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Die Geopolitik der Energiewende im Großraum Asien

Grundlagen, interne Dynamiken und Trendkartierung aus Sicht der Region

SWP-Aktuell 2024/A 70, 20.12.2024, 8 Seiten

doi:10.18449/2024A70

Forschungsgebiete

Der Großraum Asien entwickelt sich zu einem Zentrum der globalen Energiewende. Kennzeichnend ist dabei eine wachsende Unabhängigkeit von externen Akteuren wie der EU und den USA, während Dynamiken und Vernetzung zunehmend innerhalb der Region stattfinden. Was sich hier abzeichnet, sind beispielsweise Tendenzen zur Monopolisierung kritischer Rohstoffe, neue Allianzen auf Basis wachsender Inter­dependenzen entlang Wertschöpfungsketten sowie ein Trend zu innovativen Tech­nologien wie kleinen modularen Atomreaktoren. Gleichzeitig könnte die Energiewende in der Region durch geopolitische Spannungen und potentielle Krisen erheb­lich beein­flusst werden. Um in Asien relevant und handlungsfähig zu bleiben, sollten Deutschland und die EU ihr dortiges Engagement konstruktiver ausrichten.

Vor knapp zehn Jahren konstatierte Spencer Dale in seinem Aufsatz »New Eco­nomics of Oil« eine Transformation der Öl­märkte; deren Flüsse würden nunmehr primär in Richtung Asien verlaufen. Eine Dekade später hat sich diese These größten­teils bestätigt. Der Großraum Asien ist heute der größte Importeur wie auch Pro­duzent von Energie – eine weitreichende, politisch wie ökonomisch heterogene und doch zunehmend vernetzte Großregion, die sich von Japan im Osten bis zur Arabischen Halbinsel im Westen und von Russland im Norden bis nach Australien im Süden er­streckt. Bedeutend für Energie und Klima ist dieser Raum nicht nur wegen seiner geostrategischen Relevanz, seines Reichtums an kritischen Rohstoffen und Kompo­nenten oder seiner weltwirtschaftlichen Dominanz. Was ihn darüber hinaus aus­zeichnet, sind interne Dynamiken und wachsende Eigenständigkeit, sei es im Rah­men klimapolitischer Agendasetzung, beim Energiehandel oder als Technologieanbieter. Diese Entwicklung markiert einen epo­chalen Bruch gegenüber jener Ära, in der Europa und die USA eine dominante und exklusive Rolle in den Bereichen Klima, Energie und Technologie spielten.

Denn während der letzten zehn Jahre haben im asiatischen Raum einzelne Sub­regionen untereinander polit-ökonomische Verflechtungen und Interdependenzen aus­gebaut – auf der eurasischen Landmasse ebenso wie entlang der maritimen Ver­kehrsadern, die den Pazifischen und den Indischen Ozean mit dem Arabischen Meer verbinden. Diese neue Unabhängigkeit spie­gelt sich im Erstarken von Formaten wie BRICS+, das von asiatischen Akteuren domi­niert wird und in jüngster Zeit durch das Konzept von »Partnerländern« asiatische Schwellenökonomien mit einbezieht. Auch bilateral schreitet die politische und ökono­mische Integration Großasiens voran, etwa zwischen Russland und China, ungeachtet der fehlenden Machtbalance in dieser Bezie­hung. Ähnliches zeigt sich zwischen China und den Golfstaaten, etwa was Pekings Rolle bei der saudisch-iranischen Annäherung betrifft oder die unlängst von China in Saudi-Arabien ausgegebenen Staatsanleihen. Der Handel in der Region gewinnt eben­falls erheblich an Bedeutung. Wie der Interna­tionale Währungsfonds schätzt, wird der innerasiatische Handel bis 2030 etwa 40 Pro­zent des globalen Handels ausmachen.

Besonders deutlich aber zeigen sich Ver­netzung und Eigenständigkeit der Region im Bereich Energie und Klima. Beispiele sind die hier vermehrt entwickelten Tech­nologien zur Speicherung von Kohlenstoffdioxid, trilaterale Energiekooperationen oder auch die regionalen Wasserstoff-Agenden. Der Großraum Asien zählt zu den größten CO2-Emittenten, treibt zugleich je­doch wesentlich den Ausbau von sauberen Energien und Technologien voran. Japan und Südkorea etwa haben in Zusammen­arbeit mit Südostasien und Australien neue Partnerschaften aufgebaut, die den Wandel hin zu sauberer Energie fördern.

