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Die drohende Delegitimierung des Status Taiwans

Die Dynamik des Konflikts zwischen China und Taiwan unter Präsident William Lai

SWP-Studie 2025/S 01, 14.01.2025, 28 Seiten

doi:10.18449/2025S01

Forschungsgebiete

Dr. Angela Stanzel ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Asien

  • Seit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Taiwan im Januar 2024 beobachtet die Regierung in Taipeh eine qualitative Veränderung der chinesischen Sicherheitspolitik: Es geht der chinesischen Führung seither nicht mehr nur um die Demonstration militärischer Macht, sondern auch darum, Taiwans Eigenstaatlichkeit sichtbar zu untergraben und damit ihren Anspruch auf Taiwan zunehmend als rechtmäßig erscheinen zu lassen.

  • Taiwan sieht sich daher nicht nur einer Bedrohung durch China in Form eines militärischen Angriffs gegenüber: Die chinesische Kriegsführung findet vielmehr auch im virtuellen, psychologischen und juristischen Raum statt.

  • Die neue Regierung unter William Lai versucht aktuell in dem Konflikt mit der Volksrepublik Strategien zu entwickeln, die darauf ausgerichtet sind, die Wehrhaftigkeit von Staat und Gesellschaft Taiwans zu gewährleisten.

  • Jedoch ist nicht allein die Resilienz Taiwans für das Fortbestehen des demokratischen und de facto unabhängigen Inselstaats entscheidend; Taiwan ist auch abhängig davon, wie Drittstaaten sich in dem Konflikt positionieren und engagieren.

  • Die deutsche und die europäische Politik sollten China klar signalisieren, dass auch ein nicht-militärisches, aber nicht minder offensives Vorgehen gegenüber Taiwan keine Akzeptanz in Europa findet.

  • Deutschland und Europa sollten Teil der internationalen Meinungs­bildung in den VN sein, wenn es um die Auslegung des Status Taiwans geht, und die »Ein-China«-Rhetorik Pekings zurückweisen.

Problemstellung und Empfehlungen

Seit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Taiwan am 13. Januar 2024 haben sich die Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und dem Insel­staat weiter verschlechtert. Der neue taiwanische Präsident Lai Ching-te hat zwar signalisiert, die defen­sive Innen- und Außenpolitik seiner Vorgängerin Tsai Ing-wen fortführen zu wollen, doch das China auf dem Festland zeigt sich nicht besänftigt. Peking bleibt dabei: Lai fordere die Unabhängigkeit Taiwans.

Die möglichen Eskalationsszenarien sind bekannt. Diese reichen von einer Seeblockade bis hin zu einer amphibischen Landung der chinesischen Volks­befreiungsarmee (VBA) an einer Küste Taiwans. Der Inselstaat sieht sich aber nicht nur der Bedrohung durch einen Angriff Chinas in militärischer Form gegenüber: Die chinesische Kriegsführung findet vielmehr auch im virtuellen, psychologischen und juristischen Raum statt. China bleibt mit seinen entsprechenden Operationen zwar weiterhin in der sogenannten Grauzone, doch gelingt es ihm bereits, durch Ausweiten und Intensivierung seiner Aktivi­täten den eigenen Spielraum gegenüber Taiwan zu vergrößern.

Die Konfliktdynamik zwischen China und Taiwan ist aus taiwanischer Perspektive seit Anfang 2024 noch anfälliger für eine Eskalation geworden: Taipeh registriert eine qualitative Veränderung der Pekinger Sicherheitspolitik. Dem zufolge geht es China in­zwischen nicht mehr nur darum, seine militärische Macht zu demonstrieren, sondern auch darum, Taiwans Eigenstaatlichkeit für dritte Akteure sichtbar abzuwerten und stärker in Frage zu stellen und damit seinen, Chinas, Anspruch auf Taiwan zunehmend als rechtmäßig erscheinen zu lassen. Der Fokus der Stra­tegen in Peking liegt hierbei insbesondere auf der »Kriegsführung mit juristischen Mitteln« (»legal war­fare«). Chinas Aktivitäten sollen den chinesischen Anspruch auf Taiwan legalisieren bzw. den Status Taiwans delegitimieren.

Die Regierung in Taipeh hatte mit ihren bisherigen Bemühun­gen, die Wehrhaftigkeit des taiwanischen Staats zu erhöhen und dessen Institutionen und die Gesellschaft resilienter zu machen gegen die Be­drohungen vom Festland, durchaus Erfolg. Der Strategiewechsel Pekings stellt die neue Adminis­tration in Taipeh aber vor eine neue Herausforderung. Schließlich geht es der Volksrepublik bei ihrem Bestreben, den Status Taiwans zu delegitimieren, eigentlich vor allem darum, die Taiwan-Politik Dritter zu beeinflussen.

Anliegen dieser Studie ist es, die Konfliktdynamik in der juristischen Grauzone zu analysieren und die damit einhergehenden Erwartungen der Taiwaner an Dritte besser zu verstehen. Aus Sicht Taiwans tangiert es Peking nämlich durchaus, wenn andere Staaten, die nicht über das Waffenarsenal der USA verfügen, die chinesische Taiwan-Politik kritisieren oder sich Taiwan zu- und von China abwenden. Die chinesische Führung bereitet sich auf mögliche Kriegsszenarien vor und testet derzeit die Resilienz Taiwans – wie auch die der internationalen Partner des Inselstaats.

Deutschland und Europa sollten daher nicht unterschätzen, wie wichtig die Positionierung von Drittstaaten in diesem Konflikt für Taipeh ist. Eine nicht-militärische Einverleibung Taiwans als Folge einer erfolgreichen, in der juristischen Grauzone operierenden Zermürbungsstrategie Chinas wäre schließlich auch nicht im europäischen Interesse.

Einleitung

Der Präsident Taiwans Lai Ching-te hat am 20. Mai 2024 nach seinem Wahlsieg in den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 13. Januar 20241 sein Amt formell angetreten. Lai (auch: William Lai) wird die kommenden vier Jahre mit seiner Partei, der Demo­kratischen Fortschrittspartei (DPP), den Inselstaat regieren, der sich amtlich als Republik China bezeich­net. Der Wahlsieg ist in erster Linie eine Bestätigung für die erfolgreiche Außenpolitik von Lais Vorgängerin Tsai Ing-wen, die während ihrer zwei Amtsperioden (in insgesamt acht Jahren) Taiwans internationale Stellung verbessern und festigen konnte. Intensiviert und vertieft wurden vor allem die Beziehungen zu Amerika, aber auch zu Japan, Indien, Australien und zu den Staaten Europas sowie Südostasiens.2 Bei den Parlamentswahlen musste die DPP indes eine Nieder­lage hinnehmen, denn sie verlor ihre Mehrheit im sogenannten Legislativ-Yuan (vergleichbar mit west­lichen Abgeordnetenkammern), was wohl auf die Unzufriedenheit der Wähler mit der Innenpolitik der Regierungspartei zurückzuführen ist. 51 Sitze der DPP stehen 52 der Kuomintang (KMT) und acht der Taiwanischen Volkspartei (TPP) gegenüber.

Lai versucht nun, international auf Tsai Ing-wens Erfolgen aufzubauen und die Beziehungen mit ver­lässlichen Partnern weiter zu konsolidieren. Die Benennung der hochkarätigen Diplomatin Hsiao Bi‑khim, die eine amerikanische Mutter hat, zur Vize­präsidentin lässt erkennen, das Lai in erster Linie auf ein enges Verhältnis zu den USA baut und diesen Bereich einem Profi überlassen will. Lai selbst dürfte sich dagegen vor allem auf die vielschichtigen innen­politischen Probleme konzentrieren.

In der Drei-Parteien-Konstellation im Legislativ-Yuan wird es für die DPP-Regierung nicht leicht sein, sich in den kommenden Jahren gegen den Einfluss von KMT und TPP (die sich bislang KMT-nah positioniert) zu stemmen und innenpolitisch handlungs­fähig zu sein. Schließlich muss Lai das Land auch durch eine Phase wachsender Spannungen in der Taiwan-Straße navigieren, die auf den zunehmenden militärischen und politischen Druck aus Peking zu­rückzuführen sind und eine sensible und balancierte Außen- und Sicherheitspolitik seitens der Regierung in Taipeh erfordern.

Einen Vorgeschmack davon, mit welchen Bedrohungen für Frieden und Stabilität Lai konfrontiert sein wird, gab das Säbelrasseln der chinesischen Armee in den Tagen vor seinem Amtsantritt. Am 14. und 15. Mai 2024 operierten innerhalb von 24 Stun­den laut dem taiwanischen Verteidigungs­ministerium 45 Kampfflugzeuge und sechs Militärschiffe der chinesischen Volksbefreiungsarmee (VBA) rund um Taiwan. 26 dieser Flugzeuge überquerten dabei die Mittellinie in der Taiwan-Straße und dran­gen in die nördliche und südwestliche Luft­raum­überwachungs­zone (Air Defense Identification Zone, ADIZ) Taiwans ein.3 Ein noch größeres Militär­manöver mit 62 VBA-Fliegern und 27 Militärschiffen, dem Peking den Namen Joint Sword-2024A gab, folgte dann kurz nach Lais Antrittsrede: Dabei überquerten 47 Flugzeuge die Mittellinie der Taiwan-Straße und drangen in die ADIZ ein.4 Den zweiten Teil der Militärübung, Joint Sword-2024B, veranstaltete China am 13. Oktober 2024, drei Tage nach der Rede Lais anlässlich des taiwanischen Nationalfeiertags.

Peking hat die Wahlen in Taiwan im Januar 2024 zum Anlass genommen, die Kriegsführung mit juristischen Mitteln gegen Taipeh auszuweiten.

Die militärischen Manöver sind ein nützliches In­strument für Peking, um die Taiwaner einzuschüchtern und bei Bedarf zu »bestrafen«, und wohl auch, um die Verteidigungsbereitschaft Taiwans und die eigenen militärischen Kapazitäten zu testen. Sie sind Teil einer Salami-Taktik Chinas, bei der Scheibe für Scheibe der politische Spielraum wie auch der physi­sche Handlungsraum der Volksrepublik vor und um Taiwan vergrößert wird. Das strategische Ziel des stetigen Vordringens Chinas, so befürchten Beobachter in Taiwan, sei es, die Taiwan-Straße in ein inter­national anerkanntes, dem chinesischen Territorium zuzuschlagendes »Binnenmeer« umzuwandeln.5 Da China aber immer unterhalb der Schwelle einer militärischen Eskalation bleibt, wird in Taiwan von Grauzonen-Aktivitäten gesprochen.6 Mit diesen Aktivitäten kann Peking einerseits die taiwanische Bevölkerung ängstigen und andererseits zugleich testen, wie der Inselstaat und dessen Partner auf die Provokationen reagieren.

Taiwan wird sich zukünftig wohl auf mehr militärischen und politischen Druck aus China einstellen müssen, auf mehr Zwangsmaßnahmen und wohl auch auf zunehmende Ungeduld Pekings. Dabei geht es China nicht mehr nur um eine Demonstration militärischer Macht, sondern darum, Taiwans Eigen­staatlichkeit für Dritte als faktisch unbedeutend und unhaltbar darzustellen und seinen Anspruch auf die Insel als rechtmäßig erscheinen zu lassen. Gemäß der Analyse taiwanischer China-Experten wendet Peking hier die Strategie der »drei Arten der Kriegsführung« (san zhan) an, die auf einem 2003 veröffentlichten Konzept der VBA beruht.7 Demnach setzt China für seine offensiven Zwecke je nach Lage psychologische, juristische und meinungsbildende (Medien) Instrumente ein. Aus Sicht taiwanischer Beobachter hat Peking die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 13. Januar 2024 zum Anlass genommen, ins­besondere die Kriegsführung mit juristischen Mitteln gegen Taiwan auszuweiten.

Innenpolitische und gesellschaftliche Dynamiken

Die DPP, die KMT und die TPP sind sich im Grunde sehr nahe in der Beurteilung dessen, wie Taiwan sich nach innen und außen weiterentwickeln sollte. Keine Partei fordert große Umbrüche oder gar eine formelle (de jure) Unabhängigkeit des Inselstaats, keine strebt aber auch einen Anschluss an das Festland an. Dies ist ein großer Unterschied zur politischen Situation noch vor zwei Jahrzehnten und damit Ausweis der Herausbildung einer liberalen und wirtschaftlich florierenden Gesellschaft. Die Parteien eint weit­gehend der Blick auf die innenpolitischen Probleme, als da sind stagnierende Löhne, hohe Mieten, eine alternde Bevölkerung und eine unsichere Energie­versorgung. Allerdings verfolgen die Parteien unter­schiedliche Ansätze zur Bewältigung dieser Herausforderungen. Beispielsweise plant die DPP, die Nutzung der Atomenergie bis 2025 schrittweise ein­zustellen, während KMT und TPP auf einer Verlän­gerung der Laufzeit von Taiwans Atomreaktoren bestehen.

