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Die Golfstaaten, China und Zentralasiens grüner Energiesektor

Interaktionen, geopolitische Dynamiken und Implikationen für EU und Deutschland

SWP-Aktuell 2024/A 63, 04.12.2024, 8 Seiten

doi:10.18449/2024A63

Forschungsgebiete

In Zentralasien verfolgen insbesondere Kasachstan und Usbekistan immer ambitionier­tere Ziele mit Blick auf erneuerbare Energien. Neben China als etabliertem Akteur sind es vor allem einzelne Golfstaaten, insbesondere Saudi-Arabien, teils auch die Ver­einigten Arabischen Emirate (VAE), die zunehmend entsprechende Projekte umsetzen. Die bisher kooperativ angelegte Präsenz von Golfstaaten und Chinas in Zentral­asien, basierend auf Marktteilung entlang der Wertschöpfungskette, könnte eine Blaupause für die global immer wichtiger werdenden Golf-China-Beziehungen sein – aber auch ein Beispiel für neue energie- und geopolitische Verflechtungen, die Euro­pas Einfluss entzogen sind. Für die EU und Deutschland sollte dies eine doppelte Warnung sein: Während intra-asiatische Dynamiken an Bedeutung gewinnen, laufen Deutschland und die EU Gefahr, energie-, klima- und geopolitisch marginalisiert zu werden – nicht nur in Zentralasiens erneuerbarem Energiesektor. Um dem entgegenzuwirken, braucht es neben einer konsistenteren Zentralasienstrategie auch einen konstruktiven und von Ideologie unbelasteten Ansatz für die Beziehungen gegenüber den arabischen Golfstaaten.

Der Großraum Asien – von den arabischen Golfstaaten bis Japan, von Russland bis Aus­tralien – ist von neuen intra- und trans­regionalen Dynamiken geprägt, in denen auch Energie- und Klimapolitik eine zen­trale Rolle spielen. Ein Beispiel dafür ist die aktuelle Investitionslandschaft in den zen­tralasiatischen Staaten Kasachstan und Usbekistan, wo sowohl China als auch vor allem Saudi-Arabien und die VAE im Ausbau erneuerbarer Energien engagiert sind und diesen Sektor zunehmend domi­nieren.

Die Beziehungen in dem Dreieck, das Golfstaaten, China und zentralasiatische Staaten bilden, entwickeln sich inmitten einer geopolitisch komplexen Landschaft. Traditionell spielt Russland eine große Rolle in Zentralasiens Energiepolitik. Es sucht zu verhindern, dass es seinen gewichtigen Einfluss insbesondere im fossilen Energiesektor dieser Länder – bei der regionalen Gas-, Öl- und Strominfrastruktur – nicht verliert an externe Akteure, vor allem aber China. Relevante Akteure in Zentralasien sind auch die Türkei und Iran, teils im Ener­giesektor, insbesondere aber in der Sicherheitspolitik. Eine Annäherung zwischen den Golfstaaten, China und Ländern Zen­tralasiens bei der Entwicklung eines grünen Energiesektors könnte infolgedessen Aus­wirkungen auf die weitere Region haben.

Wie die Golfstaaten und China in Zen­tralasien agieren, könnte aber auch im Hin­blick auf deren wechselseitige Beziehungen von enormer Bedeutung sein: Könnte es sich doch um eine Blaupause dafür handeln, wie diese beiden aufstrebenden Akteure langfristig interagieren – und wie sich ihre global immer wichtiger werdenden Bezie­hungen weiter gestalten werden.

Bislang ist das Auftreten der Golfstaaten und Chinas in der Region nicht konfron­tativer, sondern eher kollaborativer Natur. Dies zeigt sich insbesondere an ersten ge­meinsamen Projekten. So setzt etwa ACWA Power, Saudi-Arabiens nationaler Cham­pion für Stromerzeugung, Entsalzung und Wasserstoff, ein usbekisches Großprojekt des Generalplaners PowerChina im Kontext der chinesischen »Seidenstraßen«-Initiative um. Dem voran gingen Investments des chinesischen Silk Road Fund, der seit 2019 49 Prozent der Anteile an der ACWA Power Renewable Energy Holding hält. Wie sich diese transregionale Beziehung weiter­entwickelt, wird nicht zuletzt davon abhän­gen, ob Koexistenz langfristig in Koopera­tion oder in Konflikt mündet, wofür Zen­tralasien ein Testfeld sein könnte.