Obwohl sich der Großraum Asien vom Einfluss Deutschlands und der EU löst, blei­ben Letztere doch von diesen Veränderungen betroffen – sei es durch die Auswirkungen des globalen Klimawandels, die Dynamiken auf den internationalen Ener­giemärkten oder durch geopolitische Ver­schiebungen. Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, die zentralen Trends und Unsicherheiten in Großasien sowie deren Bedeutung für die regionale Energiewende zu analysieren. Ebenso ist zu fragen, welche Rolle Deutschland und Europa in diesem Prozess noch spielen können.

Trends und Unsicherheiten: Eine Vorausschau

Im Rahmen einer strategischen Vorausschau, wie sie von wissenschaftlicher Seite erfolgt, werden relevante Einflussfaktoren einer künftigen Entwicklung häufig nach dem Grad ihrer Unsicherheit und ihrem Impact (also ihrer Wirkung) bewertet. Eine solche Kartierung findet meist in einem partizipativen Prozess statt. Im Fall des hier behandelten Themas geschah dies im Rah­men eines pan-asiatischen Expertenforums, das im Oktober 2024 in Singapur stattfand und an dem Vertreter unterschiedlicher Teile der Großregion teilnahmen. Kleingruppen generierten dabei Grundannahmen und Einflussfaktoren gemäß der Leit­frage, wie sich Asiens Geopolitik und seine Energiewende bis 2035 entwickeln werden. Diese Annahmen und Faktoren wurden anschließend nach vorgegebenen Rastern und verhaltenswissenschaftlichen Prinzipien bewertet.

Auf diese Weise entstand zur Geopolitik der Energiewende in Asien eine Kartierung der Einflussfaktoren (siehe Graphik 1). Die­se erlaubt es, Faktoren einzuordnen und poli­tisch zu gewichten, etwa wenn Strate­gien zur Eindämmung von Risiken oder Szena­rien für Handlungsempfehlungen erstellt werden sollen. Besonders wichtig sind zwei spezielle Gruppen von Einflussfaktoren. Erstens geht es um Schlüssel­trends; das sind Faktoren mit hohem Im­pact und niedriger Unsicherheit – also solche, deren Entwicklung weitgehend feststeht und die gleichzeitig einen starken Einfluss auf das Ge­schehen haben. Zweitens lassen sich Schlüs­selunsicherheiten ermit­teln. Dies sind Fak­toren mit hohem Impact wie auch hoher Unsicherheit, also solche, deren Entwicklung ungewiss ist, die aber großen Einfluss haben.

Auffällig für den Großraum Asien ist nun, dass sich die Kartierung im Rahmen der Vorausschau hauptsächlich in Faktoren mit hohem Impact (einige davon können als Schlüsseltrends bezeichnet werden) und solche mit hoher Unsicherheit aufteilt; bei­des zusammen kommt jedoch nicht vor. Die Kartierung hat demnach keine Schlüs­selunsicherheiten hervorgebracht. Dies be­deutet, dass die einflussreichen Faktoren für die Region eher stabil sind – und damit in die politische Planung einbezogen wer­den können.

Geopolitisierung der Energie­wende als Schlüsseltrend

Graphik 1

Graphik 1: Unsicherheit vs. Impact für verschiedene Faktoren

Auffälligster und einflussreichster Trend in der Region ist die Geoökonomisierung und Projektion politischer Macht im Rohstoff­sektor. Kritische Mineralien, die einen wesentlichen Treiber der Energiewende bil­den, sind knapp, und es bestehen Anreize, sie zu monopolisieren. Gleichzeitig gibt es eine Tendenz zu verstärktem Ressourcen­nationalismus. In Indonesien und den Philippinen etwa zeigt sich dies bereits an einem protektionistischen Umgang mit Nickel. Eine ähnliche Machtstellung könn­ten Akteure künftig einnehmen, indem sie Technologien wie die Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff kontrollieren. Als Schlüsseltrend gilt aber vor allem auch die von China betriebene Monopolisierung von Prozessen zur Extraktion und Veredelung von Rohstoffen, besonders im Bereich Seltene Erden.

