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Die deutsch-brasilianische Partnerschaft für sozial-ökologische Transformation

Bilaterale Zusammenarbeit als Katalysator für den UN-Klimaprozess

SWP-Aktuell 2024/A 34, 09.07.2024, 8 Seiten

doi:10.18449/2024A34

Forschungsgebiete

Die wachsenden Spannungen zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden erschweren nicht nur die weltweite Klimakooperation, sondern auch Deutschlands Suche nach verlässlichen Partnern. Ein Schlüsselakteur für die Bundesrepublik, der dazu beitragen kann, Spannungen abzubauen, ist Brasilien. Es beansprucht, als Brückenland zu fungieren, und ist Gastgeber der Weltklimakonferenz von 2025 (COP30). Im Rahmen ihrer neuen Partnerschaft für sozial-ökologische Transformation sollten Deutschland und Brasilien darauf hinarbeiten, das Vertrauen in die Klima­verhandlungen zu stärken. Ebenso sind sie gefragt, eine effektive Zusammenarbeit von handlungsfähigen und -willigen Regierungen aus Nord und Süd zu fördern.

Für die globale Klimakooperation bestehen derzeit schwierige Rahmenbedingungen. Es herrscht ein zunehmend multipolarer Kon­text, in dem der Zugang zu Ressourcen und Märkten für grüne Technologien mehr und mehr umkämpft ist. Länder, welche über für die Dekarbonisierung maßgebliche Roh­stoffe verfügen, gewinnen an politischem Einfluss, während China strategisch wich­tige Lieferketten dominiert. Die geoökonomischen und geopolitischen Machtverhältnisse wandeln sich. Als Folge erfahren Bünd­nisse wie BRICS+ und G20 eine Neuord­nung, und Strukturen im internatio­nalen System verschieben sich. Zugleich schreitet die Klimakrise unaufhaltsam voran, mani­fes­tiert durch immer häufiger und intensi­ver auftretende Extremwettereignisse mit ver­heerenden, grenzüberschreitenden Folgen.

Für die Bundesrepublik sind diese Entwicklungen besonders brisant. Die Covid-19-Pandemie und Russlands Angriff auf die Ukraine haben schmerzlich offengelegt, wie anfällig Deutschland für externe Schocks und einseitige Abhängigkeiten ist. Im Be­streben, vorhandene Strukturen und Instru­mente auf das zunehmend komplexe und konflikthafte Umfeld auszurichten, hat die Bundesregierung Ende 2023 eine Klima­außenpolitik-Strategie verabschiedet und sich damit einen kohärenten Rahmen für die globale Transformation hin zur Klima­neutralität gegeben.

Das Auswärtige Amt evaluiert derzeit Deutschlands bilaterale Klima- und Ener­giepartnerschaften, um darauf aufbauend das Partnerschaftskonzept neu zu justieren. Stimmen aus der deutschen und europäischen Politik werben verstärkt für »gleichberechtigte« Partnerschaften mit »win-win«-Charakter, über die sich lokale Beschäftigung und Wertschöpfung fördern lassen. Zwar fehlt es bislang an praktischen Bei­spielen für die Ernsthaftigkeit dieser Rheto­rik. Doch hoffen Deutschland und die EU, mit attraktiven Angeboten politisch enger verbundene Partner gewinnen zu können. Dabei geht es gerade auch darum, in der Konkurrenz mit China und den USA zu be­stehen.

Für eine effektive Kooperation zwischen Nord und Süd

Während Deutschland und die EU nach ver­lässlichen Partnern suchen, wachsen die Spannungen zwischen dem Globalen Nor­den und dem Globalen Süden. Das Miss­trauen vieler Länder ist groß, Deutschland und die EU könnten extraktivistische Part­nerschaftsmodelle fortsetzen, die sich auf die Sicherung von Rohstoffbedarfen be­schränken, ohne lokale Wertschöpfung zu fördern, und dadurch globale Ungleichheits- und Ausbeutungsverhältnisse zemen­tieren.