Die drei Parteien unterscheiden sich auch hinsichtlich ihrer Traditionen. Die Geschichte der KMT geht auf das Jahr 1912 zurück. Sie war die stärkste Kraft der in diesem Jahr gegründeten ersten chinesischen Republik auf dem Festland und stellte mit Sun Yatsen deren ersten Präsidenten. Am Ende des Bürgerkriegs 1949 mussten die Kuomintang-Mitglieder allerdings vor der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) nach Taiwan fliehen. Diese weit zurückreichende Vergangenheit der Partei ist auch der Grund, warum die KMT noch heute daran festhält, dass Taiwan und Festlands­china grundsätzlich eins sind (allerdings nicht unter dem von China postulierten »Ein Land, zwei Systeme«-Modell). Aus Prinzip pflegt Peking daher auch nur Beziehungen zur KMT. Die Stärke der KMT ist ihre jahrzehntelange politische Erfahrung im Um­gang mit China, ihre Schwäche ist ihr Imageproblem: Sie gilt vielen als Handlanger Pekings.

Die KMT benötigt im Parlament die Stimmen der TPP, um sich in den künftig voraussichtlich hitzigen Debatten über Haushaltspläne und Reformen durch­setzen zu können. Die 2019 von dem damaligen parteilosen Bürgermeister von Taipeh, Ko Wen-je, gegründete TPP verortet sich politisch in der Mitte, zwischen der DPP und KMT und konnte mit dieser Linie durchaus Wahlerfolge verbuchen. Gegenwärtig (Dezember 2024) ist der Parteivorsitzende Ko in einen Korruptionsskandal verwickelt (und wurde wegen Annahme von Bestechungsgeldern am 26.12.2024 angeklagt), und so bleibt auch ungewiss, ob die TPP den Zuspruch, den sie bei den letzten Wahlen er­fahren hat, konservieren kann. Die Machtverhältnisse im Legislativ-Yuan könnten sich in Zukunft also auch wieder zugunsten der DPP verändern.

Quasi-Staat / De-facto-Regime Taiwan

Taiwan ist ein de facto existenter, aber kein anerkannter Staat. Denn tatsächlich erfüllt Taiwan die bekannten Kriterien zur Feststellung von Staatlichkeit, nämlich: ein eindeutig definiertes Territorium, eine ständige Bevöl­kerung, eine effektive Regierung und die Fähigkeit zur Unterhaltung internationaler Beziehungen. Aber Taiwan hat sich selbst bis heute ausdrücklich nicht formell als von China unabhängiges Territorium erklärt. Im poli­tischen Bewusstsein der Bevölkerung bildet sich indes immer mehr ein taiwanisches Sonderbewusstsein heraus. Damit steht den Taiwanern ein vom Völkerrecht statu­iertes Selbstbestimmungsrecht zu, von dem sie im Sinne einer formellen Unabhängigkeit wohl bislang nur des­wegen keinen Gebrauch gemacht haben, weil China einen entsprechenden Schritt als Überschreiten einer roten Linie betrachten würde, das quasi automatisch einen Krieg gegen die Insel auslösen würde.

Die Linie der DPP (gegründet 1986) war seit 1999 und ist bis heute der völkerrechtlich etwas dubiose, aber den Frieden erhaltende Standpunkt, dass Taiwan de facto bereits unabhängig ist und sich daher auch nicht formell unabhängig erklären muss. Die DPP setzt stattdessen auf die Herausstellung einer taiwa­nischen (nicht chinesischen) Identität, was in weiten Teilen der Bevölkerung auf positive Resonanz stößt. DPP-Präsidentin Tsai Ing-wen konnte in ihren beiden Amtszeiten viele der innenpolitischen Herausforderungen nicht bewältigen. Sie verdankt ihre Wahlsiege ihren außenpolitischen Erfolgen, dem Wagenburg­effekt infolge des zunehmenden politischen Drucks aus China sowie den Ereignissen in Hong Kong 2020, die den Taiwanern auf dramatische und oft auch tragische Weise vor Augen geführt haben, was ein »Ein Land, zwei Systeme« bedeutet.

Machtverschiebung im Legislativ-Yuan

Innenpolitisch ist die größte Herausforderung für die Regierungspartei und den Präsidenten die neue Kon­stellation im Legislativ-Yuan. Dort besitzen die beiden Oppositionsparteien KMT und TPP eine knappe Mehr­heit, die sie bereits in den wenigen Monaten seit Amtsübernahme der neuen Regierung dazu genutzt haben, um eine Parlamentsreform durchzusetzen. Das neue Gesetz gibt der Legislative investigative Rechte, die bisher der Justiz und dem Kontroll-Yuan (eine Überwachungsbehörde, vergleichbar mit dem Europäischen Rechnungshof) vorbehalten waren und den Präsidenten und seine Minister sehr viel stärker als bisher gegenüber dem Parlament rechenschaftspflichtig machen. Aus Sicht der DPP versucht die Opposition auf diese Weise, die Macht des Parlaments auszuweiten und zugleich die Befugnisse des Präsi­denten und der Regierung zu beschneiden.8

Einen Antrag des Kabinetts zur Revision der Parlamentsreform, der mit der Zustimmung Lai Ching-tes am 6. Juni eingereicht wurde, lehnte der Legislativ-Yuan mit einer knappen Mehrheit (62 Stimmen von 113 Sitzen) der Abgeordneten (davon 52 Abgeordnete der KMT, zwei KMT-nahe, unabhängige Abgeordnete und acht Abgeordnete der TPP) zwei Wochen später ab. Regelmäßige und tiefgehende Investigationen können zu einem Instrument der Opposition werden, um Lais innenpolitische Agenda zu behindern.9

Im Zuge der aus Sicht vieler taiwanischer Beobachter fragwürdigen Parlamentsreform kam es im Mai 2024 auch zu großflächigen Protesten aus der Zivil­bevölkerung, die nachfolgend als »Bluebird«-Bewegung (qingniao xindong) bezeichnet wurden (angelehnt an den Namen der Straße in der der Legislativ-Yuan liegt). Wie bei der Sonnenblumenbewegung (taiyanghua xueyun) vor genau zehn Jahren waren es vor allem junge Taiwaner, Medien zufolge bis zu 100.000, die sich auf den Straßen Taipehs und anderer Städte versammelten. Und wie bei den damaligen Protesten, die sich an der chinafreundlichen Politik der zu jener Zeit regierenden KMT entzündet hatten, geht es im Kern bei den Demonstrationen heute um das tief­sitzende Misstrauen in der taiwanischen Gesellschaft gegenüber den politischen Absichten der alteingesessenen KMT. Die alte und die neue Jugendbewegung Taiwans treibt letztlich die Sorge, dass eine durch China bestimmte Innen- und Außenpolitik der KMT Taiwans Souveränität und demokratische Werte untergraben könnte.

Das Imageproblem der KMT

Die Anhänger der »Bluebird«-Bewegung sind im Schnitt deutlich jünger als die damaligen Sonnenblumen-Studenten.10 Je jünger die Taiwaner sind, desto weniger können sie sich mit der traditionellen Linie der KMT identifizieren. Denn während die DPP das neue, eben taiwanische – und nicht-chinesische – Taiwan repräsentiert, steht die KMT für das alte, sich als Teil Chinas verstehende Taiwan. Umfragen des Pew Research Centers ergaben 2024, dass 67 Pro­zent der Taiwaner sich in erster Linie als taiwanisch und nicht als chinesisch betrachten. Unter den 18- bis 34-Jährigen waren es sogar 83 Prozent.11

Die KMT plädiert für eine Annäherung zwischen Taipeh und Peking und insbesondere für die An­erken­nung des »Konsenses von 1992«, eine stillschweigende Einigung darüber, dass es nur »ein China« gebe, die jedoch bewusst offenließ, was »ein China« genau bedeutet. Peking zieht aus der Formel den Schluss, dass es die einzige legitime Regierung des einen Chinas (inklusive Taiwan) sei, die KMT versteht derweil unter dem »einen China« die Repu­blik China inklusive des Festlands. Die KMT hält demnach an dem Ziel einer sogenannten »Wieder­vereinigung«12 Taiwans mit dem Festland fest.

Der Konsens von 1992

Der Konsens von 1992 ist eine inoffizielle Übereinkunft zwischen Taiwan und China, die im Kern die Anerkennung beider Seiten, der Volksrepublik China und Taiwan, für den Standpunkt ausdrückt, dass es nur »ein China« gibt. Teil des Konsenses ist aber auch die Feststellung, dass Uneinigkeit über die Interpretation des »einen Chinas« besteht. Aus der Perspektive Pekings gehört Taiwan zur Volksrepublik China, die auch die einzige legitime Vertreterin des »einen Chinas« sei, während die KMT unter »ein China« die Republik China versteht, die 1911 gegründet wurde und de jure die volle Souveränität über ganz China habe. Auch nach dem Verlust der Mit­gliedschaft in den Vereinten Nationen und des Ständigen Sitzes im Sicherheitsrat im Jahr 1971 gilt dieser Anspruch nach Auffassung der KMT weiter. Entsprechend bezieht sich die Verfassung Taiwans aus dem Jahr 1947, die bis heute Gültigkeit hat, auf das gesamte China. Sie wurde nur mit einigen Zusätzen versehen, um der ab den späten 1980er Jahren einsetzenden Demokratisierung auf Taiwan als dem »freien Gebiet der Republik China« Rechnung zu tragen. Der Anspruch auf ganz China wird in der Praxis heute nicht mehr explizit erhoben. Dem Konsens wird oft die Bedeutung zugeschrieben, eine diplomatische Grundlage für den informellen Austausch zwischen beiden Seiten geschaffen zu haben.

Kern der Argumentation der KMT-Politiker ist heute, dass eine Anerkennung des »Konsenses von 1992« dazu dienen kann, die Spannungen in der Taiwan-Straße zu reduzieren und eine gewaltsame Vereinigung zumindest hinauszuzögern. Allerdings schließt die KMT zugleich aus, die Interpretation Pekings zu übernehmen, und würde wohl auch einer »Wiedervereinigung« aufgrund der unterschiedlichen Systeme in Taiwan und der Volksrepublik nicht zu­stimmen. So bleibt offen, wie weit sich eine KMT-Regierung tatsächlich Peking annähern könnte und ob sie imstande wäre, die Beziehungen zur Volks­republik deutlich zu verbessern.

Da sie ihr Image als Partei des Appeasements nicht abschütteln und ihre chinesischen Wurzeln nicht abwerfen kann, verliert die KMT vor allem unter der jungen Wählerschaft an Popularität. Vor allem jün­gere KMT-Politiker fordern daher eine Veränderung der Taiwan-Straßen-Politik der Partei.13 Die alte Garde der KMT hält indes an dem Grundsatz fest, eine An­näherung an die Volksrepublik zu suchen. Erneut deutlich wurde dies im April 2024, als der ehemalige KMT-Vorsitzende Ma Ying-jeou mitsamt einer De­lega­tion das Festland besuchte und sogar den chinesischen Präsidenten Xi Jinping traf.14 Vor allem Vertreter der DPP kritisierten das Vorhaben und warfen Ma vor, sich von Peking politisch instrumentalisieren zu lassen. Ma hatte zugestimmt, während seines China-Aufenthalts von US-Sanktionen betroffene Firmen zu besuchen,15 und seine Reise genau in die Zeit gelegt, in der der trilaterale Dialog zwischen den USA, Japan, und den Philippinen stattfand. Auch einige KMT-Politiker äußerten deshalb die Befürchtung, dass Ma dem Ruf der KMT schade, da er als Sprachrohr Pekings die Partei in Richtung China schubse.

Nuancen in Lais China-Politik

Während des Treffens von Ma Ying-jeou mit Xi Jin­ping am 10. April 2024 lag der Fokus der Äußerungen des chinesischen Staatspräsidenten auf der gemeinsamen Geschichte und Identität. Konkret sagte Xi: »Die Menschen auf beiden Seiten der Taiwan-Straße sind alle Chinesen.«16 Ein Experte in Taiwan bewertete dies als eine Art »Angebot« an den angehenden Präsidenten Lai Ching-te, zumindest in seiner Amts­antrittsrede anzuerkennen, »dass China und Taiwan dieselbe Nation sind, ein Volk und eine Kultur«.17

Lai ist in seiner Amtsantrittsrede18 am 20. Mai an jenen Stellen, wo er über den Status Taiwans und die Beziehung zu China sprach, kaum von der Rede abgewichen, die Tsai Ing-wen bei ihrem ersten Amts­antritt 2016 gehalten hatte. Dennoch gab es Nuancen. So sagte Lai etwa, »dass die Republik China und die Volksrepublik China einander nicht untergeordnet sind«, und insinuierte damit, dass beiden Seiten als getrennte politische Einheiten zu sehen sind. Aus Sicht Pekings wurde diese Formulierung als Beleg für die Unabhängigkeits­bestrebungen Lais und dessen Unwillen verstanden, auf China zuzugehen. Die chinesische Regierung sah sich damit in ihrem Miss­trauen bestätigt, das sie immer gegen den DPP-Vor­sitzenden hegte.19 2017 hatte sich Lai als Politiker bezeichnet, der die Unabhängigkeit Taiwans unter­stütze, und angefügt, seine Haltung nie zu ändern, gleich welches Amt er innehabe.20 In den Jahren darauf übernahm Lai aber die Linie Tsais und betonte etwa im Mai 2023, dass er Taiwans Unabhängigkeit nicht erklären werde, ließ also durchblicken, dass er keine Änderung des De-jure-Status der Insel anstrebe.21 Tatsächlich geht auch die Äußerung, »dass die Republik China und die Volksrepublik China ein­ander nicht untergeordnet sind«, auf Tsai Ing-wen zurück. Diese hatte ein entsprechendes Statement 2019 im Rahmen ihrer Erklärung der »vier Verpflichtungen« (oder »Bekenntnisse«) formuliert.22

Lais Nuancierungen in seiner Amts­antrittsrede zeigen, dass ihm in der Beziehung zu Peking nicht viel Spielraum bleibt.