Außerdem erwartet das Expertenforum eine Fragmentierung der Märkte, eng ver­bunden mit dem Risiko einer zunehmenden Geopolitisierung und Militarisierung in der gesamten Region. Dabei werden offen­bar sowohl externe als auch interne Kon­flikte als Bedrohung wahrgenommen. Der Aufstieg neuer Regionalmächte wird zu­gleich als unvermeidbar und als potentielle Herausforderung für die Energiewende kar­tiert, da er wichtige Beschaffungsmärkte, insbesondere für kritische Rohstoffe, beein­flussen könnte. Solche Machtverschiebungen wiederum könnten zu militärischen Konflikten mit Auswirkungen in der weite­ren Region führen. Ein unverhältnismäßig großer Fokus auf Versorgungssicherheit als Folge gestiegener Sicherheitsbedenken kann zu Lasten von Erschwinglichkeit und Nachhaltigkeit gehen. Gleichzeitig erwartet die Region einen Rückgang an Sicherheit und eine Zunahme von Geopolitisierung und Militarisierung im Bereich der Energie­beziehungen.

Nur bedingt relevant: Sicherheits­architektur und externe Akteure

Obwohl Geopolitisierung und militärische Konflikte Schlüsseltrends sind, stuft das Expertenforum den Aufbau regionaler Sicherheitsarchitektur als wenig relevant (und zugleich als unsicher) ein. Das mag widersprüchlich erscheinen, dürfte jedoch die Ablehnung westlicher Konzepte von Sicherheitsaufbau und Weltordnung wider­spiegeln. Diese werden als unnötig oder gar kontraproduktiv angesehen, wenn es dar­um geht, die regionale Zukunft in Sicherheits- und Energiefragen zu gestalten.

Der Einfluss externer Akteure wie Russlands und der USA wird als unsicher ein­ge­stuft, jedoch als nur bedingt relevant. Russ­land ist zwar geographisch und ökonomisch Teil des Raumes, gilt aber politisch-kulturell als europäisch und daher teilweise als außerregional. Hier zeigt sich der selbst­bezogene Fokus insbesondere der Länder und Subregionen entlang der Achse Nord­ostasien-China-Südostasien-Golf, bei denen sich die stärksten Dynamiken und Interdependenzen herauskristallisieren. Deutlich wird auch eine kritische Haltung gegenüber externen Eingriffen. Konflikte wie Israels Krieg in der Levante und Russlands Krieg gegen die Ukraine werden als vom Westen eingebrachte, europäische Auseinandersetzungen wahrgenommen – eine Sichtweise, wie sie etwa Indiens Außenminister bereits 2022 vor seinen EU-Amtskollegen vertrat.

Paradoxerweise scheinen die Versuche der USA, die Region geo- und insbesondere energiepolitisch zu beeinflussen, Washingtons Möglichkeiten dort eher geschwächt als gestärkt zu haben, so die Einschätzung des Expertenforums. Gleichzeitig hat China seinen Einfluss durch Wirtschaftsdiplomatie erheblich ausgebaut. Pekings Beitrag zu Konfliktlösungen wird begrüßt, auch weil die Volksrepublik als neutral gilt, etwa im Rahmen der saudisch-iranischen Annäherung.

Klimawandel, Sozioökonomie und Atomkraft als Treiber

Auch jenseits von Sicherheitsfaktoren gibt es relevante Treiber. Zu den wesentlichen gehören unter anderem Klimafolgen. Diese haben bereits einen signifikanten Effekt auf ausgewählte Ökonomien, und für die Zu­kunft ist auch von einem Klima-Sicherheits-Nexus auszugehen, vor allem im Zusammenhang mit Flüchtlingsströmen. Als wich­tiger für die Umsetzung der Energietransformation gilt innerhalb der Region jedoch, materielle Bedürfnisse abzudecken und die sozioökonomische Entwicklung zu fördern, wie das Expertenforum ebenfalls bestätigt. Insofern ist die Energiewende dort, wo sie erfolgreich ist, auch primär ein Mittel zur Schaffung von Energiesicherheit, von neuen Arbeitsplätzen und Wirtschafts­zweigen oder von geopolitischer Macht.

