aktuellen und akkuraten Informationen (Output) darüber, wie man sich während des Krisenfalls vor Schaden schützen kann (Resultat), ist eine relativ geradlinige Strategie, bei der der digitale Output von greifbaren politischen Zielen beeinflusst und anhand dieser Ziele beurteilt wird. Unter dem Strich beruht die Handhabung strategischer Entropie auf dem Verständnis, wie zwischen digitalem Output und politischen Resultaten die Prioritäten zu setzen und wie die beiden gegeneinander zu gewichten sind.
Abschließend sei festgehalten, dass die Zukunft der digitalen Diplomatie von der Fähigkeit der Außenministerien abhängt, die Chancen der technologischen Umwälzungen zu nutzen und sich gleichzeitig gegen die Fallstricke zu wappnen, die mit deren schnellem Erfolg verbunden sein können. Wenn der technologische Fortschritt als Gelegenheit zur ökosystembasierten, pro-aktiven und netzwerkorientierten Anpassung begriffen wird, kann digitale Diplomatie wahrscheinlich bis zum Kern der diplomatischen DNA vordringen. Gelingt es im Rahmen der Digitalisierung jedoch nicht, emotionale Ansteckung, algorithmischen Determinismus und strategische Entropie einzuschränken, werden sich die Außenministerien wohl eher zögerlich um eine Einbindung digitaler Technologien in ihre Arbeit bemühen.
Emillie V. de Keulenaar / Jan Melissen
Kritische digitale Diplomatie und der Einfluss der Theorie auf die Praxis
In den meisten diplomatischen Diensten der Welt wird derzeit eine Debatte über die Auswirkung der Digitalisierung auf die diplomatische Praxis geführt. Diese Debatte erinnert auch daran, wie wichtig es ist, sich die politische Bedeutung der digitalen Technologie für die Diplomatie zu vergegenwärtigen und sich mit der aufkommenden Realität eines diplomatischen Engagements in einer digitalisierten Welt auseinanderzusetzen, anstatt das Augenmerk ausschließlich darauf zu richten, wie sich die bisherigen Verfahrensweisen mit digitalen Mitteln erledigen lassen. In den Jahren 2016 und 2017 verschafften rechtswidrige elektronische Eingriffe in demokratische Wahlen und Referenden in Europa und den USA dem Argument Schlagzeilen, dass digitale Diplomatie zu einer Waffe geworden sei.
Inzwischen herrscht eine düstere Stimmung, in der »Fake News«, Bots und Trolle, die von autoritär regierten Ländern gesteuert werden, die Hauptrolle spielen.
Binnen weniger Jahre hat sich der vorherrschende Ton im Narrativ über digitale Diplomatie vollkommen verändert: Der Optimismus angesichts des Mobilisierungspotenzials der sozialen Medien und den dadurch ermöglichten Demokratisierungsschub ist einer düsteren Stimmung gewichen, in der »Fake News« und die schleichende Durchdringung der Konversationen in den sozialen Medien durch Bots und Trolle, die von autoritär regierten Ländern gesteuert werden, die Hauptrolle spielen. Tech-Riesen aus den USA werden beschuldigt, ethisch fragwürdigen Handel mit persönlichen Daten zu treiben, die sie über die sozialen Netzwerke einsammeln, während das in Großbritannien ansässige Unternehmen Cambridge Analytica mit seinen Datenmanipulationen Politik und Öffentlichkeit auf alarmierende Weise das kommerzielle Treiben von Webentwicklern im gesellschaftlichen und politischen Bereich vor Augen führte. Mehr als sieben Jahre nach der Phase des Optimismus, der im Kontext des Arabischen Frühlings in Bezug auf soziale Medien herrschte, mögen sich einige Außenministerien, die damals zu den Erstanwendern der sozialen Medien zählen wollten, heute fragen, ob sie sich nicht vielleicht ohne ausreichende kritische Überprüfung in diese Domäne gestürzt haben.
Dieser Beitrag soll aber kein weiterer Kommentar zum Zeitgeschehen und den Auswirkungen der sozialen Medien auf die internationale Politik sein. Stattdessen versuchen wir, die Rolle der digitalen Technologien als Mittel und Infrastruktur für aktuelle diplomatische Prozesse besser zu verstehen. Wir wollen sowohl die Wissenschaft als auch die Praxis mit den wesentlichen theoretischen Erkenntnissen und Kon-zeptualisierungen vertraut machen. Abschließend geben wir einige allgemeine Politikempfehlungen für Außenministerien.
Technologie und diplomatische Praxis
Einhelligkeit über die wesentlichen Begriffe und ein gemeinsames Verständnis von den zentralen Ideen und Konzepten ist nicht nur für Wissenschaftler von Bedeutung. Ähnlich vage, wie der Begriff soft power in den letzten 25 Jahren in Politik, Diplomatie und Wissenschaft benutzt wurde, wird auch die grundlegende Terminologie in der Debatte über digitale Diplomatie verwandt. In diesem Kontext sich wandelnder Arbeitsweisen müssen wir die Tiefe und das Ausmaß digitaler Technologie untersuchen, und zwar zum einen in ihrer Rolle für Staaten und andere internationale Akteure als neues Medium für deren Kommunikation und Beziehungspflege, zum anderen als Gegebenheit. Digitale Technologie durchdringt das Leben und die Arbeit der neuen Generationen in immer höherem Maße.
Bevor man Aussagen über die Auswirkung des technologischen Wandels auf die Praxis der internationalen Beziehungen trifft, muss man sich mit den Fähigkeiten dieser neuen Technologien befassen. Man kann wohl davon ausgehen, dass vielen Initiativen von Außenministerien zur Nutzung sozialer Medien nur eine unzureichende Analyse dessen vorausging, was digitale Technologien an Kompetenzen erfordern und welche Auswirkungen sie auf die Umstände haben, unter denen heute Diplomatie praktiziert wird. Zu Letzteren gehören auch die grundlegenden Techniken, die digitale Technologien ausmachen, seien es die allgemein als Algorithmen bezeichneten oder andere computerbasierte Systeme, einschließlich Suchmaschinen, Empfehlungsdienste oder Newsfeeds. Diese von der Vermittlungsfähigkeit der Digitalisierungs- und Datafizierungsprozesse profitierenden Techniken sind zu allgegenwärtigen Zugriffspunkten auf kulturelle, politische und wirtschaftliche Aktivitäten geworden. Die Entwicklung dieser und anderer Zugriffspunkte verschafft den Tech-Akteuren insofern einen großen politischen Einfluss, als sie heute Informationen und kulturelles Kapital formalisieren, organisieren und weiterverwenden können.
Damit ist für das Gebiet der digitalen Diplomatie zu hinterfragen, wie die digitalen Technologien den Zugang zu Prozessen umgestalten, die für die digitale Diplomatie relevant sind. Genauso wie Facebook das Sozialleben, das politische Handeln und den Marktplatz der Ideen für die Nutzer veränderte, haben andere Tech-Akteure und ihre Plattformen Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Umgestaltung zahlreicher Prozesse, die internationale Beziehungen betreffen. Das Potenzial neuer Technologien, zum Wissensmanagement beizutragen, wird sich zusammen mit dem Potenzial von Big Data hinsichtlich heikler Themenfelder und Prognosezwecke zwangsläufig erheblich auf die Hauptaufgabe der Diplomatie auswirken: internationale Verhandlungen. Von Menschen getroffene Entscheidungen werden nach wie vor wichtig sein, und Daten sprechen nicht. Lassen sich Diplomaten aber davon leiten, wie Daten und die Ideen, die darin zum Ausdruck kommen, von wichtigen algorithmischen Systemen organisiert werden, oder sich vom Angebotscharakter der Plattformen beeinflussen, so mag dies in die »Kunst des Verhandelns« einfließen und umfangreiches Komplexitätsmanagement erfordern.
Genau das erleben wir im weitergefassten Bereich kultureller Beziehungen, wo sich die digitale Kultur auf den transnationalen Austausch und die Bedingungen für die Schaffung neuer Ideen auf eine Weise auswirkt, die den internationalen und nationalen öffentlichen Konsens beeinflusst. Auch der russische militärische Nachrichtendienst machte sich in seinen neuen Taktiken der Kriegsführung dieses Wechselspiel von Metriken der Popularität und Aufmerksamkeit zunutze, als er im US-Präsidentschaftswahlkampf von 2016 sensationelle Falschnachrichten verbreitete, die zur parteilichen Spaltung auf Facebook, Twitter und YouTube beitrugen. Der Einfluss digitaler Plattformen auf Kultur und soziale Beziehungen könnte auch bedeuten, dass sie für zusehends »vergesellschaftete« diplomatische Praktiken an Relevanz gewinnen, die diverse Interessengruppen einbeziehen und eine Vielfalt nicht-traditioneller Themen auf der internationalen Agenda behandeln. Konkret führt eine solche »vergesellschaftete« Diplomatie zu einer neuen Dynamik in den Beziehungen zwischen Regierung und Gesellschaft und wird die Außenministerien vermutlich dazu veranlassen, sich in höherem Maße als bisher an der Innenpolitik auszurichten.
Viele internationale Herausforderungen unserer Zeit haben inzwischen eine digitale Dimension, deren jeweilige Technologien eine Plattform für soziale, politische und wirtschaftliche Aktivitäten bieten, die als rechnergestützt formalisiert aufgefasst werden könnten. Es ist eine Sache, Facebook als Überbringer diplomatischer Botschaften einzustufen. Eine andere wäre es, dieselben politischen Aussagen teilweise als Produkt der Plattformmechanismen zu bewerten, die sie als Daten verarbeiten und organisieren – oder gar Plattformmechanismen und andere Algorithmen als eigenständige politische Prozesse zu betrachten. Das nämlich könnte Diplomaten dazu einladen, Themen von außenpolitischer Bedeutung in ihrem jeweiligen technischen Zusammenhang anzupeilen. Inwieweit folgen beispielsweise Datenfiltersysteme wie YouTubes Empfehlungsdienst den EU-Richtlinien, wonach Videos auf eine pluralistische und vielfältige Weise zu verbreiten und zu »empfehlen« sind? Mögliche Antworten darauf berühren unmittelbar die Frage, inwiefern sich die systematische Organisation von Daten durch Algorithmen auf die politischen Lösungen anwenden lässt. Facebook und Google haben bereits versucht, Probleme wie Filterblasen und Falschinformationen mit technischen Mitteln zu bekämpfen – allerdings könnten sie erheblich von der Sichtweise derjenigen profitieren, die sich darauf spezialisiert haben, das Wesen von Konflikten und Falschinformationen zu identifizieren und entsprechende Lösungen zu suchen. Diplomaten sind da in einer einzigartigen Position. Denn sie haben nicht nur Fachkenntnis zu bieten, sondern können ihre politische Auffassung von computergestützter Außenpolitik so formulieren, dass sie die ihrem Feld angemessenen Werte, Strategien und Prozesse als Daten in Datenorganisationssysteme einfließen lassen.
Solche Initiativen mögen naiv anmuten, da sie zu viel von Unternehmen erwarten, die mit ihren Plattformen nach Profit und besonderen Geschäftsmodellen streben. Aber eben dieses Problem treibt politische Entscheidungsträger dazu an, die öffentliche Verantwortung der Tech-Akteure und ihre patentierten Systeme – beide zumeist aus den USA stammend – unter einen Hut zu bringen, indem sie die Akteure, die diese Systeme entwerfen, dazu einladen, eine kontinuierliche Verantwortungsgemeinschaft mit ihren staatlichen Pendants aus dem Ausland einzugehen. Einer solchen, auf Zusammenarbeit basierenden Verantwortungsgemeinschaft könnten Diplomaten, die sich mit den technischen und politischen Dimensionen der Themen auskennen, die diese Systeme reproduzieren, den Weg bereiten.
Digitale Kompetenz und Wahrnehmung in der Diplomatie
Wie oben bereits angedeutet, scheinen sich in den Debatten über digitale Diplomatie Pessimismus und Sorgen über das Ausmaß breitzumachen, in dem der Missbrauch sozialer Medien die internationalen Beziehungen kompliziert. Wir vertreten jedoch nach wie vor die Auffassung, dass digitale Technologien in erster Linie als eine Quelle der Kreativität für Diplomatinnen und Diplomaten gesehen werden sollten, weil sie zusätzliche Chancen eröffnen, Ideen und politische Strategien in (technische) Praxis umzusetzen. Ihre Relevanz gründet vor allem auf ihren Möglichkeiten als Medium, und in diesem Sinne sind sie Anlass für die Herausbildung neuer Kompetenzen. Sie haben weit mehr zu bieten als die bloße Nutzung verfügbarer Dienste wie E-Mail, Twitter und Facebook. Digitale Technologien sind insofern mit Schreiben und Sprechen vergleichbar, als sie es den Nutzern oder Verfassern erlauben, Informationen zu verschiedenen Aspekten der Realität – seien es Daten zu oder von einzelnen Nutzern, Objekten, Institutionen oder zu komplexeren Prozessen – zu sammeln, zu organisieren und weiterzuverwenden. Digitale Kompetenz würde sich dann nicht auf die Nutzung schon fertiger Software beschränken, sondern auf weitere Fähigkeiten bis hin zur Programmierung erstrecken, sodass man Einfluss darauf gewinnt, inwieweit Nutzer Zugang zu den Programmen bekommen und in welcher Form sie aktiv werden können.
Die sogenannte digitale Kluft besteht dann möglicherweise nicht nur zwischen Bevölkerungsgruppen, die Zugang zu diesen Technologien haben, und anderen, bei denen dies nicht der Fall ist, sondern auch zwischen Bürgerinnen und Bürgern sowie Regierungen, die mal mehr, mal weniger »digital kompetent« sind. Großmächte, kleine Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und diplomatische Akteure jeder Art könnten Programmiersprachen als Werkzeug für die Operationalisierung von Daten einsetzen – in Abhängigkeit von Interessen und Zielen entweder in Form für die Öffentlichkeit nutzbarer Software oder für interne Zwecke bestimmter Techniken, ob zu Referenz- (beispielsweise mit Datenanalyse), Kommunikations- oder anderen programmierbaren Zwecken. Es gibt Unternehmen, die sich Vergesellschaftung, Transport- oder Absatzwesen als Daten- oder Informationssysteme vorstellen. Genauso könnte die digitale Diplomatie die Politik dazu veranlassen, die für Diplomatie relevanten Entitäten, Prozesse, Strategien und Werte zumindest teilweise als computergestützte Einheiten zu denken. Digitale Kompetenz bezöge sich dann auch auf die Fähigkeit, sich auf digitale Berechnungen als eine Form von Regierungshandeln einzulassen, die auf aktuelle Machtinstrumente wie Software hin orientiert ist. Die Einbeziehung solcher Methoden in die digitale Kompetenz ermöglicht es einer Institution wie der Diplomatie, mit technischen Akteuren Entscheidungen zu treffen sowie Einfluss auf die Programme und Daten zu nehmen, die ihre Arbeit betreffen.
Zu den Herausforderungen zählt der Ausgleich zwischen den Interessen der Tech-Akteure und denen der staatlichen Akteure.
Digitale Kompetenz meint damit auch die Fähigkeit der und des Einzelnen, zu einer sachkundigen Einschätzung dessen zu kommen, wie diese Technologien entwickelt wurden und in welcher Form sich Diplomaten an diejenigen wenden können, die sie entwickeln: Tech-Akteure. Der Wert der Gespräche mit den Tech-Akteuren liegt darin, Informationen über die Funktionsweise ihrer Systeme zu erhalten, zu erfahren, wie sie mit Daten zu Themen umgehen, die für die Außenministerien von großer Bedeutung sind, mit ihnen über eine Veränderung ihrer Systeme zu verhandeln sowie darüber, die von den Plattformen generierten Daten in einer Art und Weise zu sammeln und zu pflegen, die für alle von diesen Themen betroffenen Akteure von Vorteil ist. Zu den Herausforderungen zählt hier der Ausgleich zwischen den Interessen der Tech-Akteure, die in erster Linie über Produktdesign nachdenken, und denen der staatlichen Akteure, die in der Regel die Lösung normativer Fragen vorantreiben wollen. Letztlich dürfte die Beratung durch digitale Diplomaten darauf hinauslaufen, die wesentlichen technischen und politischen Grundlagen zu kombinieren. Dieser Prozess beinhaltet unter anderem Vorschläge, wie Tech-Akteure die normativen Werte formalisieren können, die als computergestützte Werte die diplomatische Agenda bestimmen – ein Unterfangen, das Diplomaten und Tech-Akteuren durchaus zusammenbringen könnte.
Die Außenministerien denken daher verstärkt darüber nach, was der digitale Umbruch für die physischen Strukturen an ihren Hauptsitzen und Botschaften bedeutet. Nach dem Privatsektor und anderen Regierungsbehörden weiten auch sie jetzt ihre Kapazitäten aus, um die Vorteile der Auswertung großer Datenmengen für die Findung außenpolitischer Entscheidungen zu nutzen. Allerdings fehlt es den durch jahrhundertealte diplomatische Traditionen geprägten außenpolitischen Bürokratien an dem, was einige der im Bereich der Anlage und Verwaltung von Daten florierenden NGOs und Unternehmen auszeichnet: an der Wertschätzung von intuitivem Vorgehen, Postdisziplinarität, »Ursprünglichkeit«. Dennoch: Möglicherweise werden die Außenministerien Diplomatie eines Tages nicht mehr nur als Management internationaler Beziehungen betrachten, sondern als Management von Komplexität neu konzipieren.
Die »Softwarisierung« der diplomatischen Praxis
Viele Praktiker scheinen »digitale Diplomatie« nahezu ausschließlich als eine Erweiterung der öffentlichen Diplomatie zu begreifen – so gesehen stellen der Verlust des Vertrauens in Informationen, die Datenschutzbefürchtungen der Internetnutzer und die Mobilität der jungen Generationen quer über alle Plattformen nur die Kommunikationsabteilungen der Außenministerien vor neue Herausforderungen. Es ist jedoch nötig, den Blickwinkel zu erweitern und digitale Technologien daraufhin zu analysieren, inwieweit sie politische Prozesse vermitteln. Der Einsatz digitaler Technologien und die Anwendung von Software für diplomatische Zwecke erfordern daher die Einsicht in die politische Bedeutung dessen, was die technische Besonderheit ausmacht. Das Verhältnis, das die heute im diplomatischen Dienst Beschäftigten zur digitalen Technologie haben, legt einen grundsätzlich anderen Zugang nahe als die Art und Weise, wie sich ihre Vorgänger an die Nutzung des Telefons (zum Anrufen), der Schreibmaschine (zum Schreiben), des Telegrafen (zur Versendung verschlüsselter Botschaften) und des PC (zum Schreiben, Speichern, Organisieren und Versenden von Informationen) gewöhnten.
Das Aufkommen der sozialen Medien hat zweifellos zu einer völlig neuen Dynamik in der Beziehung zwischen Diplomatie und Technologie geführt. In den letzten Jahren haben viele Außenministerien einen großen Aufwand betrieben, um sich mit dem Phänomen der sozialen Medien vertraut zu machen, selbst aktiv zu werden und deren Potenzial in immer mehr Bereichen der Außenpolitik zu nutzen. In der Folge des Arabischen Frühlings konnten Regierungen eine Vielzahl an internationalen Krisen zwischen 2011 und 2015 als wichtige Lernanlässe begreifen. Innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne wurden die sozialen Medien unabdingbar für die Erfüllung wichtiger Aufgaben der Außenministerien, etwa der öffentlichen Diplomatie und der Hilfe für Landsleute im Ausland.
Die Art und Weise, in der digitale Technologie derzeit in der diplomatischen Praxis genutzt wird, ähnelt häufig sehr stark der Einbeziehung verschiedener »Maschinen« in die diplomatische Arbeit des 19. und 20. Jahrhunderts: Diplomaten nutzen das, was die Technologie bietet und wofür sie bestimmt ist. Wie bereits erwähnt, ermöglichen die digitalen Dimensionen der heutigen Diplomatie jedoch den Einsatz digitaler Technologien als Metamedien: als Medien, die aktiv und kreativ zur Schaffung neuer Medien wie beispielsweise Software genutzt werden können. Sie bieten einsatzbereite Produkte wie Computer und andere praktische Geräte, aber sie liefern auch die Mittel zur Entwicklung von Software, die auf die internen oder pro-aktiven diplomatischen Bedürfnisse zugeschnitten ist. So scheint es anderswo funktioniert zu haben: bei Uber im Bereich Transportwesen, bei Airbnb im Bereich Unterkünfte, bei Google im Bereich Dokumentationen, bei YouTube im Video-Bereich, bei Spotify im Musik-Bereich sowie bei Facebook und Twitter im Bereich persönlicher Beziehungen, politischer Karrieren und politischem Aktivismus. Der große Einfluss dieser Plattformen ist teilweise auf ihre Organisation und Systematisierung digitalisierter Daten und die transnationale Übermittlung von Inhalten zurückzuführen, ganz gleich, ob es sich dabei um Kultur, Ideen, Wissen, Beziehungen oder Kapital handelt. Darin besteht die Macht der geschlossenen Plattformen, mit denen Google (unter Anwendung seines PageRank-Algorithmus), Twitter (mit dem Verkauf von Algorithmen an Kunden aus der Privatwirtschaft, die wiederum personenbezogene Daten an Regierungen verkaufen), YouTube (die zweitgrößte Maschine im Internet) und Facebook (im Mittelpunkt der Debatte über die Ethik der von den kommerziellen Tech-Riesen angewandten Praktiken und über die Notwendigkeit, den Einfluss des Unternehmenssektors zu bändigen) ihr täglich Brot verdienen. Es setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass die Vermittlungsfähigkeit dieser Plattformen als kontrollierte Informationsumgebungen für die Welt der Diplomatie genauso relevant ist wie für den gewerblichen Bereich.
Eine wichtige Konsequenz dieser rasanten Entwicklungen lautet, dass die Regulierung des digitalen Bereichs den Anschluss finden muss. Auch wenn wir das Thema hier nicht genauer unter die Lupe nehmen, ist festzuhalten, dass es in der gemeinsamen Verantwortung von nationalen Regierungen, digitalen Plattformen und Endnutzern liegt, unerwünschte Praktiken einzudämmen. Dafür sind innovative Formen der Steuerung gefordert.
Mehr als das Streben nach Aufmerksamkeit im Internet
Mit Blick auf die Kompetenzen der außenpolitischen Akteure bestehen kaum Zweifel, dass der Facettenreichtum der Digitalisierung in der diplomatischen Praxis in die größte Weiterqualifizierungsmaßnahme in der Geschichte der Diplomatie münden wird. In der Ausbildung vieler Diplomatinnen und Diplomaten werden die Fachkenntnis und Anwendung von Software sowie andere technische, aber auch politische Elemente, die digitale Technologie ausmachen, die Hauptrolle spielen. Von benutzerfreundlichen Oberflächen über Kodierungen bis hin zu Algorithmen – es dreht sich immer um dieses Design, das sie zum Ausbau der politischen Kapazitäten untersuchen, kritisch betrachten und verbessern müssen.
Die technischen Aspekte von allem Digitalen sind zutiefst politisch.
Die technischen Aspekte von allem Digitalen sind zutiefst politisch, wie die Debatten über die ausländische Einmischung in Wahlkämpfe in den USA und Europa in den Jahren 2016 und 2017 sowie die öffentliche Empörung im Jahr 2018 über die Praktiken von Cambridge Analytica sehr deutlich gemacht haben. Und in dem sich ausbreitenden Bereich, in dem sich Diplomatie und Geheimdienste immer mehr überschneiden, ist noch viel mehr verborgen. Im digitalen Zeitalter gebietet es daher der gesunde Menschenverstand, dass Diplomaten kritisch bleiben gegenüber den realen Akteuren hinter der Software, ihren Absichten und der Art, wie und mit welchen Auswirkungen sie ihre Ziele verfolgen. Politisch sind schon die ersten Schritte der Entwicklung einer Software, die im Zusammenhang mit internationalen Beziehungen genutzt wird. In den letzten Jahren haben einige westliche Regierungen ihre relative Unschuld verloren: Sie folgen dem Beispiel raffinierter vorgehender Länder – von Russland bis zum Sudan, von Israel bis zum Iran – und von nicht-staatlichen Akteuren, die sich für eine bessere Welt einsetzen oder wie Terrorgruppen und Rebellenbewegungen aus dubiosen Motiven in gewaltsame Auseinandersetzungen verwickelt sind.
Der Diplomat braucht Konzepte, anhand deren er das Technische als Medium für diplomatische Strategien und Politikimplementierung hinterfragen kann.