Zentralasiens Energietransforma­tion: Bestrebungen und Grenzen

Da in Zentralasien schon jetzt Wasserknapp­heit herrscht, ist von einer hohen Anfälligkeit für die Folgen des Klimawandels aus­zugehen. Das legt die Nutzung erneuerbarer Energien nahe. Das Interesse an Wirtschafts­diversifizierung und Versorgungssicherheit spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Kasach­stan etwa plant, bis 2035 35 Prozent (schät­zungsweise zwischen 12 GW und 16 GW) seines Stroms aus erneuerbaren Energien (inklusive Wasserkraft) zu beziehen; mo­men­tan liegt der Anteil bei 14 Prozent. Dabei sind vor allem das Unternehmen Samruk-Kazyna, der kasachische Invest­ment Development Fund und das Energieministerium treibende Kräfte. Usbekistan wiederum strebt an, bis 2030 den Anteil von Solar- und Windenergie an seiner Strom­erzeugung auf 40 Prozent zu vergrößern (ent­spricht rund 27 GW), ausgehend von 15 Pro­zent 2023. Zentrale Treiber sind die lokale Joint-Stock Company (JSC), National Electric Grid of Uzbekistan (NEGU), und das Inves­titionsministerium. Kasachstan hat 2018 Auktionen für Bau- und Betriebsrechte neuer Kraftwerke eingeführt, die erneuerbare Energien nutzen. Usbekistan dagegen fördert seit 2019 die Zusammenarbeit bei Projekten für erneuerbare Energien im Rah­men öffentlich-privater Partnerschaften; neben direkten Verhandlungen wird dabei auch das Mittel offener Ausschreibungen genutzt. Außerdem bieten beide Länder Steuerbefreiungen und Subventionen für er­neuerbare Energien, wenngleich für fos­sile Rohstoffe ebenso Anreize fortbestehen.

Motiv für das grüne Engagement sind aber vor allem lokale Energiedefizite. Trotz seiner beträchtlichen traditionellen Energie­reserven steht Kasachstan vor der Heraus­forderung, die Gasverarbeitungs- und Strom­erzeugungskapazität mit dem rasanten Bevölkerungswachstum Schritt halten zu lassen. Usbekistan wiederum hat mit einer rückläufigen Gasproduktion zu kämpfen. Russland wirbt daher intensiv um den Aus­bau von Gasexporten in die Region. Die zen­tralasiatischen Staaten wollen sich jedoch nicht (mehr) in zu große Abhängigkeiten von einzelnen Staaten begeben – in der Region wurde Russlands Krieg gegen die Ukraine mit Blick auf die eigene Energie­sicherheit durchaus mit Besorgnis aufge­nommen. Der Ausbau grüner Energie dient daher auch der in der Region angestrebten Diversifizierung. Allerdings sind Kasachstan und Usbekistan außerstande, dieses Vor­haben eigenständig zu verwirklichen, da es ihnen an Kapital, Know-how und Industrie mangelt. Doch auch Chinas bisher domi­nante Position in diesem Sektor schafft Ab­hängigkeiten. Das sich verstärkende En­gagement der Golfstaaten kommt insofern gelegen, als es die Möglichkeit bietet, mehr Verhandlungsmacht gegenüber »großen« Nachbarn zu gewinnen und sich um ein Mächtegleichgewicht zwischen einer wach­senden Zahl von Akteuren zu bemühen.

Golfstaaten und China: bilaterale Dynamiken, Interaktion in Zentralasien

Wachsende Interdependenz

Abseits von Zentralasien haben sich die Beziehungen zwischen dem Golf und China bereits kontinuierlich vertieft, teils hat sich eine gegenseitige Abhängigkeit entwickelt. China ist der größte Abnehmer von Öl- und Gasexporten des Golfs; Pläne, entsprechende Risiken abzumildern, haben die Golfstaaten kaum. China hat außerdem, oft unter dem öffentlichen Radar, signifikant in die Golf­staaten investiert. So ist China inzwischen für den größten Teil der Neuinvestitionen einiger Golf-Industriecluster verantwortlich; das Land ist also zum Shareholder in der industriellen Entwicklung des Golfs gewor­den. Die Volksrepublik ist auch an Projek­ten zu erneuerbaren Energien im Golf betei­ligt, auch zu Wasserstoff. Pekings Ent­scheidung, für die unlängst emittierten, in US-Dollar dotierten chinesischen Staats­anleihen Saudi-Arabien als Markt zu wäh­len, ist das womöglich bislang markanteste Indiz für die sich intensivierende Zusammenarbeit beider Länder.