Viele Länder des Südens kritisieren die EU für ihre selektive Solidarität während der Covid-19-Pandemie. Die europäische Seite hortete damals Impfstoff-Vorräte und weigerte sich, Patentrechte zu teilen, was die Pandemiebekämpfung in Ländern mit niedrigem Einkommen behinderte. Auch dass Deutschland und die EU in großem Umfang finanzielle Mittel für die Ukraine bereitstellen, während gleichzeitig die hohe Verschuldung vieler Länder unbeachtet bleibt, wird als selektive Unterstützung wahrgenommen und scharf kritisiert. Dop­pelte Standards, für viele Länder des Glo­balen Südens etwa repräsentiert durch Deutschlands militärische Unterstützung für Israel trotz Hinweisen auf Verletzung des humanitären Völkerrechts durch die israelische Armee im Gazastreifen, ver­schärfen die geopolitische Polarisierung weiter. Da finanzielle Versprechen des Glo­balen Nordens lange Zeit nicht eingehalten wurden – wie die Zusage, jährlich 100 Mil­liarden US-Dollar für die Klimafinanzierung zu mobilisieren –, ist das Vertrauen des Globalen Südens in die weltweite Klima­kooperation und in multilaterale Prozesse stark erschüttert.

Der Abbau von Nord-Süd-Spannungen ist für Deutschlands Suche nach verlässlichen Partnern ebenso essentiell wie für den glo­balen Klimaschutz. Normative und strate­gische Beweggründe im Sinne wertegelei­teter und interessensbasierter deutscher Außenpolitik sind dabei nahezu deckungsgleich. Neben dem Bestreben, die Dekarbonisierung voranzutreiben, Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken sowie regionale und sektorale Abhängigkeiten zu reduzieren, sollte die effektive Zusammenarbeit von handlungsfähigen und -willigen Regierungen aus Nord und Süd folglich ein Kernziel eines strategischen Partnerschaftskonzepts sein. Die Wirkmächtigkeit von Nord-Süd-Koalitionen zeigte sich zuletzt auf der COP28 der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) Ende 2023 in Dubai. Dort erreich­te ein breites Bündnis aus über 130 Ent­wicklungs- und Industrieländern, dass die Vertragsstaaten in einem COP-Beschluss erstmals dazu aufgefordert wurden, sich in »gerechter, geordneter und ausgewogener« Weise von fossilen Brennstoffen in ihren Energiesystemen abzuwenden.

Brasilien ist Wunschpartner Deutschlands und der EU

Ein wichtiger Akteur, der zum Abbau von Nord-Süd-Spannungen beitragen kann, ist Brasilien. Die Ansätze auf beiden Seiten mögen sich teils deutlich unterscheiden, doch ist das Land seit Amtsantritt von Präsi­dent Luiz Inácio Lula da Silva im Januar 2023 ein Wunschpartner für Deutschland und die EU geworden, wenn es darum geht, das Vertrauen in die globale Klimakooperation zu stärken und den Kern multilateraler Prinzipien und Regeln zu bewahren. Die Regierungen Deutschlands und Brasiliens setzen sich im Rahmen der G4 (zusammen mit Indien und Japan) für die Reform des UN-Sicherheitsrates ein. Dabei unterstützen sie sich gegenseitig in ihrem jeweiligen Be­streben, einen ständigen Sitz in dem Gre­mium zu erhalten. Beide sehen die zuneh­mende Konfrontation zwischen den USA und China kritisch, weil sie befürchten, die multilaterale Zusammenarbeit könnte da­durch gefährdet werden. China ist zwar Haupthandelspartner Brasiliens, großer Investor für dessen Infrastruktur und Tech­nologien und wichtiger Abnehmer brasilia­nischer Produkte wie Soja, Eisenerz, Rohöl und Rindfleisch. Doch ist nicht zu erwarten, dass sich Brasilien in der sino-amerika­nischen Rivalität einseitig positionieren wird, denn vorrangig strebt es nach außen­politischer Autonomie und nach Äqui­distanz zwischen den Großmächten. Brasi­lien versteht sich als Brückenland: als Ver­treter des Südens und Partner des Nordens.

Präsident Lula hat den Anspruch, dass sein Land die internationale Politik stärker als bisher mitgestaltet. Beim Amtsantritt hat er den Kampf gegen den globalen Klimawandel – neben der Beseitigung von Armut und Hunger sowie der Reform der Global-Governance-Strukturen – in den Vordergrund seiner außenpolitischen Prio­ritäten gestellt. Auch die Reindustrialisierung Brasiliens unter Nutzung grüner Tech­nologien ist ein Kernziel seiner Regierung.