Digitale Diplomatie dreht sich mithin weniger um aktives und kontinuierliches Streben nach Aufmerksamkeit im Internet, als es im Falle der öffentlichen Diplomatie zu beobachten ist – die durch die Praktiken der digitalen Kommunikation und das Bemühen, ausländische wie einheimische Öffentlichkeiten zu erreichen, in einem Maße beeinträchtigt wurde, das dringend untersucht werden müsste. Kritische digitale Diplomatie dagegen meint die diplomatische Auseinandersetzung damit, wie Kultur, Informationen und Beziehungen in Software systematisiert werden, zum Beispiel damit, wie sich Algorithmen entgegenwirken lässt, die den eigenen Interessen zuwiderlaufen. Die Mechanismen hinter den digitalen Technologien können aktiv als Instrumente zur Operationalisierung politischer und diplomatischer Interessen eingesetzt werden. Die Aufgabe für Außenministerien lautet daher, das ganze Spektrum zu erkunden und in die Praxis umzusetzen. Der einzelne Diplomat braucht Konzepte, anhand deren er das Technische als Medium für diplomatische Strategien und Politikimplementierung hinterfragen und verstehen kann. Denn schließlich findet die zeitgenössische Diplomatie bereits in sich rasant verändernden Umfeldern statt, in denen sich neue technologische Werkzeuge auf die internationalen Beziehungen auswirken.
Fünf Politikempfehlungen
1. Diplomaten sollten erkennen, dass digitale Diplomatie die Auseinandersetzung damit bezeichnet, wie Kultur, Informationen und Beziehungen in Software systematisiert werden, beispielsweise damit, wie sich Algorithmen entgegenwirken lässt, die den eigenen Interessen zuwiderlaufen.
2. Da Diplomatie sich zunehmend in einer digitalen Umgebung abspielt, sollten Diplomaten kritisch bleiben gegenüber den realen Akteuren hinter der Software, ihren Absichten und der Art, wie und mit welchen Auswirkungen sie ihre Ziele verfolgen.
3. Außenministerien, die in der Lage sind, Software für diplomatische Zwecke zu entwickeln, dies aber nicht tun, geraten ins Hintertreffen gegenüber Gegenspielern und nicht-staatlichen Akteuren, die dies klüger handhaben.
4. Die Mechanismen hinter digitalen Technologien lassen sich aktiv als Instrumente zur Operationalisierung politischer und diplomatischer Interessen einsetzen.
5. Diplomatinnen und Diplomaten können als Vermittler zwischen Plattform-Akteuren und allen von den Systemen und Daten der Plattformen Betroffenen auftreten und dadurch die Fähigkeit verfeinern, zum Dialog über technische und normative Interessen anzuregen.
Karsten D. Voigt
Ständiger Wandel: Anmerkungen zur Entwicklung der Diplomatie in der Europäischen Union*
Die Anzahl der organisierten und institutionalisierten Akteure, die im internationalen Bereich tätig sind, nimmt stetig zu. Gleichzeitig vernetzen sich Teile einer Öffentlichkeit national sowie international, die sich traditionell nicht mit Außenpolitik befasst haben. Auch neue teil-, pseudo- oder quasi-staatliche Akteure kommen hinzu. Hierzu möchte ich auf der Grundlage meiner persönlichen Erfahrungen mit der diplomatischen Praxis sechs Beobachtungen beisteuern, die sich überwiegend auf die Außenpolitik der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) beziehen. Das ist kein Zufall, denn zwischen den EU-Mitgliedstaaten findet eine besonders intensive Kommunikation statt, und zwar eine, in der sich die Grenzen zwischen Innen- und Außenpolitik und zwischen nationaler, zwischenstaatlicher und internationaler Politik immer mehr verwischen. Damit wird sie zum Träger eines fortschreitenden Veränderungsprozesses, den die Diplomatie innerhalb der EU vielleicht deutlicher erlebt als anderswo.
1. Neue Formen von Kommunikation
Die außenpolitische Lage verändert sich ständig. Dies verlangt insbesondere bei Krisen und Konflikten allen Beteiligten intensive Kommunikation ab. In einer solchen Lage ist der tägliche Gedankenaustausch zwischen den Hauptstädten, die in eine Problemlösung einbezogen werden müssen, eher die Regel als die Ausnahme. Welche Hauptstädte daran jeweils beteiligt werden, hängt von der Relevanz des jeweiligen Staates für die Problemlösung ab. In der europäischen Realität wird Berlin in den meisten Fällen zu den Hauptstädten zählen, die involviert werden.
In Anbetracht seines politischen Gewichts wird Berlin künftig sogar noch mehr mit anderen Hauptstädten und auch mit den EU-Institutionen kommunizieren. Aber schon aus zeitlichen Gründen wird es nicht immer möglich sein, alle Mitgliedstaaten der EU gleichermaßen zu informieren. Die Berliner Diplomatie ist sich der damit verbundenen Schwierigkeiten bewusst. Sie bemüht sich deshalb darum, insbesondere die kleineren Staaten während des Prozesses oder im Nachhinein einzubeziehen, um das Problem einer Einflussasymmetrie zwischen größeren und kleineren Staaten in der EU zu schmälern. Behoben wird es dadurch nicht.
Neue Kommunikationsmöglichkeiten wie E-Mail, Videoanrufe oder auch Direktnachrichten, der insgesamt zunehmende Gesprächsbedarf sowie der Zeitdruck führen dazu, dass der Meinungsaustausch insbesondere in Krisenzeiten außerhalb der formellen Berichtswege mündlich erfolgt. Das verändert die Arbeitsweise innerhalb der Außenministerien und mit dem Kanzleramt ebenso wie mit anderen Ministerien. Es verändert innerhalb der EU insbesondere die Rolle der Botschaften. Da sich die Kommunikation zu aktuellen und zeitkritischen Problemen immer häufiger direkt zwischen den Hauptstädten abspielt, werden die bilateralen Botschaften an diesen Prozessen häufig nur am Rande oder überhaupt nicht beteiligt, was sich innerhalb der EU auf deren Funktionen auswirkt: Einerseits begleiten sie nur mehr, was direkt zwischen den Regierungen verhandelt wird, andererseits übernehmen sie zum Teil bisherige Stabsarbeit. So bereiten sie die Gespräche inhaltlich vor, eine Aufgabe, die früher den Büros der Ministerien zufiel.
2. Neue Kompetenzen der Chefebene
Innerhalb der EU treffen sich die Regierungschefs, die Außenminister und die Fachminister außerordentlich häufig. Dabei denke ich nicht nur an die formellen Treffen auf Chef- oder Fachministerebene, sondern auch an die zahlreichen anderen formellen und informellen, bi- und multilateralen Begegnungen. Bei diesen Treffen werden Meinungen geäußert und Abmachungen getroffen, die die koordinierende Funktion des Außenministeriums in der Europapolitik relativieren. Ob eine Verlagerung der Koordinierungsrolle des Außenministeriums an das Kanzleramt dieses Problem lösen oder nur verschieben würde, sollte in den nächsten Jahren geprüft werden. Denkbar ist, dass damit auch die inhaltliche Arbeit, gerade in den politisch wichtigsten Bereichen, ins Kanzleramt gezogen wird.
3. Interministerieller Austausch in der Europäischen Union
Hinzu kommt, dass alle Bundesministerien Arbeitsstäbe für die internationale und EU-bezogene Politik ihrer Ressorts eingerichtet haben. In diesen Arbeitsstäben gibt es häufig Mitarbeiter, die aus dem Auswärtigen Amt »entliehen« wurden. Das hindert einzelne Ministerien aber nicht daran, selbst direkte Arbeitsbeziehungen zu ihren Partnern in anderen europäischen Hauptstädten und auf Ebene der EU aufzubauen. Auch das beeinflusst die Inhalte und erschwert die Wirksamkeit der gesamtstaatlichen Koordination der Europapolitik durch das Auswärtige Amt. Eine ähnliche Wirkung entfalten die offiziellen Vertretungen der Bundesländer bei der EU.
4. Der Einfluss europäischer »Parteifamilien«
Alle im Bundestag vertretenen Parteien – bei der Alternative für Deutschland hat die europäische Koordinierung anti-europäischer Parteien erst begonnen – gehören europäischen Vereinigungen von gleich oder ähnlich gesinnten Parteien an. Viele dieser Parteien sind auf der nationalen Ebene in Parlament und Regierung vertreten. Häufig bekennen sich Mitglieder der Europäischen Kommission zu einer dieser Parteifamilien. Die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments gehört einer Fraktion an, die sich als parlamentarischer Arm einer solchen »Parteifamilie« versteht.
Die Rolle der Parteienverbände auf europäischer Ebene ist wesentlich schwächer als die der nationalen Parteien. Aber als transnationale Netzwerke und Instrumente einer transnationalen Überwölbung von weiterhin vorwiegend nationalen Politiken sind sie verhältnismäßig effektiv. Sie beeinflussen insbesondere Entscheidungen über Personal für die Europäische Kommission und andere europäische Institutionen, was nationalen und europäischen Politikern in diesem Bereich Mitsprache ermöglicht.
Aufgrund ihrer Parteifunktionen sind an diesen europäischen Netzwerken häufig Regierungschefs, Außenminister und führende Oppositionspolitiker beteiligt. Diplomaten werden von dort getroffenen Absprachen in ihrer Arbeit häufig betroffen, aber selten daran beteiligt und manchmal auch nur unzureichend darüber informiert. Zwar vermeidet man so (zu Recht) die Politisierung der Beamtenschaft, aber es kann vorkommen, dass Diplomaten dadurch zu spät von Absprachen erfahren, die für ihre Analysen und Äußerungen wesentlich sind. Da diese Treffen und Absprachen häufig informeller Natur sind, gibt es bisher auch nur wenige Untersuchungen zu ihrer Rolle.
5. Die »Nebenaußenpolitik« von Parteien
Im Kontext der Auseinandersetzung um den Nato-Doppelbeschluss hat es im Jahrzehnt vor dem Fall der Mauer einen öffentlichen Streit um eine sogenannte Nebenaußenpolitik der SPD gegeben. Sie bezog sich unter anderem auf eine Zusammenarbeit zwischen den sozialdemokratischen Parteien aus Skandinavien, den Benelux-Ländern und Deutschland (Euro-Lux oder Skandia-Lux genannt), um die Haltung der Parteien zum Nato-Doppelbeschluss und zu den danach folgenden Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion miteinander abzustimmen. Diese transnationale Koordinierung der Außen- und Sicherheitspolitik durch Parteien stand häufig im Widerspruch zu den politischen Absichten der jeweiligen nationalen Regierung. Aber liegen derartige transnationale Prozesse nicht in der Logik einer zunehmenden außen- und sicherheitspolitischen Konvergenz zwischen den EU-Mitgliedstaaten? Zudem werden die Parteien in dieser Rolle mit dem Bedeutungsverlust der Volksparteien und der Parteienbindung allgemein anscheinend durch Akteure wie NGOs ersetzt, die beispielsweise hinsichtlich der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung ähnlich vorgehen. Nebenaußenpolitik in einem weiteren Sinne kann man daher auch als zukunftsweisendes Element der deutschen und europäischen Außenpolitik begreifen, das der Vervielfältigung der Akteure entspricht, die Einfluss auf die Außenpolitik ausüben.
6. Der Einfluss nationaler Parlamente
Schließlich: Außenpolitik gilt traditionell als Vorrecht der Exekutive. Der Einfluss der Parlamente wird in der Wissenschaft häufig unter Berufung auf die in der Verfassung verankerte Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Exekutive und Legislative beurteilt. Die Zuständigkeit des Parlaments ist seine hard power. Aber es besitzt darüber hinaus eine soft power: den Einfluss auf die politische Meinungsbildung. Das gilt für den Bundestag. Das gilt für das in seiner Bedeutung immer noch unterschätzte Europäische Parlament. Das gilt sogar für die in ihren Kompetenzen stark eingeschränkte Parlamentarische Versammlung des Europarats.
Im transatlantischen Verhältnis gibt es nur eine einzige Institution, in der sich Parlamentarier von beiden Seiten des Atlantiks regelmäßig zu einem intensiven und strukturierten Dialog über außen- und sicherheitspolitische Themen treffen: die Parlamentarische Versammlung der Nato. Sie hat keinerlei Kompetenzen, könnte aber in Zukunft – wie schon gelegentlich in der Vergangenheit – auch genutzt werden, um die Meinungsbildung in den Parlamenten der Nato-Mitgliedstaaten zu beeinflussen.
Wie dies funktionieren kann, zeigt folgendes Beispiel: Jahre bevor sich die Bundesregierung und die US-Administration zur Befürwortung der Nato-Ost-Erweiterung entschlossen, und lange ehe sich im US-Kongress und im Bundestag eine Mehrheit für diese Erweiterung abzeichnete, engagierten sich Volker Rühe und andere für die Ost-Erweiterung der Nato. Sie alle setzten sich in Europa und den USA dafür ein, riefen eine Arbeitsgruppe zu den Kernpunkten eines Konzepts für die Nato-Erweiterung ins Leben und entwarfen verschiedene Erweiterungsmodelle, die auch die Frage der Stationierung von Truppen und Nuklearwaffen berücksichtigten. All das wurde an alle relevanten Parlamente in Osteuropa, einschließlich Russlands, verschickt. Und die Parlamente antworteten. Auf diese Weise wurde im Vorfeld der Regierungsentscheidung eine Diskussion in Gang gesetzt und über Jahre geführt, die in nicht messbarer, aber bedeutsamer Weise die späteren Entscheidungen von Regierungen, Parlamenten und auch Parteien beeinflusst hat. Die wachsende Rolle der nationalen Parlamente in der Diplomatie ihrer Länder ist etwas Neues, und die Regierungen profitieren von diesem Input aus unterschiedlichen Perspektiven.
Diplomatie muss Probleme und Handlungsoptionen möglichst frühzeitig erkennen und gleichzeitig kreativ und zielgerichtet nach Möglichkeiten suchen, Instrumente zur Gestaltung von Außenpolitik zu entwickeln. Das können heute, jedenfalls innerhalb der EU, auf eigene Faust auch Akteure tun, die früher an Außenpolitik kaum rührten: die nationalen Parlamente, die Parteien, die neuen europäischen Parteifamilien, andere Ministerien als die für auswärtige Angelegenheiten zuständigen, die Staats- und Regierungschefs, die den Außenministerien Zuständigkeiten entziehen – und, wenn auch immer weniger, die Botschaften in den EU-Staaten.
Die an diesem Prozess Beteiligten – überwiegend Beamte und Politiker – sind sich dieser Entwicklung noch nicht ausreichend bewusst. Womöglich werden Diplomatinnen und Diplomaten daher in ihrer Ausbildung nur ungenügend auf diese Veränderungen vorbereitet. Aber eines ist sicher: Auf deren Konsequenzen werden sich die Außenministerien einstellen müssen, wenn sie ihre Strukturen und Arbeitsweisen überarbeiten.
Kim B. Olsen
Innenpolitische Herausforderungen für die geoökonomische Diplomatie in Europa
Der strategische Einsatz wirtschaftlicher, monetärer oder finanzieller Ressourcen zur Verfolgung eigener geopolitischen Ziele ist historisch betrachtet ein wichtiger Aspekt des außenpolitischen Verhaltens nahezu jeder geografischen Einheit.78 Das Wechselspiel zwischen Regierungen und Märkten, das sich unmittelbar auf den Handlungsspielraum von Regierungen auf der internationalen Bühne auswirkt, ist für die diplomatische Praxis nach wie vor ein Grundsatz von analytischer Bedeutung. Wissenschaftler, die sich mit internationaler politischer Ökonomie, wirtschaftlicher Staatskunst, Außenwirtschaftspolitik oder vergleichbaren Gebieten befassen, ist die enge Verbindung zwischen Reichtum und Macht ein wichtiger Aufhänger für theoretische Debatten und Erneuerungen.
Die »multipolarisierte« globale Ökonomie79 des 21. Jahrhunderts zeichnet sich durch außergewöhnlich fließende Strukturen aus: Vernetzungen von nie dagewesenem Ausmaß und die schnelle Umverteilung von Vermögen der traditionell wohlhabenden westlichen Staaten in den Globalen Süden verhelfen immer mehr Mächten auf der Welt zu wirtschaftlicher Schlagkraft – selbst nur am Rande an Außenpolitik Interessierte beschäftigen sich heute damit, inwieweit die Gestaltung der Außenpolitik unmittelbar von makroökonomischen Gegebenheiten beeinflusst wird. Das meint insbesondere die Frage, auf welche Weise wirtschaftlich starke Staaten die Quellen ihrer ökonomischen Macht als Anreiz- oder Druckmittel zur Durchsetzung ihrer außenpolitischen Interessen instrumentalisieren.
Diese zielgerichtete Nutzung wirtschaftlicher Möglichkeiten oder geoökonomischer Instrumente reicht von Wirtschaftssanktionen, Handels- und Investitionspolitik sowie Finanz- und Geldpolitik über politisch motivierte Wirtschaftshilfe sowie Energie- und Rohstoffpolitik bis hin zu Cyber-Instrumenten.80 Diplomaten inner- und außerhalb Europas finden sich daher immer häufiger in einem diplomatischen Feld wieder, das man als geoökonomische Diplomatie bezeichnen kann. Gemeint ist, dass eine Regierung bereit und in der Lage ist, im Rahmen ihrer Beziehungen mit anderen internationalen Akteuren volkswirtschaftliche Ressourcen einzusetzen, um ihre nationalen Interessen zu wahren und durchzusetzen.81
In der geoökonomischen Diplomatie ist Geld allein kein Garant für die Sicherung von Einfluss.
Sollte die moderne Außenpolitik tatsächlich von den Möglichkeiten der Staaten beeinflusst werden, wirtschaftliche Ressourcen als Machtquelle zu mobilisieren, könnte man versucht sein zu behaupten, dass Europa mit seiner Position als »militärischer Zwerg, aber wirtschaftlicher Riese« von Haus aus einen wirtschaftlichen Vorteil auf dem geoökonomischen Spielfeld habe. In diesem Beitrag wird aber vor voreiligen Schlüssen dieser Art gewarnt. Stattdessen wird argumentiert, dass materieller Wohlstand allein nicht ausreicht, um Regierungen zu befähigen, ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten in konkrete Außenpolitik und diplomatische Instrumente umzusetzen. Kurz gesagt: In der geoökonomischen Diplomatie ist Geld allein kein Garant für die Sicherung von Einfluss.
Im vorliegenden Beitrag stelle ich die Behauptung auf, dass die Fähigkeit einer Regierung, geoökonomische Instrumente zum Einsatz zu bringen, nicht nur von den Mitteln (den wirtschaftlichen Ressourcen eines Staates) und dem Zweck (der Förderung der eigenen nationalen Interessen) abhängt, sondern in hohem Maße auch von der Fähigkeit der Angehörigen der diplomatischen Dienste, in enger Abstimmung mit verschiedenen einflussreichen innenpolitischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren zu arbeiten. Das ist insbesondere in freien Marktwirtschaften von Bedeutung, in denen volkswirtschaftliche Mittel, die außenpolitische Entscheidungsträger gerne für außenpolitische Zwecke nutzen würden, großenteils in den Händen von zumeist nicht-staatlichen Akteuren liegen oder zumindest von ihnen beeinflusst werden. Dazu kommt, dass diese Akteure weitgehend unabhängig von der direkten Kontrolle durch die Regierung operieren. Im Kontext der europäischen Außenpolitik veranschaulicht diese Sichtweise, dass der eingeschränkte geoökonomische Einfluss Europas nicht nur der Herkulesaufgabe geschuldet ist, die nationalen Interessen aller 28 Mitgliedstaaten koordinieren zu müssen, sondern auch den großen Herausforderungen, denen sich die Regierungen bei der Auseinandersetzung und Zusammenarbeit mit den nicht-staatlichen Akteuren auf nationaler Ebene ständig stellen müssen.
Solche strukturellen Gegebenheiten differenziert zu betrachten ist umso wichtiger, wenn man bedenkt, dass die jüngsten globalen Umverteilungen des materiellen Wohlstands inzwischen ideelle Veränderungen unter den mächtigen Staaten offengelegt und verstärkt haben. So bewiesen die »Multipole« China, Indien und (in geringerem Maße) Russland im letzten Jahrzehnt den größten Erfolg, wenn es darum ging, ihre geopolitischen Ziele im globalen Konkurrenzkampf ihrem wirtschaftlichen Wohlstand anzupassen. Diese aufstrebenden Mächte stehen darüber hinaus für Regierungsmodelle mit erheblichem Einfluss auf die nationalen Wirtschaftsgüter, auch durch umfangreiche Beteiligungen an heimischen Großunternehmen – Mittel, die sich für strategische außenpolitische Zwecke einsetzen lassen, zum Beispiel dank direkter Einflussnahme auf strategisch wichtige Wirtschaftssektoren konkurrierender großer Volkswirtschaften.82 Diese Rückkehr des »Staatskapitalismus«83 auf die globale Ebene veranschaulicht eine weitere zentrale Herausforderung für europäische Diplomaten, die sich darum bemühen, das Zusammenspiel zwischen Regierungen und Märkten auf den Schauplatz der Geopolitik zu übertragen.
Diese wesentlichen Aspekte wurden in der einschlägigen Literatur zur Geoökonomie bislang weitgehend vernachlässigt, da man verkannte, dass die bloße Existenz von wirtschaftlicher Macht nicht automatisch eine Garantie dafür ist, dass der betreffende Staat bestimmte geoökonomische Instrumente in seiner diplomatischen Praxis anwenden kann. Auch Sascha Lohmann stellt in seinem Beitrag zu diesem Band heraus, dass eine erschöpfende Untersuchung zur Rolle von Diplomaten bei der Durchsetzung geoökonomischer Instrumente wie Sanktionen bislang fehlt. Mit Blick auf diese theoretischen Versäumnisse wird hier argumentiert, dass ein netzwerkbasierter Analyseansatz ein differenzierteres Verständnis der innenpolitischen Beziehungen und Herausforderungen vermitteln kann, mit denen europäische Diplomaten und Außenministerien im Bereich der Geoökonomie konfrontiert sind. Eine derart diversifizierte Perspektive mag den europäischen Regierungen dazu verhelfen, ihr Engagement auf einer der wichtigsten diplomatischen Arenen des 21. Jahrhunderts besser einzuschätzen und letztlich zu optimieren.
Von Sanktionen zu Freihandelsabkommen: Geoökonomie im Aufwind
Im aktuellen Kontext einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen Union (EU), die in zentralen Aspekten durch den Einsatz wirtschaftlicher Ressourcen untermauert wird, ist eine tiefergehende Debatte über die Rahmenbedingungen geoökonomischer Diplomatie in Europa höchstes Gebot. Prominente Beispiele für die strategische Verwendung von Ressourcen sind die Abkommen über wirtschaftliche Integration (AWIs)84 und Wirtschaftssanktionen, die in den letzten Jahren zu den beliebtesten außenpolitischen Instrumenten der EU gehörten, um weitreichende geopolitische Interessen durchzusetzen.
Verhandlungen über Freihandelszonen und Zollunionen sind häufig mit strategischen und geopolitischen Dimensionen verknüpft.
Die umfangreiche und ständig wachsende Liste der europäischen AWIs mit Drittländern ist nicht nur ein Beleg für die Wirtschaftsambitionen der EU im internationalen Handel, sondern – wie aus verschiedenen Fälle aus der jüngeren Vergangenheit hervorgeht – auch dafür, dass Verhandlungen über Freihandelszonen und Zollunionen häufig mit strategischen und geopolitischen Dimensionen verknüpft sind. Die Handelsgespräche zwischen der EU und den Vereinigten Staaten gestalten sich immer schwieriger: Seit 2016, als die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) – die einige Politiker sich als »wirtschaftliche Nato«85 vorstellten – schon unmittelbar vor dem Abschluss zu stehen schien, hat sich das Blatt entscheidend gewendet. Donald Trumps Ankündigung aus dem Frühjahr 2018, Einfuhrzölle auf Stahl und Aluminium zu erheben, löste auf beiden Seiten des Atlantiks Befürchtungen über einen drohenden Handelskrieg aus.
Eine ähnliche Verknüpfung zwischen Handel und geopolitischen Antagonismen manifestierte sich in den Verhandlungen der EU über die Assoziierungsabkommen sowie die weitreichenden und umfassenden Freihandelszonen mit den Ländern der Östlichen Partnerschaft (ÖP). Auch wenn EU-Vertreter geopolitische Ziele als Triebfeder für die Heranführung der ÖP-Länder an den europäischen Binnenmarkt beharrlich herunterspielten, lassen die offen skeptischen und aggressiven Reaktionen der russischen Regierung in den letzten Phasen der Verhandlungen zwischen der EU und vor allem der Ukraine im Jahr 2013 – sowie die Ereignisse, die anschließend zur Ukraine-Krise führten – darauf schließen, dass Moskau den verharmlosende Beteuerungen aus Brüssel keinen Glauben schenkte.
