Die Transformation des Energiesystems ist ein globales Phänomen. Um den Klimawandel aufzuhalten, geht der Umbau zwar noch viel zu langsam voran. Aber für die »menschliche Sicherheit« (human security) hat er unmittelbare positive Effekte. Die Elektrifizierung des Energiesystems reduziert die Abhängigkeiten von fossilen Rohstoff-Lieferketten, stärkt den Zugang zu Energie als Wirtschaftsfaktor und begünstigt damit indirekt auch die nationale und internationale Sicherheit. Allerdings drohen eine geographische Konzentration von Technologieführerschaft und eine Schieflage bei globalen Finanzierungsstrukturen. Diese Faktoren ziehen geopolitische Risiken nach sich, deren Einhegung globaler Kooperation bedarf.
Die Energiewende ist real und zeigt sich besonders im Ausbau der Erneuerbaren Energien, den sinkende Kosten beschleunigen. 2017 wurden weltweit etwa 300 Milliarden Euro in Erneuerbare investiert (gegenüber 700 Milliarden Euro bei Öl und Gas). 174 Staaten haben sich verpflichtet, freiwillige Beiträge im Rahmen des Pariser Klimaschutz-Abkommens (2015) zu leisten. Zwei Drittel der globalen Treibhausgas-Emissionen gehen auf Energieverbrauch zurück; daher ist es entscheidend für den Klimaschutz, das Energiesystem zu dekarbonisieren. Geopolitisch verstärkt die Energiewende eine ohnehin stattfindende Verschiebung – weg von klassischer Sicherheitspolitik und geographischen Einflusssphären, hin zur Beherrschung von Fließprozessen aus Gütern, Wissen, Kapital und Informationen.
Energie-Systemwechsel
Die Energiewende bedeutet im Kern einen Systemwechsel, dessen Effekte nicht zu unterschätzen sind. Drei Faktoren sind hier maßgeblich:
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Die Energiewende rekalibriert Wertschöpfungsketten. In einem kohlenwasserstoffarmen – also dekarbonisierten – Energiesystem wird der ökonomische Wert nicht mehr primär mit fossilen Ressourcen generiert. Wirtschaftlich relevant sind vielmehr in erster Linie technologieabhängige Prozesse der Erzeugung von End- und Nutzenergie. Die Möglichkeiten, Gewinne zu erzielen, werden dann vor allem von der Verfügbarkeit und dem Einsatz von Technologien bestimmt.
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Die Energietransformation führt zu neuen Energieräumen, die durch Infrastruktur, Produktionsketten und Industrie-Cluster geprägt sind. Dieser räumliche Effekt wird vom geotechnologischen Wandel erzeugt, was sich etwa in lokalen »micro grids« zeigt oder in Großregionen überspannenden »super grids«, wie sie von China vorangetrieben werden.
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Während heute noch die unterschiedlichen Sektoren (Strom, Gebäude, Verkehr, Industrie) mit ihren jeweils dominanten fossilen Energieträgern im Mittelpunkt stehen, liegt die Zukunft in der Sektorenkopplung. Die Vernetzung von Strom-, Wärme- und Mobilitätssektor verstärkt zusätzlich die Relokalisierung und Rekonfiguration von Energieräumen.
Global betrachtet wird das Energiesystem zwar tendenziell nachhaltiger, aber auch deutlich heterogener. Das konventionelle Energiesystem, wie es heute besteht, hat sich relativ gleichförmig entwickelt – geprägt vom weltumspannenden Handel mit Erdöl, Kohle und verflüssigtem Erdgas sowie durch den im Verkehr dominanten Verbrennungsmotor. Mit der Transformation der Energiesysteme kommen dagegen die spezifischen Eigenheiten der einzelnen Länder und Regionen stärker zum Tragen: die jeweiligen geographischen Ausgangslagen, die – stark differierenden – politischen Ambitionen und Steuerungsmöglichkeiten sowie die nationalen Präferenzen im Energiemix (Atomenergie, Nutzung von Gas) ebenso wie die unterschiedlichen Ansätze im Mobilitätssektor.
Schlüsseltechnologien rücken ins Zentrum der Energietransformation. »Technologie-Renten« versprechen wirtschaftliches Wachstum, und Wohlfahrtsgewinne können zum entscheidenden Treiber für den Erfolg der globalen Energiewende werden – aber nur, wenn Staaten kooperieren. Eingebettet in spezifische geographische Räume, können diese Prozesse ebenso zu Konkurrenz und nationalen Alleingängen führen. Das macht die Ambivalenz aus, welche die geoökonomischen Folgen des Energie-Systemwechsels auszeichnet.