Brasilien als wichtiger Akteur der internationalen Klimapolitik

Lula hat eine diplomatische Offensive ge­startet, um Brasilien – weltweit der siebt­größte Treibhausgas-Emittent und der größ­te in Lateinamerika und Karibik – als Vor­reiter und führenden Akteur des Globa­len Südens im Kampf gegen den Klimawandel aufzustellen. Er hat konkrete Maßnahmen getroffen, um die klimapolitischen Rück­schritte zu korrigieren, die während der Präsidentschaft Jair Bolsonaros 2019–2023 erfolgten. So hob Lula die unter der Vorgän­gerregierung reduzierten Minderungsziele wieder an: von 37 auf 48 Prozent bis zum Jahr 2025 und von 50 auf 53 Pro­zent bis 2030 – jeweils im Vergleich zu 2005. Da­mit soll das absolute Emissionsniveau er­reicht werden, das ursprünglich in Brasi­liens nationalem Klimabeitrag (Nationally Determined Contribution, NDC) vorgeschlagen war. Hatte die Entwaldung unter Bolso­naro stark zugenommen, so ist die Abhol­zungsrate im brasilianischen Amazonas-Biom 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 62,2 Prozent zurückgegangen. Gleichzeitig nahm jedoch die Zerstörung im Cerrado um fast 68 Prozent zu; 2023 überstieg sie erst­mals seit fünf Jahren jene des Amazonas. Lula hat sich zum Ziel gesetzt, die illegale Abholzung bis 2030 vollständig zu been­den. Um die Entwaldung zu bekämpfen, revitalisierte er die Zusammenarbeit im Rahmen der Organisation der Kooperation im Amazonasgebiet (OTCA), nachdem 14 Jahre lang kein Gipfeltreffen mehr statt­ge­funden hatte.

Dank seiner reichhaltigen Ressourcen für die Produktion von Biokraftstoffen und sau­berer Energie besitzt Brasilien das Potential, ein zunehmend wettbewerbsfähiger Akteur in grünen Wachstumsbranchen zu werden. Das Land hat derzeit einen der höchsten Anteile an erneuerbaren Energien weltweit und eines der saubersten Stromsysteme. 2023 stammten 93,1 Prozent der brasilianischen Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen. Weiterhin dominiert Wasserkraft die installierte Kapazität (mit 58 Prozent im Jahr 2023), doch der Zubau von Solar- und Onshore-Windkraftanlagen wird sich Prog­nosen zufolge bis 2028 im Vergleich zu den letzten fünf Jahren mehr als verdoppeln. Brasilien könnte zu einem der kostengünstigsten Hersteller von grünem Wasserstoff werden, da es für dessen Produktion über ideale geographische und klimatische Be­dingungen verfügt.

Für die nächsten drei Jahre hat Brasilien eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der globalen Klimakooperation inne: als Aus­richter der COP30, die 2025 in Belém statt­finden wird, aber auch als G20-Vorsitz 2024 und BRICS-Vorsitz 2025. Bereits seit Anfang 2024 engagiert sich das Land neben den Vereinigten Arabischen Emiraten und Aser­baidschan als Mitglied der sogenannten Troika-Präsidentschaft für den UNFCCC-Pro­zess. Im Rahmen seiner klimadiplomatischen Aktivitäten in internationalen Foren setzt sich Brasilien stark für das Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Ver­antwortung (Common But Differentiated Responsibilities, CBDR) ein.

Lulas ambitionierte Pläne umzusetzen ist mit großen Herausforderungen verbunden, denn das Land leidet unter tiefgreifenden sozio-ökonomischen Problemen. Dazu ge­hören eine zunehmende soziale Ungleichheit, massiv gestiegene Lebensmittelpreise, wachsende Verschuldung, eine schwierige Haushaltslage und eine komplexe innen­po­litische Situation. Die brasilianische Wirt­schaft ist weiterhin stark von emis­sions­intensiven Industrien wie Landwirtschaft, Bergbau, Öl und Gas abhängig, die traditio­nell gute Verbindungen zur Politik haben. Die einflussreiche Agrarlobby, die eine Lockerung der Umweltvorschriften fordert, steht im Konflikt mit Umwelt-NGOs und indigenen Gemeinschaften.