Der Streit zwischen der EU und Russland in der Ukraine-Krise ist ein weiterer Ansatzpunkt für die Nutzung von Wirtschaftssanktionen, einem ebenfalls »beliebten« Instrument der Geoökonomie. Die Vorliebe Europas dafür ist seit den 1990er Jahren, der sogenannten Sanktionsdekade, kontinuierlich gewachsen; aktuell hält die EU 35 Sanktionsregime aufrecht, deren Spannbreite von der Einfrierung von Vermögen über Einreise- und Durchreiseverbote gegen gelistete Personen bis hin zu Handelsembargos und finanziellen Restriktionen gegen bestimmte Länder reicht.86 Auf die Annexion der Krim durch Russland im Frühjahr 2014 und den Absturz des Fluges MH17 über der Ukraine im Sommer 2014 (der mutmaßlich von Rebellen verursacht wurde, die von Russland unterstützt werden) reagierten die EU-Mitgliedstaaten mit der Erstellung einer umfangreichen Liste von Einzelpersonen und gewerblichen Unternehmen, die Verbindungen zur Regierung in Moskau haben. Damit wurde Russland auf die Liste jener Länder gesetzt, welche die EU mit geopolitisch motivierten Sanktionen aufs Korn nimmt. Neben anderen bekannten Beispielen stehen der Iran und Nordkorea wegen ihrer Atomprogramme ebenfalls darauf.
Interessanterweise gibt es mittlerweile auch in Brüssel, wo das Konzept der europäischen »Wirtschaftsdiplomatie«87 neuerdings die Runde macht, immer häufiger konzeptionelle Debatten über die Schnittstelle zwischen wirtschaftlicher Macht und außenpolitischen Zielen sowie den organisatorischen Umgang damit. Auch wenn es in diesen Diskussionen eher darum geht, wie sich die europäischen Wirtschaftsinteressen durch den Einsatz politischer Macht unterfüttern lassen und nicht umgekehrt, so ist es doch erfreulich, dass der strategischen Verbindung von Staat und Markt mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Auf institutioneller Ebene könnten und sollten derartige Auseinandersetzungen zu strategisch pointierteren Debatten und zur Koordination der verschiedenen mit internationalen Angelegenheiten befassten EU-Ratsgremien führen. So ist es beispielsweise bezeichnend, dass die Koordination zwischen dem Rat für Auswärtige Angelegenheiten (RAB) und seinen wirtschaftlichen Unterräten für Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit den in diesem Feld tätigen Experten zufolge immer noch ziemlich rudimentär ist.
Vernachlässigt: Die außenpolitische Rolle nicht-staatlicher Akteure in den freien Marktwirtschaften Europas
Im europäischen Kontext scheint es besonders wichtig zu sein, die Rolle innerstaatlicher Strukturen bei der Gestaltung der Handlungsspielräume von Regierungen in der geoökonomischen Diplomatie einer genauen Prüfung zu unterziehen. Hier haben Blackwill und Harris interessanterweise festgestellt, dass die »heutige Form der Geoökonomie nicht nur neue Optionen, sondern auch neue diplomatische Instrumente bietet«.88 Die eigentliche Relevanz dieser Beobachtung offenbart sich jedoch erst im nachfolgenden Vorbehalt, dass »einige dieser [geoökonomischen] Instrumente […] den US-amerikanischen und westlichen Staats- und Regierungschefs gar nicht zur Verfügung stehen«.89 Diese Behauptung wird von den Autoren zwar nicht weiter belegt, sie bezieht sich jedoch darauf, dass Marktakteure in den freien Marktwirtschaften, in denen die Wirtschaftskraft weitgehend in den Händen privater Akteure liegt, relativ unbehelligt von direkter staatlicher Einmischung agieren können. Damit unterscheidet sich der Einsatz geoökonomischer Instrumente erheblich vom Einsatz militärischer Mittel, die ausschließlich von Zivilregierung und Militär kontrolliert werden. Für die europäische Diplomatie können aus diesen Besonderheiten auf dem geopolitischen Spielfeld weitreichende Konsequenzen erwachsen, insbesondere dann, wenn sie es mit eher staatskapitalistisch geprägten Ländern ohne derartige strukturbedingte Einschränkungen zu tun hat.
Im Kontext Europas spielen die nicht-staatlichen Akteure eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, welche außenpolitischen Optionen den Diplomaten zur Verfügung stehen.
Insgesamt lässt sich der eingeschränkte Zugriff auf die für geopolitische Zwecke instrumentalisierbaren wirtschaftlichen Ressourcen durch europäische Regierungschefs und Diplomaten darauf zurückführen, dass die Diplomaten nicht selbst über die nötigen wirtschaftlichen Druckmittel verfügen können bzw. beim Einsatz geoökonomischer Instrumente auf die Hilfe nicht-staatlicher oder internationaler Organisationen angewiesen sind. Die erstgenannte Situation tritt auf, wenn Regierungen versuchen, durch Verabschiedung rechtlicher Rahmenbedingungen Instrumente wie AWIs oder Sanktionen durchzusetzen, die sich auf die Handelsbeziehungen auswirken. Die Wirksamkeit solcher Rahmenbedingungen hängt davon ab, ob sie von Unternehmen und anderen Regierungsvertretern gewissenhaft befolgt werden. Die letztgenannte Situation bezieht sich zum Beispiel auf den instrumentalisierten Einsatz von Wirtschaftshilfen – kurzfristige Stabilisierungsfonds bis hin zu langfristigen Entwicklungsprojekten. Ohne massive Unterstützung seitens der durchführenden Partner vor Ort (Vereinte Nationen, NGOs, Unternehmen usw.) lässt sich das nicht umsetzen. Dass viele dieser nicht-staatlichen Akteure über eigene Mittel verfügen, die ihnen auf der internationalen Ebene Unabhängigkeit verschaffen, steigert die Komplexität noch; die Akteure können in einer Art und Weise agieren, welche die außenpolitische Agenda einer Regierung unterminiert. Vor allem im europäischen Kontext spielen die nicht-staatlichen Akteure daher eine Schlüsselrolle, wenn es gilt, die Frage zu beantworten, welche außenpolitischen Optionen den Diplomatinnen und Diplomaten auf internationaler Ebene zur Verfügung stehen. Eine Dynamik, der in akademischen und Strategiediskussionen über die Zukunft der Diplomatie systematisch und auf seriöse Weise Rechnung zu tragen ist.
Trugschlüsse: Der Strukturalismus und die geoökonomische Diplomatie
Betrachtet man jedoch die jüngsten wissenschaftlichen Debatten zur Geoökonomie, so finden Aspekte wie die Akteurs- und Organisationsebene erstaunlich selten angemessen Beachtung. Stattdessen dominieren in der einschlägigen Literatur offenkundig strukturalistische Ansätze, in denen die Relationalität, die dem diplomatischen Alltag inhärent ist, weitgehend außer Acht gelassen wird. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den diplomatischen Aspekten der Geoökonomie ist damit ausgeschlossen.90 Diese Literatur dreht sich im Wesentlichen um systembezogene Annahmen, die gedanklich auf den Neorealismus und Neomerkantilismus zurückgehen und uns daran erinnern sollen, dass der vermehrte Einsatz wirtschaftlicher Mittel in einem von Natur aus instabilen multipolaren internationalen System tendenziell zwischenstaatliche Feindseligkeiten und Konflikte verschärft. Die aktuelle wissenschaftliche Debatte über Geoökonomie bleibt daher inhaltlich begrenzt, da sie häufig auf der undifferenzierten Hypothese beruht, Regierungen wären in der Lage, wirtschaftlichen Wohlstand durch rationale Interessenmaximierung in internationale Macht umzumünzen.91
Diese analytische Dickfelligkeit gegenüber den tatsächlichen Gegebenheiten im geoökonomischen Feld hat auch normative Konsequenzen. In strukturalistischen Darstellungen wird die bloße Nutzung von geoökonomischen Instrumenten durch Regierungen zum »Einsatz von Volkswirtschaften als Waffe« oder gar zum »Krieg mit anderen Mitteln« stilisiert.92 Die düsterste Darstellung liefert hier Luttwak, der die Geoökonomie in seinem berühmt-berüchtigten Diktum als »Logik des Krieges in der Grammatik des Handels« beschreibt.93 Theoretische Warnungen dieser Art entbehren zwar nicht eines gewissen Sinns, aber in diesem Beitrag wird der den strukturellen Ansätzen innewohnende Determinismus infrage gestellt. Stattdessen tut eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Frage not, auf welche Weise sich die Beziehungen von Diplomaten zu verschiedenen innerstaatlichen Akteuren auf die Fähigkeit der Regierung auswirken können, das geoökonomische Instrument ihrer Wahl auch zum Einsatz zu bringen.
Analysiert man das geoökonomische Spielfeld lediglich auf seiner strukturellen Ebene, werden die politisch-ökonomischen Bedingungen und Einschränkungen, mit denen sich europäische Politiker auseinandersetzen müssen, nicht erfasst. In den gegenwärtigen Debatten wird der Einfluss akteursspezifischer Beziehungen auf die Interessen, Verhandlungspositionen und Ergebnisse einer Regierung folglich unterschätzt. Solange diese Bedingungen nicht auf den speziellen Kontext von Staat und Markt sowie das betreffende geoökonomische Instrument (Sanktionen, AWIs, Wirtschaftshilfe usw.) hin sorgfältig analysiert werden, wird der wissenschaftliche Diskurs über europäische Geoökonomie an der Realität vorbeigehen, die Diplomaten im geoökonomischen Feld erleben.
Perspektivenwechsel: Von »diplomatischen Systemen« zu »diplomatischen Netzwerken«
An sich ist die systematische Berücksichtigung der Rolle, die einheimische Akteure in außenpolitischen Entscheidungen spielen, alles andere als neu. In der Literatur zur außenpolitischen Analyse und in Studien zur Diplomatie ist dies mehr oder weniger üblich. Die Arbeiten über eine »Multistakeholder-Diplomatie«,94 »nationale Diplomatiesysteme«95 und »Netzwerkdiplomatie«96 lenkten in besonders hilfreichem Maße den Blick darauf, wie entscheidend das Verhalten und die Interessen nationaler Akteure für die moderne Diplomatie sind. In einigen dieser Beiträge klingen die Debatten zum second image in internationalen Beziehungen aus den 1970er bis 1990er Jahren erneut an, in denen Wissenschaftler wie Katzenstein, Putnam und Moravcsik verschiedene rationalistische Erklärungen dafür anführten, warum innerstaatliche Akteure und Strukturen bei der Ausbildung der außenpolitischen Interessen und des Verhandlungsverhaltens eines Staates auf europäischer oder internationaler Ebene eine so wichtige Rolle spielen.97 Allerdings liefern weder diese klassischen Werke noch jüngere »Aktualisierungen« geeignete Instrumente, mit denen sich die Beziehungen zwischen »traditionellen« Diplomaten aus den Außenministerien und anderen staatlichen – sowie insbesondere nicht-staatlichen – Akteuren im geoökonomischen Bereich eingehend untersuchen ließen. Erkenntnisse darüber, wie die alltäglichen Praktiken, die Beziehungen zu den innerstaatlichen Akteuren zu gestalten, das diplomatische Verhalten eines Staates auf internationaler Ebene beeinflussen, bleiben daher aus.
Statt die Beziehung zwischen Regierung und einheimischen Akteuren als rationales Verhandlungsspiel98 auf nationaler Ebene zu verstehen, das dann die Position der Regierung auf internationaler Ebene bestimmt (und umgekehrt), schlage ich vor, diese Beziehungen eher als ein Geflecht aus unzähligen miteinander vernetzten sozialen Bindungen zu sehen, die das diplomatische Verhalten einer Regierung in unterschiedlichem Ausmaß beeinflussen. Hockings Konzept des »Nationalen Diplomatiesystems« (NDS) weist in diese Richtung, denn es unterstreicht, dass die Rolle der Außenministerien als diplomatisches Gesicht der Regierung durch die Internationalisierung nationaler Ministerien und Regierungsstellen schon seit geraumer Zeit infrage gestellt wird.99 Auch wenn es sicherlich umfangreiche empirische Belege für diese Entwicklung gibt, erfordert der besondere Charakter der geoökonomischen Diplomatie meiner Meinung nach jedoch Analyserahmen, die (1) auch die wichtige Rolle der nationalen nicht-staatlichen Akteure berücksichtigen und (2) differenzierter erfassen können, wie sich die Einbindung dieser Akteure von Fall zu Fall unterscheidet – damit erlauben sie eine weniger statische Auslegung der sich entwickelnden Beziehungen und Kooperationen als Hockings Konzept der »Systeme«.
Erkenntnisse aus der rasant wachsenden Literatur zur Netzwerktheorie in internationalen Beziehungen können, wie ich meine, beim Aufbau eines solchen Analyserahmens eine Brückenfunktion übernehmen. Aus Platzgründen ist eine weitere Ausführung dieser Ideen hier nicht möglich; in einem ersten Schritt könnte man allerdings das Außenministerium als zentralen Knotenpunkt in einem Netzwerk vielfältiger Beziehungen mit staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren betrachten. Untersucht man nun die Praktiken innerhalb des Netzwerks, ließen sich die nationalen Akteure ermitteln, die die Fähigkeit eines Außenministeriums zur Nutzung eines bestimmten geoökonomische Instruments entweder stärken oder schwächen.100 Die Positionierung des Außenministeriums im Zentrum des Netzwerks spiegelt vielleicht nicht unbedingt empirisch genau dessen Rolle in allen Aspekten der außenpolitischen Beziehungen eines Staates wider, aber diese analytische Maßnahme erleichterte es zu bestimmen, wie sich den Auswärtigen Diensten angehörende »traditionelle« Diplomaten zu den relevanten staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren verhalten – und wie sich dies auf die Handlungsfähigkeit eines Landes im diplomatischen Bereich der Geoökonomie auswirkt.101
Wirksame europäische Sanktionen? Deutsche innerstaatliche Netzwerke und die EU-Sanktionen gegen Russland
Die oben genannten Wirtschaftssanktionen Europas gegen Russland sind ein anschauliches Beispiel dafür, wie mit einem solchen netzwerkbasierten Ansatz die innenpolitischen Probleme aufgedeckt werden können, vor denen europäische Diplomaten im geoökonomischen Wettbewerb stehen. Im Frühjahr und Sommer 2014 verhängte die EU als Reaktion auf die rechtswidrige Annexion der Halbinsel Krim und auf den Abschuss des Fluges MH17 über der Ukraine weitreichende Sanktionen gegen Russland. Nachdem die Annexion mit Vermögens- und Visasperren für Einzelpersonen geahndet worden war, erließ der Europäische Rat nach dem Flugzeugabschuss im Juli 2014 allgemeine Wirtschaftssanktionen, die im Wesentlichen Handel und Wandel mit dem russischen Banken-, Energie- und Militärsektor betrafen.
Beobachtern zufolge konnte die Frage der Verhängung strenger Wirtschaftssanktionen gegen Russland trotz ihres hohen Spaltungspotenzials den europaweiten Konsens in dieser Angelegenheit zwar nicht torpedieren. Sanktionsbefürworter wie Deutschland und Frankreich sahen sich aber erneut mit erheblichem Widerstand von Mitgliedstaaten konfrontiert, die weniger geneigt waren, das harte Vorgehen gegen Moskau mitzutragen.102
Diese Verhandlungsdynamik zwischen den Regierungen ist ein Charakteristikum der EU-Außenpolitik. Doch im Bereich der Geoökonomie sind noch andere Dynamiken zu berücksichtigen, deren Nuancen und Weiterungen ein netzwerkbasierter Ansatz zu beleuchten hilft: Auf welche Weise wurde der Einsatz von Wirtschaftssanktionen gegen Russland von innenpolitischen Akteuren angefochten und beeinflusst? Zu diesen Akteuren gehörten einige, die sonst kein erkennbares Interesse an den Beschlüssen der EU-Außenpolitik zeigen, und andere, die sich für die Hauptleidtragenden der mit den Sanktionen verbundenen Handels- und Finanzbeschränkungen halten. Aus Platzgründen muss eine eingehende Analyse der Umstände, die zur Ausarbeitung, Annahme und Umsetzung der Sanktionen führten, hier ausbleiben. Einige kurze Überlegungen zu den innerstaatlichen Problemen, mit denen das deutsche Auswärtige Amt als einer der Hauptakteure in diesem Prozess zu kämpfen hatte,103 mögen verdeutlichen, wie die strukturellen Voraussetzungen für den Einsatz des Sanktionsinstruments durch eine netzwerkorientierte Linse betrachtet aussehen.
Die Ukraine-Krise traf von Anfang an einen politischen Nerv bei jenen politischen Entscheidungsträgern in Berlin, die sich ohnehin bereits mit der schwierigen Frage beschäftigt hatten, ob die aktuellen Leitlinien zur deutschen Russlandpolitik noch angemessen seien.104 Platziert man das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland in das Zentrum des Netzwerks, lässt sich eine große Vielfalt an einheimischen Akteuren identifizieren – von anderen Ministerien und Abgeordneten des Bundestags oder der Länderparlamente über Unternehmensverbände und Großunternehmen bis hin zu ehemaligen Staatsmännern –, die jeweils Druck auf das Außenministerium ausübten und seinen Spielraum bei der Aushandlung und Umsetzung der Sanktionen in den Jahren 2014 bis 2016 beeinflussten. Hier einige wichtige Beispiele:
a) Regierungsbehörden: Das Auswärtige Amt war einem doppelten Druck seitens anderer führender Regierungsbehörden ausgesetzt. Zum einen waren Kanzlerin Merkel und ihr Kanzleramt bereits in einem frühen Stadium des Konflikts aktiv an den Sanktionsverhandlungen beteiligt und verfolgten einen härteren Konfrontationskurs gegen Moskau, als es dem SPD-geführten Auswärtigen Amt lieb war. Das Kanzleramt ist regelmäßig an wichtigen außenpolitischen Entscheidungen beteiligt, aber aufgrund der potenziellen Einbußen für führende deutsche Unternehmen und der weltpolitischen Dimensionen stand hier politisch erheblich mehr auf dem Spiel. Die fehlende politische Abstimmung zwischen dem Kanzleramt und dem Auswärtigen Amt – insbesondere zu Anfang, als das EU-Sanktionsregime entworfen wurde – ließ bei Diplomaten aus anderen europäischen Mitgliedstaaten gelegentlich Zweifel darüber aufkommen, welche politische Linie Deutschlands »wirklich« vertrat. Zum anderen plädierte das Wirtschaftsministerium sowohl in internen Diskussionen als auch in öffentlichen Erklärungen wiederholt für einen schnelleren Abbau der Sanktionen, als vom Auswärtigen Amt geplant war. Damit kam es sowohl Forderungen von Teilen der SPD-Parteibasis als auch der Stimmung in der deutschen Wirtschaft nach. Diese Dualität stellte die Rolle des Außenministeriums als einheitliche Stimme der deutschen Regierung in Verhandlungen mit anderen europäischen Partnern und der russischen Regierung fortwährend infrage.
b) Unternehmensverbände: Als wichtiger Vertreter der deutschen Unternehmen trat der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in einem frühen Stadium öffentlich für die Sanktionen ein, was Deutschlands Bemühungen auf diplomatischer Ebene entgegenkam. Auch wenn die positive Haltung des BDI intern durch den untergeordneten Verband deutscher Großunternehmen mit Interesse in den russischen und osteuropäischen Märkten – dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft – angefochten wurde, stärkte die Rückendeckung durch den BDI die Netzwerkposition des Auswärtigen Amts gegenüber der zum Teil skeptischen deutschen Geschäftswelt, die erhebliche Verluste in ihren Handelsbeziehungen mit Russland fürchtete. Es gibt zwar nur wenige Anzeichen dafür, dass deutsche Unternehmen offen gegen die Sanktionen verstießen, aber doch Fälle wie die Lieferung von Gasturbinen des deutschen Unternehmens Siemens an die sanktionierte Krim (wohl ohne Wissen der Unternehmensführung), die beweisen, dass die Durchsetzung von Sanktionen aufgrund von Gesetzeslücken und komplexen Produktions- und Lieferketten erschwert werden kann.
c) Landesregierung: Innenpolitischer Druck seitens der bayerischen Landesregierung offenbarte sich im Besuch des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer beim russischen Präsidenten Putin im Februar 2016. Ohne direkte Zustimmung der deutschen Bundesregierung vertrat Seehofer in der Sanktionsfrage eine entgegenkommendere Haltung als die Bundesregierung. Seehofers Besuch war höchstwahrscheinlich ein Signal an in Bayern ansässige kleine und mittlere Unternehmen, die lautstark ihrem Unbehagen angesichts der EU-Sanktionen und russischen Gegensanktionen Ausdruck verliehen hatten. Der Einfluss der deutschen Geschäftswelt war daher auf mehreren Regierungsebenen spürbar.
Die Herausforderungen im Inland sind Beispiele für die komplexen Schwierigkeiten, denen Diplomaten bei der Mobilisierung wirtschaftlicher Instrumente gegenüberstehen.
Kurzum: Während deutsche Diplomaten sich in den EU-Verhandlungen mit Russland und bei der Zielformulierung der Sanktionspolitik gegen Russland an vorderster Front befanden, macht die Netzwerkperspektive deutlich, dass das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland beträchtliche Ressourcen aufwenden musste, um in dem Geflecht aus nationalen Akteuren zu lavieren und sich einen kohärenten Zugriff auf das in der geoökonomischen Auseinandersetzung mit Russland so dringend benötigte wirtschaftliche Druckmittel zu sichern. Die andauernden und sehr unterschiedlichen Herausforderungen im Inland sind konkrete Beispiele für die komplexen Schwierigkeiten, mit denen Diplomaten bei der Mobilisierung wirtschaftlicher Instrumente konfrontiert sind, die letztlich nicht allein ihrer Kontrolle unterliegen.
Schlussbemerkungen
2011 rückte die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton Überlegungen zu den Fähigkeiten, die Diplomaten für ihre Arbeit an der Schnittstelle zwischen Außenpolitik, Volkswirtschaft und Geschäftswelt brauchen, in den Mittelpunkt einer bedeutenden Rede. Ihrer Einschätzung nach wird künftig ein großer Bedarf an Diplomaten bestehen, die in der Lage sind, »sowohl auswärtige Angelegenheiten als auch das [Softwaresystem] ›Bloomberg Terminal‹ zu verstehen«.105 Die Kernaussage Clintons war deutlich: Nicht nur die Diplomaten, die Handelsgespräche führen (Handelsdiplomatie) oder einheimische Unternehmen dabei unterstützen, sich erfolgreich auf ausländischen Märkten zu bewegen (Wirtschaftsdiplomatie), müssen den geoökonomischen Raum verstehen und handhaben können, sondern auch die Diplomaten, die sich mit den »klassischen« sicherheitsbezogenen und geopolitischen Problemen beschäftigen.
Solche Überlegungen zum besonderen Charakter der geoökonomischen Diplomatie lassen sich offenkundig auch auf allgemeinere Erörterungen der Funktion und Wirkung nicht-staatlicher Akteure in der modernen Diplomatie beziehen. Mit der zunehmenden Bedeutung der Geoökonomie für außenpolitische Entscheidungsträger in aller Welt ändern sich die Anforderungen an die europäische Diplomatie und ihre Diplomaten rasant. Die traditionelle, auf die staatliche Ebene bezogene Auffassung von Diplomatie verliert zusehends an Bedeutung, und es müssen neue Analyseansätze unter Berücksichtigung der Vernetzung von Außenministerien mit anderen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren entwickelt und diskutiert werden.
Wie das Beispiel der innerstaatlichen Herausforderungen für das deutsche Auswärtige Amt im Hinblick auf eine gemeinsame Regelung für EU-Sanktionen gegen Russland zeigt, können sich Wirtschaftssanktionen im Gegensatz zu anderen Instrumenten der Außenpolitik direkt auf einheimische Unternehmen auswirken. Das kann nicht nur zu interinstitutionellen Grabenkämpfen führen, sondern auch Anreize für innerstaatliche Akteure schaffen, die Politik der eigenen Regierung zu unterlaufen. Diplomatinnen und Diplomaten sind daher gefordert, sich in einem hochgradig unbeständigen innerstaatlichen Umfeld zurechtzufinden, und Experten im Bereich der Geoökonomie, sich der Unberechenbarkeit und Komplexität dieser Netzwerke im Inland bewusst zu sein.