Größter Nutzen: Globale Sicherheitsdividende
Unbestreitbar liegt der zentrale Beitrag der Energiewende darin, die globale Erwärmung abzubremsen. Doch auch für die menschliche Sicherheit hat sie positive Nebeneffekte weitreichender Art, etwa die Verbesserung der Luft- und Wasserqualität und damit der öffentlichen Gesundheit. Der schnelle, unmittelbare Zugang zu sauberer und sicherer Energie ist entscheidend für grünes Wachstum. Die Citibank schätzt, dass aktive Klima-Investitionen und grünes Wachstum bis 2040 einen volkswirtschaftlichen Nettogewinn von 1,8 Billionen US‑Dollar erzeugen werden. In Entwicklungsländern ist der Zugang zu Strom eine Grundvoraussetzung bzw. ein Multiplikator für soziale und wirtschaftliche Transaktionen. Dabei haben noch immer 1,1 Milliarden Menschen keinen Zugang zu Strom. Die Energiewende reduziert sukzessive die Abhängigkeiten von Importen und die Risiken teurer Preisvolatilitäten. Sie trägt so dazu bei, Zugangs- und Verteilungskrisen um fossile Energieträger zu vermeiden. Auch die Marktmacht der heute existierenden Oligopole, etwa der neuen Öl-Allianz »OPEC+«, kann auf diese Weise langfristig erodieren.
Die Energietransformation verspricht damit eine »Sicherheitsdividende«. Wenn mehr Energie vor Ort produziert wird, wirkt das auf die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Produzenten-, Transit- und Konsumentenländern zurück. Dies geht mit einem Zugewinn an Souveränität bei der Energieversorgung einher.
Auch die Elektrifizierung des Systems nivelliert international die Rolle von Staaten – sie werden alle zu »Prosumern«, also Produzenten und Konsumenten gleichermaßen. Zudem können sie sich in eine »Netzgemeinschaft« begeben, was bewusste politische Entscheidungen voraussetzt, sowohl hinsichtlich des heimischen Ausbaus oder des Imports von Erneuerbaren als auch mit Blick auf gemeinsame Steuerungs- und Kooperationsmechanismen für den Stromaustausch im Netz. Vulnerabilitäten und Sensitivitäten verteilen sich in einem Stromnetz ähnlich auf alle Beteiligten. Die Notwendigkeit, kritische Infrastrukturen zu sichern, stellt die Nato vor neue Aufgaben. Dies wird auch die Diskussion um die Lastenverteilung im Bündnis beeinflussen, da sich Schutzobjekte sowohl geographisch verschieben als auch in der Sache verändern, etwa von Seepassagen hin zu Stromnetzen.
Neue Unsicherheiten
Den Transformationsdividenden stehen jedoch neue Risiken und Herausforderungen gegenüber. Schon die Elektrifizierung des Energiesystems geht mit erheblichen Risiken einher, die im Bereich von Netzstabilität und Cyber-Security liegen. Ein Zusammenbruch der Stromversorgung hätte Kaskadeneffekte für andere kritische Infrastrukturen. Die geopolitischen Implikationen betreffen weniger den militärischen und sicherheitspolitischen Bereich per se. Sie liegen in den Fließprozessen von »Energie-Ökosystemen« und berühren die Bereitstellung und Kontrolle von Netzen und Energiediensten, Daten, Technologien und Lieferketten.
Hinzu kommt der Umstand, dass sich die Energietransformation weltweit sehr heterogen entwickelt. Die Re-Skalierung globaler Wertschöpfungsketten, die Rückverlagerung von Produktions-Clustern auf die lokale Ebene, aber auch die Veränderung der Güterströme wirken sich unmittelbar auf die internationale Arbeitsteilung und das Welthandelssystem aus. Dessen Volumen beruht zu etwa einem Fünftel auf Produkten der extrahierenden Industrie wie Öl, Gas und Kohle. In dem Maße, wie die Energieversorgung stärker zu einem technologie- und innovationsgetriebenen Prozess wird, verschiebt sich die Teilhabe von Staaten am Welthandels- und Energiesystem. Volkswirtschaftliche Wohlfahrtsgewinne werden so rekalibriert, und dies hat tiefgreifende Folgen für das Weltwirtschaftssystem.
Damit sich das 2-Grad-Ziel erreichen lässt, werden etwa 80 Prozent der weltweit verfügbaren Kohle, ein Drittel des Öls und die Hälfte der Gasreserven im Boden bleiben müssen. Dass dies weitreichende Konsequenzen für die Finanzmärkte haben wird, zeigt die Debatte über »stranded assets«, also die in fossilen Energieträgern gebundenen Vermögenswerte, die aufgrund der Dekarbonisierung vorzeitig abgeschrieben werden müssen. An internationalen Börsen wie etwa der London Stock Exchange liegt der Anteil fossiler Assets bei bis zu 30 Prozent. Dies kann, je nach notwendiger Abschreibungsgeschwindigkeit, ebenfalls ein systemisches Risiko darstellen.
Geopolitisch wird der Umbau des Energiesystems die großen Öl- und Gasproduzenten – wie die Golfstaaten und Russland – weniger schnell und existentiell bedrohen, als gemeinhin angenommen wird. Selbst bei einer Dekarbonisierung in den Industrieländern dürfte die Nachfrage nach Öl und Erdgas für einen Übergangszeitraum hoch bleiben; dafür sorgt der Bedarf in China, Indien und anderen sich entwickelnden Volkswirtschaften. Ebenso wenig ist langfristig wohl der Zugang zu Lithium, Kobalt und »Seltenen Erden« problematisch, die zur Produktion von Batterien, Energiesparlampen, Windrädern oder Elektromotoren benötigt werden. Hier wird der Rohstoffzyklus wirksam. Er sorgt dafür, dass Preisanreize das Angebot erhöhen und verbreitern, aber auch Recycling und zirkuläres Wirtschaften sich lohnen.
