Gemessen an den erteilten Exportgenehmigungen werden auch 2020 arabische Staaten wieder zu den Hauptempfängern deutscher Rüstungslieferungen gehören. Damit setzt sich trotz des kürzlich verlängerten Exportstopps für Saudi-Arabien ein Trend fort, der sich seit den frühen 2000er Jahren, vor allem aber seit 2010 beobachten lässt. Angesichts der regionalen Entwicklungen ist dies problematisch. Denn in den vergangenen Jahren hat sich die Außenpolitik der wichtigsten Abnehmerstaaten gewandelt. Sie sind weniger berechenbar und eher bereit, militärische Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen zu nutzen. Rüstungsexporte könnten somit dazu beitragen, die zahlreichen zwischenstaatlichen Konflikte in Nahost und Nordafrika weiter eskalieren zu lassen, mit hohen Risiken für Deutschland und die EU. Auch vor dem Hintergrund der eigenen Exportrichtlinien ist daher für diese Länder ein Ausfuhrstopp anzuraten.
Am 10. Dezember verkündete die Bundesregierung, den 2018 verhängten Rüstungsexportstopp für Saudi-Arabien um ein Jahr zu verlängern. Dessen ungeachtet gehören arabische Staaten auch 2020 wieder zu den Hauptbestimmungsländern deutscher Rüstungslieferungen. Zuletzt wurde grünes Licht für den Export von Flugabwehrkanonenpanzern nach Katar und Patrouillenbooten nach Ägypten gegeben. Damit setzt sich ein Trend fort, der Anfang des Jahrtausends begonnen und sich seit 2010 verstärkt hat (siehe Schaubild, S. 2). Zwischen 2017 und 2019 machten Ägypten, Algerien, Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) mit rund 6,1 Milliarden Euro etwa ein Drittel des Gesamtwerts aller deutschen Genehmigungen für Rüstungsexporte aus. Unter den »Drittstaaten« – die weder der Nato angehören noch Nato-Mitgliedern gleichgestellt sind – lag ihr Anteil sogar bei rund 62 Prozent, nur die Lieferung von Kleinwaffen ist zuletzt deutlich zurückgegangen. Dabei machen Güter aus deutscher Fabrikation nur einen Bruchteil der Rüstungskäufe dieser Staaten aus. Laut Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) gehört der Nahe Osten international zu den größten Waffenimporteuren. Allein auf Saudi-Arabien entfielen in den letzten fünf Jahren 12 Prozent der weltweiten Kriegswaffeneinfuhren.
Wandel der Außen- und Regionalpolitik arabischer Staaten
Diese Aufrüstung geht einher mit einem Wandel in der Außenpolitik der arabischen Hauptzielländer deutscher Rüstungsexporte. Hatten die Golfmonarchien und Ägypten vor 2010 als abhängige Verbündete der USA außenpolitische Entscheidungen noch eng mit Washington abgestimmt, so begannen sie im Zuge des »Arabischen Frühlings«, sich davon zu lösen. Saudi-Arabien und die VAE etablierten sich als »Anführer der Gegenrevolution«, indem sie die Protestbewegung etwa in Bahrain niederschlugen, den Militärputsch in Ägypten unterstützten und den Aufstieg von Parteien und Gruppierungen bekämpften, die den Muslimbrüdern nahestehen. Letztere werden wiederum von Katar offensiv gefördert. Mit Washington abgesprochen wird das jeweilige Vorgehen dabei kaum noch. Was diese Entwicklung im Fall Saudi-Arabiens verstärkte, war die Annäherung des Westens an den Iran im Rahmen des Atomabkommens von 2015. Auch Ägypten lockerte seine Beziehungen zu den USA, mit denen es seit den 1980er Jahren eine enge Militärpartnerschaft unterhielt. Vor allem seit dem Putsch 2013 setzt das Land darauf, seine Außenbeziehungen zu diversifizieren und die Bündnispolitik eigenständiger zu gestalten. In regionalen Konflikten sucht Kairo weniger den Schulterschluss mit USA oder EU, sondern steht fest an der Seite Riads und Abu Dhabis.