Die Golfstaaten sind auch für Chinas wachsende diplomatische Ambitionen zu einem Fixpunkt geworden. Im Irak ver­suchte Peking mehrfach, diplomatisch zu intervenieren, bislang jedoch mit wenig Erfolg. Chinas Rolle bei der An­näherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran sollte nicht überschätzt werden – das Ab­kommen vom Frühjahr 2023 wurde haupt­sächlich durch Oman und den Irak ver­mittelt. Doch die Akteure wählten China bewusst als diplomatisch neutrale »Kulisse«, da nur wenige Staaten vergleichbares Ge­wicht haben und als unbefangen gelten. Trotz seiner begrenzten außenpolitischen Kapazitäten wird China von den Golf­staaten als neutraler, pragmatischer und konstruktiver Akteur wahrgenommen. Peking sieht die Golfstaaten als bedeutende Chance, die ihm die Möglichkeit eröffnet, seine wirtschaftlichen und diplomatischen Kapazitäten mittelfristig zu erweitern. Da­her hat es ein großes Interesse an stabilen Beziehungen. Die Golfstaaten wiederum versprechen sich von vertieften Beziehungen mit China eine bessere Positionierung in der neuen multipolaren Landschaft; so spielte China etwa eine entscheidende Rolle bei der Einladung Saudi-Arabiens und der VAE in die BRICS-Gruppe.

Dennoch könnte das aktuelle Modell ökonomischer Kooperation mittelfristig an seine Grenzen stoßen. Sozioökonomische Faktoren veranlassen die Golfstaaten, mehr Wertschöpfung anzustreben, insbesondere um Arbeitsplätze zu schaffen, aber auch um Soft Power auszubauen. Derzeit kon­zentrieren sich die Golfstaaten im Sektor erneuerbarer Energien auf Finanzierung, Projektentwicklung und Technologiebereitstellung; ihre Fertigungskapazitäten, bei­spielsweise für Solarmodule, sind aber minimal. Dies möchten die Golfstaaten ändern; so hat etwa Saudi-Arabien trotz fraglicher Wirtschaftlichkeit eigene Kapa­zitäten für die Fertigung von Elektrofahrzeugen geschaffen.

Da China traditionell die Fertigung kon­trol­liert, könnten Konflikte um die Kon­trolle der Wertschöpfungsketten entstehen, sollten die Golfstaaten ihren Einfluss aus­weiten. Dies könnte auch den Wettbewerb um Regionen anheizen, die reich an kri­tischen Ressourcen sind. Insofern bleibt unklar, ob das praktizierte Modell der wirt­schaftlichen Aufteilung Bestand hat oder ob China auf die Bestrebungen der Golfstaaten reagieren wird. Die Konfliktfelder zwischen beiden Seiten könnten sogar über energiebezogene Industrien hinausgreifen und von Bedeutung werden, insbesondere wenn die Golfstaaten andere Fertigungssektoren anvi­sieren oder traditionell von China dominierte Märkte erschließen wollen. In Zentralasien sind solche ambivalenten Dynamiken im Be­reich grüner Energie bereits zu beobachten.

Motive und Interaktionsmuster in Zentralasien

China ist neben Russland der bedeutendste Energie-Akteur in Zentralasien im fossilen Energiesektor und der Energieinfrastruktur. China engagiert sich seit einigen Jahren verstärkt auch in Wertschöpfungsketten er­neuerbarer Energien und kommt damit den Präferenzen lokaler Regierungen entgegen, insbesondere Kasachstans und Usbekistans.

Mit Kasachstan besteht seit 2015 ein zwi­schenstaatliches Rahmenabkommen, das den Einstieg chinesischer Unternehmen in den Markt erleichtert hat. Ab 2019 erlang­ten chinesische Firmen auch nach Erfolgen in Vergabewettbewerben Zugang zum Markt für erneuerbare Energien in Usbekis­tan. Jedoch wurde eine Kooperation im Be­reich erneuerbare Energien erst 2021 ange­stoßen, als sie Gegenstand der ersten grü­nen diplomatischen Agenda beider Staaten wurde. Auf Basis ihrer zehnjährigen stra­tegischen Partnerschaft schlossen sie dann 2023 ein Kooperationsabkommen, das Chi­nas Einstieg in den usbekischen erneuer­baren Sektor bekräftigt. Pekings Engagement in beiden Ländern steht für einen Wechsel der Investitionsstrategie, der weg von der reinen Kreditfinanzierung hin zu Eigenkapitalbeteiligungen führt. Damit reagiert China wohl auch auf die Kritik, es locke Kreditnehmer in eine Schuldenfalle; der Wechsel ist aber auch bedingt durch die wachsenden Kreditausfallrisiken und eine konservativere Kreditvergabepolitik Chinas.