Lula ist gezwungen, die ökonomischen Interessen der emissionsintensiven Indus­trien einzubinden, um dauerhaften Wider­stand zu vermeiden. Konservative Parteien, die über eine Mehrheit im brasilianischen Nationalkongress verfügen und eng mit dem Agrarsektor verflochten sind, schränken den politischen Spielraum des Präsi­denten ein. Klima- und Umweltschutz be­trachten sie primär als einen Ausdruck aus­ländischer Einmischung in die Angelegen­heiten eines souveränen Brasilien. Zudem umfasst Lulas heterogene Regierungskoalition auch Parteien rechts der Mitte, die seine Pläne bremsen und die Entscheidungs­findung erschweren, wie insbesondere wie­der­holte Konflikte zwischen dem Energie­minister und der Umweltministerin zeigen.

Gleichzeitig ist Lula trotz Widerstands in seiner eigenen Regierung direkt daran beteiligt, die Ölexploration voranzutreiben. Entsprechende Pläne für das Amazonas­becken könnten das Land bis 2030 zu einem der fünf größten Ölproduzenten der Welt machen. Auch die Gas- und Kohle­produktion will Brasilien steigern. Anfang des Jahres ist Brasilien der OPEC+ als Beob­achter beigetreten.

Perspektiven der Trans­formationspartnerschaft

Auch wenn Brasilien von deutscher Seite bereits seit Jahrzehnten als Partner auf Augenhöhe gepriesen wird, mit dem man Werte und Interessen teilt, zeigten die Regierungen der beiden Länder zuletzt be­son­ders großen Willen, enger zusammenzu­arbeiten und Differenzen zu über­win­den. Während der Regierungskonsultationen Ende 2023 haben Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Lula – ergänzend zur bestehenden Strategischen Partnerschaft – eine Partnerschaft für eine sozial gerechte ökologische Transformation ins Leben ge­rufen. Sie bildet den Rahmen für die deutsch-brasilianische Kooperation. Mit dem Ziel, die bilateralen Beziehungen wei­ter zu vertiefen und die Zusammen­arbeit neu zu gestalten, wurden konkrete Maß­nahmen definiert. Im Vordergrund der Partnerschaft stehen unter anderem der Kampf gegen den Klimawandel, der Erhalt des Amazonas-Regenwalds, die Förderung nachhaltiger Agrar- und Ernährungssysteme, der Ausbau der erneuerbaren Energien, die Dekarbonisierung der Industrie und die Schaffung lokaler Wertschöpfungsketten. Gemäß der Überzeugung, dass ökologische und soziale Herausforderungen eng zusam­menhängen und nur gemeinsam bewältigt werden können, zählt es darüber hinaus zu den Prioritäten, Hunger und Armut zu be­kämpfen. Kern der Partnerschaft ist unter anderem ein hochrangiger strategischer Dialog über Klimaschutz und -ambitionen, der bis zur COP30 insgesamt drei- bis vier­mal stattfinden soll.

Um einen stärker integrierten Ansatz zu gewährleisten, sollen alle bestehenden bila­teralen Formate in einschlägigen Politik­bereichen (wie die deutsch-brasilianische Energiepartnerschaft) zu der neuen Part­nerschaft beitragen. Sie folgt im Unterschied zu bisherigen Partnerschaften mit anderen Ländern einer klaren strategischen Vision. Daher ist sie so angelegt, dass die Zusammenarbeit über projektbezogene technisch-finanzielle Unterstützung hin­ausgehen kann und sich Ressourcen bün­deln und effektiv koordinieren lassen.

Als wichtiges Instrument zur Umsetzung der Klimaziele ergänzen Partnerschaften die multilateralen Governance-Prozesse. Die bilaterale Zusammenarbeit in einem sol­chen Rahmen kann Vertrauen schaffen und dabei helfen, Koalitionen in den Klimaverhandlungen zu bilden. Umgekehrt kann sich die konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit in multilateralen Prozes­sen positiv auf bilaterale Beziehungen aus­wirken und Deutschlands Suche nach ver­lässlichen Partnern unterstützen.