Begleitet wird diese proaktivere Außenpolitik von einer Militarisierung, die sich nicht zuletzt darin ausdrückt, dass stärker als zuvor militärische Mittel genutzt werden, um Interessen durchzusetzen. In Libyen unterstützen die VAE und Katar bereits seit 2011 Milizen. Seit Beginn des zweiten libyschen Bürgerkrieges 2014 sind die VAE dort auch direkt militärisch engagiert. Ägypten wiederum ist in diesen Konflikt spätestens seit 2015 involviert, durch Militärhilfen an die Libysche Nationalarmee (LNA) ebenso wie durch vereinzelte Luftschläge. Im syrischen Bürgerkrieg unterstützten sowohl Saudi-Arabien als auch Katar in den Anfangsjahren verschiedene Rebellengruppen; sie trugen so erheblich dazu bei, dass die militärischen Auseinandersetzungen eskalierten und der Aufstand sich radikalisierte. Saudi-Arabien intervenierte zudem 2015 an der Spitze einer Militärkoalition befreundeter Staaten, zu denen gerade auch die VAE zählten, im jemenitischen Bürgerkrieg. Anfangs noch mit zögerlicher Unterstützung einiger westlicher Regierungen, inzwischen zunehmend isoliert, kämpft das Königreich gegen die vom Iran unterstützte Huthi-Bewegung; hohe Opferzahlen in der jemenitischen Zivilbevölkerung nimmt Riad dabei in Kauf. 2017 wäre es fast zur militärischen Konfrontation zwischen Saudi-Arabien und den VAE auf der einen und Katar auf der anderen Seite gekommen. Seitdem herrscht zwischen ihnen ein kalter Krieg, der trotz erheblicher Bemühungen westlicher Staaten bislang nicht entschärft werden konnte und die Konfliktparteien weiter aufrüsten lässt.
Künftig droht die Außenpolitik in der Region weiter militarisiert zu werden. Angesichts des ungelösten Konflikts zwischen Ägypten und Äthiopien um das Nilwasser wird etwa spekuliert, dass Kairo sich in seiner südlichen Nachbarschaft militärisch stärker engagieren könnte. Ägypten könnte versucht sein, eine Militärbasis in Äthiopiens Nachbarschaft zu errichten – ähnlich wie die VAE, die bereits über entsprechende Basen in Eritrea sowie der autonomen Region Somaliland verfügen, um damit Einfluss auf das Horn von Afrika auszuüben.
Ebenfalls als militärischer Akteur in Erscheinung treten könnte Algerien. Das Land hat in den letzten Jahren eine Politik strikter Nichteinmischung verfolgt, Anfang November aber mit einer Verfassungsänderung den Einsatz seines Militärs auch außerhalb eigener Grenzen – für Peacekeeping im weiteren Sinne – möglich gemacht. Nach manchen Analysen könnte dies ein erster Schritt Algiers sein, um in den libyschen Bürgerkrieg einzugreifen. Gleichzeitig könnten sich die Spannungen mit dem Nachbarn Marokko noch verstärken, insbesondere nachdem die USA die Souveränität Rabats über Westsahara anerkannt haben.
Regionale Spannungen und deutsche Genehmigungsverfahren
Die deutsche Politik kritisiert zwar, dass arabische Staaten verstärkt militärisch intervenieren oder bewaffnete Milizen unterstützen, doch in der Berliner Rüstungsexportpolitik spiegelt sich das nicht wider. Im Gegenteil: Trotz zunehmender Bereitschaft der betreffenden Staaten, ihr Militär – auch völkerrechtswidrig – einzusetzen, wurden seit 2011 immer mehr Rüstungsexporte dorthin genehmigt.
Gemessen an den Grundsätzen der Bundesregierung für Rüstungsexporte ist diese Entwicklung bemerkenswert. Die Richtlinien benennen »regionale Spannungen« als ein entscheidendes Ausschlusskriterium. Das Gleiche gilt für den 2008 beschlossenen Gemeinsamen Standpunkt des Europäischen Rats zu Rüstungsexporten. Dort heißt es unmissverständlich: »Die Mitgliedstaaten wollen mit Entschlossenheit verhindern, dass Militärtechnologie und Militärgüter ausgeführt werden, die zu […] internationaler Aggression eingesetzt werden könnten oder zu regionaler Instabilität beitragen könnten« (Präambel, Abs. 4). Zumindest bei Kriegswaffen fallen die deutschen Vorgaben, die im Juni 2019 neu gefasst wurden, sogar noch schärfer aus. Genehmigungen werden demnach für Länder versagt, »die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht, in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden […], sofern nicht ein Fall des Artikels 51 der VN-Charta vorliegt« (Politische Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, Ziffer III, Abs. 7).