Kernenergie spielt in der Region eine besondere Rolle. Viele Länder setzen auf kleine modulare wie auch große Atomkraftwerke, um sowohl Versorgungssicherheit als auch Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Dass dieser Trend erstarken wird, gilt dem Expertenforum auch für die kommende Dekade als feste Determinante der Ener­gietransformation. Offen bleibt allerdings, wer diese Technologie bereitstellen wird – ob die USA, China, Russland oder ein ande­rer Akteur. Zwar scheint der regionale »Atomhype« kein kurzfristiges Phänomen zu sein, doch bleiben kritische Fragen dazu häufig ungestellt. Nuklearenergie erscheint als einfach zu importierende Technologie; als Lieferant sticht mittlerweile vor allem Südkorea hervor. Dabei fehlt ein weitreichender Blick auf die Wertschöpfungskette und deren geopolitische Aspekte, etwa hin­sichtlich der langfristigen Sicherheit des Bezugs nuklearer Brennstoffe. Zugleich aber zeigt sich in der Region auch eine pragmatische Haltung in Energie- und Kli­mafragen; vor allem Deutschlands Atom­ausstieg wird hier als befremdlich wahr­ge­nommen. Bisherige Dialogversuche haben es kaum vermocht, die deutsche Position zu erklären.

Regulierung und Dezentrali­sierung

Regulierung wirkt sich in verschiedener Weise auf Asiens Energietransformation aus – einerseits als zu harmonisierendes Geflecht innerhalb der Region, andererseits als Treiber von Handelskriegen, oder wiede­rum als exogene Entwicklung, wie im Falle europäischer CO2-Grenzausgleichsmecha­nismen. Als besonders relevant werden in der Region, so das Expertenforum, nur Letztere wahrgenommen, also Regularien, welche Energiemärkte und Handelsmöglichkeiten direkt betreffen. Nationale Vor­schriften oder deren Harmonisierung gelten dabei als nur bedingt einflussreich. Das ist insofern bemerkenswert, als europäische Akteure in der Region häufig auf einen Kapazitätsausbau zur regulatorischen Har­monisierung setzen, dieses Thema dort an­scheinend aber nur bedingt Anklang findet.

Auch die Dezentralisierung des Energiesystems – ein anderes von Deutschland und der EU in der Klimaaußenpolitik häu­fig vorgebrachtes Ziel – wird als nur wenig relevanter Treiber eingestuft, wenngleich mit unsicherem Ausmaß. In der Tat könnte durch den Ausbau von Solarenergie oder vor allem auch durch kleinskalierte Atom­reaktoren eine Dezentralisierung des Ener­giesystems eintreten. Dem entgegen steht aber der gleichzeitige Trend zu herausragenden Giga-Projekten, wie sie häufig auch eher dem Selbstverständnis zentralisierter bzw. autokratischer Staaten entsprechen. Welcher von beiden Ansätzen letztlich überwiegt, wird vom Expertenforum als unsicher bewertet – zugleich aber auch als nicht besonders relevant, da der Ausbau erneuerbarer Energie auf beide Weisen funktioniert.

Geo- und energiepolitische Folgen hypothetischer Ereignisse

Zusätzlich zu diesen Entwicklungen und Unsicherheiten ist in der Region mit einer Reihe potentieller Ereignisse zu rechnen, die plötzliche Anpassungen der Energiewende auslösen könnten. Solche Einschnitte würden nicht nur die Region selbst, son­dern auch Europa beeinflussen.

Schließung der Straße von Hormus

So ist etwa vorstellbar, dass die Straße von Hormus vorübergehend geschlossen wird, etwa infolge eines Krieges mit oder in Iran. Ein solches Szenario ist angesichts der künf­tigen Trump-Administration in den USA und des anhaltenden militärischen Vor­gehens durch Israel in der Region zunehmend wahrscheinlicher geworden.