Kernthemen im Vorfeld der COP30

Angesichts seines Selbstverständnisses als Brückenland und in seiner Rolle als Aus­richter der COP30 ist Brasilien ein klimapolitischer Schlüsselpartner für Deutschland. Vier Themenbereiche sind dabei im Vorfeld der Konferenz von Belém besonders rele­vant: die Auslegung des Global Stocktake; die nächste Runde der NDCs; Finanzierung und die Frage nach der Geberbasis; die Re­form der Global Governance.

Die Auslegung des Global Stocktake

Die Ergebnisse der COP28 haben gezeigt, dass es Fortschritt ermöglichen kann, ein binäres Nord-Süd-Denken zu überwinden. In den vergangenen Monaten wurde jedoch deutlich, wie schwer es ist, diese Dynamik aufrechtzuerhalten und die in der globalen Bestandsaufnahme (Global Stocktake, GST) formulierten Ziele in nationale Maßnahmen umzusetzen. Der erstmals durchgeführte GST bewertet den kollektiven Fort­schritt und deckt Lücken in allen Bereichen auf. Seine Empfehlungen sollen in den NDCs der nächsten Runde reflektiert wer­den. Doch der von Ambiguität geprägte Be­schluss, der auf der COP28 gefasst wurde, bietet vor dem Hintergrund fundamentaler Interessenunterschiede großen Interpreta­tionsspielraum, insbesondere was den künf­tigen Umgang mit fossilen Energien betrifft. Unklar ist, wie sich die im Energiepaket ver­einbarte »Abkehr von fossilen Energien« im Detail von einem »Ausstieg« unterscheidet, welche Sektoren der Begriff »Energiesystem« abdeckt und was »gerecht und geordnet« ist.

Der Konflikt über Auslegung und Reichweite der GST-Empfehlungen zeigte sich zuletzt auf den Zwischenverhandlungen SB60 in Bonn, wo die Modalitäten für einen Dialog festzulegen waren, der die Umsetzung der Ergebnisse von Dubai begleiten soll. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer verstehen den GST eher als »á la carte«-Menü denn als bindendes Gesamt­paket; so forderten sie in Bonn, den Fokus allein auf die Finanzierungselemente zu legen. Dagegen vertraten Industrieländer und Inselstaaten die Position, der Dia­log solle alle Kernelemente des GST umfassen.

Die nächste Runde der NDCs

Bis zum 10. Februar 2025 müssen neue NDCs vorgelegt werden. Dies ist ein ent­scheidender Moment, um die bestehende Ambitions- und Umsetzungslücke zu schlie­ßen. Um die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen, müssen die welt­weiten Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 43 Prozent und bis 2035 um 60 Prozent gegenüber dem Niveau von 2019 sinken. Doch bei vollständiger Implementierung der aktuellen NDCs würden die Emissionen bis 2030 nach Prognosen gerade einmal um 5,3 Prozent gegenüber 2019 zurückgehen. Der GST bekräftigt die Dringlichkeit, den Klimaschutz in diesem »kritischen Jahr­zehnt« zu beschleunigen und die neuen Klimaziele so zu gestalten, dass sie mit dem 1,5-Grad-Ziel kompatibel sind. Die Vertrags­staaten werden ermutigt, alle Treibhaus­gase und Wirtschaftssektoren in die natio­nalen Beiträge für 2035 bzw. 2040 aufzu­nehmen.

Der Erfolg der COP30 und das interna­tionale Ansehen Brasiliens werden maßgeb­lich davon abhängen, ob sich Vorreiter mobilisieren lassen, die rechtzeitig ambitio­nierte NDCs einreichen. Die Troika hat an­gekündigt, die Entwicklung neuer, ehrgeizi­gerer nationaler Beiträge, die den Ergebnissen des GST gerecht werden, durch einen »Fahrplan zur Mission 1,5 C« zu ermöglichen. Dessen Kern ist eine verstärkte inter­nationale Zusammenarbeit durch Partnerschaften und Unterstützungsstrukturen. Doch Differenzen über das Verhältnis zwischen Ambitionen und Finanzierung drohen den Prozess zu blockieren. Viele Entwicklungsländer sind nur dann bereit, ambitioniertere Klimaziele aufzustellen, wenn zusätzliche finanzielle Unterstützung bereitgestellt wird – für die es fraglos einen immensen Bedarf gibt. Industrieländer wiederum zeigen sich insbesondere dort zurückhaltend, wo es um den Einsatz öffentlicher Mittel geht. Sie argumentieren, ehrgeizige Ziele dienten umgekehrt als Sig­nal, um zusätzliche Gelder zu mobilisieren.