Eine ähnliche Ansicht vertraten Bagger und von Heynitz, als sie die These vom »vernetzten Diplomaten« erarbeiteten, der in der Lage sein soll, Ideen von außen ebenso wie die Interessen einer Vielzahl staatlicher und nicht-staatlicher Akteure in seine Tätigkeit zu integrieren.106 Fletchers Vorstellungen vom modernen »nackten Diplomaten«, der sich ständig auf sich rasch verändernde und unvorhersehbare Gegebenheiten einstellen und inmitten einer Fülle von Akteuren in der realen wie in der digitalen Welt agieren muss, zielen in dieselbe Richtung.107 Aber auch wenn diese Beobachtungen unsere Sensibilität für Dynamiken auf dem sich wandelnden Spielfeld der modernen Diplomatie schärfen, liefern sie keine hinlänglich schlüssigen Antworten auf die wichtigsten Fragen der Geoökonomie. Einige der für künftige Forschungen relevantesten Themen betreffen die Umstände, unter denen innerstaatliche Akteure Einfluss darauf nehmen können, welche geoökonomischen Instrumente Regierungen zur Verfügung stehen, das Wie der Einflussnahme und die Bedeutung der vernetzten Realität für den Handlungsspielraum der europäischen Außenpolitik auf der internationalen Bühne. Doch die in diesem Beitrag behandelten Dynamiken im eigenen Land, mit denen sich die im Bereich der Geoökonomie agierenden Diplomaten auseinandersetzen müssen, sind das eine – ebenso wichtig für die Beantwortung der hier aufgeworfenen (und ähnlichen) Fragen, die für die Diplomatie und die entsprechende Forschung im frühen 21. Jahrhundert höchst relevant sein werden, sind die oftmals komplexen Beziehungen zu internationalen (nicht-staatlichen) Akteuren.
Hanns W. Maull
Autismus in der Außenpolitik
»Diplomatie« wird in diesem Band als Verfolgung der aufgeklärten Eigeninteressen von politisch organisierten Gemeinwesen108 in und durch Interaktion mit anderen Staaten, aber auch mit anderen internationalen Akteuren wie Nichtregierungsorganisationen (NGOs) oder transnationalen Konzernen definiert. Als ausführendes Organ der Außenpolitik wird die Diplomatie daher eine Schlüsselrolle spielen, wenn es darum geht, die Weltpolitik – und die Welt selbst – dauerhaft friedlich zu gestalten. Diplomaten repräsentieren also Gemeinwesen; Diplomatie beschäftigt sich mit Politik, anders ausgedrückt mit der Art und Weise, wie die internationalen Beziehungen geregelt werden. Sie soll politische Strategien entwickeln und umsetzen, um spezifische Ziele des Gemeinwesens zu verwirklichen und darüber hinaus ein produktives Zusammenleben aller Staaten und Völker zu ermöglichen.
Was Diplomatie leisten muss: Anforderungen an supranationale Steuerung im Wandel
Das Betreiben nationaler Politik und die Fähigkeit von Staaten, im Rahmen einer allgemeinen Grundorientierung (einer nationalen grand strategy oder eines »Rollenkonzepts«) politische Strategien zu entwickeln und umzusetzen, scheinen weltweit tiefgreifenden Veränderungen unterworfen zu sein. Zwei Hauptkräfte sind dafür verantwortlich: die Umwälzungen durch den technologischen Wandel und durch steigende Erwartungen der Menschen. Der technologische Wandel, der vom wissenschaftlichen Fortschritt und seiner Umsetzung in praktische Problemlösungen und Bedürfnisbefriedigung vorangetrieben wird, hat – auch grenzüberschreitend – zu einer exponentiellen Zunahme jeglicher Formen sozialer Interaktion geführt. Wir nennen das »Globalisierung«. Die Globalisierung hat die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Individuen und Gesellschaften vertieft, eine Entwicklung, die sich fortsetzen und wahrscheinlich noch beschleunigen wird.
Die Globalisierung hat auch den Staat verändert und wird dies weiterhin tun; das Gleiche gilt für die Anforderungen, die ein effektiv funktionierender Staat erfüllen muss. Immer mehr Staaten (die nicht selten schon seit ihrer Gründung eher als »Quasi-Staaten« gelten mussten)109 gelingt dies nicht mehr, was dazu führen kann, dass sie zu »scheiternden« oder gar »gescheiterten« Staaten gezählt werden.
Die Logik des technologischen Wandels verlangt politische Steuerung von einer Dichte und Qualität, die bislang weitgehend auf den Nationalstaat beschränkt war.
Dieselbe Logik entfaltet über den Nationalstaat hinaus ihre Wirkung. Die zunehmende Interdependenz veränderte und verändert die Anforderungen an politische Steuerung jenseits der staatlichen Ebene. Gleichzeitig transformiert die Globalisierung die Innenpolitik, indem Bürgerinnen und Bürger bzw. ihre Interessenvertreter die politischen Führungen mit politischen Forderungen konfrontieren, die mit dem zweiten langfristigen Trend verschmelzen, der die Diplomatie im 21. Jahrhundert betrifft: der Revolution steigender Erwartungen. Diese richten sich sowohl auf materielle Vorteile als auch auf normative oder ideologische Ansprüche. Als Triebkräfte hinter all diesen kollektiven Erwartungen lassen sich das Versprechen auf materielles Wachstum und eine Weltsicht ausmachen, die Yuval Harari als »Humanismus« bezeichnet und in der das Individuum im Mittelpunkt unseres Gesellschaftsverständnisses steht.110
Beide Triebkräfte entfalten eine durchschlagende Wirkung. Hinzu kommt, dass sich immer mehr Menschen auf dem Globus drängen und die Handlungsfähigkeit des Einzelnen aufgrund von Bildung und Wissen stetig zunimmt. Infolgedessen steigen Erwartungen geradezu exponentiell. Das wiederum erhöht den Druck auf die Politik, und zwar inner- wie zwischenstaatlich.
Was Diplomatie leisten kann: Die Hürde nationaler Souveränitätskonzepte
Die Fähigkeit der Politik, auf den steigenden Bedarf an politischer Steuerung und die zunehmenden Erwartungen daran diesseits und jenseits der Staatsgrenzen zu reagieren, hat insgesamt wohl durchaus zugenommen, wenngleich es zweifellos auch Fälle von Negativentwicklungen und Rückschritten gab (die zum Beispiel zu Staatsversagen führten). Es besteht jedoch offenbar eine wachsende Diskrepanz zwischen den Realitäten der Interdependenz und steigenden Erwartungen auf der einen und der Fähigkeit der Politik auf der anderen Seite, die Welt im Rahmen einer effektiven internationalen Ordnung zu regieren. Diese Diskrepanz ist maßgeblich auf das Konzept der nationalstaatlichen Souveränität zurückzuführen oder, genauer gesagt, darauf, wie dieses Konzept im Allgemeinen verstanden und gehandhabt wird. Das traditionelle Verständnis von Souveränität hemmt die internationale Politik, sich im Gleichschritt mit dem Druck zu wandeln, unter den sie durch die Doppeldynamik von technologischem Wandel und der Revolution steigender Erwartungen geraten ist.
Die Diplomatie befindet sich unmittelbar an dieser Kluft zwischen der Nachfrage nach einer Weltregierung und dem Angebot seitens der nationalen Außenpolitiken: Die »Weltregierung« ist schließlich nichts anderes als Diplomatie oder, genauer gesagt, das Ergebnis der Interaktionen nationaler Diplomatien. Aufgrund dieses Spannungsverhältnisses zwischen Steuerungsbedarf und Steuerungsleistung der internationalen Politik bleiben ihre Ergebnisse häufig hinter dem zurück, was gebraucht und erwartet wird.
Dieses Hinterherhinken hat wiederum zwei Konsequenzen, eine direkte und eine indirekte. Die direkte Konsequenz bezieht sich auf das, was im vorletzten Absatz erörtert wurde: auf die Schere zwischen den Anforderungen an eine internationale Steuerung und den bestehenden Mechanismen der internationalen Zusammenarbeit. Die Fähigkeit zu globaler Steuerung kann aber auch als Folge der Veränderungen in der nationalen Politik indirekt dadurch beeinträchtigt werden, dass sowohl die Fähigkeiten eines Staates als auch die Bereitschaft einer Regierung zur internationalen Zusammenarbeit leiden – etwa dadurch, dass populistische Bewegungen die Politik zu beeinflussen beginnen, wie dies in etlichen westlichen Demokratien zu beobachten ist.111 Dieselbe Problematik macht sich allerdings auch in Autokratien bemerkbar, etwa in der Volksrepublik China. Dort erkannte die Kommunistische Partei die Gefahr, dass sich ihre politischen Strategien als unzureichend für die Bewältigung der enormen Herausforderungen erweisen könnten, die mit der Transformation des Landes einhergehen. Sie reagierte darauf, indem sie alle Macht im Staate an der Spitze konzentrierte, um die politische Ordnung schneller und wirksamer mit den Anforderungen des technologischen Wandels und den steigenden Erwartungen in Einklang bringen und die Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnologie optimal nutzen zu können. Sollte sie damit Erfolg haben, mag das »chinesische Modell« einer technokratisch autoritären Regierungsführung durchaus auch anderswo Schule machen; das Interesse an diesem Modell ist bereits heute groß.
Das Konzept des außenpolitischen Autismus
Ein Opfer dieser Zersetzung nationalstaatlicher Politik durch die Spannung zwischen Nachfrage nach und Angebot an (globaler) Steuerung ist die Außenpolitik, und zwar in einer Weise, die man als autistische Tendenzen in der nationalstaatlichen Politik bezeichnen könnte. Geprägt wurde der Begriff »Autismus« ursprünglich 1911 durch den Schweizer Psychiater Eugen Bleuler, der damit eine Form unsozialen Verhaltens von Individuen beschrieb. Für ihn war Autismus ein Grundsymptom der Schizophrenie: ein Rückzug von der Außenwelt in eine eigene innere Welt. Sigmund Freud übernahm den Begriff und wandte ihn auf ähnliche Weise auf bestimmte Verhaltensanomalien seiner Patienten an.
Das Konzept wurde und wird gelegentlich als Metapher in der Theorie der Internationalen Beziehungen (IB) benutzt.112 Dort beruht es auf der Analogie, die zwischen dem Verhalten Einzelner und dem von Staaten hergestellt wird – eine Analogie, die nicht unproblematisch ist, aber in der IB-Theorie häufig Anwendung findet.113 Mir sind nur zwei hinlänglich systematische Versuche bekannt, die Metapher vom Autismus im Sinne Bleulers und Freuds bei der Analyse von Außenpolitik und internationalen Beziehungen anzuwenden. Der umfassendere der beiden Versuche wurde von Karl W. Deutsch und seinem deutschen Schüler Dieter Senghaas unternommen. In einem gemeinsam verfassten Artikel benutzten sie Freuds psychoanalytische Terminologie, um ganz allgemein außenpolitisches Verhalten zu analysieren.114 Senghaas entwickelte die Analogie dann in seiner Arbeit über atomare Abschreckung und »Drohpolitik« im Kalten Krieg weiter, wobei dem Konzept des Autismus in dieser Arbeit eine Schlüsselrolle zukam. Deutsch und Senghaas zufolge sind Regierungen vergleichbar mit dem Ich eines Einzelnen, das permanent damit ringt, von innen und von außen kommende widersprüchliche Anforderungen und Zwänge miteinander in Einklang zu bringen. Innerhalb des Individuums kommen die Anforderungen vom »Es« mit seinen emotionalen und instinktgeleiteten Vorlieben für unmittelbare Wunschbefriedigung und vom »Über-Ich«, das die internalisierten Ansprüche der Eltern und der Gesellschaft darstellt. Diese inneren Anforderungen müssen vom Ich mit den Anforderungen des »Realitätsprinzips« harmonisiert werden – also mit den Risiken und Chancen im realen Umfeld des Individuums. Für Senghaas war die Abschreckungs- und Drohpolitik autistisch: Die Regierungen, die diese Politik verfolgten, konstruierten seiner Meinung nach in ihrer Wahrnehmung ihre eigenen verzerrten Bilder von der sie umgebenden Realität der internationalen Beziehungen und legitimierten damit ihre Entscheidungen und Handlungen sowie deren Ergebnisse (beispielsweise die Reaktionen der »Feinde«). Diese wurden dann als Bestätigung ihrer ursprünglichen Entscheidungen wahrgenommen und dienten somit wiederum zur Legitimierung weiterer Schritte. Das Ergebnis war in der Regel die Eskalation der Spannungen und Risiken einer gewaltsamen Auseinandersetzung.115
Edward Luttwak ist der andere Autor, der das Konzept des Autismus nutzte. In seinem Buch The Rise of China versus the Logic of Strategy116 stellte er die Theorie auf, dass China nicht in der Lage gewesen sei, eine grand strategy zu entwickeln und umzusetzen, weil es eine grob vereinfachte und irreführende Sicht der Realität habe. Luttwak zufolge ist dieser »strategische Autismus« auf die Tatsache zurückzuführen, dass China den Großteil seiner Geschichte hindurch vom Rest der Welt jenseits Ostasiens abgeschnitten war. China unterstelle den Vereinigten Staaten Motive und Ziele (wie den Drang zur Expansion und Vorherrschaft über andere), die es selber verfolgen würde, wenn es in der Position der USA wäre. Zudem sei es unfähig, die Welt auf andere Art zu sehen als durch die chinesische Linse. Das führe dazu, dass China die Realität zu stark schematisiere und vereinfache, weshalb es in Opportunismus verfalle und Ablenkungsmanöver inszeniere.
Es ist fraglich, inwieweit Senghaas’ Ansichten über atomare Abschreckung während des Kalten Kriegs oder Luttwaks Interpretation von Chinas grand strategy zutreffend und nützlich sind, aber darum geht es hier nicht. Ich bin vielmehr an dem grundsätzlichen Argument interessiert, das beide vorbringen, wonach Staaten (genau wie Individuen) unter bestimmten Umständen ernstlich in ihrer Fähigkeit beeinträchtigt sein können, ihr internationales Umfeld realistisch wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren – ein politisches Defizit, das die Autoren als »Autismus« bezeichnen.
»Außenpolitischer Autismus« (APA) beschreibt Verhaltensmuster, die durchgehend unangemessen sind.
Meiner Meinung nach ist dieses Konzept durchaus hilfreich für die Beschreibung eines Spektrums an problematischen außenpolitischen Verhaltensmustern von Staaten. (Dies entspricht auch dem gegenwärtigen psychologischen Verständnis von Autismus bei Individuen.) Dazu definiere ich außenpolitischen Autismus (APA) folgendermaßen:
a) APA beschreibt außenpolitische Verhaltensmuster, die durchgehend unangemessen sind (also entweder zu ineffektiv oder zu destabilisierend, um die aufgeklärten kollektiven Interessen des Staates und seines Volkes zu realisieren).
b) APA kann die Folge spezifischer politischer Fehlentwicklungen oder von emotional aufgeladener Politik sein.
c) Eine politische Fehlentwicklung liegt etwa vor, wenn spezifische organisierte Interessen in der außenpolitischen Entscheidungsfindung unangemessen hohen Einfluss ausüben. Wie Mancur Olson in seinem Buch The Rise and Decline of Nations117 überzeugend argumentiert, leiden Gesellschaften, die über einen langen Zeitraum wirtschaftlich und sozial erfolgreich sind, häufig unter einem Ausufern organisierter Interessenverbände. Das verlangsamt die Politikgestaltung und reduziert sie auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und kurzfristige Lösungen. Ein weiterer dysfunktionaler Aspekt der Politik könnte eine übermäßig taktische Nutzung außenpolitischer Inhalte für innenpolitische Manöver sein. (Hier ist die nähere Bestimmung »übermäßig« wichtig: Sie impliziert, dass diese Schwächen »normal« sind, wenn sie innerhalb vernünftiger Grenzen bleiben, aber »problematisch«, wenn sie im außenpolitischen Verhalten allmählich überhandnehmen.)
d) APA als »emotionale Politik« resultiert aus Bildern und Wahrnehmungen der Welt, die aufgrund emotional aufgeladener kollektiver Einstellungen grob verzerrt sind. Das können Gefühle wie Angst, Abscheu oder Hass gegenüber »Feinden«, Schuldgefühle wegen vergangener Ereignisse oder Neid und Frustration angesichts des eigenen aktuellen Status sein. Wie Senghaas und andere zeigten, können derartige dysfunktionale Wahrnehmungen der Weltpolitik dazu führen, dass sich Staaten kognitiv abschotten und Beobachtungen nicht mehr zur Kenntnis nehmen, die den eigenen Gefühlen und Weltbildern nicht entsprechen. Die sich daraus ergebende »Theorie« bzw. das »Modell« der Welt ist selbstreferenziell und hermetisch gegen Korrekturen an der Realität abgeschlossen; jegliche Beobachtung wird auf eine Art und Weise erklärt, die das eigene Bild der Wirklichkeit und des Anderen stützt. Wenn Peking also davon überzeugt ist, dass die USA Chinas Aufstieg verhindern wollen, wird jedwede US-amerikanische Politik und Entscheidung als Schachzug interpretiert, um dieses Ziel zu verfolgen.
Freud definierte das »Es« als Teil des Verstands und stellte fest:
»Das Es, von der Außenwelt abgeschnitten, hat seine eigene Wahrnehmungswelt. Es verspürt mit außerordentlicher Schärfe gewisse Veränderungen in seinem Inneren, besonders Schwankungen in der Bedürfnisspannung seiner Triebe, die als Empfindungen der Reihe Lust-Unlust bewusst werden. […] es steht fest, dass die Selbstwahrnehmungen […] die Abläufe im Es mit despotischer Gewalt beherrschen. Das Es gehorcht dem unerbittlichen Lustprinzip.«118
In unserer Analogie wären »Triebe« organisierte Interessengruppen, aber auch kollektive Emotionen in Form etwa von Nationalismus und ideologischem Fanatismus. An dieser Stelle sollte nochmals festgehalten werden, dass hier von Verhaltensmustern die Rede ist, die grundsätzlich als »normal« gelten können: Jede Außenpolitik spiegelt in einem gewissen Maß den Einfluss der Summe aller organisierten gesellschaftlichen Interessen wider und ist auf ein auch emotional fundiertes Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger angewiesen, nicht etwa nur auf durchdachte Unterstützung. Es gibt demnach einen schmalen Grat, eventuell sogar eine Grauzone, die »gesunde« oder »normale« von »autistischer« Außenpolitik unterscheidet. Dennoch gilt es bei der Bewertung außenpolitischen Handelns, diesen Unterschied im Auge zu behalten.
Es gibt mehrere Gründe, warum die derzeitige Verfassung der Politik in vielen Ländern APA in seinen beiden Varianten – Ineffektivität und destruktives Verhalten (»wild um sich schlagen«) – begünstigt. Zu Ineffektivität führender APA ist als Ergebnis von jahrzehntelanger Wohlstandssteigerung und hoher sozialer Stabilität zu erwarten, die die westliche Welt seit den 1950er Jahren erlebte. Diese lange Periode von Frieden und Wachstum hat zur Ausbreitung organisierter Interessengruppen geführt, wie es Mancur Olson in seiner Theorie vom Wachstum und Niedergang von Nationen darlegte. Dieser Trend lässt sich inzwischen auch auf der Ebene der Parteisysteme beobachten: Die Zahl der im Parlament vertretenen Parteien ist in den letzten Jahrzehnten tendenziell gestiegen, was häufig eine Regierungsbildung mit stabilen Mehrheiten und klaren politischen Profilen erschwert.119 Da die Globalisierung immer tiefer in die Volkswirtschaften und Gesellschaften eindringt, verwischen die Grenzen zwischen inneren und auswärtigen Angelegenheiten und damit auch zwischen innerstaatlichen und transnationalen Interessen zusehends, wodurch Außenpolitik immer mehr in die Kämpfe der innenpolitischen Arena verwickelt und von ihnen absorbiert wird.
Konkurrierende Tendenzen und Kräfte, die politische Entscheidungen beeinflussen, führen dazu, dass die Gestaltung »guter« Außenpolitik komplizierter wird.
Natürlich verlaufen das Ausufern der Interessen und die Transnationalisierung von Volkswirtschaften und Gesellschaften durch die Globalisierung multidimensional und widersprüchlich: Es gibt Interessengruppen, die für die Globalisierung sind, weil sie davon profitieren, und solche, die dagegen sind, weil sie dabei verlieren. Während diese sich kreuzenden Tendenzen und Kräfte miteinander konkurrieren, um politische Entscheidungen in ihrem Sinne durchzusetzen, führt dies letztlich oft nur dazu, dass die anstehenden Fragen komplexer werden und schwieriger zu lösen. Damit werden auch sowohl Gestaltung wie Umsetzung »guter« Außenpolitik objektiv komplizierter und anspruchsvoller.
Nicht all diese Faktoren verstärken zwangsläufig autistische Neigungen in der Außenpolitik; einige werden ihnen vielleicht sogar entgegenwirken. Die Vernetzung zwischen Gesellschaften, die von der Globalisierung profitieren, unterminiert beispielsweise die Neigung, sich gegenüber unangenehmen oder unpassenden Wahrnehmungen zu verschließen. Insgesamt gibt es jedoch nach wie vor gute Gründe, sich Sorgen zu machen, ob unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen und innenpolitischen Gegebenheiten Außenpolitik Entscheidungen fällen und Strategien entwickelt kann, die den Notwendigkeiten des Weltregierens heute und in Zukunft gerecht werden kann. Die Defizite werden zunächst bei einzelnen Entscheidungen zutage treten, aber wenn sich die Negativtendenzen fortsetzen und verfestigen, könnte sich dies auf Dauer zu einem grundlegenden außenpolitischen Versagen verdichten.
Destruktiver APA könnte die Formen eines außenpolitischen Um-sich-Schlagens annehmen, wie wir es gegenwärtig in den außenpolitischen Entscheidungen und Aktionen von US-Präsident Donald Trump beobachten oder zuvor beim Ausgang des Brexit-Referendums im Vereinigten Königreich erlebten. Letztlich spiegelt destruktiver APA den spaltenden, zersetzenden Einfluss der Globalisierung auf (westliche) Gesellschaften wider. Das letzte Vierteljahrhundert hindurch deckte das vorherrschende Narrativ von Wohlstand und sozialer Stabilität nur die halbe Wahrheit ab. Weitreichende Veränderungen in Arbeits- und Beschäftigungsmustern haben zu verbreiteten Spannungen, zunehmenden sozialen Ungleichheiten und in Teilen unserer Gesellschaften (einschließlich der Mittelschichten, die von einem sozialen Abstieg betroffen oder doch gefährdet sind) zu emotional stark aufgeladenen, einseitigen Weltbildern geführt. Die anhaltende Stärke von Nationalismus und die Zunahme von Populismus quer durch die westliche Welt weisen auf diese wachsenden und »schwankenden« Spannungen in unseren Gesellschaften hin.
Wie der Begriff des Autismus in seinem ursprünglichen Gebiet der Psychologie gibt auch das Konzept des APA nicht vor, Erklärungen zu bieten; es liefert aber eine dichte, analytisch fokussierte Möglichkeit, Verhalten zu beschreiben. Der mögliche Mehrwert der Metapher liegt darin, Verhaltensmuster – in diesem Fall außenpolitische Verhaltensmuster – als »abweichend« oder »dysfunktional« zu identifizieren. Darüber hinaus kann die APA-Metapher Schwächen in der außenpolitischen Entscheidungsfindung offenlegen (wie etwa die verfälschende Darstellung des externen Umfelds in der Außenpolitik oder ihren emotionalen Ballast) und Wege vorschlagen, dem entgegenzuwirken. Autoritär regierte Gemeinwesen sind möglicherweise eher anfällig für destruktiven APA, während bei Demokratien zu erwarten ist, dass sie empfänglicher für den zu Ineffektivität führenden APA sind. Und doch sind die USA unter Trump und Großbritannien nach dem Brexit-Referendum nur zwei Beispiele dafür, dass der erstgenannte Typ des APA auch in scheinbar gefestigten westlichen Demokratien in Erscheinung tritt; andererseits können auch autoritäre politische Systeme dem zur Ineffektivität führenden APA zum Opfer fallen, etwa aufgrund von Stillstand oder der Vorherrschaft von Interessengruppen, die eine effektive Außenpolitik behindern.
APA und die Europäische Union
Die europäische Integration könnte durchaus zu einem Modellprojekt dafür werden, wie es mit der internationalen Ordnung – und damit auch mit der internationalen Diplomatie – zukünftig weitergeht. Die Europäische Union (EU) repräsentiert einen politischen Raum, in dem die Verflechtungen eine Dichte erreicht haben, die mit der Interdependenz innerhalb von Gesellschaften vergleichbar ist; die EU versucht, diesen Raum auf der Grundlage eines neuen Konzepts von Souveränität – einer »geteilten Souveränität« – politisch zu organisieren.120 Leider bietet die EU in den letzten Jahren viel Anlass für eine skeptische Sicht auf die Möglichkeiten des Regierens jenseits des Nationalstaats. Innerhalb der EU hat der verstärkte Druck auf die Politik die Regierungen offenbar dazu verleitet, ihre Aufmerksamkeit verstärkt der Innenpolitik und kurzfristigen Entscheidungen zuzuwenden, also, kurz gesagt, zu »Autismus« geführt. In der Tat scheint der APA auf zwei Ebenen der EU zu wirken: auf der Ebene der Mitgliedstaaten und auf der Ebene der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP).
Angesichts von Unsicherheit und Unvorhersagbarkeit müssen manchmal auch kühne politische Entscheidungen gefällt werden.