Allein das Potential einer Konfliktverschärfung sollte also hinreichender Grund für einen Exportstopp sein. Doch scheinen diese Grundsätze, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle zu spielen, geht es um Genehmigungsverfahren für die wichtigsten arabischen Zielstaaten. So erklärt sich die deutlich restriktivere Genehmigungspraxis bei Kleinwaffenexporten in erster Linie nicht durch regionale Faktoren. Vielmehr wurden solche Exporte in den vergangenen Jahren generell stark eingeschränkt. Gemäß den 2015 erlassenen Grundsätzen für Kleinwaffen war dafür vor allem ausschlaggebend, dass sich deren Verbreitung schwer kontrollieren lässt. Und auch temporäre Exportstopps wurden weniger mit Bedenken hinsichtlich der regionalen Instabilität, sondern zumeist mit einer schlechten Menschenrechtslage in den Zielländern begründet. Dies galt 2013 für Ägypten, als es im Zuge des Militärputsches zu Massakern an Zivilisten kam, und 2018 im Fall Saudi-Arabiens, nachdem der Dissident Jamal Khashoggi von einem staatlichen Tötungskommando ermordet worden war. Dass ursprünglich für Saudi-Arabien vorgesehene Patrouillenboote nun an Ägypten geliefert werden, ein Land mit ähnlich problematischer Menschenrechtslage, zeugt zudem von einer gewissen Inkonsistenz bei Anwendung der Exportgrundsätze.
Implikationen für die deutsche Exportpolitik
Angesichts der regionalen Entwicklungen sollte die Bundesregierung ihre Rüstungsexportpolitik gegenüber arabischen Staaten grundsätzlich auf den Prüfstand stellen. Bislang hat sie nur in Einzelfällen vage Hinweise auf ihr politisches Kalkül gegeben, etwa im Zusammenhang mit Exporten in die Golfstaaten, die gelegentlich mit der Bedrohung durch den Iran gerechtfertigt wurden. Entsprechende Argumente kamen in der Vergangenheit auch von wissenschaftlicher Seite. Durch gezielte Aufrüstung einzelner Staaten soll demnach ein Abschreckungseffekt entstehen, der letztlich zu mehr regionaler Stabilität beitragen könne. Eine weitere These besagt, dass Rüstungsexporte sich nutzen ließen, um die bilateralen Beziehungen mit dem Zielland zu stärken, und damit ein Türöffner für mehr außenpolitischen Einfluss seien. Beide Argumente sind indes empirisch nicht hinreichend belegt und daher mittlerweile hochumstritten. Auch wird dabei weitgehend ausgeblendet, dass einzelne Empfänger deutscher Exporte untereinander verfeindet sind – wie im Fall der Katar-Blockade deutlich wurde – oder dass Rüstungsgüter eben nicht nur zur Selbstverteidigung, sondern auch proaktiv in regionalen Konflikten abseits des eigenen Landes zum Einsatz kommen.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass deutsche Rüstungsexporte militärische Auseinandersetzungen in der Region anheizen und so dazu beitragen, Europas direkte Nachbarschaft zu destabilisieren. Angesichts des beschriebenen außenpolitischen Wandels in den Hauptzielländern besteht dafür sogar eine hohe Wahrscheinlichkeit. Abgesehen davon, dass sich Rüstungsausfuhren an Länder, die in bewaffnete Konflikte involviert sind, mit den eigenen Exportgrundsätzen kaum vereinbaren lassen, sollte es im fundamentalen Interesse Deutschlands sein, eine solche Entwicklung zu verhindern. Denn nicht zuletzt wären der Tod zahlreicher Zivilistinnen und Zivilisten im Nahen Osten sowie erneute Fluchtbewegungen nach Europa die Folge. Die Verlängerung des Exportstopps für Saudi-Arabien sollte daher zum Anlass genommen werden, auch die Genehmigungspolitik gegenüber den anderen arabischen Staaten grundlegend zu überdenken. Ein Stopp der Ausfuhr von Waffen und Rüstungsgütern in diese Länder erscheint angesichts der regionalen Entwicklungen nur folgerichtig.
Yannik Hüllinghorst war Praktikant der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika.
Dr. Stephan Roll ist Leiter der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika.
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doi: 10.18449/2020A103