Finanzierung und die Frage der Geberbasis

Die COP29 wird im November 2024 im aserbaidschanischen Baku stattfinden. Dort soll ein neues globales Ziel für die Klima­finanzierung – das New Collective Quan­ti­fied Goal (NCQG) – beschlossen werden, das auf das bisherige Ziel von jährlich 100 Milliarden US-Dollar bis 2025 folgt. Der jährliche Gesamtinvestitionsbedarf der Ent­wicklungs- und Schwellenländer (außer China) wird auf eine Billion US-Dollar im Jahr 2025 und 2,4 Billionen US-Dollar im Jahr 2030 geschätzt. 2021 und 2022 lagen die weltweiten durchschnittlichen Klima­investitionen bei lediglich rund der Hälfte des zweiten Wertes (1,3 Billionen US-Dollar).

Die Bereitstellung von Klimafinanzierung ist seit jeher ein Thema, das den Glo­balen Süden vom Globalen Norden spaltet. In den Verhandlungen zum NCQG wird nicht nur über das angestrebte Quantum, sondern insbesondere auch über eine mög­liche Ausweitung der Geberbasis gestritten. Kern der Querelen ist die Frage, wer für die finanzielle Unterstützung von Emissionsminderung und Anpassung an den Klima­wandel aufkommen soll. Die meisten Ent­wicklungsländer lehnen es vehement ab, die Geberbasis um wohlhabende Schwellenländer wie China und die Golfstaaten zu erweitern – was Deutschland, die EU und die USA in den Verhandlungen zum NCQG wiederum mit Priorität fordern.

Traditionell liegt die Verantwortung für die Klimafinanzierung im Rahmen des UN‑Klimaregimes bei den Ländern, die bei Unterzeichnung der UNFCCC im Jahr 1992 Mitglieder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) waren – die sogenannten Annex-II-Länder. Das Pariser Klimaabkommen von 2015, welches auf Entwicklungs- und Indus­trieländer Bezug nimmt, konnte diese Dichotomie nicht auflösen. Der Einladung, im Lichte nationaler Gegebenheiten auf freiwilliger Basis zur Unterstützung ärme­rer Länder beizutragen, ist bisher noch kein Entwicklungs- oder Schwellenland nach­gekommen. Dabei drohen die Konflikte um das NCQG dringend benötigtes Vertrauen nachhaltig zu beschädigen.

Die Reform der Global Governance

Die internationale Finanzarchitektur, inklu­sive der Bretton-Woods-Institutionen, und andere historisch von den Industrieländern dominierte multilaterale Einrichtungen sind nicht in der Lage, angemessen auf den Klimawandel und sonstige Krisen der heu­tigen Zeit zu reagieren. Viele Länder des Glo­balen Südens kritisieren diesen Miss­stand immer energischer. Die postkoloniale Weltordnung, so der Vorwurf, erhalte die Ungleichgewichte aufrecht und igno­riere die vielfältigen geschichtlich-politi­schen Perspektiven des Globalen Südens.

Seit Jahrzehnten fordern die Länder des Globalen Südens, multilaterale Institutionen stärker auf die Finanzierung nachhal­tiger Entwicklung auszurichten und dort Mit­spracherechte zu schaffen, die den heu­tigen Machtverhältnissen und wirtschaft­lichen Realitäten gerecht werden. Präsident Lula ist weltweit zu einem der Wortführer dieser Appelle geworden. Ihm geht es dabei nicht um die Errichtung eines alternativen inter­nationalen Systems, sondern um die Stär­kung eines inklusiven Multilateralismus im Rahmen reformierter Governance-Strukturen.

Es verschärft die ideelle Kluft zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden weiter, dass Deutschland und die EU ihre eigenen Standards nur selektiv anwen­den und es bislang versäumt haben, den Forderungen nach einer gerechteren Macht­verteilung nachzukommen. Zwischen der Fremdwahrnehmung Deutschlands wie Europas und ihrem Selbstbild als moralische Instanz und Verteidiger demokratischer Werte klafft so eine immer größere Lücke. Dies erschwert die Suche nach ver­lässlichen Partnern ebenso wie die inter­nationale Klimakooperation.