Ohne einen politischen Ansatz, der gegenseitiger Empathie, Kompromissbereitschaft und der Berücksichtigung der Interessen anderer Raum gewährt, und ohne einen konzeptionellen Rahmen (beispielsweise ein Verständnis von Souveränität), der mit diesen Anforderungen kompatibel ist, kann die EU nicht effektiv regiert werden. Unter den Bedingungen von demokratischer Politik bedarf es dafür Gemeinwesen, die sich grundsätzlich pro-europäisch orientieren und sich verpflichten, nationale Interessen nur innerhalb der Parameter dieses gesamteuropäischen Konsenses zuzulassen. Zu ihrem Überleben und Vorankommen könnte die EU daher nicht nur auf effektive nationale Regierungsführung, sondern auch auf einen bestimmten Typus nationaler Politik angewiesen sein – auf solide öffentliche Unterstützung für europäische Politik auf der Grundlage von Konzepten nationaler Identität, Souveränität und Politik, die mit politischen Maßnahmen vereinbar sind, die dem aufgeklärten Eigeninteresse der EU-Völker individuell und kollektiv effektiv Geltung verschaffen. Dazu müssen angesichts von Unsicherheit und Unvorhersagbarkeit manchmal auch kühne politische Entscheidungen gefällt werden. Es ist nicht zu erwarten, dass mit diesen Entscheidungen immer nur Vorteile einhergehen; gemeinsames Handeln bedeutet auch, dass Kosten anfallen, die zu teilen, und Risiken, die gemeinsam zu tragen sind. Es ist jedoch keineswegs klar, ob sich für derart aufgeklärte europäische Politik (und damit für eine effektive europäische Diplomatie) in allen gegenwärtigen Mitgliedstaaten – oder überhaupt in einem einzigen Mitgliedstaat – robuste politische Unterstützung findet.
In dem Maße, in dem die nationalen Fundamente der europäischen Politik problematisch geworden sind, fällt es der europäischen Diplomatie zunehmend schwer, das europäische Gemeinwohl wie auch das aufgeklärte Eigeninteresse der Mitgliedstaaten zu verwirklichen: War es beispielsweise wirklich in Deutschlands aufgeklärtem nationalen Interesse, der griechischen Gesellschaft in der Eurokrise derart massive Anpassungslasten aufzubürden? Allgemein haben die jüngsten Krisen in der EU viel mit nationalen Außenpolitiken zu tun, die integrationsproblematischen Konzepten von Souveränität verpflichtet sind und damit dazu beitrugen, dass heute die Funktionsfähigkeit oder gar die Existenz der EU, »wie wir sie kennen«, bedroht erscheinen.121 Kern des Problems sind Unzulänglichkeiten sowohl in den Gemeinwesen, aus denen die EU besteht, als auch tiefreichende Ideologie- und Identitätsunterschiede zwischen ihnen – Unterschiede, die sich in letzter Zeit durch den Zuwanderungsdruck noch verschärften.122 In diesen Krisen spiegeln sich die Spannungen wider, die sich zwischen den Triebkräften von Globalisierung und steigenden Erwartungen und Europas kollektiven politischen Bemühungen aufgestaut haben, diese zu kanalisieren und zu bändigen. Letztere weisen Symptome von APA in seinen beiden Erscheinungsformen auf: Ineffizienz und emotionale Voreingenommenheit. Diese Krisen erfordern gewichtige politische Veränderungen. Es ist jedoch nicht klar, ob die EU solche Veränderungen tatsächlich in die Wege leiten und durchstehen könnte. Wahrscheinlicher sind graduelle Veränderungen, die tendenziell zunehmend unzureichende politische Anpassungsleistungen erbringen. Die Betrachtung der GASP bestätigt dies: Die Fähigkeit der EU, sich als mächtige und einflussreiche Akteurin zu behaupten, und ihr Auftritt in der Weltpolitik als Musterbeispiel einer internationalen Ordnung lassen, gelinde gesagt, viel zu wünschen übrig.
Die problematische Geschichte der europäischen Integration im letzten Jahrzehnt erlaubt möglicherweise einen Rückschluss auf die Zukunft der Weltpolitik, die (wenn auch in einer ganz anderen Größenordnung) vor einem ähnlichen Problem steht: Auch hier trifft die Notwendigkeit, eine sich rasant (wenn auch ungleichmäßig) vertiefende Interdependenz und Integration sowie steigende Erwartungen politisch zu bewältigen, auf Steuerungssysteme, die auf nationaler und erst recht auf internationaler Ebene nur ungenügend reaktionsfähig sind. Untermauert wird diese skeptische Prognose durch den Umstand, dass nicht nur die EU, sondern auch viele andere internationale Organisationen sich in einer Krise befinden, allen voran die Vereinten Nationen. Die internationale Politik scheint insgesamt Insuffizienzsymptome aufzuweisen, die jenen der nationalstaatlichen Politik ähneln. Ihre Antworten auf sich verändernde materielle Umstände, die aus technologischen Fortschritten erwachsen, und auf steigende Erwartungen und damit einhergehende Forderungen bleiben häufig und gewissermaßen systematisch unzureichend – und vergrößern oft sogar die Kluft zwischen Nachfrage und Angebot an politischer Steuerung. Der Wirkungsbereich und die Fähigkeit der Diplomatie, Veränderungen durch Argumente herbeizuführen, könnten daher durch Probleme, die im APA wurzeln, mehr und mehr eingeschränkt werden.
Ein Weg, auf dem die Politik auf nationaler Ebene versucht hat, auf die Herausforderungen der Zeit zu reagieren, besteht darin, mehr Macht an der Spitze der Entscheidungshierarchien zu konzentrieren. Es ist jedoch aus mehreren Gründen unwahrscheinlich, dass sich die Lücke so schließen bzw. die Kluft so überbrücken lässt. Erstens behindern die autistischen Merkmale nationaler Politik und Strategien eben jene effektive internationale Zusammenarbeit, die für eine Mobilisierung ausreichender Machtressourcen vonnöten wäre. Zweitens sperrt sich der APA dagegen, auf Anforderungen seitens des internationalen Umfelds mit effektiver interner Anpassung zu reagieren; stattdessen wird er nach einfachen Alternativen suchen, indem er von der Belastung ablenkt oder die Probleme schlicht ausblendet. Drittens droht die internationale Zusammenarbeit angesichts dieser Schwierigkeiten für gesichtswahrende Pseudolösungen und Kompromissformeln zu votieren, die weit hinter dem zurückbleiben, was notwendig wäre.
Zukünftige Auswirkungen
Was lässt sich aus dieser Analyse für die Diplomatie des 21. Jahrhunderts ableiten – oder, bescheidener gesagt, für die Diplomatie der nächsten beiden Jahrzehnte? Wenn die Diplomatie in diesem neuen Zeitalter der Globalisierung vor der Herausforderung steht, auf nachhaltige und friedliche Weise internationale Konflikte durch vernünftige Argumentation und gegenseitige Anpassungen, geleitet von aufgeklärten Eigeninteressen, zu lösen, gerät sie wahrscheinlich in eine Zwickmühle: Auf der einen Seite ist sie mit einer steigenden Nachfrage nach globaler Regierungsführung konfrontiert, die in einer sich vertiefenden Interdependenz wurzelt, auf der anderen mit der zunehmenden Geltendmachung individueller und eng verstandener kollektiver Interessen, die APA zu befeuern scheint.
Natürlich deckt diese Diplomatiedefinition nicht die ganze Bandbreite an Funktionen ab, die der Diplomatie obliegen und von Diplomaten erfüllt werden. Staaten werden weiterhin existieren und wahrscheinlich auch die Hauptrolle in der internationalen Politik spielen. Ihre Regierungen werden nach wie vor durch Diplomatie miteinander interagieren. Es wird zweifellos auch in Zukunft Situationen geben, in denen sich die jeweiligen innenpolitischen mit außenpolitischen Fragen auf internationaler Ebene ausreichend überschneiden, damit sich gemeinsame Positionen und sogar gemeinsame Lösungen finden lassen. Auch wenn der Handlungsspielraum der Diplomatie in ihren wesentlichen Funktionen durch APA vermutlich eingeengt wird, werden die Diplomatie und Diplomaten weiterhin in dem verbleibenden politischen Raum tätig sein; dabei dürfte das Schmieden von Bündnissen wie schon bislang ein Schlüsselelement darstellen.123 Allerdings ist unter den Bedingungen des APA auch zu erwarten, dass die Diplomatie als Mittlerin und Sprachrohr noch stärker als bisher für nationale Anliegen instrumentalisiert wird, während ihre Aufgabe, Empathie für andere zu entwickeln und gute Kompromisse zu schließen, in den Hintergrund treten könnte. Das würde sich wiederum auf die Rekrutierung von Diplomaten und ihre Berufsethik auswirken: Wird dann eher die Frage »right or wrong, my government« ausschlaggebend sein oder jene danach, was das eigene Land auf einen guten Weg bringt?
Im Kontext des Weltregierens würde man sich von »gut regierten« Staaten Handlungsmuster erhoffen, die mit dem Verhalten einer »reifen« Persönlichkeit vergleichbar wären.
Im Sinne der Autismus-Metapher würde man sich im Kontext des Weltregierens von »gut regierten« Staaten Handlungsmuster erhoffen, die mit dem Verhalten einer »reifen« Persönlichkeit vergleichbar wären. Das hieße, sie würden über die Fähigkeit verfügen, mit widersprüchlichen inneren und äußeren Anforderungen so umzugehen, dass den aufgeklärten nationalen Eigeninteressen durch ein verantwortliches und empathisches Interagieren mit anderen Akteuren gedient ist. Gute Diplomatie erfordert sorgfältig zusammengetragene und gründlich analysierte Einschätzungen sowohl mit Blick auf das jeweilige externe Umfeld, in dem eine bestimmte außenpolitische Entscheidung gefällt und eine politische Maßnahme oder Strategie realisiert werden sollen, wie auch in Bezug auf das, was für die eigene Gesellschaft und das Gemeinwesen auf dem Spiel steht. Ihre Entscheidungen, politischen Maßnahmen und Strategien müssen emotional ausgereift und aufmerksam gegenüber Vorurteilen sein, die Entscheidungen verzerren und sie damit ineffektiv oder, schlimmer noch, gefährlich machen könnten. Die Umsetzung erfordert Empathie und Überzeugungsgabe. Eben das wird die Welt von ihren Diplomaten brauchen. Ob zunehmend dysfunktionale Vorstellungen von Souveränität und die Tendenzen zu APA ihnen den Spielraum dafür lassen, wird davon abhängen, inwieweit es den Staaten, allen voran den europäischen und westlichen Demokratien, gelingen wird, den besorgniserregenden APA-Trend zu korrigieren und ihre eigene Rolle im Kontext globaler Regierungsführung neu zu bestimmen.
R. S. Zaharna
Digitale Diplomatie als diplomatischer Ort: Emotion, Identität und Do-it-Yourself-Politik
Die digitale Diplomatie erobert die diplomatische Gemeinschaft zwar gerade im Sturm, aber für eine Einschätzung, wie sich die digitalen und sozialen Medien auf die Diplomatie in Gänze auswirken werden, ist es noch zu früh. Bislang scheint die »digitale Diplomatie« die traditionelle, staatszentrierte Diplomatie lediglich zu erweitern. Neue Medien entwickeln sich zu neuen Instrumenten, die der Erfüllung staatlicher Ziele und Interessen dienen. Die unmittelbare Herausforderung besteht darin, mit diesen Instrumente früher oder besser als rivalisierende Staaten oder nicht-staatliche Akteure umgehen zu können.
So sieht es auf den ersten Blick aus: digitale Diplomatie als diplomatisches Instrument. Auf den zweiten gilt es zu untersuchen, auf welche Weise diese Medien neue diplomatische Räume eröffnen, Räume, denen durch die Mitwirkung der Öffentlichkeit, deren Erwartungen und Bedürfnisse, darunter grundlegende Identitätsbedürfnisse, Leben eingehaucht würde. Die Dynamik solcher öffentlichen Räume kann allerdings zu einer Herausforderung für die traditionellen Gepflogenheiten der staatszentrierten Diplomatie werden. Entscheidend ist, den richtigen Umgang mit dieser Dynamik zu erlernen.
Staatszentrierte digitale Diplomatie: Digitale Medien als diplomatische Instrumente
Die digitalen und sozialen Medien verhelfen dem rationalen, pragmatischen staatlichen Akteur zu einer nie dagewesenen globalen Reichweite und bieten verlockende Möglichkeiten, in der Diplomatie neue Wege zu beschreiten. Aktuelle Forschungsberichte zur digitalen Diplomatie aus dem privaten wie dem staatlichen Sektor beleuchten die Schwierigkeiten und die Chancen, die digitale Medien für die Diplomatie und die Außenministerien mit sich bringen.124
Digitale Diplomatie stützt sich immer häufiger auf Neuerungen der strategischen Kommunikation. Strategische Kommunikation gilt als »Goldstandard« für die Ausarbeitung überzeugender Botschaften und Medienstrategien, die dem nationalen Ansehen dienen, bestimmten politischen Maßnahmen zur Durchsetzung verhelfen und die Öffentlichkeit beeinflussen sollen. Im Wettbewerb der Länder um die soft power spielt strategische Kommunikation eine zentrale Rolle.125 Nye bezeichnet soft power zwar als »nicht greifbar«, die »Handhabung« ihrer Ressourcen geschieht jedoch mittels Kommunikation. Rawnsley erklärt: »Wenn keiner von den Werten und guten Taten erfährt, wo ist dann die Macht?«126
Vernetzungsansätze erhöhen die Reichweite und Effizienz der digitalen Diplomatie zusätzlich. Dank Netzwerkstrategien lassen sich der Informationsfluss, die Zusammenarbeit mit anderen und die Einbindung von Öffentlichkeiten optimieren. Durch Vernetzung werden statische Meldungen zu strategischen Narrativen, die eine größere Dynamik entfalten.127 Aber nicht nur Staaten, sondern auch andere politische Akteure sind erpicht darauf, die neuen digitalen Instrumente für sich zu nutzen. Digitale Medien befähigen nicht-staatliche politische Akteure, mit der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit in Konkurrenz zu treten. Digitale Medien bringen staatliche und nicht-staatliche Akteure mit eben jenen Zielgruppen in Kontakt, auf die sie Einfluss nehmen möchten.
Gemischte Bilanz
Wissenschaftler sehen einen deutlichen zahlenmäßigen Anstieg von Staaten, die im Wettbewerb um soft power digitale Medien und strategische Kommunikation einsetzen. Sie kommen allerdings nicht zu dem Schluss, dass dieser Mehraufwand an Zeit und Geld deutliche Vorteile bringt – etwa höhere Beliebtheitsraten in ausländischen Öffentlichkeiten. Die Ergebnisse scheinen zwiespältig zu sein.
Eine aggressive strategische Kommunikation kann globale Beziehungen eher belasten als fördern.
Es mag überraschen, aber eine aggressive strategische Kommunikation kann globale Beziehungen eher belasten als fördern. Nye hatte die These aufgestellt, dass sich das Bemühen um soft power positiv auf die Beziehungen auswirken werde. In einschlägigen Studien wird diese Annahme jedoch inzwischen infrage gestellt. Als Beispiel wird der Kampf um soft power in den asiatischen Ländern angeführt, der eher die Reibungen verschärfte als neue Freundschaften stiftete.128
Die strategische Kommunikation scheint außerdem dann, wenn sie gegenüber verschiedenen globalen Öffentlichkeiten zum Einsatz kommt, nicht besonders treffsicher zu sein. Nirgendwo sonst wurde sie mit einer vergleichbaren Dringlichkeit betrieben wie bei der Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus. Obwohl intensive Studien angestrengt wurden, um strategische Gegennarrative zu entwickeln, erbrachten diese in der Praxis häufig kontra-intuitive Ergebnisse.129 Nicht Herz und Verstand der muslimischen Welt wurden (für den Westen) gewonnen, sondern junge Menschen aus westlichen Gesellschaften für Gruppen wie den »Islamischen Staat« (ISIL) – die jene Gegennarrative häufig für ihre Zwecke der Radikalisierung und Rekrutierung zu nutzen in der Lage waren.
Der Aufstieg des Populismus stellt den Einsatz strategischer Kommunikation in der Diplomatie ebenfalls vor Probleme. Der Fokus strategischer Kommunikation liegt auf Überzeugungsarbeit, die jedoch Bemühungen unterminieren könnte, zwischen Gruppen zu vermitteln. Forschungsergebnisse zeigen, dass gezielte Beeinflussungsversuche Widerstand provozieren, weil sie Meinungen eher verhärten als verändern. Das kann zu Polarisierung führen. Der vom Weltwirtschaftsforum herausgegebene Global Risks Report 2017 warnt vor einer »zunehmenden sozialen und kulturellen Polarisierung« und sieht darin eine Bedrohung für die Demokratie.130
Öffentlichkeitszentrierte digitale Diplomatie: Digitale Medien und diplomatische Orte
In Analysen der Machtdynamiken zwischen Staaten und auch zwischen nicht-staatlichen Akteuren der digitalen Diplomatie zeigt sich eine auffällige Vernachlässigung der Rolle, die Öffentlichkeiten in der diplomatischen Gleichung spielen. Aus Sicht der Öffentlichkeit stellen digitale Medien einen neuen diplomatischen Raum für Teilhabe und Meinungsäußerung dar. Wenn Bürger »online gehen«, verstehen sie darunter einen bestimmten Ort. Die Online-Umgebung ist für sie ein Raum der Begegnung und Interaktion.
Das Bewusstsein für die neuen öffentlichen Räume und ihre Folgen für die Diplomatie scheint allmählich zu wachsen. Einige Forscher meinen, dass Diplomatie »öffentlicher« werde – weniger in Bezug auf die Zielgruppe (die Öffentlichkeit, an die sich Diplomatie richtet) als vielmehr in Bezug auf den Kontext (die öffentliche Bühne, auf der Diplomatie stattfindet). Hocking und seine Mitautoren schlugen den Begriff der »integrativen Diplomatie« vor, um die Komplexität der öffentlichen Bühne zu erfassen, die sich Diplomaten nun mit einer Vielzahl von Akteuren teilen müssen.131 Gregory empfiehlt, die Diplomatie um eine »öffentliche Dimension« zu erweitern.132 Am konsequentesten argumentiert vielleicht Kelley, für den »die Diplomatie den Punkt der Öffnung gegenüber der Gesellschaft schon weit überschritten hat – sie ist bereits in den öffentlichen Bereich verstrickt«.133
Der neue diplomatische Raum wird nicht durch seine Akteure definiert, sondern durch die Dynamik der Kommunikation, die darin stattfindet.
Der neue diplomatische Raum wird nicht durch seine Akteure – seien es staatliche, nicht-staatliche oder öffentliche – definiert, sondern durch die Dynamik der darin stattfindenden Kommunikation. So gesehen lassen sich die diplomatischen Räume präziser mit dem von Neumann geprägten Begriff der »diplomatischen Wirkungsstätten« (diplomatic sites) umschreiben, der die Diplomatie in der gesellschaftlichen Wirklichkeit ansiedelt.134 Die Online-Dynamik mag in der Theorie zwar virtuell sein, kann für die Teilnehmenden jedoch ausgesprochen real wirken – und für Diplomaten konkrete Folgen haben. Phänomene wie Brexit, Trump und migrantenfeindliche Ressentiments sind ein Teil dieser Folgen. Daher ist es für Diplomaten äußerst wichtig, die Dynamik dieser neuen diplomatischen Orte zu verstehen.
• Emotion als entscheidende Dynamik
Emotionen sind zu einem entscheidenden dynamischen Faktor der neuen diplomatischen Orte geworden. Sie durchdringen nahezu jeden Aspekt der Online-Erfahrung – von dem Gefühl, die elektronischen Geräte in der Hand zu halten, über die Unmittelbarkeit der persönlichen Interaktion in Echtzeit bis hin zu emotional abstumpfendem Bildmaterial.135 Neben YouTube-Videos über niedliche Katzen sind auch Videos von Enthauptungen abrufbar, die Extremisten hochladen. Diplomaten können davon ausgehen, dass sich diese Dynamik noch verschärfen wird, denn die technischen Innovationen verändern das sensorische Erleben. Die Popularität von Online-Spielen mit Elementen virtueller oder erweiterter Realität beispielsweise beruht zum Teil auf immersiven Medientechnologien, welche die emotionale Einbeziehung steigern.
In der traditionellen Diplomatie spielt Emotion eine eher implizite Rolle, im öffentlichen Raum wird sie wahrscheinlich expliziter werden, wenn nicht gar gewollt lautstark, erkennbar und verstörend. Die Wandlungen in der Diplomatie verlangen eine größere Sensibilität für diese Aspekte, um mit effektiven, aber auch affektiven Strategien auf die Emotionen der Öffentlichkeit eingehen zu können.
• Personalisierte Do-it-Yourself-Politik
An den neuen diplomatischen Wirkungsstätten verschmelzen Emotionen und politische Handlungen zu personalisierter Politik. Zu den etablierten politischen Akteuren oder jenen, die zumindest als politische Akteure erkennbar sind, gesellt sich das neue Phänomen der spontanen persönlichen Netzwerke. Für Bennett gehört diese neue »umfangreiche, sich schnell formierende Form der politischen Partizipation« zusammen mit der »personalisierten Politik« zu den bemerkenswertesten Trends im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts.136 Er bezeichnete dieses Phänomen als »Do‑it-yourself«-Politik. Danah Boyd nannte dasselbe Phänomen »me and my gang« (ich und meine Gang).137 Sie weist auf eine Verschiebung hin: Öffentlichkeiten schließen sich rund um aktuelle Themen zu persönlichen Netzwerken zusammen.
Marketing und Technologie leisten einer personalisierten Online-Erfahrung Vorschub, wobei der Trend zur personalisierten Politik die Diplomatie vor große und schwerwiegende Herausforderungen stellen kann. Personalisierte, selbstdefinierte Politik ist imstande, wichtige soziale Institutionen und Verhaltensregeln zu untergraben, die den sozialen Zusammenhalt aufrechterhalten. Auf diesen Aspekt beziehen sich der Begriff »zerstörerische Macht«138 und die Taktik der »Empörungsindustrie«.139 Die jüngsten Verstöße gegen das diplomatische Protokoll sind Auswirkungen dieser sich herausbildenden Dynamik.
• Auf Geschichten basierende Narrative mit Resonanz
Eine genauere Betrachtung des politischen Diskurses zur personalisierten Politik offenbart, dass Menschen nicht einfach Informationen austauschen. Sie erzählen anderen ihre Geschichten. Der Arabische Frühling wurde anfangs als Revolution bezeichnet, die durch die sozialen Medien herbeigeführt wurde. Inzwischen erkennen Wissenschaftler, dass Geschichten der Motor des Phänomens waren.140 Bei diesen Geschichten handelt es sich nicht um sorgfältig ausgearbeitete strategische Narrative, sondern um emotional gefärbte Erzählungen von Affinität und Identität.
Diese Kombination aus persönlichen Instrumenten und persönlichen Geschichten – oder emotionalen Medien mit emotionalen Meldungen – kann einen hyperemotionalen diplomatischen Raum schaffen. Emotional kraftvolle Geschichten sind in der Lage, selbst harte Fakten auszustechen. Wut im Internet kann offline in Gewalttaten münden. Der bekannte Soziologe Manuel Castells hat in seinem Buch Networks of Outrage and Hope festgestellt, dass Angst und Hoffnung immer wieder die hervorstechendsten Gefühle bei der Bildung »emotional motivierter Bewegungen« sind.141 Werden Amtsträger von der Öffentlichkeit mit einer »emotional motivierten Bewegung« konfrontiert, ist eine unmittelbare empathische Antwort häufig ausschlaggebend für eine erfolgreiche Mediation und Deeskalation von Spannungen – so die Krisenforschung.142
• Emotion und Identität
Neben der Emotion spielt Identität unterschwellig eine große Rolle in den genannten diplomatischen Räumen. Ebenso wie Staaten ein positives nationales Image anstreben und fördern, werden auch Öffentlichkeiten von tiefgehenden Identitätsbedürfnissen angetrieben. Identität ist dabei nicht auf Selbstentfaltung beschränkt, sondern meint auch Selbstwertgefühl, insbesondere in turbulenten oder unsicheren Zeiten.