Einen kleinen Seitenhieb gegen die Volkrepublik teilte Lai in Bezug auf die Namensgebung der Repu­blik China aus, ein Punkt, der Peking sehr wichtig ist, wie inzwischen auch die Europäer erfahren mussten. Litauische Diplomaten wurden aus China ausgewiesen und weitere Sanktionen gegen den baltischen Staat verhängt, nachdem das EU-Mitglied in der Hauptstadt Vilnius eine taiwanische Repräsentanz »falsch« benannt hatte (»Taiwan« statt wie üblich »Taipeh«). Lai sagte aber, es spiele für die taiwanische Identität keine Rolle, welchen Namen die Nation trage (Taiwan oder Republik China oder Republik China-Taiwan). Damit wollte Lai möglicherweise signalisieren, dass er sich nicht von Peking diktieren lasse, welchen Namen die Insel tragen soll. Im Grunde aber bestätigte er – wie schon Lais Vorgängerin es getan hatte – seinen Zuhörern in Peking, dass eine formelle Änderung des Namens und damit des Status Taiwans nicht auf seiner politischen Agenda steht. Dies entspricht einer Zusicherung an China, dass eine Unabhängigkeit keine Option für die politische Elite der Insel ist, während zugleich die Eigenständigkeit Taiwans betont wird.

Lais kleine Nuancierungen in seiner Amtsantrittsrede zeigen, dass ihm in der Beziehung zu Peking nicht viel Spielraum bleibt, denn weder darf er eine Eskalation mit China provozieren, noch kann er sich Peking zu sehr annähern, denn dies würde ihn eine Menge Zustimmung unter seinen Wählern kosten.23 Das China-Dilemma der DPP ist, dass sie stets achtsam vermeiden muss, den großen Nachbarn zu verärgern oder gar zu provozieren, und auch auf keine Kom­munikationskanäle mit Peking zurückgreifen kann.24

Denn da die DPP den Konsens von 1992 nie an­erkannt hat,25 hat die Volksrepublik den politischen Dialog mit der Regierung Taiwans nach dem Wahl­sieg von Tsai 2016 eingefroren. Seither gibt es prin­zipiell keine direkte Kommunikation auf Regierungsebene zwischen dem Festland und der Insel mehr, mit der Ausnahme der Verhandlung bürokratischer Angelegenheiten (Handel, Finanzen, Verbrechens­bekämpfung usw.). Im Sommer 2019 setzte die Volksrepublik zudem individuelle Touristenreisen nach Taiwan aus und im April 2020 kündigte Peking an, die Zahl chinesischer Studenten, die Hochschulen in Taiwan besuchen, zu begrenzen. Obwohl die chine­sische Regierung die Beschränkungen als Maßnahme im Rahmen der Pandemiebekämpfung darstellte, hat sie sie bis heute nicht aufgehoben. Von knapp 42.000 Touristen vom Festland, die Taiwan im Jahr 2016 be­suchten, sank die Zahl bis 2023 auf etwa 4.600.26 Lai rief in seiner Amtsantrittsrede am 20. Mai zwar dazu auf, im bilateralen Verhältnis den Weg des Dialogs und der Kooperation einzuschlagen, etwa mit der Wiederaufnahme des Studentenaustauschs und gegenseitiger touristischer Besuche. In Anbetracht der verhärteten Front Pekings gegenüber der DPP erscheint dies derzeit allerdings unrealistisch.

Delegitimierung des Status Taiwans

In der taiwanischen Führung macht man sich keine Illusionen darüber, dass Chinas »drei Arten der Kriegsführung« und die von Peking angewandte Salami-Taktik den Weg ebnen sollen für eine »Wieder«-Vereinigung und dass sich der Nachbar auch auf eine rein militärische Lösung vorbereitet. Die verschiedenen Arten der Kriegsführung sollen die taiwanische Gesellschaft bereit für die Übernahme des Inselstaats machen oder zumindest ihre Wehrhaftigkeit schwä­chen, und sie sollen auch sicherstellen, dass eine Mehrheit der internationalen Akteure eine Annexion Taiwans als »Wiedervereinigung« anerkennen würde. Die militärische Planung zielt auf eine amphibische Landung und Besetzung der Insel ohne Widerstand (also ohne Verluste), die im Idealfall noch zu Leb­zeiten Xi Jinpings durchgeführt werden soll. In Tai­peh ist man sich indessen sicher, dass China nicht davon ausgehen kann, all diese Ziele zu erreichen. Jedes Szenario, dass die »Wieder«-Vereinigung her­beiführen soll, wäre mit enormem Aufwand und mit diversen Risiken ver­bunden. Das gilt nicht nur für die totale Invasion, sondern letztlich für jegliche Aktio­nen Chinas, die ernstzunehmende Gegenmaßnahmen und Sanktionen, ergriffen und verhängt von Taiwan, den USA und anderen – vornehmlich westlichen – Staaten, nach sich ziehen würden.

Die gegenwärtig von Peking angewendete Strategie der »drei Arten der Kriegsführung« ist für China deutlich billiger und mit weniger Gefahr von Gegen­reaktionen verknüpft als ein militärischer Angriff auf Taiwan. Hier stellt sich die Frage nach dem Endzweck von Pekings Grauzonen-Aktivitäten: Sind sie nur die Vorstufe von Operationen in der roten Zone, also die Vorbereitung auf die militärische Lösung? Oder er­hofft sich Peking von ihnen eine so durchschlagende Demoralisierung und Schwächung Taiwans, dass den Taiwanern die »Wieder«-Vereinigung als einzige Option verbleibt?

Wahrscheinlich ist, dass China beide Optionen verfolgt und schon jetzt testet, welche »Art der Kriegs­führung« zum gewünschten Erfolg führen kann. Dies erklärt aus Sicht taiwanischer Experten das stetige Anpassen und Ausweiten der chinesischen Aktionen in der Grauzone.27 Sie umfassen bereits seit Jahren Cyberattacken, Desinformationskampagnen oder wirtschaftliche Sanktionen. Der Instrumentenkasten Pekings ist dabei noch nicht ausgeschöpft, denn, so wird in Taiwan befürchtet, China könnte den Druck auf den Inselstaat noch erheblich ausweiten, ohne die Grauzone verlassen zu müssen.

Pekings Grauzonen-Aktivitäten sollen den Anspruch Chinas auf Taiwan legalisieren bzw. dessen Status als Quasi-Staat delegitimieren.

In der Wahrnehmung taiwanischer Beobachter nimmt die Volksrepublik nun die Präsidentschaft Lais zum Vorwand, um die Maßnahmen gegen Taiwan zu verschärfen und den Fokus auf die »Kriegsführung mit juristischen Mitteln« (»legal warfare«) zu legen. Pekings Grauzonen-Aktivitäten sollen den Anspruch Chinas auf Taiwan legalisieren bzw. den Status Tai­wans als Quasi-Staat (bzw. De-facto-Regime) delegitimieren. Diese Strategie hatte China bereits vor den Wahlen in Taiwan Anfang 2024 anzuwenden be­gonnen, aber nun hat diese eine neue Dimension erreicht.28

Neue Richtlinien

Am 21. Juni 2024 veröffentlichte China sogenannte »rechtsprechende Richtlinien« zur Verhängung von strafrechtlichen Sanktionen gegen vermeintliche »hartnäckige« (»diehard«) taiwanische Separatisten oder Unabhängigkeitsaktivisten. Diese »Richtlinien« definieren die Umstände, unter denen »einige wenige hartnäckige Separatisten, die sich für eine ›Unabhängigkeit Taiwans‹ einsetzen, strafrechtlich zur Ver­antwortung gezogen werden sollen, wenn sie bei­spielsweise Pläne zur ›Unabhängigkeit Taiwans‹ ent­wickeln oder durchführen oder die Unabhängigkeit mit ausländischer Unterstützung oder Gewalt an­streben«.29 Demnach können Aktionen, die eine Unabhängigkeit oder Abspaltung Taiwans fördern, als Staatsverbrechen bestraft werden, was auch die Todesstrafe miteinschließt.

In chinesischen Medien wird die Veröffentlichung der Richtlinien als Reaktion auf Lais Rede vom 20. Mai dargestellt.30 Im Staatsorgan China Daily wurden Lai und seine Anhänger gleich im Anschluss an diese Rede als Verräter31 bezeichnet und Lai selbst als »diehard separatist«.32 Auf einer von der Volksrepu­blik veröffentlichten Liste sogenannter Separatisten stehen bislang (Stand September 2024) zehn aktuelle und ehemalige Regierungsvertreter, darunter auch Vizepräsidentin Hsiao Bi-khim, der frühere Außenminister Joseph Wu und der Verteidigungsminister Wellington Koo.33

Wenige Tage nach der Veröffentlichung der »Richt­linien« gab das Außenministerium Taiwans eine Reisewarnung für das Festland heraus, da es befürchtete, dass taiwanische Bürger, die sich in China auf­halten, festgenommen und strafrechtlich verfolgt werden könnten. Taiwaner müssen sich nun auch Sorge machen, dass Drittstaaten, die ein Auslieferungs­abkommen oder ein Rechtshilfeabkommen mit der Volksrepublik unterzeichnet haben, aufgefordert werden könnten, taiwanische Bürger festzusetzen und nach China auszuliefern.34 Peking könnte sich mit dieser neuen Richtlinie berechtigt sehen, Bürger Taiwans auch in Abwesenheit zu verurteilen, und beispielsweise versuchen, eine Verfolgung durch Interpol voranzutreiben.

Diese »Richtlinien« könnten schließlich auch Europa und Deutschland tangieren. So heißt es in dem Regelwerk, dass diejenigen, die bei der Begehung solcher Verbrechen mit ausländischen Institutionen, Organisationen oder Einzelpersonen zusammen­gearbeitet haben, härter bestraft werden.35 Damit könnten etwa Taiwaner verdächtigt werden, mit amerikanischen oder auch europäischen Dialog­partnern (mit denen sie sich zum Beispiel auf poli­tischer, wissenschaftlicher oder kultureller Ebene austauschen) gegen China zu konspirieren.

Peking versucht bereits seit Jahren, das Narrativ vom Ein-China-Prinzip auf internationaler Ebene zur Norm zu machen.

In Taiwan werden diese »Richtlinien« als chine­sisches Instrument der juristischen Kriegsführung gesehen, mit dem letztendlich der chinesische An­spruch auf Taiwan international durchgesetzt werden soll. Peking versucht bereits seit Jahren, das entsprechende Narrativ, nämlich das Ein-China-Prinzip (nicht zu verwechseln mit der Ein-China-Politik, siehe Kasten, S. 16), zur Norm zu machen. Nach chinesischem Verständnis gibt es nur ein China in der Welt, ist Taiwan ein untrenn­barer Bestandteil dieses einen Chinas und ist die Regierung der Volksrepublik die einzige legale Regierung, die ganz China vertritt.

Resolution 2758

Teil der Argumentation der Volkrepublik in Sachen Taiwan ist auch, dass das Ein-China-Prinzip inter­national anerkannt sei. Eine solche Interpretation wird insbesondere im Hinblick auf Resolution 2758 der Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) vom Oktober 1971 geltend gemacht (siehe Kasten, S. 17). Dass dieser Beschluss einer Anerkennung des Ein-China-Prinzips durch die internationale Gemeinschaft gleichkäme, wie Peking behauptet, lässt sich aber aus dem historischen Kontext und den Verhandlungen über den Resolutionstext nicht ab­leiten. In der Resolution 2758 wurde zwar die Auf­nahme der Volks­republik China anstelle der Republik China (Taiwan) als Mitglied der VN beschlossen, sie gesteht aber Peking weder ausdrücklich das Recht zu, die Regierung auf der taiwanischen Insel zu vertreten, noch erkennt sie den Anspruch Chinas auf Taiwan an. Peking versucht diese Resolution nun neu zu interpretieren.36

Das Ein-China-Prinzip und die Ein-China-Politik

Es muss klar unterschieden werden zwischen dem von Peking postulierten Ein-China-Prinzip und einer Ein-China-Politik. Die Volksrepublik argumentiert, das Ein-China-Prinzip sei eine »universell anerkannte Norm« der internationalen Beziehungen; es gelte uneingeschränkt und sei unanfechtbar. Peking behauptet, dieses Prinzip werde von 182 Staaten anerkannt (während, Stand Oktober 2024, elf kleine Staaten und der Vatikan Taiwan diplomatisch anerkennen), doch die meisten Länder haben ihre eigene Interpretation des einen Chinas und verfolgen tatsäch­lich eine Ein-China-Politik, darunter die USA und europäische Staaten. Die Ein-China-Politik ist Voraus­setzung für die Auf­nahme diplomatischer Beziehungen mit der Volks­republik. Sie bedeutet, dass man die Volksrepublik China als einzigen souveränen Staat in China betrachtet und entsprechend keine formellen Beziehungen zu Taiwan unter­hält. Es gibt aber eben unterschiedliche Interpretationen des einen Chinas.a Viele Staaten pflegen unterhalb der Schwelle der Anerkennung als Staat wirtschaftlichen, wissenschaft­lichen und kulturellen Austausch mit Taiwan. Außerdem wird im Rahmen der Ein-China-Politik oft gefordert, dass es keine

a Chong Ja Ian, The Many ›One China’s‹: Multiple Approaches to Taiwan and China, Washington, D.C.: Carnegie Endowment for International Peace, 9.2.2023, <https://carnegie endowment.org/research/2023/02/the-many-one-chinas-multiple-approaches-to-taiwan-and-china?lang=en> (Zugriff am 16.11.2024).

einseitige Veränderung des Status quo in der Taiwan-Straße gegen den Willen der anderen Seite geben dürfe.