Auch für die Golfstaaten war das letzte Jahrzehnt von einem Strategiewechsel ge­prägt. Sie konzentrieren sich nunmehr dar­auf, neue Wirtschaftszweige zu entwickeln und ihre Soft Power in verschiedenen Berei­chen zu stärken. Ihr Bemühen um wirt­schaftliche Diversifizierung hat zwei Haupt­gründe. Erstens besteht das Bedürfnis, sich als aufstrebende, größere Ziele verfolgende Mittelmacht zu positionieren und eine bedeutsamere Rolle im internationalen politisch-diplomatischen Geschehen für sich zu beanspruchen. Zweitens stellen demografische Veränderungen – namentlich vor allem das schnelle Wachstum der Jugendbevölkerung und eine damit steigende Zahl von Absolventen, die in den Arbeitsmarkt eintreten – die traditionellen Ge­schäftsmodelle in einigen Golfstaaten auf die Probe. Jugendarbeitslosigkeit ist gene­rell ein wachsendes Problem für die Region, sodass neue Arbeitsplätze geschaffen wer­den müssen. Das erfordert, neue Sektoren zu erschließen und damit innovative Ein­stiege in Wertschöpfungsketten zu finden.

In diesem Zusammenhang setzen die Golfstaaten auf umfangreiche öffentliche Finanzmittel, die hauptsächlich aus Staats­fonds stammen. Diese Mittel werden ver­wendet, um sich gezielt in ausländische Unternehmen einzukaufen oder nationale Champions zu fördern und zu schaffen. Dabei geht es nicht nur darum, nationale Champions für den heimischen Markt auf­zubauen; sie sind auch gezielt auf ausländische Märkte ausgerichtet. Hauptmotiv ist ein ökonomisches und finanzielles; Soft Power ist in den meisten Branchen ein gerne gesehener Nebeneffekt.

Saudi-Arabien und in geringerem Maße die VAE haben als Nachzügler eine bedeu­tende Präsenz in der Region aufgebaut, insbesondere in Usbekistan. Diese Entwicklung wird auch durch die kulturelle Nähe begünstigt (Kasachstan dagegen war histo­risch schon immer enger mit China verbun­den). Seit 2022 gibt es zudem regelmäßige Treffen zwischen dem Golf-Kooperationsrat und den fünf zentralasiatischen Staaten mit dem Ziel, die gemeinsamen politischen und strategischen Beziehungen zu stärken. Insgesamt ist die tendenzielle Nähe der Governance-Vorstellungen Chinas, der Golf­staaten und Zentralasiens ein wesentliches Bindeglied ihrer Zusammenarbeit.

Wirtschaftliche Akteure und erste gemeinsame Projekte

Im Sinne ihrer konvergierenden Ansätze und Interessen zeichnen sich erste trilate­rale Projekte ab. Insbesondere das saudische Unternehmen ACWA, mittlerweile einer der größten Entwickler von Infrastruktur für erneuerbare Energien weltweit, hat eine enorme Bedeutung für die Region und schafft Synergien mit China. Diese betreffen vor allem Windenergie und entstehen meist in Kooperation mit chinesischen Unter­nehmen und Financiers, wie die von China initiierte und dominierte Asian Infrastruc­ture Investment Bank, die Bank of China, der Silk Road Fund oder die China Southern Power Grid International. Die genannten Banken sind entweder direkter Finanzier von Projekten oder aber Stakeholder in von ACWA speziell für die Projekte gegründeten Holdings. Dies ist etwa bei den geplanten Windkraftanlagen in Dzhankeldy und Bash in Usbekistan der Fall.