In der Online-Umgebung kann Identität ein gemeinsames Gefühl sein. Menschen erkennen sich selbst in den Gefühlen anderer wieder: »genauso wütend wie ich«. Aufmerksame Diplomaten nehmen wahr, dass Öffentlichkeiten, sobald Identität und Emotionen zusammentreffen, zu fließenden, sich ständig wandelnden Einheiten werden. Im Gegensatz zu früher ist es heute nicht mehr so einfach, politische Akteure und Öffentlichkeiten anhand starrer Kategorien wie Demografie (Alter, Einkommen), Geografie (einheimisch/ausländisch oder Europa/Mittlerer Osten) und sozio-kulturelle Gruppe (Jugend, Muslim) einzuschätzen. Noch beunruhigender ist die Tatsache, dass die Grenzen der Identität verschwimmen, und zwar sowohl zwischen Nationalstaaten als auch zunehmend innerhalb eines Landes. Ein Zwischenfall, der die einheimische Öffentlichkeit oder Regierung betrifft, kann sich viral im Internet verbreiten und eine globale Tragweite bekommen.143
• Emotion und Gemeinschaft
Emotionen dienen der Öffentlichkeit nicht nur zur Identifizierung mit anderen. Geteilte Emotionen sind auch gemeinschaftsstiftend. Wissenschaftler verwenden den Begriff »Netzwerk« in ihren Studien für Menschen, die soziale Medien nutzen. Die Nutzer selbst sprechen von »Gemeinschaft (›Community‹)«.144 Emotionen sind das Bindemittel, das aus einem Netzwerk einzelner Knoten, die lose miteinander verknüpft sind, eine Community mit starken sozialen Bindungen macht.
Von emotionalen Bindungen und Zugehörigkeitsgefühlen getragene virtuelle Online-Gemeinschaften können reale Auswirkungen haben, wenn sich die Mitglieder offline zusammenfinden, um ihre Absichten zu verfolgen. So ist beispielsweise die Rekrutierungsstrategie des ISIL trotz der tödlichen Absichten ein anschauliches Beispiel für einen in hohem Maße beziehungsbasierten und emotionalen Ansatz, der auf gemeinsamer Identität und Zugehörigkeit aufbaut. Der Aufruf an die Umma ist beziehungsorientiert, denn er appelliert an die starken Bande der muslimischen Bruderschaft. Emotional motivierte Perspektivenübernahme und Empathie sind ebenfalls zentrale Mittel der Rekrutierung. Studien haben ergeben, dass ISIL-Rekrutierer »Individuen als Individuen verpflichten […]. Die Ansprechpartner hören zu und interessieren sich für deren persönliche Belange und Lebensumstände. So fühlen sich die Rekrutierten wertgeschätzt und ernst genommen. Sie erfahren ein Gefühl von Wärme, Annahme und Zugehörigkeit.«145 Gegennarrative Strategien, die die Gemeinschaft bedrohen oder herabwürdigen, verfehlen ihr Ziel, denn sie versuchen, emotionale Bindungen zu kappen, welche die empfundene Gemeinschaftsidentität zusammenhalten.
Implikationen und Empfehlungen
Die Aufgabe der digitalen Diplomatie besteht nicht darin, digitale Instrumente anzuschaffen oder neue Kommunikationsmittel zu erlernen. Vielmehr geht es darum, die Dynamik in den neu entstandenen öffentlichen diplomatischen Räumen sicher zu umschiffen, die online entstehen und dann offline florieren. Dieser Trend wird in Zukunft wahrscheinlich noch an Zugkraft gewinnen.
Die Diplomatie muss ihre vornehmlich staatszentrierte Sichtweise um eine öffentlichkeitszentrierte Perspektive erweitern.
Da die Kräfte der Globalisierung und die digitalen Technologien unterschiedliche Öffentlichkeiten des eigenen Landes mit Öffentlichkeiten im Ausland und politischen Akteuren zusammenbringen, muss die Diplomatie ihre vornehmlich staatszentrierte Sichtweise um eine öffentlichkeitszentrierte Perspektive erweitern. Traditionell sind Diplomaten Vermittler zwischen Identitäten und Beziehungen auf Staatsebene und aus staatlicher Perspektive. Wichtige Verhandlungen wurden bisher in einem vertrauten, hochkultivierten diplomatischen Rahmen hinter verschlossenen Türen geführt. Die digitale Diplomatie steht vor der Herausforderung, Innovationen zuzulassen, um in den heutigen diplomatischen Räumen zwischen Identitäten in einer oder mehreren Öffentlichkeiten effizient vermitteln zu können.
• Die Tretmühle der staatszentrierten strategischen Kommunikation vermeiden
Im Wettbewerb der Staaten um soft power vertraut die zeitgenössische Diplomatie stark, womöglich zu stark, auf Instrumente der Beeinflussung und digitale Technologien, wenn es darum geht, das nationale Ansehen aufzuwerten und den eigenen Interessen und Strategien Geltung zu verschaffen. Die Illusion von Kontrolle droht die Diplomatie in eine Kommunikations-Tretmühle zu führen, aus der sie nicht mehr herausfindet: Es werden immer ausgefeiltere Medien und Strategien zur Nachrichtenweitergabe erarbeitet, die aber zur Verfolgung der diplomatischen Ziele im neuen diplomatischen Raum wenig beitragen. Wenn die digitale Diplomatie im öffentlichen Raum das erreichen will, was die traditionelle Diplomatie hinter verschlossenen Türen erzielt hat, muss sie die staatszentrierte, auf Beeinflussung ausgelegte strategische Kommunikation hinter sich lassen. Vielleicht kommt es zu der dringend erforderlichen Rückbesinnung auf die wahren Stärken der Diplomatie: Vermittlung und Zusammenarbeit.
• Ein Auge für öffentlichkeitszentrierte Bedürfnisse haben
Öffentliche Teilhabe und öffentliche Bedürfnisse sind Teil des diplomatischen Kalküls. Diplomaten müssen ihren Blick auf alle Zielgruppen (ausländische, einheimische, Diaspora) und deren unterschiedliche Bedürfnisse nach Identität, Emotionalität und Einbindung richten. Der »pragmatische Realismus«,146 der die traditionelle Diplomatie zwischen staatlichen Akteuren prägte, ist zur Erfüllung öffentlichkeitszentrierter Bedürfnisse und Erwartungen womöglich nicht so effektiv und strategisch nützlich. Die Erneuerung der Diplomatie wird auf die Entwicklung öffentlichkeitszentrierter diplomatischer Instrumente zur Beobachtung emotionaler Dynamiken, zur Vermittlung zwischen Identitäten und zur Konfliktbewältigung im öffentlichen Bereich hinauslaufen müssen.
Auf die menschliche Dimension kommt es an; hier ist der Ansatzpunkt für Effektivitätssteigerungen der Diplomatie in den für sie relevanten Online-Offline-Räumen von morgen.
• Einfluss auf die menschliche Dimension nehmen
Sobald der Reiz der neuen Medien verflogen ist, wird sich das Nachdenken über digitale Diplomatie vom Digitalen weg hin zur Öffentlichkeit orientieren. Bewegt man sich zu dieser zweiten Analyseebene, ist paradoxerweise eine Rückkehr zur traditionellen Kernkompetenz der Diplomatie angeraten, das heißt zur Pflege menschlicher Beziehungen. Mit diplomatischem Geschick müssen Antworten auf die emotionalen Bedürfnisse der Bürger gefunden und empathische Antwortstrategien entwickelt werden. Pro-aktive diplomatische Initiativen mögen beispielsweise geeignet sein, Öffentlichkeit so an Identitätsfragen zu beteiligen, dass eine Brücke zwischen innerstaatlichen und globalen Öffentlichkeiten geschlagen wird. Auf die menschliche Dimension kommt es letztlich an; hier ist der Ansatzpunkt für Effektivitätssteigerungen der Diplomatie in den für sie relevanten Online-Offline-Räumen von morgen.
Schlussfolgerungen – Eine offene Diplomatie
»Die Kunst der modernen Diplomatie besteht darin, Theodore Roosevelts großen Knüppel digital zu schwingen – und niemals leise aufzutreten«. So oder so ähnlich werden wir vielleicht in Zukunft Diplomatie im 21. Jahrhundert definieren. Die Arbeitsgruppe, die an der Stiftung Wissenschaft und Politik untersuchte, wie sich die Umbrüche der internationalen Welt auf die Diplomatie der Zukunft auswirken, ließ sich von akademischem Erkenntnisinteresse leiten. Praktiker wollen wissen, welche konkreten Schlussfolgerungen aus solchen Erkenntnissen zu ziehen sind: für die Politik, für die diplomatische Tätigkeit und das diplomatische Instrumentarium. Auf die hier vorgelegten Essays von Akademikern, Praktikern und Beobachtern aus der internationalen Arbeitsgruppe soll zumindest der Versuch einer Antwort folgen. Die eingangs angeführte ironische Neudefinition von Diplomatie überzeichnet die auf der Hand liegenden Indizien für neue Notwendigkeiten. Tatsächlich ist das Resultat ein vielschichtiges: Es gibt keine To-Do-Liste, und was sich tatsächlich in die Tat umsetzen lassen wird, ist unsicher.
I. Die einschneidendste Wirkung auf den eigentlichen Charakter der Diplomatie geht von der Vervielfältigung der Öffentlichkeiten in modernen Staaten aus, insbesondere in den westlichen Demokratien. Diese Fragmentierung folgt aus der Zerklüftung unserer Gesellschaften, die sich in diesem Jahrhundert noch beschleunigt. Zu ihr wiederum kommt es dadurch, dass unsere Lebensumfelder, Berufswelten, Bildung, Interessen, Erfahrungen, weltanschaulichen Orientierungen sich zunehmend ausdifferenzieren. Deswegen haben wir es in der Diplomatie mit immer mehr Akteuren zu tun, die für zahlreiche unterschiedliche, miteinander koexistierende Öffentlichkeiten stehen, die mitunter berührungslos parallel nebeneinander leben; sie können aber auch zusammenarbeiten oder zusammenstoßen und sich in neue Teilöffentlichkeiten aufspalten.
Dieser Fragmentierungsprozess dürfte noch fortschreiten. Er wirkt nicht nur innergesellschaftlich, sondern auch intergesellschaftlich, sprich: grenzüberschreitend. Damit werden auch außenpolitische Entwicklungen von den neuen Öffentlichkeiten aufgegriffen. Das ist selbstredend der Fall, wenn außenpolitische Probleme gleichzeitig innenpolitische oder die innergesellschaftlichen Zustände berühren. Es kann aber auch der Fall sein, wenn es für Bürger einen Grund gibt, sich für Vorgänge anderswo zu interessieren. Die neuen Öffentlichkeiten wollen daher je nach Thematik die Umsetzung von Außenpolitik beeinflussen. Diplomatie agiert deshalb nicht mehr nur zwischenstaatlich im Dienste der nationalen Ziele eines Landes. Sie muss sich auch innenpolitisch erklären oder rechtfertigen und zwischen den Zielen des Staates und den Ansprüchen der Öffentlichkeiten vermitteln. Letztere können verlangen, dass eine Regierung sich anders verhalten sollte, als die politische Führung es für sachgerecht hält; derweil beansprucht die Regierung, die Interessen der Öffentlichkeiten angemessen zu vertreten. Selbst in autokratisch regierten Staaten ist ein derartiges Auseinanderfallen von Regierungsentscheidungen und den Werten der Öffentlichkeiten zu beobachten. Die daraus resultierenden Konflikte zerrütten das Vertrauen der Öffentlichkeiten in ihre politische Führung und können eine Gesellschaft zerreißen.
Selbst angesichts solcher Verluste an Vertrauen in eine politische Führung ist der Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Politik aber auch eine positive Erscheinung. Sie entspringt dem Wunsch nach Teilhabe, der sich aus den Emanzipationsprozessen seit der Aufklärung entwickelt hat. Misstrauen der Öffentlichkeiten in die Politik und ihr Handeln wird sich absehbar eher verschärfen als abschwächen, ohne die Spannung zwischen Öffentlichkeiten und den staatlichen Repräsentanten zu lösen. So wird zuerst die Legitimität einer Regierung, dann die eines Staatswesens als Ganzem in immer größere Gefahr geraten: Sie wird blasser und weniger wirkmächtig. Damit ist auch fraglich, ob ein Staat überhaupt noch effektiv und effizient handeln kann. Als Lösung – und damit Aufgabe für eine Umorientierung der Diplomatie, wie sie sich aus diesen Entwicklungen ableitet – ist der Rückgriff auf jene wahrscheinlich jahrtausendealte Grundtugend der Diplomatie vorstellbar, wie sie Bismarck mit seinem in der Einführung zitierten Satz im Kopf gehabt haben muss: geduldige Vermittlung. Heute aber geht es nicht nur darum, zwischen internationalen Partnern zu vermitteln, sondern auch zwischen staatlichen Interessen und den neuen Öffentlichkeiten. Dieser Wandel erfordert ein neues Verständnisses dessen, was Diplomatie leisten kann, und einen landesweiten Konsens über die Grundsätze des Regierungssystems. Die neuen Öffentlichkeiten wie die Regierungen werden ihre Erfahrungen damit machen und sie hoffentlich produktiv verarbeiten.
II. Als diplomatische Instrumente von dramatischer Wirkung etablieren sich digitale Technologien. Der Prozess der Anpassung an neue technische Angebote ist in den Außenministerien der Welt weit fortgeschritten, wenngleich je nach Staat mit großen Unterschieden. Die digitalen Technologien erleichtern die Kommunikation, sie beschleunigen Entscheidungsabläufe, sie vervielfältigen die Menge rasch verfügbarer Informationen, sie bieten mit den sozialen Medien Plattformen für den Austausch mit den Öffentlichkeiten an. Die Bedeutung der digitalen Konnektivität liegt allerdings nicht nur in der Technik. Dies wäre eine Ebene, auf der sie mit der Einführung des Telegrafen im 19. Jahrhundert oder des Faxgeräts im 20. Jahrhundert vergleichbar wäre. Tatsächlich aber wandelt sich mit der Anwendung der Technologien das Verständnis der Kommunikationsinhalte. Informationen werden mit Nutzung der Technik weiterverarbeitet. Die Beschleunigung der Kommunikation erfordert Entscheidungen in entsprechender Geschwindigkeit, wodurch Entscheider auf lokaler wie auf nationaler Ebene erheblich unter Druck geraten. Dieser wird noch verschärft durch das Bewusstsein, in Konkurrenz zu anderen Akteuren zu handeln. Denn die Wettbewerber verfügen vermutlich über die gleichen technischen Möglichkeiten, verfolgen vielleicht aber andere Ziele. Ferner sind mehr Fakten greifbar, und zwar tendenziell nahezu zeitgleich mit dem Moment, in dem eine Entscheidung getroffen wird.
Die jüngsten Diskussionen über Facebook, Twitter, YouTube usw. haben gezeigt, dass es sich dabei keineswegs nur um bequeme und reichweitenstarke Plattformen zum Dialog mit den Gesprächspartnern von Diplomaten handelt. Die Entscheidungen darüber, wo Posts eingestellt werden sollen, fällen im seltensten Fall Menschen. Sie werden durch Algorithmen getroffen. Gleiches gilt für die Entscheidungen, ob und wann welche Posts mit welcher Frequenz veröffentlicht werden. Hinzu kommt die Möglichkeit, dass Bots und Trolle fingierte »persönliche« Posts und »Fake News« veröffentlichen. So können die Initiatoren dahinter – wer auch immer sie sein mögen – der Diplomatie, im Normalfall vertreten durch das Außenministerium und dessen politische Führung, ganz nach Belieben Themen aufzwingen und der Öffentlichkeit zur Diskussion stellen. Öffentliches Engagement verfügt nun über neue Kanäle, und dies hat Auswirkungen darauf, wer nicht nur die öffentliche Meinung kontrolliert, sondern auch die Politik. Digitale Kommunikation kann sich zu Propaganda im weitesten Sinne entwickeln. In Verbindung mit den Forderungen der neuen Öffentlichkeiten nach Teilhabe und deren gleichzeitiger Staatsferne kann dies dazu führen, dass Regierungen die Möglichkeit entgleitet, die Regierungsgeschäfte überhaupt noch zufriedenstellend wahrzunehmen. Die Reaktionen wachsam-misstrauischer Öffentlichkeiten bedrohen daher die Legitimität, Effektivität und Effizienz von Regierungsführung. Die neuen Kommunikationstechniken können den Wesenskern von Diplomatie verändern, indem sie sie in den gesellschaftlichen Alltag einbinden.
Sucht man Lösungen für dieses Problem, muss man digitale Konnektivität zuallererst als Politik verstehen. Natürlich hat Digitalisierung auch eine technische Seite. Die Gefahr, wesentliche Informationen zu übersehen etwa, kann nur durch genauer durchdachte technische Verarbeitung vermieden oder zumindest reduziert werden. Wesentlicher ist jedoch die Handhabung der sozialen Medien und ihrer zu erwartenden künftigen Nachfolgeprodukte. Praktisch kann das bedeuten, dass Regierungen selbst Algorithmen und Plattformen nach eigenen Erfordernissen entwickeln und erstellen. Gleichzeitig müssen sie deren Anwendung und Entwicklung in eine Denkweise einbetten, die sich an Kultur und Werten eines Landes sowie den Zielen eines Staates orientiert.
Es liegt nahe, diese Aufgabe zusammen mit anderen Regierungen anzugehen, zumindest im Rahmen der Europäischen Union (EU). Die digitale Konnektivität hat eine internationale Dimension, die sich mehr als anderswo gerade zwischen den EU-Mitgliedstaaten hochdynamisch bemerkbar macht. Die neue Digitalisierungspolitik, die sich den neuen Öffentlichkeiten zuwendet, muss die digitalen Prozesse und ihre Einsatzweise kontrollieren können.
III. Die Konsequenzen fortschreitender gesellschaftlicher Fragmentierung für die innerstaatliche Entwicklung lassen sich auch auf internationaler Ebene beobachten. Die Ausdifferenzierung von zwischenstaatlichem Handel und Verkehr, die Zunahme an Staaten, die über erheblichen internationalen Einfluss verfügen, der Verlust von Ordnung im internationalen Staatengefüge und die Zweifel an der Stichhaltigkeit der Regeln, die in der liberalen internationalen Ordnung gelten, zeitigen deutlich erkennbare Folgen. Die wichtigste ist, dass die Zahl der im internationalen Rahmen auftretenden Akteure wächst. Wie die innerstaatlichen sind sie unterschiedlich, aber auch einander ähnlich. Sachbezogen, profit- oder ideell orientiert, stehen sie im Wettbewerb miteinander oder kooperieren. Da sie international tätig sind, beeinflussen sie die Außenpolitik und die Diplomatie direkt und zum Teil mit erheblichen Auswirkungen.
Das gilt insbesondere für das Maß an Fragmentierung, das die Interaktion zwischen nicht-staatlichen und staatlichen Akteuren betrifft. Die Vielfalt der Interessenlagen führt zu wenig vorhersehbaren Abläufen. Sie folgen weniger als noch im 20. Jahrhundert den Vorgaben des Völkerrechts, also der internationalen Regelwerke, die an Verbindlichkeit einbüßen und vielleicht auch leichter als früher zu umgehen sind. So kreuzen sich diplomatische Interaktionsstränge zwischen alten und neuen Akteuren auf verschiedenen Ebenen. Mit – allerdings dramatischen – Ausnahmen gibt es zwar weniger Versuche, Probleme mithilfe von Waffengewalt zu lösen. Aber der Rückgriff auf andere Zwangsmittel gewinnt an Bedeutung. Sie sind zumeist wirtschaftlicher und finanzieller Natur und bedienen sich nicht-militärischer Gewalt zur Beilegung von Problemen, die sich durch Gespräche nicht regeln lassen. Angesichts dieser nur schwer zu erfassenden und noch weniger zu steuernden Komplexität der internationalen Beziehungen versuchen staatliche Akteure häufiger, sich auf ihren nationalstaatlichen Rahmen zurückzuziehen.
Es ist schwer zu erkennen, wie hier ohne eine durchsetzungsfähige internationale Ordnungsinstanz, die den zwischenstaatlichen Umgang friedlich regelt, eine Lösung gefunden werden kann. Sie müsste als mindestens ebenso legitim erachtet werden wie ein souveräner Staat und mit traditionellen oder neuen diplomatischen Mitteln neue, offenere Wege im Umgang mit den von Zersplitterung gekennzeichneten Verhältnissen zwischen den vielen neuen und alten Akteuren beschreiten. Das obliegt als Grundsatzaufgabe der Außenpolitik. Allein festzustellen, dass sie nur multilateral bewältigt werden kann, gibt in einer Zeit, in der der Multilateralismus selbst in Zweifel steht, wenig Grund zur Zuversicht. Immerhin lässt sich mit Blick auf Europa festhalten, dass die EU hier mit neuen supra-souveränen Ordnungseinrichtungen experimentiert – die indes nicht mit traditionellen exekutiven Institutionen zu verwechseln sind.
IV. Für die praktische Ausübung der Diplomatie des 21. Jahrhunderts sind die Persönlichkeit und das persönliche Profil künftiger Diplomaten entscheidend. Diplomaten werden die Fragmentierung ihrer Gesellschaften repräsentieren, sozial wie sprachlich den veränderten Anforderungen gewachsen sein und der Notwendigkeit entsprechen müssen, den Umgang mit Öffentlichkeiten oder mit der Digitalisierung zu ändern. Auswahl, Training und Karrieremuster müssen daher auf die neuen Anforderungen hin ausgebaut werden. Dies ist jedoch eine Aufgabe, die die Außenministerien der meisten Länder– mit unterschiedlichen Zielen – längst in Angriff genommen haben.
Aus grundsätzlichen Überlegungen, wie sie in der Arbeitsgruppe an der Stiftung Wissenschaft und Politik angestellt wurden, lässt sich keine Rezeptsammlung ableiten. Letztlich können wir in einer Zeit, in der sich die Fragezeichen beim Umgang mit der internationalen Politik häufen, nur Ansätze und Wegweiser anbieten. Schließlich stehen wir noch am Anfang mit unseren Erkenntnissen darüber, was die Veränderungen in und zwischen den Staaten der Welt für die altehrwürdige Institution der Diplomatie wirklich bedeuten. Alt oder nicht, auch die Diplomatie des 21. Jahrhunderts wird aber die Aufgabe haben, auf ihr wesentliches Ziel hinzuwirken: dass Außenpolitik mit friedlichen Mitteln stattfindet. Die Autoren und Autorinnen dieses Bandes hoffen, dass ihre Überlegungen all jenen, die sich politisch mit der Neugestaltung von Diplomatie befassen, eine Orientierungshilfe bieten.
Anhang
Abkürzungen
APA |
Außenpolitischer Autismus |
AWI |
Abkommen über wirtschaftliche Integration |
BDI |
Bundesverband der Deutschen Industrie |
BRICS |
Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika |
CPG |
Civil Protection Group (Nato) |
DDS |
Digitales Diplomatiesystem |
DEI |
Digitale Emotionale Intelligenz |
EAD |
Europäischer Auswärtiger Dienst |
EADRCC |
Euro-Atlantic Disaster Response Coordination Centre (Nato) |
ECOSOC |
Economic and Social Council (UN) |
ER |
Erweiterte Realität |
EU |
Europäische Union |
G20 |
Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer |
G7 |
Gruppe der 7 wichtigsten Industrienationen |
G8 |
Gruppe der 7 wichtigsten Industrienationen plus Russland |
GASP |
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (EU) |
GR |
Gemischte Realität |
IARPA |
Intelligence Advanced Research Projects Activity |
IB |
Internationale Beziehungen |
IS |
»Islamischer Staat« |
ISIL |
Islamischer Staat in Irak und der Levante |
JHAFG |
Joint Health Agriculture and Food Group (Nato) |
KI |
künstliche Intelligenz |
MIKTA |
Mexiko, Indonesien, Südkorea, Türkei und Australien (informelle Partnerschaft) |
Nato |
North Atlantic Treaty Organization |
NDS |
Nationales Diplomatiesystem |
NGO |
Non-governmental Organization |
OFAC |
Office of Foreign Assets Control (USA) |
ÖP |
Östliche Partnerschaft |
RAB |
Rat für Auswärtige Angelegenheiten |
TNA |
Transnationaler Akteur |
TTIP |
Transatlantic Trade and Investment Partnership |
UN |
United Nations |
VR |
Virtuelle Realität |
WTO |
World Trade Organization |
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Tallberg, Jonas/Sommerer, Thomas/Squatrito, Theresa/ Jönsson, Christer, The Opening Up of International Organizations: Transnational Access in Global Governance, Cambridge, MA: Cambridge University Press, 2013.
Die Autorinnen und Autoren
Prof. Dr. Corneliu Bjola
ist außerordentlicher Professor für Diplomatische Studien an der University of Oxford und Leiter der Oxford Digital Diplomacy Research Group. Er ist Autor bzw. Co-Autor von sechs Büchern, darunter Countering Online Propaganda and Violent Extremism: The Dark Side of Digital Diplomacy (2018) und Digital Diplomacy: Theory and Practice (2015). Sein aktueller Forschungsschwerpunkt sind die Auswirkungen digitaler Technologien auf die Diplomatie mit Fokus auf strategischer Kommunikation und digitalem Einfluss sowie Theorien und Methoden der Bekämpfung digitaler Falschinformation und Propaganda. @cbjola www.cbjola.com
Prof. Dr. Andrew Cooper
ist Professor für Politikwissenschaften an der University of Waterloo und war Alumni Senior Fellow am Centre for Global Cooperation Research in Duisburg. Zu seinen Publikationen gehören unter anderem The BRICS VSI (2016), Diplomatic Afterlives (2014) sowie Celebrity Diplomacy (2007). Als Co-Autor war er beteiligt an den Publikationen The G20 (2013), Intervention without Intervening? OAS and Democracy in the Americas (2006) und Relocating Middle Powers (1993). Zudem ist er Herausgeber des Buches Niche Diplomacy (1997) und Mitherausgeber von The Oxford Handbook of Modern Diplomacy (2013).