Dieses Ereignis würde eine sofortige Reaktion auf den fossilen Energie­märkten auslösen. Zu erwarten wären ins­besondere ein Anstieg der Öl- und Gaspreise sowie wahrscheinlich Versorgungsengpässe, vor allem bei Flüssigerdgas (LNG) für Länder entlang des Indopazifiks. Je nach Umfang des Konflikts könnten sich die Folgen leicht auf die globalen Lieferketten ausweiten, ähnlich wie während der Covid‑19-Krise. Darüber hinaus würde kurz­fristig mehr geopolitische Macht zurück nach Russland verlagert, da die Nachfrage nach russi­schem Öl und Gas steigen würde. Dies wiederum könnte zu einer Neuordnung des Macht­gefüges zwischen Russland und China führen.

Selbst wenn eine solche Krise schnell beendet wäre, könnten daraus langfristige Verhaltensänderungen resultieren. Nahe­liegend wäre etwa eine verstärkte Präferenz für erneuerbare Energien und für Kernenergie, ähnlich den Entwicklungen in Europa nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Die Energietransformation würde dann vor allem in diese Richtung ge­trieben.

Energiepolitische Annäherung zwischen Japan und Russland

Sollte es zwischen Russland und Japan zu einer Annäherung im Energiesektor kom­men, könnte das die regionale Energie- und Machtverteilung erheblich verändern. Japans Abhängigkeit von LNG-Importen aus dem Golfgebiet und Australien würde sin­ken, und die USA könn­ten an Einfluss auf dem japanischen Energiemarkt verlieren.

Russland könnte sich als alternativer Lieferant von Wasserstoff etablieren und damit neben Japan auch Südkorea und Taiwan versorgen, was seine Verhandlungsposition gegenüber China stärken würde. Zudem würden alternative Absatz­märkte für LNG aus dem Gebiet der russi­schen Insel Sachalin und für Moskaus Pipe­line-Projekt »Power of Siberia 2« erschlossen. Chinas Abhängigkeit von Energie­importen aus Zentralasien und von LNG aus dem Golfgebiet sowie den USA könnte weiter steigen, während zentralasiatische Staaten in der Lage wären, ihre Verhandlungsposition gegenüber Peking zu verbes­sern und Investitionen im eigenen Land zu sichern.

Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Japan, Südkorea und Russland in Energie und grünen Technologien könnte zum Abbau von Spannungen in Nordost­asien beitragen, zugleich aber China isolie­ren. Gleichzeitig dürfte Nordkoreas Einfluss sinken, weil seine Beziehungen zu Russland geschwächt würden.

Dürre am Mekong

Eine schwere Dürre am Mekong-Fluss, einer zentralen Quelle für Wasserkraft in Viet­nam, Laos, Kambodscha, Thailand und Myanmar, würde die regionale Energie­politik tiefgreifend verändern. Durch den Einbruch entsprechender Kapazitäten wären diese Staaten gezwungen, verstärkt auf Solar-, Wind- und möglicherweise Kern­energie zu setzen.

China könnte seine Kontrolle ausbauen, indem es am Oberlauf des Flusses weitere Staudämme errichtet, was Spannungen mit den südlichen Anrainerstaaten verschärfen würde. Letztere könnten in der Folge ihre Energieversorgung diversifizieren, etwa durch den Einsatz kleiner modularer Reak­toren.

Vietnam wäre besonders betroffen, da der Mekong eine Schlüsselrolle in seiner Energieinfrastruktur spielt, ebenso wie Thailand und Laos, die ihre Abhängigkeit von Wasserkraft reduzieren müssten. Singa­pur, das teilweise Strom aus der Mekong-Region bezieht, könnte unter Druck gera­ten, alternative Importquellen zu sichern.

Ein solches Szenario würde den geopolitischen Wettbewerb um Energiequellen in der Region intensivieren, die Abhängigkeit Chinas von Gasimporten aus Zentralasien und Südostasien verstärken und gleichzeitig die Bedeutung von Kernenergie und erneuerbaren Energien in Südostasien er­höhen.

Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen

Mit der zunehmenden Vernetzung und Selbstfokussierung des Großraums Asien erodiert die Rolle westlicher externer Akteure. Aus globaler Perspektive ist dies nicht zwingend eine negative Entwicklung. Es könnte aber bedeuten, dass Deutschland und die EU eigene Interessen nicht mehr umsetzen können, so etwa bei der Gestaltung einer globalen Energiewende oder mit Blick auf geopolitische Entwicklungen. Das Engagement in der Region muss weiter modifiziert werden, und Prämissen sind zu überdenken, wenn Europa in diesen Zu­sammenhängen relevant bleiben möchte.

Klimasicherheit: Anpassung in den Vordergrund stellen

Vor allem für Akteure in Süd(ost)asien ist Klimasicherheit ein wichtiges Thema ge­worden. So drohen Migrationsströme, Kon­flikte und humanitäre Krisen infolge klima­tischer Veränderungen. Folgen ergeben sich durch schleichende Prozesse wie steigende Meeresspiegel ebenso wie durch zunehmende Extrem(wetter)ereignisse. Dabei ist Klimasicherheit in der deutschen und euro­päischen Klimaaußenpolitik bereits tief verankert, jedoch häufig im Sinne von Maßnahmen, welche die Erderwärmung aufhalten sollen, etwa durch erneuerbare Energien. Dies aber läuft dem Verständnis im Großraum Asien zuwider, wo der Klima­wandel zunehmend als gegebene Realität mit Anpassungsbedarf wahrgenommen wird und weniger als noch veränderbare Größe.

Klimaaußenpolitik sollte hier also deutlich stärker auf Adaption an den Klimawandel setzen, etwa mit gezielter Kapazitätsbildung, die auf Augenhöhe erfolgt und sich an reellen Bedürfnissen orientiert, vor allem aber auch durch Finanzierung, Tech­nologietransfer und den Bau entsprechender Infrastruktur. Absehbar entwickelt sich hier ein neuer Schauplatz internationaler Einflussnahme. Der Bedarf an Anpassungs­maßnahmen ist enorm, insbesondere in Form von Deichen und baulichen Vorkehrungen in Küstenregionen und auf Pazifik­inseln. China dürfte für die betroffenen Staaten bereitstehen und könnte so deut­liche Abhängigkeiten schaffen – mit enor­men geopolitischen Folgen für Europa in der Region. Es gilt daher, sich als verläss­lichen und konstruktiven Partner darzustellen, der eine Alternative zur Volksrepublik bietet.

Rohstoffquellen diversifizieren, die richtigen Partner ansprechen

Regionale Akteure akzeptieren Chinas Dominanz als gegeben und suchen diese eher zu managen als ihr zu entkommen. Gleichzeitig sind der Zugang zu Rohstoffen und die Geopolitik des Handels zu vordring­lichen Themen geworden. Die Anzeichen für eine Monopolisierung kritischer Mate­rialien und Komponenten, etwa durch China, mehren sich. Für die EU entsteht so absehbar ein massives Risiko.

Ein möglicher Ansatz könnte sein, strate­gische Investitionen in die Diversifizierung kritischer Rohstoffe innerhalb der Region zu fördern oder auch mit einer Vielzahl an Rohstoffpartnerschaften zu agieren. Erste­res kann durch direkte Investitionen oder strategische Kaufprogramme geschehen, die jeweils neue Akteure und Lieferanten unterstützen. Ergänzend dazu könnten Technologien mit unterschiedlichem Mate­rialbedarf gefördert werden, um Abhängigkeiten und Engpässe zu reduzieren.

Nicht nur in diesem Zusammenhang, sondern auch für Klimaaußen- und Geo­politik als Ganzes ist es jedoch wichtig, dass Deutschland und Europa die richtigen Ge­sprächspartner identifizieren. Das enge Geflecht bilateraler Beziehungen kann je nach Kontext bessere Ansatzpunkte bieten als supra- oder internationale Einrichtungen wie etwa ASEAN. Auf der anderen Seite sollten sich europäische Entscheidungs­träger der fluiden Natur bilateraler Bezie­hungen bewusst sein. So zeigen regionale Akteure auch Offenheit für unkonventionelle Allianzen, wobei selbst die oben als Szenario geschilderte Annäherung zwi­schen Japan und Russland mittelfristig nicht auszuschließen ist. Der Status quo in der Region sollte daher nicht als unumstößlich betrachtet werden, und das Engagement dort ist entsprechend umsichtig zu planen.