Unternehmen aus den VAE wie AMEA Power und Masdar (beide Solarenergie) sowie Abu Dhabi National Energy Company PJSC (TAQA) und Visor International DMCC (beide Windenergie) sind zunächst mit Bau-Projekten von Anlagen im zweistelligen bis niedrigen dreistelligen Megawatt-Bereich in Zentralasien aktiv geworden. In den letzten drei Jahren geht der Trend jedoch deutlich aufwärts, wobei sie meist als alleinige Pro­jektausführer oder in Zusammenarbeit mit lokalen Ministerien auftreten. Masdars Road­map Agreement für die Errichtung eines Windparks in der Jambyl-Region in Kasachstan wäre dafür ein Beispiel.

Teilweise konnten diese Golfstaaten mit wettbewerbsfähigen Angeboten Aufträge einwerben und China dabei ausstechen. China bleibt aber nach wie vor an der Mehrheit der Projekte beteiligt, sei es als Projektentwickler, als Auftragnehmer für Planung, Beschaffung und Bau (beispielsweise in Usbekistans erstem grünem Was­serstoffprojekt), sei es als Zulieferer, über direkte Verhandlungen oder durch Beteili­gungen an Golf-Firmen.

Chinesische und Golf-Firmen haben einige Merkmale gemeinsam: Sie sind natio­nale Champions, die auf den Heimatmärkten ihr Projektportfolio aufbauen, das sie für den globalen Wettbewerb qualifiziert; sie sind staatlich; insbesondere für China gilt als Handlungsmaxime: Expansion ent­lang der Wertschöpfungskette (von Zulie­ferer und Auftragnehmer bis Entwickler). Ein wesentlicher Beweggrund für die Golf­staaten ist, dass sich Projekte in Zentral­asien relativ schnell und unkompliziert umsetzen lassen. Das liegt vor allem an den tendenziell »top-down« agierenden Regie­rungssystemen in beiden Regionen.

Potential geopolitischer Verschiebungen in der Region

Eine Erweiterung des praktizierten Koope­ra­tionsmodells auf andere unkonventio­nelle Energie- und Klimatechnologien, etwa Wasserstoff oder die CO2-Abscheidung, liegt nahe. Dagegen ist ungewiss, ob es zu einer weiter­führenden Trilateralisierung der Beziehungen zwischen China, Saudi-Ara­bien/den VAE und Kasachstan/Usbekistan (bzw. dar­über hinaus) kommt. Es existieren zwar Foren für eine Vertiefung der Zusam­menarbeit, allerdings bleiben die Interaktio­nen bislang weitgehend bilateral. Kasach­stan und Usbekistan würden von einer Tri­lateralisierung absehbar am meisten profi­tieren, vor allem, um ihre Unabhängigkeit von Russland auszubauen und die Asym­metrie ihrer Beziehungen zu China im grünen Energiebereich abzumildern. Für die anderen Parteien ist noch nicht klar, ob ihnen ein Ausbau der punktuellen Zu­sam­menarbeit in Richtung einer umfassen­deren Partnerschaft Vorteile bietet. Geo­politische Spannungen könnten mittel- bis längerfristig vorherrschend werden.

China setzt in der Region auf historische Verbindungen und konnte seine Macht deut­lich ausbauen; Moskau muss aufgrund seiner Abhängigkeit von China zuschauen. Peking pflegt zwar vorwiegend bilaterale Beziehungen zur Region, ruft aber multi­laterale Foren wie das China plus Central Asia-Format ins Leben, um seine Politik gegenüber der Region besser zu koordinieren. Darüber hinaus nutzt China Foren wie die Shanghai Cooperation Organisation dazu, seine Beziehungen zu Russland auch in der Region immer wieder zu justieren. Die Arbeitsteilung in der Region zwischen Russland und China funktioniert nicht zu­letzt auch deshalb weiterhin, weil die öko­nomische Dominanz der Volksrepublik sie erleichtert.

Die relative Schwächung des russischen Einflusses in Zentralasien und die zunehmende Präsenz Chinas haben sich bisher graduell, nicht disruptiv entwickelt; plötz­liche Veränderungen oder abrupte Reaktio­nen erscheinen darum unwahrscheinlich.

Das Auftreten der Golfstaaten als neue Akteure ist eine Zäsur. Derzeit beschränkt sich ihr Engagement auf eine spezifische techno-ökonomische Nische, die vor allem erneuerbare Energien betrifft. Dieser Fokus hat es ihnen ermöglicht, in der Region aktiv zu werden, ohne nennenswerte Konflikte oder Reaktionen von Wettbewerbern aus­zulösen. Andere regionale Mächte wie der Iran, Russland oder die Türkei können in Zentralasien ohnehin nur begrenzt im Sek­tor erneuerbare Energien mit den Golf­ländern konkurrieren, genauso wenig wie mit China.