Prof. em. Dr. Christer Jönsson
ist emeritierter Professor für Politikwissenschaften an der Universität Lund und Mitglied der Königlichen Schwedischen Akademie der Wissenschaften. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Diplomatie, internationale Organisationen, Verhandlungen und transnationale Beziehungen. Neben Büchern, darunter The Opening Up of International Organizations (Co-Autor 2013), Transnational Actors in Global Governance (Mitherausgeber 2010) und Essence of Diplomacy (Co-Autor 2005), veröffentlichte er zahlreiche Artikel in führenden wissenschaftlichen Zeitschriften. Zudem ist er mit Beiträgen im Routledge Handbook of Diplomacy and Statecraft (2012) und dem Sage Handbook of Diplomacy (2016) vertreten.
Emillie V. de Keulenaar
ist Forschungsdoktorandin zu Neuen Medien und digitaler Kultur an der Universität Amsterdam. Nach einem Masterstudiengang im Fachbereich History of Political Thought and Intellectual History am University College London absolvierte sie ein Praktikum am Niederländischen Institut für internationale Beziehungen »Clingendael« und gehört derzeit dem OILab an, einem Forschungskollektiv, das rechtsextreme Online-Kulturen untersucht. Sie schrieb einen Artikel über digitale Diplomatie für die Zeitschrift Global Policy (2017).
Dr. Sascha Lohmann
ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Amerika der SWP. Davor war er als Fritz Thyssen Fellow am Weatherhead Center for International Affairs an der Harvard University tätig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören internationale Beziehungen in Theorie und außenpolitischer Analyse, insbesondere an der Schnittstelle von Volkswirtschaft und nationaler Sicherheit in den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, sowie Theorie und Praxis der Außenpolitikberatung und ‑evaluation.
Prof. i.R. Dr. Hanns W. Maull
ist Senior Distinguished Fellow bei der SWP und forscht als Senior Policy Fellow zu China und internationaler Ordnung. Zudem ist er Lehrbeauftragter für Internationale Beziehungen am europäischen Standort der Johns Hopkins University in Bologna. Bis 2013 war er Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Beziehungen und Außenpolitik an der Universität Trier, von 2004 bis 2012 Vorsitzender des Forschungsbeirats und Mitglied des Stiftungsrats der SWP. Er veröffentlicht regelmäßig Artikel zu internationaler Ordnung, Ostasien und europäischer Außen- und Sicherheitspolitik.
Dr. Jan Melissen
ist Senior Research Fellow am Niederländischen Institut für internationale Beziehungen »Clingendael«, Senior Fellow am Institut für Sicherheit und Globale Angelegenheiten am Campus Den Haag der Leidener Universität, Professor für Diplomatie an der Universität von Antwerpen, Non-resident Faculty Fellow am Center on Public Diplomacy, University of Southern California in Los Angeles, sowie Senior Fellow am Charhar-Institut in Peking. Jan Melissen ist Gründer und Mitherausgeber des The Hague Journal of Diplomacy und Herausgeber der bei Brill/Nijhoff erscheinenden Buchreihe Diplomatic Studies.
Kim B. Olsen
ist Berater am dänischen Außenministerium und Doktorand an der Universität von Antwerpen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die deutsche, französische sowie europäische Außenpolitik und geoökonomische Diplomatie. In seiner Tätigkeit als Berater der dänischen Regierung konzentriert er sich derzeit auf Stabilisierung in Syrien. Zuvor war er als außenpolitischer Berater in den dänischen Botschaften in Berlin und Paris sowie als Forschungsassistent am Center for German and European Studies an der University of California in Berkeley tätig.
Dr. Volker Stanzel
ist deutscher Diplomat im Ruhestand. Zuvor war er Politischer Direktor des Auswärtigen Amts und Botschafter in Japan und China. Seit 2015 arbeitet er als Senior Distinguished Fellow bei der SWP in Berlin und leitet das Projekt »Diplomatie im 21. Jahrhundert«. Im Jahr 2018 wurde er zum Vizepräsidenten der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ernannt. Seit 2014 war er als Dozent für internationale Beziehungen an verschiedenen Institutionen tätig: am Claremont McKenna College und der University of California in Santa Cruz, der Freien Universität Berlin und der Dokkyo-Universität in Japan; heute lehrt er an der Hertie School of Governance. Das Studium der Japanologie, Sinologie und Politischen Wissenschaften schloss er 1980 mit der Promotion zum Dr. phil. an der Universität Köln ab. Er veröffentlicht zu Ostasien und verschiedenen politischen Themen.
Karsten D. Voigt
gehört dem Kuratorium des Aspen Institute Deutschland und als Senior Associate Fellow und Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik an. Von 1976 bis 1998 war er Bundestagsabgeordneter und von 1983 bis 1998 außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Mehrere Jahre stand er der deutsch-sowjetischen und später der deutsch-russischen Parlamentsgruppe vor. Von 1992 bis 1994 war er Vizepräsident und von 1994 bis 1996 Präsident der Parlamentsversammlung der Nato, von 1999 bis 2010 Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt.
Prof. Dr. R. S. Zaharna
ist Leiterin des Fachbereichs Global Media an der School of Communication an der American University in Washington, D.C., und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Center on Public Diplomacy an der University of Southern California. Zu ihren Publikationen gehören unter anderem Relational, Networked and Collaborative Approaches to Public Diplomacy (2013, mit A. Arsenault und A. Fisher) sowie Battles to Bridges: U.S. Strategic Communication and Public Diplomacy after 9/11 (2010). Derzeit arbeitet sie an ihrem Buch Globalizing Public Diplomacy: Communication in a Digitally Connected and Culturally Diverse World.
Endnoten
- 1
-
Nach dem Beginn seiner zweiten Amtszeit als Außenminister initiierte Frank-Walter Steinmeier Ende 2013 eine einjährige Debatte zwischen deutschen und internationalen Experten und interessierten Beobachtern über die Ziele und Instrumente deutscher Außenpolitik, aus der mehrere große strukturelle Veränderungen im Ministerium folgten. Vgl. Auswärtiges Amt (Hg.), Review 2014. Krise – Ordnung – Europa, Berlin 2014, <https://www.auswaertiges-amt.de/blob/269656/ d26e1e50cd5acb847b4b9eb4a757e438/review2014-abschlussbericht-data.pdf> (eingesehen am 18.6.2018).
- 2
-
Artikel 20 (4) Grundgesetz zur verfassungsmäßigen Ordnung: »Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.«
- 3
-
Vgl. Iver B. Neumann, At Home with the Diplomats: Inside a European Foreign Ministry, Ithaca, NY/London: Cornell University Press, 2012, S. 7.
- 4
-
Ein Gedanke von Michael Koch, »Wozu noch Diplomaten?«, in: Enrico Brandt/Christian Buck (Hg.), Auswärtiges Amt: Diplomatie als Beruf, Opladen: Leske und Budrich, 2002, S. 350–359 (357).
- 5
-
Vgl. John Robert Kelley, »The New Diplomacy: Evolution of a Revolution«, in: Diplomacy & Statecraft, 21 (2010) 2, S. 286–305 (286).
- 6
-
Robert Gilpin, The Political Economy of International Relations, Princeton, NJ: Princeton University Press, 1987, S. 76.
- 7
-
»Power is indivisible; and the military and economic weapons are merely different instruments of power.« Edward H. Carr, The Twenty Years’ Crisis, 1919–1939: An Introduction to the Study of International Relations, Edinburgh: R. & R. Clarke, 1946, S. 119.
- 8
-
Halvard Leira, »A Conceptual History of Diplomacy«, in: Costas M. Constantinou/Pauline Kerr/Paul Sharp, The SAGE Handbook of Diplomacy, London: SAGE, 2016, S. 28–38.
- 9
-
»[T]he struggle to secure and deny supplies is a common feature of ancient as well as modern warfare.« Michael Walzer, Just and Unjust Wars: A Moral Argument with Historical Illustrations, London: Allen Lane, 1977, S. 170.
- 10
-
Lance E. Davis/Stanley L. Engerman, Naval Blockades in Peace and War: An Economic History since 1750, Cambridge, MA: Cambridge University Press, 2006.
- 11
-
Herfried Münkler, Der Wandel des Krieges: Von der Symmetrie zur Asymmetrie, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft, 2006, S. 310–354.
- 12
-
William J. Norris, Chinese Economic Statecraft: Commercial Actors, Grand Strategy, and State Control, Ithaca, NY: Cornell University Press, 2016; Adam N. Stulberg, Well-Oiled Diplomacy: Strategic Manipulation and Russia’s Energy Statecraft in Eurasia, Albany: State University of New York Press, 2007.
- 13
-
Robert D. Blackwill/Jennifer M. Harris, War by Other Means: Geoeconomics and Statecraft, Cambridge, MA: The Belknap Press of Harvard University Press, 2016.
- 14
-
Juan C. Zarate, Treasury’s War: The Unleashing a New Era of Financial Warfare, New York: PublicAffairs, 2013. Zuvor hatten Beamte des Finanzministeriums und vor allem der Zentralbank in multilateralen Verhandlungen ihre themenspezifischen Kenntnisse über die Bereitstellung öffentlicher Güter durch internationale Institutionen eingebracht. Seit den 1920er Jahren wurde das Finanzministerium von der Regierung bei immer mehr Themen zurate gezogen. Siehe Eric Helleiner, »Financial Officials as Diplomats: Evolving Issues, Actors, Techniques since the 1920s«, in: Andrew F. Cooper/Jorge Heine/Ramesh Thakur (Hg.), The Oxford Handbook of Modern Diplomacy, Oxford: Oxford University Press, 2013, S. 160–175.
- 15
-
Dean Acheson, »The Eclipse of the State Department«, in: Foreign Affairs, 49 (Juli 1971) 4, S. 593–606; George F. Kennan, »Diplomacy without Diplomats?«, in: Foreign Affairs, 76 (März 1997) 5, S. 198–212; Ronan Farrow, War on Peace: The End of Diplomacy and the Decline of American Influence, New York: W. W. Norton & Company, 2018.
- 16
-
Keith Kendrick, »In Economic Battle, Soldiers Fight on Carpet«, in: The Washington Post, 19.9.1990, <https://www. washingtonpost.com/archive/politics/1990/09/19/in-economic-battle-soldiers-fight-on-carpet/1c39d1e6-93c8-43aa-a129-eec28d15fe83/?noredirect=on&utm_term=.2f43f51e7abd> (eingesehen am 18.7.2018).
- 17
-
John B. Taylor, Global Financial Warriors: The Untold Story of International Finance in the Post 9/11 World, New York: W. W. Norton & Company, 2007; Orde F. Kittrie, »New Sanctions for a New Century: Treasury’s Innovative Use of Financial Sanctions«, in: University of Pennsylvania Journal of International Law, 30 (Frühjahr 2009) 3, S. 789–822; Juan C. Zarate, »Harnessing the Financial Furies: Smart Financial Power and National Security«, in: The Washington Quarterly, 32 (2009) 4, S. 43–59. Eine Kritik findet sich in Ibrahim Warde, The Price of Fear: Al‑Qaeda and the Truth behind the Financial War on Terror, London: I. B. Tauris, 2007, S. 14.
- 18
-
Als höchst anschauliches Beispiel für das geringe Ansehen, das der Wirtschaft im Gegensatz zur high politics sowohl in Kriegs- als auch in Friedenszeiten zukam, siehe Werner Sombart, Händler und Helden: Patriotische Besinnungen, München: Duncker & Humblot, 1915.
- 19
-
Thomas C. Schelling, Arms and Influence, New Haven, CT: Yale University Press, 1966, S. 3; Alexander L. George, Forceful Persuasion: Coercive Diplomacy as an Alternative to War, Washington, D.C.: United States Institute of Peace Press, 1991; Alexander L. George/William E. Simons (Hg.), The Limits of Coercive Diplomacy, 2. Ausg., Boulder: Westview Press, 1994; Christer Jönsson, »Diplomacy«, in: Keith M. Dowding (Hg.), Encyclopedia of Power, Thousand Oaks, CA: SAGE, 2011, S. 188–190; Peter Viggo Jakobsen, »Coercive Diplomacy«, in: Constantinou/Kerr/Sharp (Hg.), The SAGE Handbook of Diplomacy [wie Fn. 3], S. 476–486; Tarak Barkawi, »Diplomacy, War, and World Politics«, in: Ole Jacob Sending/Vincent Pouliot/ Iver B. Neumann (Hg.), Diplomacy and the Making of World Politics, Cambridge, MA: Cambridge University Press, 2015, S. 55–79.
- 20
-
Maaike Okano-Heijmans, »Conceptualizing Economic Diplomacy: The Crossroads of International Relations, Economics, IPE and Diplomatic Studies«, in: The Hague Journal of Diplomacy, 6 (Januar 2011) 1–2, S. 7–36; dies., »Economic Diplomacy«, in: Constantinou/Kerr/Sharp (Hg.), The SAGE Handbook of Diplomacy [wie Fn. 3], S. 552–563. Als frühen Beitrag dazu siehe John Pinder, »Economic Diplomacy«, in: James N. Rosenau/Kenneth W. Thompson/Gavin Boyd, World Politics: An Introduction, New York: Free Press, 1976, S. 312–336.
- 21
-
Leonard Seabrooke, »Economists and Diplomacy: Professions and the Practice of Economic Policy«, in: International Journal, 66 (September 2011) 3, S. 629–642 (641); ders., »Diplomacy as Economic Consultancy«, in: Sending/Pouliot/ Neumann (Hg.), Diplomacy [wie Fn. 14], S. 195–219.
- 22
-
Donna Lee, »The Growing Influence of Business in U.K. Diplomacy«, in: International Studies Perspectives, 5 (Februar 2004) 1, S. 50–54; Donna Lee/David Hudson, »The Old and New Significance of Political Economy in Diplomacy«, in: Review of International Studies, 30 (Juli 2004) 3, S. 343–360; Paul Sharp, Diplomatic Theory of International Relations, Cambridge, MA: Cambridge University Press, 2009, S. 222–242; Olivier Naray, »Commercial Diplomacy: An Integrative Framework«, in: International Journal of Diplomacy and Economy, 1 (2012) 2, S. 119–133.
- 23
-
Nicholas Bayne/Stephen Woolcock, »What Is Economic Diplomacy?«, in: dies. (Hg.), The New Economic Diplomacy: Decision-Making and Negotiation in International Economic Relations, 4. Aufl., Abingdon: Routledge, 2016, S. 1–14 (2–5).
- 24
-
Jonathan Kirshner, »The Political Economy of Realism«, in: Ethan Kapstein/Michael Mastanduno (Hg.), Unipolar Politics: Realism and State Strategies after the Cold War, New York: Columbia University Press, 1999, S. 88–102; Rawi Abdelal/Jonathan Kirshner, »Strategy, Economic Relations, and the Definition of National Interests«, in: Security Studies, 9 (1999) 1, S. 123–162.
- 25
-
David A. Baldwin, Economic Statecraft, Princeton, NJ: Princeton University Press, 1985, S. 35.
- 26
-
Robert Cooper, »Ukraine and Iran Vindicate Ashton’s Deft Diplomacy«, in: Financial Times, 12.12.2013, <https:// www.ft.com/content/a4baf248-5ea9-11e3-8621-00144fe abdc0> (eingesehen am 18.7.2018).
- 27
-
Hillary R. Clinton, »Economic Statecraft«, Rede vor dem Economic Club of New York, New York City, 14.10.2011, <https://2009-2017.state.gov/secretary/20092013clinton/rm/ 2011/10/175552.htm> (eingesehen am 24.7.2018).
- 28
-
Ernesto Laclau, »Populism: What’s in a Name?«, in: Francisco Panizza (Hg.), Populism and the Mirror of Democracy, London: Verso, 2005, S. 32–49.
- 29
-
MIKTA steht für eine informelle Partnerschaft zwischen Mexiko, Indonesien, Südkorea, der Türkei und Australien.
- 30
-
Andrew F. Cooper, Celebrity Diplomacy, Boulder, CO/London: Paradigm Publishers, 2007.
- 31
-
Georg Haynal, DOA: Diplomacy on the Ascendant in the Age of Disintermediation, Cambridge, MA: Wheatherhead Center for International Affairs, Harvard University, 2002, <https:// programs.wcfia.harvard.edu/files/fellows/files/haynal.pdf? m=1357530295> (eingesehen am 7.5.2018).
- 32
-
Elsa Cardozo, »La política exterior del gobierno bolivariano y sus implicaciones en el plano doméstico«, ildis, August 2010, S. 3f, <http://library.fes.de/pdf-files/bueros/caracas/ 08796.pdf> (eingesehen am 8.8.2018).
- 33
-
Andrés Serbin/Andrei Serbin Pont, »The Foreign Policy of the Bolivarian Republic of Venezuela: The Role and Legacy of Hugo Chávez«, in: Latin American Policy, 8 (Dezember 2017) 2, S. 232–248.
- 34
-
Derek Drinkwater, Sir Harold Nicolson and International Relations, Oxford: Oxford University Press, 2005.
- 35
-
Tom Fletcher, The Naked Diplomat: Power and Statecraft in the Digital Century, London: William Collins, 2016, S. 14.
- 36
-
Grant V. McClanahan, Diplomatic Immunity: Principles, Practices, Problems, London: Hurst, 1989, S. 28.
- 37
-
Marek Sobolewski, »Electors and Representatives: A Contribution to the Theory of Representation«, in: J. Roland Pennock/John W. Chapman (Hg.), Representation, New York: Atherton Press, 1968, S. 95–107 (96).
- 38
-
Muhammad-Basheer A. Ismail, Islamic Law and Transnational Diplomatic Law, New York: Palgrave Macmillan, 2016, S. 139.
- 39
-
James L. Bullock, »Keeping Embassy Security in Perspective«, in: The Foreign Service Journal, 92 (Mai 2015) 4, S. 33–38, <http://www.afsa.org/keeping-embassy-security-perspective> (eingesehen am 25.3.2018).
- 40
-
Siehe Karin Aggestam/Ann E. Towns (Hg.), Gendering Diplomacy and International Negotiation, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2018.
- 41
-
Eytan Gilboa, »Digital Diplomacy«, in: Costas M. Constantinou/Pauline Kerr/Paul Sharp (Hg.), The SAGE Handbook of Diplomacy, London: Sage, 2016, S. 540–551 (542).
- 42
-
Stephen D. Krasner, Sovereignty: Organized Hypocrisy, Princeton, NJ: Princeton University Press, 1999, S. 16.
- 43
-
Siehe Joachim A. Koops/Gjovalin Macaj (Hg.), The European Union as a Diplomatic Actor, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2015; Petar Petrov/Karolina Pomorska/Sophie Vanhoonacker, »The Emerging EU Diplomatic System: Opportunities and Challenges after ›Lisbon‹«, in: The Hague Journal of Diplomacy, 7 (Januar 2012) 1, S. 1–9.
- 44
-
Siehe Janne E. Nijman, »Renaissance of the City as Global Actor«, in: Gunther Hellmann/Andreas Fahrmeir/ Miloš Vec (Hg.), The Transformation of Foreign Policy, Oxford: Oxford University Press, 2016, S. 209–241.
- 45
-
Geoffrey Allen Pigman, Contemporary Diplomacy, Cambridge: Polity Press, 2010, S. 47.
- 46
-
Alexandra Sizoo/Arne Musch, »City Diplomacy: The Role of Local Governments in Conflict Prevention, Peace-Building and Post-Conflict Reconstruction«, in: Arne Musch/Chris van der Valk/Alexandra Sizoo/Kian Tajbakhsh (Hg.), City Diplomacy, Den Haag: VNG International, 2008, S. 7–25 (7), <http://bibalex.org/baifa/Attachment/Documents/480503.pdf> (eingesehen am 25.3.2018).
- 47
-
Vgl. David Criekemans, »Regional Sub-State Diplomacy from a Comparative Perspective: Quebec, Scotland, Bavaria, Catalonia, Wallonia and Flanders«, in: The Hague Journal of Diplomacy, 5 (Januar 2010) 1/2, S. 37–64; Pigman, Contemporary Diplomacy [wie Fn. 11], S. 47.
- 48
-
Vgl. Jonas Tallberg/Christer Jönsson, »Transnational Actor Participation in International Institutions: Where, Why, and with What Consequences?«, in: Christer Jönsson/ Jonas Tallberg (Hg.), Transnational Actors in Global Governance, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2010, S. 1–21.
- 49
-
Siehe Jonas Tallberg/Thomas Sommerer/Theresa Squatrito/Christer Jönsson, The Opening Up of International Organizations: Transnational Access in Global Governance, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2010.
- 50
-
Keith Hamilton/Richard Langhorne, The Practice of Diplomacy: Its Evolution, Theory and Administration, 2. Aufl., London/ New York: Routledge, 2011, S. 267.
- 51
-
Charlotte Dany, Global Governance and NGO Participation: Shaping the Information Society in the United Nations, London/New York: Routledge, 2013, S. 8.
- 52
-
Sobolewski, »Electors and Representatives« [wie Fn. 3], S. 106f.
- 53
-
J. Roland Pennock/John W. Chapman, »Preface«, in: dies. (Hg.), Representation [wie Fn. 3], S. xiii–xv (xiv).
- *
-
Eine spanische Übersetzung dieses Artikels ist erschienen unter dem Titel »Diplomacia digital 2.0: tendencias y resistencias« in der Zeitschrift Revista Mexicana de Política Exterior, 113 (Mai–August 2018), S. 35–52.
- 54
-
Ralf Dreischmeier/Karalee Close/Philippe Trichet, »The Digital Imperative«, The Boston Consulting Group, 2.3.2015, <https://www.bcgperspectives.com/content/articles/digital_
economy_technology_strategy_digital_imperative/> (eingesehen am 18.7.2018). - 55
-
Corneliu Bjola, Adapting Diplomacy to the Digital Age: Managing the Organisational Culture of Ministries of Foreign Affairs, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, März 2017 (Working Paper, Project »Diplomacy in the 21st Century«), <https:// www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/arbeits
papiere/WP_Diplomacy21_No9_Corneliu_Bjola_01.pdf> (eingesehen am 22.6.2017). - 56
-
Andreas Sandre, »2016 in Review: Virtual Reality for Digital Diplomacy«, Digital Diplomacy, 2016, <https://medium. com/digital-diplomacy/2016-in-review-virtual-reality-for-digital-diplomacy-b461ac2ff16> (eingesehen am 4.9.2017).
- 57
-
Italian Ministry of Foreign Affairs, »Collezione Farnesina«, 2016, <https://www.google.com/culturalinstitute/beta/ partner/ministero-affari-esteri> (eingesehen am 4.9.2017).
- 58
-
»Romania Hosts NATO Exercise in a Virtual World«, Nato 2016, <https://www.youtube.com/watch?v=dZ3S4OpKlFs& feature=youtu.be> (eingesehen am 3.9.2017).
- 59
-
Tim Perdue, »Applications of Augmented Reality«, in: Lifewire, aktualisiert am 20.6.2018, <https://www.lifewire.com/ applications-of-augmented-reality-2495561> (eingesehen am 18.7.2018).
- 60
-
Beacons sind Schaltflächen oder Links zur natürlichen Welt: Genauso wie Schaltflächen für Webseiten das wichtigste Mittel für die Interaktion mit Nutzern sind, werden Beacons von Apps genutzt, um Ereignisse auszulösen oder zu Aktionen aufzufordern, was es den Nutzern ermöglicht, mit digitalen oder natürlichen Dingen zu interagieren, beispielweise mit Türschlössern, Sonderangeboten, Automatisierungssystemen oder einfachen Benachrichtigungen. Zu Einzelheiten über Beacons siehe »What Is iBeacon?«, 2016, <http://www.beaconsandwich.com/what-is-ibeacon.html> (eingesehen am 1.9.2017).
- 61
-
»Immigration Attorney 2.0«, Visabot 2016, <https:// visabot.co> (eingesehen am 1.6.2017); Elena Cresci, »Chatbot That Overturned 160,000 Parking Fines Now Helping Refugees Claim Asylum«, in: The Guardian, 6.3.2017, <https:// www.theguardian.com/technology/2017/mar/06/chatbot-donotpay-refugees-claim-asylum-legal-aid> (eingesehen am 7.9.2017); »Most Singaporeans Do Not E-register before Travelling«, Channel New Asia, 3.3.2017, <http://www.channel newsasia.com/news/singapore/most-singaporeans-do-not-e-register-before-travelling-mfa-8775352> (eingesehen am 6.9.2017).