Prioritäten der Transformations­partnerschaft

Zwischen Deutschland und Brasilien mögen die nationalen Ansätze mitunter divergieren, etwa im Hinblick auf teilweise als pro­tektionistisch empfundene EU-Umwelt­standards, den Einsatz von Biokraftstoffen und die bevorzugte Art der Herstellung von Wasserstoff. Ebenso gibt es konzeptionelle Differenzen, vor allem was die Implikationen aktueller und historischer Emissionen für die jeweiligen Verantwortlichkeiten betrifft. Dessen ungeachtet zeigen die bei­den Länder einen großen Willen, enger zusammenzuarbeiten. Insgesamt besteht zwischen ihnen breiter Konsens über die Notwendigkeit einer ambitionierten Klima­politik und eine große Konvergenz der entsprechenden strategischen Prioritäten. Auch das jeweilige Selbstverständnis als vermittelnde Kraft macht Deutschland und Brasilien zu wichtigen Akteuren, wenn es darum geht, das Vertrauen in die Klimaverhandlungen zu stärken und die wirk­same Kooperation von handlungsfähigen und ‑willigen Regierungen aus Nord und Süd zu fördern.

Die beiden Länder sollten ihren politischen Dialog im Rahmen der Transforma­tionspartnerschaft nutzen, um Spannungsfelder zu antizipieren und die sich abzeich­nenden Differenzen im Vorfeld von COP29 und COP30 konstruktiv anzugehen. Wenn es ihnen gelingt, bilaterale konzeptionelle Unterschiede zu überwinden oder abzu­mildern, kann das die Basis bilden für eine breitere Koalition. Um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich die Ergebnisse des GST angemessen in die Vorbereitung der nächsten NDCs ein­beziehen lassen, soll­ten Deutschland und Brasilien ein ver­tieftes gemeinsames Ver­ständnis für die Kernelemente des GST ent­wickeln, auch was deren Verbindlichkeit angeht. In diesen Prozess gilt es zivilgesellschaftliche, wissen­schaft­liche und privatwirtschaftliche Stim­men zu integrieren. Im Rahmen des Track-1.5-Dialogs könnten die beiden Länder über­zeugende, weniger pola­risierende Narrative erarbeiten, wonach zusätzliche Finanzmittel ebenso notwendig sind wie neue, ehrgei­zige NDCs aller Ver­tragspar­teien. Solche Narrative müssten stärker auf einem kollek­tiven Willen zur Ambitionssteigerung be­ruhen und Raum schaffen für eine gemein­same Basis zwi­schen Industrie- und Ent­wicklungsländern.

Die NDC-Diplomatie sollte im Vorfeld der COP30 eine der wichtigsten Prioritäten der Transformationspartnerschaft sein. Außen­ministerin Annalena Baerbock forderte beim diesjährigen Petersberger Klimadialog, eine breite Multi-Stakeholder-Allianz zur Unterstützung der NDCs zu bilden. Ein solches Bündnis kann ein wich­tiges Instru­ment sein, um einen gesamt­gesellschaft­lichen Ansatz zu fördern und insbesondere die Einbeziehung der inter­na­tionalen Finanzinstitutionen sicherzustellen. Deutschland und Brasilien sollten die vor­geschlagene Allianz und damit zusammenhängende Aktivitäten weiter konkretisieren und ihre Anstrengungen mit beste­henden Unterstützungsstrukturen wie der NDC-Partnerschaft verknüpfen. Koor­di­nierte diplomatische Schritte würden Deutschlands und Brasiliens Bemühungen mehr Gewicht verleihen, potentielle Vor­reiter zu ermutigen, dass sie auf der COP29 ambitionierte NDCs vorlegen und eine posi­tive politische Dynamik für die nationalen Beiträge schaffen. Deutschland und Brasi­lien sollten Brücken schlagen zu anderen Formaten wie der G7- und der G20-Präsi­dentschaft, um einen holistischen NDC-Prozess zu fördern. Zudem sind Brasilien und die EU gefragt, als Vorreiter frühzeitig 1,5-Grad-konforme NDCs einzureichen. Dies würde Deutschland, der EU und Brasilien zusätzliche Legitimität verleihen, wenn sie gemeinsam auf Länder zugehen und den Druck auf andere große Emittenten wie China im Vorfeld der COP30 erhöhen. Da politische Mehrheiten für eine ambitio­nierte Klimapolitik nach der Europawahl unter Druck sind, ist es umso wichtiger, dass sich die Bundesregierung für die baldige Ver­abschiedung eines ehrgeizigen EU-NDC starkmacht.