Mittelfristig besteht jedoch die Möglichkeit – sollten die Golfstaaten ihre Einfluss­nahme aktiv auf andere Wirtschaftssektoren oder Sicherheitsbelange ausdehnen –, dass sich ein stärkerer Wettbewerb mit regionalen Mächten wie der Türkei, dem Iran und Russland ergibt. Für diese Mächte könnten die Golfstaaten eine Konkurrenz darstellen und entsprechende Reaktionen hervorrufen, was wiederum die Stabilität der Region gefährden würde. Die Golfstaaten haben zwar strategisch zu jenen Akteu­ren Beziehungen aufgebaut, um Feindselig­keiten zu vermeiden. So haben die VAE ihre wirtschaftliche und sicherheitspoli­tische Kooperation mit Moskau verstärkt; und Saudi-Arabien hat ungeachtet der Nei­gung seiner Bevölkerung, die Türkei auf­grund der dort um sich greifenden anti-arabischen Stimmungen zu boykottieren, eine wohlwollende diplomatische Haltung gegenüber der Türkei aufrechterhalten. Direkte feindselige Maßnahmen – etwa Sanktionen oder Preiskriege im Öl- und Gas­sektor – sind daher auf kurze Sicht un­wahr­scheinlich.

Auf lange Sicht aber würde ein größeres saudisches oder emiratisches Engagement in der Region kostspieliges diplomatisches Hedging erfordern, um Spannungen zu verhindern. Die Golfstaaten müssen daher nüchtern abwägen, ob die Vorteile einer Ausweitung ihrer Rolle in Zentralasien über ihren derzeitigen techno-ökonomischen Einfluss hinaus die möglicherweise drohen­den Kosten tatsächlich rechtfertigen.

Auch für China ergeben sich ähnliche Erwägungen. Zum einen ist von Chinas wei­terem Erstarken in der Region auszugehen, gerade im Bereich grüner Zukunftstechno­logien; bei anderen regionalen Mächten, inklusive Russland, ist das jedoch nicht zu erwarten. Zum anderen sind erneuerbare Energien ein Schlüsselbereich, der strate­gische Bedeutung für die Zukunft Zentral­asiens hat. Schon jetzt werden insofern die Konturen neuer regionaler Energiesysteme, Industriezweige und Wirtschafts- und Ener­gieräume gezeichnet – und damit einher gehen neue Beziehungen und Abhängig­keiten.

Implikationen und Empfehlungen für die EU und Deutschland

Zu erneuerbaren Energien entstehen zwi­schen einzelnen Ländern Zentralasiens, einigen Golfstaaten und China erste ge­meinsame Projekte; dabei zeichnen sich multilaterale Kooperationsmuster ab.

Noch ist offen, inwieweit sich die vorherrschenden öko­nomischen Muster zwi­schen den Akteuren mittelfristig auch in geopolitischen oder gar sicherheitspolitischen Dynamiken niederschlagen. Diese Kooperation könnte ungeachtet dessen als Blaupause der immer relevanter werdenden Golf-China-Beziehungen dienen und ist insofern von außen- und insbesondere geo­politischer Bedeutung. Überdies ist sie schon jetzt ein (weiteres) Beispiel intra-asiatischer Verflechtungen, die sich weitestgehend ab­seits des Einflussradius der EU und Deutsch­lands entwickeln. Für Letztere ergeben sich daraus weitreichende Folgen – auch jen­seits des Energiesektors und Zentralasiens.

Nötig ist ein neues strategisches Verständnis des sich herauskristallisierenden komplexen Beziehungsgeflechtes im Groß­raum Asien, um sicherzustellen, dass Europa in diesem Großraum langfristig auch wei­terhin relevant bleibt. Im konkreten Bei­spiel der China-Golfstaaten-Zentralasien-Kooperation bedarf es eines doppelten An­satzes, der sowohl die Politik der EU und Deutschlands in Zentralasien entschiedener umsetzt als auch die bilateralen Beziehungen insbesondere zu den Golfstaaten neu austariert.