Dagegen rückt die Frage in den Vordergrund, wie sich der Wohlstand mit dem grünen Wirtschaftsmodell sichern lässt. Zentrale Bedeutung hat hier die Technologieführerschaft bei der Dekarbonisierung; die Technologierente wird der bestimmende Faktor für die Wohlfahrt von Volkswirtschaften. Zum Teil ist die globale Energiewende schon Objekt klassischer Industriepolitik geworden. Dabei drohen nichtkooperativer Wettbewerb und merkantilistische Wirtschaftspolitik – in Zeiten von »America First« und der weltweit zu beobachtenden Refokussierung auf vermeintliche »nationale Interessen«. Schon heute gibt es bei erneuerbaren Energien harte industriepolitische Auseinandersetzungen, wie die EU-Zölle auf chinesische Solarpanels zeigen. Aus Interesse, eigene »Wettbewerbsvorsprünge« zu sichern, könnten Staaten versucht sein, ihre Anteile an globalen Wertschöpfungsketten der Hochtechnologie in stärkerem Maße staatlicher Steuerung zu unterwerfen und zu re-nationalisieren.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Patente für Schlüsseltechnologien im Bereich Smarte Netze, Offshore-Wind oder Verbundmaterialien fast exklusiv in der OECD-Welt und China liegen. Auch Investitionen in Erneuerbare Energien gehen derzeit zu etwa 90 Prozent in diesen »neuen Globalen Norden«. Dagegen laufen Entwicklungsländer Gefahr, von entsprechenden Kapitalströmen und Technologiesprüngen kaum zu profitieren – obwohl das größte Energie-Nachfragewachstum im Globalen Süden zu erwarten ist. Die Digitalisierung kann solche Trends noch verschärfen. Diese sich abzeichnende Unwucht in der globalen Energiewende gilt es anzugehen.
Governance matters
Die globale Energiewende kommt einem Systemwechsel gleich. Daraus erwächst eine Transformationsdividende, am deutlichsten bei globalem Klimaschutz und menschlicher Sicherheit. Eine nachhaltigere Energieversorgung bedeutet aber auch direkte Zugewinne für Gesellschaften und Volkswirtschaften durch die Wertschöpfung im eigenen Land; indirekte Gewinne gibt es durch Abbau von Abhängigkeitsbeziehungen.
Für Deutschland und die EU ist der Bedeutungszuwachs von Geoökonomie eine Chance, weil Wirtschaftsprozesse an außenpolitischem Gewicht gewinnen. Nationale Alleingänge, wie zu Beginn der deutschen Energiewende, werden so kostenintensiver und weniger zielführend. Deutschland sollte seine Vorreiterrolle als Energiewende-Land nutzen und die Vorteile internationaler Kooperation offensiver kommunizieren. Der nichtständige Sitz der Bundesrepublik im UN-Sicherheitsrat 2019/2020 bietet einen idealen Handlungsrahmen, denn der geplante Schwerpunkt »Klimawandel und Sicherheit« ist substantiell mit einer globalen Energiewende verwoben.
Ein heterogenes, kleinteiligeres Energiesystem würde sich zwar auch in eine zunehmend multipolare Weltordnung mit einem stärker protektionistischen Handelssystem einfügen. Doch birgt merkantilistische Energiepolitik die Gefahr einer Rivalität zwischen »Energieblöcken«. Einzelne Staaten könnten danach streben, Wettbewerbsvorsprünge und Technologierenten zu »privatisieren«. Multilaterale Kooperation ist deshalb unerlässlich, um das Energiesystem schnell und konsequent umzubauen. Transformationsdividenden sind nur dann erreichbar, wenn ein liberales Handelsregime komplexe, reibungslose Lieferketten ermöglicht und den Zugang zu Technologie und Know-how garantiert. Das Industrieland Deutschland ist daher gefordert, internationale Kooperation in der Energiewende zu stärken, damit es seine wirtschaftlichen Grundlagen langfristig sichern kann. Der kriselnden WTO kommt eine zentrale Stellung zu, weil sie regulatorisch die grünen Technologien von morgen abdeckt (was bei den fossilen Rohstoffen von heute nicht der Fall ist).
Deutschland sollte im Rahmen der EU darauf hinwirken, Technologietransfers zu erleichtern und politische Risikoprämien abzufedern. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020 lässt sich als politisches Momentum nutzen, um Governance-Mechanismen weiterzuentwickeln. Auf globaler Ebene ist es wichtig, Dekarbonisierungspfade transparent zu gestalten und einen intensiven Austausch über die Modernisierung des Energiesystems, die Steigerung der Energieeffizienz sowie alternative Energienutzungspfade zu führen – nicht nur mit den großen Verbraucherländern, sondern auch mit den traditionellen Energieproduzenten.
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