Diese Elemente finden sich auch in der deutschen Ein-China-Politik wieder. Deutschland erkennt einerseits nur die Volks­republik diplomatisch an,b andererseits unterhält es informell enge Beziehungen zu Taiwan. Nach dem Verständnis der deutschen Politik existiert zwar nur eine geographische Region China, die Staatlichkeit des »einen China« bleibt aber un­geklärt.c Auch ist mit der deutschen Ein-China-Politik keine Feststellung verbunden, welche Mittel Peking anwenden darf, um Taiwan zum Einlenken zu bewegen. Daher betont die Bundesregierung immer, dass eine Änderung des Status quo in der Taiwan-Straße nur friedlich und im gegenseitigen Ein­vernehmen aller Beteiligten erfolgen kann.

bUnd untersagt daher beispielsweise auf oberster staat­licher Ebene (Bundespräsident, Kanz­leramt, Außen- und Verteidigungsministerium, Präsident des Bundesverfassungsgerichts) offizielle Kontakte.

cSiehe dazu zum Beispiel ein Zitat aus einer Erklärung des Auswärtigen Amtes in der Regierungspressekonferenz am 3.8.2022: »Auch hier ist die Antwort wie so oft nicht ein Schwarz-Weiß, sondern es gibt […] im Völkerrecht auch so etwas wie partielle Völkerrechtssouveränität. Das trifft aus Sicht der Bundesregierung auch auf Taiwan zu«, »Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 03.08.2022«, Auswärtiges Amt, <www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/-/2545960> (Zugriff am 27.11.2023).

Das Europäische Parlament hat erkannt, dass China nicht nur versucht, den Raum zu minimieren, den Taiwan noch hat, um informelle Beziehungen zu führen, sondern auch, dass die Volksrepublik das Ein-China-Prinzip zur international verbindlichen Norm machen will. Seit 2016 (bis 2024) haben zehn Saaten die offiziellen Beziehungen zur Republik China ab­gebrochen und sich der Volksrepublik zu­gewendet. Heute verbleiben magere elf Staaten und der Vatikan, die Taiwan diplomatisch anerkennen. Zuletzt hat Ende Januar 2024 der pazifische Inselstaat Nauru seine Verbindungen zu Taiwan gelöst, um offiziell diplomatische Beziehungen zu China aufzunehmen, und sich dabei auf das Ein-China-Prinzip berufen. Sollte es China eines Tages gelingen, das Ein-China-Prinzip im offiziellen Sprachgebrauch der VN zu verankern, dann wäre der Schritt nicht weit zu einer von Peking veranlassten Abstimmung innerhalb der VN, die eine Annexion (oder »Wiedervereinigung«) Taiwans völkerrechtlich legitimieren würde. Die Bemühungen, die China seit einigen Jahren an den Tag legt, um das »richtige« Narrativ zu Taiwan in der Welt zu etablieren, sprechen für diese Theorie.37

Resolution 2758 der UN-General­versammlung von 1971

Mit Resolution 2758 beschloss die UN-Generalversamm­lung im Oktober 1971 die »Instandsetzung der Rechte der Volksrepublik China in den Vereinten Nationen«. Die Vertreter der Festlandsregierung wurden als einzige legi­time Repräsentanten Chinas bei den Vereinten Nationen anerkannt. Gleichzeitig wurden die »Vertreter Chiang Kai-sheks« – so heißt es dort tatsächlich – von ihrem Platz in den VN verwiesen. Die Resolution enthält aber keine Festlegung in Bezug auf den politischen Status der Republik China, determiniert also nicht die Zugehörigkeit Taiwans zum Festland. Die Volksrepublik China ist durch die Resolution demnach auch nicht ermächtigt, Taiwan und seine Bevölkerung in den VN und deren Sonder­behörden zu vertreten. Sie hat zu keinem Zeit­punkt tatsächlich Staatsgewalt über die Insel Taiwan ausgeübt.

Konkret könnte China unter Verweis auf das Ein-China-Prinzip beispielsweise auch Drittstaaten dazu bewegen, die Einreisemöglichkeiten von Taiwanern einzuschränken. Gegenwärtig (Stand Juni 2024) kön­nen Inhaber des taiwanischen Passes in 143 Länder visumsfrei einreisen, für andere Staaten müssen Visa beantragt werden und für Reisen nach China (ein­schließlich Hong Kong und Macau) benötigen Taiwa­ner ein spezielles Ausweisdokument (»compatriot permit«). Drittstaaten, die der Einwirkung Pekings erliegen, könnten dem chinesischen Beispiel folgen und von Taiwanern spezielle Dokumente für die Einreise fordern und diese andernfalls verweigern. Dies würde auch gerade die Wählerschaft der DPP betreffen, die zu einem großen Teil aus jungen, welt­offenen und reisefreudigen Taiwanern besteht. Taiwanischen Journalisten, Offiziellen und Bürgern wurde bereits in den vergangenen Jahren der Zutritt zu den Räumlichkeiten der VN verwehrt, da ihr Pass nicht anerkannt wurde.38

Auflösung der Mittellinie

Seit dem Besuch der Sprecherin des amerikanischen Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in Taiwan im Sommer 2022 hält China an seinem damals begonnenen Gebaren in der Taiwan-Straße sowie östlich der Insel fest und dringt mit chinesischen Kriegsschiffen in immer größerer Zahl und immer öfter in die Gewässer hinter der sogenannten Mittellinie (»median line«) der Taiwan-Straße ein. Die Mittellinie, die – unter Vermittlung der USA – auf ein stillschweigendes Agreement während des Kalten Krieges zwischen der Volksrepublik und Taiwan zurückgeht, war einst geschaffen worden, um den Status quo einzufrieren und ungewollte Eskalationen zu vermeiden. Zu der neuen Normalität gehört nicht mehr nur, dass China mit seinen Schiffen die Mittellinie überfährt, sondern dass Peking auch deren Existenz leugnet. Tatsächlich ist die Übereinkunft über die Seegrenze nicht offiziell und rechtlich bindend. Dennoch stellt Chinas Ver­halten eine einseitige und nicht im Einvernehmen mit der anderen Seite durchgeführte Veränderung des Status quo dar. Die Übereinkunft hat mit der Ausnahme eines Zwischenfalls in der Taiwan-Straße im Jahr 1999 bis März 2019 gehalten, als zwei chine­sische Kampfflieger die Mittellinie überquerten. Im September 2020 verkündete ein Sprecher des chine­sischen Außenministeriums dann: »Es gibt keine sogenannte Mittellinie.«39

Die Ereignisse in den Gewässern vor der Insel Kin­men seit Anfang 2024 zeigen, wie China versucht, die Hoheitsrechte Taiwans zu delegitimieren. In Reaktion auf ein von der taiwanischen Küstenwache innerhalb der Inselgewässer verfolgtes und dann gekentertes chinesisches Fischerboot Ende Februar 2024 kündigte Peking an, zukünftig regelmäßige Inspektionen taiwanischer Schiffe durchzuführen. Dass die taiwa­nische Küstenwache chinesische Fischerboote ver­folgt, die in die Gewässer um Taiwan eindringen, ist ein reguläres Prozedere. In den vergangenen acht Jahren hat die Küstenwache Taiwans circa 9.000 chinesische Fischerboote vertrieben.40

Zur neuen Normalität gehört nicht mehr nur, dass China mit seinen Schiffen die Mittellinie überfährt, sondern dass Peking auch deren Existenz leugnet.

Nach dem Kinmen-Vorfall machte China seine Drohung wahr und ließ seine Küstenwache erstmals ein taiwanisches Touristenschiff inspizieren. Die China Daily schrieb dazu einige Wochen darauf, es gebe »Anzeichen dafür, dass die Küstenwache, die Abteilung für maritime Angelegenheiten, die Ab­teilung für Meeresüberwachung, die Fischereibehörde und andere Abteilungen des chinesischen Festlands bald in die Verwaltung dieses Seegebiets [die Gewäs­ser um Kinmen] eingebunden werden«. Weiter heißt es: »In Zukunft kann das ›Kinmen-Modell‹ auch auf die Inseln Matsu und Penghu und sogar auf die gesamte Taiwan-Straße übertragen werden.«41

Die chinesische Küstenwache beruft sich bei diesem Vorgehen42 auf die am 15. Juni 2024 in Kraft ge­tretenen »Vorschriften des Gesetzvollstreckungs­verfahrens der chinesischen Küstenwache« (kurz: das »Küstenpolizeigesetz«). Die Vorschriften sollen »die administrativen Strafverfolgungsverfahren der Küstenwache standardisieren«.43 Taiwanische Beobach­ter vermuten, dass China diese Strafverfolgungs­befugnisse auf die Küstenwache ausgeweitet hat, um zu testen, ob durch Maßnahmen der Verwaltungsrechtsdurchsetzung der eigene Rechtsanspruch auf taiwanische Gewässer geltend gemacht werden kann. Eine ähnliche Vorgehensweise Chinas ist in­zwischen auch gegenüber den Philippinen im Süd­chinesischen Meer zu beobachten. Die qualitative Veränderung der chinesischen Sicherheitspolitik zeichnet sich durch den Einsatz offiziell nicht-mili­tärischer Akteure (hier die chinesische Küstenwache) aus, die immer offen­siver den nach chinesischer Lesart unbestreitbaren Rechtsanspruch auf taiwanisches Territorium geltend machen. In der Taiwan-Straße geht es nicht mehr nur um militärische Machtdemonstrationen, sondern um das Ziel Chinas, Taiwans Eigenstaatlichkeit zu unter­graben.

Konfliktszenario Zwangsquarantäne

Ein mögliches Szenario der chinesischen Legalisierungskampagne könnte sein, so befürchten taiwanische Beobachter, dass die Volksrepublik faktische Kontrolle über ein bestimmtes Gebiet auszuüben versucht. Die chinesische Küstenwache könnte es darauf anlegen, sich über den Verkehr von Fracht- und anderen Schiffen Entscheidungshoheit anzu­maßen und eine Lage zu schaffen, die in Taiwan als Zwangsquarantäne bezeichnet wird. Anders als bei einer Seeblockade wäre Taiwan nicht komplett von der Außenwelt, von Lebensmitteln und anderen Gütern abgeschnitten, und nicht die Volksbefreiungsarmee, sondern die chinesische Küstenwache würde als maßgeblicher Akteur auftreten. Letztere könnte dann, beispielsweise, in einer vorab durch Peking ausgerufenen ausschließlichen Wirtschaftszone Schiffe kontrollieren und Patrouillen durchführen. Die Vorfälle um Kinmen betrachten Sicherheits­experten in Taiwan als eine kleine Übung für ein solches Szenario.44

Eine Analyse des Center for Strategic and Inter­national Studies (CSIS) vom Juni 2024 hat aufgezeigt, wie eine größere (an mehreren wichtigen Knotenpunkten der Insel) und eine kleinere Quarantäne (an nur einem, aber dem wichtigsten Knotenpunkt vor dem Hafen Kaoshiung) vonstattengehen könnte, wenn sie federführend von der chinesischen Küsten­wache und anderen maritimen Behörden mit Straf­verfolgungskompetenz gemanagt wird.45 Nach An­sicht des CSIS-Experten ist China bereits heute in der Lage, solche Quarantänevarianten umzusetzen. Den­noch wäre eine Quarantäne für China ein komplexes und auf­wendiges Unterfangen. Peking kann sich zudem nicht sicher sein, wie die USA und andere mit Taiwan befreundete Staaten auf ein solches Szenario re­agieren würden.

Zur Wehrhaftigkeit Taiwans

Zur Wehrhaftigkeit Taiwans gehört die militärische Bereitschaft des Inselstaats für den Verteidigungsfall und die Fähigkeit, die bereits laufenden Grauzonen-Attacken Chinas, zu denen auch die hybride Kriegs­führung des Festlands zählt, wie Desinformationskampagnen und Cyberattacken, kontinuierlich ab­zuwehren. Die taiwanische Regierung unter Tsai Ing-wen hat entsprechend versucht, die Institutionen und die Gesellschaft der Insel stetig resilienter gegen die Bedrohungen aus China zu machen. Sie hat eine sanfte Militarisierung der Bevölkerung vorangetrieben, die die Taiwaner auf eine Krise vorbereiten, aber nicht in Panik versetzen soll.