Zentralasienpolitik: Neue Modelle und mehr Realismus wagen

Sowohl Deutschland wie auch die EU haben seit Ausbruch von Russlands Krieg gegen die Ukraine betont, dass eine Vertiefung der Beziehungen mit den zentralasiatischen Staaten strategisch wichtig ist. Vor allem bei Energie und Klima gewinnt dies an Relevanz, da eine Reduzierung der Abhän­gigkeit von fossilen Rohstoffen ebenso an­gestrebt wird wie der gleichzeitige Ausbau erneuerbarer Energien. Ziel ist dabei auch, alternative Drittmärkte zu erschließen, um resiliente, von China unabhängige (grüne) Wertschöpfungsketten und Exportmöglichkeiten zu schaffen.

Diese Bemühungen hatten bislang jedoch kaum Erfolg. Denn selbst in Projek­ten, die erneuerbare Energien und Indus­trien betreffen, haben unlängst eher die Golfstaaten und China den Sektor geprägt, darüber hinaus aber auch Machtstrukturen. Dabei ist die Verbindung zwischen aus­gewählten Staaten Zentralasiens, des Ara­bischen Golfes und Chinas zwar im Zuge finanzieller Bestrebungen erstarkt, aller­dings nicht in einem politischen Vakuum. Vielmehr hat Europas historisch zögerlicher und instrumenteller Ansatz gegenüber der Region – gepaart mit einer Russland-Poli­tik, die nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs auf Entkoppelung und Sanktionen setzte – die gesamte kontinentale Handelsgeografie verändert. Dabei wurde die über die Jahre sich verstärkende Orientierung Zentral­asiens auf Asien und andere Regionen jen­seits der EU weiter begünstigt.

Dabei konvergieren jedoch, etwa in der Energie- und Klimapolitik, die Interessen der Region und der EU zusehends. Statt dies in einen politisch-strategischen Ansatz um­zumünzen, wird die Beziehung nach wie vor normativ-transformativen Anforderun­gen unterworfen, etwa indem Europa sein Engagement in der Region an menschenrechtspolitische, zivilgesellschaftliche, sys­tempolitische und (übereilte) klimapoliti­sche Transformationen oder unerfüllbare Bedingungen wie eine Entkopplung von Russland und eine Distanzierung von China knüpft.

Daher sollten Deutschland und Europa eine konsistentere Strategie für Zentral­asien entwickeln, welche die Energie- und Klimapolitik nicht nur rhetorisch, sondern auch praktisch weiter ins Zentrum rückt. Entsprechend sollten auch die Instrumente an die Ziele und die Ziele an die Realität ange­passt werden.

Je nachdem, ob Deutschland und die EU in Zentralasien zurückhaltend agieren oder ihr energie- und geostrategisches Engage­ment verstärken wollen, müssen sie auch über die Ausrichtung eigener Investitions­tätigkeiten nachdenken: Soll der Fokus auf kleinen, risikoarmen Projekten oder auf größeren, langfristigen Initiativen liegen?

Falls die aktuelle Politik fortgesetzt wird und Möglichkeiten nicht ausgeschöpft wer­den, sollten die EU und Deutschland sich dar­über im Klaren sein, dass mit ihrer Politik nicht nur Marktanteile im grünen Energie­sektor, sondern auch langfristige geostra­tegische Kosten verbunden sind. Denkbar ist etwa eine weitere Verringerung des Ein­flusses in Zentralasien oder auch ein Ver­säumen der Chance, die Energie- und Klima­transformation Zentralasiens im Sinne Deutschlands mitzugestalten.

Die Beziehungen zu Zentralasien ließen sich dadurch aufwerten, dass die Region und ihre Dynamiken in eine Gesamtstrategie integriert werden, die ihre wachsenden multiplen transregionalen Verbindungen berücksichtigt – im Energie- und Klimasektor etwa könnte dies bedeuten, Teil von Konsortien mit anderen regionalen Akteu­ren zu werden. Denn selbst wenn deutsche und europäische Unternehmen preislich nicht wettbewerbsfähig sein sollten, könn­ten sie beispielsweise in Kooperation mit den Golfstaaten in kleinerem Rahmen an Projekten in Zentralasien teilnehmen, etwa solche für spezialisierte Technologie. Dafür bedarf es allerdings der Bereitschaft zu Kompromissen und zur Kommunikation, nicht nur mit Regierungen, sondern auch mit anderen relevanten Akteuren. Institu­tionen wie die Europäische Bank für Wie­deraufbau und Entwicklung (EBRD) sowie französische Unternehmen sind bereits an mehreren Projekten beteiligt und könnten Deutschland als wertvoller Kanal dienen.