Konstruktiven Umgang etablieren, materielle Chancen betonen

Trotz alledem wiegen für die meisten Staa­ten des Großraums unmittelbare Herausforderungen wie sozioökonomische Ent­wicklung und Stabilität schwerer als das Anliegen, Klimapolitik um ihrer selbst wil­len zu betreiben. Europäische Klimaaußenpolitik sollte in der Tat die eigenen Inter­essen vertreten, aber auch auf Interessen­konvergenzen achten, statt eigene Vorstel­lungen ideologisch durchzusetzen.

Dies gilt für die Wahl von Partnern und für außenpolitische Leitlinien. Soll etwa der Einfluss von Russland und China begrenzt werden, müssen andere Staaten in der Region offen und auf Augenhöhe ange­nommen werden, unabhängig von System­differenzen. In den letzten Jahren haben Deutschland und Europa zunehmend an Ansehen verloren, sei es als Handelspartner infolge unerfüllter »Versprechen« zum Thema Wasserstoff, sei es durch Forderungen an die Region, bei Konflikten wie Russ­lands Krieg in der Ukraine oder Israels Krieg in der Levante Stellung zu beziehen und sich von bestimmten Akteuren zu entkoppeln. Auch wird die Kommunikation der Europäer in asiatischen Ländern oftmals als paternalistisch wahrgenommen. Interessen müssen hier sinnvoll abgewogen werden, um nicht größere Ziele aus dem Blick zu verlieren.

Denn es geht ebenso um eine technologische Ebene, auf der unterschiedliche Priori­täten zwischen Asien und Europa anerkannt und gezielt angegangen werden soll­ten. Statt bloße transformative Narrative voranzutreiben, ist es klimaaußenpolitisch vor allem wichtig, die Chancen der Energie­wende in den Vordergrund zu stellen, also die Aussichten auf Versorgungssicherheit, Kostenvorteile und die Schaffung lokaler Arbeitsplätze. Gefragt ist hier Sensibilisierung, aber auch ein verbesserter Zugang zu Finanzmitteln. Sonst scheitern Ansätze, die erneuerbare Energien zum Stabilitätsfaktor erklären, schnell an hohen Kapitalkosten in politisch fragilen Kontexten. Stabilität und Wirtschaftswachstum sind eben nicht nur Ergebnisse der Energiewende, sondern min­destens ebenso sehr Voraussetzungen für deren Erfolg.

Technologien wie kleine modulare Atom­kraftwerke gelten im Großraum Asien als Schlüssellösung, um sowohl Versorgungsprobleme zu bewältigen als auch den Über­gang zu sauberer Energie zu beschleunigen. Weitgehend ungeklärt bleiben dabei jedoch zentrale geopolitische Fragen, etwa was Abhängigkeiten bei Brennstoffbeschaffung und Abfallentsorgung betrifft. Diese Wis­senslücken bergen langfristige Risiken, die bislang kaum adressiert werden. Asien bleibt ein fluider Raum, der offen ist für Kompromisse und deutsches wie europäisches Engagement – solange die Interak­tion auf Augenhöhe stattfindet, konstruk­tiv erfolgt und nicht für selbstverständlich gehalten wird.

Dr. Dawud Ansari und Dr. Jacopo Maria Pepe sind Wissenschaftler, Rosa Melissa Gehrung ist Forschungsassistentin in

der Forschungsgruppe Globale Fragen. Dieses SWP-Aktuell entstand im Rahmen des Projekts »Geopolitik der Energie­transformation im Großraum Asien (GET GA)«, das vom Auswärtigen Amt finanziert wird.

Dank gilt den Teilnehmern und Teilnehmerinnen des Expertenforums, das im Oktober 2024 in Singapur veranstaltet wurde, unter anderem Abdullah Al Abri, Mely Caballero-Anthony, Youngho Chang, Alvin Chew, Moritz Fink, Sabar Hashim, Ying Huang, Mirza Huda, Mannat Jaspal, Andreas Klein, Frederick Kliem, Ken Koyama, Eunjung Lim, Yao Lixia, Hageng Nugroho, Aisha Al Sarihi, Margareth Sembiring und Julius Trajano.

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