Erwähnt werden sollte an dieser Stelle, dass das sicherheitspolitische Denken und Planen taiwanischer Strategen sich in den vergangenen zwei Jahren unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verändert hat. »Seit dem Ukraine-Krieg wissen wir, dass eine Invasion auch in Taiwan passieren könnte«, so ein Experte in Taipeh.46 Staat und Zivilbevölkerung Taiwans zeigen sich offen solidarisch mit den Ukrainern, sichtbar etwa an den ukrainischen Flaggen, die im Ximending-Distrikt wehen (#Taiwan Stands With Ukraine). Seit Beginn des Krieges hat die taiwanische Regierung auch Wiederaufbauhilfen für die Ukraine zugesagt, humanitäre Hilfsgüter bereitgestellt und mit anderen Staaten wie Polen oder der Tschechischen Republik beim Wiederaufbau kritischer Infrastruktur in der Ukraine zusammengearbeitet.

Der Ukraine-Krieg hat innerhalb der Regierung und der Zivilgesellschaft Taiwans eine Debatte da­rüber ausgelöst, was aus der Erfahrung der Ukrainer für das eigene Land abzuleiten sei. Als besonders wichtige Faktoren werden erkannt: die militärische Moral, die die ukrainischen Soldaten an der Front hält, die Resilienz der Kommunikationsnetze und die Fähigkeit zur asymmetrischen Verteidigung.

Asymmetrische oder symmetrische Kriegsführung?

Gemäß US-amerikanischen Quellen lauten Xi Jinpings Anweisungen an die Volksbefreiungsarmee (VBA), bis 2027 für eine Invasion bereit zu sein, was nicht gleich­zusetzen ist damit, es dann auch zu tun. Denn selbst wenn die chinesische Armee »bereit« ist, so interpretieren es taiwanische Militärexperten, ist nicht garantiert, dass eine militärische Option zum Erfolg führen würde. Der VBA müsste zunächst eine amphibische Landung gelingen, die aufgrund der geographischen Bedingungen Taiwans schwer durch­zuführen ist; sie müsste die Luftüberlegenheit zum Schutz der Landungsflotte erlangen, Taiwan durch eine Seeblockade isolieren und schließlich am Boden die Städte Taiwans erobern. Die Reaktion der USA, die über ihre Militärbasen in Okinawa, Guam und auf den Philippinen Taiwan Beistand leisten könnten, müsste ebenfalls miteinkalkuliert werden. Anfang Juni erst sprach US-Admiral Samuel Paparo, der neue Leiter des Indo-Pazifik-Kommandos, von der sogenann­ten »Hells­cape«-Strategie, mit der eine solche Unter­stützung geleistet werden soll.47

Doch auch wenn aus militärischer Sicht ein derart schwieriges Unterfangen mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt wäre, so ist den Taiwa­nern klar, dass die Entscheidung für eine Invasion auch politisch motiviert sein könnte. Die Regierung in Taipeh muss auch befürchten, dass es zu einer von allen Seiten ungewollten Eskalation kommen könnte, angesichts der ohnehin angespannten Sicherheitslage im Südchinesischen Meer. Es ist für sie daher essen­tiell, sich auch auf dieses Kriegsszenario vorzubereiten.

Ziel der taiwanischen Verteidigungs­strategie ist es, die Kosten für den Invasoren so hoch wie möglich zu treiben.

Tsai Ing-wen hat in ihrer Amtszeit das Land auf die sogenannte »Stachelschwein«-Strategie zur Abwehr einer möglichen chinesischen Invasion eingestimmt. Ziel ist es, die militärische Unterlegenheit gegenüber der Volksrepublik durch Qualität statt Quantität aus­zugleichen und die Kosten für den Invasoren so hoch wie möglich zu treiben.48 Mit dieser Strategie ist es aus Sicht Taiwans der Ukraine bislang gelungen, im Krieg gegen Russland zu bestehen. Der Schwerpunkt der taiwanischen Verteidigung ruht dementsprechend darauf, asymmetrische Fähigkeiten für die Kriegs­führung aufzubauen, die es einem Gegner erschweren, die Insel zu erobern und kontrollieren.49 Bei­spielsweise sollen Seeminen zum Einsatz kommen, die der Abschreckung dienen oder tatsächlich See­wege unterbrechen sollen. Drohnen sollen das Un­gleichgewicht im Bereich der Infanterie kompensieren und die Fähigkeit der Armee erhöhen, schnell auf Bedrohungen zu reagieren.

Der Ansatz zur asymmetrischen Verteidigung, den die DPP verfolgt, ist auch darauf ausgelegt, Chinas Grauzonen-Taktiken entgegenzuwirken. Das bedeu­tet, dass Taiwan kontinuierlich seine Luftwaffe ein­setzt, um auf die Flugzeuge der Volksbefreiungs­armee zu reagieren, die die Luftraumüberwachungszone (ADIZ) des Inselstaats verletzen; denn dies ist ein elementares Signal an die eigene Bevölkerung (und auch an internationale Beobachter), dass man dem Aggressor nicht wehrlos ausgeliefert ist. Die Küstenwache soll zudem besser ausgestattet werden, unter anderem mit Drohnen, um in den Hoheitsgewässern umfassender patrouillieren zu können. Und schließlich arbeitet Taiwan bei seiner Verteidigung gegen die Grauzonen-Aktivitäten Pekings auch darauf hin, den Schutz seiner kritischen Infrastruktur gegen chinesische Cyberangriffe und Sabotage zu erhöhen.

Der traditionelle sicherheitspolitische Kurs der KMT hingegen ist, dass Taiwan Fähigkeiten aufbauen sollte, die eine symmetrische Kriegsführung ermög­lichen, also eine Verteidigungsstrategie, die auf kon­ventionelle, schwere und leistungsfähige Waffen­systeme setzt. Das Kernargument der KMT ist, dass Taiwan imstande sein muss, China auch ohne die Schutzmacht USA abzuschrecken, sollte Washington den Taiwanern den Beistand versagen. Hier offenbart sich eine tiefe Skepsis der KMT gegenüber der Bereit­schaft der USA, in Kriegssituationen zugunsten des Inselstaats einzugreifen. Vor diesem Hintergrund kritisieren KMT-Politiker das Konzept der asymme­trischen Kriegsführung. Dieses vernachlässige die Fähigkeiten zur konventionellen Verteidigung auf Augenhöhe und mache Taiwan im Konfliktfall zu sehr von der Unterstützung der USA abhängig.50

Die Pläne der DPP-Regierung zur Stärkung der asymmetrischen Resilienz haben Bestrebungen, auch die Wehrhaftigkeit im Bereich der symmetrischen Kriegsführung zu erhöhen, (noch) nicht vollständig ersetzt. Ein Beleg dafür ist das 2020 von Tsai Ing-wen ins Leben gerufene Programm zum Bau von Unterseebooten. Bis 2027 soll es vier U-Boote geben, das erste (»Hai Kun« getauft) wurde im September 2023 vom Stapel gelassen. Zwischen 2025 und 2038 sollen sieben weitere U-Boote gebaut werden, für umgerech­net knapp neun Milliarden US-Dollar.51 Unter taiwa­nischen Militärexperten ist das Programm umstritten, da es sehr kostspielig und nur auf lange Sicht von Nutzen ist.

Unter Lai wurde das Verteidigungsbudget für 2025 auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angesetzt (knapp 20 Mrd. US-Dollar), ein kleiner Einschnitt im Vergleich zu den Vorjahren und gegen die Empfehlung einiger Entscheidungsträger und Experten aus den USA.52 Lai Ching-te scheint sich zunächst aber zum Ziel gesetzt zu haben, das Verteidigungsministerium Taiwans zu reformieren, das den Ruf hat, eine konservative – und wohl eher altmodische – Mili­tär­strategie zu verfolgen, und beispielsweise das Konzept der asymmetrischen Kriegsführung nicht unterstützt.53 Die Ernennung eines Zivilisten zum Verteidi­gungsminister, des ersten Nicht-Militärs seit einem Jahrzehnt, Wellington Koo, zeigt die Richtung an, die Lai einschlägt. Ohne vorausgegangene Verstrickungen mit der Armee soll es Koo gelingen, Taiwans Militär neu aufzustellen. Koo war vormals Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrats (NSC) und besitzt damit die notwendige Erfahrung, um mit der komplexen Sicher­heitslage Taiwans umzugehen.

Maßnahmen gegen die hybride Bedrohung

»Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben chinesische Cyberangriffe auf Taiwan hinsichtlich Häufigkeit, Komplexität und Intensität stetig zugenommen«, hieß es Anfang 2024 in einem Artikel des Global Taiwan Institute.54 Im Fokus der Cyberangriffe stehen taiwa­nische Regierungsinstitutionen, das Militär und die Tech-Industrie. Aber auch die Zivilgesellschaft sieht sich zunehmenden Desinformationskampagnen aus­gesetzt. Im Vorfeld der Wahlen kursierte beispielsweise in den sozialen Medien eine Flut von Falschmeldungen, die sich gegen die DPP richteten. Die hybride Bedrohung ist eine tägliche Realität in Taiwan. Unter der Regierung von Tsai Ing-wen (2016–2024) ist es jedoch gelungen, die Wehrhaftigkeit der taiwanischen Institutionen gegen die Attacken zu stärken. Während der Präsidentschaft der DPP-Poli­tikerin wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen, um auf ausländische Einflussnahme wie Cyberattacken und Desinformation koordiniert re­agie­ren zu können. Im Jahr 2018 wurde ein Cyber­sicherheitsgesetz (Cyber Security Management Act, CSMA) verabschiedet, das die staatlichen und die privatwirtschaftlichen Ressourcen im Dienste der nationalen Sicherheit bündelt.55

Im Sommer 2022 nahm das neu geschaffene Ministerium für digitale Angelegenheiten (MODA) seine Arbeit auf, das sich mit einem breiten Spektrum digitaler Sicherheitsthemen befasst, von der Cyber­sicherheit über digitale Demokratie und digitale Wirtschaft bis hin zur Digitalisierung von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Am 1. Januar 2023 gründete MODA das Nationale Institut für Cybersicherheit (NICS), das Daten zu Cyberangriffen systematisch erfassen und Regierungsinstitutionen gegen die Angriffe sensibilisieren soll.

Die Resilienz der Kommunikationssysteme

Der Krieg in der Ukraine hat Taipeh auch gezeigt, wie wichtig ein unabhängiger Zugang zum Internet ist. In diesem Fall wurde er gewährleistet von Elon Musks Satellitenservice Starlink. Taiwan verfügt über keinen Zugang zu Starlink. China könnte versuchen, eines oder mehrere der 15 Unterseekabel, die Taiwan mit der Welt verbinden, zu durchtrennen oder zu deakti­vieren. Dadurch könnte nicht nur der Daten- und Informationsaustausch innerhalb der Insel stark be­einträchtigt oder sogar ganz unterbrochen werden. Im Falle eines Angriffs wäre Taiwan damit von der Kommunikation mit seinen internationalen Verbündeten abgeschnitten. Die Resilienz der Kommunika­tionssysteme hat daher in jüngster Zeit in Taiwan eine immer größere Priorität erhalten. Das MODA arbeitet unter anderem an einem »Low-Earth«-Orbit-Satellitensystem (LEO), um im Krisenfall (und das schließt auch Naturkatastrophen mit ein) die Un­abhängigkeit der Konnektivität auf der ganzen Insel gewährleisten zu können. Gemeinsam mit auslän­dischen Satellitendienstleistern installiert MODA neue Endgeräte in abgelegenen Gebieten Taiwans. Bis Ende 2024 sollen insgesamt 700 solcher Hotspots eingerichtet sein.56

Die Raumfahrtbehörde Taiwans (TASA) hat zudem seit Ende 2022 den Auftrag, die nationalen indus­triellen Kapazitäten zusammenzuführen für den Bau von eigenen Kommunikationssatelliten (Beyond 5G, B5G) nach dem Muster von Starlink. Der erste B5G-Satellit soll 2027 starten. Insgesamt sind sechs an­gekündigt. Allerdings benötigt Taiwan für eine voll­ständige Resilienz der Kommunikationssysteme mindestens 120 Satelliten.57 Hier ist Taiwan maß­geblich von der Zusammenarbeit mit anderen Welt­raummächten abhängig, denn die Insel hat nicht die Kapazitäten für den Start einer Rakete, die einen Satelliten im All platzieren könnte. Taiwanische Satelliten (z.B. Wetter­satelliten) starten meist in den USA.