Golfstaatenpolitik: Eigene Interessen vertreten, Partnerschaften eingehen

Es liegt folglich nahe, die Beziehungen zu den vermehrt in Zentralasien aktiven Golf­staaten zu überdenken und neu zu jus­tieren. Zumal es bei allen Unterschieden selbst klimapolitisch auch gemeinsame Interessen gibt, etwa an grünen, von China unabhängigen Wertschöpfungsketten.

Vor allem aber jenseits von Zentralasien sind die arabischen Golfstaaten ein wich­tiger Akteur, der im Vergleich zu anderen Akteuren viele Interessen mit Europa teilt. Dabei haben die Golfstaaten einen Swing-Charakter hinsichtlich der Begrenzung chi­nesischer Machtprojektion in Nahost und letztendlich in Europa. Chinas wachsende Rolle in den Golfstaaten steht tatsächlich auch in Verbindung mit der Tatsache, dass Europas Einfluss in Eurasien und Asien schwindet; China kann die Golfstaaten als Vehikel zur Projektion seiner Interessen nach Europa nutzen, auch über ein Erstar­ken der BRICS-Gruppe. Ein Umgang mit den Golfstaaten, der konstruktiver und strateg­ischer ist als in den letzten Jahren, wäre daher im deutschen und europäischen Inter­esse.

Selbstverständlich sollten Deutschland und die EU eigene Interessen gegenüber den Golfstaaten stets artikulieren, betonen und durchsetzen – sei es auf geopolitischer oder wirtschaftlicher Ebene. Aktuelle außen­politische Tendenzen, selektiv einzelne Staaten in der arabischen Welt zu de facto bedingungslosen Partnern zu erklären, soll­ten keineswegs fortgeführt oder gar ver­stärkt werden. Jedoch ist es geboten, mit allen Golfstaaten einen partnerschaftlichen, ideologiefreien Umgang auf Augenhöhe anzustreben. Die Golfstaaten haben ihre traditionelle und langjährige Präferenz für Europa als Partner bislang nicht aufge­geben. Sowohl wirtschaftlich als auch diplo­matisch steht Europa noch für Stabilität, Stärke und strategische Kompetenz. Aller­dings schwindet diese Grundlage, was sich etwa an einer Umorientierung der Energie­zusammenarbeit nach Korea und Japan zeigt, aber auch daran, das Europas Hebel über die Golfstaaten in Konfliktfeldern wie Jemen, Syrien und Sudan zunehmend kraft­loser wird – und nicht zuletzt an der Hin­wendung zu China. Um dem entgegen­zuwirken, sollte die europäische Golfstaaten­politik die in den letzten Jahren geschla­genen diplomatischen Wunden heilen, aber auch Kernzusagen einlösen, wie die zahl­reichen im Kontext der Wasserstoffwirtschaft abgegebenen Absichtserklärungen oder auch die 2022 beschlossene Strategische EU-Golf-Partnerschaft. Auch Kooperationen in anderen Bereichen, etwa eine Rohstoffpartnerschaft mit Saudi-Arabien, sind vitale »win-win«-Instrumente, die hel­fen, den europäischen Einfluss ebenso zu stärken wie wirtschaftliche und energie­politische Resilienz, während sie gleich­zeitig den Einfluss von Akteuren wie Russ­land und China begrenzen.

Schließlich würde eine Aufwertung der bilateralen Beziehungen der EU und Deutsch­lands zu den Golfstaaten es auch erlauben, Möglichkeiten energiepolitischer Kooperation in Zentralasien auszuloten und da­durch eine konsistentere und effektivere Politik gegenüber der Region zu entwickeln. Beide Ansätze könnten der EU und Deutsch­land dazu verhelfen, aktiver an der For­mung des komplexen geoökonomischen und geopolitischen Gleichgewichts der gesamten Großregion teilzunehmen und eigene energie-, klima- und geopolitische Ziele effektiver zu verfolgen.

Dr. Dawud Ansari und Dr. Jacopo Maria Pepe sind Wissenschaftler, Rosa Melissa Gehrung ist Forschungsassistentin in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Dieses SWP-Aktuell entstand im Rahmen des Projekts »Geopolitik der Energie­transformation im Großraum Asien (GET GA)«, das vom Auswärtigen Amt finanziert wird.

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