Brasilien – auf Platz 19 im Ranking der Staaten, die Finanzmittel für Klimaschutzmaßnahmen in den Entwicklungsländern bereitstellen – und Deutschland als ver­lässlicher Geber internationaler Klima­finanzierung sollten sich gemeinsam dafür einsetzen, dass die existierende Süd-Süd-Kooperation systematischer erfasst wird. Die freiwillige finanzielle Unterstützung, die gerade Schwellenländer wie Brasilien und Indien – wie auch die Industriestaaten – über multilaterale Entwicklungsbanken (MDBs) und Klimafonds sowie bilaterale Klimafinanzierungsströme für Entwicklungsländer leisten, ist beträchtlich. Den­noch bleibt sie häufig unbeachtet, wenn darüber diskutiert wird, die Geberbasis für Klimafinanzierung auszuweiten. Da die Entwicklungsländer nicht verpflichtet sind, über finanzielle Unterstützung Bericht zu erstatten, und viele von ihnen befürchten, eine freiwillige Meldung könnte Forderungen nach drastischeren Minderungsmaßnahmen nach sich ziehen, erfolgen solche Transfers weitgehend unregistriert. Würden sie systematisch erfasst und würde gleich­zeitig zugesichert, dass daraus keine weite­ren Pflichten folgen, ließe sich das gegen­seitige Vertrauen in den Verhandlungen zum NCQG stärken und die Bereitschaft traditioneller Geberländer erhöhen, zusätz­liche Finanzierung zu leisten.

Zuerst sind jedoch die Industrieländer dafür verantwortlich, die bestehende Lücke der 100-Milliarden-Dollar-Verpflichtung zu schließen und für die Zukunft deutlich höhere Beiträge zuzusichern. Denn nur wenn die reichen Länder ihren Zusagen verlässlich nachkommen, ist es willigen Entwicklungsländern möglich, auf natio­­na­ler Ebene politischen Rückhalt für Beiträge zur Klimafinanzierung zu finden. Die Bun­desregierung muss dafür sorgen, dass sie trotz angespannter Haushaltslage und an­gekündigter Mittelkürzungen bei der Ent­wicklungszusammenarbeit ihr Verspre­chen einhält, bis 2025 jährlich mindestens 6 Milliarden Euro für die Klimafinanzierung bereitzustellen.

Als Rahmen der deutsch-brasilianischen Beziehungen bietet die Transformationspartnerschaft eine Chance, globale Agenden wie die Reform der Global Governance und den Kampf gegen den Klimawandel zusam­menzudenken und diese Anliegen verstärkt zum Gegenstand des politischen Dialogs zu machen. Deutschland sollte die Kritik an der bestehenden internationalen Ordnung ernst nehmen und den Gestaltungsanspruch Brasiliens und anderer Länder des Globalen Südens aktiver unterstützen. Das bedeutet zwangsläufig auch, auf eigene Privilegien zu verzichten. Die Bereitschaft Deutschlands, sich für innovative Ideen wie etwa eine globale Reichensteuer zu öffnen und mit entsprechenden Maßnahmen vor­anzugehen, könnte Brasiliens Bereitschaft stärken, die deutschen Forderungen nach einer insbesondere um China erweiterten Geberbasis für die Klimafinanzierung zu­mindest passiv zu unterstützen. Transformationsprozesse miteinander zu verbinden kann das Vertrauen des Globalen Südens in den multilateralen Klimaprozess stärken und die Voraussetzung für ambitioniertere Klimaziele sowie belastbare Partnerschaften schaffen.

Jule Könneke ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen und leitet das Projekt »Deutsche Klima­diplomatie im Kontext des European Green Deal«.

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