Zermürbung der taiwanischen Zivilgesellschaft

Ein weiteres Instrument aus dem Werkzeugkasten der Grauzonen-Aktivitäten, mit denen die Volks­republik gegen Taiwan vorgeht, ist die psychologische oder, wie es in Sicherheitskreisen inzwischen ge­läufiger heißt, kognitive Kriegsführung (cognitive war­fare).58 China tut alles, um der taiwanischen Gesellschaft zu suggerieren, sie sei zu schwach, um in einem Konflikt mit dem Nachbarn bestehen zu kön­nen. Tatsächlich spiegeln sich diese Manipula­tionsversuche in einem aktuellen Diskurs in Taiwan, der von der Sorge bestimmt ist, dass China durch mili­tärische, wirtschaftliche und politische Zer­mürbungstaktiken die taiwanische Gesellschaft von innen heraus zerstören könnte. Militärexperten in und um Taiwan befürchten, dass die taiwanische Armee falsche Strategien verfolge, nicht die richtigen Waffen besitze und daher nicht ausreichend auf einen mög­lichen Angriff aus China vorbereitet sei;59 dass die Küstenwache nicht genügend ausgebildet sei und die taiwanische Bevölkerung (anders als die in diesem Zusammenhang immer wieder genannten Ukrainer) nicht über die notwendige Kampfmoral verfüge, um sich in einem Krieg gegen die Volks­republik behaupten zu können.60

Diese recht entmutigenden Perspektiven sind aber bei Weitem nicht vorherrschend. Staat und Zivil­gesellschaft arbeiten zunehmend im Verbund daran, sich gegen die Einflussnahme und die Nötigungen aus Peking zu verteidigen. Zahlreiche Nichtregierungs­organisationen und Aktivisten versuchen, von »unten« her (»bottom-up«) die Bürgerinnen und Bürger des Inselstaats gegen die »kognitive Kriegsführung« Pekings resilienter zu machen, beispielsweise indem sie sie befähigen, sich besser gegen Desinformationskampagnen oder Cyberattacken wehren zu können. So überprüft etwa die 2018 gegründete Stiftung FactCheck (TFC) Tatsachenbehauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt. Die 2019 etablierte NGO Double­Think Lab widmet sich der Erforschung des schäd­lichen Einflusses des digitalen Autoritarismus.

Die Bemühungen der Tsai-Regierung, die taiwanische Zivilgesellschaft auf den Verteidigungsfall vor­zubereiten, fielen eher bescheiden aus. Im Jahr 2023 wurde die Wehrpflicht, die seit 2013 nur vier Monate gedauert hatte, auf ein Jahr erhöht. Außerdem wurden mehr Luftschutzräume ausgewiesen. 90.000 soll es auf der ganzen Insel geben, davon 4000 in der Haupt­stadt (Stand 2022).61 Zudem gab es erste Ansätze, Zivilisten eine militärische Grundausbildung an­gedeihen zu lassen, um sie beim Schutz von Infrastruktur und als Helfer im Katastrophenfall einsetzen zu können. Abzuwarten bleibt, ob Lai diese sanfte Militarisierung der Gesellschaft fortsetzen wird, denn es gibt auch Kritik, dass die Regierung gemeinnützige Initiativen, die darauf gerichtet sind, die Bereitschaft der Menschen zu erhöhen, auf den Ernstfall, also auf die Abwehr einer Besetzung (wie in der Ukraine) zu reagieren, nicht genügend unterstütze.62 Die Kuma Academy zum Beispiel, die eigens zu dem Zweck ge­gründet wurde, die Fähigkeit und den Willen von Zivilisten zur Selbstverteidigung zu fördern, ist eine private Organisation.

Angesichts dessen, dass die Volksrepublik China versucht, die taiwanische Regierung und Gesellschaft durch die verschiedenen »Arten der Kriegsführung« immer stärker zu zermürben, erhoffen sich Taiwaner auch von Drittstaaten politische und moralische Unterstützung.63

Fazit und Ausblick

Im Konflikt mit der Volksrepublik China arbeitet Taiwans Führung aktuell intensiv daran, Strategien und Ant­worten auf die verschiedenen chinesischen Grau­zonen-Operationen und auf mögliche Angriffs­szenarien zu entwickeln. Die Regierung in Taipeh hat die Wehrhaftigkeit Taiwans bisher durchaus mit Er­folg gestärkt und Staat und Gesellschaft resilienter gemacht gegen die Bedrohungen aus China. Die neue Führung unter Lai Ching-te steht nun vor der Auf­gabe, diese Kriegstüchtigkeit weiter zu verbessern, auf die neuen sicherheitspolitischen Strategien Pekings zu reagieren, die im Rahmen der Außen­politik geknüpften Bündnisse weiter zu vertiefen und den Inselstaat im Inneren stabil zu halten.

Letzteres ist von gleichrangiger Bedeutung. Denn wenn es der Lai-Administration nicht gelingt, die ökonomischen und sozialen Herausforderungen zu bewältigen, beispielsweise indem die Opposition bedeutende Reformpakete blockiert, könnte sich die wirtschaftliche Entwicklung Taiwans und infolge­dessen auch die Lebensqualität der Bevölkerung verschlechtern. China könnte sich dann vielleicht ermutigt sehen, die weiterhin große Abhängigkeit des Inselstaats vom Warenaustausch mit China64 auszunutzen und das seit 2010 bestehende Handels­abkommen zwischen der Volksrepublik und Taiwan (Cross-Strait Economic Cooperation Framework Agreement, ECFA) auszusetzen.65 Dies würde der taiwanischen Wirtschaft erheblich schaden.66 Das Vertrauen in der Bevölkerung in die Regierung könnte sinken und es könnte zu sozialen Unruhen kommen. So würde möglicherweise auch die Wehr­haftigkeit Taiwans nachlassen und die taiwanische Zivilgesellschaft anfälliger gegenüber chinesischen Desinformationskampagnen werden. Eine potentielle Instabilität in Taiwan könnte Peking schließlich suggerieren, dass die Taiwaner zu zerstritten oder schwach sind, um sich gegen einen militärischen Angriff wehren zu können.

Die Delegitimierungsstrategie, die Peking derzeit ausweitet, stellt die neue Administration in Taipeh vor eine neue Herausforderung. Schließlich geht es Peking dabei vor allem darum, die Taiwan-Politik dritter Akteure zu beeinflussen. Diese sollen über­zeugt werden, dem Ein-China-Prinzip zu folgen und somit taiwanische Grenzen oder den taiwanischen Pass nicht mehr anzuerkennen. Taiwan kann sich auch nur begrenzt gegen Chinas absichtsvolle Fehl­interpretation der Resolution 2758 verteidigen, da es kein Mitglied der VN ist. So ist aus taiwanischer Wahrnehmung künftig nicht nur die eigene Resilienz entscheidend für das Fortbestehen des demokratischen und de facto unabhängigen Inselstaats, sondern auch, wie Drittstaaten sich in dem Konflikt positionieren und engagieren.

Die Großmächterivalität zwischen den USA und China ist eng verknüpft mit dem regionalen Konflikt zwischen Taiwan und der Volksrepublik.67 Taiwan ist für Washington geostrategisch wichtig als Teil einer maritimen Blockadelinie, der ersten Inselkette. Die (allerdings wohl eingeschränkte) Schutzgarantie der USA dürfte bis dato entscheidend dazu beigetragen haben, dass China Taiwan keinen Krieg erklärt hat. Die USA haben ihrerseits bislang »einen delikaten Balanceakt vollzogen, nämlich zwischen dem Streben nach einem stabilen und berechenbaren Verhältnis zu Peking, dem Eintreten für die Sicherheit Taiwans und dem Versuch, Taipeh nicht zu einseitigen Schrit­ten hin zur Unabhängigkeit zu ermutigen«.68

Die Taiwaner sehen sich in einer starken Abhängigkeit von dem politischen Willen in Washington, die Insel auch zukünftig zu schützen und unter­stützen.69 In der KMT gibt es bereits ein hohes Maß an Skepsis gegenüber der Bereitschaft der USA, sich im Ernstfall für Taiwans Verteidigung einzusetzen. In jüngster Zeit hat sich auch in der taiwanischen Zivilgesellschaft die Debatte über die Verlässlichkeit des jahrzehntelangen Sicherheitsgaranten intensiviert. Es wird befürchtet, einer erratischen China- und Taiwan-Politik Donald Trumps ausgesetzt zu sein.70 Viele Taiwaner befürchten (ähnlich wie wir Europäer in Bezug auf die Ukraine), dass die Unterstützung aus Washington abnehmen wird, was Peking darin bestärken könnte, eine gewaltsame Einnahme Taiwans im wahrsten Sinne des Wortes in Angriff zu nehmen.

Konkret erwarten Beobachter in Taipeh, dass die zweite Trump-Administration Taiwan auffordern wird, mehr in die nationale Verteidigung zu inves­tieren und in diesem Zusammenhang auch mehr Waffen aus den USA zu kaufen.71 Dazu ist die taiwa­nische Regierung durchaus bereit.72 Allerdings ist es unrealistisch, das Taiwan sein Verteidigungsbudget auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht, wie Trump es gefordert hat. Die Lai-Administration dürfte enorm unter Druck stehen, den USA glaubhaft zu signalisieren, dass sie die notwendigen Schritte unternimmt, um die taiwanische Verteidigung gegen China zu stärken. Im Kontext eines von der Oppo­sition kontrollierten Legislativ-Yuan ist es fraglich, ob die dazu erforderlichen Reformen und Investitionen bewilligt werden. Taipeh verlässt sich zwar weit­gehend darauf, dass die große überparteiliche Unter­stützung in den USA für Taiwan auch unter Trump anhalten wird, muss aber womöglich mehr Über­zeugungsarbeit in Washington leisten, um das US-Engagement zu erhalten.

Für den Inselstaat ist zudem wichtig, dass die USA für eine (wenn auch begrenzte) Teilhabe Taiwans in internationalen Organi­sationen eintreten. Die Ver­einigten Staaten fordern etwa für Taiwan den Be­obachterstatus in der Weltgesundheitsorganisation (WHO). US-Politiker haben auch die Kontroverse um die Resolution 2758 aufgegriffen und werfen Peking vor, das UN-Dokument zu nutzen, um den Status der Republik China in den Vereinten Nationen weiter zu schwächen und das Ein-China-Prinzip zu bindendem Völkerrecht zu machen.73 Taipeh kann sich wohl nicht darauf verlassen, dass die USA sich auch in den kommenden vier Jahren in den VN so für Taiwan einsetzen werden.

Auseinandersetzung mit Resolution 2758

Taiwan hofft daher darauf, dass gleichgesinnte Länder sich den USA anschließen und Chinas verfälschende Auslegung der Resolution 2758 der UN-General­versamm­lung ablehnen.74 Besonders hervorzuheben sind hier die Bemühungen der Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC), die seit Juli 2024 versucht, das Thema der Resolution 2758 in die Parlamente ihrer Mitgliedsländer (neben den USA u. a. auch euro­päische Staaten, darunter Deutschland, sowie die EU) zu tragen.75 Australien war das erste Land der Initia­tive, dessen Oberhaus im August 2024 einen Antrag verabschiedete, Pekings Fehlinterpretation der Reso­lution und des Völkerrechts in Bezug auf den Status Taiwans entschieden zurückzuweisen. Es folgten im September das Parlament der Niederlande,76 das einen Beschluss zur Ablehnung der chinesischen Interpretation der Resolution 2758 fasste, und Italiens Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, der die Regierung aufforderte, Taiwans Teilnahme in Gre­mien und an Abläufen der Vereinten Nationen zu unterstützen. Am 6. November 2024 nahm auch das kanadische Unterhaus einstimmig einen Antrag an, in dem die Interpretation der UN-Resolution 2758 durch die Volksrepublik China in Bezug auf den Status Taiwans abgelehnt wird. Am 28. November votierte das britische Parlament einstimmig für einen Antrag, mit dem Chinas Deutung der UN-Resolution 2758 abgelehnt wird, und schließlich verabschiedete am 12. Dezember der Ausschuss für auswärtige An­gelegenheiten der tschechischen Abgeordneten­kammer eine Entschließung zur Fehlinterpretation der UN-Resolution 2758 durch die Volksrepublik und zur Unterstützung der Teilnahme Taiwans an inter­nationalen Organisationen.

Das Europäische Parlament hat sich am 23. Okto­ber 2024 erstmals in expliziter Weise gegen die Deutung der Resolution 2758 durch Peking aus­gesprochen.77 Im Bericht des Europäischen Parlaments zur Umsetzung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU im Jahr 2023 wird auch festgehalten, »dass die Republik China und die Volks­republik China einander nicht untergeordnet sind«.78 Die Bundesregierung könnte prüfen, welche Signal­wirkung davon ausginge, wenn Deutschland diesen Beispielen folgte. Europäische Staaten können näm­lich durchaus Teil der internationalen Meinungs­bildung in den VN sein, wenn es um die Auslegung des Ein-China-Prinzips (bzw. der Ein-China-Politik) geht.

Eine solche internationale Meinungsbildung sollte durch koordinierte Bemühungen zwischen Europa, den Vereinigten Staaten und anderen Partnern wie Japan, Australien oder Kanada gefördert werden. Je mehr Nationen Chinas Interpretation der Resolution zurückweisen, desto weniger Erfolgsaussichten hat die chinesische Führung bei dem Versuch, den Ver­einten Nationen ihren Willen aufzuzwingen. Gemein­sam mit anderen Staaten sollten Europäer in den VN darüber hinaus darauf verweisen, dass die Resolution 2758 Taiwan nicht unbedingt von der Teilnahme an speziellen VN-Agenturen, in denen die volle Staatlichkeit keine Voraussetzung ist, ausschließt. China nutzt den Ausschluss Taiwans aus internationalen Organisationen als politische Zwangs­maßnahme gegen Taipeh. So hatte Taiwan beispielsweise bis 2017 einen Beobachterstatus in der WHO. Dieser wurde dem Inselstaat jedoch nach dem Wahlsieg der DPP 2016 auf Druck Pekings entzogen. Koordinierte internationale Bemühungen sollten es daher möglich machen, dass Taiwan in bestimmten VN-Agenturen wie der WHO oder der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation mitwirken kann.