- 62
-
Simon Cocking, »Using Algorithms to Achieve Digital Diplomacy«, Irish Tech News, 19.9.2016, <http://irishtech news.ie/using-algorithms-to-achieve-digital-diplomacy-a-conversation-with-elad-ratson-director-of-rd-at-ministry-of-foreign-affairs/> (eingesehen am 8.9.2017).
- 63
-
»Embers«, Discovery Analytics Center an der Virginia Tech, 2016, <http://dac.cs.vt.edu/research-project/embers/> (eingesehen am 9.9.2017).
- 64
-
Brian Hocking/Jan Melissen/Shaun Riordan/Paul Sharp, Futures for Diplomacy: Integrative Diplomacy for the 21st Century, Den Haag: Netherlands Institute of International Relations »Clingendael«, 2012, S. 53, <https://www.clingendael.org/ sites/default/files/pdfs/20121030_research_melissen.pdf> (eingesehen am 3.5.2018).
- 65
-
Neil Davidson, »What Are the Key Emotional Triggers for Online Video?«, MWP Digital Media, 4.12.2013, <https:// mwpdigitalmedia.com/blog/key-emotional-triggers-online-video/> (eingesehen am 18.7.2018).
- 66
-
Emilio Ferrara/Zeyao Yang, »Measuring Emotional Contagion in Social Media«, in: PLOS ONE, 10 (November 2015) 11, <http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/ journal.pone.0142390> (eingesehen am 18.7.2018).
- 67
-
Corneliu Bjola, »Digital Diplomacy and the Bubble Effect: The NATO Scenario«, Los Angeles: USC Center on Public Diplomacy, 8.3.2016, <http://uscpublicdiplomacy.org/ blog/digital-diplomacy-and-bubble-effect-nato-scenario> (eingesehen am 17.6.2017).
- 68
-
Peter Salovey/David J. Sluyter, Emotional Development and Emotional Intelligence: Educational Implications, New York: Basic Books, 1997.
- 69
-
Corneliu Bjola/Jennifer Cassidy, »Gone Digital: Digital Diplomacy at the University of Oxford«, in: Border Crossing, 1 (2015) 2, S. 10–12 (10).
- 70
-
Michael Newberg, »As Many as 48 Million Twitter Accounts Aren’t People, Says Study«, CNBC, 10.3.2017, <https://www.cnbc.com/2017/03/10/nearly-48-million-twitter-accounts-could-be-bots-says-study.html> (eingesehen am 12.9.2017).
- 71
-
Donald N. Jensen/Michal Harmata, »What to Expect When You’re Expecting Bots?«, Washington, D.C.: Center for European Policy Analysis, 2017, <http://infowar.cepa.org/EN/ what-to-expect-when-youre-expecting-bots> (eingesehen am 9.9.2017).
- 72
-
Tomáš Valášek, »How Artificial Intelligence Could Disrupt Alliances«, Carnegie Europe, 31.8.2017, <https:// medium.com/@Carnegie_Europe/how-artificial-intelligence-could-disrupt-alliances-9fdb98b4c11d> (eingesehen am 18.7.2018).
- 73
-
Ben Nimmo, »#BotSpot: Twelve Ways to Spot a Bot«, Atlantic Council’s Digital Forensic Research Lab, 2017, <https://medium.com/dfrlab/botspot-twelve-ways-to-spot-a-bot-aedc7d9c110c> (eingesehen am 11.9.2017).
- 74
-
Jigsaw, »Perspective«, 2017, <https://www.perspective api.com> (eingesehen am 11.9.2017); Murgia Madhumita, »Google Launches Robo-tool to Flag Hate Speech Online«, in: Financial Times, 23.2.2017, <https://www.ft.com/content/ 8786cce8-f91e-11e6-bd4e-68d53499ed71> (eingesehen am 11.9.2017).
- 75
-
Corneliu Bjola/James Pamment, »Digital Containment: Revisiting Containment Strategy in the Digital Age«, in: Global Affairs, 2 (2016) 2, S. 131–142.
- 76
-
Peter Knoepfel/Corinne Larrue/Michael Hill/Frédéric Varone, Public Policy Analysis, Bristol: Bristol University Press, 2011, S. 11.
- 77
-
Corneliu Bjola, »Getting Digital Diplomacy Right: What Quantum Theory Can Teach Us about Measuring Impact«, in: Global Affairs, 2 (2016) 3, S. 345–353.
- *
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In der SWP-Arbeitsgruppe kamen auch Praktiker zu Wort, die ihre Tätigkeit mit dem diplomatischen Bereich in Berührung bringt und die sich daher immer wieder mit Fragen der Diplomatie im 21. Jahrhundert befassen. Der Autor des folgenden Beitrags war Mitglied des Deutschen Bundestags, Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der Nato sowie Koordinator der Bundesregierung für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit.
- 78
-
David A. Baldwin, Economic Statecraft, Princeton, NJ: Princeton University Press, 1985.
- 79
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Oliver Stuenkel, Post-Western World: How Emerging Powers Are Remaking Global Order, Malden, MA: Polity Press, 2016.
- 80
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Robert D. Blackwill/Jennifer M. Harris, War by Other Means: Geoeconomics and Statecraft, Cambridge, MA: The Belknap Press of Harvard University Press, 2016.
- 81
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Das hier dargestellte Konzept von Geoökonomie beruht auf dem von Blackwill und Harris in War by Other Means [wie Fn. 3] dargelegten und entspricht damit der ersten von zwei »Traditionen« in der Literatur zu Geoökonomie. Beschäftigt sich die erste mit den Auswirkungen der Wirtschaftspolitik auf nationale Macht und Geopolitik (»die Flagge folgt dem Handel«), nimmt die zweite die wirtschaftlichen Folgen der Projektion von nationaler Macht (»der Handel folgt der Flagge«) in den Blick (Sanjaya Baru, »Geo-economics and Strategy«, in: Survival, 54 [Juni 2012] 3, S. 47–58).
- 82
-
Joshua Kurlantzick, State Capitalism: How the Return of Statism Is Transforming the World, New York: Oxford University Press, 2016, S. 9; Maaike Okano-Heijmans, »Conceptualizing Economic Diplomacy: The Crossroads of International Relations, Economics, IPE and Diplomatic Studies«, in: The Hague Journal of Diplomacy, 6 (Januar 2011) 1, S. 7–36.
- 83
-
Die holzschnittartige Gegenüberstellung von »Staatskapitalismus« und »freier Marktwirtschaft« bezieht sich hier eher auf Idealtypen dieser unterschiedlichen Wirtschaftsordnungen und ist keine empirische Beschreibung von Staat-Markt-Beziehungen. Doch auch wenn in den meisten mächtigen Volkswirtschaften (je nach Wirtschaftssektor) Elemente beider Arten in den alltäglichen Regierungsstrukturen zu finden sind, sind die Unterschiede im Grundverständnis dessen, welches Maß an Unabhängigkeit zwischen Staat und Markt das geeignete sei, so groß, dass die Gegenüberstellung für analytische Zwecke gerechtfertigt erscheint.
- 84
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Definiert als gemeinsamer Begriff für eingeschränkte oder uneingeschränkte Freihandelsabkommen, präferenzielle Handelsabkommen und Zollunionen.
- 85
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Jennifer M. Harris, »America, Europe and the Necessary Geopolitics of Trade«, in: Survival, 58 (Dezember 2016) 6, S. 63–92.
- 86
-
Manuel Lafont Rapnouil, »Signal, Constrain, and Coerce: A More Strategic Use of Sanctions«, in: Ulrike Esther Franke/ Manuel Lafont Rapnouil/Susi Dennison (Hg.), The New European Security Initiative, London: European Council on Foreign Relations, Dezember 2017, S. 28–30.
- 87
-
Brian Hocking/Jan Melissen/Shaun Riordan/Paul Sharp, Whither Foreign Ministries in a Post-Western World?, Den Haag: Netherlands Institute of International Relations »Clingendael«, April 2013 (Clingendael Policy Brief, Nr. 20); Maaike Okano-Heijmans/Francesco Saverio Montesano, Who Is Afraid of European Economic Diplomacy?, Den Haag: Netherlands Institute of International Relations »Clingendael«, April 2016 (Clingendael Policy Brief).
- 88
-
Blackwill/Harris, War by Other Means [wie Fn. 3], S. 9f.
- 89
-
Ebd.
- 90
-
Rebecca Adler-Nissen, »Conclusion: Relationalism or Why Diplomats Find International Relations Theory Strange«, in: Ole Jacob Sending/Vincent Pouliot/Iver B. Neumann (Hg.), Diplomacy and the Making of World Politics, Cambridge, MA: Cambridge University Press, 2015, S. 284–308.
- 91
-
Blackwill/Harris, War by Other Means [wie Fn. 3]; Mikael Wigell, »Conceptualizing Regional Powers’ Geoeconomic Strategies: Neo-Imperialism, Neo-Mercantilism, and Liberal Institutionalism«, in: Asia Europe Journal, 14 (Juni 2016) 2, S. 135–151.
- 92
-
Blackwill/Harris, War by Other Means [wie Fn. 3]; Mark Leonard, »Introduction: Connectivity Wars«, in: ders. (Hg.), Connectivity Wars: Why Migration, Finance and Trade Are the Geo-Economic Battlegrounds of the Future, London: European Council on Foreign Relations, Januar 2016, S. 13–27.
- 93
-
Edward N. Luttwak, »From Geopolitics to Geo-Economics: Logic of Conflict, Grammar of Commerce«, in: The National Interest, 20 (Sommer 1990), S. 17–23; David Criekemans, »Where Geoeconomics and Geostrategy Meet: The Troubled Relations between the European Union and the Russian Federation«, in: J. Mark Munoz (Hg.), Advances in Geoeconomics, London/New York: Routledge, 2017, S. 113–120.
- 94
-
Brian Hocking, »Multistakeholder Diplomacy: Forms, Functions, and Frustrations«, in: Jovan Kurbalija/Valentin Katrandjiev (Hg.), Multistakeholder Diplomacy – Challenges and Opportunities, Genf: DiploFoundation, 2006, S. 13–29.
- 95
-
Brian Hocking, »The Ministry of Foreign Affairs and the National Diplomatic System«, in: Pauline Kerr/Geoffrey Wiseman (Hg.), Diplomacy in a Globalizing World: Theories and Practices, New York: Oxford University Press, 2013, S. 123–140.
- 96
-
Jorge Heine, »From Club to Network Diplomacy«, in: Andrew F. Cooper/Jorge Heine/Ramesh Thakur (Hg.), The Oxford Handbook of Modern Diplomacy, Oxford: Oxford University Press, 2013, S. 54–69.
- 97
-
Peter J. Katzenstein, »International Relations and Domestic Structures: Foreign Economic Policies of Advanced Industrial States«, in: International Organization, 30 (Winter 1976) 1, S. 1–45; Robert D. Putnam, »Diplomacy and Domestic Politics: The Logic of Two-Level Games«, in: International Organization, 42 (Sommer 1988) 3, S. 427–460; Andrew Moravcsik, »Liberal Intergovernmentalism and Integration: A Rejoinder«, in: Journal of Common Market Studies, 33 (Dezember 1995) 4, S. 611–628.
- 98
-
Das Konzept der Verhandlungsspiele (ein zentraler Grundsatz in den Theorien von Putnam, Moravcsik und anderen) impliziert, dass sich Verhandelnde immer a priori ihrer Prioritäten und Win-Sets bewusst sind, obwohl man weiß, dass diese sich im Laufe der innerstaatlichen Beratungen und internationalen Verhandlungen erst entwickeln – ein Prozess, der zudem nicht einmal der Reihe nach ablaufen muss. Unter Rückgriff auf das Konzept der »Circum«-Verhandlungen (Harold Saunders, »Prenegotiation and Circum-negotiation: Arenas of the Peace Process«, in: Chester A. Crocker/Fen Osler Hampson/Pamela Aall [Hg.], Managing Global Chaos, Washington, D.C.: United States Institute of Peace Press, 1996, S. 419–432) sollte man sich darüber im Klaren sein, dass Diplomaten und andere Akteure ihre Interessen ändern: sowohl dann, wenn sich Beziehungen auf nationaler wie auf internationaler Ebene entwickeln, als auch – was besonders entscheidend ist – im Verlauf der Verhandlungen selbst.
- 99
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Hocking, »The Ministry of Foreign Affairs« [wie Fn. 18].
- 100
-
In Anlehnung an die einflussreiche Definition von Hafner-Burton et al. verstehe ich Netzwerke als ein oder mehrere Sets von Verbindungen zwischen einem Set oder mehreren Sets von Knotenpunkten. Netzwerkanalyse »beschäftigt sich mit Beziehungen, die durch Verbindungen zwischen Knotenpunkten (oder Vermittlern) bestimmt werden [und] befasst sich eher mit den Verknüpfungen zwischen den Knotenpunkten als mit den Eigenschaften bestimmter Knotenpunkte« (Emilie M. Hafner-Burton/Miles Kahler/Alexander H. Montgomery, »Network Analysis for International Relations«, in: International Organization, 63 [Juli 2009] 3, S. 559–592 [562]).
- 101
-
Da ich dem Staat in meinem Analyserahmen eine zentrale Rolle einräume, unterscheidet sich mein Ansatz von dem der florierenden Forschungsagenden zu transnationalen, grenzübergreifenden Netzwerken und neuen Formen einer Weltordnung in Netzwerken jenseits des Nationalstaats (Miles Kahler [Hg.], Networked Politics: Agency, Power, and Governance, Ithaca, NY: Cornell University Press, 2009; Anne-Marie Slaughter, The Chessboard & the Web – Strategies of Connection in a Networked World, New Haven, CT/London: Yale University Press, 2017).
- 102
-
Ein guter Überblick findet sich in Mitchell A. Orenstein/ R. Daniel Kelemen, »Trojan Horses in EU Foreign Policy«, in: Journal of Common Market Studies, 55 (Januar 2017) 1, S. 87–102.
- 103
-
Obwohl das EU-Sanktionsregime von allen EU-Mitgliedstaaten einstimmig verabschiedet wurde, kam Deutschland – gemeinsam mit Frankreich – im sogenannten Normandie-Format eine zentrale Rolle bei den Verhandlungen der EU mit Russland und der Ukraine zu.
- 104
-
Tuomas Forsberg, »From Ostpolitik to ›Frostpolitik‹? Merkel, Putin and German Foreign Policy towards Russia«, in: International Affairs, 92 (Januar 2016) 1, S. 21–42; Marco Siddi, »German Foreign Policy towards Russia in the Aftermath of the Ukraine Crisis: A New Ostpolitik?«, in: Europe-Asia Studies, 68 (Juni 2016) 4, S. 665–677.
- 105
-
Hillary R. Clinton, »Economic Statecraft«, Speech at the Economic Club of New York, New York City, 14.10.2011, <https://2009-2017.state.gov/secretary/20092013clinton/rm/ 2011/10/175552.htm> (eingesehen am 24.7.2018).
- 106
-
Thomas Bagger/Wolfram von Heynitz, »Der vernetzte Diplomat: Von vernetzter Sicherheit zu einer ›netzwerkorientierten Außenpolitik‹«, in: Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik, 5 (Oktober 2012) 1, S. 49–61.
- 107
-
Tom Fletcher, The Naked Diplomat: Power and Statecraft in the Digital Century, London: William Collins, 2016.
- 108
-
In der Regel sind dies Staaten bzw. staatenähnliche Einheiten oder internationale Organisationen, die Staaten repräsentieren.
- 109
-
Robert H. Jackson, Quasi-States: Sovereignty, International Relations, and the Third World, Cambridge: Cambridge University Press, 1993.
- 110
-
Yuval Noah Harari, Homo Deus: A Brief History of Tomorrow, London: Harvill Secker, 2016, S. 220–277. In deutscher Übersetzung von Andreas Wirthensohn 2017 erschienen unter dem Titel Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen im Verlag C. H. Beck, München (S. 301–377).
- 111
-
Francis Fukuyama, Political Order and Political Decay: From the Industrial Revolution to the Globalization of Democracy, New York: Profile Books, 2014.
- 112
-
Stephen Michael Christian, »Autism in International Relations: A Critical Assessment of International Relations’ Autism Metaphors« [erstmals im März 2017 veröffentlicht], in: European Journal of International Relations, 24 (Juni 2018) 2, S. 464–488.
- 113
-
Die von Christian vorgebrachte Kritik an der Verwendung der Metapher, dass diese eine Form von »able-ismus« enthalte, scheint angesichts folgender Analogie zu kurz gegriffen: Der Wunsch, einzelne Menschen davor zu schützen, als »unsozial« und dadurch gewissermaßen krank zu gelten, erscheint zwar gut gemeint und verständlich (wenn auch nicht unbedingt überzeugend), aber eine analoge Anwendung auf Staaten steht doch logischerweise in einem ganz anderen Zusammenhang.
- 114
-
Karl W. Deutsch/Dieter Senghaas, »Die brüchige Vernunft von Staaten«, in: Dieter Senghaas (Hg.), Kritische Friedensforschung, 6. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1981, S. 105–163.
- 115
-
Dieter Senghaas, »Zur Analyse der Drohpolitik in den internationalen Beziehungen«, in: ders. (Hg.), Rüstung und Militarismus, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1972, S. 28–93.
- 116
-
Edward N. Luttwak, The Rise of China vs. the Logic of Strategy, Cambridge, MA: Belknap Press of Harvard University Press, 2012, S. 12ff.
- 117
-
Mancur Olson, The Rise and Decline of Nations: Economic Growth, Stagflation, and Social Rigidities, New Haven, CT: Yale University Press, 1982.
- 118
-
Sigmund Freud, Gesammelte Werke, Bd. 17: Schriften aus dem Nachlass, hrsg. von Anna Freud, London: Imago Publishing, 1941, S. 128f.
- 119
-
Das Mehrheitswahlrecht, wie es in den USA, Großbritannien oder Frankreich praktiziert wird, ist bis zu einem gewissen Grad immun gegenüber diesen Tendenzen. Aber die Zunahme politischer Positionen jenseits der etablierten Parteien, die bei vielen Wählern Unterstützung finden, hat auch dort zur Erosion der alten Parteiensysteme geführt.
- 120
-
Siehe Anthony Barnett, »Why Brexit Won’t Work: The EU Is about Regulation Not Sovereignty«, Open Democracy UK, 25.6.2018, <https://www.opendemocracy.net/anthony-barnett/why-brexit-won-t-work-eu-is-about-regulation-not-sovereignty> (eingesehen am 23.7.2018).
- 121
-
Olivier Bouin, »The End of European Integration as We Know It«, in: Manuel Castells et al. (Hg.), Europe’s Crises, Cambridge, UK/Medford, MA: Polity, 2018; John R. Gillingham, The EU: An Obituary, London/New York: Verso, 2016.
- 122
-
Ivan Krastev, After Europe, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press, 2017.
- 123
-
Sophie Eisentraut, Coalition Building and Compromise Are the Future of Global Leadership. Here’s Why, German Marshall Fund, 18.9.2017, <https://outoforder.gmfus.org/coalition-building-and-compromise-are-the-future-of-global-leadership-heres-why-4d34b2d353dd> (eingesehen am 20.9.2017).
- 124
-
Australian Government, Department of Foreign Affairs and Trade, Digital Media Strategy 2016–18, Barton, November 2016, <http://dfat.gov.au/about-us/publications/corporate/ Documents/digital-media-strategy-2016-18.pdf> (eingesehen am 20.3.2018); Shaun Rioardan, The Strategic Use of Digital and Public Diplomacy in Pursuit of National Objectives, Barcelona: Federació d’Organitzacions Catalanes Internacionalment Reconegudes (FOCIR), 2016.
- 125
-
Jonathan McClory (USC Center on Public Diplomacy), The Soft Power 30: A Global Ranking of Soft Power 2017, Portland Group/USC Center on Public Diplomacy, Juli 2017, <http:// softpower30.com/wp-content/uploads/2017/07/The-Soft-Power-30-Report-2017-Web-1.pdf> (eingesehen am 20.3.2018).
- 126
-
Gary Rawnsley, »Approaches to Soft Power and Public Diplomacy in China and Taiwan«, in: The Journal of International Communication, 18 (2012) 2, S. 121–135 (123).
- 127
-
Alister Miskimmon/Ben O’Loughlin/Laura Roselle, Strategic Narratives: Communication Power and the New World Order, New York: Routledge, 2013.
- 128
-
Ian Hall/Frank Smith, »The Struggle for Soft Power in Asia: Public Diplomacy and Regional Competition«, in: Asian Security, 9 (Januar 2013) 1, S. 1–18; Jan Melissen/Yul Sohn, Leveraging Middle Power Public Diplomacy in East Asian International Relations, Seoul: The East Asia Institute, 24.11.2015, <http://www.eai.or.kr/data/bbs/eng_report/2015112410453
330.pdf> (eingesehen am 4.9.2017). - 129
-
Cristina Archetti, »Terrorism, Communication and New Media: Explaining Radicalization in a Digital Age«, in: Perspectives on Terrorism, 9 (2015) 1, S. 49–59; Bibi van Ginkel, Responding to Cyber Jihad: Towards an Effective Counter-Narrative, Den Haag: The International Centre for Counter-Terrorism (ICCT), März 2015 (ICCT-Forschungsbericht), <https://www. icct.nl/download/file/ICCT-van-Ginkel-Responding-To-Cyber-Jihad-Towards-An-Effective-Counter-Narrative-March2015. pdf> (eingesehen am 20.3.2018).
- 130
-
Weltwirtschaftsforum, The Global Risks Report 2017, 12. Ausgabe, Genf 2017, S. 58 <http://www3.weforum.org/ docs/GRR17_Report_web.pdf> (eingesehen am 20.3.2018).
- 131
-
Brian Hocking/Jan Melissen/Shaun Riordan/Paul Sharp, Futures for Diplomacy: Integrative Diplomacy in the 21st Century, Den Haag: Netherlands Institute of International Relations »Clingendael«, Oktober 2012 (Report, Nr. 1), <https://www. clingendael.nl/publication/futures-diplomacy-integrative-diplomacy-21st-century> (eingesehen am 20.3.2018).
- 132
-
Bruce Gregory, The Paradox of Public Diplomacy: Its Rise and »Demise«, Washington, D.C.: Institute of Public Diplomacy and Global Communication, Februar 2014.
- 133
-
John Robert Kelley, »The New Diplomacy: Evolution of a Revolution«, in: Diplomacy & Statecraft, 21 (Juni 2010) 2, S. 286–305.
- 134
-
Iver B. Neumann, Diplomatic Sites: A Critical Enquiry, New York: Oxford University Press, 2013.
- 135
-
Tovah Benski/Eran Fisher (Hg.), The Internet and Emotions, New York: Routledge, 2014 (Routledge Studies in Science, Technology and Society, 22); Javier Serrano-Puche, Emotions and Digital Technologies: Mapping the Field of Research in Media Studies, London: London School of Economics and Political Science, 2015 (MEDIA@LSE Working Papers 33), <http:// www.lse.ac.uk/media@lse/research/mediaWorkingPapers/ pdf/WP33-FINAL.pdf> (eingesehen am 20.3.2018).
- 136
-
W. Lance Bennett, »The Personalization of Politics: Political Identity, Social Media, and Changing Patterns of Participation«, in: The Annals of the American Academy of Political and Social Science, 644 (November 2012) 1, S. 20–39.
- 137
-
Danah Boyd, »Can Social Network Sites Enable Political Action?«, in: Allison H. Fine/Micah L. Sifry/Andrew Rasiej/ Josh Levy (Hg.), Rebooting America, San Francisco, CA: Personal Democracy Press, 2008, S. 112–116.
- 138
-
Taylor Owen, Disruptive Power: The Crisis of the State in the Digital Age, Oxford: Oxford University Press, 2015.
- 139
-
Jeffrey M. Berry/Sarah Sobeiraj, The Outrage Industry: Political Opinion Media and the New Incivility, Oxford: Oxford University Press, 2014.
- 140
-
Zizi Papacharissi, Affective Publics: Sentiment, Technology, and Politics, Oxford: Oxford University Press, 2015.
- 141
-
Manuel Castells, Networks of Outrage and Hope: Social Movements in the Internet Age, Cambridge: Polity, 2012.
- 142
-
Matthew W. Seeger, »Best Practices in Crisis Communication«, in: Journal of Applied Communication Research, 34 (August 2006) 3, S. 232–244.
- 143
-
R. S. Zaharna/Nur Uysal, »Going for the Jugular in Public Diplomacy: How Adversarial Publics Using Social Media Are Challenging State Legitimacy«, in: Public Relations Review, 42 (März 2016) 1, S. 109–119.
- 144
-
Howard Rheingold, The Virtual Community: Homesteading on the Electronic Frontier, MIT Press eBooks, 2000, <http://www. rheingold.com/vc/book/> (eingesehen am 20.3.2018).
- 145
-
Lydia Wilson, »Understanding the Appeal of ISIS«, in: New England Journal of Public Policy, 29 (2017) 1, Artikel 5 (4f).
- 146
-
Kelley, »The New Diplomacy« [wie Fn. 10].
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