Europas Interessen in der Taiwan-Straße

In Deutschland und Europa ist die Konfliktdynamik zwischen Taiwan und der Volksrepublik China vor allem aufgrund der real wachsenden Möglichkeit einer militärischen Konfrontation in Politik und Gesellschaft zunehmend präsent. Weniger wird aller­dings debattiert, dass es China auch über nicht-mili­tärische Maßnahmen gelingen kann, sich Taiwan einzuverleiben. Die gegenwärtigen Aktivitäten der Volksrepublik zeigen, dass Peking bereits heute testet, welche »Arten der Kriegsführung« zur gewünschten Vereinigung mit Taiwan führen können, also ob und in welchem Maße Taiwan imstande ist, sich zu wehren, bzw. ob und bis zu welchem Punkt Taiwans Partner die chinesischen Grauzonen-Operationen diesseits kriegerischer Akte hinnehmen.

Die deutsche und auch die europäische Politik soll­ten China daher klar signalisieren, dass auch seine nicht-militärischen Arten der Kriegsführung gegenüber Taiwan nicht akzeptiert werden. Auch eine gewaltlose unfreiwillige Einverleibung Taiwans durch China, zum Beispiel als Ergebnis einer erfolgreichen Zermürbungsstrategie, wäre letztlich nicht im euro­päischen Interesse. Eine Annexion Taiwans durch die Volksrepublik hätte weitreichende geostrategische Folgen, denn mit der Herrschaft über Taiwan als zentralem Glied der sogenannten ersten Inselkette würde Peking mehr Kontrolle über die bislang trennende Taiwan-Straße und einen freieren Zugang zum Pazifik erlangen. Dies könnte eine Bedrohung für die Freiheit der Schifffahrt darstellen und die Stabilität gefährden, die für den Welthandel un­erlässlich ist. Die USA würden sich als traditionelle Ordnungsmacht im Indo-Pazifik herausgefordert sehen und Staaten der Region wie Australien, Japan, die Philippinen und Südkorea müssten ihre Sicherheitslage neu evaluieren.

Deutschland und Europa sollten nicht unter­schätzen, wie wichtig aus Sicht Taiwans die Positionierung von Drittstaaten in diesem Prozess ist. Nicht zuletzt haben sie auch ein Interesse daran, dass Taiwan als Demokratie fortlebt, ist es doch schließlich ein gleichgesinnter liberaler Partner Europas, mit dem es gemeinsame Wertvorstellungen und Inter­essen verbindet. Mit dem demokratischen Taiwan von heute kooperieren Europa und Deutschland sub­stantiell in den Bereichen Wirtschaft und Handel, Wissenschaft, Forschung und Kultur. Von der Erhaltung und dem Ausbau dieser Partnerschaft profitieren Europa und Deutschland. Zu guter Letzt sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten auch ohne ausländische Einmischung Beziehungen zu Taiwan pflegen können.

Abkürzungen

ADIZ

Air Defense Identification Zone

CSMA

Cyber Security Management Act

DPP

Democratic Progressive Party

ECFA

Cross-Strait Economic Cooperation Framework Agreement

IPAC

Inter-Parliamentary Alliance on China (Interparlamentarische Allianz zu China)

KMT

Kuomintang

MODA

Ministry of Digital Affairs (Taiwan)

NGO

Non-Governmental Organization (Nichtregierungsorganisation)

NICS

National Institute of Cyber Security (Taiwan)

NSC

National Security Council (Taiwan)

TASA

Taiwan Space Agency

TFC

Taiwan FactCheck Center

TPP

Taiwan People’s Party

TSMC

Taiwan Semiconductor Manufacturing Company Limited

VBA

Chinesische Volksbefreiungsarmee

VN

Vereinte Nationen

Weiterführende SWP-Produkte

Hanns W. Maull / Angela Stanzel / Johannes Thimm

USA und China auf Kollisionskurs. Die Bedeutung der Innenpolitik für das bilaterale Verhältnis

SWP-Studie 2/2023, März 2023

doi:10.18449/2023S02

Angela Stanzel / Gudrun Wacker

Podcast: Nach der Wahl in Taiwan: Was das Ergebnis für China und die internationale Gemeinschaft bedeutet

SWP-Podcast 1/2024, 16.1.2024

www.swp-berlin.org/publikation/nach-der-wahl-in-taiwan-was-das-ergebnis-fuer-china-und-die-internationale-gemeinschaft-bedeutet

Hanns Günther Hilpert / Alexandra Sakaki / Gudrun Wacker (Hg.)

Vom Umgang mit Taiwan

SWP-Studie 4/2022, April 2022

doi:10.18449/2022S04

Endnoten

1

 Das dritte Mal wurde damit die Demokratische Fortschrittspartei (DPP) in die Regierung gewählt. gewählt. Es ist das erste Mal, seitdem Taiwan als gefestigte Demokratie gelten kann, seit Mitte der 1990er Jahre, dass eine Partei dreimal in Folge die Mehrheit erhielt.

2

 Vgl. Hanns Günther Hilpert / Alexandra Sakaki / Gudrun Wacker (Hg.), Vom Umgang mit Taiwan, Berlin: Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, April 2022 (SWP-Studie 4/2022), doi: 10.18449/2022S04.

3

 Ministry of National Defense, Republic of China, »PLA Activities in the Waters and Airspace around Taiwan May 15, 2024«, Military News Update, 15.5.2024, <https://www.mnd.gov.tw/English/Publish.aspx?title=News%20Channel&SelectStyle=Military%20News%20Update%20&p=82976> (Zugriff am 31.5.2024).

4

 Ministry of National Defense, Republic of China, »PLA Activities in the Waters and Airspace around Taiwan May 25, 2024«, Military News Update, 25.5.2024, <https://www.mnd.gov.tw/English/Publish.aspx?title=News%20Channel&SelectStyle=Military%20News%20Update%20&p=83012> (Zugriff am 31.5.2024).

5

 Das geht aus diversen Interviews hervor, die die Autorin im März und April 2024 in Taiwan geführt hat.

6

 »Grauzonenkonflikte liegen in der uneindeutigen Mitte zwischen Krieg und Frieden«, vgl. »From Grey Zone to Red Zone«, in: The Economist, 18.5.2024.

7

 Vgl. z. B. Michael J. West / Aurelio Insisa, »Reunifying Taiwan with China through Cross-Strait Lawfare«, in: The China Quarterly, (2024) 257, S. 186–201, doi: 10.1017/S0305741023000735.

8

 Ben Levine, Necessary Reforms or Power Grap? A Recap on the Recent Legislative Yuan Drama, Washington, D.C.: Global Taiwan Institute, 12.6.2024, <https://globaltaiwan.org/ 2024/06/necessary-reforms-or-power-grab-a-recap-on-the-recent-legislative-yuan-drama/> (Zugriff am 24.8.2024).

9

 Interview der Autorin mit einem taiwanischen Experten, geführt in Taipeh am 17.4.2024.

10

 Alan H. Yang / Hsin Huang Michael Hsiao, What’s New for the Bluebird Movement? Advancing Asian Democratic Solidarity between Taiwan and Southeast Asia via Digital Technology and Partnership, Washington, D.C.: Global Taiwan Institute, 12.6.2024, <https://globaltaiwan.org/2024/06/whats-new-for-the-bluebird-movement/> (Zugriff am 1.8.2024).

11

 / Most People in Taiwan See Themselves as Primarily Taiwanese; Few Say They’re Primarily Chinesehttps://www.pewresearch.org/short-reads/2024/01/16/most-people-in-taiwan-see-themselves-as-primarily-taiwanese-few-say-theyre-primarily-chinese/>.

12

 Tatsächlich war Taiwan nie ein Bestandteil der Volks­republik China. Insofern wäre eine Einverleibung Taiwans in das Territorium der Volksrepublik China auch keine »Wieder«-Vereinigung.

13

 Interview der Autorin mit einem taiwanischen Experten, geführt in Taipeh am 17.4.2024.

14

 Am 7.11.2015 traf Ma in seiner Funktion als Präsident Taiwans den chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Singapur.

15

 Wie etwa der Drohnenhersteller DJI oder der Hersteller elektrischer Fahrzeuge BYD, der auch von der EU sanktioniert werden könnte, vgl. Thompson Chau, »China’s Xi Meets Taiwan’s Ex-Leader Ma amid Cross-strait Tensions«, Nikkei Asia (online), 10.4.2024, <https://asia.nikkei.com/Politics/ International-relations/Taiwan-tensions/China-s-Xi-meets-Taiwan-s-ex-leader-Ma-amid-cross-strait-tensions> (Zugriff am 22.8.2024).

16

 »Xi Jinping Meets Ma Ying-jeou in Beijing«, The State Council Information Office of the People’s Republic of China (online), 11.4.2024, <http://english.scio.gov.cn/m/topnews/2024-04/11/content_117118113.htm> (Zugriff am 1.8.2024).

17

 Interview der Autorin mit taiwanischen Experten, geführt in Taipeh am 2.5.2024.

18

 »Inaugural Address of ROC 16th-term President Lai Ching-te«, Office of the President, Republic of China (Taiwan) (online), 20.5.2024, <https://english.president.gov.tw/News/ 6726> (Zugriff am 30.6.2024).

19

 »Mainland Slams Lai Ching-te’s Election Slogan Seeking ›Taiwan Independence‹«, Xinhua, 14.12.2023, <https://www. chinadaily.com.cn/a/202312/14/WS657a6875a31040ac301a7be7.html> (Zugriff am 29.8.2024).

20

 Sean Lin, »Lai Reaffirms Support for Independence«, in: Taipei Times, 27.9.2017, <https://www.taipeitimes.com/News/ front/archives/2017/09/27/2003679217> (Zugriff am 24.10.2024).

21

 Sean Scanlan, »Vice President Lai Says He Will Not Declare Taiwan Independence«, in: Taiwan News, 17.5.2023, <https://www.taiwannews.com.tw/news/4894155> (Zugriff am 24.10.2024).

22

 Diese »Verpflichtungen/Bekenntnisse« formulierte Präsidentin Tsai 2019: Das Bekenntnis zu einem freien und demokratischen Verfassungssystem; das Bekenntnis, dass die Republik China und die Volksrepublik China sich nicht gegenseitig unterordnen sollten; die Verpflichtung Taiwans, einer Annexion oder Beeinträchtigung seiner Souveränität zu widerstehen; das Bekenntnis, dass über die Zukunft der Republik China im Einklang mit dem Willen des taiwanischen Volkes entschieden werden muss.

23

 Interview der Autorin mit taiwanischen Experten, geführt in Taipeh am 27.3.2024.

24

 Interview der Autorin mit einem taiwanischen Experten, geführt in Taipeh am 19.4.2024.

25

 Die damalige DPP-Vorsitzende Tsai Ing-wen propagierte im Jahr 2011 ihr Konzept eines »Taiwan-Konsenses« (Taiwan consensus). Die Grundidee dieses Konzepts war die, dass es zunächst einen Konsens innerhalb der taiwanischen Gesellschaft geben muss.

26

 »Mainland Chinese Students in Taiwan«, Mainland Affairs Council (Taiwan), 1.8.2024, <https://www.mac.gov.tw/en/ News_Content.aspx?n=CA7B5FA9C0EC7005&sms=D645444CA321A4FA&s=54D121541C911FB1> (Zugriff am 29.8.204).

27

 Ebd.

28

 Interview der Autorin mit einem taiwanischen Experten, geführt in Taipeh am 22.3.2024.

29

 »China Issues Judicial Guidelines on Imposing Criminal Punishment on Diehard ›Taiwan Independence‹ Separatists«, Ministry of Justice of the People’s Republic of China, 25.6.2024, <http://en.moj.gov.cn/2024-06/25/c_998956.htm> (Zugriff am 24.10.2024).

30

 Liu Xin / Liu Caiyu, »China Issues Judicial Guidelines on Criminal Punishment on Diehard ›Taiwan Independence‹ Forces«, in: Global Times, 22.6.2024, <www.globaltimes.cn/ page/202406/1314616.shtml> (Zugriff am 24.6.2024).

31

 Cao Desheng, »›Taiwan Independence‹ Separatist Activities Doomed a Historical Shame: FM«, in: China Daily, 21.5.2024, <https://www.chinadaily.com.cn/a/202405/21/ WS664c8365a31082fc043c85aa.html> (Zugriff am 30.6.2024).

32

 Harald Brüning, »New Rules Put ›Taiwan Separatists‹ on Final Notice«, in: China Daily, 26.6.2024, <https://www.chinadaily.com.cn/a/202406/26/WS667b5880a31095c51c50ad6d.html> (Zugriff am 30.6.2024).

33

 Taiwan Work Office of the CPC Central Committee, Qingdan zai lie de »taidu« wangu fen zi [Eine Liste der ein­gefleischten Anhänger der Unabhängigkeit Taiwans], 1.8.2024, <http://www.gwytb.gov.cn/zccs/zccs_61195/ cjtdwgfz/md/202408/t20240801_12639616.htm> (Zugriff am 17.9.2024).

34

 Wegen Betrugs verurteilte Inhaber taiwanischer Reise­pässe wurden zum Beispiel bereits aus Indonesien, Spanien, Tschechien oder Vietnam an China ausgeliefert.

35

 »China Issues Judicial Guidelines on Imposing Criminal Punishment« [wie Fn. 29].

36

 Jessica Drun / Bonnie Glaser, The Distortion of UN Resolution 2758 to Limit Taiwan’s Access to the United Nations, Washington, D.C.: The German Marshall Fund, März 2022, <www.gmfus.org/sites/default/files/2022-03/Drun%26Glaser-distortion-un-resolution-2758-limit-taiwans-access.pdf> (Zugriff am 10.6.2024).

37

 So werden beispielsweise ausländische Unternehmen von China ermahnt, die auf ihrer Website Taiwan als eigen­ständiges Land aufführen, oder es gilt bei der Einfuhr in die Volksrepublik von Produkten aus Taiwan, bestimmte Bezeichnungen einzuhalten (wie »Chinese Taiwan« statt »Republic of China«).

38

 Vgl. »UN Asks Taiwanese Journalist for Chinese Passport to Attend WHO Assembly«, Committee to Protect Journalists (online), 22.3.2024, <https://cpj.org/2024/05/un-asks-taiwanese-journalists-for-chinese-passports-to-attend-who-assembly/> (Zugriff am 10.6.2024).

39

 »Waijiao bu: Bu cunzai suowei ›haixia zhongxian‹« [Außenministerium: Es gibt keine sogenannte »Mittellinie der Meerenge«], Haiwainet, 21.9.2020, <https://bit.ly/ 3Wb3R07> (Zugriff am 9.6.2024).

40

 Cheng-fung Lu, China’s Claim of the Taiwan Strait as ›Inland Waters‹ and the Kinmen Incident, Taipei: Prospect Foundation, 6.3.2024, <https://www.pf.org.tw/en/pfen/33-10594.html> (Zugriff am 10.6.2024).

41

 »›Kinmen Model‹ Can Be Expanded to Taiwan Strait«, in: China Daily, 14.5.2024, <http://epaper.chinadaily.com.cn/a/ 202405/14/WS66429ad9a310df4030f517a2.html> (Zugriff am 8.6.2024).

42

 Anfang Juli setzte die chinesische Küstenwache vor der taiwanischen Insel Kinmen beispielsweise einen taiwanischen Kutter mitsamt Besatzung fest, die offiziell der illega­len Fischerei verdächtigt wurde. Vier der fünf Seeleute ließ China nach 40 Tagen wieder frei, ein Crewmitglied muss für weitere Ermittlungen in China bleiben.

43

 Vgl. »›Vorschriften zu administrativen Strafverfolgungsverfahren der Küstenwache‹ veröffentlicht«, in: China News Service Online (CNSO), 16.5.2024, <https://www.china-news-online.com/lang/German/26638.html> (Zugriff am 6.9.2024).

44

 Interview der Autorin mit taiwanischen Experten, geführt in Taipeh am 22.3.2024.

45

 Bonny Lin / Brian Hart / Matthew P. Funaiole / Samantha Lu / Truly Tinsley, How China Could Quarantine Taiwan: Mapping Out Two Possible Scenarios, Washington, D.C.: Center for Strategic & International Studies (CSIS), Juni 2024 (CSIS Briefs), <https://www.csis.org/analysis/how-china-could-quarantine-taiwan-mapping-out-two-possible-scenarios> (Zugriff am 11.6.2024).

46

 Interview der Autorin mit taiwanischen Experten, geführt in Taipeh am 19.3.2024.

47

 Demnach werde das US-Militär den Invasoren mit einem dichten Drohnenschwarm eine »Höllenlandschaft« bereiten und versuchen, einen Angriff Chinas zu verlang­samen, um so den Streitkräften Taiwans, den USA und anderen Partnern Zeit zu geben, eine umfassende Reaktion zu organisieren, vgl. Josh Rogin, »The U.S. Military Plans a ›Hellscape‹ to Deter China from Attacking Taiwan«, in: The Washington Post, 10.6.2024, <www.washingtonpost.com/ opinions/2024/06/10/taiwan-china-hellscape-military-plan/> (Zugriff am 11.6.2024).

48

 China hat mehr als 1.900 Kampfflugzeuge und Taiwan nur 300; China hat 45 Fregatten, Taiwan dagegen 22, vgl. David Sacks, »Taiwan Announced a Record Defense Budget: But Is It Enough to Deter China?«, Council on Foreign Relations (CFR), Blog Post, 30.8.2023, <https://www.cfr.org/blog/taiwan-announced-record-defense-budget-it-enough-deter-china> (Zugriff am 7.9.2024).

49

 Diese Strategie beruht auf dem Verteidigungskonzept (Overall Defense Concept) des ehemaligen Generalstabschefs der taiwanischen Streitkräfte Lee Hsi-ming, der dafür wirbt, dass Taiwan sich nur auf diese eine Strategie, die asymme­trische Kriegsführung, konzentrieren sollte.

50

 Aja Melville, »Internal Politics Cause Chasm in Taiwan’s Defense Posture«, Defence and Security Monitor, 20.12.2023, <https://dsm.forecastinternational.com/2023/12/20/internal-politics-cause-chasm-in-taiwans-defense-posture/> (Zugriff am 1.11.2024).

51

 Keoni Everington, »Taiwan Cabinet Approves Plan to Fund 7 New Submarines«, Taiwan News, 22.8.2024, <https://www.taiwannews.com.tw/news/5923563> (Zugriff am 7.9.2024).

52

»Taiwan’s Defense Spending NT$647 Billion, 2,45% of GDP in 2025«, Focus Taiwan, 22.8.2024, <https://focus taiwan.tw/politics/202408220015> (Zugriff am 7.9.2024).

53

 Interview der Autorin mit taiwanischen Experten, geführt in Taipeh am 19.3.2024.

54

 Ensecan Lorci, The Nexus of Cybersecurity and National Security: Taiwan’s Imperatives amidst Escalating Cyber Threats, Washington, D.C.: Global Taiwan Institute, 20.3.2024 (Global Taiwan Brief, 9 [2024] 6), <https://globaltaiwan.org/2024/ 03/the-nexus-of-cybersecurity-and-national-security-taiwans-imperatives-amidst-escalating-cyber-threats/> (Zugriff am 1.11.2024).

55

 Ministry of Digital Affairs, Cyber Security Management Act, 2018, <https://law.moj.gov.tw/ENG/LawClass/LawAll.aspx? pcode=A0030297> (Zugriff am 19.12.2024).

56

 Ministry of Digital Affairs, Program for the Digital Resilience Validation of Emerging Technologies for Contingency or Wartime Applications, 27.3.2024, <https://moda.gov.tw/en/digital-affairs/communications-cyber-resilience/programs/4187> (Zugriff am 4.7.2024).

57

 »TASA to Launch Six Satellites from 2026«, in: Taipei Times, 13.5.2024, <https://www.taipeitimes.com/News/front/ archives/2024/05/13/2003817776> (Zugriff am 31.8.2024).

58

 Tzu-Chieh Hung / Tzu-Wei Hung, »How China’s Cognitive Warfare Works: A Frontline Perspective of Taiwan’s Anti-Disinformation Wars«, in: Journal of Global Security Studies, 7 (Dezember 2022) 4, doi: 10.1093/jogss/ogac016.

59

 Interview der Autorin mit taiwanischen Experten, geführt in Taipeh am 27.3.2024.

60

 Interview der Autorin mit einem taiwanischen Ex­perten, geführt in Taipeh am 4.4.2024.

61

 Es sind allerdings keine Bunker, sondern Keller, Turnhallen usw., vgl. Yimou Lee / Fabian Hamacher / Ann Wang, »Taiwan Prepares Air-raid Shelters as Tensions Soar«, in: Taipei Times, 3.8.2022, <www.taipeitimes.com/News/taiwan/ archives/2022/08/03/2003782899> (Zugriff am 21.6.2024).

62

 Anna Marti, Wehrdienst in Taiwan: Schießen statt Unkraut jäten, Taipeh: Friedrich-Naumann-Stiftung, 16.2.2022 (China Bulletin), <www.freiheit.org/de/deutschland/wehrdienst-taiwan-schiessen-statt-unkraut-jaeten> (Zugriff am 7.9.2024).

63

 Joseph Wu, der ehemalige Außenminister Taiwans und heutige Generalsekretär des NSC, ging in einem Meinungsbeitrag in Foreign Affairs Anfang Mai 2024 noch einen Schritt weiter und forderte, chinesische Grauzonen-Übergriffe mit einem Preisschild zu versehen und Peking damit zu zeigen, dass Provokationen Konsequenzen haben, vgl. Joseph Wu, »Defending Taiwan by Defending Ukraine«, in: Foreign Affairs, 9.5.2024, <https://www.foreignaffairs.com/china/defending-taiwan-ukraine-jaushieh-joseph-wu> (Zugriff am 17.9.2024).

64

 Taiwan ist es trotz einer Diversifizierungsstrategie, der 2016 von Tsai Ing-wen initiierten, nach Süden gerichteten Politik (»New Southbound Policy«) einer intensiveren Koope­ration mit den ASEAN-Staaten, Südasien und Neuseeland, kaum gelungen, seine wirtschaftliche Abhängigkeit von den Waren und Investitionen aus China maßgeblich zu reduzieren. 2022 exportierte Taiwan über 40 Prozent seiner Waren/ Produkte nach China, das Festland war zu 23,6 Prozent Importquelle für Taiwan, vgl. Government Portal of the Republic of China (Taiwan), Economy, <www.taiwan.gov.tw/ content_7.php> (Zugriff am 13.7.204).

65

 Das ECFA hatte Zölle und Handelsschranken zwischen beiden Seiten abgebaut und diese florierende Handelsbeziehung erlaubt. In den vergangenen acht Jahren hat Peking bereits den Import von Nahrungsmitteln wie Ananas verboten.

66

 Vgl. Chia-Hsuan Wu, The Impact of China’s Suspension of the ECFA on Cross-Strait Relations, Taipei: Prospect Foundation, 1.9.2024 (Prospects and Perspectives Nr. 1), <https://www.pf. org.tw/en/pfen/33-10509.html> (Zugriff am 17.9.2024).

67

 Vgl. hierzu z.B. Stephan Thome, Schmales Gewässer, gefährliche Strömung. Über den Konflikt in der Taiwan-Straße, Berlin: Suhrkamp, 2024.

68

 Marco Overhaus, »Die Taiwan-Politik der USA – Balance­akt unter erschwerten Bedingungen«, in: Hilpert / Sakaki / Wacker (Hg.), Vom Umgang mit Taiwan [wie Fn. 2], S. 30–37, <https://www.swp-berlin.org/publikation/vom-umgang-mit-taiwan#hd-d81096e2170>.

69

 Der Taiwan Relations Act von 1979 regelt die informelle, auch militärische, Unterstützung Taiwans durch die USA.

70

 Interview der Autorin mit einer taiwanischen Expertin, geführt in Taipeh am 2.4.2024.

71

 Trump hatte dies bereits in einem Interview im Juli 2024 angekündigt, vgl. Helen Davidson, »Trump Says Taiwan Should Pay the US for Its Defence as ›It Doesn’t Give Us Anything‹«, in: The Guardian, 17.7.2024, <https://www.the guardian.com/world/article/2024/jul/17/donald-trump-taiwan-pay-us-defence-china-national-convention> (Zugriff am 30.11.2024).

72

 Taiwan erwägt wohl, ein großes Paket amerikanischer Waffen zu kaufen, wie den Zerstörer Aegis, um der künftigen Regierung von Donald Trump zu zeigen, dass es bereit ist, die eigene Verteidigung gegen China zu stärken, vgl. Demetri Sevastopulo / Kathrin Hille, »Taiwan Considers Big US Defence Purchases as Overture to Donald Trump«, in: Financial Times, 11.11.2014, <https://www.ft.com/content/ 7b218d0f-31dc-4b74-b993-797388767b85> (Zugriff am 30.11.2024).

73

 So US-Vizeaußenminister Kurt Campbell in einer Kongressanhörung am 18.9.2024.

74

 Zuletzt hatten republikanische und demokratische US-Senatoren im Mai 2024 eine Reso­lution vorgeschlagen, in der sie Chinas falsche Darstellung der UN-Resolution 2758 zurückweisen. Sie erklärten, dass Pekings Souveränitäts­anspruch über Taiwan auf Grundlage der UN-Resolution von der Welt nicht akzeptiert werde.

75

 IPAC ist eine 2020 gegründete internationale Allianz von Parlamentariern aus demokratischen Ländern, die sich auf die Beziehungen zur Volksrepublik konzentriert.

76

 Theodoros Benakis, »Netherlands House of Representatives Resolution Calls for Taiwan’s Representation in the UN«, in: European Interest, 13.9.2024, <https://www.european interest.eu/netherlands-house-of-representatives-resolution-calls-for-taiwans-representation-in-the-un/> (Zugriff am 17.9.2024).

77

 IPAC, European Parliament Passes Motion on UN Resolution 2758, 24.10.2024, <www.ipac.global/campaigns/european-parliament-passes-motion-on-un-resolution-2758> (Zugriff am 2.1.2024).

78

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